Das Schweigen des Drachen - Jörg Kastner - E-Book

Das Schweigen des Drachen E-Book

Jörg Kastner

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Beschreibung

Ritter, Glanz und Staub. Prunk, Blut und Sieg. So geht es zu am Hof der Burgunden, als die edelsten Prinzen um die Hand der schönen Kriemhild werben. Doch unter ihnen ist einer, der wie ein einfacher Mann gekleidet ist und der ohne prächtige Geschenke kommt: Siegfried von Xanten, Prinz der Niederlande, dessen Vater unter den anderen Herrschern als verfemt gilt. Allem Hohn und Spott, aller Verachtung zum Trotz hält Siegfried um Kriemhilds Hand an, geblendet von ihrer einzigartigen Schönheit und bestärkt durch eine geheimnisvolle Stimme, die ihn leitet. Und da ist noch einer, der ihm Rat erteilt: Der düstere Hagen von Tronje, der ihn dazu bringen will, das uralte Wesen zu töten, das alle fürchten, den Drachen. Was Siegfried nicht ahnt: In dem Bestreben, das Richtige zu tun, hat er längst den dunklen Weg beschritten ... Prinz Siegfried ist weltweit durch die Sage der Nibelungen bekannt. Jörg Kastner wurde durch diesen Stoff fasziniert, inspiriert und schrieb Das Schweigen des Drachen. Die Erzählung knüpft an Kastners beliebten Roman Das Runenschwert an.

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Seitenzahl: 29

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Jörg Kastner

Das Schweigen des Drachen

Eine Erzählung aus der Welt der Nibelungen

Die zwölf goldglänzenden Ritter verblassten, zerschmolzen in den Strahlen der Morgensonne und waren bald nicht mehr als die bloße Erinnerung an einen schönen Traum. Er träumte diesen Traum gern, nicht nur des Nachts, und jedes Mal, wenn er in die Wirklichkeit zurückkehrte, war er enttäuscht. Kein Dutzend strahlender Ritter, die hervorragendsten ihres Reiches, ausgerüstet mit den besten Waffen und den edelsten Rossen, stellte ihm das Geleit. In Wahrheit war er allein, nicht einmal von einem einzigen Diener begleitet. Die Kisten voller Gold und Juwelen, samtener Stoffe und edler Gewürze existierten nur in seiner Einbildung. Als reicher, angesehener Prinz ritt er in seinen Träumen nach Worms und beschenkte den ganzen Hof so überreich, dass die Burgunden ihn lobpreisten als den Freigebigsten unter den Freigebigen. Nichts davon war wahr, denn der stolze Prinz, Siegfried von Xanten, war ein einsamer, mittelloser Tropf.

Seufzend wälzte er sich von der schmalen, harten Bettstatt und wankte zu dem Bottich mit dem alles andere als sauberen Wasser. Er war nicht der Erste, der sich damit wusch. Der Schlafsaal des Gasthauses war überfüllt, und viele seiner Zimmergenossen waren bereits aufgestanden, um nichts von dem heutigen Tag zu versäumen. Siegfried beeilte sich mit dem Waschen. Auch er hatte es eilig, war er doch, wie so viele, anlässlich dieses besonderen Tages nach Worms gereist. Aus der Backstube neben dem Gasthaus drang der verführerische Duft frisch gebackenen Brots, und er spürte seinen leeren Magen. Als er aber seinen schmalen Geldbeutel befühlte, beschloss er, auf ein Frühmal zu verzichten. Mit etwas Glück würde er heute ein prachtvolles Festmahl genießen, ausgerichtet von keinem Geringeren als König Gunther.

Im Stall begrüßte ihn Graufell mit fröhlichem Wiehern. Dem prächtigen Hengst schien das Abenteuer Spaß zu machen. Während Siegfried das Tier aufzäumte und sattelte, dachte er an den Weg von Xanten nach Worms und daran, dass sein Mut und sein Selbstvertrauen geschwunden waren, je näher er dem Ziel gekommen war. Zum wiederholten Mal fragte er sich, ob die Stimme auch nur Einbildung gewesen war, wie ein Tagtraum, der sich in der Nacht verselbständigte und eigenen Gesetzen folgte. Tatsächlich hatte die Stimme stets nachts zu ihm gesprochen. Und doch hatte er geglaubt, nicht zu träumen. Ohne es genauer bestimmen zu können, war er sich sicher gewesen, dass die Stimme wirklich war. Oder besser: gewesen war! Seit er Xanten heimlich wie ein Dieb verlassen hatte, war die Stimme verstummt, und seine Zweifel an ihr und an sich selbst waren gewachsen.

»Verliert das Vertrauen nicht, Herr! Die guten Mächte um uns herum stehen uns bei, wenn wir nur an sie glauben.«

Verdutzt hielt Siegfried inne, als er Graufell nach draußen führte. Eine Frau hatte ihn von der Seite angesprochen, mit Worten, als könne sie seine geheimsten Gedanken lesen. Den unzähligen Falten in ihrem Gesicht nach zu urteilen, war sie bereits uralt, aber ihre Haltung war aufrecht wie die eines jungen Mädchens, ihre Augen nicht im Mindesten von der Müdigkeit des Alters getrübt. Diese Augen! Siegfried konnte seinen Blick kaum von ihnen abwenden. Ein Strahlen ging von ihnen aus, eine starke innere Kraft, die ihn in ihren Bann schlug. Diese ungewöhnlichen Augen hatte keine bestimmte Farbe, schimmerten in einem Moment golden wie die Ritter seines Traums, im nächsten wirkten sie so schwarz wie die Nacht. Unsinn, sagte er zu sich selbst und zwang sich, den Blick von den unheimlichen Augen abzuwenden.