Das Unwillkommene willkommen heißen - Pema Chödrön - E-Book

Das Unwillkommene willkommen heißen E-Book

Pema Chödrön

0,0
14,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
  • Herausgeber: Arkana
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

Alles Gute beginnt mit einem offenen Herzen.

Die Welt ist im Aufruhr – angesichts von Umweltzerstörung, Gewalt und menschlichem Leid erleben wir Angst, Wut, Unsicherheit und Ohnmacht: Unsere Herzen werden eng. Wie können wir dennoch uns selbst und anderen gegenüber mitfühlend bleiben und denjenigen beistehen, die unsere Hilfe brauchen? Für Pema Chödrön, die weltberühmte Meditationslehrerin, ist die Praxis des Bodhicitta der beste Weg für ein neues menschlicheres Miteinander: Es gilt anzuerkennen, dass alle Wesen in ihrem Kern gut und liebevoll sind, aber auch Gefühle der Hilflosigkeit, des Unbehagens und der Verletzlichkeit kennen. Ihr Sein spiegelt unser Sein wider. Indem wir diesen Schritt gehen, werden wir mild und klug. Mutig und offenen Herzens können wir einander begegnen und das Glück erleben, das sich in wahrhaftiger Verbundenheit mit anderen einstellt.

Mit alltagsnahen praxiserprobten Meditationen und einer Tonglen-Praxis.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 240

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Chödrön

Pema Chödrön ist US-Amerikanerin und buddhistische Nonne in der Tradition des tibetischen Meditationsmeisters Chögyam Trungpa. Sie ist Leiterin des tibetischen Klosters Gampo Abbey auf der kanadischen Insel Cape Breton. Neben Ayya Khema gehört Pema Chödrön heute zu den bekanntesten buddhistischen Lehrerinnen der Welt. Wie diese wurde sie Mutter, bevor sie ihre Gelübde als Nonne ablegte und ist somit bestens sowohl mit dem weltlichen als auch dem geistlichen Leben vertraut.

Pema

Chödrön

Das

Unwillkommene

willkommen

heißen

Mit offenem Herzen Verletzungen,

Traumata und Ängste überwinden

Aus dem Englischen von Claudia Seele-Nyima

Die englische Originalausgabe ist 2019 unter dem Titel Welcoming the Unwelcome – Wholehearted Living in a Brokenhearted Worldbei Shambhala Publications, Inc. in Boulder, USA, erschienen.

Auszüge dieses Buches sind bereits erschienen in »Vom Glück des Scheiterns«, veröffentlicht 2016 bei Gräfe und Unzer, das Kapitel »Die Tonglen-Praxis« Wenn alles zusammenbricht – Hilfestellung für schwierige Zeiten, veröffentlicht 2001 bei Goldmann und das Kapitel »Einfache Sitzmeditation« in Beginne, wo du bist – eine Anleitung zum mitfühlenden Leben, veröffentlicht 2003 bei Aurum, einem Imprint von Kamphausen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Deutsche Erstausgabe

© ٢٠٢٠ Arkana, München

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Originalausgabe Copyright © 2019 by the Pema Chödrön Foundation

by arrangement with Shambhala Publications, Inc., Boulder

Produced in consultation with Page Two.

Lektorat: Diane Zilliges

Umschlaggestaltung: ki 36 Editorial Design, München, Sabine Krohberger, unter Verwendung des Layouts der Originalausgabe

Umschlagillustration: Mullaloo Beach: © Merr Watson / Women Who Drone / gettyimages

S. 48ff.: Vortrag auszugsweise aus: Pema Chödrön: Vom Glück des Scheiterns. Gräfe und Unzer, München 2016; S. 205ff.: Pema Chödrön: Beginne, wo du bist – eine Anleitung zum mitfühlenden Leben©Aurum in der Kamphausen Media GmbH, Bielefeld 2014; S. 208ff.: stark überarbeitete Textfassung aus: Pema Chödrön: Wenn alles zusammen bricht – Hilfestellung für schwierige Zeiten. Goldmann, München 2001.

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-25801-6V001

www.arkana-verlag.de

Besuchen Sie den Arkana Verlag im Netz

Dieses Buch ist

Khenchen Thrangu Rinpoche

gewidmet in Liebe, Ergebenheit und Dankbarkeit für all seine Unterstützung und Freundlichkeit über viele Jahre hinweg

Inhalt

1. Mit einem gebrochenen Herzen beginnen

2. Macht es etwas aus?

3. Polarisierung überwinden

4. Die hohe Kunst des Scheiterns

5. Der Weg des Nichtablehnens

6. So, wie es ist

7. Nicht den Mut verlieren

8. Jenseits der Komfortzone

9. Aus unserer gemeinsamen Menschlichkeit heraus sprechen

10. So, wie man es benennt, erscheint es

11. Die Praxis des offenen Gewahrseins

12. »Das Leben ändert sich in einem Augenblick«

13. Kühle Leerheit

14. Die Erfahrung der Jetztheit

15. Geburt und Tod in jedem Moment

16. Leben ohne Ego

17. Unsere Weisheit verändert die Welt

18. Das Unwillkommene mit einem Lachen willkommen heißen

19. Von unseren Lehrern lernen

20. Mission Impossible – ein aussichtsloses Unterfangen

Das Unwillkommene willkommen heißen: Übungen

Einfache Sitzmeditation

Die Tonglen-Praxis

Lokalisieren, annehmen, stoppen,

ruhig präsent bleiben

Dank

Quellenverzeichnis

1

Mit einem gebrochenen Herzen beginnen

Unser Ziel ist es, Herz und Geist vollständig zu erwecken, nicht nur, damit es uns selbst besser geht, sondern auch, um das Wohl anderer Lebewesen zu fördern und ihnen Trost und Weisheit zu vermitteln.

Gibt es eine bessere Motivation?

Wenn wir uns mit spirituellen Lehren beschäftigen, ist es sinnvoll zu wissen, was wir damit beabsichtigen. So könnten Sie sich beispielsweise fragen: »Wozu will ich dieses neue Buch mit dem ominösen Titel Das Unwillkommene willkommen heißen überhaupt lesen?« Lesen Sie es, weil Sie gern einige Anhaltspunkte hätten, wie Sie in diesen unsicheren Zeiten das Kommende durchstehen können? Lesen Sie es, um mehr über sich selbst zu erfahren? Hoffen Sie, dass Sie mithilfe dieses Buches bestimmte emotionale oder geistige Gewohnheitsmuster überwinden, die Ihr Wohlbefinden untergraben? Oder hat es Ihnen jemand voller Begeisterung gegeben, und jetzt wollen Sie denjenigen nicht dadurch verärgern, dass Sie es nicht lesen?

Ihre Motivation kann einige oder auch alle der genannten Punkte umfassen. Alle, auch der letzte, sind gute Gründe, dieses Buch – oder auch jedes andere Buch – zu lesen. Doch in der Tradition des Mahayana-Buddhismus, der ich angehöre, beginnen wir das Studium spiritueller Lehren damit, dass wir eine noch größere Motivation in uns hervorrufen: Bodhichitta. Sanskrit bodhi bedeutet »Erwachen« und chitta »Geist« oder »Herz«. Unser Ziel ist es, Herz und Geist vollständig zu erwecken, nicht nur, damit es uns selbst besser geht, sondern auch, um das Wohl anderer Lebewesen zu fördern und ihnen Trost und Weisheit zu vermitteln. Gibt es eine bessere Motivation?

Der Buddha hat gelehrt, dass wir alle im Wesenskern gut und liebevoll sind. Wegen dieses grundlegenden Gutseins haben wir ganz natürlich den Wunsch, für andere da zu sein, besonders für jene, die uns am nächsten stehen, und für diejenigen, die am bedürftigsten sind. Uns ist durchaus bewusst, dass andere Menschen uns brauchen, ebenso wie die Gesellschaft und der Planet als Ganzes – besonders jetzt. Wir wollen alles in unserer Macht Stehende tun, um Angst, Wut und diese leidvolle Bodenlosigkeit, dieses Gefühl der Haltlosigkeit und Unsicherheit, zu lindern, die heutzutage so viele von uns empfinden. Doch oft, wenn wir versuchen zu helfen, stellen wir fest, dass uns unsere eigene Verwirrung und unsere gewohnheitsmäßigen Neigungen im Weg stehen. Äußerungen wie die folgende habe ich so oder so ähnlich schon gehört: »Ich wollte gefährdeten Jugendlichen helfen, also habe ich studiert, eine Ausbildung gemacht und bin in die Sozialarbeit gegangen. Nach zwei Tagen im Job hasste ich die meisten Kinder! Mein erstes Gefühl war: ›Ich würde am liebsten all diese Kids loswerden und ein paar nettere finden, die auch wirklich mit mir zusammenarbeiten!‹ Und da wurde mir klar, dass ich zuerst vor meiner eigenen Tür kehren musste.«

Bodhichitta, das Herz des Erwachens, beginnt mit dem Wunsch, frei von allem zu sein, was uns daran hindert, anderen zu helfen. Wir sehnen uns danach, verwirrte Gedanken und Gewohnheitsmuster, die unser grundlegendes Gutsein verdecken, loszuwerden, damit wir nicht mehr so oft automatisch reagieren, uns weniger fürchten und nicht so sehr unseren alten Eigenarten verhaftet sind. Uns wird klar, dass wir uns in dem Maße, wie wir unsere Neurosen und Gewohnheiten überwinden, besser auf Jugendliche, unsere Familienmitglieder, die Gemeinschaft oder Fremde, denen wir begegnen, einlassen können. Vielleicht sind wir innerlich immer noch stark emotional aufgewühlt und reagieren heftig, aber wenn wir wissen, wie wir mit diesen Emotionen umgehen, ohne in unsere üblichen Verhaltensmuster zu verfallen, sind wir in der Lage, für andere da zu sein. Und selbst wenn wir nicht die Möglichkeit haben, maßgeblich zu helfen, spüren andere, dass wir sie unterstützen wollen, und auch das ist sehr hilfreich.

Bodhichitta beginnt zwar mit diesem Wunsch, endet aber nicht damit. Bodhichitta ist auch eine Verpflichtung. Wir verpflichten uns, alles Notwendige zu tun, um uns vollständig von all unseren verschiedenen Formen der Verwirrung, der unbewussten Gewohnheiten und des Leidens zu befreien, denn sie hindern uns daran, voll und ganz für andere da zu sein. In der Sprache des Buddhismus besteht unsere oberste Verpflichtung darin, »Erleuchtung« zu erlangen. Im Wesentlichen bedeutet das, uneingeschränkt zu wissen, wer wir wirklich sind. Wenn wir erleuchtet sind, erwachen wir zu unserer tiefsten Natur, und das heißt: Wir haben ein von Grund auf offenes Herz, sind aufgeschlossen und für andere da. Dass es so ist, wissen wir dann ohne jeden Zweifel, ein für alle Mal. In diesem Zustand verfügen wir über sehr große Weisheit und Fähigkeiten, die wir zum Wohle anderer einsetzen und mit denen wir ihnen helfen können, ihrerseits vollständig zu erwachen.

Um unsere Bodhichitta-Verpflichtung einzuhalten, müssen wir alles in Erfahrung bringen, was es über unser Herz und unseren Geist in Erfahrung zu bringen gibt. Das ist eine große Aufgabe. Dazu gehört sicherlich, dass wir Bücher lesen, Lehren hören, das, was wir lernen, eingehend betrachten und darüber nachsinnen. Wir erfahren auch viel über uns selbst, wenn wir regelmäßig eine einfache Sitzmeditation praktizieren. Am Ende des Buches finden Sie daher auch eine Meditationstechnik, die Sie überall anwenden können. Zu guter Letzt sollten wir unser zunehmendes Wissen erproben und klären, indem wir es auf unser Leben und die Situation, in der wir uns normalerweise befinden, anwenden. Wenn Bodhichitta die Grundlage unserer täglichen Lebensführung wird, ist alles, was wir tun, bedeutungsvoll. Dann empfinden wir unsere Existenz als unglaublich reich. Deshalb ist es sinnvoll, sich Bodhichitta so oft wie möglich in Erinnerung zu rufen.

Manchmal entsteht die wunderbare Bodhichitta-Motivation leicht. Wenn wir jedoch ängstlich oder mit unseren eigenen Sorgen beschäftigt sind, wenn uns das Vertrauen fehlt, dann haben wir möglicherweise den Eindruck, Bodhichitta sei für uns nicht erreichbar. Wie können wir in solchen Zeiten wieder Zuversicht finden und das mutige Verlangen in uns hervorrufen, zum Nutzen anderer zu erwachen? Wie können wir unseren Geist bewusst in eine andere Richtung lenken, wenn er sich klein fühlt?

Mein Wurzellehrer Chögyam Trungpa Rinpoche hat mich eine Methode zur Transformation des Geistes gelehrt, die ich immer noch anwende: Rufen Sie sich eine erschütternde Vorstellung, Geschichte oder Begebenheit in Erinnerung, etwas, das Betroffenheit in Ihnen auslöst und Sie mit den Nöten des Menschseins in Kontakt bringt. Vielleicht wurde bei jemandem, der Ihnen wirklich am Herzen liegt, kürzlich Krebs oder eine degenerative Erkrankung (zum Beispiel Alzheimer oder Parkinson) diagnostiziert. Oder ein Ihnen nahestehender Mensch, der früher Drogen- oder Alkoholprobleme hatte, aber seit Langem »trocken« ist, hat gerade einen Rückfall gehabt. Oder vielleicht hat eine gute Freundin einen großen Verlust erlitten. Vielleicht haben Sie etwas Trauriges gesehen, als Sie im Supermarkt eingekauft haben, zum Beispiel eine Auseinandersetzung zwischen einem Elternteil und einem Kind, die Sie sehr mitgenommen hat. Oder Sie denken an die obdachlose Frau, die Sie immer auf dem Weg zur Arbeit sehen. Vielleicht macht Sie auch etwas betroffen, das Sie gerade in den Nachrichten gesehen haben, wie zum Beispiel der Bericht über eine Hungersnot oder über eine Familie, die abgeschoben wurde.

Trungpa Rinpoche zufolge besteht der Weg, Bodhichitta zu erwecken, darin, »mit einem gebrochenen Herzen zu beginnen«. Uns vor Leid zu schützen – unserem eigenen und dem anderer – hat noch nie funktioniert. Jeder will frei von Leid sein, aber die Mehrheit bemüht sich auf eine Art und Weise darum, die es nur noch schlimmer macht. Denn uns vor der Verletzlichkeit aller Lebewesen, einschließlich unserer eigenen, abzuschirmen, schottet uns auch davor ab, das Leben in seiner ganzen Fülle zu erfahren. Unsere Welt schrumpft. Wenn unser Hauptziel darin besteht, Angenehmes haben und Unangenehmes vermeiden zu wollen, fühlen wir uns mit der Zeit von anderen getrennt und sogar bedroht. Wir hüllen uns in ein Netz der Angst ein. Und wenn viele Menschen und Länder so an die Dinge herangehen, entsteht eine chaotische globale Situation mit viel Leid und Konflikten.

So viel Mühe darauf zu verwenden, unser Herz vor Leid zu schützen, verletzt uns immer wieder aufs Neue. Selbst wenn wir erkennen, dass diese Gewohnheit uns nicht hilft, ist sie schwer zu durchbrechen. Es ist eine natürliche menschliche Neigung. Wenn wir jedoch Bodhichitta hervorbringen, gehen wir gegen diese Neigung an. Statt zurückzuscheuen, bringen wir den Mut auf, uns selbst und die Welt direkt anzusehen. Statt uns von bestimmten Phänomenen einschüchtern zu lassen, können wir allmählich alle Aspekte unseres unerschöpflich reichen Lebens annehmen.

Wir können mit Bodhichitta in Berührung kommen, indem wir uns einfach erlauben, unsere rohen, unverstellten Gefühle zu spüren, ohne uns in Gedanken und Geschichten über sie hineinziehen zu lassen. Wenn ich mich zum Beispiel einsam fühle, kann ich zwar in Selbstvorwürfe verfallen oder mir vorstellen, wie schön es wäre, jemanden zu haben, mit dem ich Zeit verbringen kann. Aber ich habe auch die Möglichkeit, diesem Gefühl der Einsamkeit einfach nachzuspüren und zu entdecken, dass Bodhichitta genau dort ist: in meinem eigenen verletzlichen Herzen. Ich kann mir bewusst machen, dass sich meine Einsamkeit nicht von der Einsamkeit aller anderen Menschen auf diesem Planeten unterscheidet. Dementsprechend können mich auch meine unerwünschten Gefühle, ausgegrenzt oder zu Unrecht beschuldigt zu werden, mit all denen verbinden, die Ähnliches erleiden.

Wenn mir etwas peinlich ist, wenn ich mich wie ein Verlierer fühle, wenn ich das Gefühl habe, dass etwas mit mir grundsätzlich nicht stimmt, ist Bodhichitta in diesen Emotionen vorhanden. Wenn ich einen großen Fehler gemacht habe, wenn ich etwas, das ich eigentlich tun wollte, doch nicht getan habe, wenn es mich quält, dass ich alle im Stich gelassen habe – in solchen Fällen habe ich die Möglichkeit, mich auf das erwachte Bodhichitta-Herz zu besinnen und daraus zu schöpfen. Wenn ich mich wirklich mit meiner Eifersucht, meinem Zorn oder meiner Voreingenommenheit verbinde, stelle ich fest, dass ich in derselben Lage bin wie alle Menschen. Und dieser Erkenntnis entspringt ganz von selbst die Sehnsucht zu erwachen, um das Leid der Welt zu lindern.

Die Reihe der Menschen, die durch ihre engagierte Praxis entdeckt haben, dass sie grundsätzlich gut und mutig sind, ist lang. Einige von ihnen sind berühmte religiöse Persönlichkeiten, aber die meisten sind unbekannt, so wie mein Freund Jarvis Masters, der seit über dreißig Jahren in einem kalifornischen Gefängnis sitzt. Nicht immer fühlen wir uns inspiriert, dem Beispiel engagierter Vorreiter zu folgen und furchtlos gegen den Strom zu schwimmen. Unser Selbstvertrauen gerät immer wieder ins Wanken. Und die Lehren verlangen nie von uns, dass wir uns zu viel zumuten sollen. Doch wenn wir allmählich unsere Fähigkeit steigern, mit unserem Schmerz und dem Leid der Welt präsent zu sein, werden wir uns selbst damit überraschen, dass unser Mut wächst.

Mit der Praxis des gebrochenen Herzens bauen wir schrittweise die Kraft und die Fähigkeit auf, immer mehr bewältigen zu können. Trungpa Rinpoche, der in erstaunlichem Maße fähig war, angesichts von Leid auszuharren und sich nicht abzuwenden, rief sich oft einen Moment in Tibet in Erinnerung, als er etwa acht Jahre alt war. Vom Dach eines Klosters aus beobachtete er, wie mehrere Jungen einen kleinen Hund zu Tode steinigten. Obwohl sie ziemlich weit weg waren, sah er die verängstigten Augen des Hundes und hörte das Lachen der Jungen. Sie taten es nur zum Spaß. Rinpoche wollte etwas tun, um den Welpen zu retten, aber er war hilflos. Für den Rest seines Lebens brauchte er sich nur diesen Moment in Erinnerung zu rufen, und sofort kam in ihm der starke Herzenswunsch auf, Leid zu lindern. Die Erinnerung an den Hund verlieh seinem Wunsch zu erwachen Dringlichkeit. Das trieb ihn Tag für Tag dazu, sein Leben bestmöglich zu nutzen.

Die meisten von uns versuchen auf die eine oder andere Weise, Gutes zu tun, es ergibt sich ganz natürlich aus unserem grundlegenden Gutsein. Doch unsere positive Motivation mischt sich oft mit anderen Faktoren. Zum Beispiel wollen manche Menschen nur deswegen helfen, weil sie sich schuldig und nicht wohl in ihrer Haut fühlen. Sie möchten in den Augen der Welt gut dastehen. Sie hoffen, durch ihre Bemühungen ihr Ansehen zu verbessern, was dann vielleicht ihr Selbstwertgefühl steigert. Ich kann auf eine langjährige Erfahrung mit dem Leben in Gemeinschaften zurückblicken und habe immer wieder festgestellt, dass solche Menschen oft Erstaunliches zuwege bringen. Andere sagen dann: »Maria kann für sechs anpacken.« Oder: »Ich wünschte, alle wären wie Thomas.« In den meisten Fällen sind sie diejenigen, die man im Team haben will. Gleichzeitig scheinen sie aber dem Erwachen nicht näher zu kommen. Wir alle kennen wahrscheinlich jemanden, der sich so oder ähnlich äußert: »Ich gebe und gebe und erhalte doch nie einen Dank!« Eine solche Frustration weist darauf hin, dass die zugrunde liegenden Probleme noch ungelöst sind.

Manche Menschen arbeiten Tag und Nacht hart in Bereichen, in denen sie anderen helfen, doch ihre stärkste Motivation ist die, beschäftigt zu sein, damit sie ihr eigenes Leid nicht spüren. Manche werden von der Vorstellung angetrieben, »gut« zu sein, die ihnen von ihrer Familie oder Kultur vermittelt worden ist. Manche sind durch Pflicht- oder Schuldgefühle motiviert. Andere wiederum tun Gutes, um sich aus Schwierigkeiten herauszuhalten. Manche treibt die Aussicht an, in diesem oder vielleicht einem zukünftigen Leben den Lohn für ihre Mühe zu erhalten. Einige werden sogar durch Groll, Wut oder ein Bedürfnis nach Kontrolle motiviert.

Bei näherer Betrachtung werden wir wahrscheinlich feststellen, dass sich solche Motivationen mit unserem wahrhaftigen Wunsch mischen, anderen zu helfen. Wir sollten uns deswegen nicht selbst zerfleischen, denn all diese Motivationen entspringen unserer natürlichen menschlichen Neigung, auf Glück aus zu sein und uns vor Leid zu schützen. Sie halten uns jedoch davon ab, mehr mit unserem Herzen und dem anderer Menschen in Verbindung zu sein. Dadurch ist es für uns schwieriger, uns wirklich tiefgreifend für das Wohl anderer einzusetzen.

Im Gegensatz dazu führt die Bodhichitta-Motivation zu tieferen, anhaltenderen Ergebnissen, weil sie darauf basiert, dass wir verstehen, woher das Leiden kommt. Auf der äußeren Ebene gibt es die immensen Leiden, die wir sehen und hören und vielleicht hin und wieder selbst erleben – die Grausamkeit, der Hunger, die Angst, der Missbrauch und die Gewalt, von denen Menschen, Tiere und unser gesamter Planet geplagt werden. Sie alle entspringen Emotionen wie Gier und Aggressivität, die wiederum darauf zurückzuführen sind, dass wir nichts von unserer wahren Natur wissen, die grundlegend gut ist. Diese Unwissenheit ist die Ursache all unseres Leidens. Sie liegt allem zugrunde, was wir zum Schaden anderer und unserer selbst tun. Wenn wir aber Bodhichitta erwecken, verpflichten wir uns, alles zu überwinden, was unsere angeborene Weisheit und Warmherzigkeit verdeckt, alles, was uns von unserer natürlichen Fähigkeit abkoppelt, uns in andere einzufühlen und uns für ihr Wohlergehen einzusetzen.

Dieses Erwachen zu unserer wahren Natur vollzieht sich nicht über Nacht. Und selbst wenn wir allmählich erwachen und immer besser in der Lage sind, anderen zu helfen, müssen wir akzeptieren, dass wir nicht in allen Fällen etwas tun können – zumindest nicht sofort. Ohne Ausflüchte zu suchen oder in Gleichgültigkeit zu verfallen, müssen wir einsehen, dass die Dinge eben sind, wie sie sind. Unzählige Menschen und Tiere leiden gerade jetzt, aber wie viel können wir tun, um das zu verhindern? Wenn wir auf dem Dach eines Klosters stehen und sehen, wie Jungen einen Hundewelpen steinigen, können wir vielleicht im Moment nichts weiter tun, als uns nicht abzuwenden, sondern zuzulassen, dass die Tragödie, die sich vor unseren Augen entfaltet, unser Bodhichitta vertieft. Dann können wir neugierig werden und uns fragen, was Menschen überhaupt dazu bringt, Tieren wehzutun. Statt das Verhalten der Jungen als etwas zu sehen, was uns fremd ist, können wir seine Wurzeln auch in uns selbst suchen. Ist die Aggressivität oder Blindheit, die solchen Handlungen zugrunde liegt, auch in unserem eigenen Herzen? Wenn wir auf diese Weise eine gemeinsame Basis finden, können wir vielleicht bei der nächsten ähnlichen Situation besser kommunizieren. Und sobald wir voll zu unserer wahren Natur erwachen, sind wir viel besser in der Lage, andere zu beeinflussen. Doch selbst dann ist das, was wir als Hilfeleistung tun können, durch die Umstände begrenzt.

Wenn wir also Bodhichitta erwecken, ist es wichtig zu verstehen, dass es etwas Langfristiges ist. Wir werden lange »dranbleiben« und viel Mühe und Entschlossenheit aufwenden müssen. Das höchste Bodhichitta-Ziel ist es, jedem einzelnen Lebewesen zu helfen, zu seiner wahren Natur zu erwachen. Und unsere einzige Chance, dies zu erreichen, besteht darin, dass wir zuerst selbst die Erleuchtung erlangen. Auf dem Weg dorthin können wir jeweils immer nur einen Schritt tun und uns nach besten Kräften bemühen, diesen Wunsch und diese Verpflichtung im Auf und Ab unseres Lebens aufrechtzuerhalten.

Versuchen Sie beim Lesen dieses Buches bitte, den größeren Zusammenhang des Bodhichitta im Blick zu behalten. Das ist viel fruchtbarer, als es nur zur intellektuellen Anregung zu lesen. Wenn Sie mit einem gebrochenen Herzen beginnen, mit der Sehnsucht, anderen zu helfen, dann werden Sie hier das eine oder andere finden, das Sie mitnehmen können. Von allen Worten in diesem Buch trifft vielleicht ein Absatz oder ein Satz – vielleicht einer, bei dem mir noch nicht einmal klar war, dass er wichtig ist – bei Ihnen genau den richtigen Nerv. Irgendetwas ändert vielleicht Ihre Sicht der Dinge und bringt Sie tatsächlich der Fähigkeit näher, das Leid in der Welt zu lindern.

Diese Lehren sind nicht einfach nur meine eigenen Ideen. Vielmehr sind sie mein Versuch, die Weisheit weiterzuvermitteln, die ich von meinen Lehrern erhalten habe und die diese wiederum von ihren Lehrern erhalten haben und so weiter, in einer fortlaufenden Linie von Weisen, die Tausende Jahre zurückreicht. Wenn wir mit Bodhichitta-Motivation an diese Lehren herangehen, dann sind dem Nutzen, den sie bringen können, keine Grenzen gesetzt. Wenn wir wirklich spüren, dass wir das starke Verlangen haben, anderen zu helfen, und wenn unser Leben diesem Ziel gewidmet ist, dann können wir uns zu den glücklichsten Menschen auf dieser Erde zählen.

2

Macht es etwas aus?

Wenn wir uns fragen: »Macht es etwas aus?«, erkennen wir, wie viele Aspekte jede Situation umfasst. Wir verstehen allmählich, wie sehr wir wechselseitig mit dem Rest der Welt verbunden sind und dass schon unsere Denkmuster zu einer ganzen Reihe von Konsequenzen führen können.

Manchmal ertappen wir uns dabei, wie wir etwas tun wollen, das sich nicht ganz richtig anfühlt. Wir sind drauf und dran, gewohnheitsmäßig zu reagieren, haben aber einen Anflug von Bedenken oder fühlen uns nicht ganz wohl dabei. In solchen Momenten können wir uns viel Ärger ersparen, wenn wir uns eine einfache Frage stellen: Macht es etwas aus?

Wenn ich zum Beispiel gerade eine unfreundliche oder verleumderische E-Mail abschicken will, macht es etwas aus? Macht es für mich etwas aus? Spielt es für andere eine Rolle? Wenn ich mir etwas nehme, das mir nicht gegeben wird, macht es etwas aus? Macht es einen Unterschied, auch wenn es niemand herausfindet? Wenn ich das letzte Stück esse, die Dose aus dem Fenster werfe oder jemanden wütend anblicke, macht es etwas aus? Welche Folgen hat mein Verhalten? Schade ich mir selbst oder anderen? Wenn ich jemanden beschimpfe, macht es etwas aus? Wenn ich dann meine, das sei mein gutes Recht gewesen, macht es etwas aus? Macht es etwas aus, ob ich mich entschuldige? Welches Drama wird durch diese Worte oder diese Tat ausgelöst? Haben sie eine größere Wirkung auf die Welt?

Diese Fragen stehen in engem Zusammenhang mit einem der Hauptinteressen des Buddha: wie man ein »tugendhaftes« Leben führt. Jede spirituelle Tradition befasst sich mit »Tugend«, aber was ist das eigentlich? Läuft es darauf hinaus, eine Liste von Dos und Don’ts einzuhalten? Muss ein tugendhafter Mensch in jeder Hinsicht ein Musterknabe sein? Muss er deswegen dogmatisch, starr und eingebildet sein? Oder ist da Raum für Verspieltheit, Spontaneität und Entspannung? Ist es möglich, das Leben zu genießen und gleichzeitig tugendhaft zu sein?

Wie viele spirituelle Traditionen hat der Dharma Listen mit guten und schlechten Taten. Buddhisten werden ermutigt, sich an einige grundlegende Regeln zu halten, wie zum Beispiel nicht zu töten, zu stehlen oder zu lügen. Mitglieder der monastischen Gemeinschaft, wie ich selbst, haben viel längere Regellisten zu befolgen. Doch der Buddha hat diese Regeln nicht nur aufgestellt, damit sich Menschen an äußere Verhaltenskodizes halten. Der Buddha wollte ihnen vor allem helfen, sich von Leid zu befreien. Mit der Einsicht, dass Leid unserem verwirrten Geist entspringt, war es sein Ziel, uns zu helfen, aus diesem verwirrten Zustand zu erwachen. Darum hat er bestimmte Verhaltensweisen bestärkt und von anderen abgeraten, je nachdem, ob sie den Prozess des Erwachens fördern oder behindern.

Wenn wir uns fragen, »Macht es etwas aus?«, können wir zuerst auf die äußeren, offensichtlicheren Ergebnisse unseres Handelns schauen. Dann aber können wir tiefer gehen und untersuchen, wie wir unseren Geist beeinflussen: Sorge ich dafür, dass sich eine alte Gewohnheit noch fester einprägt? Verstärke ich Tendenzen, die ich eigentlich schwächen möchte? Wenn ich lügen will, um das Gesicht zu wahren, oder eine Situation manipulieren will, damit alles nach meinem Willen läuft, wohin führt das? Entwickle ich mich dadurch zu einem Betrüger oder einer Person mit Schuldgefühlen, die sich selbst schlechtmacht? Wie wäre es, wenn ich es stattdessen einmal damit versuche, geduldig und großzügig zu sein? Wie beeinflusst das, was ich tue, meinen Prozess des Erwachens? Wohin führt es?

Dadurch, dass wir uns solche Fragen stellen, sehen wir »Tugend« nach und nach in neuem Licht. Bei tugendhaftem Verhalten geht es nicht darum, nur deswegen »gut« zu sein, weil wir das Gefühl haben, wir seien »schlecht« und müssten ein besserer Mensch werden. Unsere Entscheidungen darüber, was wir tun, können von Weisheit und Freundlichkeit geleitet sein statt von Schuldgefühlen oder dogmatischen Regeln. So gesehen läuft es auf die Frage hinaus: »Was erweckt mein Herz, und was blockiert diesen Prozess?«

In der Sprache des Buddhismus verwenden wir das Wort »Karma«. So kann man das Prinzip von Ursache und Wirkung, Aktion und Reaktion bezeichnen. Manche drücken es auch so aus: »Wie man sät, so erntet man.« Es heißt, wenn wir etwas über unsere Vergangenheit erfahren wollen, dann sollten wir uns unsere gegenwärtigen Umstände ansehen, denn sie sind das Ergebnis unserer früheren Taten. Wollen wir etwas über unsere Zukunft erfahren, dann sollten wir uns das ansehen, was wir jetzt tun. Ich finde es hilfreicher, über den zweiten Aspekt des Karmas nachzudenken. Wir können nichts tun, um die Vergangenheit und die Gegenwart zu ändern, aber die Zukunft steht noch nicht fest. Was wir jetzt tun, trägt dazu bei, diese Zukunft zu gestalten – die nicht nur unsere eigene Zukunft ist, sondern eine, die wir mit vielen anderen teilen.

Jedes unserer Worte, jede unserer Handlungen beeinflusst unsere Zukunft. Aber woher kommen Worte und Handlungen? Sie beginnen alle im Kopf. Wenn wir jemandem grollen, wenn uns obsessiv etwas im Kopf herumgeht oder wenn wir selbstgerechte Gedanken haben, erzeugen wir damit mehrere Probleme für uns selbst. Zuerst erleiden wir unmittelbar den Schmerz, den solche Gedanken und Gefühle uns zufügen. Dann agieren wir sie oft auf eine Weise aus, die uns selbst und anderen schadet. Schließlich verstärken wir eine Gewohnheit, ohne die es uns besser ginge.

Diese letzte Folge ist die heimtückischste. In der Hirnforschung ist heutzutage oft von Neuroplastizität die Rede. Unsere Gewohnheiten sind wie Spurrillen im Gehirn, die immer tiefer werden, wenn wir unseren üblichen Denkmustern folgen. Es gibt keinen Ausweg aus der Gewohnheit, solange wir immer wieder der gleichen Spur folgen. Wenn wir aber unser gewohntes Verhalten unterbrechen oder gegen unsere gewohnten Neigungen handeln, schaffen wir allmählich neue Wege im Gehirn.

Diese wissenschaftliche Sichtweise ist der buddhistischen Vorstellung der karmischen Samen sehr ähnlich. Mit unserem Handeln und Denken säen wir ständig Samen in unser Unterbewusstsein, die schließlich, wenn die richtigen Bedingungen zusammenkommen, Früchte tragen. Angenommen, Sie besuchen Ihre Cousine Margaret, über die Sie sich in der Vergangenheit geärgert haben. Meistens verstärkt sich, wenn Sie Zeit zusammen verbringen, Ihr konstantes Gefühl der Verärgerung. Das sät neue Samen der Verärgerung in Ihrem Unterbewusstsein aus. Auch wenn man kein Glas gegen die Wand wirft und nichts Gemeines sagt, »agiert« man es doch in Gedanken aus – zum Beispiel dann, wenn man eine halbe Stunde im Bett verbringt und sich die lange Liste von Margarets Unzulänglichkeiten durch den Kopf gehen lässt. Dann fahren Sie nach Hause und sehen sie eine Weile nicht. Vielleicht denken Sie überhaupt nicht mehr an sie. Aber wenn das nächste Mal, und sei es fünf Jahre später, ihr Name erwähnt wird, ärgern Sie sich wieder – und erneut verstärken Sie diesen Hang. Wie auch immer Ihre Reaktion ist, sie sät weitere Samen in Ihrem Geist aus, die künftig noch mehr Früchte hervorbringen, und so weiter.

Dieses Beispiel veranschaulicht, warum es so schwierig ist, sich aus einem Gewohnheitskreislauf zu befreien. In diesem Beispiel mag es so aussehen, als stünde nicht viel auf dem Spiel. Wie sieht es aber aus, wenn eine solche Situation im privaten oder beruflichen näheren Umfeld besteht, zum Beispiel mit dem eigenen Kind, dem Ehepartner oder dem Chef? Was passiert, wenn das Verhältnis zwischen zwei Ländern von einer derartigen Situation geprägt ist? Und selbst im Fall Ihrer Cousine Margaret, die Sie nur selten sehen, sind größere Auswirkungen möglich. Zum Beispiel kann Ihre Verärgerung negative Gefühle fördern oder Zwietracht in der Familie säen. Sie kann Ihre allgemeine Gewohnheit verstärken, sich leicht zu ärgern. Oder sie verstärkt vielleicht Ihr Gewohnheitsmuster, Dinge zu persönlich zu nehmen, sich auf die Fehler anderer Menschen zu konzentrieren und die Dinge nicht aus der Sicht eines anderen sehen zu können. Sobald wir uns jedoch fragen, »Macht es etwas aus?«, erkennen wir, wie viele Aspekte jede Situation umfasst. Wir verstehen allmählich, wie sehr wir wechselseitig mit dem Rest der Welt verbunden sind und dass schon unsere Denkmuster zu einer ganzen Reihe von Konsequenzen führen können.

Viele meiner Lehrer sprechen über die Notwendigkeit, payu zu bewahren. Dieses tibetische Wort kann mit »Bewusstheit«, »Aufmerksamkeit«, »Umsicht« oder »bewusstes Wahrnehmen« übersetzt werden. Wenn wir verstehen, dass alles, was wir tun, sagen und sogar denken, Folgen hat, fühlen wir uns inspiriert, payu so gut wie möglich aufrechtzuerhalten. Wir erreichen zwar nicht sofort einen Zustand, in dem payu