Die drei Versprechen. Was uns Halt gibt, wenn das Leben uns herausfordert - Pema Chödrön - E-Book

Die drei Versprechen. Was uns Halt gibt, wenn das Leben uns herausfordert E-Book

Pema Chödrön

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Beschreibung

Manchmal erscheint uns das Leben wie ein reißender, unberechenbarer Fluss, in dem wir unterzugehen drohen. Dann fallen wir in gewohnte Verhaltensweisen zurück, die meist aus Furcht und Sorge entstanden sind. Der Weisheitsschatz des Buddhismus kennt drei Versprechen, die uns lehren, direkt in den gefährlichen Fluss hineinzuspringen: furchtlos und ganz präsent zu sein, selbst in den schwierigsten Situationen unseres Lebens. In diesem Buch zeigt die berühmte buddhistische Nonne und Autorin Pema Chödrön, wie dies mithilfe der Weisheit des Buddha gelingt.

  • Zum ersten Mal als Sonderausgabe
  • Furchtlos und ganz präsent sein, selbst in den schwierigsten Situationen des Lebens mit Hilfe der Weisheit des Buddha
  • Die berührend-zeitlose Botschaft der großen buddhistischen Lehrerin (über 1 Mio. Follower) für ein Leben in Fülle, Heiterkeit und besonnenem Gleichmut
  • Weltberühmte Meditationslehrerin mit großer Social-Media-Community und regelmäßigen Online-Retreats und -Workshops.
  • Pema Chödrön war Schülerin von Chögyam Trungpa, der sie 1986 zur Leiterin von Gampo Abbey, einem tibetischen Kloster der Karma-Kagyü-Linie des Vajrayana auf der kanadischen Kap-Breton-Insel, ernannte. Damit war sie die erste Amerikanerin, die zur Leiterin eines tibetisch-buddhistischen Klosters ernannt wurde. Sie leitet Kurse, Seminare und Retreats in Europa, Australien und den Vereinigten Staaten. In ihren Büchern versucht sie zumeist anhand von Alltagssituationen die buddhistische Lehre darzustellen. Dabei orientiert sie sich maßgeblich an Atishas „Losungen zur Geistesschulung“ (Lojong). Pema Chödrön hat zwei Kinder und drei Enkelkinder
  • »Das einzig Beständige ist der Wandel.« Pema Chödrön
  • »Wenn niemand damit anfängt, etwas Harmonie zu schaffen, werden wir niemals in der Lage sein, in dieser Welt ein gesundes geistiges Klima zu entfalten.« (Chögyam Trungpa Rinpoche)

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PEMA CHÖDRÖN

Die 3 Versprechen

WAS UNS HALT GIBT, WENN DAS LEBEN UNS HERAUSFORDERT

Aus dem Amerikanischen

von Susanne Kahn-Ackermann

Titel der amerikanischen Originalausgabe: Living Beautifully With Uncertainty and Change, erschienen 2012 bei Shambhala Publications Inc., Boulder.

Auf Deutsch erstmals 2014 bei Arkana in der Penguin Random House Verlagsgruppe, München. © 2012 by Pema Chödrön Published by arrangement with Shambhala Publications, Inc., Boulder, USA

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© dieser Ausgabe 2024 by Anaconda Verlag,

einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

© der deutschen Übersetzung 2014 by Arkana, Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH

Alle Rechte vorbehalten.

Covergestaltung: Uno Werbeagentur, München

Covermotiv: FinePic®

Satz und Layout: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN 978-3-641-12334-5

www.anaconda-verlag.de

Mögen die Bestrebungen

von Chögyam Trungpa Rinpoche

des Druk Sakyong

des Dorje Dradül von Mukpo

sich rasch erfüllen

Inhalt

Vorwort

Der Überblick

1.Die grundlegende Ungewissheit und Vieldeutigkeit menschlicher Existenz

2.Leben ohne die Story

Das 1. Versprechen

Das Versprechen, keinen Schaden zuzufügen

3.Das Fundament legen

4.Sei vollkommen präsent, fühl dein Herz und spring

5.In der Mitte bleiben

Das 2. Versprechen

Das Versprechen, füreinander Sorge zu tragen

6.Außerhalb unserer Komfortzone

7.Schmerz einatmen, Befreiung ausatmen

8.Der Katalysator für Mitgefühl

Das 3. Versprechen

Das Versprechen, die Welt anzunehmen, so wie sie ist

9.Kein Ort, sich zu verstecken, nirgends

10.Erwachen auf der Leichenstätte

Schlussworte

11.Wir werden gebraucht

Dank

Literatur

Vorwort

Die hier präsentierten Lehren wurden 2009 in Gampo Abbey gegeben, einem tibetisch buddhistischen Kloster in Cape Breton, Nova Scotia. Sie fanden im Rahmen eines sechswöchigen Winter-Retreats statt (bekannt als Yarne) und gründen sich in lockerer Form auf traditionelles buddhistisches Material, das sich mit den sogenannten »Drei Gelübden« befasst: dem Pratimoksha-, dem Bodhisattva- und dem Samaya-Gelübde.

Dieses Material wird üblicherweise mit dem Verständnis dargeboten, dass die Gelübde formell im Beisein eines Lehrers geleistet werden. Als Erstes das Pratimoksha-, dem später das Bodhisattva-Gelübde folgt. Entschließen sich der Schüler oder die Schülerin zum engen Arbeiten mit einem Vajrayana-Meister, nehmen sie schließlich das Samaya-Gelübde.

Hier habe ich mich dazu entschieden, die Gelübde allgemeiner zu beschreiben und sie in Form von »Drei Versprechen« zu präsentieren, die Angehörige aller Religionen eingehen können wie auch Leser, die sich zu keiner Religion bekennen. Wir bekommen so eine Methode für den Umgang mit der unbeständigen, sich ewig wandelnden Natur unserer Lebenserfahrungen und eine Möglichkeit, unsere Alltagserfahrungen zu nutzen, um aufzuwachen, munter zu werden, die Stimmung aufzuhellen, uns anderer Wesen bewusster zu werden und liebevoller mit ihnen umzugehen.

Möge diese zugegeben unkonventionelle Herangehensweise an eine traditionsgebundene Thematik für alle hilfreich und ermutigend sein. Und möge es bei manchen vielleicht die Neugier auf die traditionelle Methode wecken und sie diese Gelübde als Bestandteil der buddhistischen Reise zur Erleuchtung nehmen lassen.

Pema Chödrön

Der Überblick

Das Leben ist eine Form von nicht sicher sein, nicht wissen, wie oder was als Nächstes geschehen wird. ImMoment, in dem du weißt, wie, fängst du an, einbisschen zu sterben. Künstler wissen nie zur Gänze. Vielleicht befinden wir uns im Irrtum, aber wir machen einen Sprung nach dem anderen im Dunkeln.

AGNESDEMILLE

1~ Die grundlegende Ungewissheit und Vieldeutigkeit menschlicher Existenz

Das Leben gleicht einem Boot,

das gerade ausläuft und schon sinkt.

SHUNRYU SUZUKI ROSHI

Uns allen ist die Neigung gemeinsam, schleunigst in Richtung Sicherheit zu drängen, sobald wir merken, dass um uns herum alles im Fluss ist. Und in schwierigen Zeiten scheint sich der Stress des Bemühens um festen Boden unter den Füßen– um etwas Vorhersehbares und Sicheres, das uns Halt gibt– noch zu erhöhen. Doch die Wahrheit ist, dass unsere Existenz sich von Natur aus im ewigen Fluss befindet. Alles ändert sich fortwährend, ob wir uns dessen nun bewusst sind oder nicht.

Was für eine missliche Lage! Wir scheinen zum Leiden verdammt zu sein, einfach deshalb, weil wir eine tiefsitzende Angst vor der wirklichen Existenzweise der Dinge haben. Unsere Versuche, dauerhaftes Vergnügen und permanente Sicherheit zu finden, stehen im Widerspruch zur Tatsache, dass wir Teil eines dynamischen Systems sind, in dem sich alles und jedes im ständigen Veränderungsprozess befindet.

Das also ist die Situation, in der wir stecken– mitten in einem Dilemma. Und damit sehen wir uns vor ein paar provokative Fragen gestellt: Wie können wir angesichts dieser Vergänglichkeit, im Wissen, dass wir eines Tages sterben werden, rückhaltlos und voll und ganz leben? Was heißt es, sich darüber im Klaren zu sein, dass wir nie alles irgendwann perfekt auf die Reihe kriegen werden? Können wir gegenüber Instabilität und Veränderung eine tolerantere Haltung einnehmen? Wie können wir uns mit der Unvorhersehbarkeit und Ungewissheit anfreunden– und sie als »Vehikel« zur Transformation unseres Lebens willkommen heißen?

Der Buddha bezeichnete die Vergänglichkeit als eines der drei Zeichen unserer Existenz, als Merkmal der Wirklichkeit und unbestreitbare Tatsache des Lebens. Aber wir scheinen uns ziemlich stark dagegen zu wehren. Wir meinen, dass wir irgendwie zu einem sicheren, verlässlichen, kontrollierbaren Dasein gelangten, wenn wir nur dies oder jenes täten. Und wie enttäuscht sind wir dann, wenn die Dinge sich nicht ganz so entwickeln, wie wir es geplant hatten!

Vor Kurzem fand ich in einem Interview mit dem Kriegskorrespondenten Chris Hedges eine Redewendung, die mir eine perfekte Beschreibung unserer Situation zu sein schien. Er sprach von der »moralischen Ambiguität menschlicher Existenz«. Dies bezieht sich meiner Ansicht nach auf eine grundlegende Wahl, vor die wir uns alle gestellt sehen: Sollen wir uns an die falsche Sicherheit unserer fixen Ideen und gruppenbedingten Anschauungen klammern, obwohl sie uns nur momentane Befriedigung einbringen, oder sollen wir unsere Angst überwinden und ins Leben eines authentischen Daseins springen? Dieses Wort von der »moralischen Ambiguität menschlicher Existenz« fand in mir tiefen Widerhall, weil es ein Thema berührt, das ich seit Jahren erforsche: Wie können wir uns entspannen und eine echte, leidenschaftliche Beziehung zur grundlegenden Ungewissheit, zur Bodenlosigkeit menschlichen Daseins haben?

Mein erster Lehrer, Chögyam Trungpa, sprach viel über die mit der menschlichen Existenz verbundene fundamentale Angst und Sorge. Eine von Furcht erfüllte Besorgnis oder ein Unbehagen angesichts der Vergänglichkeit, die nicht nur einige Einzelne befällt; es ist ein alles durchdringender, den Menschen gemeinsamer Zustand. Aber was wäre, wenn wir uns von dieser Ungewissheit, dieser Unsicherheit des Lebens, nicht entmutigen ließen, sondern sie stattdessen akzeptierten und uns in sie hinein entspannten? Was, wenn wir sagten: »Ja, so ist es; das bedeutet es, ein Mensch zu sein«, und uns entschlössen, uns hinzusetzen und die Fahrt zu genießen?

Glücklicherweise gab der Buddha viele Anleitungen, wie man genau das tut. Darunter die Unterweisungen zu dem, was in der tibetisch buddhistischen Tradition als die »Drei Gelübde« oder »Drei Verpflichtungen« bekannt ist. Hierbei handelt es sich um drei Methoden, die chaotische, instabile, dynamische, herausfordernde Natur unserer Situation als Weg zum Erwachen anzunehmen und sich anzueignen. Das Pratimoksha-Gelübde, wie es traditionellerweise genannt wird, ist das erste dieser Versprechen und die Grundlage der individuellen Befreiung. Es bedeutet, dass wir geloben, unser Bestes zu tun, um mit unseren Handlungen, Worten oder Gedanken keinen Schaden anzurichten und gut zueinander zu sein. Es gibt eine Struktur vor, innerhalb deren wir lernen, mit unseren Gedanken und Emotionen zu arbeiten und darauf zu verzichten, dass wir aus der Verwirrung heraus handeln oder sprechen. Der nächste Schritt dahin, dass wir uns mit der Bodenlosigkeit wohlfühlen, ist das Versprechen, anderen zu helfen. Traditionell »Bodhisattva-Gelübde« genannt, versprechen wir hier, unser Herz sowie unseren Geist offenzuhalten und unser Mitgefühl zu nähren, indem wir das Leiden der Welt zu lindern bestrebt sind. Das Samaya-Gelübde ist das letzte der Drei Versprechen. Es bedeutet den Entschluss, die Welt unvoreingenommen so anzunehmen, wie sie ist. Es ist das Versprechen, alles, was uns begegnet– Schlechtes und Gutes, Angenehmes und Schmerzliches–, als Manifestation erwachter Energie anzusehen. Alles und jedes als Mittel zu betrachten, durch das wir noch weiter erwachen können.

Aber was bedeutet diese mit der menschlichen Existenz verbundene grundlegende Ungewissheit und Vieldeutigkeit für unser Alltagsleben? Vor allem die Einsicht, dass sich alles verändert? Shantideva, ein buddhistischer Meister des achten Jahrhunderts, schrieb in dem Sanskrit-Werk Bodhicaryāvatāra:

Ähnlich den Erlebnissen in einem Traum:

Welche Erscheinungen und Erfahrungen auch immer–

sie verwandeln sich in eine Erinnerung,

und alles Vergangene kann nicht wieder gesehen werden.

Ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht, der Boden unter unseren Füßen verändert sich fortwährend. Nichts ist von Dauer, und auch wir sind es nicht. Vermutlich sind nur sehr wenige Menschen immer und überall von der Vorstellung an ihren Tod erfüllt, jedoch gibt es eine Menge Hinweise darauf, dass uns der Gedanke »Ich werde sterben« immer wieder heimsucht. »Dass ich wie ein Durchreisender bin, habe ich nicht erkannt«, schreibt Shantideva.

Wie also fühlt man sich in diesem Zustand der Ungewissheit und der Bodenlosigkeit? Zum einen greifen wir nach allerlei Vergnügungen und versuchen, den Schmerz zu vermeiden, pendeln aber trotz all unserer Bemühungen immer zwischen beidem hin und her. Im Bann der Illusion, dass konstante Sicherheit und stetes Wohlbefinden der Idealzustand sind, unternehmen wir alles Mögliche bei unseren Versuchen, diesen Zustand zu erreichen: essen, trinken, Drogen, zu viel arbeiten, Stunden im Internet oder vor dem Fernseher. Aber irgendwie gelangen wir nie an das erstrebte Ziel. Manchmal fühlen wir uns gut: Uns tut nichts weh, und es plagen uns keine trüben Gedanken. Dann ändert sich das plötzlich, und uns überfallen körperlicher Schmerz oder Angst und Besorgnis. Man könnte grafisch darstellen, wie Lust und Schmerz sich in unserem Leben Stunde um Stunde, Tag um Tag, jahrein, jahraus abwechseln, mal herrscht das eine, dann das andere vor.

Aber nicht die Vergänglichkeit an sich und auch noch nicht einmal das Wissen, dass wir sterben werden, sind die Ursache unseres Leidens, lehrte der Buddha. Vielmehr ist es unser Widerstand gegen die grundlegende Unsicherheit unserer Situation. Das Unbehagen resultiert aus all unseren Bemühungen, Boden unter die Füße zu kriegen und unseren Traum zu verwirklichen, dass permanent alles in Ordnung sein müsste. Widersetzen wir uns der Veränderung, nennt man das Leiden. Aber wenn wir vollständig loslassen können und nicht gegen sie ankämpfen, wenn wir die Bodenlosigkeit unserer Situation annehmen und uns in ihre Dynamik hinein entspannen können, dann nennt man das Erleuchtung oder Erwachen zu unserer wahren Natur, zu unserem grundlegendem Gutsein. Ein anderes Wort dafür ist »Freiheit«– das Freisein vom Kämpfen gegen die grundlegende Ambiguität unserer menschlichen Existenz.

Diese mit der menschlichen Existenz verbundene grundlegende Ungewissheit und Vieldeutigkeit verweist darauf, dass wir, so gern wir es auch wollten, nie behaupten können: »Das ist der einzig wahre Weg. So ist es. Ende der Diskussion.« Chris Hedges sprach in seinem Interview auch vom Schmerz als Reaktion auf das Beharren einer Gruppe oder Religionsgemeinschaft darauf, dass ihre Anschauung die einzig wahre wäre. Auch der Einzelne zeigt eine Menge fundamentalistischer Tendenzen. Wir nutzen sie für den eigenen Trost. Wir grapschen nach einer Position oder Religion zur eingängigen Erklärung der Realität und sind nicht bereit, Ungewissheit und Unbequemlichkeit zu dulden und für andere Möglichkeiten offen zu sein. Wir klammern uns an einen Standpunkt als unsere persönliche Plattform und werden dabei sehr dogmatisch.

Diese Tendenz zum Fundamentalismus und Dogmatismus wurzelt in einer fixen Identität– einer festgefügten Meinung über uns selbst als gut oder schlecht, würdig oder unwürdig, dies oder das. Die starre Identität hat zur Folge, dass wir die Realität umgestalten zu müssen glauben, da sie sich nicht immer mit unserer Anschauung deckt.

Als ich zum ersten Mal nach Gampo Abbey kam, hielt ich mich für eine liebenswerte, flexible, offenherzige und aufgeschlossene Zeitgenossin. Das stimmte zum Teil, zum Teil aber auch nicht. Zum einen war ich als Direktorin schrecklich. Die anderen fühlten sich durch mich entmachtet. Sie haben mich wiederholt auf meine Mängel hingewiesen, aber ich hörte nicht, was sie sagten, weil meine Identität so stark festgelegt war. Wann immer neue Leute kamen, um in der Abbey zu leben, erhielt ich das gleiche negative Feedback, aber ich wollte es immer noch nicht hören. Das ging ein paar Jahre so weiter. Und dann, eines Tages, als hätten sich alle zusammengerottet und eine Intervention inszeniert, hörte ich schließlich, was mir alle über mein Verhalten und seine Auswirkungen auf meine Mitmenschen hatten sagen wollen. Die Botschaft war endlich bis zu mir durchgedrungen.

Das ist gemeint, wenn es heißt, dass man sich der Realität verschließt: Was nicht in deine festgelegte Identität passt, das hörst du nicht. Selbst Positives– anerkennende Äußerungen wie »Du bist sehr freundlich«, »Das hast du großartig gemacht« oder »Du hast einen so wunderbaren Sinn für Humor«– durchläuft den Filter der festgelegten Identität. Du wirst es nicht aufnehmen und annehmen, wenn es nicht schon Bestandteil deiner Selbstdefinition ist.

Im Buddhismus nennen wir diese Vorstellung von einer festgelegten Identität »Ego-Anhaftung«. Sie ist unser Versuch, in einer sich ständig wandelnden Welt festen Boden unter die Füße zu bekommen. Die Meditationspraxis beginnt diese festgefügte Identität auszuhöhlen. Beim Sitzen sehen wir uns nach und nach mit größerer Klarheit und merken, wie stark wir unseren Meinungen und Ansichten über uns selbst verhaftet sind. Der erste Schlag gegen diese festgelegte Identität wird oftmals durch eine Krise ausgelöst. Wenn das Gefüge in deinem Leben auseinanderzufallen beginnt, so wie es bei mir der Fall war, als ich nach Gampo Abbey kam, dann hast du das Gefühl, dass die ganze Welt in sich zusammenbricht. Aber es ist nur deine festgelegte Identität, die hier zerbröckelt. Doch das ist ein Grund zum Feiern, wie uns Chögyam Trungpa zu sagen pflegte.

Ziel und Zweck des spirituellen Pfades ist, dass wir unsere Masken abnehmen, unsere Rüstung ablegen. Was dann geschieht, empfindet man als Krise, weil es eine Krise ist– eine Krise der festgelegten Identität. Der Buddha lehrte, dass die festgelegte Identität die Ursache unseres Leidens ist. Blicken wir tiefer, könnten wir sagen, dass die wirkliche Ursache unseres Leidens unsere Unfähigkeit ist, die Unsicherheit auszuhalten– ebenso wie der Gedanke, dass es absolut vernünftig und völlig normal ist, sich der fundamentalen Bodenlosigkeit unserer menschlichen Existenz zu verweigern.

Die Ego-Anhaftung ist unsere Verweigerungsmethode. Haben wir erst einmal die fixe Vorstellung »Das bin ich«, sehen wir alles als Bedrohung oder als Versprechen an– oder als etwas, worum wir uns nicht kümmern müssen. Abhängig davon, wie stark die Bedrohung für unser Selbstbild ist, fühlen wir uns von allem entweder angezogen oder abgestoßen– oder stehen ihm indifferent gegenüber. Die festgelegte Identität ist unsere falsche Sicherheit. Wir bewahren sie, indem wir alle unsere Erfahrungen durch den Filter dieser Sichtweise schicken. Wenn wir jemanden mögen, dann im Allgemeinen deshalb, weil er uns ein gutes Selbstgefühl gibt. Sie vermasseln uns nicht unseren Trip, kratzen nicht an unserer festgelegten Identität, also sind wir Kumpel. Wenn wir eine Person nicht mögen– sie nicht auf unserer Wellenlänge liegt und wir nicht mit ihr zusammen sein mögen–, dann im Allgemeinen deshalb, weil sie unsere festgelegte Identität infrage stellt. Uns wird es in ihrer Gegenwart unbehaglich, weil sie uns nicht so bestätigt, wie wir es gern hätten, und wir uns nicht so verhalten können, wie wir uns verhalten wollen. Oft betrachten wir die Leute, die wir nicht mögen, als unsere Feinde, tatsächlich aber sind sie für uns überaus wichtig. Sie sind unsere größten Lehrer: Besondere Boten, die genau dann auftauchen, wenn wir sie brauchen, um uns auf unsere festgelegte Identität hinzuweisen.

Das mit der Bodenlosigkeit und der grundlegenden Ambiguität unserer menschlichen Existenz verbundene Unbehagen entspringt unserem Haften am Wunsch, dass die Existenz der Dinge einer bestimmten Art und Weise entsprechen soll. Das tibetische Wort für »Anhaftung« ist shenpa. Mein Lehrer Dzigar Kongtrül bezeichnet shenpa als das Barometer der Ego-Anhaftung, als Messgröße dafür, wie sehr wir mit uns selbst beschäftigt sind und wie wichtig wir uns nehmen. Wenn wir nach etwas greifen oder umgekehrt von uns wegstoßen, dann meint shenpa die damit verbundene emotionale Komponente. Es ist das Gefühl »Ich mag, ich will, ich brauche« und »Ich mag nicht, ich will nicht, ich brauche nicht, ich möchte, dass es verschwindet«. Für mich verbindet shenpa sich mit der Vorstellung, festgehakt zu sein. Es ist dieses Gefühl festzustecken, dieses innerliche Engerwerden, Sichverschließen oder -zurückziehen, das wir erleben, wenn wir uns mit dem Geschehen nicht wohlfühlen. Shenpa meint auch den Drang, sich von diesen Gefühlen zu befreien, indem wir uns an etwas klammern, was uns Vergnügen bereitet.

Alles Mögliche kann unser Klammern und Anhaften auslösen: Jemand kritisiert unsere Arbeit oder schaut uns schief an, der Hund kaut an unseren Lieblingsschuhen, oder wir bekleckern unsere beste Krawatte. Wir fühlen uns gerade rundum wohl, dann passiert irgendetwas, und plötzlich steigern wir uns in Wut oder Eifersucht hinein, verstricken uns in ein Geflecht der Beschuldigung und Gegenbeschuldigung oder bleiben im Selbstzweifel stecken. Dieses Unbehagen, dieses Gefühl, dass »auf unsere Knöpfe gedrückt wird«, weil die Dinge nicht »richtig« sind, weil wir wollen, dass sie länger dauern oder verschwinden, ist die gefühlte Erfahrung, das emotionale Erleben der grundlegenden Ambiguität unserer menschlichen Existenz.

Unser Anhaften, unser shenpa– unsere routinemäßige Reaktion auf das Gefühl von Unsicherheit–, kommt meist unwillkürlich auf. Wenn wir festgehakt sind, tun wir alles, um uns von diesem Unbehagen zu befreien– wir wenden uns kompensatorisch dem Essen, Alkohol, Sex oder Konsum zu, kritteln herum oder sind unfreundlich. Wir können jedoch etwas Besseres tun, wenn uns diese Nervosität und Angespanntheit überkommen. Und ähnlich können wir auch beim Schmerz verfahren. Die Achtsamkeitsmeditation ist eine beliebte Methode im Umgang mit körperlichem Schmerz. Zu ihr gehört es, dass wir unsere volle Aufmerksamkeit auf den Schmerz richten und in die Stelle hineinatmen, die wehtut, und dort wieder ausatmen. Statt den Versuch zu unternehmen, dem Unbehagen auszuweichen, öffnen wir uns ihm voll und ganz. Wir werden für die Empfindung von Schmerz empfänglich, ohne bei der Geschichte zu verweilen, die sich unser Geist dabei zusammenspinnt: »Das ist schlecht«, »So sollte ich mich nicht fühlen«, »Vielleicht geht es nie wieder weg«…

Wenn Sie das Shenpa-Gefühl aufziehen spüren, dass Sie aufgebracht und aufgeregt werden, ist die Grundanleitung dieselbe wie beim Umgang mit körperlichem Schmerz. Gleich, ob es sich um Vorlieben oder Abneigungen handelt oder um einen emotionalen Zustand wie Einsamkeit, Depression oder Besorgnis, öffnen Sie sich für die Empfindung voll und ganz und möglichst frei von jeglicher Interpretation. Wenn Sie diese Herangehensweise schon bei körperlichem Schmerz ausprobiert haben, dann wissen Sie, dass das Ergebnis wunderbar sein kann. Indem Sie Ihre ganze Aufmerksamkeit auf Ihr Knie, Ihren Rücken oder Ihren Kopf richten, auf Wertungen verzichten und den Schmerz direkt erfahren, und sei es auch nur kurz, dann werden sich Ihre Vorstellungen vom Schmerz und oftmals auch der Schmerz selbst auflösen.

Shantideva sagte, dass das erfahrene Erleiden körperlichen Schmerzes gänzlich konzeptueller Natur ist. Es entsteht nicht aus der Empfindung selbst, sondern daraus, wie wir sie betrachten. Er führte das Beispiel der Karna an, einer Sekte im alten Indien, deren Mitglieder sich als Bestandteil ihrer rituellen Praxis Brand- und Schnittwunden zufügten. Sie assoziierten den extremen Schmerz mit spiritueller Ekstase, der so für sie eine positive Bedeutung bekam. Viele Sportler erleben etwas Ähnliches, wenn sich das brennende Gefühl in ihren Muskeln bemerkbar macht. Grundsätzlich ist die Körperempfindung weder gut noch schlecht, erst unsere Interpretation macht sie dazu.

Das erinnert mich an eine Begebenheit, die sich zutrug, als mein waghalsiger Sohn an die zwölf Jahre alt war. Wir standen auf einer winzigen Plattform am Bug eines großen Schiffes– so ähnlich wie Leonardo DiCaprio und Kate Winslet im Film »Titanic«–, und ich fing an, ihm mein Gefühl von Höhenangst zu beschreiben. Ich sagte, dass ich nicht sicher sei, dort stehen bleiben zu können, dass ich alle möglichen Körperempfindungen hatte und meine Beine wacklig wurden. Ich werde nie seinen Gesichtsausdruck vergessen, als er erwiderte: »Mama, genau das fühle ich auch!« Der Unterschied war nur, dass er dieses Gefühl genoss. Alle meine Nichten und Neffen sind Bungeespringer und Hobbyhöhlenforscher, und sie genießen Abenteuer, die ich unter allen Umständen meide, weil ich eine Abneigung gegen das Gefühl habe, das für sie einen positiven Nervenkitzel bedeutet.

Aber es gibt eine Herangehensweise an die grundlegende Ambiguität unserer menschlichen Existenz, die uns gestattet, mit Gefühlen wie Angst oder Abneigung zu arbeiten, statt sich von ihnen zurückzuziehen. Wenn wir mit der Empfindung an sich in Kontakt kommen und uns für sie öffnen können, ohne sie als gut oder schlecht zu bewerten, können wir sogar auch dann, wenn es uns zum Rückzug drängt, dennoch präsent bleiben und in das Gefühl oder die Empfindung vordringen.

Die Hirnforscherin Jill Bolte Taylor erläutert in ihrem Buch Mit einem Schlag, in dem sie ihre Genesung von einem massiven Schlaganfall schildert, die sich bei einer Emotion abspielenden physiologischen Mechanismen: Eine Emotion wie zum Beispiel die Wut ist eine automatische Reaktion, die vom Moment ihrer Auslösung bis zum Ende ihres natürlichen Ablaufs nur neunzig Sekunden lang andauert. Nur eineinhalb Minuten, das ist alles. Wenn sie länger anhält, was gewöhnlich der Fall ist, dann geschieht das deswegen, weil wir uns dazu entschieden haben, sie wieder zu entfachen.

Wir könnten uns die Tatsache zunutze machen, dass unsere Emotionen veränderlicher, wandelbarer Natur sind. Aber tun wir das? Nein. Stattdessen befeuern wir eine Emotion, sobald sie aufkommt, mit unseren Gedanken, und was an sich nur eineinhalb Minuten dauern sollte, wird möglicherweise auf zehn oder zwanzig Jahre ausgedehnt. Wir recyceln die Story einfach immer wieder. Wir bestärken immer wieder unsere alten Gewohnheiten.

Wohl jeder kennt körperliche oder mentale Zustände, die uns in der Vergangenheit Kummer und Schmerz bereitet haben. Und wenn wir merken, dass ein solcher Zustand im Anmarsch ist– ein bevorstehender Asthmaanfall, ein Symptom chronischer Erschöpfung, ein plötzlich einsetzendes Angstgefühl–, geraten wir in Panik. Statt dass wir uns in das Gefühl hinein entspannen und es seine eineinhalb Minuten durchziehen lassen, während wir ganz und gar offen und empfänglich dafür sind, sagen oder denken wir etwas wie: »O nein, o nein, da ist es ja schon wieder!« Wir weigern uns, die grundlegende Ambiguität zu fühlen, wenn sie in dieser Form eintritt, und tun stattdessen das, was für uns am nachteiligsten ist: Wir bringen unsere Gedanken darüber auf Hochtouren: »Was, wenn dies passiert? Was, wenn das passiert?« Wir wirbeln eine Menge mentale Aktivität auf. Körper, Sprache und Geist sind damit befasst, vor dem Gefühl davonzurennen, was es aber umso mehr am Laufen hält.

Wir treten dieser Reaktion entgegen, indem wir das Präsentsein trainieren. Eine Frau, die mit Jill B. Taylors beobachteter Dauer einer Emotion vertraut war, schilderte mir in einem Brief, was sie tut, wenn das Gefühl von Beunruhigung in ihr aufkommt. »Ich mach einfach das Eineinhalb-Minuten-Ding«, schrieb sie.

Das ist eine gute Praxisanweisung: Wenn Sie mit derBodenlosigkeit in Kontakt kommen, besteht eine Methode im Umgang mit diesem nervösen, mulmigen Gefühl darin, dass Sie das »Eineinhalb-Minuten-Ding machen«:

Erkennen Sie das Gefühl an, richten Sie Ihre ganze mitfühlende, ja sogar willkommen heißende Aufmerksamkeit darauf, und sei es auch nur ein paar Sekunden lang, lassen Sie die mit dem Gefühl verbundene Story fallen. Das erlaubt Ihnen, das Gefühl direkt und unmittelbar zu erfahren, frei von jeglicher Interpretation. Nähren Sie es nicht mit Konzepten oder Meinungen darüber, ob es gut oder schlecht ist. Bleiben Sie einfach bei der Empfindung. Wo in Ihrem Körper ist sie angesiedelt? Bleibt siesehr lange immer gleich? Verlagert, verändert oder wandelt sie sich?

Ego oder festgelegte Identität, das bedeutet nicht nur einfach, dass wir eine fixe Vorstellung von uns selbst haben, sondern auch von allem, was wir wahrnehmen. Ich habe eine vorgefasste Meinung über dich, und du hast eine über mich. Und wenn erst einmal dieses Gefühl da ist, alles sei voneinander getrennt, kommen heftige Emotionen hoch. Im Buddhismus sind so starke Emotionen wie Wut, Begehren, Stolz und Eifersucht alskleshas bekannt– widersprüchliche Emotionen, die denGeist vernebeln und verschleiern. Die kleshas sind unser Vehikel für die Flucht vor der Bodenlosigkeit, und deshalb werden mit jedem Mal, das wir ihnen nachgeben, unsere bereits bestehenden Gewohnheiten verstärkt. Dieses ewig erneute Im-Kreis-Drehen, diese endlose Wiederanwendung derselben Muster, nennt man im Buddhismus »Samsara«. Und Samsara ist mit Schmerz gleichzusetzen.