Wie wir leben, so sterben wir - Pema Chödrön - E-Book

Wie wir leben, so sterben wir E-Book

Pema Chödrön

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  • Herausgeber: Arkana
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Das Leben ändert sich in jedem Augenblick – alles unterliegt dem Wandel. Der unberührte Schnee, der in der Wärme wegtaut, Sonnenaufgang und -untergang, die kurze Begegnung mit einem lieben Menschen, die lange in uns nachhallt. Pema Chödrön lädt uns ein, dieser natürlichen Bewegung des Lebens zu folgen, auch im Hinblick auf die eigene Sterblichkeit. Denn gerade in der Vergänglichkeit liegt die Schönheit des Lebens.

Aus dem reichen Erfahrungsschatz ihres langen Lebens schöpfend, teilt die große Meditationslehrerin mit uns das Geheimnis eines erfüllten Daseins: sich den vielen Anfängen und Abschieden nicht verschließen, sich dem Unbestimmten, Nicht-Vertrautem und Unwillkommenem öffnen. Lassen wir diese radikale Einsicht zu, werden wir belohnt und fähig sein, in jedem Augenblick Frieden zu empfinden, Staunen und Mitgefühl gegenüber uns selbst wie anderen und sogar dem eigenen Sterben gelassen entgegenzublicken. Besonnen und geradlinig zeigt Pema Chödrön in fünfundzwanzig meisterhaft erhellenden Lektionen, wie jeder diesen Weg selbst gehen kann. Und wie man unterwegs mit schwierigen Emotionen wie Traurigkeit, Wut und Hoffnungslosigkeit umzugehen lernt. Sie macht uns mit der eigenen Sterblichkeit vertraut und eröffnet uns zugleich die Möglichkeit, uns selbst zu begegnen, uns berühren zu lassen von all dem, was uns widerfährt im Leben – an jedem einzelnen Tag.

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Seitenzahl: 269

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Über das Buch

Das Leben ändert sich in jedem Augenblick – alles unterliegt dem Wandel. Der unberührte Schnee, der in der Wärme wegtaut, Sonnenaufgang und -untergang, die kurze Begegnung mit einem lieben Menschen, die lange in uns nachhallt. Pema Chödrön lädt uns ein, dieser natürlichen Bewegung des Lebens zu folgen, auch im Hinblick auf die eigene Sterblichkeit. Denn gerade in der Vergänglichkeit liegt die Schönheit des Lebens.

Aus dem reichen Erfahrungsschatz ihres langen Lebens schöpfend, teilt die große Meditationslehrerin mit uns das Geheimnis eines erfüllten Daseins: sich den vielen Anfängen und Abschieden nicht verschließen, sich dem Unbestimmten, Nicht-Vertrautem und Unwillkommenem öffnen. Lassen wir diese radikale Einsicht zu, werden wir belohnt und fähig sein, in jedem Augenblick Frieden zu empfinden, Staunen und Mitgefühl gegenüber uns selbst wie anderen und sogar dem eigenen Sterben gelassen entgegenzublicken.

Besonnen und geradlinig zeigt Pema Chödrön in fünfundzwanzig meisterhaft erhellenden Lektionen, wie jeder diesen Weg selbst gehen kann. Und wie man unterwegs mit schwierigen Emotionen wie Traurigkeit, Wut und Hoffnungslosigkeit umzugehen lernt. Sie macht uns mit der eigenen Sterblichkeit vertraut und eröffnet uns zugleich die Möglichkeit, uns selbst zu begegnen, uns berühren zu lassen von alldem, was uns widerfährt im Leben.

Über die Autorin

Pema Chödrön ist US-Amerikanerin und buddhistische Nonne in der Tradition des tibetischen Meditationsmeisters Chögyam Trungpa. Sie ist Leiterin des tibetischen Klosters Gampo Abbey auf der kanadischen Insel Cape Breton. Neben Ayya Khema gehört Pema Chödrön heute zu den bekanntesten buddhistischen Lehrerinnen der Welt. Wie diese wurde sie Mutter, bevor sie ihre Gelübde als Nonne ablegte, und ist somit bestens sowohl mit dem weltlichen als auch dem geistlichen Leben vertraut.

Weitere Informationen unter www.pemachodronfoundation.org

Pema Chödrön

Wie wir

leben,

so sterben

wir

Im Fluss des Werdens und Vergehens wahre Freiheit finden

Herausgegeben von Joseph Waxman

Aus dem amerikanischen Englisch von Claudia Seele-Nyima

Die amerikanische Originalausgabe ist 2022 unter dem Titel »How We Live Is How We Die« bei Shambhala erschienen.

This edition published by arrangement with Shambhala Publications, Inc., Boulder, Colorado, USA.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Deutsche Erstausgabe

© 2023 Arkana, München

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Originalausgabe Copyright © 2022 Pema Chödrön

Originally published in 2022 by Shambhala Publications, Inc.

Lektorat: Pascal Frank

Umschlaggestaltung: ki 36 Editorial Design, München, Daniela Hofner

Umschlagmotiv: © shutterstock/VerisStudio

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-30293-1V001

www.arkana-verlag.de

Dieses Buch ist mit Liebe und großer Dankbarkeit meiner lieben Schwester, Patricia Billings, gewidmet, die im Februar 2020 mit 91 Jahren starb

Inhalt

Einleitung

1. Der erstaunliche Fluss von Geburt und Tod

2. Kontinuierliche Veränderung

3. Eine Erinnerung, die vorübergeht

4. Wie wir leben, so sterben wir

5. Wenn sich die Erscheinungen dieses Lebens auflösen – der Bardo des Sterbens

6. Mingyur Rinpoches Geschichte

7. Das klare Licht der Mutter und des Kindes

8. Was durchläuft die Bardos?

9. Die zwei Wahrheiten

10. Neigungen

11. Fühle, was du fühlst

12. Der erste Schritt zum Mut: Bewusstes Nichtreagieren

13. Der zweite Schritt zum Mut: Ein positiver Blick auf die Kleshas

14. Zwei Übungen zum Transformieren des Herzens

15. Der dritte Schritt zum Mut: Emotionen als Weg zum Erwachen

16. Fünf Arten der Weisheit

17. Die Dinge so erfahren, wie sie sind: Der Bardo der Dharmata

18. Sich für die heilige Welt öffnen

19. Vom Offenen zum Konkreten: Ein ewiges Muster

20. In den Bardo des Werdens eintreten

21. Herzensrat

22. Die sechs Daseinsbereiche

23. Unsere nächste Geburt wählen

24. Anderen im Tod und im Sterben helfen

25. Im Bardo erwachen

Zum Schluss

Anhang

Anhang A: Eine Geschichte der Bardo-Lehren

Anhang B: Übungen

Grundlegende Sitzmeditation

Meditieren mit offenem Gewahrsein – eine angeleitete Praxis

Tonglen

Anhang C: Tabellen und Übersichten

Stadien der Auflösung

Die fünf Buddha-Familien

Die sechs Daseinsbereiche des Samsara

Dank

Über die Autorin

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Sachregister

»Fünfmal am Tag den Tod zu betrachten macht glücklich.«

Bhutanisches Sprichwort

Einleitung

Der Buddha hat seinen Schülern bekanntlich geraten, nicht alles, was er sagte, zu glauben, ohne es vorher selbst zu prüfen. Er wollte keine Dogmen verbreiten, sondern uns darin unterstützen, eigene Erfahrungen zu machen. »Nehmt mich nicht einfach beim Wort«, sagte er. »Prüft meine Lehren, so wie ein Goldschmied Gold auf Echtheit prüft.« So lehrte der Buddha beispielsweise, dass es zu Leid und Angst führt, wenn wir zu sehr auf unsere eigenen Interessen bedacht sind; und zu Freude und Frieden, wenn wir unsere Liebe und Fürsorge für andere noch mehr ausweiten – sogar auf Fremde oder Menschen, die uns Schwierigkeiten bereiten. Das ist eine Lehre, die wir durch unsere eigene Erfahrung überprüfen können. Wir können mit ihr experimentieren und sie je nach Bedarf so oft testen, bis wir überzeugt sind.

Dagegen gehören die Lehren, die in diesem Buch vorgestellt werden, allem Anschein nach in eine andere Kategorie. Das tibetische Wort Bardo, das noch häufig auftauchen wird, bezieht sich gemeinhin auf den Zwischenzustand nach dem Tod und vor dem nächsten Leben. Doch wie können wir anhand der eigenen Erfahrung prüfen, was nach unserem Tod geschieht? Wie können wir verifizieren, ob es ein nächstes Leben gibt? In den folgenden Kapiteln finden Sie Beschreibungen von strahlend bunten Lichtern, von ohrenbetäubenden Geräuschen, von Hungergeistern, von friedvollen und zornvollen Gottheiten. Wie ist es möglich, solche Lehren so zu prüfen, wie ein Goldschmied Gold auf seine Echtheit prüft?

Es ist nicht meine Absicht, Sie dazu zu bringen, dass Sie der tibetischen Weltanschauung Glauben schenken und solche Darstellungen als endgültige Wahrheit in Bezug auf das, was nach Ihrem Tod geschieht, ansehen. Zu sagen, etwas sei definitiv »so« oder »so«, trifft die Sache nicht. Nach meinem Empfinden widerspricht das dem Geist der Lehren des Buddha. Gleichwohl befassen sich viele verständige Menschen der heutigen Zeit mit den Bardo-Lehren und nehmen sie ernst – nicht als wissenschaftliches Thema, sondern als eine Quelle tiefer Weisheit, die ihr Leben bereichert. Es mag zwar für uns nicht möglich sein, diese traditionellen Lehren auf Grundlage unserer eigenen Erfahrungen zu bestätigen, aber dennoch: Wenn wir das Wesen der Bardo-Lehren erfassen, dann können sie uns nicht nur nach dem Tod zugutekommen, sondern schon in diesem Jahr, an diesem Tag, in diesem Augenblick, und zwar unabhängig davon, ob wir an die tibetische Weltanschauung glauben oder nicht.

Diese Lehren basieren auf einem alten tibetischen Text namens Bardo Tödrol, dessen Titel zunächst als The Tibetan Book of the Dead (»Das tibetische Totenbuch«) ins Englische übersetzt wurde, aber wörtlich »Befreiung durch Hören im Zwischenzustand« bedeutet. Das Bardo Tödrol soll jenen, die gestorben und in diesen Zwischenzustand eingetreten sind, vorgelesen werden. Es beschreibt die verschiedenen Erfahrungen, die der verstorbene Mensch durchlaufen wird, und soll ihn somit leiten, damit er sich auf dem verwirrenden Weg von diesem Leben ins nächste zurechtfindet. Dahinter steht die Vorstellung, dass es die Chancen auf einen friedlichen Tod, einen friedvollen Übergang und eine gute Wiedergeburt verbessert, wenn man das Bardo Tödrol hört. Im besten Fall erlangt man die vollständige Befreiung aus dem Samsara, dem leidvollen Kreislauf von Geburt und Tod.

Der Begriff Bardo wird gewöhnlich mit dem Zwischenzustand zwischen den Leben in Zusammenhang gebracht, aber eine weiter gefasste Übersetzung des Wortes ist einfach »Übergang« oder »Zwischenraum«. Die Reise nach unserem Tod ist ein solcher Übergang, aber bei näherer Betrachtung unserer Erfahrung werden wir feststellen, dass wir uns stets im Übergang befinden. In jedem Augenblick unseres Lebens geht etwas zu Ende, und etwas anderes beginnt. Das ist kein esoterisches Konzept. Wenn wir darauf achten, dann ist es unverkennbar das, was wir erfahren.

Das Tibetische Totenbuch führt sechs Bardos auf: den natürlichen Bardo dieses Lebens, den Bardo des Träumens, den Bardo der Meditation, den Bardo des Sterbens, den Bardo der Dharmata und den Bardo des Werdens.

Eben jetzt befinden wir uns im natürlichen Bardo dieses Lebens. Und wie ich in diesem Buch immer wieder herausstellen werde, liegt genau dort, im natürlichen Bardo dieses Lebens, unsere Arbeit. Wenn wir erkennen, dass dieses Leben ein Bardo ist – ein Zustand kontinuierlicher Veränderung –, können wir uns allen anderen Bardos stellen, wie fremdartig sie auch sein mögen.

Der Bardo des Sterbens beginnt, wenn wir erkennen, dass wir sterben, und dauert bis zum letzten Atemzug. Darauf folgt der Bardoder Dharmata, also der »wahren Natur der Erscheinungen«. Schließlich gibt es noch den Bardo des Werdens, in dem wir den Übergang zum nächsten Leben vollziehen. Im vorliegenden Buch werde ich ausführlich über diese drei Bardos sprechen und dabei auch die Verbindung zu Erfahrungen herstellen, die wir im Lauf unseres Lebens machen und die uns besser vertraut sind.

Im Folgenden möchte ich möglichst so schreiben, dass Sie diese Lehren, unabhängig von Ihren jeweiligen Überzeugungen, sinnvoll und hilfreich finden. Gleichzeitig möchte ich Sie ermuntern, sich auch für die weniger vertrauten Aspekte dieser Belehrungen zu öffnen, wie mein Lehrer Dzigar Kongtrul Rinpoche zu sagen pflegt. Ich habe festgestellt, dass mein größtes persönliches Wachstum immer dann stattfindet, wenn Geist und Herz eher neugierig als skeptisch sind. Meine Hoffnung ist, dass Sie mit einer ähnlichen Einstellung an die Lektüre dieses Buches herangehen.

Wenn wir lernen, den kontinuierlichen Fluss der Übergänge im jetzigen Leben zu meistern, dann sind wir, ganz unabhängig von unserer Weltanschauung, auf den Tod und alles, was danach kommen mag, vorbereitet. Meine Lehrer, angefangen bei Chögyam Trungpa Rinpoche, haben mir zahlreiche Anleitungen gegeben, wie ich dabei vorgehen kann. Ich selbst habe die Erfahrung gemacht, dass mir das Anwenden dieser Bardo-Lehren einen Großteil meiner Furcht und meiner Angst vor dem Tod genommen hat. Aber genauso wichtig ist: Durch diese Schulung fühle ich mich im Umgang mit dem, was ich in meinem täglichen Leben erfahre, lebendiger, offener und mutiger. Darum möchte ich diese Lehren und den Nutzen, den sie bringen, an Sie weitergeben.

1

Der erstaunliche Fluss von Geburt und Tod

Dies ist ein Buch über die Angst vor dem Tod. Genauer gesagt stellt es eine Frage: Wie gehen wir mit der grundlegendsten aller Ängste um, der Angst vor dem Tod? Manche verbannen den Gedanken an ihn aus dem Kopf und tun so, als würden sie ewig leben. Andere sagen sich, dass nur das Leben zählt, da der Tod in ihren Augen gleichbedeutend ist mit dem Nichts. Wieder andere werden zu Gesundheits- und Sicherheitsfanatikern und richten ihr Leben darauf aus, das Unausweichliche so lange wie möglich hinauszuzögern. Dass Menschen sich voll und ganz für ihren unvermeidlichen Tod öffnen – und für jegliche dadurch vielleicht aufkommende Angst – und danach leben, kommt hingegen nicht so häufig vor. Ich habe festgestellt, dass diejenigen, die eine solche Offenheit entwickelt haben, sich mehr auf das Leben einlassen und dankbarer sind für das, was sie haben. Sie sind weniger in ihre eigenen Dramen verstrickt und haben eine positivere Wirkung auf andere wie auch auf den Planeten insgesamt. Hierzu gehören meine Lehrer ebenso wie die Weisen aller spirituellen Traditionen der Welt. Aber auch für viele gewöhnliche Menschen gilt, dass sie den Tod weder leugnen noch davon besessen sind, sondern im Einklang mit dem sicheren Wissen leben, dass sie diese Welt eines Tages verlassen werden.

Vor einigen Jahren habe ich am Omega-Institut in Rhinebeck, New York, ein Wochenendseminar zu diesem Thema abgehalten. Wie eine Teilnehmerin mir gestand, reagierte sie spontan mit der Bemerkung »So ein Quatsch«, als sie hörte, dass ich über Tod und Sterben sprechen würde. Am Ende des Kurses wurde ihr jedoch klar, dass das Thema das ganze Leben verändert. Dadurch, dass ich diese Lehren an Sie, liebe Leserinnen und Leser, weitergebe, kann ich hoffentlich dazu beitragen, dass Ihnen der Tod vertrauter wird, Sie im Umgang mit ihm gelassener werden und mehr im Einklang mit dem leben können, was Ihnen früher Angst gemacht hat – und dass Sie leichter von »Quatsch!« zu einem Durchbruch gelangen können.

Mein zweites Ziel hängt eng damit zusammen: Offenheit für den Tod zu entwickeln, soll Ihnen helfen, offen für das Leben zu werden. Wie ich auf den folgenden Seiten noch häufiger wiederholen werde, ist der Tod nicht nur etwas, das am Ende unseres Lebens eintritt. Der Tod ereignet sich in jedem Augenblick. Wir leben in einem erstaunlichen Fluss von Geburt und Tod. Das Ende einer Erfahrung ist der Beginn der nächsten Erfahrung, die ihrerseits schnell zu Ende geht und zu einem neuen Anfang führt. Es ist wie ein kontinuierlich strömender Fluss.

Normalerweise widersetzen wir uns diesem Fluss, indem wir auf die eine oder andere Weise versuchen, unsere Erfahrung zu verfestigen. Wir wollen etwas – irgendetwas – finden, an dem wir uns festhalten können. Hier lautet die Anweisung, sich zu entspannen und loszulassen.

Der Übungsprozess besteht darin, dass wir uns daran gewöhnen, in diesem kontinuierlichen Fluss da zu sein. Auf diese Weise können wir mit unserer Angst vor dem Tod und vor dem Leben arbeiten und zulassen, dass sie verfliegen. Es gibt natürlich keine Garantie – Sie können Ihr Geld nicht zurückverlangen, wenn es doch nicht dazu kommt oder länger dauert, als Ihnen lieb ist. Aber ich selbst habe mich langsam in diese Richtung bewegt und meine, Sie können das auch.

In der Mahayana-Tradition des Buddhismus, der ich angehöre, beginnt jedes Studium, jede Praxis oder andere positive Aktivität mit der Betrachtung des höheren Ziels. So könnten wir zum Beispiel darüber nachsinnen, welchen Nutzen es für unsere unmittelbare Umgebung, für die Menschen in unserem Leben – und sogar darüber hinaus – hat, mit dem Fluss von Geburt und Tod Freundschaft zu schließen. Wir könnten darüber nachdenken, inwiefern sich unser immer entspannteres Verhältnis zum Leben und zum Tod positiv auf alles auswirkt, was uns begegnet.

Um zu veranschaulichen, wie sehr alles auf der Welt miteinander verbunden ist, sagen Chaostheoretiker, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings am Amazonas das Wetter in Europa beeinflusst. Genauso wirkt sich unser Geisteszustand auf die Welt aus. Wir wissen, wie er die Menschen um uns herum beeinflusst. Wenn man jemandem einen finsteren Blick zuwirft, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass die Person ihrerseits jemanden finster anschaut. Lächelt man dagegen jemanden an, fühlt er sich gut und wird mit größerer Wahrscheinlichkeit andere anlächeln. Ähnlich verhält es sich, wenn man zu einer gelasseneren Einstellung gegenüber der Vergänglichkeit des Lebens und der Unausweichlichkeit des Todes findet: Dann überträgt sich diese Gelassenheit auch auf andere.

Jede positive Energie, die wir uns oder anderen zufließen lassen, schafft eine Atmosphäre der Liebe und des Mitgefühls, die immer weitere Kreise zieht – wer weiß, wie weit? Wenn wir das im Sinn behalten, können wir bei dieser Erkundung des Todes auf das Beste in uns zurückgreifen, auf das, was die Ängste und Schmerzen unserer Mitmenschen sensibel wahrnimmt und helfen möchte. Zur Förderung einer solchen Einstellung können wir diese Reise durch die Bardos dem Wohlergehen mindestens einer anderen Person widmen, die Schwierigkeiten hat. Schreiben Sie zu Beginn doch einfach ein paar Namen auf und fügen Sie im Lauf der Zeit weitere hinzu. Am Ende haben Sie vielleicht eine Liste mit vielen Seiten.

Milliarden Menschen auf diesem Planeten brauchen Fürsorge und Unterstützung. Wünschen wir ihnen, dass jeder unserer Fortschritte ihnen auf irgendeine Art etwas von der Hilfe gibt, die sie brauchen. Vielleicht können wir nur wenigen Menschen direkt helfen, aber alle können in unsere Wünsche einbezogen werden.

Uns auf diese Weise zu motivieren, ist bekannt als »Bodhichitta hervorbringen« – das Herz des Mitgefühls, oder wie Dzigar Kongtrul Rinpoche es nennt, »die Geisteshaltung des Erwachens«. Wir schulen uns nicht nur deswegen im Dharma, um uns selbst zu helfen, sondern auch, um der Welt zu helfen.

2

Kontinuierliche Veränderung

Manche glauben, dass das Bewusstsein im Moment des Todes endet. Andere glauben, dass es fortbesteht. Einig sind sich jedoch alle darin, dass die Dinge während unserer jetzigen Lebenszeit auf jeden Fall weitergehen. Und dabei verändern sie sich unablässig. Ständig endet etwas, und ständig entsteht etwas neu. Es ist ein kontinuierlicher Prozess von Tod und Erneuerung, Tod und Erneuerung. Diese Erfahrung, die alle Lebewesen machen, wird bekanntlich als »Vergänglichkeit« oder »Unbeständigkeit« bezeichnet. Wie der Buddha betonte, ist das Betrachten der Vergänglichkeit eine der wichtigsten Kontemplationen auf dem spirituellen Weg. »Von allen Spuren sind die des Elefanten besonders herausragend«, sagte er. »Genauso ist von allen Themen der Meditation ... die Vorstellung der Vergänglichkeit unübertroffen.«

Die Vergänglichkeit zu betrachten ist der perfekte Weg in die Bardo-Lehren und in die Lehren über den Tod insgesamt. Denn dass sich alles kontinuierlich verändert, ist im Vergleich zu diesen schwierigeren Themen leicht zu erkennen und zu verstehen. Die Jahreszeiten, die Tage, die Stunden des Tages ändern sich. Wir selbst wandeln uns die ganze Zeit und erleben von einem Augenblick zum nächsten viele Veränderungen. Das geschieht überall um uns herum und in uns, rund um die Uhr, ohne auch nur einen Augenblick aufzuhören.

Doch aus irgendeinem Grund verstehen wir das nicht ganz. Wir verhalten uns tendenziell so, als wären die Dinge fester gefügt, als sie es tatsächlich sind. Wir haben die Illusion, dass das Leben so bleibt, wie es jetzt ist. Ein anschauliches Beispiel aus jüngster Zeit ist die Coronapandemie. Wir hielten es für selbstverständlich, dass der Lauf der Welt sich auf eine bestimmte Weise fortsetzen würde, doch dann wurde plötzlich alles solcherart auf den Kopf gestellt, wie wir es uns nie hätten vorstellen können.  

Trotz unserer lebenslangen Erfahrung mit Veränderungen hört etwas in uns niemals auf, auf Stabilität zu beharren. Jede Veränderung, selbst eine zum Besseren, kann uns aus der Fassung bringen, weil sie unsere grundlegende Unsicherheit in Bezug auf das Leben offenlegt. Wir glauben lieber, dass wir festen Boden unter den Füßen haben, als zu erkennen, dass alles immer im Wandel begriffen ist. Eher leugnen wir die Realität des ständigen Wandels, als zu akzeptieren, wie die Dinge sind.

Auch bei unseren emotionalen Zuständen halten wir an dem Gefühl fest, sie seien dauerhaft. Ob wir uns gut oder schlecht fühlen, ob wir glücklich oder traurig, optimistisch oder pessimistisch sind – wir neigen dazu zu vergessen, dass Gefühle flüchtig sind. Es ist, als hielte uns ein Mechanismus davon ab, daran zu denken, dass alles immer im Fluss ist. Der derzeitige Zustand der Angst oder der Hochstimmung scheint dann einfach dem zu entsprechen, wie unser Leben ist. Sind wir glücklich, stellt sich Enttäuschung ein, sobald dieses gute Gefühl schwindet; und wenn wir unglücklich sind, fühlen wir uns in unangenehmen Emotionen gefangen. Ob wir uns also gut oder schlecht fühlen, unsere Illusion der Beständigkeit führt zu Problemen.

Der Buddha sprach über unsere Schwierigkeiten, die Vergänglichkeit zu akzeptieren, als er die drei Arten des Leidens lehrte. Er nannte die erste Art »das Leiden des Leidens«. Das sind die offenkundigen Qualen des Krieges, des Hungers, der furchteinflößenden Umgebung, des Missbrauchs, der Vernachlässigung, des tragischen Verlustes oder einer Reihe schwerer Krankheiten. An so etwas denken wir normalerweise, wenn wir von »Schmerz« oder »Leiden« sprechen. Menschen und Tiere, die in einer solchen Situation sind, geraten nahezu pausenlos von einem Leiden ins nächste.

Manche Menschen haben das Glück, das offenkundige Leiden des Leidens nicht zu erleben. Verglichen mit dem, was andere durchmachen, geht es ihnen in ihrem gegenwärtigen Leben recht gut. Aber es bleibt trotzdem noch das Leiden, das aus der Tatsache resultiert, dass nichts von Dauer ist. Wir freuen uns, doch die Freude wechselt sich mit Enttäuschung ab. Wir erleben Erfüllung, aber sie wechselt sich mit Langeweile ab. Wir erleben Genuss, aber er wechselt sich mit Unbehagen ab. Diese Wechsel und all die damit einhergehenden Hoffnungen und Ängste sind selbst eine große Quelle des Schmerzes.

Diese zweite Art des Leidens, die der Buddha einfach »das Leiden der Veränderung« nannte, lauert in unserem Inneren als das schmerzliche Wissen, dass wir niemals wirklich alles haben können, was wir wollen. Wir können nie ein für alle Mal erreichen, dass unser Leben so ist, wie wir es haben wollen. Nie können wir an einen Punkt gelangen, an dem wir uns immer gut fühlen. Vielleicht sind wir manchmal zufrieden und fühlen uns wohl, aber wie meine Tochter einmal sagte: »Das ist das Problem.« Weil es bei uns oft genug gut läuft, kehren wir immer wieder zu der falschen Hoffnung zurück, wir könnten es bewahren, damit es so weitergeht. Wir denken: »Wenn ich nur alles richtig mache, kann ich mich immer großartig fühlen!« Ich glaube, das ist unter anderem ein Grund für Drogenmissbrauch und all unsere anderen Abhängigkeiten. Die zugrunde liegende Sucht ist der Traum von dauerhafter Freude und Annehmlichkeit.

Alle Religionen und Weisheitstraditionen der Welt sprechen davon, dass es vergeblich ist, nach Glück zu streben und dabei auf Dinge zu setzen, die nicht von Dauer sind. Wenn wir solche Lehren hören, überraschen sie uns nicht, und eine Zeit lang haben wir vielleicht sogar das Gefühl, von ihnen überzeugt zu sein. Möglicherweise finden wir es sogar lächerlich, auf so fruchtlose Weise nach Glück zu streben. Doch sobald wir wieder an etwas Neues denken, das wir haben wollen, werfen wir all diese Weisheiten über Bord. Und dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Vergänglichkeit die brandneue Anschaffung oder Errungenschaft wieder verdirbt. Selbst wenn wir am nächsten Morgen keinen Kaffee darauf verschütten, vergeht unsere Freude nach einiger Zeit in nicht allzu ferner Zukunft.

Das klassische Beispiel ist das Verliebtsein. Anfangs ist es das größte Hochgefühl, das man sich nur vorstellen kann. Von da an kann es leicht in größte Enttäuschung umschlagen. Wenn das Hochgefühl nachlässt, müssen die Liebenden – falls sie zusammenbleiben wollen – ihre Enttäuschung überwinden und ihre Beziehung vertiefen. Viele Paare meistern diesen Übergang wunderbar, aber selbst dann ist das absolut großartige Gefühl vorbei, das zwei Menschen, die sich ineinander verlieben, anfangs haben.

Die dritte Art des Leidens, das sogenannte »alles durchdringende Leiden«, spielt sich auf einer tieferen, subtileren Ebene ab als die ersten beiden. Es handelt sich um das ständige Unbehagen, das von unserem grundlegenden Widerstand gegen das Leben, wie es wirklich ist, herrührt. Wir wünschen uns zwar festen Boden unter den Füßen, der uns Halt gibt, doch das ist einfach nicht vorgesehen. Denn in Wirklichkeit verhält es sich so: Nichts kommt jemals zum Stillstand, nicht einmal einen Augenblick. Bei genauem Hinsehen erkennen wir, dass selbst die scheinbar beständigsten Dinge sich fortwährend verändern. Alles ist in Bewegung, und wir wissen nie, in welche Richtung es geht. Wenn sich selbst Berge und Felsen auf unvorhersehbare Weise bewegen und verändern, wie könnten wir dann in irgendetwas Sicherheit finden? Dieses ständige Gefühl der Bodenlosigkeit und Unsicherheit durchdringt unauffällig jeden Augenblick unseres Lebens. Es ist das subtile Unbehagen, das sowohl dem Leiden des Leidens als auch dem Leiden der Veränderung zugrunde liegt.

Auch hier können wir wieder das Sichverlieben betrachten. Ein großer Teil des Nervenkitzels liegt darin, dass diese neue Liebe etwas Frisches in unser Leben bringt. Die ganze Welt fühlt sich frisch an. Doch die Zeit vergeht, und wir wollen, dass alles ganz genau so bleibt, wie es uns gefällt. Das ist der Zeitpunkt, an dem das alles durchdringende Leiden sein Haupt erhebt und die Flitterwochenphase zu Ende geht. Wenn das Neue und Frische nachlässt, fallen den Liebenden allmählich bestimmte Dinge auf, wie zum Beispiel, dass der oder die andere geizig oder überkritisch ist. In irgendeiner Weise wird der Schleier gelüftet, und sie ärgern sich zunehmend übereinander, einfach weil sie so sind, wie sie sind. Als Nächstes versuchen sie oft, sich gegenseitig zu verbessern und den Partner, die Partnerin zum Vorteilhaften hin zu verändern. Doch dieser Ansatz macht es nur noch schlimmer. Eine Beziehung kann nur dann wirklich funktionieren, wenn beide fähig sind, die Gegebenheiten anzunehmen und so, wie sie sind, miteinander zu arbeiten. Das bedeutet, einen Teil ihres allgemeinen Widerstands gegen das Leben, wie es ist, zu überwinden, statt auf einem Leben, wie sie es gerne hätten, zu beharren.

Oft hören wir Äußerungen wie »Keine Sorge, es wird schon alles klappen«. Ich habe so etwas immer als einen Versuch verstanden, uns zu versichern, dass die Situation schließlich entsprechend unseren Wünschen »klappen« wird. Aber sehr oft kommt es nicht so, wie wir es gerne hätten, und selbst wenn es so kommt, ist unsere Freude nur von kurzer Dauer. Und sehr häufig bekommen wir das, was wir nicht wollen. Ach, die Wechselfälle des Lebens!

Trungpa Rinpoche hatte dazu einen Spruch: »Vertraue nicht auf den Erfolg. Vertraue auf die Realität.« Zu glauben, dass es so kommen wird, wie wir wollen, heißt »auf den Erfolg vertrauen« – Erfolg zu unseren Bedingungen. Aus eigener Erfahrung wissen wir jedoch sehr genau, dass Erfolg nichts Verlässliches ist. Manchmal kommt es tatsächlich so, wie wir es uns wünschen, manchmal aber auch nicht. »Auf die Realität vertrauen« ist eine viel offenere, entspanntere Einstellung. Die Realität wird eintreten, so oder so. Darauf können wir uns verlassen. Es ist sehr tiefgreifend und gleichzeitig völlig unkompliziert. »Realität« bezieht sich auf die Dinge, wie sie sind, frei von unseren Hoffnungen und Ängsten. Mit diesem Wissen können wir offen sein für Freude und Schmerz, Erfolg und Misserfolg – was völlig im Gegensatz steht zu dem Gefühl, alles hätte sich gegen uns verschworen, wenn es mit einer Bewerbung nicht klappt, eine Liebesbeziehung nicht zustande kommt oder wir krank werden. Das ist ein radikaler Ansatz, der unserer üblichen Sichtweise völlig zuwiderläuft. Wir können sowohl für Erwünschtes als auch für Unerwünschtes offen sein. Wir wissen, dass beides sich ändern wird, so wie sich das Wetter ändert. Und wie gutes und schlechtes Wetter, so gehören auch Erfolg und Misserfolg gleichermaßen zum Leben.

Das alles durchdringende Leiden beruht auf unserem ständigen Kampf: dagegen, dass alles ganz offen ist, dass wir nie wissen, was kommt, dass unser Leben nicht festgeschrieben ist, sondern sich erst nach und nach entfaltet, und dass wir nur sehr wenig tun können, um es zu kontrollieren. Diesen Kampf spüren wir wie ein ständiges Summen der Angst im Hintergrund unseres Lebens. All das kommt daher, dass alles vergänglich ist. Alles im Universum ist im Fluss. Der feste Boden, auf dem wir gehen, verändert sich von Augenblick zu Augenblick.

Doch wie Thich Nhat Hanh gesagt hat: »Nicht die Vergänglichkeit bewirkt, dass wir leiden. Wir leiden, weil wir wollen, dass die Dinge dauerhaft sind, obwohl sie es nicht sind.«1

Wir können uns entweder weiterhin gegen die Realität sträuben oder aber lernen, zu einer anderen Sichtweise zu gelangen und das Leben als dynamisch und lebendig, als ein wunderbares Abenteuer zu sehen. Dann sind wir wirklich mit der Frische jedes Augenblicks in Kontakt, egal ob wir unseren Partner für vollkommen halten oder nicht. Wenn wir die kontinuierliche Veränderung so annehmen können, werden wir spüren, wie das Summen der Angst leiser wird und langsam, ganz langsam verklingt.

3

Eine Erinnerung, die vorübergeht

Bei einigen der von mir geleiteten Retreats rezitieren wir morgens diesen Spruch: »Wie eine Sternschnuppe, eine optische Täuschung, eine Kerzenflamme, ein Trugbild, einen Tautropfen, eine Wasserblase, einen Traum, einen Blitz, eine Wolke: So betrachte die bedingten Dharmas.« Mithilfe dieses Satzes können wir uns einprägen, dass alles vergänglich ist, damit wir uns daran gewöhnen – und damit wir lernen, uns mit der Vergänglichkeit anzufreunden. Mit »bedingten Dharmas« ist alles Entstandene gemeint: alles, was begonnen hat, sich im Wandel befindet und an einem bestimmten Punkt enden wird, mit anderen Worten: sämtliche Erscheinungen. Alles unter der Sonne hat die flüchtige Qualität eines Tautropfens oder eines Blitzes. Bei den Retreats empfehle ich den Teilnehmern, diesen Spruch auswendig zu lernen, damit sie ihn bei ihren Spaziergängen in der Umgebung und nach ihrer Heimreise für sich rezitieren und über ihn nachsinnen können.

Die Erkenntnis, dass alles vergänglich und jeder Augenblick neu ist, bedeutet, dass wir uns stets in einem Übergangszustand, einem Zwischenzustand befinden – in dem, was wir »Bardo« nennen. Vor einigen Jahren saß ich mit Anam Thubten Rinpoche, einem tibetischen Lehrer, den ich sehr bewundere, beim Mittagessen. Ich hatte eine ganze Liste voller Fragen zum Bardo und zu Aussagen des Tibetischen Totenbuchs mitgebracht. Als ich ihm meine Fragen stellte, sagte er irgendwann: »Wissen Sie, Ani Pema, wir sind immer im Bardo.« Trungpa Rinpoche hatte auch schon von dieser Auffassung gesprochen, doch ich wollte Anam Thubtens Erklärung erfahren, also sagte ich: »Na ja, Rinpoche, wir sitzen hier zusammen beim Mittagessen. Wie kann das denn der Bardo sein?«

Ich habe schon an anderer Stelle etwas zu seiner Antwort geschrieben, aber sie hat mich so beeindruckt, dass es sich meiner Ansicht nach lohnt, sie zu wiederholen: »Heute Morgen«, sagte er, »bin ich mit einem Freund in den Kunstladen gegangen, um Material zum Kalligrafieren zu besorgen. Wir haben etwas Tinte, Pinsel und Papier gekauft. Jetzt erscheint mir diese Erfahrung wie ein vergangenes Leben, ein ganzes eigenständiges Leben. Es hatte einen Anfang, der wie eine Geburt war. Anschließend hielt es eine Weile an und durchlief verschiedene Phasen: Wir sahen uns im Laden um, suchten das Material aus und bezahlten es. Dann gingen mein Freund und ich auseinander, und dieses Leben endete. Jetzt ist das alles nur noch eine Erinnerung, und ich sitze hier beim Mittagessen mit Ihnen und genieße ein weiteres Leben. Bald wird auch dieses Leben zu Ende gehen und zu einer weiteren Erinnerung werden. Und dieser Prozess der Anfänge und Enden, Geburten und Tode hört niemals auf. Er geht immer weiter und weiter, ewig.«

Wir befinden uns immer in einem Bardo, denn die Vergänglichkeit macht niemals Pause. Es gibt keinen Moment, in dem wir nicht im Übergang sind – und ob Sie es glauben oder nicht, das ist eine gute Nachricht. Die Elemente, die diesen einzigartigen Moment Ihres Lebens ausmachen, sind alle irgendwann entstanden; bald werden sie sich auflösen, und diese Erfahrung wird vorbei sein. Gerade jetzt sitzen Sie vielleicht in einem Sessel und lesen dieses Buch, oder Sie hören die Audioversion im Auto. Wo auch immer Sie sich befinden, herrscht ein bestimmtes Licht vor, Sie riechen bestimmte Gerüche und hören bestimmte Geräusche im Hintergrund. Vor einer Stunde haben Sie wahrscheinlich etwas ganz anderes getan, etwas, an das Sie sich nur teilweise erinnern können. In einer Stunde wird auch diese gegenwärtige Erfahrung eine Erinnerung sein. Wir befinden uns immer in einem Zwischenzustand – zwischen der Vergangenheit und der Zukunft, zwischen der Erinnerung an das, was vorher geschehen ist, und der kommenden Erfahrung, die bald ebenfalls eine Erinnerung sein wird.

Mein Mittagessen an jenem Tag mit Anam Thubten wird sich nie wiederholen. Selbst wenn ich ein weiteres Mal mit ihm am selben Ort zu Mittag esse und wir dieselben Speisen zu uns nehmen und über dieselben Themen sprechen, werden wir das Geschehen vom letzten Mal nie wiederholen können. Diese Stunde ist für immer vorbei.

Die kontinuierliche Veränderung zu betrachten ist eine eindrückliche Erfahrung. Es kann traurig oder beängstigend sein. Manchmal, wenn ich in einem langen Retreat bin und jeden Tag mehr oder weniger dasselbe tue, fällt mir plötzlich auf: »Heute ist schon wieder Sonntag? Wie kann das denn sein? Es war doch gerade erst Sonntag!« Ich möchte, dass die Zeit langsamer vergeht. Die Geschwindigkeit, mit der sie fortschreitet, raubt mir einfach den Atem. Dieses Gefühl ist jetzt, im Alter, besonders stark ausgeprägt. Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, war der Sommer so lang. Nun ist er in einem Wimpernschlag vorbei. Es ist gut, dieses Gefühl einsinken zu lassen; dieses verletzliche, zarte Gefühl sollten wir spüren und zulassen.

Es ist ganz natürlich, dass wir bei dem Gedanken, wie die Zeit vergeht und all unsere Erfahrungen verblassen, traurig oder ängstlich sind. Wie Trungpa Rinpoche es treffend ausdrückte, sind all unsere Erfahrungen »eine Erinnerung, die vorübergeht«. Es kann herzzerreißend sein, wenn man merkt, dass Tod und Verlust kontinuierlich stattfinden. Es kann uns erschüttern, wenn wir erkennen, dass wir uns stets in einem Zwischenraum befinden. Solche Gefühle sind jedoch kein Anzeichen dafür, dass etwas nicht in Ordnung ist. Wir brauchen sie nicht wegzuschieben. Wir brauchen sie nicht als negativ abzustempeln oder in irgendeiner Weise abzulehnen. Stattdessen können wir ein offenes Herz dafür entwickeln, dass im Zusammenhang mit Vergänglichkeit unangenehme Gefühle in uns aufkommen. Wir können lernen, mit diesen Gefühlen zu sitzen, können neugierig auf sie werden und sehen, was Verletzlichkeit uns zu geben hat. Denn genau in dieser Angst, in dieser Melancholie liegt unser mitfühlendes Herz, unsere unermessliche Weisheit, unsere Verbindung zu allen anderen Lebewesen auf diesem Planeten, von denen jedes seine jeweils eigenen Bardos durchläuft. Wenn wir präsent bleiben – bei unserer vorübergehenden Erfahrung und all dem, was die Tatsache, dass sie flüchtig ist, hervorruft –, dann kommen wir in Kontakt mit unserem mutigeren Selbst, unserer tiefsten Natur.

Eine Schülerin im Bardo-Retreat von Gampo Abbey hatte zu einem tiefgreifenden, mutigen Umgang mit dieser Art von Traurigkeit und Unbehagen gefunden. »Im Zwischenraum zu sein ist unangenehm«, sagte sie. »Es fühlt sich an wie ein Ort, an dem man nicht sein will. Ich glaube aber, dass man dennoch genau dort sein möchte. Man will einen Weg finden, damit zu leben, und das erfordert viel Mut, Entschlossenheit und Engagement.«