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Frank Schäfer hat es geschafft. Frau und Kind und Haus und vielleicht auch noch der eigens gepflanzte Baum. Und selbst beruflich läuft es ganz passabel. Kein Grund zu klagen also, oder? Aber war da nicht noch was? Während Attac, Occupy, Piraten und Wutbürger sich empören, erinnert sich der einstige Heavy-Metal-Musiker Frank Schäfer an sein eigenes Rebellentum, damals, in den Achtzigern und Neunzigern. Frank Schäfer erzählt Geschichten davon, wie er sein Rebellentum herüberzuretten versucht in seinen ganz normalen Alltag, irgendwo zwischen Malle und Wacken.
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Seitenzahl: 229
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Frank Schäfer
Der Couchrebell
Streifzüge durch das wahre Leben
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2015
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Umschlaggestaltung: Designbüro Gestaltungssaal
Umschlagmotiv:© Shutterstock
E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
ISBN (E-Book) 978-3-451-80393-2
ISBN (Buch) 978-3-451-31302-8
Inhalt
Vorwort
Der Mensch wird erst ganz Mensch infolge einer Rebellion
Der Rebell möchte aussehen wie ein Rebell
Der Rebell möchte eine neue Welt gründen
Der Rebell hat ein Problem mit dem Altern
Der Rebell ist unhöflich. Sein Verhalten unterscheidet sich von dem »bei Hofe«
Der Rebell entspricht nicht der Norm. Er vertritt Werte, die mit dem kollektiven Konsens nicht übereinstimmen
Man kann sich seine Rebellion nicht aussuchen
Der Rebell macht sich die Welt, wie sie ihm gefällt
In jeder Rebellion liegt ein Problem verborgen
Der Rebell ist immer auch Projektionsfläche kollektiver Sehnsüchte
Der Rebell ist immer in Gefahr, domestiziert zu werden
Der Rebell ist rücksichtslos gegen sich und andere
Der Rebell will nicht erwachsen werden
Für Heike und Oscar
von ihrem größten Fan
Wir hatten uns an einem Samstag im Mai getroffen, um wieder einmal im süßen, lauwarmen Sud der Nostalgie zu baden. Wir, das war die beste Schwermetall-Band der Welt, die mich Schwachstromgitarristen damals in den goldenen Achtzigern mitspielen ließ. Vielleicht bin ich den anderen deshalb so viele Jahre später noch so herzlich zugeneigt. Nicht jeder hätte das getan.
Es wurde wie stets ein schwer durchgeistigter Abend, in dessen Verlauf wir noch einmal all unsere Siegestrophäen auf Hochglanz polierten. Den vorletzten Platz beim NDR-Hörfest etwa, der uns im Landkreis Gifhorn weltberühmt machte – als Komiker. Den Plattenvertrag, der dem zuständigen A&R-Manager schon bald seinen Job kosten sollte, uns aber ein Album bescherte, das als Heavy-Metal-Juxrakete auf dem Kuriositätenmarkt immer wieder hohe Wiederverkaufspreise erzielte. Der Auftritt bei Tele 5, der das Taschengeld eines halben Jahres verbrannte, dafür aber auch die Verkaufszahlen um volle 17 Exemplare hochschnellen ließ. Es hätte ein perfekter Abend werden können, wenn die hübsche Bedienung im ledernen Tank-Top uns nicht beharrlich gesiezt hätte.
Am Morgen darauf begann ich, mit blutunterlaufenen Tieraugen, aber immer noch beseelt von Glamour und Gloria der frühen Jahre, meinem Sohn am Frühstückstisch auseinanderzusetzen, was für ein total verrückter Haufen wir doch waren damals, dass der Spießbürger sich verdammt noch mal in Acht zu nehmen hatte vor uns, denn die Band war Rock ’n’ Roll und sonst gar nichts, und Rock ’n’ Roll auch nur ein anderes Wort für Rebellion. Das biedersinnige Establishment konnte uns mal gern haben, dem rammten wir mit unserer Musik nämlich den steifen Mittelfinger voll in den … Meine Frau hob argwöhnisch die Braue. Egal, war ja auch nur symbolisch gesprochen.
Der Sohn sah nicht auf von seinem Hörnchen und fragte unbeeindruckt, nicht weil es ihn wirklich interessierte, sondern einfach nur, weil er so ein feiner und höflicher kleiner Kerl ist: »Papa, was ist Establishment?«
Viele niedliche Lachfältchen umspielten da die Augen meiner lieben Gefährtin, und sie bekam dieses Blitzen in den Augen, das als Vorwarnsystem für innereheliche Bosheiten noch nie versagt hat.
»Frag doch deinen Vater, diesen Mordskerl, mal, wann er zu Hause ausgezogen ist!«
Mein Sohn ließ Hörnchen Hörnchen sein. Auf einmal war er voll da.
»Papa?«
»Möchtest du noch etwas Kakao?«
»Paaapa?«
»Habt ihr vielleicht Lust auf eine Radtour? Ist doch so schön draußen. Wir könnten einen Picknickkorb packen und dann einfach drauflosfahren, so weit die Räder rollen …«
»Wann, Papa?«
»Keine Ahnung, woher soll ich das wissen. Spät halt.«
»Mit 28!«, antwortete sie für mich. Häme entstellte ihr schönes Gesicht.
»Ganz schööön spät.«
»Na und? Spielt das eine Rolle?«, rief ich und vielleicht donnerte meine geballte Faust sogar ein akustisches Ausrufungszeichen auf den Küchentisch, das die Frage unmissverständlich beantwortete. Aber ich erinnerte mich auch sogleich einer Szene aus dem Film »Crossroads«, wo der weiße Protagonist Eugene, der ein echter Blueser werden will, seinem alten schwarzen Lehrmeister Willie beichten muss, woher er kommt, aus Long Island nämlich, was der alte Mann mit entsprechendem Hohn quittiert. »Ein Bluuuesman aus Long Island!«
Ich fühlte mich wie Eugene. Mit 28 noch zu Hause gewohnt zu haben, das entsprach unter Rebellen etwa dem, was man im Blues mit einer Herkunft aus Long Island verband.
»Wer mit zwanzig kein Rebell gewesen ist, hat kein Herz. Wer es mit vierzig noch sein will, hat keinen Verstand.« So oder so ähnlich lautet das bekannte Sprichwort. Beides schien auf mich zuzutreffen. Oder etwa nicht? Ließen sich in meiner Vita vielleicht doch Rudimente dingfest machen, die von echtem Rebellentum zeugten? Und was sollte das eigentlich sein – echtes Rebellentum? Warum fühlte ich mich immer noch so hingezogen zu den bekannten Rebellenfiguren aus Pop- und Kulturgeschichte? Könnten sie mir als Vorbilder gedient haben – oder sind sie das am Ende immer noch? Und wie lässt sich der dezidiert postheroische Alltag eines schreibenden Sitzriesen überhaupt mit all diesen Fragen in Einklang bringen? Ich musste mir Klarheit verschaffen
»Was ist nun mit der Radtour?«, fragte schließlich meine Frau.
»Geht nicht, ich muss arbeiten.«
»Jetzt ist er wieder mucksch«, flüsterte ihr mein Sohn.
Rebellion gehört zu den menschlichen Urphänomenen, zum archaischen Grundbestand des Humanen. Die Menschheitsgeschichte beginnt mit einer Rebellion. Adam und Eva essen vom Baum der Erkenntnis (1. Moses, 3), werden von Gott aus dem Paradies vertrieben und lernen jetzt erst, was es heißt, Mensch zu sein. Es ist eine elende Plackerei, ziemlich schlecht für die Bandscheibe, die Natur zeigt ihre hässliche Fratze, meistens Regen, gelegentlich Glatteis, wenn man nicht verdammt aufpasst, wird man von einem Mammut überrannt, und auch wer alles richtig macht, immer links, rechts und dann wieder links guckt, bevor er über die Straße geht, nur einmal in der Woche Fleisch isst und Dornkaat meidet, landet dermaleinst sechs Fuß unter der Grasnarbe, um dann, dem Herrn sei’s gedankt, nicht mehr mitansehen zu müssen, wie sich die Würmer ihre Sabberlätzchen umbinden.
Man streitet im Grunde bis heute darüber, aber es gibt Stimmen, die meinen, es habe sich trotzdem gelohnt. Martin Luther zum Beispiel: »Und Gott der Herr sprach: Siehe, Adam ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist.«
Wer Verstand und Bewusstsein will, wie unsereiner, muss irgendwann Småland verlassen. Was die Bibel hier gleichnishaft formuliert, ist eine anthropologische Konstante. In der Onto- spiegelt sich bekanntlich die Phylogenese, in der Individual- die Stammesgeschichte. Jeder Mensch verliert im Laufe der Sozialisation zwangsläufig seine Unmündigkeit – und das äußert sich zunächst mal darin, dass er den Eltern widerspricht. Wer heranwachsende Kinder hat, weiß, wie Gott sich gefühlt haben muss. Es nervt mitunter ganz gewaltig.
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