Das Spiel - Richard Laymon - E-Book

Das Spiel E-Book

Richard Laymon

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Beschreibung

Der neue meisterhafte Psycho-Thriller von Kult-Autor Richard Laymon

Eines Tages erhält die junge Bibliothekarin Jane einen Fünfzig-Dollar-Schein und die Aufforderung, sich an einem ominösen „Spiel“ zu beteiligen: Wenn sie jeweils mitternachts eine bestimmte Aufgabe löst, dann verdoppelt sich ihre Belohnung. Sie macht mit. Die ersten Aufgaben sind noch leicht, doch sie werden härter – bis es kein Zurück mehr gibt: Das „Spiel“ artet zu reinstem Terror aus ....

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Titel der amerikanischen OriginalausgabeIN THE DARKDeutsche Übersetzung von Kristof Kurz
Copyright © 2001 by Richard Laymon Copyright © 2007 der deutschen Ausgabeund der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München. Redaktion: Marcel HäußlerSatz: C. Schaber Datentechnik, Wels
ISBN 978-3-641-07864-5V002
www.heyne.dewww.penguinrandomhouse.de

ZUM BUCH

Eines Tages findet die junge Bibliothekarin Jane Kerry auf ihrem Stuhl in der Bibliothek einen Umschlag, der einen Fünfzig-Dollar-Schein und die Aufforderung enthält, sich an einem »Spiel« zu beteiligen. Unterzeichnet ist das Schreiben von einem geheimnisvollen MOG – Master of Games. Aus Neugierde willigt Jane ein, und von nun an gibt ihr MOG jeweils um Mitternacht eine bestimmte Aufgabe, wobei sich jedes Mal die Belohnung verdoppelt. Immer am Ende einer Aufgabe findet sie einen Umschlag mit Geld und Hinweise zur nächsten Runde. Die ersten Aufgaben sind leicht, spielerisch, dann werden sie härter und härter – bis sie Jane an einen Punkt führen, von dem es kein Zurück mehr gibt: das »Spiel« wird ihr Leben auf radikale Weise verändern.

Schonungslos spannend: Mit »Das Spiel« stellt Richard Laymon, Autor der Bestseller »Die Insel« und »Rache«, einmal mehr unter Beweis, dass ihm auf dem Feld des Psycho-Thrillers niemand das Wasser reichen kann.

»Einmal mit dem Lesen begonnen, können Sie einfach nicht mehr aufhören!«

The Guardian

»Richard Laymon geht an die Grenzen – und darüber hinaus!«

Publisher’s Weekly

ZUM AUTOR

Richard Laymon wurde 1947 in Chicago geboren und studierte in Kalifornien englische Literatur. Er arbeitete als Lehrer, Bibliothekar und Zeitschriftenredakteur, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete und zu einem der bestverkauften Spannungsautoren aller Zeiten wurde. 2001 gestorben, gilt Laymon heute in den USA und Großbritannien als Horror-Kultautor, der von Schriftstellerkollegen wie Stephen King und Dean Koontz hoch geschätzt wird.

Von Richard Laymon sind im Heyne Verlag außerdem die Romane Rache, Die Insel sowie Nacht erschienen.

Inhaltsverzeichnis

ZUM BUCHZUM AUTORKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel 32Kapitel 33Kapitel 34Kapitel 35Kapitel 36Kapitel 37Kapitel 38Kapitel 39Kapitel 40Kapitel 41Kapitel 42Kapitel 43Kapitel 44Kapitel 45Kapitel 46Kapitel 47Kapitel 48Copyright

1

Jane Kerry bemerkte den Umschlag auf dem Stuhl, als sie zu ihrem Schalter zurückkehrte. Sie hatte ihn nicht dorthin gelegt. Vielleicht war er vom Tisch gerutscht. Sie fragte sich, ob ihn jemand dort vergessen hatte, und ob sich etwas Wichtiges darin befand.

Dann wollte Agnes Dixon ein halbes Dutzend Kriminalromane ausleihen, und Jane verschwendete keinen weiteren Gedanken an den Umschlag. Agnes war eine pensionierte Lehrerin und eine ihrer Stammkundinnen. Menschen wie sie hatten ihr geholfen, sich in ihrem neuen Job als Leiterin der Bibliothek von Donnerville einzuleben.

Während sie sich flüsternd mit ihr unterhielt, kamen weitere Leute zum Schalter oder verließen die Bibliothek, die bald schließen würde.

Der Umschlag.

Jane schob die vergilbte Leihkarte in die Tasche im Einband des letzten Krimis, den Agnes auslieh – ein Roman von Dick Francis –, schlug das Buch zu und legte es zu den anderen auf den Stapel.

»Das ist einer seiner besten Romane«, sagte sie und trat einen Schritt zurück. Mit dem Hintern stieß sie gegen den Bürostuhl. Ohne sich umzudrehen, griff sie nach hinten, ertastete den Umschlag und hob ihn auf.

»Hi«, sagte ein Teenager, der ihr irgendwie bekannt vorkam. »Kann ich das ausleihen?«

»Na klar.«

Er schob Jane ein aufgeschlagenes Buch und seine Bibliothekskarte hin. Sie nahm die Karte mit ihrer linken Hand entgegen und ihr Blick wanderte zu dem Umschlag in ihrer Rechten.

In der Mitte war mit schwarzer Tinte ein Wort geschrieben:

JANE

Wer?

Ich?

Sie war verblüfft, aber auch ein wenig verängstigt.

Was war da drin?

Zumindest stand jetzt fest, dass niemand den Umschlag verloren hatte. Sie musste sich also nicht auf die Suche nach seinem Besitzer begeben.

Jane warf den Umschlag zurück auf den Stuhl und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu. Wie immer versuchte sie, zu jedem ihrer Kunden besonders nett zu sein, um sie besser kennenzulernen. Jane wollte ihnen zeigen, dass sie jederzeit für sie da war.

So musste sie wenigstens nicht dauernd an den geheimnisvollen Umschlag denken.

Nur ab und zu spähte sie aus den Augenwinkeln hinüber und fragte sich, was er wohl enthielt.

Eine Einladung? Eine Grußkarte? Vielleicht auch einen Liebesbrief oder ein Gedicht von einem heimlichen Verehrer?

Eine Beschwerde?

Oder etwa einen Hassbrief von jemandem, den ich ermahnt habe, in der Bibliothek ruhig zu sein?

Möglich war alles. Sinnlos, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Sie musste bloß abwarten, bis der Letzte gegangen war, dann würde sie es schon herausfinden.

»Ich hoffe, es gefällt dir«, sagte sie zu einem Mädchen mit Pferdeschwanz, »wir haben noch viele andere Bücher von diesem Autor.«

Das Mädchen bedankte sich und ging zum Ausgang. Jane ließ den Blick über die übrigen Besucher schweifen. Immer noch ziemlich viele Leute. Sechs standen in der Schlange, ein Dutzend weitere verteilten sich über den Hauptlesesaal. Sie hatte keine Ahnung, wie viele sich im ersten Stock aufhielten. Zumindest konnte sie niemanden erkennen, der sich auffällig benahm.

Derjenige, der den Umschlag hier hingelegt hat, wartet bestimmt darauf, dass ich ihn öffne.

Na, hoffentlich sieht der Kerl gut aus.

Nein, daran solltest du nicht mal denken, sagte sie sich. Sei lieber froh, wenn es kein Psychopath ist.

Als Jane den letzten Kunden bedient hatte, waren nur noch wenige Besucher im Lesesaal. Jane kannte die meisten von ihnen – sie waren öfter hier. Alle waren mit irgendetwas beschäftigt. Don, ihre Hilfskraft, war dabei, herumliegende Bücher und Zeitschriften einzusammeln.

Sie sah auf die Uhr.

Zehn vor Neun.

Sie nahm den Umschlag wieder in die Hand und hielt ihn auf Hüfthöhe, damit ihn der Schalter vor neugierigen Blicken verbarg. Dann drehte sie ihn um.

Nichts. Nur das Wort JANE auf der Vorderseite.

Der Umschlag war sauber und glatt.

Und er war zugeklebt.

Da er nicht besonders dick war, konnte er nicht mehr als ein oder zwei gefaltete Blätter enthalten.

Sie riss eine Ecke auf, steckte ihren Zeigefinger in das kleine Loch und öffnete den Brief.

Sie sah sich um. Niemand beobachtete sie.

Im Umschlag lag ein gefaltetes Blatt Papier. Liniertes, gelochtes Papier von der Art, wie Schüler es für ihre Ordner verwendeten. Es war zweimal gefaltet. Auf der Innenseite konnte sie eine geschwungene Handschrift erkennen. Sie bemerkte ein weiteres Stück Papier, in dem etwas von der Größe eines Schecks oder einer Banknote steckte.

Schickt mir jemand Geld?

Plötzlich kam sie sich ziemlich dämlich vor.

Das war keine Botschaft eines heimlichen Verehrers. Auch keine Drohung. Hier wollte nur jemand ein verloren gegangenes Buch oder eine Mahngebühr bezahlen, nichts weiter.

Jane fühlte sich zwar wie eine Idiotin, aber sie war auch etwas erleichtert. Und enttäuscht.

Sie faltete das Papier auseinander.

Es war kein Scheck, sondern eine druckfrische, glatte Fünfzigdollarnote.

War wohl ein ziemlich teures Buch, dachte sie.

Sie schob den Geldschein wieder zurück und las die handgeschriebene Mitteilung:

Liebe Jane,

komm und spiel mit mir. Für weitere Anweisungen: Schau heimwärts, Engel. Du wirst es nicht bereuen. Liebste Grüße,

MOG (Master of Games – Meister des Spiels)

Jane las den Brief noch einmal. Und noch einmal. Sie sah sich um, aber die wenigen Besucher schenkten ihr keinerlei Beachtung.

»Wir schließen in zehn Minuten«, verkündete sie.

Dann steckte sie die fünfzig Dollar und den Brief zurück in den Umschlag.

»Don, hast du einen Moment Zeit?«

Don, ein schlaksiger Doktorand, eilte auf sie zu. Er wirkte besorgt. Oder etwa schuldig? »Gibt es ein Problem, Miss Kerry?«

Jane schüttelte den Kopf. »Nichts Wichtiges.« Sie zeigte ihm den Umschlag. »Hast du gesehen, dass den jemand auf meinen Stuhl gelegt hat?«

Er blickte zur Decke, als stünde die Antwort dort geschrieben. Dann schüttelte er den Kopf. »Nein, ich glaube nicht.«

»War jemand am Schalter, als ich nicht da war?«

Wieder schüttelte er den Kopf. »Ich habe niemanden gesehen.«

Sie wedelte mit dem Umschlag. »Der ist von dir, stimmt’s?«

»Von mir? Nein. Was ist das überhaupt?«

Jane zögerte. Wie viel konnte sie ihm erzählen? Sie kannte Don jetzt seit ein paar Monaten, aber eigentlich wusste sie nichts über ihn. Nur, dass er bereits über ein Jahr Bibliotheksaushilfe gewesen war, als sie hier angefangen hatte. Er promovierte an der hiesigen Universität in englischer Literatur, war Single und wohnte allein in einem Apartment nicht weit von der Bibliothek entfernt. Außerdem war er schrecklich schüchtern und hatte anscheinend kein nennenswertes Privatleben.

Vielleicht will er das mit mir nachholen, dachte sie. Und versucht es jetzt mit einer geheimnisvollen Botschaft und einem Geldschein als Köder.

»Ein anonymer Brief«, sagte sie und beschloss, die fünfzig Dollar nicht zu erwähnen.

Er machte große Augen. »Von einem heimlichen Verehrer? «

»Nicht direkt.«

Jetzt wirkte er besorgt. »Doch kein Drohbrief?«

»Nein. Nur … eine seltsame Botschaft. Du hast bestimmt niemanden mit einem Umschlag in der Hand gesehen? Oder jemanden, der um den Schalter herumgeschlichen ist?«

»Nein, wirklich nicht.« Er sah auf den Umschlag. »Darf ich mal sehen?«

»Danke, aber … lieber nicht.« Sie bemerkte seine enttäuschte Miene. »Es ist ziemlich persönlich.«

»Persönlich?« Auf einmal wurde er rot im Gesicht. »Aha. Also … Tut mir leid. Konnte ich ja nicht wissen.« Er verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf. »Verzeihung.«

»Nicht so schlimm, Don. Wirklich.«

»Ich … Dürfte ich jetzt nach Hause gehen? Ich bin zwar noch nicht fertig mit Aufräumen, aber, also … ich fühle mich nicht besonders gut. Mein Magen.« Er hielt sich den Bauch.

»Klar. Geh nur.«

»Vielen Dank.« Don wieselte um den Schalter herum, ging ins Büro und kam einige Augenblicke später mit seiner Aktentasche wieder. Er schenkte Jane ein verkrampftes Lächeln, winkte ihr zu und eilte auf den Ausgang zu.

»Gute Besserung«, sagte sie.

Dann war er verschwunden.

Jane fragte sich, ob sie nicht zufällig für seinen plötzlichen Krankheitsausbruch verantwortlich war.

Das war gar nicht so unwahrscheinlich. Schließlich war sie sein Chef und eine Frau. Noch dazu hatte sie ihn verdächtigt, ihr den anonymen Brief untergeschoben zu haben. Das reichte, um jemandem mit Dons Nervenkostüm Bauchschmerzen zu bereiten.

Dass sie den Brief als »persönlich« bezeichnet hatte, war dann wohl zu viel für ihn gewesen.

Das hätte ich nicht sagen sollen, dachte sie. Der Brief ist eigentlich gar nicht persönlich. Keine Frage nach meinem Einkommen, keine unanständigen Dinge.

Er ist nicht persönlich, er ist einfach nur durchgeknallt.

Sie sah auf die Uhr. »Wir schließen jetzt«, verkündete sie. »Zeit zu gehen, meine Herrschaften.«

Als der letzte Besucher die Bibliothek verlassen hatte, schloss sie den Vordereingang ab und kehrte zum Pult zurück. Jetzt musste sie noch nach oben gehen, um nachzusehen, ob wirklich alle gegangen waren und um das Licht auszuschalten. Sie tat das nicht gerne. Weder sie noch Don rissen sich um diese Aufgabe. Allein war es ziemlich gruselig da oben.

Es war zu still. Es gab zu viele dunkle Ecken. Zu viele Orte, an denen sich jemand verstecken konnte.

Es war einfach viel zu unheimlich.

Besonders, wenn man die Geschichte der alten Miss Favor kannte. Sie war Janes Vorgängerin als Bibliothekarin gewesen und dort oben an einem Herzanfall gestorben. Sie war tot umgefallen, als sie gerade das Licht ausmachen wollte. Am darauffolgenden Morgen hatte eine Teilzeitkraft ihre Leiche gefunden. Wenn man Don Glauben schenken wollte, war sie von Ratten »angeknabbert« worden. Er kannte die arme Teilzeitkraft, die Miss Favor gefunden hatte. »Sie war total geschockt. Total. Sie hat nie wieder einen Fuß in die Bibliothek gesetzt.«

Tagsüber war es nicht so schlimm, in den ersten Stock zu gehen. Abends eigentlich auch nicht, zumindest, wenn noch ein paar Leute dort nach Büchern suchten oder an den Lesetischen saßen. Leider war um diese Zeit normalerweise niemand mehr dort.

Obwohl sie sich gegenseitig ihre Angst nicht eingestehen wollten, gingen Jane und Don üblicherweise gemeinsam nach oben, um das Licht auszuschalten. So war es viel leichter. Sehr viel leichter.

Aber heute Abend würde sie allein hinaufgehen müssen.

Herzlichen Dank, Don!

Sie hatte es nicht besonders eilig.

Noch einmal zog sie den Brief und die Fünfzigdollarnote aus dem Umschlag und sah sich beides genau an.

Sie hatte noch nicht oft einen größeren Schein als einen Zwanziger in der Hand gehabt. Der Fünfziger wirkte seltsam ungewohnt. Auf der einen Seite war ein Porträt von Präsident Grant, auf der anderen das Kapitol der Vereinigten Staaten. Der Schein sah echt aus.

Und sie war der Meinung, dass sie ihn behalten durfte. Schließlich hatte er in einem Umschlag mit ihrem Namen gesteckt.

Warum sollte mir jemand fünfzig Dollar schenken?

Sie fragte sich, ob es wirklich ein Geschenk war. Oder vielleicht eine Bezahlung für echte oder nur eingebildete Dienstleistungen?

Ein Vorschuss?

Na toll, dachte sie, vielleicht erwartet er jetzt irgendwas von mir. Er denkt wohl, ich schulde ihm etwas, weil ich das Geld angenommen habe.

Da täuscht er sich aber gewaltig.

Sie las den Brief noch einmal.

Liebe Jane,

komm und spiel mit mir. Für weitere Anweisungen: Schau heimwärts, Engel. Du wirst es nicht bereuen. Liebste Grüße,

MOG (Master of Games – Meister des Spiels)

»Komm und spiel mit mir« klang nach einem quengeligen Kind: Komm raus und spiel was mit mir!

Außerdem war »kommen« eine vulgäre Umschreibung für einen Orgasmus. »Spiel mit mir« hatte ebenfalls einen starken sexuellen Beigeschmack. Vielleicht war das Ganze eine anzügliche Einladung – Bezahlung inbegriffen.

Er will mich ficken.

Bei dem Gedanken verlor Jane beinahe die Fassung. Wut, Demütigung, Angst, Abscheu und eine unerwartete Welle der Erregung durchfluteten sie gleichzeitig und raubten ihr den Atem. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Ihr wurde ganz heiß.

»Der Bastard«, murmelte sie. Hier hast du fünfzig Mäuse, jetzt komm und spiel mit mir.

Aber vielleicht will er was ganz anderes, dachte sie.

Vielleicht aber auch nicht.

Ruckartig sah sie auf und ließ den Blick durch den Raum schweifen.

Niemand zu sehen. Nur eine endlose Zahl von möglichen Verstecken: Zwischen den Bücherregalen, hinter Tischen, Stühlen, den Katalogschränken oder dem Fotokopierer.

Oder vor meinem Pult.

Sie schnellte aus dem Stuhl hoch, stemmte die Hände auf die Tischplatte und spähte über den Schalter.

Niemand.

Sie ließ sich wieder auf den Stuhl fallen.

Ich sollte jetzt lieber verschwinden, dachte sie.

Andererseits – wie gefährlich konnte einer sein, der ihr fünfzig Dollar schenkte?

Außerdem schien er recht belesen zu sein. »Schau heimwärts, Engel« bezog sich bestimmt auf das Buch von Thomas Wolfe – einer von Janes Lieblingsromanen.

Sie las diesen Teil noch einmal. »Für weitere Anweisungen: Schau heimwärts, Engel.«

Weitere Anweisungen? Dieser Brief war nur der Anfang. Er hat noch mehr für mich in petto. Vielleicht will er mir die weiteren Anweisungen persönlich mitteilen.

Vielleicht soll ich zu Hause in meinem Briefkasten nach weiteren Anweisungen suchen. Schau heimwärts.

Vielleicht sind da noch ein Umschlag und ein weiterer Brief – und noch mal fünfzig Dollar.

Vielleicht finde ich ja was in dem Buch.

In einer Ausgabe von »Schau heimwärts, Engel«.

Das Bibliotheksexemplar sollte sich in der Belletristik-Abteilung im ersten Stock befinden, sofern es nicht ausgeliehen oder falsch einsortiert war.

Im ersten Stock.

Ich muss da sowieso rauf, erinnerte sie sich. Da kann ich auch schnell einen Blick in das Buch werfen.

Und wenn er oben auf mich wartet?

2

Mit zitternden Händen faltete sie den Brief um den Schein und steckte alles in den Umschlag zurück. Sie hatte ein flaues Gefühl im Magen. Während sie ihr Büro betrat, fragte sie sich, ob sie wirklich in den ersten Stock gehen sollte, wenn die gar nicht so unwahrscheinliche Möglichkeit bestand, dass der Verfasser des Briefes ihr dort auflauerte.

Was soll ich denn sonst machen? Ich kann ja schlecht einfach nach Hause gehen.

Ohne das Licht auszumachen, ohne nachzuprüfen, ob noch jemand oben ist? Unmöglich.

Sie beugte sich unter ihren Schreibtisch und schob den Umschlag in ihre Handtasche. Dann stand sie auf, holte ein Springmesser aus der oberen Schublade des Schreibtischs und ließ die Klinge aufschnappen.

Sie hatte das Messer einen Tag vor ihrem siebzehnten Geburtstag bei einer Wanderung in den Wäldern um den Mount Tamalpias gefunden. Seine dünne, fast zehn Zentimeter lange Klinge hatte im Stamm eines Mammutbaums gesteckt. Sie hatte es herausgezogen und mitgenommen.

Es eignete sich vorzüglich als Brieföffner.

Sie drückte auf den Knopf im Knauf des Messers und schob die Klinge in den Griff zurück. Klickend rastete sie ein.

Wenn ich schon so etwas mitnehmen muss, sollte ich überhaupt nicht gehen, dachte sie.

Sie warf einen Blick auf ihr Telefon.

Sollte sie die Polizei rufen? Tolle Idee. Was sollte sie denen erzählen? Dass ihr irgendjemand fünfzig Dollar geschenkt hatte und sie deswegen Angst hatte, in den ersten Stock zu gehen?

Die glauben ja, ich wäre nicht ganz dicht.

Die Polizei wegen so einer Lappalie einzuschalten wäre lächerlich. Sie überlegte, ob sie jemanden kannte, der schnell mal vorbeikommen könnte.

Hallo? Du, ich bin gerade in der Bibliothek und muss jetzt in den ersten Stock gehen, aber ich habe so schreckliche Angst. Kannst du vielleicht mal schnell vorbeikommen und mir Gesellschaft leisten? Wird auch nur fünf Minuten dauern.

Sie hatte ein paar Freunde, die ihr sofort geholfen hätten – leider wohnte keiner von ihnen in Donnerville. Die meisten lebten eine Autostunde entfernt. Sie konnte ja schlecht von ihnen verlangen, wegen so einem Blödsinn eine derart weite Fahrt auf sich zu nehmen.

Und es war wirklich Blödsinn, sagte sie sich. Erstens war dieser mysteriöse Master of Games wahrscheinlich schon längst gegangen. Zweitens war er höchstwahrscheinlich harmlos.

Vermutlich nur so ein kleiner Spinner. MOG, Master of Games. Klingt wie der blöde Einfall von einem von diesen Computerfreaks, die den ganzen Tag Dungeons and Dragons oder so was spielen.

Na ja, dachte sie, wir werden bald herausfinden, ob er gefährlich ist oder nicht.

Und wenn ja, habe ich mein gutes altes Messer dabei.

Auf dem Weg aus dem Büro versuchte Jane, das Springmesser in die Hosentasche zu stecken. Nach einigen vergeblichen Versuchen sah sie an sich herab. Sie trug ihren Jeansrock, nicht den Hosenrock. Und der Jeansrock hatte gar keine Taschen.

Die einzigen Taschen an ihrer Kleidung waren die in ihrer Bluse. Die weiße Bluse war weit geschnitten, sehr bequem und hatte eine große Tasche über jeder Brust. Während sie zur Treppe ging, knöpfte sie die rechte Tasche auf und ließ das Messer hineinfallen.

Der Plastikgriff schlug gegen ihre Brust. Das Messer rutschte tief in die Tasche hinein und drehte sich dabei. Jetzt lag es darin wie in einer Hängematte und schwang bei jedem Schritt hin und her.

Ganz toll, dachte Jane. Sie hatte vergessen, wie geräumig die Taschen waren.

Das verdammte Messer wird mir nicht viel helfen, wenn ich fünf Minuten brauche, um es herauszufischen.

Sie war an der Brandschutztür angekommen und drückte sie auf. Die Lampen im Treppenhaus brannten noch. Es war gerade hell genug, um die Stufen erkennen zu können. Zu mehr reichte das dämmrige gelbliche Licht nicht.

Das war nicht gerade ein beruhigender Gedanke.

Ich sollte die Birnen auswechseln lassen. Oder selbst welche kaufen. Nur, damit hier nicht so eine düstere Stimmung herrscht.

Außerdem quietscht die Treppe. Darum kann ich mich dann auch gleich kümmern.

Jede einzelne der Stufen knarzte, ächzte oder kreischte, wenn man auf sie trat.

Das ist ja ein richtiges Gespensterschloss. Warum habe ich den Job überhaupt angenommen?

Jetzt mach mal halblang, dachte sie. Der Job ist völlig in Ordnung.

Der Job schon. Aber das Gebäude nicht.

Jane erreichte den Treppenabsatz. Das pendelnde Gewicht in ihrer Brusttasche erinnerte sie daran, dass sie das Messer in die Hand nehmen wollte.

Hol es jetzt raus, solange du die Gelegenheit hast. Wenn du wartest, bis du es wirklich brauchst, ist es zu spät …

Ich brauche es aber nicht, sagte sie zu sich selbst.

Himmel, das hoffe ich jedenfalls.

Sie ging weiter die Treppe hoch und steckte die Hand in die Brusttasche. Der Daumen passte nicht hinein, aber sie würde es auch so schaffen.

Sie schob ihre Fingerspitzen zwischen den Messergriff und den Boden der Tasche (und spürte so etwas wie Sand – wie kam der denn da rein?) und zog das Messer heraus. Da sie es nicht richtig greifen konnte, blieb es an der Unterseite ihrer Brust hängen.

Sie erreichte die oberste Treppenstufe. Plötzlich sprang die Tür auf, und ein Mann kam auf sie zugestürzt.

Jane schrie auf und griff nach dem Geländer.

»Hoppla! «, keuchte der Mann.

Mit ihrer linken Hand packte Jane das Geländer. Die rechte hielt immer noch das Messer umklammert.

Sie spürte, wie sich der Verschluss des Messers löste.

Oh-oh!

Sie ließ das Messer los. Die Klinge sprang aus dem Griff und schnellte gegen ihre Brustwarze. Jane taumelte zurück. Der Mann blieb abrupt stehen und packte sie an der Schulter.

Sein Griff half ihr, das Gleichgewicht zu behalten.

»Es tut mir sehr leid«, sagte der Mann schnell. »Ist alles in Ordnung?«

Jane nickte und versuchte, ihre Fassung wiederzugewinnen. Ihr Herz schlug schnell und fest. Die Brustwarze kribbelte und brannte. Sie sah an sich herab. Fast hätte sie erwartet, einen Blutfleck auf ihrer Bluse zu finden.

Aber da war kein Blut.

Nur ein paar Zentimeter blinkenden Stahls, die aus ihrer Tasche herausragten.

Der fremde Mann starrte ebenfalls darauf. Dann sah er ihr in die Augen. »Haben Sie sich sicher nichts getan?«

»Nein. Alles in Ordnung.«

»Sie haben sich doch nicht etwa geschnitten?«

Er redet über meinen Busen! Mann!

»Hat sich zwar so angefühlt, aber da ist kein Blut.«

Er hielt immer noch Janes Schulter fest.

Sie wollte weg von ihm, sich um ihre Verletzung kümmern und den Schaden begutachten. »Wollten Sie gerade runtergehen?«

Er nickte, schien jedoch nicht zu verstehen, worauf sie hinauswollte. »Ich hätte mich nicht so beeilen sollen. Ich habe gar nicht bemerkt, wie spät es ist. Sie sind die Bibliothekarin, stimmt’s?«

»Richtig.«

»Sie wollten mich wohl gerade rauswerfen?«

»Ich wusste nicht, dass noch jemand hier oben ist.«

»Tut mir wirklich leid.« Er ließ ihre Schulter los, drehte sich um und öffnete ihr die Tür.

»Danke«, sagte sie.

Sie hatte erwartet, dass er nach unten gehen würde. Stattdessen folgte er ihr. Sie drehte sich zu ihm um.

Er lächelte sie freundlich und etwas schüchtern an. »Macht es Ihnen was aus, wenn ich Sie begleite? Ich könnte beim Aufräumen helfen oder so. Mir ist nicht wohl dabei, wenn Sie alleine hier oben sind. Besonders nicht, nachdem ich Sie gerade zu Tode erschreckt habe.«

Es gab keinen Grund ihm zu vertrauen. Was machte er hier oben? Die Bibliothek war bereits geschlossen. Vielleicht war er der Mann, der sich MOG nannte. Besonders bedrohlich sah er allerdings nicht aus. Im Gegenteil: Ungekämmtes Haar, ein glatt rasiertes, sympathisches und eher durchschnittliches Gesicht und gewöhnliche, aber saubere und ordentliche Kleidung.

Jane bemerkte erst jetzt, dass er ein Buch in der Hand hielt. Er musste es schon die ganze Zeit mit sich herumgetragen haben.

Ein ziemlich dickes Buch.

Ihre Nackenhaare stellten sich auf.

»Schau heimwärts, Engel.« Zweifellos. Es konnte gar nicht anders sein.

»Was ist das für ein Buch?«, fragte sie.

Der Fremde zeigte es ihr. »›Ein Mann kam nach New York‹. Von Herman Wouk. Ich wollte es eigentlich fertig lesen … kann ich es noch ausleihen, oder ist es schon zu spät?«

»Nein, nein. Kein Problem.« Sie atmete erleichtert aus. »Sie können mich begleiten oder unten warten. Ich bin in ein paar Minuten fertig.«

»Dann komme ich mit, okay?«

»In Ordnung.«

Vom Treppenhaus führte ein Gang quer durch den Raum. Auf der rechten Seite befanden sich mehrere Arbeitsplätze und links standen lange Reihen von Bücherregalen, die bis zur Decke reichten. Der Fremde ging einen Schritt hinter Jane, sodass sie ihm den Weg zeigen konnte.

Bis auf ihre Schritte auf dem quietschenden Holzboden war nichts zu hören.

»Ist sonst noch jemand hier oben?«, fragte Jane.

»Im Moment? Ich glaube nicht. Aber ich habe gelesen, und bei einem guten Buch vergesse ich alles um mich herum. Soll ich die mitnehmen?« Er deutete auf einen Bücherstapel, den jemand auf einem Arbeitstisch vergessen hatte.

»Das hat bis morgen Zeit. Trotzdem vielen Dank.«

»Gerne. Übrigens, ich heiße Brace.«

Jane sah ihn an. »Wie?«

»Brace. Brace Paxton.«

Sie entschloss sich, ihn nicht auf seinen seltsamen Namen anzusprechen. Stattdessen stellte sie sich selbst vor. »Ich bin Jane Kerry.«

»Ich dachte schon, ihr Name wäre James Bowie.«

»Wollen Sie frech werden, Brace Paxton?«

»Verzeihung. Vielleicht sollten Sie das Messer aus Ihrer Tasche nehmen. Ich habe Angst, dass Sie stolpern und hinfallen. «

»Ich auch, ehrlich gesagt.« Sie blieb stehen und drehte sich zu den Bücherregalen um. Mit dem Rücken zu Brace vergrub sie die Finger in der Brusttasche. »Es ist ein Springmesser«, erklärte sie. »Und es ist von alleine aufgesprungen. Der Mechanismus ist kaputt.«

Vorsichtig berührte sie durch den Stoff ihre Brustwarze. Sie fühlte sich etwas empfindlich an, tat aber nicht mehr weh. Die Klinge war wohl nur heftig dagegen geschnalzt, ohne sie zu schneiden. »Ich wollte es gerade herausnehmen, als Sie durch die Tür gestürmt kamen. Da bin ich wohl versehentlich an den Knopf gekommen.«

»Hoffentlich haben Sie sich nicht wehgetan.«

Jane errötete. Eine Hitzewelle durchflutete sie. Sie nahm die Hand von ihrer Brust und griff tiefer in die Tasche hinein. »Alles in Ordnung, glaube ich.« Sie schob die Fingerspitzen unter den Messergriff.

»Seien Sie vorsichtig.«

»Versuch ich ja.«

So was Peinliches, dachte sie. Er kann meine Hand nicht sehen, aber er weiß genau, wo sie ist. Jetzt fragt er sicher gleich, ob er mir helfen kann.

»Hätte ich bloß nicht vergessen, auf die Uhr zu sehen«, sagte er. »Dann wäre das alles nicht passiert.«

»Ist ja nicht weiter schlimm.«

»Trotzdem bin ich froh, dass wir uns kennengelernt haben.«

Ich wünschte, ich könnte dasselbe sagen.

»Klar«, sagte sie.

Endlich hatte sie das Messer zwischen den Fingern. Sie hielt ihre Bluse mit den Knöcheln ein Stück vom Körper weg, um ihre Brust aus der Gefahrenzone zu bringen. Dann zog sie die Klinge aus dem Schlitz. »So. Jetzt hab ich’s.« Sie drehte sich um und zeigte ihm die Waffe.

»Und Sie haben sich sicher nicht verletzt?«

»Nein, alles in Ordnung.« Sie klappte das Messer zu.

»Wo tun Sie das jetzt hin?«

»Ich behalte es einfach in der Hand.«

Sie gingen weiter den Gang hinunter. Brace schlenderte langsam neben ihr her, während sie in jeden Gang spähte.

Schließlich waren sie fast am Ende des Raums angelangt. Janes Anspannung stieg. Zunächst wusste sie gar nicht, warum. Dann fiel es ihr ein.

Sie waren beinahe beim Buchstaben W angekommen.

Sollte sie einen Blick in »Schau heimwärts, Engel« wagen?

Warum nicht?

Sie hatte genug Zeit damit verbracht, hier oben Bücher einzusortieren und wusste genau, wo sich die Romane von Thomas Wolfe befanden. Gleich würden sie direkt daran vorbeikommen.

Was mache ich mit Brace?, fragte sie sich.

Wenn du ihn nicht dabeihaben willst, musst du mit ihm runtergehen und ihn rauswerfen und dann wieder hier raufkommen.

Oder bis morgen warten.

Aber so lange konnte sie nicht warten. Unmöglich.

»Vielleicht nehme ich mir auch was zu lesen mit«, murmelte sie und trat in eine Reihe von Bücherregalen, in der gebundene Ausgaben von Romanen standen. Sie ging in die Hocke. Wolfe war noch ein Regalbrett tiefer einsortiert – auf Kniehöhe.

»Suchen Sie auch nach Wouk?«, fragte Brace.

»Wolfe.«

»Der mit ›Fegefeuer der Eitelkeiten‹ oder …?«

»Nein, Thomas Wolfe.«

Sie entdeckte zwei Ausgaben von »Schau heimwärts, Engel«. Nach einer Lücke folgte »Geweb und Fels«, dann eine weitere Lücke und schließlich zweimal »Es führt kein Weg zurück«.

Jane zog eine Ausgabe von »Schau heimwärts, Engel« aus dem Regal. Die Ellbogen auf die Knie gestützt, öffnete sie das Buch und blätterte es durch.

»Das ist mein absolutes Lieblingsbuch«, sagte Brace.

»Wirklich?« Sie sah zu ihm auf.

Ihr Herz schlug schneller.

Was soll denn das bedeuten?

»Haben Sie mir heute einen Brief auf den Stuhl gelegt?«

»Wie?«

»Meister des Spiels?«

Er runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. Anscheinend verstand er kein Wort von dem, was Jane sagte.

»Wer?«

»Haben Sie den Brief geschrieben?«

» Welchen Brief?«

»Keine Angst, das ist schon in Ordnung. Ich bin nur neugierig, verstehen Sie? Man kriegt ja nicht jeden Tag einen geheimnisvollen Brief mit Geld drin.«

»Ich weiß nichts von einem Brief.«

»Ganz sicher?«

»Was ist das für ein Brief?«

»›Komm und spiel mit mir? Für weitere Anweisungen: Schau heimwärts, Engel?‹ So einen Brief meine ich. Mit einer Fünfzigdollarnote drin.«

Er sah ehrlich verwirrt aus. »Der ist bestimmt nicht von mir. Wenn ich fünfzig Dollar hätte, würde ich sie nicht verschenken. « Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht. »Na ja, an Sie vielleicht schon. Wenn Sie das Geld wirklich dringend brauchen würden. Dann vielleicht.«

Wenn das der Typ ist, der sich Mog nennt, dachte Jane, dann kann er wirklich außergewöhnlich gut lügen.

»Also gut«, sagte sie. »Vielleicht waren Sie es doch nicht.«

»Haben Sie irgendwas in dem Buch gefunden?«, fragte er.

Sie wandte sich wieder dem Roman zu, blätterte ihn durch und überprüfte den Schutzumschlag. Dann stellte sie das Buch wieder zurück. »Ich glaube, da ist noch eine Ausgabe …«, sagte Brace.

»Weiß ich schon.« Sie zog das zweite Buch heraus. Noch bevor sie es richtig in der Hand hatte, bemerkte sie ein Stück weißes Papier, das wie ein Lesezeichen hineingesteckt worden war.

»Da haben wir’s ja«, sagte Brace offensichtlich zufrieden.

Jane öffnete das Buch und fand einen weiteren Umschlag.

Er war identisch mit dem, den sie auf ihrem Stuhl gefunden hatte. Auch ihr Name darauf war in derselben Handschrift geschrieben.

Sie zog den Brief heraus und klappte das Buch zu.

»Hoppla«, sagte Brace.

»Was?«

»Vielleicht hat er eine bestimmte Stelle markiert.«

»Haben Sie wirklich nichts mit der ganzen Sache zu tun?«

»Ehrlich nicht. Ich will Ihnen nur helfen.«

»Haben Sie sich die Seitenzahl gemerkt?«

»Nein. Tut mir leid.«

»Ich mir auch nicht. Ist vielleicht gar nicht so wichtig.« Sie stellte das Buch zurück ins Regal und richtete sich auf.

Der Umschlag war zugeklebt.

»Soll ich gehen?«, fragte Brace.

»Nein, bleiben Sie nur. Ich habe Ihnen ja schon alles über den anderen Brief erzählt.« Sie schaute Brace an. »Und Sie sind sich sicher, dass Sie nichts damit zu tun haben?«

»Ziemlich sicher.«

»Was soll denn das heißen?«

»Fast einhundert Prozent.«

»Im Sinne von: Sie wollen nicht ausschließen, dass es nicht doch eine ihrer multiplen Persönlichkeiten gewesen ist – hinter Ihrem Rücken sozusagen?«

»Ja, das kommt ungefähr hin.«

»Okay. Dann wollen wir mal.« Sie drückte auf den Knopf des Springmessers. Mit einem Ruck schoss die Klinge aus dem Griff. Sie schob die Spitze in den Umschlag und schnitt ihn auf.

Darin befand sich eine weitere Seite linierten Papiers. Sie entfaltete es und spitzte die Lippen.

»Wow«, entfuhr es Brace. »Sieht aus, als hätten Sie gerade eine Lohnerhöhung bekommen.«

Jane nahm die Hundertdollarnote in die andere Hand und las den handschriftlichen Brief laut vor:

Herzlichen Glückwunsch, meine liebe Jane! Du hast den ersten kleinen Schritt zu einer Menge Spaß und Reichtum gewagt. Das hier war nur der Anfang. Traust du dich, weiterzumachen? Ich hoffe es. Mach doch um Mitternacht einen Ausritt. Du wirst es nicht bereuen.

Dein MOG.

3

»Sieht so aus, als wäre das Spiel noch nicht vorbei«, sagte Brace, als sie fertig gelesen hatte.

Sie nickte. Irgendwie hatte sie jetzt ein ungutes Gefühl.

»Haben Sie keinen Verdacht, wer dahinterstecken könnte?«

»Ich habe nicht die leiseste Ahnung.«

»Auf jeden Fall ist er ziemlich spendabel.«

»Gehen wir«, sagte Jane leise. Sie steckte Zettel und Geldschein in den Umschlag zurück und nahm das Messer wieder an sich. »Halten Sie die Augen offen, ja? Er könnte sich hier oben versteckt halten.«

»Na hoffentlich. Vielleicht gibt er mir auch einen Hunderter. «

»Solange das alles ist, was er vorhat …«

Brace blieb an ihrer Seite, als sie die restlichen Regalreihen abschritt und dann wieder zum Ausgang zurückkehrte. Er sagte nichts, wirkte aber aufmerksam und angespannt.

Jane bemerkte, wie beunruhigt er war. Das war ein gutes Zeichen. Anscheinend schätzte er die Situation ähnlich ein wie sie selbst: Jemand, der solche Briefe schrieb und Geld verschenkte, war mit Sicherheit nicht normal – vielleicht sogar gefährlich.

Er will sich bestimmt meine Reaktion auf die Briefe nicht entgehen lassen.

Beobachtet er uns? Hat er sich hier irgendwo versteckt?

Wenn er hinter den Regalen lauerte, hatte er es jedenfalls geschafft, unbemerkt zu bleiben. Es war vollkommen still. Jane hörte nur ihre und Braces Schritte auf den alten, knarrenden Dielen.

Vielleicht wartet er im Treppenhaus auf uns.

Ihre Anspannung wuchs, als Brace die Tür für sie öffnete. Niemand lauerte dahinter. Jane schaltete das Licht aus, und der Raum war völlig dunkel bis auf den matten Schein, der aus dem Treppenhaus drang.

Sie eilte zurück zu Brace. Gott sei Dank hielt er die Tür für sie auf.

»Soll ich vorausgehen?«, fragte er.

»Wenn Sie vorausgehen, muss ich die Nachhut bilden.«

»Tja.« Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Er nahm sein Buch in die andere Hand und führte Jane sanft am Unterarm in das Treppenhaus.

»Ich hasse das«, sagte sie.

»Was?«

»Wenn ich mich davor fürchten muss, dass mich jemand anspringen könnte. Normalerweise bin ich nicht so ein Angsthase.«

»Dazu haben Sie im Moment allen Grund. Ich wäre auch beunruhigt, wenn mir jemand anonyme Briefe schicken würde. Das Geld macht die Sache auch nicht besser.«

Am Fuß der Treppe ließ Brace ihren Arm los und öffnete die Tür.

Jane lief in die hell erleuchtete Eingangshalle. Nur weg vom Treppenhaus. Als sie hörte, wie die Tür hinter ihr zufiel, wirbelte sie herum und lächelte Brace an. »Vielen Dank für die Unterstützung.«

»War mir ein Vergnügen.« Er wedelte mit dem Buch. »Darf ich das noch ausleihen? Es ist zwar schon geschlossen, aber …«

»Selbstverständlich.«

Sie setzte sich hinter das Pult.

»Ich bin Ihnen wirklich dankbar«, sagte sie, als er ihr das Buch und seinen Bibliotheksausweis gab.

»Und was werden sie heute um Mitternacht machen?«, fragte er.

Janes Eingeweide verkrampften sich. Sie zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Was sollte ich denn machen?«

»Einen Ausritt.«

»Was auch immer das bedeuten soll.« Sie gab ihm das Buch und den Ausweis zurück.

Brace sah auf die Uhr. »Es ist kurz vor halb zehn. Da haben Sie ja noch ein bisschen Zeit, es sich durch den Kopf gehen zu lassen.« Er sah ihr in die Augen. »Es wäre mir ein Vergnügen, Ihnen zu helfen. Haben Sie heute Abend schon etwas vor?«

»Wie meinen Sie das?«

»Na ja, vielleicht könnten wir was essen gehen oder so.«

Jane starrte ihn an.

Er sah wirklich gut aus. Besonders seine Augen gefielen ihr. Sie wirkten warm, freundlich und intelligent. Es waren die Augen eines Mannes, der viel durchgemacht, darüber aber die Freude am Leben nicht verloren hatte.

Er schien ein anständiger, freundlicher Kerl zu sein.

Aber andererseits hatte sie ihn gerade zum ersten Mal gesehen. Und sie war sich auch nicht ganz sicher, ob sie ihn überhaupt näher kennenlernen wollte. Schließlich konnte er ja doch die Briefe geschrieben haben – vielleicht hatte sie es mit einem Vergewaltiger oder einem Mörder zu tun. Das konnte man nie wissen. Und selbst wenn er harmlos war, bestand immer noch die Möglichkeit, dass er sich als eifersüchtig entpuppte, ihr das Leben zur Hölle machte oder einfach nur ein Schürzenjäger war.

Vielleicht war er auch verheiratet.

Das waren alles Möglichkeiten, die sie in Betracht ziehen musste.

Andererseits konnte er auch wirklich nur ein netter Kerl sein, nichts weiter.

Klar. Dafür stehen die Chancen eins zu tausend.

»Ein Stückchen Kuchen«, sagte er, »ein Tässchen Kaffee und Eure werte Anwesenheit.«

Zu ihrer eigenen Überraschung musste sie lachen.

»Was sagen Sie dazu?«

»Sicher, wieso nicht?«

Sie setzten sich in eine stille Ecke in Ezras Café, das nur einen Block von der Bibliothek entfernt lag. Brace zog zwei Speisekarten aus einem Serviettenhalter und reichte Jane eine davon. »Es macht Ihnen doch nichts aus, wenn ich mir etwas Richtiges zu essen bestelle? Tun Sie sich keinen Zwang an. Das geht auf mich.«

»So viel zu dem Stückchen Kuchen.«

Er grinste. »Das war nur Spaß. In Wahrheit habe ich heute den ganzen Tag noch nichts gegessen.«

»Warum?«

»Ich habe es vergessen.«

»Sie haben das Essen vergessen?«

Die Kellnerin kam an ihren Tisch. Jane bestellte eine Pepsi und mit Chilikäse überbackene Pommes Frites. Brace wählte einen Cheeseburger mit Speck und ein Root Beer.

Er wartete, bis die Kellnerin gegangen war. »Ich hatte auf einmal das dringende Bedürfnis, ›Ein Mann kam nach New York‹ zu lesen. Geht Ihnen das auch manchmal so? Da fällt einem ein bestimmtes Buch oder ein Autor ein, den man schon lange mal lesen wollte, und plötzlich kann man einfach gar nicht anders.«

»Aber ja. Dann brauche ich ganz schnell irgendwas von Ed McBain oder einen anderen Groschenroman. Aber es gibt auch Nächte, die würde ich ohne eine Geschichte von Hemingway nicht überstehen.«

»Wirklich? Ein ungewöhnlicher Geschmack für eine Frau. Aber dass Sie ein Bücherwurm sind, hab ich mir schon gedacht.«

»Das war ja auch nicht so schwer. Schließlich bin ich Bibliothekarin.«

Brace lachte. »Gleich und gleich gesellt sich gern. Ich unterrichte Literatur an der Uni hier in Donnerville. Jedenfalls wollte ich unbedingt ›Ein Mann kam nach New York‹ lesen. Aber die Universitätsbibliothek hatte es bereits verliehen, und auch in den Buchhandlungen hatte ich kein Glück. Schließlich habe ich es dann bei Ihnen versucht – erfolgreich! Ich habe es mir geschnappt und sofort angefangen zu lesen. Deswegen habe ich das Abendessen völlig vergessen.«

»Und dass die Bibliothek um neun schließt.«

»Ich besitze eine unglaubliche Konzentrationsfähigkeit. Was nicht immer ein Vorteil ist. Letztes Weihnachten zum Beispiel habe ich mir in einem Laden am Flughafen einen Roman von F. Paul Wilson gekauft. Ich wollte die Ferien bei meiner Familie verbringen. Während ich am Gate zwischen all den Leuten gewartet habe, fing ich an, in dem Buch zu lesen. Und als ich wieder aufgesehen habe, waren plötzlich alle weg. Und mein Flugzeug war längst abgeflogen. «

Sie bemerkte ein Glitzern in seinen Augen. »Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen?«

»Es ist die Wahrheit. So etwas passiert mir andauernd.«

»Aber das ist ja furchtbar«, sagte sie und unterdrückte ein Lachen.

»Ach was. Es hat auch seine guten Seiten. Ohne mein kleines Problem hätte ich Sie zum Beispiel gar nicht kennengelernt. «

»Schön für Sie.«

»Sie sind viel netter als Ihre Vorgängerin.«

»Sie kannten sie?«

»Aber natürlich. Die alte Phyllis Favor. Furchtbar.«

»Sie meinen, wie sie gestorben ist?«

»Die ganze Person.«

Jane lachte. »Also wirklich!«

»Sie haben sie nie getroffen, oder?«

»Nein, aber …«

»Ich kenne richtige Buchliebhaber, die ihretwegen nicht mehr in die Bibliothek gekommen sind. Mich eingeschlossen. Ich konnte ihre Art einfach nicht mehr ertragen. Die Leute brachen schon in Tränen aus, wenn die alte Phyllis sie nur ansah. Eine schreckliche Person, Gott sei ihrer Seele gnädig.«

»Ich habe schon gehört, dass sie nicht … besonders umgänglich war.«

»Wenn Sie mich fragen, ist die Erde ein viel besserer Ort geworden, seit sie nicht mehr darauf herumtrampelt.«

Jane versuchte vergeblich, ein Lachen zu unterdrücken. »Und ich habe Sie für einen netten Mann gehalten.«

»Tja, viele Leute täuschen sich in mir.«

Die Kellnerin brachte ihre Bestellung. Brace hob sein Glas. »Auf Sie, Frau Bibliothekarin.«

Sie hob ebenfalls ihr Glas und zwinkerte ihm zu.

Hatte sie eigentlich schon jemals irgendwem zugeblinzelt?

Die nächsten Minuten verbrachte sie damit, sich Pommes in den Mund zu stopfen und Brace dabei zu beobachten, wie er seinen Cheeseburger verschlang. Er sagte nichts und schaute sie nur ab und zu lächelnd an. Sein Gesichtsausdruck und seine gelegentlichen Seufzer ließen darauf schließen, dass er sein Essen genoss.

Schließlich wischte er sich den Mund mit einer Serviette ab und lehnte sich zufrieden zurück. »Das war gut.«

»Wollen Sie noch meine Fritten?« Sie hatte nicht alles geschafft und schob ihm den Teller zu. Er schüttelte den Kopf.

»Ich muss auf meine Figur achten«, sagte er.

Jane errötete. Brace war rank und schlank und hatte bestimmt keine Gewichtsprobleme. Im Gegensatz zu Jane, die sich schon viel zu lange nicht um ihre überflüssigen Pfunde gekümmert hatte. Sie war zwar nicht dick, aber der Mangel an Bewegung hatte sie fülliger und weiblicher gemacht.

Immerhin hatte sie Braces Bemerkung in Verlegenheit gebracht. Aufgrund ihrer hellen Haut sah man es sofort, wenn sie rot wurde. Auch Brace schien es nicht entgangen zu sein.

»Also«, sagte er. »Was werden Sie jetzt in Bezug auf den Brief unternehmen?«

»Ich weiß noch nicht genau«, sagte sie und war erleichtert, dass er ihr Gewicht nicht zur Sprache brachte. Er war wirklich ein netter Kerl. »Neugierig bin ich ja schon. Wer er wohl ist? Was er wohl im Schilde führt?«

»Er oder sie«, sagte Brace.

»Stimmt, es könnte auch eine Frau sein.«

»Andererseits nennt er sich ja nicht ›Meisterin des Spiels‹.«

Jane nickte. »Also ist es wahrscheinlich ein Mann.«

»Ein Mann, der zu viel Geld hat.«

»Ja. Mein Gott! Fünfzig Dollar! Ich bin nicht gerade reich. Für mich ist das eine Menge Geld. Ein Paar schöne Schuhe oder Essen für eine ganze Woche. Oder ich könnte damit meine Telefonrechnung für mehrere Monate bezahlen.«

»Er hat ihnen doch schon hundertfünfzig gegeben.«

»Ich weiß. Fünfzig im ersten und hundert im zweiten Umschlag. Das heißt, er hat den Betrag verdoppelt. Vielleicht macht er das beim dritten Brief genauso? Dann wären es zweihundert Dollar. Oder dreihundert, wenn er die Summe aus den beiden ersten verdoppelt.«

»Oder überhaupt nichts«, sagte Brace.

»Wieso nicht?«

»Vielleicht gibt es keinen dritten Umschlag. Er wartet nur darauf, dass Sie nach dem Versteck suchen. Und da lauert er Ihnen dann auf.«

»Ja.« Obwohl sich Jane dieser Möglichkeit durchaus bewusst war, berührte es sie unangenehm, dass Brace sie so offen aussprach. So klang es viel ernster. »Wenn er mich überfallen will, hätte er das auch in der Bibliothek tun können!«

»Aber da war ich bei Ihnen. Und seither habe ich Sie nicht aus den Augen gelassen.«

Jane musste grinsen. »Aha! Aber als er den Brief mit der Nachricht, dass ich ›einen Ausritt machen soll‹ deponiert hat, konnte er gar nicht wissen, dass ich nicht allein bin. Das heißt, dass er nie vorhatte, mich in der Bibliothek anzufallen. «

Brace nickte.

Die Kellnerin erschien wieder an ihrem Tisch. »Darf’s noch was sein?«

»Eine Tasse Kaffee für mich«, sagte Brace. »Für Sie auch, Jane?«

»Gern.«

Obwohl das Restaurant gut geheizt war, fröstelte Jane. Sie hatte vor Aufregung Gänsehaut bekommen. Damit Brace es nicht bemerkte, widerstand sie der Versuchung, sich die Arme zu reiben, und presste stattdessen die Schenkel zusammen.

Die Kellnerin stellte zwei Tassen Kaffee vor sie auf den Tisch.

Brace blies sanft in seine Tasse. »Also haben Sie sich entschlossen, weiterzumachen?«

Jane zuckte mit den Achseln. Ihre Schultern zitterten leicht. Wenn das noch schlimmer wird, bemerkt es Brace bestimmt.

»Heißt das Ja oder Nein?«

»Eher Ja.« Sie biss die Zähne zusammen, damit ihr Kiefer nicht zitterte. In diesem Zustand wollte sie auf keinen Fall die Tasse anheben.

Bruce nippte an seinem Kaffee. Er beobachtete sie mit besorgter Miene. »Alles in Ordnung?«

»Ich bin nur etwas aufgeregt. Ziemlich aufgeregt, um die Wahrheit zu sagen.«

»Dann weiß ich, was Sie tun sollten.«

»Nämlich?«

»Spielen Sie das Spiel nicht mehr mit. Behalten Sie das Geld, das Sie bis jetzt bekommen haben, und vergessen Sie die ganze Sache.«

Ein guter Rat, dachte sie. Gilt das auch für dich, mein Lieber?

Sie konnte seinem Ratschlag folgen und das Spiel beenden. Und ebenso gut konnte sie Brace nie wieder sehen.

Janes Mundwinkel zuckten. »Nur wer mitspielt, kann gewinnen«, sagte sie.

»Also wollen Sie weitermachen.«

»Ich habe ja keine andere Wahl.«

»Das stimmt nicht«, sagte Brace. »Sie müssen nur die Anweisungen in diesem Brief ignorieren.«

»Aber dann finde ich nie heraus, was passiert wäre.«

»Glauben Sie, das ist das Risiko wert?«

Sie verzog das Gesicht und rieb sich über das Kinn. Ihre Finger waren eiskalt. »Ich denke schon. Bis zu einem gewissen Grad. Sie kennen ja das Sprichwort: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Trotzdem habe ich keine Lust, meinen Hals zu riskieren, verstehen Sie? Ich will ja nicht von einem … Irren angefallen werden. Das sind mir diese paar hundert Dollar auch nicht wert. Aber vielleicht ist dieser Kerl ja gar nicht so verrückt.«

Sie hob die Tasse an. Nur mithilfe der zweiten Hand konnte sie die Tasse einigermaßen ruhig halten. Nachdem es ihr gelungen war, einen Schluck zu trinken, ohne etwas zu verschütten, bemerkte sie Braces Blick.

»Sie müssen ja nicht allein dahingehen«, sagte er. »Passen Sie auf: Wenn Sie weitermachen wollen, begleite ich Sie. Ich kann Sie beschützen.«

Sie stellte die Tasse ab, hielt sie aber weiterhin umklammert. »Das wäre eine große Hilfe«, sagte sie.

Brace streckte seinen Arm aus, umfasste ihr Handgelenk und drückte es sanft. Seine Berührung fühlte sich warm an. Er zitterte nicht im Geringsten.

»Eine sehr große Hilfe«, fügte sie hinzu. Sie spürte, wie sich ihre Anspannung löste.

Sie fragte sich, ob es an seiner Berührung lag oder daran, dass er sie begleiten wollte.

»Natürlich kann ich für Ihre Sicherheit keine hundertprozentige Garantie abgeben«, sagte er.

»Wann bekommt man die schon?«

»Wenn man eine Armbanduhr kauft.«

Sie lächelte. »Oder bei L. L. Bean.«

Brace lachte leise und drückte wieder ihr Handgelenk. »Fühlen Sie sich jetzt besser?«

»Etwas.«

»Auf jeden Fall«, sagte er, »haben wir keinen Grund anzunehmen, dass dieser mysteriöse Master of Games Ihnen etwas antun will.«

»Ich weiß, ich weiß. Aber wieso veranstaltet er diesen ganzen Zirkus?«

»Darf ich die Briefe noch mal sehen?« Er zog seine Hand zurück. Die Stelle, an der er sie berührt hatte, fühlte sich jetzt kalt und nackt an.

Jane holte die beiden Umschläge aus ihrer Tasche, die neben ihr auf dem Sitzpolster stand, und gab sie ihm. Brace untersuchte zunächst die Umschläge selbst. Dann zog er die gefalteten Briefe heraus. Die Geldscheine gab er Jane. »Warum stecken Sie die nicht in Ihren Geldbeutel?«

»Soll ich?«

»Sie gehören Ihnen.«

»Stimmt.«

Während sie die Banknoten in ihrem Geldbeutel verschwinden ließ, legte Brace die Briefe nebeneinander vor sich auf den Tisch.

»Und, können Sie was entdecken?«

»Das gleiche Papier, die gleiche Handschrift, offenbar die gleiche Person, die beides geschrieben hat. Oberflächlich betrachtet ist ja alles ziemlich eindeutig: Er nennt sich den Meister des Spiels, und er gibt dem Spieler die Regeln vor.«

»Also mir.«

»Genau, Ihnen. Im ersten Brief lädt er Sie ein, bei dem Spiel mitzumachen. Die fünfzig Dollar sind natürlich der Köder. So viel Geld aus heiterem Himmel zu bekommen lässt kaum jemanden kalt. Und er spekuliert natürlich darauf, dass es genug ist, um Sie zum Mitspielen zu bewegen. Ihre Anweisung lautet: ›Schau heimwärts, Engel.‹ Das klingt zunächst ein bisschen verwirrend, ist aber eigentlich nicht schwer. Ich glaube, er hat es Ihnen absichtlich einfach gemacht. Er hat Sie nicht wirklich gefordert. Er wollte nur, dass Sie mitspielen.«

Jane nickte. Sie war mit Brace einer Meinung.

»Um Sie weiter zu ermuntern, schreibt er: ›Du wirst es nicht bereuen.‹ Das soll wohl bedeuten, dass noch mehr Geld für Sie drin ist. Bis jetzt hat er seine Versprechen gehalten, oder?«

»Was das Geld angeht, ja. Ich weiß nur noch nicht, ob mir das gefällt oder nicht.«

»Zumindest gefällt es Ihnen so gut, dass Sie weiterspielen wollen.«

»Ja, ich denke schon.«

»Also gut. Der zweite Brief fängt mit einem Glückwunsch an: ›Du hast den ersten kleinen Schritt zu einer Menge Spaß und Reichtum gewagt. Das hier war nur der Anfang.‹«

»Das klingt, als würde noch ein Haufen Geld auf mich warten.«

»Dafür scheint er aber auch größere Schritte von Ihnen zu erwarten.«

»Aber ich kann doch jederzeit aufhören, nicht wahr?«

»Sieht zumindest so aus.«

Sie lachte gezwungen. »Das ist doch verrückt. Warum tut er das? Und warum hat er sich ausgerechnet mich ausgesucht? «

»Das steht da nicht drin.«

Sie lachte erneut, diesmal herzlicher. »Das weiß ich auch, Sie Schlaumeier.«

»Was glauben Sie, warum er es tut?«

»Keine Ahnung«, sagte sie. »Wahrscheinlich ist er nur ein harmloser Spinner, der nichts Besseres zu tun hat.«

»Möglich.«

»Möglich ist alles. Aber ich werde es nie herausfinden, wenn ich jetzt einfach aufhöre. Und wir lassen uns das ganze Geld entgehen.«

»Es ist Ihr Geld«, sagte Brace.

»Ich werde es mit Ihnen teilen.« Lächelnd zuckte sie mit den Schultern. »Ohne Sie würde ich jetzt wahrscheinlich aufgeben. Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Was wir heute um Mitternacht finden, teilen wir fifty-fifty.«

»Ich bin nicht hinter dem Geld her.«

»Wirklich? Sind Sie etwa schon reich?«

»Eher nicht. Aber Geld interessiert mich nicht.«

»Was interessiert Sie dann?«

»Sie.«

Jane blieb die Luft weg. Sie spürte, wie ihr das Blut in den Kopf stieg. »Wie meinen Sie das?«, fragte sie. Ihre Stimme hörte sich seltsam leise und heiser an.

Brace zog einen Mundwinkel hoch. »Ich wäre lieber Ihr Freund als Ihr Geschäftspartner.«

»Sie wollen nichts davon?«

Der andere Mundwinkel folgte. »Eure ewige Dankbarkeit wäre mir Lohn genug, meine Dame.«

Sie lachte auf.

Brace trank grinsend seinen Kaffee.

»Jetzt müssen wir aber erst einmal das Rätsel lösen«, sagte er, als Jane sich wieder beruhigt hatte. »›Mach doch um Mitternacht einen Ausritt.‹«

»Also das ist sicher nicht wörtlich zu nehmen.«

»Wie meinen Sie das?«

»Na ja, ich soll ja wohl kaum auf einem echten Gaul in der Gegend herumreiten, oder? Vielleicht ist das eine sexuelle Anspielung?«

»Wir können es ja ausprobieren. Vielleicht taucht ein Brief auf.«

Jane bemerkte, wie sie erneut errötete. Sie lachte unsicher. »Also bitte, ja?«

»Tut mir leid. Vergessen Sie den letzten Satz, okay? Im Ernst: Ich glaube, dass er Ihnen damit einen Hinweis auf einen bestimmten Ort geben will.«

»Vielleicht ein Ort, an dem es ein Pferd gibt?«

»Ich glaube nicht, dass er Sie aufs Land schicken will, um einen Stall oder einen Bauernhof zu suchen. Das Pferd könnte auch in der Stadt sein.«

»Es muss ja nicht notwendigerweise ein echtes Pferd sein«, sagte Jane. »Vielleicht ein Ort mit ›Pferd‹ im Namen. Ein Restaurant vielleicht. Sollen wir mal im Telefonbuch nachsehen?«

»Ich glaube nicht, dass wir auf irgendwelche Nachschlagewerke zurückgreifen müssen. Ich habe nämlich schon eine Idee, welchen Ort er meinen könnte.«

4

Von Ezras Café aus gingen sie wieder zum Parkplatz vor der Bibliothek. »Warum nehmen wir nicht mein Auto?«, sagte Brace. »Wir könnten doch gemeinsam fahren.«

»Einverstanden«, sagte Jane und folgte ihm zu einem alten Ford am Ende des Parkplatzes.

Jane war nervös. Vielleicht war es ein großer Fehler, zu Brace ins Auto zu steigen. Aber in Wahrheit hatte sie sich schon dazu entschieden, bevor er überhaupt den Vorschlag gemacht hatte.

Seine Theorie, dass sie den nächsten Brief an der Statue auf dem Campus finden würden, klang vielversprechend. Der Campus lag zwei Meilen von Ezras Café entfernt. Zu weit, um zu Fuß zu gehen, aber nur eine kurze Fahrt mit dem Auto. Warum sollten sie nicht gemeinsam fahren?

Nur eins störte sie: Wenn sie in Braces Auto stieg, überließ sie ihm die Kontrolle. Wenn sich herausstellte, dass er doch nicht so ein netter Kerl war, konnte sich Jane ziemlich schnell in einer sehr unangenehmen Situation wiederfinden.

Aber sie wollte ihm einfach vertrauen. Sie mochte ihn und konnte sich nicht vorstellen, dass er eine Bedrohung darstellte.

Außerdem gab es einen guten Grund, ihm zu vertrauen: Hätte er wirklich böse Absichten gehabt, so hätte er schon zwischen den Bücherregalen in der Bibliothek über sie herfallen können. Das wäre wirklich der perfekte Ort dafür gewesen, aber er hatte sich tadellos verhalten.

Es gab also keinen Grund, sich Sorgen zu machen.

Außer der Tatsache, dass er ein Mann ist.

Er öffnete die Tür, beugte sich ins Innere des Wagens und räumte Bücher, Zeitschriften, Ordner und lose Zettel vom Beifahrersitz. »Wir können auch mein Auto nehmen«, schlug Jane vor.

»Nein, nein. Bin gleich fertig.«

»Sie haben nicht oft Beifahrer, oder?«

»Ich bin eben ein Einzelgänger.«

Na toll. Das klingt ja reizend.

»Super. Ich steige also zu einem Eigenbrötler ins Auto«, entschlüpfte es ihr.

»Habt keine Angst, meine Teure.«

»Sehr witzig.«

»Verzeihung.« Er presste seine Papiere an die Brust und trat einen Schritt zurück. »Könnten Sie die hintere Tür öffnen? «

Brace ließ seinen Kram auf den Rücksitz fallen. »Bin so weit«, sagte er und bedeutete ihr, einzusteigen.

Er schloss die Tür hinter Jane und umrundete das Auto, während Jane sich vorbeugte und die Fahrertür entriegelte. Er stieg ein.

»Aufgeregt?«, fragte er.

»Ein bisschen. Eigentlich eher nervös.«

Er ließ den Motor an, schaltete die Scheinwerfer ein und fuhr rückwärts aus der Parklücke. Jane schnallte sich an. Dann fragte sie sich, ob das nicht ein Fehler war. Wenn sie nun schnell aussteigen musste …

Jetzt mach aber mal halblang. Ich vertraue ihm doch, oder?

»Ich hoffe, sie ist noch immer am selben Ort«, sagte Brace.

»Was meinen Sie?«

»Die Statue. Seit sie sie vom Platz entfernt haben, habe ich sie nicht mehr gesehen. Ich weiß, wohin sie damals gebracht wurde, aber nicht, ob sie immer noch dort ist.« Die Scheinwerfer streiften kurz Janes Auto. Sie wandte sich um. Ihr kleiner Dodge Dart sah auf dem großen Parkplatz richtig verloren aus.

»Wann haben sie die Statue eigentlich weggeschafft?«

»Äh … so ungefähr vor drei Jahren. Ja, genau. Vor drei Jahren. Das war ein Jahr vor meiner Festanstellung. Die Universitätsverwaltung hat mir damals gedroht, mich rauszuschmeißen, wenn ich keine Ruhe geben würde.« Er bog aus dem Parkplatz auf die Straße. »Aber ich habe keine Ruhe gegeben. Und trotzdem haben sie mich nicht gefeuert. Die Statue haben sie auch behalten – an einem Ort, an dem sie keiner sehen und sich darüber aufregen kann.«

»Wenn sie die Statue schon so beleidigend fanden, warum haben sie sie nicht eingeschmolzen, oder so?«

»Hätten sie auch beinahe. Es gab verschiedene Vorschläge. Einer wollte sie einschmelzen und aus dem Metall ein riesiges Peace-Zeichen gießen lassen. Zum Glück war der Bildhauer ein ehemaliger Student der Uni. Außerdem gaben wir zu bedenken, dass die Geschichte nicht unbedingt gnädig mit denen umspringt, die Kunstwerke zerstören, nur weil sie politisch gerade nicht opportun sind. Also gaben sie nach und haben die Statue versteckt. Ich hoffe, sie steht immer noch da. Vielleicht haben sie das Ding aber auch weggebracht oder nach dem Ende des Streits doch noch zerstört.«

»Wenn dem so wäre«, sagte Jane, »dann ist es wohl nicht das Pferd, nach dem wir suchen.«

»Aber es entspricht dem Hinweis am ehesten.«

»Nicht, wenn es nicht mehr existiert.«

Brace sah sie an und nickte. »Es muss einfach die Statue von Crazy Horse sein. Das einzige andere Pferd, das mir einfällt, steht vor dem Safeway-Supermarkt und fängt an zu hüpfen, wenn man es mit Kleingeld füttert.«

»Vielleicht sollten wir da hinfahren.«

»Erst mal versuchen wir unser Glück mit der Statue.«

Brace parkte vor dem Eingang zur Jefferson Hall, wo die geisteswissenschaftlichen Institute untergebracht waren. »Von hier aus müssen wir zu Fuß gehen«, sagte er.

Sie stiegen aus.

»Wo ist sie?«

»Auf der anderen Seite des Campus.« Sie gingen los. »Kurz vor dem Mill Creek gibt es einen umzäunten Bereich, in dem die Hausmeister ihre Geräte abstellen und so. Da müsste sie rumstehen. Es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass sie woanders hingebracht wurde. Das Ding ist ein Monster. Man braucht einen Kran, um es überhaupt zu bewegen. «

Auf ihrem Weg über den Campus begegneten ihnen ein paar Studenten, die Brace sofort erkannten und ihn grüßten. Ein paar blieben sogar stehen und hielten ein Schwätzchen.

»Sie sind wohl sehr beliebt?«, fragte Jane, als sie die andere Seite des Platzes erreicht hatten.

»Ich glaube, die Studenten sind bloß neugierig, mit wem ich unterwegs bin.«

»Das ist mir auch aufgefallen.«

»Ein paar haben ja richtig zu sabbern angefangen. Tut mir leid.«

Sie lachte. »Niemand hat gesabbert. Aber ein paar der Mädels sahen aus, als würden sie mich umbringen wollen.«

»Keine Angst. Solange Sie ihnen nicht den Rücken zudrehen, kann nichts passieren.«

Jane sah sich um. Die Studenten waren außer Sichtweite. Anscheinend waren sie allein. Unbeobachtet. »Ich frage mich, ob er hier ist«, sagte sie.

Brace blickte sich ebenfalls um. Mit zusammengekniffenen Augen spähte er in die finsteren Bereiche zwischen den Bäumen.

»Er muss uns beobachten«, sagte Jane. »Zwangsläufig. Wo bliebe sonst der Spaß für ihn?«

»Ich weiß nicht.«

»Er muss hier irgendwo sein.«

»In der Bibliothek war er ja auch nicht«, erinnerte sie Brace.

»Das wissen wir nicht. Nur, weil wir ihn nicht gesehen haben, heißt das noch lange nicht, dass er nicht da war. Vielleicht hatte er nur ein gutes Versteck.«

»Das ist eine Möglichkeit.«

»Sie sind es nicht, oder?«

Lächelnd hob Brace die rechte Hand. »Indianerehrenwort«, sagte er.

»Darauf nagele ich Sie fest.«

»Ich würde nicht zu viel drauf geben, denn ich bin der böse Indianerhasser, der unser Footballteam die ›Warchiefs‹ genannt hat.«

»Na ja, da gibt es schlimmere Namen. ›Redskins‹ zum Beispiel. Crazy Horse als Maskottchen ist allerdings ziemlich seltsam.«

»Das war toll. Sie hätten ihn sehen sollen, wie er an der Seitenlinie des Footballfelds auf und ab galoppiert ist. Auch die Statue selbst … ist großartig. Sie werden sehen.«

»Hoffentlich.«

»Wir sind gleich da«, sagte Brace. Er verließ den Gehweg und ging durch das Gras auf einen Bungalow zu.

Jane war zwar schon einige Male auf dem Campus gewesen, aber sie kannte sich dort nicht besonders gut aus. Das kleine Wäldchen auf der Westseite hatte sie gesehen, es jedoch nie betreten.

Jetzt war es wohl so weit.

Sie fühlte sich nicht besonders wohl dabei.

Der Mill Creek führte mitten durch das Wäldchen.

Sie konnte sich erinnern, dass sie von der anderen Seite des Baches aus ein paar Schuppen oder ein Gewächshaus gesehen hatte, war sich aber nicht sicher. Das Wäldchen selbst war ein trostloses, verlassenes Durcheinander aus Bäumen und Gestrüpp.

»Hier soll die Statue sein?«, flüsterte sie und deutete in die Dunkelheit vor ihnen.

»Hinter dem Gebäude der Naturwissenschaftler. Von hier aus kann man sie nicht sehen.«

»Na, fabelhaft.«

»Keine Angst.«

»Wissen Sie was? Jetzt glaube ich, dass es doch keine gute Idee war, hierherzukommen. Das ist doch lächerlich. Wir wissen überhaupt nicht, was dieser Kerl vorhat.«

Brace blieb stehen und drehte sich um. In der Dunkelheit war sein Gesicht nur ein verschwommener grauer Fleck. Er nahm sie bei den Händen. »Sie wollen doch jetzt nicht aufgeben, oder?«

»Nein, aber … ich fürchte mich. Wir sollten wirklich nicht weitergehen. Das wäre unvernünftig.«

»Passen Sie auf: Ich gehe alleine voraus und sehe mir die Statue an.«

»Und was soll ich in der Zwischenzeit machen?«

»Gehen Sie zu den Laternen zurück und warten Sie auf mich. Dort sind Sie sicher.«

»Und Sie machen die Drecksarbeit?«

»Es wäre mir ein Vergnügen, meine Teuerste.«

»Kommt nicht infrage. Was, wenn es eine Falle ist?«

»Umso mehr ein Grund, dass Sie …«

»Keine Chance. Ich werde nicht zulassen, dass Ihnen meinetwegen etwas zustößt.«

»Also geben wir auf?«

»Nein, aber …«

Brace drückte ihre Hände. »Dann gehen wir weiter. Geld hin oder her, es wäre ja eine Schande, wenn wir den ganzen Weg hierhergekommen wären, ohne einen Blick auf Crazy Horse zu werfen. Schließlich habe ich meinen Job riskiert, um ihn vor dem Vergessen zu bewahren.«

»Okay.«

Er ließ eine ihrer Hände los und führte Jane an der anderen tiefer in das Wäldchen hinter dem Gebäude. Ihr Herz klopfte rasend.

Es wird schon nichts passieren, versuchte sie sich zu beruhigen. Entweder finden wir den Umschlag oder eben nicht. Ende der Geschichte. Niemand wird uns auflauern.

»Beim geringsten Anzeichen von Gefahr ist die Party vorbei. Dann höre ich sofort auf. Also sollte er es sich besser zweimal überlegen, ob er irgendeinen Blödsinn versucht«, verkündete Jane mit lauter, zitternder Stimme.

»So ist es recht, zeigen Sie’s ihm«, sagte Brace.

»Das ist mein voller Ernst.«

»Glauben Sie, dass er uns hören kann?«

Sie begann zu zittern. »Himmel! Ich hoffe nicht.«

Brace lachte leise.

»Sie finden mich wohl komisch? Vielleicht sollte ich Alleinunterhalterin werden.«

»Ehrlich gesagt macht mir die ganze Sache richtig Spaß. Wir beide auf Schatzsuche. Mit Geheimnissen, Spannung, Aufregung und die Aussicht auf unermesslichen Reichtum. Nicht zu vergessen die Gefahr – und die Romantik. Das ist doch wunderbar.«

Romantik?

Mit mir?

Mit wem denn wohl sonst?

Jane errötete. Sie war froh, dass Brace sie in der Dunkelheit nicht sehen konnte.

»Wenn er uns heute Nacht unter der Statue von Crazy Horse umbringt, sollten wir ihm für die wertvollen Momente davor dankbar sein.«

Brace lachte wieder.