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Der Grund, warum wir unser Herz so oft verschließen, liegt darin, dass wir nicht wirklich offen für uns selbst sind. Große Teile von uns selbst sind uns so unwillkommen, dass wir jedes Mal davonlaufen, wenn sie auftauchen.Und so schaffen wir es nie, wirklich voll und ganz anwesend zu sein.Dich nur wenn wir bereit sind, voll und ganz zu uns selbst zu stehen und uns selbst niemals im Stich lassen, sind wir in der Lage, auch anderen Menschen beizustehen und ihnen unsere Hilfe mit einem offenen Herzen anzubieten.
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Seitenzahl: 253
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Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel
»START WHERE YOU ARE«
bei Shambhala Publications, Boston.
Ins Deutsche übersetzt von Thomas Mennicken.
E-Book-Ausgabe 2014
© der deutschen Ausgabe 2014, in J.Kamphausen Mediengruppe GmbH
www.weltinnenraum.de
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.deabrufbar.
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sonstige Kommunikationsmittel, fotomechanische oder vertonte Wiedergabe
sowie des auszugsweisen Nachdrucks vorbehalten.
ISBN Print 978-3-89901-374-0
ISBN E-Book 978-3-89901-887-5
Für meine Mutter Virginia und meine Enkelin Alexandria
Vorwort
Danksagung
1
Keine Ausflucht, kein Problem
2
Keine große Sache
3
Den Boden unter den Füßen wegziehen
4
Lass die Welt sich selbst erklären
5
Gift als Medizin
6
Beginne, wo du bist
7
Alles wird zum Pfad
8
Gib einem alle Schuld
9
Sei jedem dankbar
10
Die Festigkeit der Gedanken durchschneiden
11
Widerstände überwinden
12
Leeres Boot
13
Lehren für Leben und Tod
14
Liebevolle Güte und Mitgefühl
15
Leicht und klar werden
16
Gib jede Hoffnung auf Belohnung auf
17
Mitfühlendes Handeln
18
Verantwortung für das eigene Verhalten übernehmen
19
Kommunikation aus ganzem Herzen
20
In der Zwickmühle
21
Praxis mit hohem Einsatz
22
Übe mit ganzem Herzen
Anhang: Der Wurzeltext der Sieben Punkte des Geisttrainings
Literaturhinweise
Losungskarten
Meditationszentren
Verzeichnis der Losungen
Dieses Buch handelt vom Öffnen des Herzens. Es soll allen Menschen als Leitfaden dienen, die lernen möchten, ihr wahrhaft mitfühlendes Herz zu öffnen.
Die hier beschriebenen Lehren sind gerade in der heutigen Zeit von großem Nutzen, wo so viele Menschen Hilfe brauchen, um mit ihren seelischen Verletzungen umgehen und gleichzeitig das Leid lindern zu können, das sie um sich herum sehen. Wenn wir erkannt haben, dass wir uns vor uns selbst und anderen verschließen, erfahren wir hier, wie wir uns öffnen können. Wenn wir erkannt haben, dass wir etwas zurückhalten, lernen wir hier, wie wir geben können. Es gilt, das Unangenehme und Verhasste in uns selbst und anderen ehrlich und mitfühlend zu erkennen und anzunehmen. Es gilt, vorbehaltlos für andere da zu sein.
Ich begegnete diesen Lehren zum ersten Mal in dem Buch Der große Pfad des Erwachens von Jamgon Kongtrul, dem großen tibetischen Lehrer des 19. Jahrhunderts. Sie werden Lojong-Lehren genannt und enthalten sehr hilfreiche Anweisungen für die Tonglen-Meditationspraxis und die Arbeit mit den Sieben Punkten des Geisttrainings. Ursprünglich stammen sie aus einem alten tibetischen Text, dem Grundtext der Sieben Punkte des Geisttrainings von Chekawa Yeshe Dorje (siehe Anhang).
Lojong bedeutet »Geisttraining«. Die Lojong-Lehren behandeln sieben Themen und enthalten neunundfünfzig prägnante Losungen, die als Gedächtnishilfen dienen/"
Die Arbeit mit den Losungen bildet das Herzstück dieses Buches. Wir bewegen uns hier in der Tradition des Mahayana-Buddhismus, wo mitfühlender Austausch und mitfühlende Beziehungen zu anderen eine große Rolle spielen. Wir sind längst nicht so festgelegt, wie wir denken. In Wirklichkeit spielt sich unser tägliches Leben in einem unglaublich weiten Raum ab. Die Lehren helfen uns zu erkennen, dass die Vorstellung von einem abgetrennten Ich und einzelnen anderen ein verhängnisvoller Irrtum ist, den es zu durchschauen und loszulassen gilt.
Tonglen bedeutet »Nehmen und Geben«. Diese Meditationspraxis wurde entwickelt, um gewöhnliche Menschen, also uns, mit der Offenheit und Sanftheit ihrer Herzen in Berührung zu bringen. Wir, die wir es gewohnt sind, unsere verwundbaren Stellen abzuschirmen und zu schützen, erfahren durch die Tonglen-Praxis, was es bedeutet, Mensch zu sein. Wir bekommen Gelegenheit, die Reichweite unseres Mitgefühls zu vergrößern. Ich hoffe, dass dieses Buch möglichst viele Menschen anspornen und ermutigen wird, diese Gelegenheit wahrzunehmen.
Als ich die Lojong-Lehren zum ersten Mal las, erstaunte mich die ungewöhnliche Aussage, dass unsere Schwierigkeiten und Probleme uns helfen können, unsere Herzen zu öffnen. Statt die unliebsamen Seiten des Lebens als Hindernisse zu betrachten, macht Jamgon Kongtrul deutlich, dass sie der Rohstoff sind, der für das Erwachen wahren, nicht-berechnenden Mitgefühls nötig ist: Der Schlüssel liegt in uns selbst. Während Kongtrul in seinem Kommentar das Hauptgewicht auf die Beschäftigung mit dem Leid anderer legt, ist es heutzutage wichtig, zunächst Mitgefühl für die eigenen Wunden zu entwickeln. Dieses Buch betont immer wieder, dass bedingungsloses Mitgefühl für sich selbst zwangsläufig zu bedingungslosem Mitgefühl für andere führt. Nur wenn wir bereit sind, voll und ganz zu uns selbst zu stehen und uns selbst niemals aufzugeben, sind wir in der Lage, auch anderen beizustehen und sie niemals aufzugeben. Wahres Mitgefühl entspringt nicht dem Wunsch, anderen zu helfen, die schlechter dran sind, sondern der Erkenntnis, dass wir mit allen Lebewesen verbunden sind.
Später hörte ich diese Anweisungen in einer moderneren Sprache von meinem eigenen Lehrer, Chögyam Trungpa Rinpoche. (Sie sind in seinem Buch Training The Mindnachzulesen.) Trungpa Rinpoche war noch sehr jung, als er erstmals mit diesen Lehren in Berührung kam, und er betonte, wie tröstlich es für ihn war, zu erkennen, dass der Buddhismus im alltäglichen Leben so nützlich und hilfreich sein kann. Er war begeistert zu erfahren, dass man einfach alles, was einem im Leben begegnet, zu einem Teil des Pfades machen kann, und dass alles dazu dienen kann, Intelligenz, Mitgefühl und die Fähigkeit, alles immer wieder neu und unvoreingenommen zu betrachten, wachzurufen.
In den Wintern 1992 und 1993 leitete ich einmonatige Meditationsprogramme, sogenannte Dathüns, die vollkommen auf die Lojong-Lehren und die Tonglen-Meditations-praxis aufbauten. Am wichtigsten war es uns Teilnehmern, diese Anweisungen auch dann beständig in die Praxis umzusetzen, wenn wir mit den unvermeidlichen Enttäuschungen und Schwierigkeiten des täglichen Lebens konfrontiert wurden. Wir betrachteten das Dathün als Möglichkeit, uns die Anweisungen zu Herzen zu nehmen und sie auf alle Situationen anzuwenden, besonders auf solche, in denen wir normalerweise dazu neigen, uns in Tadel, Verurteilungen oder Verdrängungen zu ergehen. Wir nutzten die Chance, uns unmittelbar offenen Herzens und offenen Geistes mit den Aggressionen, Begierden und Ablehnungen auseinanderzusetzen, die uns in uns selbst und in anderen begegneten.
Auch Menschen, die nicht mit der Meditationspraxis vertraut sind, bekommen durch die Lojong-Lehren die Möglichkeit, ihr Verhalten grundlegend zu verändern: Sie können sich mitfühlend mit allem auseinandersetzen, was sie normalerweise gern verdrängen, und lernen, das wegzugeben und mit anderen zu teilen, was ihnen selbst am kostbarsten ist.
Diejenigen, die bereit sind, Sitzmeditation und Tonglen-Meditation zu üben und kontinuierlich mit den Losungen zu arbeiten, werden erfahren, was es heißt, wirklich zu lieben. Diese Methode lässt viel Raum, in dem wir uns entspannen und öffnen können. Dies ist der Pfad des bedingungslos mitfühlenden Lebens, und er ist besonders für diejenigen geeignet, denen bewusst ist, dass sie in einer Zeit der Dunkelheit leben. Möge er von Nutzen sein.
Ich danke Pat Cosineau und Lynne Vande Bunte für ihre Hilfe bei der Herstellung dieses Buchs: Sie haben den größten Teil der Schreibarbeit übernommen. Judith Anderson, Marilyn Hayes, Trime Lhamo, Lynne Vande Bunte und Helen Tashima besorgten die Mitschriften. Vielen Dank auch an Pam Gaines, die nicht nur selbst beim Schreiben mithalf, sondern auch andere Leute zum Helfen gewann, und besonderen Dank an Migme Chödrön, die die erste Bearbeitung des Originalmanuskripts übernahm und mir während der ganzen Entstehungszeit dieses Buches unterstützend zur Seite stand. Zu guter Letzt danke ich Emily Hilburn Seil von Shambhala Publications, die sich wieder einmal bereitgefunden hat, die Reden in ihre endgültige Form zu bringen.
Wir haben schon alles, was wir brauchen. Es ist nicht nötig, besser sein zu wollen. All die Zwangsvorstellungen, die wir uns auferlegen - die dauernde Angst, schlecht zu sein, die dauernde Hoffnung, gut zu sein, die Identitäten, an die wir uns so heftig klammern, die Wut, der Ärger, das Suchtverhalten - all das kann unseren ureigenen Reichtum nicht antasten. Diese Vorstellungen sind wie Wolken, die vorübergehend die Sonne verdunkeln. Doch die Sonne, die Wärme und der Glanz eines jeden von uns, ist die ganze Zeit über da. Sie ist, was wir sind. Wir sind nur ein Augenzwinkern vom vollständigen Erwachen entfernt.
Wenn wir uns selbst auf diese Weise betrachten, gehen wir völlig anders an die Sache heran, als wir es normalerweise tun. So gesehen, brauchen wir uns gar nicht zu ändern: Wir können uns so elend fühlen wie der letzte Hund und sind immer noch gute Anwärter auf die Erleuchtung. Wir können uns wie ein hilfloser Krüppel ohne Arme und Beine vorkommen - und doch ist genau dieses Gefühl der größte Reichtum, den wir haben, und nichts, das man loswerden oder verbessern muss. In diesem ganzen Schmodder, den wir hassen und loswerden wollen, liegt ein Schatz begraben. Die schönen Dinge - das, was wir an uns so mögen, die Eigenschaften, auf die wir stolz sind und die uns begeistern - auch die machen unseren Reichtum aus.
Mit den Anweisungen in diesem Buch können wir da anfangen, wo wir gerade sind. Wenn wir voller Wut stecken, von Fehlschlägen verfolgt werden oder uns niedergeschlagen fühlen, sind die hier beschriebenen Anweisungen gerade richtig, weil sie uns helfen, die unliebsamen Aspekte des eigenen Lebens als Hilfsmittel zur Erweckung von Mitgefühl für uns selbst und andere zu verwenden. Diese Anweisungen zeigen uns, wie man sich selbst akzeptiert, wie man sich unumwunden mit dem Leiden auseinandersetzt, wie man aufhört, vor den schmerzhaften Aspekten seines Lebens wegzulaufen. Sie lehren uns, wie man offenen Herzens mit dem Leben umgeht, dem Leben, so wie es ist.
Wenn wir das Wort »Mitgefühl« hören, so bedeutet das für uns zwangsläufig, sich um andere zu kümmern und Verantwortung für andere zu übernehmen. Der Grund, warum wir uns oft vor anderen verschließen - vor unserem Kind, unserer Mutter, jemandem, der uns beleidigt, oder jemandem, der uns Furcht einjagt -, liegt jedoch darin, dass wir uns selbst gegenüber nicht genügend offen sind. Große Teile unserer selbst sind uns so unwillkommen, dass wir jedes Mal Reißaus nehmen, wenn sie auftauchen.
Und weil wir immer Reißaus nehmen, schaffen wir es nie, voll und ganz da, wirklich anwesend zu sein. Ständig verpassen wir den Augenblick, den wir gerade erleben. Doch nur, indem man den Augenblick, den man gerade erlebt, wirklich wahrnimmt, entdeckt man seine Einzigartigkeit, seine Kostbarkeit und seine vollkommene Frische. Er wiederholt sich nie. Jeder Moment kann verehrt und gefeiert werden - es gibt nichts Heiligeres. Es gibt nichts Umfassenderes oder Absoluteres. In Wahrheit ist das alles, was es gibt!
Nur in dem Maß, in dem wir unseren persönlichen Schmerz erkennen, nur in dem Maß, in dem wir mit allen Aspekten des Schmerzes vertraut sind, können wir furchtlos genug, mutig genug und Krieger genug sein, um es mit dem Schmerz der anderen aufzunehmen. Das gelingt uns deshalb, weil wir erkannt haben, dass sich ihr Schmerz und unser eigener Schmerz nicht unterscheiden.
Um das vollbringen zu können, benötigen wir Hilfsmittel, und dieses Buch macht uns mit drei sehr wichtigen vertraut: der Sitzmeditation (Shamatba-Vipashyana-Meditation), der Praxis des Nehmens und Gebens (Tonglen) und der Arbeit mit den Losungen (bezeichnet als Die Sieben Punkte des Geisttrainings oder Lojong).
Diese Praktiken wecken unser Vertrauen darauf, dass wir die Weisheit und das Mitgefühl, die wir brauchen, bereits in uns tragen. Sie helfen uns, uns selbst kennenzulernen: unsere groben Seiten, unsere sanften Seiten, unsere Leidenschaft, Aggression, Unwissenheit und Weisheit. Der Grund, warum Menschen anderen Menschen Leid zufügen, der Grund, warum unser Planet verschmutzt wird und es Menschen und Tieren heutzutage nicht besonders gut geht, besteht darin, dass die einzelnen Individuen nicht genügend über sich selbst Bescheid wissen, dass sie nicht genügend Vertrauen in sich selbst haben und sich selbst nicht genügend lieben. Die Shamatha-Vipashyana-(»Ruhe-Einsicht«-)Technik der Sitzmeditation ist ein goldener Schlüssel, mit dessen Hilfe wir die Tür zu uns selbst öffnen können.
Bei der Shamatha-Vipashyana-Meditation sitzen wir aufrecht mit verschränkten Beinen und geöffneten Augen, die Hände ruhen auf den Oberschenkeln. Dann beginnen wir, einfach darauf zu achten, wie unser Atem ausströmt. Es gehört Präzision dazu, ganz bei seinem Atem zu sein. Andererseits ist es ein außerordentlich entspannter und sanfter Zustand. »Sei ganz bei deinem Atem, wie er ausströmt«, bedeutet das gleiche wie: »Sei vollständig gegenwärtig. Sei ganz anwesend bei allem, was gerade geschieht.« Die Aufmerksamkeit auf den ausströmenden Atem zu richten, bedeutet auch, aufmerksam für andere Geschehnisse zu sein -Straßengeräusche und Licht, das auf die Wände fällt. Diese Dinge können unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, ohne uns abzulenken. Wir fahren fort, einfach dazusitzen und auf unseren ausströmenden Atem zu achten.
Das Beobachten des Atems ist jedoch nur ein Teil der Technik. Es geht auch um die Gedanken, die uns dauernd durch den Kopf schwirren. Wir sitzen hier und führen Selbstgespräche. Die Anweisung lautet, dass wir in dem Moment, in dem wir bemerken, dass wir gerade etwas gedacht haben, es mit der Bezeichnung »Denken« versehen. Wenn der Geist abschweift, sagen wir zu uns selbst »Denken«. Ob die Gedanken gewalttätig sind, leidenschaftlich oder voller Unwissenheit und Ablehnung, ob sie sorgenvoll oder furchtsam sind, ob sie spirituell oder erfreulich sind in Bezug auf das, was wir gerade tun, angenehme Gedanken, erbauliche Gedanken, was auch immer für Gedanken es sind, wir bezeichnen sie alle ohne Urteil oder Strenge einfach als »Denken« und tun das mit Ehrgefühl und Sanftmut.
Der Kontakt mit dem Atem ist leicht aufrechtzuerhalten. Nur etwa 25 Prozent der Aufmerksamkeit liegen auf dem Atem. Wir brauchen den Atem nicht festzuhalten oder uns daran festzubeißen. Wir öffnen uns, lassen den Atem sich mit der Weite des Raums vermischen, lassen ihn einfach in die Weite hinausströmen. Danach entsteht so etwas wie eine Pause, eine Lücke, bis der nächste Atemzug ausströmt. Während wir einatmen, geraten wir vielleicht in einen Zustand des Sich-Öffnens und Wartens. Es ist so, als hätten wir an einer Tür geklingelt. Nun warten, wir, ob jemand aufmacht. Dann drücken wir wieder auf die Klingel und warten, ob jemand aufmacht. Dann schweift der Geist vielleicht ab, und wir bemerken, dass wir wieder denken. An diesem Punkt sagen wir wieder »Denken«.
Es ist wichtig, gewissenhaft mit dieser Technik umzugehen. Wenn wir bemerken, dass das Bezeichnen einen strengen und negativen Ton annimmt, als würden wir »verdammt!« sagen, dass wir es uns also selbst schwermachen, sollten wir noch mal »Denken« sagen und die düstere Stimmung dabei einfach weglassen. Es geht nicht darum, die Gedanken abzuknallen wie Tontauben. Lieber sollten wir sanftmütig sein und das Bezeichnen als Chance betrachten, uns selbst gegenüber Empfindsamkeit und Mitgefühl zu entwickeln. Betrachten wir die Meditation als eine Arena. Alles, was darin auftaucht, ist in Ordnung. Es geht nur darum, es ehrlich zu betrachten und Freundschaft damit zu schließen.
Was auftaucht, mag peinlich und schmerzhaft sein, aber es ist dennoch sehr heilsam, weil es uns etwas über den Fehler lehrt, uns vor uns selbst zu verstecken. Es ist heilsam, die eigene Hinterlistigkeit zu erkennen, die eigenen Ausflüchte, und zu erfahren, wo wir überall dichtmachen, leugnen, abstreiten, anderen Leuten Vorwürfe machen - all die kleinen schmutzigen Tricks, die wir so drauf haben. Wir können uns all das mit einer gehörigen Portion Humor und Freundlichkeit bewusst machen. Wenn wir über uns selbst Bescheid wissen, werden wir auch herausfinden, was Menschlichkeit ist. Jeder hat mit so etwas zu kämpfen. Jeder steckt da drin. Wenn wir also feststellen, dass wir mit uns selbst reden, bezeichnen wir es als »Denken« und achten dabei auf den Klang unserer Stimme. Geben wir unserer Stimme einen mitfühlenden, freundlichen und humorvollen Klang. Dann werden wir alte festgefahrene Muster ändern, die der ganzen Menschheit eigen sind. Mitgefühl für andere beginnt mit Freundlichkeit sich selbst gegenüber."*
Lojong (oder Geisttraining) besteht aus zwei Elementen: der Praxis, die Tonglen-Meditation heißt, und der Lehre, die über Losungen vermittelt wird. Ziel von Lojong ist es, Freundschaft zu schließen mit dem, was man an sich selbst und anderen ablehnt und für »schlecht« hält. Gleichzeitig soll man versuchen, großzügig mit dem umzugehen, was man an sich selbst mag und »gut« findet. Wenn wir unser Leben auf diese Weise gestalten, beginnt etwas in uns zu reifen, das möglicherweise lange Zeit verschüttet war. Dieses »Etwas« wird in unserer Tradition Bodhicitta oder erwachtes Herz genannt. Es ist etwas, das wir bereits besitzen, aber meistens noch nicht entdeckt haben.
Es ist, als seien wir arm und heimatlos und müssten hungern und frieren, und genau dort, wo wir uns jede Nacht zum Schlafen hinlegen, liegt, ohne dass wir etwas davon ahnen, ein Topf voller Gold vergraben. Dieses Gold ist Bodhicitta. Die Verwirrtheit und das Elend entstehen, weil wir nicht wissen, dass das Gold vor unserer eigenen Nase liegt, und wir ständig woanders danach suchen. Immer wenn wir von Freude, Erleuchtung, Erwachen oder Aufwecken des Bodhicitta sprechen, dann bedeutet das, dass wir das Gold schon haben und gerade erkennen, dass es immer schon da gewesen ist.
Eine grundlegende Lojong-Lehre besagt, dass es möglich ist, die Sitzhaltung beizubehalten, wenn sie schmerzhaft ist, und sich dem Schmerz zu nähern. Damit kehrt man das übliche Muster um, das darin besteht, sich abzuwenden, zu flüchten. Lojong lehrt, unliebsamen Dingen gegenüber einfach die Haltung zu ändern: Wenn etwas weh tut, entwickeln wir die Bereitschaft, es nicht nur auszuhalten, sondern zu nutzen, um unser Herz öffnen und uns sanfter werden zu lassen. Wir lernen anzunehmen.
Reizvolle oder angenehme Erfahrungen möchten wir normalerweise festhalten und dauerhaft machen. Wir möchten nicht, dass sie vorübergehen, und sind nicht bereit, sie zu teilen. Wenn wir schöne Erfahrungen machen, werden wir von den Lojong-Lehren angespornt, an andere Menschen zu denken und sie daran teilhaben zu lassen. Teile deinen Reichtum. Sei großzügig mit deiner Fröhlichkeit. Verschenke, was du dir am meisten gewünscht hast. Sei großzügig mit deinen Einsichten und deinem Vergnügen. Fürchte nicht, sie zu verlieren, und versuche nicht, sie festzuhalten, sondern teile sie mit anderen.
Ob Schmerz oder Freude, durch Lojong-Praxis erlangen wir die Fähigkeit, unsere Erfahrungen als das anzunehmen, was sie sind, ohne sie beeinflussen, beiseite schieben oder festhalten zu wollen. Die freudvollen Seiten des Menschseins sind genau wie die schmerzhaften ein Mittel zur Erweckung von Bodhicitta.
Ein Motto verdeutlicht das grundlegende Prinzip der Tonglen-Praxis und der Arbeit mit den Losungen besonders gut: »Gewinn und Sieg den anderen, Verlust und Niederlage zu mir.« Das tibetische Wort für Stolz oder Hochmut, nga-gyal, bedeutet wörtlich übersetzt »Ich-sieghaft«. Ich zuerst. Ego. Diese »Ich-sieghaft«-Haltung ist die Ursache allen Leidens.
Im Kern besagt dieses kurze Sprichwort, dass Worte wie Sieg oder Niederlage vollständig davon durchdrungen sind, wie man sich selbst schützt, wie man sein Herz abschirmt. Normalerweise bedeutet zu siegen, sein Herz so abzuschirmen, dass nichts durchkommt, und dann glauben wir, wir hätten den Krieg gewonnen. In Wirklichkeit ist die Rüstung um den empfindlichen Punkt - unser verwundbares Herz -härter geworden und die Welt kleiner. Möglicherweise wird uns eine ganze Woche lang nichts mehr etwas anhaben können, aber wir sind nicht mehr so mutig, und unsere Fähigkeit, uns um andere zu kümmern, verkümmert völlig. Haben wir den Krieg wirklich gewonnen?
Das Gefühl, eine Niederlage erlitten zu haben, bedeutet hingegen, dass etwas zu uns durchgedrungen ist. Etwas hat unseren empfindlichen Punkt getroffen. Die Verletzlichkeit, derentwegen wir uns seit Ewigkeiten eingepanzert hatten, wurde von etwas berührt. Vielleicht hat nur ein Schmetterling sie berührt, aber weil wir so etwas noch nie zuvor gespürt haben, laufen wir nun los und kaufen Vorhängeschlösser und Rüstungen und Gewehre, damit wir das nie mehr spüren müssen. Wir besorgen uns alles mögliche - sieben Paar Stiefel, die eins in das andere passen, damit wir nie mehr den Boden spüren müssen, zwölf Masken, damit uns niemand ins Gesicht sehen kann, neunzehn Rüstungen, damit niemand unsere Haut berühren kann, geschweige denn unser Herz.
Die Worte Niederlage und Sieg sind sehr eng verbunden mit der Art und Weise, wie wir uns selbst einkerkern. Die eigentliche Verwirrung besteht darin, dass wir den unbegrenzten Reichtum, über den wir verfügen, nicht erkennen, und die Verwirrung wird jedes Mal schlimmer, wenn wir in diese Gewinn-/Verlustlogik hineingeraten: Wenn man mich berührt, ist das eine Niederlage, und wenn meine Rüstung so perfekt sitzt, dass mich nichts berühren kann, ist das ein Sieg.
Den eigenen Reichtum wahrzunehmen, würde der Verwirrung ein Ende setzen. Aber der einzige Weg dahin erfordert, dass wir alles loslassen. Und genau das ist es, wovor uns am meisten graut - die vollkommene Niederlage. Und doch: Einfach loszulassen, würde frischen Wind in das alte, stickige Kellergewölbe unseres Herzens bringen.
Wenn wir sagen: »Verlust und Niederlage zu mir«, so bedeutet das nicht, dass wir Masochisten werden: »Schlag mir den Schädel ein, quäl mich, und ich soll verdammt sein, wenn ich jemals glücklich werde.« Es bedeutet vielmehr, Herz und Geist zu öffnen und das Gefühl der Niederlage zu erfahren.
Du denkst, du bist zu klein, hast Verdauungsstörungen, du bist zu fett und zu dumm. Du sagst dir: »Niemand liebt mich, ich werde immer links liegengelassen. Ich habe keine Zähne mehr, meine Haare werden grau, ich bin total verpickelt, meine Nase läuft.« Das gehört alles in die Kategorie Niederlage, Niederlage des Egos. Nie möchten wir der Mensch sein, der wir sind. Solange wir bei diesem Reklamerummel mitmachen, dass wir jemand anderes zu sein haben, dass wir anders riechen müssen oder anders aussehen, kommen wir nie mit unserem grundlegenden Reichtum in Berührung.
Sagen wir aber: »Sieg den anderen«, anstatt ihn für uns selbst behalten zu wollen, dann bedeutet das, die angenehme Seite des Lebens mit anderen zu teilen. Bin ich schlanker geworden? Wir freunden uns mit unserem Spiegelbild an. Plötzlich gefällt uns die eigene Stimme, oder jemand verliebt sich in uns oder wir verlieben uns in jemanden. Oder eine neue Jahreszeit beginnt und verzaubert unser Herz, oder wir entdecken die Schönheit der schneebedeckten Berge oder der Bäume, die sich im Wind bewegen. Was es auch sei, wir kultivieren unsere Bereitschaft, mit anderen zu teilen, statt geizig oder ängstlich zu sein.
Vielleicht ärgern wir uns über die Losungen. Sie enthalten Aufforderungen wie: »Sei nicht eifersüchtig«, und wir denken »Wie kommen die darauf?« Oder »Sei jedem dankbar«, und wir fragen uns, wie wir das machen sollen oder warum wir uns damit herumquälen müssen. Einige Losungen, wie zum Beispiel »Meditiere stets über alles, was Unwillen hervorruft«, ermahnen uns, eingefahrene Verhaltensweisen über Bord zu werfen. Diese Losungen entsprechen nicht immer dem, was wir gern hören möchten, und erst recht nicht dem, was uns begeistert, aber wenn wir damit arbeiten, werden sie zu einem Teil von uns, wie unser Atem, unser Augenlicht, unser erster Gedanke. Sie werden zu Gerüchen, die wir riechen, zu Tönen, die wir hören. Wir können unser ganzes Dasein von ihnen durchdringen lassen. Das ist das Entscheidende. Die Losungen sind weder theoretisch noch abstrakt. Sie behandeln genau das, was wir sind und was mit uns geschieht. Sie entsprechen vollkommen der Art und Weise, wie wir Erfahrungen machen und mit allem umgehen, was in unserem Leben geschieht. Sie handeln davon, wie wir mit Schmerz und Furcht und Vergnügen und Freude umgehen, und wie diese Erfahrungen uns ganz und gar verwandeln können. Durch die Arbeit mit den Losungen wird das alltägliche Leben zu einem Pfad des Erwachens.
*Wer noch keine Erfahrung mit der Sitzmeditation hat, sucht möglicherweise eine(n) erfahrene(n) Meditationsanleiter(in). Am Ende des Buches befindet sich eine Liste von Meditationszentren, die weiterhelfen.
Die Praxis, der wir uns nun zuwenden wollen, dient dazu, Vertrauen in unsere eigenen erwachten Herzen, unser eigenes Bodhicitta, zu entwickeln. Wenn wir endlich begreifen, wie reich wir sind, wird das Gefühl, eine schwere Last zu tragen, nachlassen, und unsere Fähigkeit, Neugier zu entwickeln, wird zunehmen.
Bodhicitta hat drei Eigenschaften. (1) Es ist empfindlich und zart, das wird als Mitgefühl bezeichnet; (2) gleichzeitig ist es klar und scharf, das nennt man Prajna; und (3) es ist offen. Diese letzte Qualität von Bodhicitta wird Shunyata genannt und ist auch als Leerheit bekannt. Leerheit klingt kalt. Bodhicitta ist jedoch überhaupt nicht kalt, weil eine Herzensqualität - die Wärme des Mitgefühls - den Raum und die Klarheit durchdringt. Mitgefühl, Offenheit und Klarheit bilden zusammen eine Einheit, und diese Einheit heißt Bodhicitta.
Bodhicitta ist eines jeden Menschen Herz - eines jeden Menschen verwundbares, empfindlich gewordenes Herz. Wenn man nach diesem empfindlichen, verwundbaren Herzen sucht, das wir alle so sorgsam beschützen, wird man nichts finden, was sich herausschneiden und unter ein Mikroskop legen lässt. Wie sehr wir auch suchen, wir finden nichts als ein Gefühl von Zärtlichkeit, vermischt mit einer Spur von Traurigkeit.
Bei dieser Traurigkeit handelt es sich um eine allem innewohnende, eine unbestimmte Traurigkeit. Sie ist ein Teil unserer angeborenen Eigenschaften, ein Familienerbstück. Man nennt sie das wahre Herz der Traurigkeit.
Manchmal betonen wir den mitfühlenden Aspekt unseres wahren Herzens und meinen damit den relativen Teil von Bodhicitta. Manchmal heben wir den offenen und ungreifbaren Aspekt des Herzens hervor und meinen damit den absoluten Teil, das wahre Herz, das man erst noch entdecken muss.
Die erste Losung der Sieben Punkte des Geisttrainings lautet: »Übe dich zuerst in den Vorbereitungen.« Die Vorbereitungen sind die grundlegende Meditationspraxis - die wohltuende, unterstützende, warmherzige, brillante Shamatha-Vipashyana-Praxis. Wenn gesagt wird: »Übe dich zuerst in den Vorbereitungen«, dann heißt das nicht, dass wir zunächst Shamatha-Vipashyana-Praxis üben und dann zu einer Praxis für Fortgeschrittene übergehen. Shamatha-Vipashyana-Praxis ist nicht nur die Erde, auf der wir stehen, sie ist auch die Luft, die wir atmen, und das Herz, das in uns schlägt. Shamatha-Vipashyana-Praxis ist außerdem die Essenz aller anderen Praktiken. Wenn wir also sagen: »Übe dich zuerst in den Vorbereitungen«, so bedeutet das ganz einfach, dass wir ohne diese gute Grundlage nichts hätten, auf das wir bauen könnten. Ohne diese Basis könnten wir die Tonglen-Praxis nicht verstehen - die ich später erklären werde -, und wir würden keine Einsicht in unseren Geist gewinnen, weder in die eigene Torheit noch in die eigene Weisheit.
Als nächstes folgen fünf Losungen, die die Offenheit von Bodhicitta hervorheben, die absolute Qualität von Bodhicitta. Sie verweisen damit auf die Tatsache, dass wir, obwohl wir normalerweise sehr stark von der Gewichtigkeit und Ernsthaftigkeit des Lebens in Beschlag genommen werden, damit anfangen können, nicht soviel Aufhebens darum zu machen und uns mehr mit den gelösteren und fröhlicheren Aspekten des Daseins zu befassen.
Die erste der absoluten Losungen lautet: »Betrachte alle Dharmas als Träume.« Einfacher gesagt: Betrachte alles als Traum. Das Leben ist ein Traum. Der Tod ist, so gesehen, ebenfalls ein Traum; Wachsein ist ein Traum, Schlafen ist ein Traum. Eine andere Möglichkeit, dies auszudrücken, lautet: »Jede Situation ist eine vorüberziehende Erinnerung.«
Heute Morgen hat jemand einen Spaziergang gemacht. Jetzt ist es eine Erinnerung. Jede Situation ist eine vorüberziehende Erinnerung. Im Laufe unseres Lebens wiederholt sich vieles - schon manchen Morgen haben wir begrüßt, schon viele Mahlzeiten haben wir gegessen, schon viele Fahrten zur Arbeit und zurück haben wir erlebt, viel Zeit haben wir mit unseren Freunden und unserer Familie verbracht, wieder und wieder, noch mal und noch mal. Alle diese Situationen rufen Ärgernisse, Begehren, Wut und Traurigkeit hervor, alle möglichen Empfindungen in Bezug auf die Leute, mit denen wir arbeiten oder leben, denen wir uns zugehörig fühlen oder gegen die wir Front beziehen. Sehr vieles wird sich in gleicher Weise immer wieder ereignen. Das alles bietet hervorragende Möglichkeiten, sich ein Verständnis dafür anzueignen, dass jede Situation eine vorüberziehende Erinnerung ist.
Vor wenigen Augenblicken stand jemand in der Eingangshalle, und jetzt ist es Erinnerung. Aber es erschien uns so real, als es geschah. Jetzt spreche ich, und das, was ich gerade gesagt habe, ist schon vergangen.
Es heißt, dass man an diese Losungen, die auf eine absolute Wahrheit - Offenheit - verweisen, nicht so herangehen sollte, dass man sagt: »Natürlich, ist doch klar«, sondern dass man stets einen geistigen Schwebezustand einnehmen und sich fragen sollte: »Ist das möglich? Träume ich das?« Zwick dich selbst. Träume sind genauso überzeugend wie der Wachzustand. Vielleicht sollten wir anfangen, über die Frage nachzudenken, ob die Dinge möglicherweise nicht so massiv oder verlässlich sind, wie sie scheinen.
Manchmal machen wir diese Erfahrung von selbst, auf natürliche Weise. Ich habe kürzlich etwas über einen Mann gelesen, der per Anhalter ins Gebirge fuhr und allein auf sehr großer Höhe in der Wildnis landete. Wer schon einmal auf sehr großer Höhe gewesen ist, weiß sicher, dass das Licht dort anders ist. Es ist bläulicher und schimmernder. Gegenstände erscheinen heller und nicht so massiv wie etwa im Zentrum einer Großstadt, besonders, wenn man sich längere Zeit allein im Gebirge aufhält. Manchmal ist man sich gar nicht so sicher, ob man wach ist oder schläft. Der Mann schrieb, dass er das Gefühl hatte, als bereite er seine Mahlzeiten im Traum zu, und dass es ihm, wenn er umherging, so schien, als ob er auf Berge zuging, die aus Luft bestanden. Es kam ihm vor, als ob der Brief, den er schrieb, aus Luft gemacht wäre, dass seine Hand eine Phantomhand wäre, die mit einem Phantomstift Phantomwörter schriebe, und dass er sie an einen phantomhaften Empfänger schicken würde. Manchmal machen wir diese Erfahrung, auch im Flachland. Dann erscheint uns die Welt plötzlich größer und weiter.
Ohne jetzt noch weiter darauf eingehen zu wollen, möchte ich dies in die Shamatha-Praxis einbringen. Der Clou besteht darin, dass es keine große Sache ist. Jeder könnte ganz einfach zur Erleuchtung gelangen. Betrachte alle Dharmas als Traum. Mit unserem Denken machen wir ein Riesentheater um uns selbst, unser Leid und unsere Probleme.
Wenn jemand von uns verlangen würde, Anfang, Mitte und Ende jeden Gedankens ausfindig zu machen, würden wir feststellen, dass Gedanken keinen Anfang, keine Mitte und kein Ende zu haben scheinen. Sie sind einfach da. Wir führen Selbstgespräche, wir erzeugen unsere gesamte Identität, unsere ganze Welt, die ganzen Probleme und das Gefühl von Zufriedenheit mit einem stetigen Strom von Gedanken. Aber wenn wir Gedanken festhalten möchten, verwandeln sie sich. Wie die Losung sagt, ist jede Situation, ja sogar jedes Wort und jede Empfindung eine vorüberziehende Erinnerung. Es ist, als wollte man versuchen, den Moment abzupassen, in dem Wasser sich in Dampf verwandelt. Der genaue Zeitpunkt lässt sich nie ermitteln. Wir wissen genau, dass Wasser existiert, denn wir können es trinken und Suppe daraus kochen, und wir wissen auch, dass Dampf existiert, aber den präzisen Augenblick, in dem sich das eine in das andere verwandelt, können wir dennoch nicht erkennen. So ist es mit allem.
Vielleicht hat der eine oder die andere schon einmal in einer langandauernden Phase gesteckt, in der er oder sie sich unterlegen und verletzt fühlte, und ist dieses Gefühl plötzlich ohne besonderen Grund losgeworden. Es verschwindet einfach, und wir fragen uns, warum wir »viel Lärm um nichts« gemacht haben. Worum ging es eigentlich? Dasselbe passiert, wenn wir uns in jemanden verlieben. Erst gehen wir völlig darin auf, vierundzwanzig Stunden am Tag an diesen Menschen zu denken. Wir sind verhext und verzehren uns nach ihm oder ihr. Dann, kurze Zeit danach, »keine Ahnung, was wir falsch gemacht haben, aber das Gefühl ist weg, und ich kann's nicht mehr zurückzaubern«. Jeder kennt das Gefühl, einen Riesenaufstand zu machen, und dann wird uns plötzlich klar, dass wir leeres Stroh dreschen.