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Ein wirkungsvoller Weg aus dem quälenden Gedankenkarussell
Was können wir tun, um glücklich und in Frieden zu leben? Sind wir nicht alle gespalten in positive und destruktive Wesensanteile? Pema Chödrön, die wohl populärste Lehrerin des tibetischen Buddhismus, lädt uns ein zu wählen, welche Anteile wir in uns fördern möchten, und fordert uns auf, uns bewusst mit Ängsten und unseren negativen Denkgewohnheiten auseinanderzusetzen. Dazu bietet sie Übungen an, die auch ohne Meditationspraxis durchgeführt werden können. Wir lernen, den Alltag als unseren Lehrer zu betrachten. Die tägliche Erfahrung wird zu einem Übungsfeld, in dem wir unsere natürliche Wärme, Offenheit und Intelligenz freilegen können.
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Seitenzahl: 121
Pema Chödrön
Den Sprung wagen
Wie wir uns von destruktiven Gewohnheiten und Ängsten befreien
Aus dem Amerikanischen vonMargaraethe Randow-Tesch
Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel »Taking the Leap. Freeing Ourselves from Old Habits and Fears« bei Shambhala Publications Inc.
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Deutsche Erstausgabe
© 2010 der deutschsprachigen Ausgabe
Arkana, München in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München © 2009 der Originalausgabe Pema Chödrön By arrangement with Shambhala Publications, Inc., Boulder Lektorat: Gerhard JuckoffCovergestaltung: UNO Werbeagentur GmbHCovermotiv: Übern. vom Originalverlag Shamabala/Sprungbrett (c) Antonio Garcia CerveraSatz: Fotosatz Reinhard Amann, Aichstetten
ISBN: 978-3-641-04510-4V003
www.arkana-verlag.de
www.penguinrandomhouse.de
Dieses Buch ist dem langen LebenSeiner Heiligkeit, des 17. Karmapa UgyenTrinley Dorje, und des verehrungswürdigenDzigar Kongtrül Rinpoche gewidmet.
Wir Menschen haben das Potenzial, alte Gewohnheiten abzulegen, einander zu lieben und füreinander da zu sein. Wir haben die Fähigkeit, aufzuwachen und bewusst zu leben, aber wie Sie vielleicht festgestellt haben, haben wir auch die starke Neigung, weiterzuschlafen. Es ist, als stünden wir ständig an einer Kreuzung und müssten uns für den Weg entscheiden, den wir einschlagen wollen. Augenblick für Augenblick haben wir die Wahl, uns einer größeren Klarheit und dem Glück oder der Verwirrung und dem Schmerz zu nähern.
Um eine weise Wahl zu treffen, wenden sich viele Menschen spirituellen Wegen unterschiedlichster Art zu, weil sie auf diese Weise ihr Leben leichter gestalten und die Kraft zur Bewältigung ihrer Schwierigkeiten erlangen wollen. Doch in der heutigen Zeit scheint es angebracht, auch den größeren Zusammenhang im Auge zu behalten, wenn wir Entscheidungen im Hinblick darauf fällen, wie wir leben wollen. Damit meine ich unsere geliebte Erde und den kritischen Zustand, in dem sie sich befindet.
Viele Menschen betrachten eine spirituelle Übungspraxis als Methode, sich zu entspannen und Geistesfrieden zu finden. Sie wollen ruhiger und gesammelter werden; und wer könnte ihnen das angesichts unseres hektischen Lebens voller Stress verdenken? Dennoch haben wir die Verantwortung, heutzutage in größeren Maßstäben zu denken. Wenn uns die spirituelle Übung entspannt, wenn sie uns Geistesfrieden schenkt, ist das wunderbar. Aber verhilft uns diese persönliche Befriedigung auch dazu, die Probleme in der Welt anzugehen? Wir müssen uns fragen, ob wir auf eine Weise leben, die dem Bestehenden noch weitere Aggression und Selbstsucht beifügt, oder ob wir etwas von der bitter benötigten Vernunft dazutun.
Viele Menschen sind tief besorgt um den Zustand der Welt. Ich weiß, wie aufrichtig sie sich wünschen, dass sich etwas ändert und alle Wesen auf dem Erdball frei von Leiden werden. Haben wir jedoch, wenn wir ehrlich mit uns selbst sind, überhaupt eine Ahnung, wie wir dieses hohe Bestreben in unserem eigenen Leben in die Praxis umsetzen können? Ist uns überhaupt klar, dass unsere Worte und Taten möglicherweise Leiden erzeugen? Und wissen wir, selbst wenn wir erkennen, dass wir Unheil anrichten, wie wir damit aufhören können? Das waren von jeher wichtige Fragen, aber sie sind es besonders heutzutage. Wir leben in einer Zeit, in der bei unserer Befreiung mehr als nur unser persönliches Glück auf dem Spiel steht. An uns selbst zu arbeiten und unser Denken und Fühlen bewusster wahrzunehmen ist möglicherweise der einzige Weg, um Lösungen zu finden, die das Wohlergehen aller Wesen und das Überleben des Planeten selbst mit einschließen.
Eine Geschichte, die einige Tage nach den Attentaten vom 11. September 2001 von Mund zu Mund ging, veranschaulicht unser Dilemma. Ein indianischer Großvater sprach mit seinem Enkel über Gewalt und Grausamkeit auf der Welt und die Gründe für ihre Entstehung. Er sagte, es sei, als würden zwei Wölfe in unserem Herzen miteinander kämpfen. Ein Wolf sei rachsüchtig und wütend, der andere verständnisvoll und freundlich. Als der Enkel den Großvater fragte, welcher Wolf den Kampf in unserem Herzen gewinnen würde, antwortete er: »Der, den wir füttern.«
Das ist die Herausforderung, vor der wir stehen, die Herausforderung für unsere spirituelle Übungspraxis und die Herausforderung für die Welt: Wie können wir im Hier und Jetzt – nicht in ferner Zukunft – üben, den richtigen Wolf zu füttern? Wie können wir uns die uns innewohnende Intelligenz zunutze machen, um zu verstehen, was hilft und was verletzt, was die Aggression steigert und was unsere innere Güte zum Vorschein bringt? In einer Zeit, in der die Weltwirtschaft in der Krise steckt und die Umwelt gefährdet ist, in der Kriege wüten und das Leid zunimmt, ist es für uns alle an der Zeit, in unserem Leben den Sprung zu wagen und alles in unserer Macht Stehende zu tun, um zu einer Umkehr beizutragen. Selbst die kleinste Geste dahingehend, den richtigen Wolf zu füttern, ist eine Hilfe. Mehr denn je ist jeder Einzelne von uns gefragt.
Den Sprung wagen beinhaltet, dass wir uns und der Erde gegenüber eine Verpflichtung eingehen: Wir verpflichten uns, alten Groll loszulassen, Menschen und Situationen, die uns verunsichern, nicht zu vermeiden und uns nicht an unsere Ängste, unsere Engstirnigkeit, Hartherzigkeit und unser Zögern zu klammern. Jetzt ist es an der Zeit, das Vertrauen zu entwickeln, dass wir grundlegend gut sind, was ebenso für unsere Schwestern und Brüder auf dieser Erde gilt. Es ist an der Zeit, darauf zu vertrauen, dass wir unsere alten festgefahrenen Wege aufgeben und weise entscheiden lernen. Wir können es gleich hier und jetzt tun.
In unseren alltäglichen Begegnungen können wir auf eine Weise leben, die uns dabei hilft, genau das zu lernen. Wenn wir mit jemandem sprechen, den wir nicht mögen und dessen Meinung wir nicht teilen – vielleicht ein Familienmitglied oder jemand am Arbeitsplatz –, neigen wir dazu, viel Energie darauf zu verschwenden, uns über diesen Menschen zu ärgern. Doch wie vertraut Groll und Ichzentriertheit uns auch sein mögen, sie sind nicht unser grundlegendes Wesen. Wir alle haben die natürliche Fähigkeit, mit alten Gewohnheiten zu brechen. Wir alle wissen, wie heilsam Freundlichkeit ist, welche Verwandlung Liebe bewirkt, was für eine Erleichterung es ist, alten Groll aufzugeben. Eine kleine Veränderung der Sicht genügt, um zu erkennen, dass Menschen aus demselben Grund angreifen und gemeine Dinge sagen, aus dem wir es tun. Mit einer Portion Humor können wir sehen, dass unsere Schwestern und Brüder, unsere Partner, Kinder und Arbeitskollegen uns ebenso zur Weißglut bringen, wie wir es mit ihnen und anderen tun.
Der erste Schritt in diesem Lernprozess besteht darin, ehrlich mit uns selbst zu sein. Die meisten Menschen sind so gut darin, ihrer Negativität Raum zu geben und darauf zu beharren, dass sie im Recht sind, dass sich der wütende Wolf immer mehr in den Vordergrund schiebt und der andere Wolf mit seinen bittenden Augen zurückgedrängt wird. Aber wir müssen dort nicht steckenbleiben. Sobald wir Groll oder eine andere starke Emotion hegen, können wir erkennen, dass wir im Begriff sind, uns hochzuschaukeln, und uns klarmachen, dass wir in diesem Augenblick die bewusste Wahl haben, aggressiv zu werden oder uns wieder zu beruhigen. Es hängt ganz davon ab, welchen Wolf wir füttern wollen.
Wenn wir diesen Ansatz ausprobieren wollen, brauchen wir allerdings ein paar Hinweise – Methoden, um diesen Weg des klugen Wählens zu üben. Dieser Weg beinhaltet, dass wir drei Eigenschaften, die zum Menschsein gehören, in uns aufdecken, drei grundlegende Eigenschaften, die wir immer besessen haben, die aber möglicherweise verschüttet und fast in Vergessenheit geraten sind. Es handelt sich um natürliche Intelligenz, natürliche Wärme und natürliche Offenheit. Wenn ich sage, dass alle Wesen das Potenzial haben, gut zu sein, meine ich damit, dass jeder auf der Erde diese drei Eigenschaften besitzt und sie sich zunutze machen kann, um sich und anderen zu helfen.
Natürliche Intelligenz ist für uns jederzeit zugänglich. Wenn wir nicht in die Falle der Hoffnung oder der Furcht gehen, ist uns intuitiv klar, was wir zu tun haben. Ist unsere Intelligenz nicht durch Wut, Selbstmitleid oder Gier vernebelt, wissen wir, was hilft und was die Dinge verschlimmert. Unsere eingespielten emotionalen Reaktionen haben zur Folge, dass wir viel Unsinn machen und reden. Wir sehnen uns nach Glück und Frieden, doch sobald unsere Emotionen geweckt werden, führen die Methoden, mit denen wir das Glück erreichen wollen, uns nur noch tiefer ins Elend. Allzu oft klaffen unsere Wünsche und Handlungen auseinander. Dennoch haben wir alle Zugang zu einer fundamentalen Intelligenz, die uns helfen kann, unsere Probleme zu lösen, statt sie zu verschlimmern.
Natürliche Wärme ist die uns allen gemeinsame Fähigkeit der Liebe, des Einfühlungsvermögens und des Humors. Sie drückt sich auch darin aus, dass wir Dankbarkeit, Anerkennung und Zärtlichkeit empfinden können. Sie deckt das ganze Spektrum dessen ab, was man landläufig die Qualitäten des Herzens nennt, Eigenschaften, die zum Wesen des Menschen ganz natürlich dazugehören. Die natürliche Wärme hat die Macht, alle Beziehungen zu heilen – die Beziehung zu uns selbst ebenso wie die Beziehung zu unseren Mitmenschen, zu Tieren und allem, was uns tagtäglich begegnet.
Die dritte grundlegende Eigenschaft ist die natürliche Offenheit, die Weite unseres himmelsgleichen Geistes. Im Grunde ist unser Geist weit, flexibel, neugierig und unvoreingenommen. Das ist der Geisteszustand, bevor sich unsere Sicht durch Furcht verengt und wir jeden entweder als Feind oder Freund, als Bedrohung oder Verbündeten einordnen, als jemanden, den wir entweder mögen, nicht mögen oder übersehen. Im Grunde genommen ist der Geist, den wir alle – Sie und ich – miteinander teilen, offen.
Wir können uns mit dieser Offenheit jederzeit verbinden. Halten Sie jetzt beispielsweise drei Sekunden lang beim Lesen inne und machen Sie eine kurze Pause.
Wenn es Ihnen gelungen ist, kurz auf diese Weise innezuhalten, haben Sie vielleicht einen Augenblick der Gedankenfreiheit erlebt.
Um mit der natürlichen Offenheit in Kontakt zu kommen, können Sie auch an eine Situation denken, in der Sie wütend waren, weil jemand etwas gesagt oder getan hat, das Ihnen missfallen hat, eine Situation, in der Sie es jemandem heimzahlen oder sich abreagieren wollten. Was, wenn es Ihnen gelungen wäre, innezuhalten, tief ein- und auszuatmen und für eine Entschleunigung zu sorgen? Dann hätten Sie direkt an Ort und Stelle mit der natürlichen Offenheit in Kontakt treten können. Sie hätten innehalten, Raum lassen und den Wolf der Geduld und des Mutes statt den Wolf der Aggression und Gewalt füttern können. In dem Augenblick, in dem wir eine Pause machen, kommt uns unsere natürliche Intelligenz oft zu Hilfe. Wir haben Zeit nachzudenken: Warum wollen wir unbedingt dieses boshafte Telefonat führen, dieses gemeine Wort sagen, uns das Glas genehmigen, die Droge rauchen oder was auch immer es sein mag?
Zweifellos glauben wir in unserer inneren Erregung, uns damit Erleichterung zu verschaffen und irgendeine Art Befriedigung, Lösung oder Trost zu erreichen: Wir meinen, dass es uns am Ende besser geht. Aber was wäre, wenn wir innehielten und uns fragten: »Werde ich mich anschließend tatsächlich besser fühlen?« Sobald wir diese Offenheit und diesen Raum zulassen, geben wir unserer natürlichen Intelligenz die Chance, uns zu sagen, was wir bereits wissen: dass wir uns letztlich nicht besser fühlen werden. Und woher wissen wir das? Weil wir uns natürlich nicht zum ersten Mal in denselben Impuls, dieselbe Autopilot-Strategie verrannt haben. Bei einer Meinungsumfrage würden die meisten Menschen vermutlich sagen, dass Aggression in ihrem Privatleben Aggression hervorruft. Sie verstärkt die Wut und sorgt für böses Blut statt für Frieden.
Wenn wir einen bestimmten Menschen sehen oder bestimmte Nachrichten hören und unsere emotionale Reaktion darin besteht, umgehend wütend zu werden, zu verzagen oder ähnlich extrem zu reagieren, liegt es daran, dass wir ebendiese Gewohnheit sehr lange gepflegt haben. Doch wie mein Lehrer Chögyam Trungpa Rinpoche immer betonte, können wir unser Leben als Experiment ansehen. Im nächsten Augenblick, der nächsten Stunde können wir uns entscheiden, eine Pause zu machen, für eine Entschleunigung zu sorgen und ein paar Sekunden lang still zu sein. Wir können damit experimentieren, die gewöhnliche Kettenreaktion zu unterbrechen und nicht in die gewohnten Muster zu verfallen. Wir müssen niemandem die Schuld zuweisen, auch nicht uns selbst. Wenn wir in einer Klemme sitzen, können wir damit experimentieren, der Gewohnheit, aggressiv zu werden, nicht nachzugeben und zu beobachten, was geschieht.
Eine Pause zu machen ist in diesem Zusammenhang sehr hilfreich. Dadurch entsteht ein augenblicklicher Kontrast zwischen völliger Ichzentriertheit einerseits und Wachheit oder Präsenz andererseits. Halten Sie nur ein paar Sekunden inne, atmen Sie tief durch, und dann machen Sie weiter. Machen Sie keine große Sache daraus. Chögyam Trungpa nannte das die »Lücke«. Sie halten inne und lassen eine Lücke entstehen bei dem, was Sie tun. Der vietnamesische Meditationsmeister Thich Nhat Hanh lehrt dies als Praxis der Achtsamkeit. In seinem Kloster und seinen Retreatzentren schlägt jemand in bestimmten Abständen eine Glocke, und sobald sie ertönt, halten alle kurz inne, um tief und achtsam durchzuatmen. Mitten im normalen Leben, in dem wir fast immer von Gewohnheitsreaktionen und inneren Selbstgesprächen vereinnahmt sind, halten wir einfach inne.
Das können Sie jederzeit am Tag tun. Es mag Ihnen anfangs schwerfallen, daran zu denken, aber sobald Sie damit anfangen, wird das Innehalten zu etwas, das Sie nährt. Sie beginnen es dem Zustand der Vereinnahmung vorzuziehen.
Menschen, die dies als hilfreich empfinden, ersinnen Mittel und Wege, um in ihrem geschäftigen Alltag für eine solche Pause zu sorgen. Beispielsweise heften sie sich ein Zeichen an ihren Computer: ein Wort, ein Gesicht, ein Bild, ein Symbol – irgendetwas, was sie daran erinnert. Oder sie beschließen: »Jedes Mal, wenn das Telefon klingelt, mache ich eine Pause.« Oder: »Wenn ich meinen Computer einschalte, mache ich eine Pause.« Oder: »Wenn ich den Kühlschrank aufmache, irgendwo Schlange stehe oder mir die Zähne putze …« Alles, was man mehrmals am Tag tut, eignet sich dafür. Gehen Sie einfach Ihrer normalen Tätigkeit nach, und dann halten Sie für ein paar Sekunden inne und atmen dreimal bewusst ein und aus.