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Das Geschäft mit geraubten Kulturgütern boomt. Im Schatten der politischen Erschütterungen im Nahen Osten und in Nordafrika kommt es zu beispiellosen Plünderungen antiker Stätten. Gleichzeitig werden Kunstgegenstände als Geldanlage international immer gefragter. Auch Terrorgruppen wie der IS finanzieren sich wohl durch geraubte Kulturgüter. Weltweit wird – so vermuten es Strafverfolger – nur mit Drogen und Waffen mehr illegales Geld gemacht. Günther Wessel hat sich in diesen »diskreten Markt« hineinbegeben.
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Seitenzahl: 275
»Und Geld ist immer das Motiv?«»Nein, sehr viel Geld.«Der Basler Kunsthändler Christoph Leon im InterviewDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliograie; detaillierte bibliograische Daten sind im Internet überwww.dnb.de abrubar.1. Auflage, entspricht der 1. Druckauflage von August 2015© Christoph Links Verlag GmbHSchönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 440232-0www.christoph-links-verlag.de; [email protected] und Satz: Ch. Links Verlag, BerlinAbbildungen auf dem Einband: Vorderseite/oben: Skulptur aus der antiken Stadt Palmyra im Museum von Damaskus, 14. März 2014 (Getty Images/AFP Photo/Joseph Eid); Vorderseite/unten: zerstörte Antiken im Museum im ägyptischen Mallawi nach der Plünderung des Museums, 17. August 2013 (picture alliance/Roger Anis/Demotix); Rückseite: Raubgrabungslöcher nahe der Pyramiden von Gizeh, 2014 (Monica Hanna)ISBN 978-3-86153-841-7eISBN 978-3-86284-311-4
VorwortVon Markus Hilgert
EinleitungDer Handel mit illegalen Kulturgütern: Ein unseliger Boom
1Ägypten: Grabungslöcher und Knochenhügel
2Irak und Syrien: Terrorfinanzierung durch Raubgrabungen?
3Deutschland: Wo Hobbyarchäologen wühlen
4Spurensucher, keine Schatzgräber: Die Archäologen und die Archäologie
5Tunnel und Diplomatenkoffer: Die Schmuggler
6Geldanlage oder Kunstgenuss? Die Sammler
7Die Gier des Kurators: Museen und ihre Verantwortung
8Nur saubere Ware? Die Händler
9Antiken in der Waschanlage: Wie illegale Kulturgüter legal werden
10»Wo ein Markt ist, gibt es auch immer Fälschungen.«
11Ein grauer Markt: Die Dimensionen des Handels mit illegalen Kulturgütern
12Schutzgesetze? Rechtliche und politische Bemühungen sowie Versäumnisse beim Kulturguthandel
Schluss: »Kaufen Sie das Zeug nicht!«
SchlussbemerkungVon Friederike Fless
Anhang
Quellen
Dank
Zum Autor
Flughafen Lyon, Gate Q 01, bis zum Rückflug nach Berlin bleiben mir noch drei Stunden – Zeit, in der ich schreiben kann. Vor mir auf dem Tisch liegt das inzwischen stark mitgenommene Manuskript von Günther Wessels »Das schmutzige Geschäft mit der Antike«, mein ständiger Begleiter in den letzten Tagen – und Nächten.
Es ist Freitag, der 19. Juni 2015. Ich bin noch ein wenig benommen. Die vergangenen zwei Tage habe ich in einem fensterlosen, abhörsicheren, videoüberwachten Raum zugebracht, in der Zentrale von Interpol. Konzentriert und systematisch haben Vertreterinnen und Vertreter von Ermittlungs- und Zollbehörden aus aller Welt, internationalen Organisationen und Fachinstitutionen den illegalen Handel mit Kulturgütern unter die Lupe genommen, haben Ermittlungsergebnisse ausgetauscht, Forschungsvorhaben vorgestellt und Strategien abgestimmt. Ich bin beeindruckt: Eine breite, mächtige Koalition im Kampf gegen die organisierte Kriminalität im Bereich des illegalen Kulturguthandels hat sich formiert. Und beinahe täglich gewinnt sie an Schlagkraft durch neue Partner, die ihren eigenen Beitrag zum Schutz des materiellen Kulturgedächtnisses der Menschheitsgeschichte leisten wollen. Was ist geschehen? Woher kommt diese massive, globale Sorge um das Kulturerbe der Welt?
Fast auf den Tag genau ein Jahr ist es her, dass die britische Tageszeitung The Guardian in einem aufsehenerregenden Bericht eine direkte Verbindung zwischen dem Handel mit illegal ausgegrabenen Antiken aus Syrien und der Finanzierung der islamistischen Terrormiliz IS herstellte (siehe Kapitel 2). Gewiss, die Annahme einer solchen direkten Verbindung zwischen illegalem Antikenhandel und Terrorismus beruht bislang lediglich auf Indizien. Aber allein der durchaus begründete Verdacht, dass mit dem scheinbar »harmlosen«, gerade auch in Europa besonders lukrativen Handel mit archäologischen Objekten wie Rollsiegeln, Schmuckstücken, Keilschrifttafeln, Statuen oder Mosaiken die unaussprechlichen Gräuel an der Zivilbevölkerung in Syrien und im Irak mitfinanziert werden könnten, hat eine weltweite Schockwelle ausgelöst.
Wachgerüttelt wurden nicht nur diejenigen, die bis dahin insistiert hatten, Raubgrabungen und illegaler Handel mit Kulturgütern seien Kavaliersdelikte, denen man angesichts der vielfältigen, drängenden Herausforderungen an die Menschheit keine zusätzliche Aufmerksamkeit schenken könne und wolle. Ein Bewusstseinswandel hatte sich vielmehr auch in der Öffentlichkeit sowie in den Medien vollzogen, wo das Thema bis zu diesem Zeitpunkt weder angemessen präsent noch als schwerwiegende gesellschaftliche und politische Herausforderung erkannt worden war.
Mit den Propagandavideos des IS, die seit Ende Februar dieses Jahres veröffentlicht wurden und mutwillige, ideologisch motivierte Zerstörungen von Museen und archäologischen Stätten im Nordirak zeigen, hat sich jedoch noch eine andere, tiefer gehende Erkenntnis eingestellt: Religiöse oder konfessionelle Konflikte, politische Instabilität und wirtschaftliche Krisen stellen immer eine besondere Bedrohung für materielle wie immaterielle Kulturgüter dar. Je länger diese Krisensituationen andauern, je weiter sich die betroffenen Territorien ausdehnen und je schwächer der politische Wille und die Entschlossenheit sind, der schleichenden Zerstörung Einhalt zu gebieten, desto größer ist die Gefahr, dass wir unseren Kindern und Enkelkindern ein menschliches Kulturerbe in Trümmern hinterlassen werden.
Der kulturelle Reichtum der Vergangenheit, aus dem wir mit vielfach unreflektierter Selbstverständlichkeit unsere individuellen und kollektiven Orientierungsraster, unsere Entwicklungs- und Modernitätsnarrative sowie unsere ethischen Grundsätze ableiten, ist keine quantité négligeable, kein schmückendes Beiwerk, das es nur dann zu schützen gilt, wenn alle menschlichen Grundbedürfnisse bereits befriedigt sind. Denn uneingeschränkte Orientierung und verantwortete Handlungsfähigkeit sind Grundbedürfnisse des Menschen. Zugleich sind sie sein wichtigstes unterscheidendes Merkmal und sein größtes Kapital.
Wer glaubt, Raubgrabungen, Plünderungen und illegaler Handel mit Kulturgut seien ein Phänomen der jüngeren Zeit, das auf Länder wie Ägypten, Irak, Syrien oder Afghanistan beschränkt ist, täuscht sich gewaltig. Raubgrabungen in allen Regionen der Welt sind vermutlich so alt wie die Gewohnheit des Menschen, wertvolle Dinge unterirdisch zu verbergen, sei es zu deren Schutz, sei es in einem zeremoniellen oder kultischen Zusammenhang. Systematische Raubgrabungen etwa im Irak sind bereits für die Zeit um die Mitte des 19. Jahrhunderts dokumentiert, das heißt für eine Epoche, als im Zuge einer kulturellen Aneignung der Vergangenheit in kolonialem Kontext Staaten wie England, Frankreich oder Deutschland wissenschaftliche Expeditionen in das Land zwischen Euphrat und Tigris entsandten, um archäologische Objekte für Forschung und Museen in Europa zu gewinnen. Plünderungen archäologischer Stätten in großem Umfang hat der Irak erneut seit den 1990er Jahren zu beklagen, als Krieg und innenpolitische Instabilität nicht nur den flächendeckenden Schutz dieser Stätten unmöglich machten, sondern auch eine wirtschaftliche Krise auslösten, die wie immer die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft am schlimmsten traf.
Raubgrabungen aus schierer menschlicher Not wie aus schnöder Habgier haben jedoch stets zwei Dinge miteinander gemein:
1. Sie stellen langfristig die mit Abstand größte Bedrohung für das kulturelle Erbe der Menschheit dar, eine Bedrohung, die weitaus umfassender ist als propagandistisch inszenierte Zerstörungsorgien oder Schäden durch militärische Kampfhandlungen.
2. Sie sind auf einen Markt mit gut ausgebildeter Infrastruktur und vor allem mit entsprechender Nachfrage angewiesen. Solange es möglich ist, mit illegal ausgegrabenen Kulturgütern einen lukrativen Handel zu treiben und ohne beträchtliche Risiken Geld zu verdienen, wird es Raubgrabungen und Plünderungen archäologischer Stätten geben; solange der Handel die Gier von Personen und Institutionen nach stets neuen Objekten befriedigen und damit die Nachfrage nur noch mehr anheizen kann, ist ein Ende der schleichenden Auslöschung unseres gemeinsamen kulturellen Erbes nicht abzusehen.
Dies ist jedoch nicht nur eine kulturelle Katastrophe für diejenigen Staaten, deren vielfach jahrtausendealte archäologische Stätten der ungebremsten Nachfrage nach »grabungsfrischen« Objekten im Handel zum Opfer fallen. Der illegale Handel mit Kulturgütern wird zunehmend auch zur außenpolitischen Herausforderung für sogenannte Markt- oder Transitstaaten, in denen dieser Handel stattfindet. Denn ganz zu Recht fordern Regierungen, deren Länder von Raubgrabungen betroffen sind, bei diesen Markt- oder Transitstaaten strengere rechtliche Rahmenbedingungen und effektive Instrumente für die Bekämpfung des illegalen Handels auf nationaler Ebene ein. Dabei fällt auf, dass politische und wirtschaftliche Asymmetrien, deren Ursprünge in die Zeit des Kolonialismus zurückreichen, im Verhältnis dieser beiden Staatengruppen zueinander vielfach bis heute wirksam sind.
Wer Maßnahmen gegen den illegalen Handel mit Kulturgütern ergreifen will, muss zunächst verstehen, wie dieser Handel funktioniert, wer die Akteure sind, wie sie operieren und kommunizieren, wie die Verbindungen zu anderen Bereichen der organisierten Kriminalität beschaffen sind, womit besonders gern gehandelt wird und wieviel Gewinn sich damit erzielen lässt. Aus Sicht der Kriminologie zählt der illegale Handel mit Kulturgütern zu den Dunkelfeldern der organisierten Kriminalität. Ein Dunkelfeld zeichnet sich dadurch aus, dass es kein umfassendes, systematisches Wissen über diesen Bereich der Kriminalität gibt und dass Methoden sowie Instrumente fehlen, um möglichst schnell an dieses systematische Wissen zu gelangen.
Im Falle des weitverzweigten, illegalen Kulturguthandels zeichnet sich inzwischen ab, wie dieses Wissensdefizit mittelfristig behoben werden kann. Entscheidend ist dabei zunächst die Vernetzung der in diesem Bereich bereits vorhandenen Kompetenzen, Kapazitäten und Infrastrukturen auf internationaler Ebene, die gegenwärtig beispielsweise von der UNESCO, dem Internationalen Museumsrat ICOM oder Interpol mit großem Engagement vorangetrieben wird. Unverzichtbar ist weiterhin die wissenschaftliche Dunkelfeldforschung, deren Ziel es vor allem sein muss, effektive Verfahren für eine zuverlässige Erhellung des Dunkelfeldes zu entwickeln. In Deutschland geschieht dies gegenwärtig im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierten Verbundprojekts »ILLICID. Illegaler Handel mit Kulturgütern in Deutschland« (siehe Kapitel 11). Gerade in Europa muss Dunkelfeldforschung zum illegalen Kulturguthandel in Zukunft aber auch staatenübergreifend erfolgen, wenn sie den Gegebenheiten des europäischen Binnenmarktes entsprechen will.
Schließlich sind es detailreiche Untersuchungen wie das vorliegende Buch, die einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung des »schmutzigen Geschäfts mit der Antike« leisten können. Denn basierend auf umfassenden, sorgfältigen Recherchen entwirft Günther Wessel nicht nur ein atemberaubendes Panorama der Hintergründe, Funktionsweisen und vielfältigen Akteure des illegalen Kulturguthandels, das alle Facetten dieses schillernden Milieus abbildet und damit die wissenschaftliche Dunkelfeldforschung ideal ergänzt. Schärfen wird Wessels ebenso seriöser wie fesselnder Bericht vielmehr auch das öffentliche Bewusstsein für die menschenverachtenden und kulturzerstörenden Praktiken derjenigen Personen und Institutionen, die dem illegalen Handel mit Kulturgütern zuarbeiten oder ihn unterstützen: Niemand kann jetzt noch glaubwürdig behaupten, er habe nicht gewusst oder wissen können, welchen Schaden diese Form der organisierten Kriminalität der gesamten Menschheit und ihrem kulturellen Gedächtnis zufügt.
Prof. Dr. Markus Hilgert
(Direktor, Vorderasiatisches Museum im Pergamonmuseum, Staatliche Museen zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz)
Alles beginnt mit dem Sammler, der zu einem Händler oder zu einer unsauberen Auktion geht, um ein Objekt zu kaufen. Er ist der Erste in der Reihe, der zahlt. Und alle anderen sind seine Komplizen: derjenige, der es außer Landes schmuggelt, der, der ausgräbt, und derjenige, der Kinder zum Ausgraben anheuert.
Monica Hanna, Archäologin
Es ist eine verschwiegene Szene. Eine, die nicht auffällt, die gediegen daherkommt, die kultiviert über ihre Stücke spricht, die vom Atem der Geschichte schwärmt, den Zeugnissen der Vergangenheit, von jahrtausendealter Kulturgeschichte, die so fassbar würde. Eine Szene, die sich für die Ästhetik ihrer Sammlerstücke begeistert, aber nur selten wissen will, dass an diesen manchmal Blut klebt, sie häufig illegal aus ihren Herkunftsländern ausgeführt wurden.
Aus dunklem Hintergrund strahlen sie den Betrachter an: eine Isiskrone aus Ägypten, ein sabäisches Kalksteinidol, der späthellenistische bronzene Kopf eines Maultieres. Das Fragment eines hölzernen ägyptischen Sarkophages. Und 657 weitere Objekte, alle schön fotografiert. Ein Auktionskatalog. Mehr als 330 Seiten, Hochglanz, Schutzgebühr 15 Euro. Sehr edel, sehr aufwendig. Doch in einem Punkt sind die ansonsten sehr präzisen Beschreibungen im Katalog recht ungenau: bei der Herkunftsbezeichnung, der sogenannten Provenienz. »Seit 1982 in englischem Familienbesitz« heißt es beispielsweise bei einer römischen Marmormänade, die für 140000 Euro verkauft wurde. Oder: »Aus US-amerikanischer Privatsammlung erworben vor 1983«. Das meiste Geld brachte ein Porträt Cäsars: 160000 Euro zahlte jemand für den nasenlosen Marmorkopf. Insgesamt erlöste die Auktion an einem Frühsommertag im Jahr 2014 knapp 1,8 Millionen Euro. Es war nur eine von mehreren Antikenauktionen, die das angesehene deutsche Auktionshaus Gorny & Mosch jährlich durchführt.
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