Der Erlöser - Akif Turan - E-Book

Der Erlöser E-Book

Akif Turan

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Beschreibung

Nach einer sehr schweren Kindheit, wurde Kenan Kaya ein Serienmörder, der dachte, er würde seinen Opfern einen Gefallen tun. Obwohl er ein intelligenter Mensch ist, sind ihm seine schrecklichen Taten bis heute nicht bewusst.

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Manche Menschen sind so kaputt im Kopf, dass sie fest davon überzeugt sind, sie würden das Richtige tun. Doch in Wahrheit, sind sie das größte Übel auf der Welt.

Akif Turan

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Teil 1

Kapitel 1 : Es ist Nicht immer Leicht ein kind zu sein

Kapitel 2 : Das neue ich

Kapitel 3 : Das Waisenhaus

Kapitel 4 : Der Unruhestifter

Kapitel 5 : Trauer Im Waisenhaus

Kapitel 6 : Ein Neuer Lebensabschnitt

Kapitel 7 : Molly

Teil 2

Kapitel 8 : Der Professor

Kapitel 9 : Keine Geduld

Kapitel 10 : Kenan Kaya

Kapitel 11 : Inspektor Helmut Stadler

Kapitel 12 : Es war mir ein Vergnügen

Kapitel 13 : Der Wald der Toten

Kapitel 14 : Auf der Flucht

Kapitel 15 : Die Erlösung

VORWORT

Bevor wir mit unserer Geschichte beginnen, möchte ich mich bei Ihnen bedanken, dass Sie sich für mein Buch entschieden haben.

Ich hoffe doch sehr, dass Sie großes Gefallen darin finden werden und das Lesen Ihnen den Spaß bescheren wird, den Sie sich erhoffen.

Wie Sie ja wissen, passiert uns viel im Leben. Wir erleben viel Gutes, aber auch viel Schlechtes. Viele Erfolge, aber auch viele Niederlagen. Wir müssen die verschiedensten Erfahrungen im Leben machen, damit wir eine Lehre daraus ziehen können. Wer nicht dumm ist und aufpasst, erkennt das auch. Das Leben selbst ist nur eine einzige große Prüfung, das viele kleine Prüfungen für uns alle bereit hält. Einige von uns meistern diese Prüfungen mit Bravur und andere wiederum scheitern an ihnen. Doch in Wahrheit, scheitert man nur dann erst, wenn man aufgegeben hat. Denn ganz egal, wie sehr man im Leben scheitert, wie viele Prüfungen man auch nicht bestehen kann, man darf niemals aufgeben. Man muss es erneut versuchen. Man muss weitermachen. Man muss sich andere Wege, andere Optionen überlegen um voran zu kommen um am Ende doch noch den Durchbruch zu erlangen.

Wie Martin Luther King Jr. einst sagte, Wenn du nicht fliegen kannst, dann renne. Wenn du nicht rennen kannst, dann gehe. Wenn du nicht gehen kannst, dann krabble. Aber was auch immer du tust, du musst weitermachen. Im Leben sollte man niemals Schwäche zeigen. Man muss stark und standhaft bleiben, ganz egal welche Schicksalsschläge man im Leben auch hinnehmen muss. Das gehört alles zu unseren Prüfungen. Auch wenn uns das nicht logisch erscheint und wir es nicht verstehen können, es passiert alles so, wie es passieren soll. Wir werden alle geprüft. Manche oft, manche wenig, manche schwer, manche leicht, aber keiner von uns bleibt verschont. Man darf sich einfach nicht in die Knie zwingen lassen. Von nichts und niemandem. Denn wer schwach ist, geht meist den Weg des Bösen. Er wählt den falschen Weg und landet am Ende im Dunklen. Er versucht es mit schmutzigen Tricks um es in der Welt zu schaffen. Er wird kontrolliert und beeinflusst. Er verliert jegliches Selbstvertrauen. Er lässt sich von der dunklen Seite führen und ehe es ihm klar geworden ist, findet er sich in der absoluten Dunkelheit wieder.

Natürlich meine ich nicht damit, wenn ich sage, Sie sollen stark bleiben, dass Sie eine eiskalte und gefühllose Person werden sollen. Sie sollten sich sehr wohl Ihren Gefühlen hingeben, wenn sie einen großen Verlust erleiden sollten. Als Mensch ist das vollkommen natürlich. Sie sollten sich nur nicht von diesem Verlust, von den davon erzeugten Gefühlen nicht kontrollieren lassen. Sie sollten trauern, solange es nötig ist und sich dann, wenn es soweit ist, aufrappeln und weitermachen. Sie sollen nicht am Boden bleiben, wenn Sie fallen. Sie sollen aufstehen und weiterkämpfen. Denn Sie allein entscheiden im Ring wie der Kampf ausgeht. Entweder werfen Sie das Handtuch oder sie beißen alle Zähne zusammen und schlagen sich weiterhin Runde um Runde durch, solange bis Sie am Ende den alles entscheidenden K.o.-schlag verpassen können.

Versuchen Sie immer einen kühlen Kopf zu bewahren und kluge Entscheidungen zu treffen. Versuchen Sie das Falsche vom Richtigen zu unterscheiden. Versuchen Sie logisch zu handeln. Lassen Sie nicht zu, dass schlechte Gefühle Sie beeinflussen und kontrollieren. Kontrollieren Sie Ihre Gefühle.

Versuchen Sie stets Herr über die Lage zu werden. Es mag in manchen Fällen schwer sein, aber es ist nicht unmöglich.

Leider hat sich unsere Hauptfigur um die es in diesem Buch geht, von seinem schweren Schicksalsschlag beeinflussen lassen und den dunklen Weg gewählt. Vielleicht wusste er es, aufgrund seines jungen Alters, nicht besser. Vielleicht wusste er nicht, dass ihm schon so früh solch eine große und schwere Prüfung bevorstand.

Vielleicht wusste er nicht, wie er mit solch einer Situation umzugehen hat. Hatte er denn überhaupt eine Wahl? Hätte er überhaupt, in so einem jungen Alter, unterscheiden können, was Richtig und was Falsch ist? War er überhaupt in der Lage zu erkennen, was und wieso er das tut? Könnte man seine Taten nachvollziehen? Wer oder was war Schuld an seinem Handeln? War es seine Familie oder war es seine schwache und unerfahrene Persönlichkeit, weil er ja noch so jung war? Ist er selbst Schuld daran? Hätte er sich auch besser entwickeln können? Wie sollte man so einen Menschen beurteilen? Wie sollte man mit so einem Menschen umgehen? Wie sollte man überhaupt jemandem wie ihm helfen können, wenn man nicht rechtzeitig erkennen kann, was in seinem Kopf vor sich geht? Kann man so jemandem mit Verständnis und Mitleid entgegenkommen? Ist er vielleicht auch nur ein Opfer? Diese und viele weitere Fragen, die in Ihrem Kopf entstehen werden, während Sie das Buch lesen, werden wohl nur Sie selbst beantworten können. Machen Sie sich selbst ein Urteil über diese Person. Versuchen Sie sich auch mal in seine Lage zu versetzen. Versuchen Sie ihn zu verstehen und entscheiden Sie dann, ob er den richtigen oder den falschen Weg gewählt hat.

Ist er eine starke oder eine schwache Person in Ihren Gedanken? Wie würden Sie wohl handeln, wenn Sie solch eine Erfahrung machen bzw. dieser Art von Prüfung antreten müssten? Würden Sie es genauso machen oder würden Sie vollkommen anders mit dieser Situation umgehen? Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen!

Und nicht vergessen....

….bleiben Sie immer stark und halten Sie sich stets fern vom Weg des Bösen!

TEIL 1

KAPITEL 1

ES IST NICHT IMMER LEICHT EIN KIND ZU SEIN

Es war ein schöner sonniger Frühlingstag im Jahr 1995. Eine Zeit in Wien, in der die Menschen viel glücklicher waren als heute, weil ja noch der Schilling als Währung galt. Mit nur einem Hunderterschein, war es möglich den Einkaufswagen bis zum Überlaufen voll aufzufüllen. Die Menschen waren glücklicher und hatten das ganze Monat über ihr Gehalt noch in den Taschen. Man konnte sich einfach viel mehr leisten als heute und nur wenige hatten finanzielle Probleme. Meist diejenigen, die Arbeitslos waren. Wie der Vater von Kenan. Kenan Kaya war acht Jahre alt. Kenan war ein Einzelgänger. Er hatte weder Geschwister noch Freunde. Obwohl er ohne Geschwister aufwuchs wurde er nicht zu einem verwöhnten Kind. Ganz im Gegenteil. Er war jemand, der kaum nach draußen ging um mit anderen Kindern zu spielen. Er war ein in sich verschlossener und stiller Junge. Er redete nur, wenn man ihn etwas fragte. Auch in der Schule hielt er eher Abstand zu seinen Klassenkameraden, aber passte dafür umso besser im Unterricht auf und arbeitete fleißig mit. Eines der Punkte, wieso er Abstand hielt, war zum Einen, dass er einfach bis dahin niemanden finden konnte, die oder der mit ihm die selben Interessen teilte, zum Anderen lag es daran, dass die anderen Kinder überhaupt nicht verstanden, wovon er redete, wenn er mal anfing über die Welt und das gesamte Universum zu erzählen. Er war ein Außenseiter und das machte ihm persönlich gar nichts aus. Kenan bevorzugte es lieber viel mehr Zeit in seinem Zimmer zu verbringen. Denn da hatte er eigentlich alles, was er brauchte um seine Freizeit zu gestalten. Er konnte in aller Ruhe seine Hausaufgaben machen und sich auf seine Referate und Vorträge für die Schule vorbereiten, mit denen er sogar seine geliebte Frau Lehrerin jedes Mal beeindruckte. Dann spielte er sehr gerne mit seinen Actionfiguren, die großteils aus Spiderman bestanden, oder aber er schnappte sich ein Buch von seinem Bücherregal, fing an sie zu lesen und tauchte mit voller Konzentration hinein. Sowie gerade eben. Er saß auf seinem Bett und las ganz alleine ein wissenschaftliches Buch. Dieses Buch hatte er erst vor zwei Monaten von seiner Lehrerin geschenkt bekommen. Da er vor Kurzem erst einen Vortrag über das Periodensystem vorgetragen hatte, den sowieso niemand aus der Klasse, bis auf seine Lehrerin, verstanden hatte, dachte sie, sie nimmt eines ihrer Bücher von zu Hause mit und macht ihm damit eine nette Geste. Er hatte sich irrsinnig darüber gefreut und mochte seine Lehrerin umso mehr. Kenan interessierte sich sehr für sowohl Kunst als auch für die Wissenschaft. Auch die kreativen Stunden im Bastelunterricht genoss er sehr. Er hatte schon immer seine ganz eigene Art und Weise Kunst auszudrücken. Er kam auf die faszinierendsten Ideen und konnte für sein Alter recht gut zeichnen. Sein Zimmer war immer ordentlich aufgeräumt und sauber gewesen. Neben seinen vielen Actionfiguren, befanden sich auch viele verschiedene Bücher, ein Mikroskop, ein Globus, eine kleine Büste von sich selbst, die er in der Bastelstunde aus Ton gemacht hatte, Preise und Auszeichnungen von der Schule, die er bei verschiedenen Wettbewerben gewonnen hatte und eine Model-Rakete, die er zu seinem siebten Geburtstag von seiner Mutter bekommen und selbst zusammen gebaut hatte. Er gab der Rakete sogar den Namen seiner Mutter. SINEM STARBREAKER. Umgeben von all diesen Dingen fühlt er sich am wohlsten. Jedes Mal, wenn er sein Zimmer betrat, war es so, als würde er vollkommen eine andere, fast magische, Welt betreten, in die er sich von der realen Welt zurückziehen konnte. Und seit einigen Monaten, hatte er das viel öfter tun müssen als gewöhnlich. Doch leider wurde er jedes Mal von dieser Magie heraus gerissen, sobald seine Eltern anfingen wieder zu streiten. Das konnte man nicht mal mehr einen Streit nennen. Das war ein richtiger Kampf, ein Krieg zwischen den Beiden, in den er meist hinein gezogen wurde. Immer wenn dieser Krieg auf's Neue ausbrach, überkam ihn ein Gefühl als würde man ihn fest zupacken und mit aller Gewalt von seiner Welt herausziehen. Und ganz egal, wie sehr er sich auch dagegen wehrte, wie sehr er seine Augen zudrückte und seine Ohren zuhielt, versagte er am Ende und ehe er sich versah, befand er sich wieder in der Realität und somit Mitten im Gefecht. Und einmal zurück, schaffte er es nicht mehr in seine eigene Welt wieder einzutauchen. Außerhalb seines Zimmers konnte er deutlich hören, wie seine Eltern ein weiteres Mal stritten. Er konnte hören, wie sein betrunkener Vater mit seiner Mutter schimpfte. In letzter Zeit, verwendete sein Vater sehr oft Kraftausdrücke, die er niemals zuvor gehört hatte. Manchmal dachte er sich, dass sein Vater diese Ausdrücke selbst erfunden haben muss. Sie waren einfach seinem Wortschatz nicht geläufig gewesen. >>Du mieses Miststück! Was denkst du denn, was ich mache?<< Die Mutter gab weinend und schluchzend eine Antwort. >>Bitte hör doch jetzt auf!<< Kenan machte eine sehr schwere Kindheit durch. Falls man das überhaupt noch als Kindheit bezeichnen konnte. Sein aggressiver und sehr strenger Vater hatte erst vor Kurzem seinen Job als Kebap-Verkäufer verloren, weil er mit einem Kunden gestritten hatte, der sich darüber beschwert hatte, dass sich viel zu wenig Fleisch in seinem Döner-Sandwich befand. Kurz darauf bewarf er den Kunden mit jede Menge Dönerfleisch und beschimpfte ihn auf eine üble Art und Weise. Dieses unangemessene Verhalten, brachte ihm die sofortige Kündigung ein. Ganz egal, wie oft er sich seitdem beworben hatte und zu wie vielen Vorstellungsgesprächen er auch gegangen war, er bekam einfach keine fixen Jobzusagen. Es schien so, als hätte jeder von seinem Wutausbruch erfahren und wollten ihn deswegen nicht einstellen. Auch das Arbeitsmarktservice konnte ihn bislang nicht erfolgreich vermitteln. Er gehörte zu den schwierigen Jobsuchenden. Irgendwann reichte es ihm und er verlor, vor lauter Arbeitslosigkeit und den damit entstandenen finanziellen Problemen, den Verstand und dachte sich seine Sorgen in Alkohol ertränken zu können. So begann er Kistenweise Bier zu trinken und hin und wieder trank er sogar ganz alleine eine Flasche Raki aus und war schnell außer Gefecht gesetzt. So konnten sich wenigstens Kenan und seine Mutter für ein paar Stunden erholen. Seine Aggression wurde von Tag zu Tag schlimmer. Seit der Entlassung seines Vaters musste Kenan immer wieder mit erleben, wie sein Vater seine Mutter und ihn erniedrigte, beschimpfte und schlug. Seine Mutter hatte sogar so sehr Angst vor ihrem Ehemann, dass sie sich gar nicht traute, eine Beschwerde bei der Polizei oder sonst irgendwo einzureichen. Noch dazu lebten sie in einem Teil des zehnten Wiener Gemeindebezirkes, genannt Favoriten, in der sich ständig Familiendramen abspielten und Streitereien ereigneten. Noch vor wenigen Monaten hatte ein Mann auf der gegenüberliegenden Straßenseite zuerst seine Ehefrau und danach sich selbst mit einem Messer umgebracht, weil er erfahren hatte, dass seine Frau ihn mit einem anderen Mann betrogen hatte.

Die Nachbarn waren also daran gewöhnt gewesen und scherten sich nicht darum. Die Menschen hatten schon genug eigene Probleme. Kenan konnte sehr deutlich hören, wie sein betrunkener Vater seine Mutter, nicht nur anschrie, sondern auch schlug. Bei jedem Schlag, den sein Vater seiner Mutter austeilte, zuckte Kenan zusammen. Es war fast so, als ob bei jedem Schlag den seine Mutter verpasst bekam auch er die Schläge am eigenen Körper spüren konnte. Er kniff sich seine Augen fest zu und zitterte am ganzen Leib. Innerlich dachte er sich die gesamte Zeit über, dass dieser Krach endlich so schnell wie möglich aufhören solle. Er murmelte immer wieder dasselbe vor sich hin. >>Bitte, mach das es aufhört! Bitte, mach das es aufhört!<< Nachdem letzten Schlag verließ der Vater die Wohnung und knallte die Tür hinter sich so fest zu, dass eines der Actionfiguren in Kenan's Zimmer umfiel. Vor Schreck gab Kenan ein kleines Laut von sich. Zurück blieb die, vor lauter Schlägen blutende, deren Arme und Hals blau angelaufene, und bitter weinende Mutter mit teilweise geschwollenem Gesicht im Wohnzimmer.

Kenan richtete die Actionfigur wieder auf und machte langsam seine Zimmertür auf. Durch den kleinen Spalt streckte er zuerst seinen Kopf hinaus und sah sich rechts und links um. Danach machte er sich mit langsamen Schritten auf den Weg in das Wohnzimmer zu seiner Mutter. Er blieb stehen und beobachtete seine, auf dem Sofa, leicht verkrümmt, sitzende und weinende, Mutter. Sie hatte ihr Gesicht in ihre Hände gedrückt und das dadurch entstehende Geräusch ihres Wimmerns hallte im ganzen Raum. Als sie mit ihren zitternden Händen durch ihre verfilzten Haare strich, konnte Kenan erkennen, dass ihr Mund blutete und sie sonstige Schwellungen und blaue Flecken im Gesicht hatte. Langsam näherte er sich zu ihr und setzte sich, ohne etwas zu sagen, neben ihr hin. Er legte ganz langsam seine Hand auf die Schulter seiner Mutter. Sie zuckte für einen Moment zusammen. >>Was? … Ach Kenan.<< Sie wischte sich die Tränen mit ihrer Hand vom Gesicht ab. Danach schlug sie die Hand von Kenan zurück und wurde wütend. >>Fass mich nicht an!<<

Kenan sah seine Mutter verwirrt an. Er dachte, er könnte sie so trösten. Er dachte, er könnte ihr so klar machen, dass sie nicht alleine ist. Er dachte, dass sie erkennen würde, dass wenigstens er sie noch lieb hat und stets an ihrer Seite ist. Er dachte, dass würde man so machen, wenn jemand traurig ist. Doch sie stand plötzlich auf und verließ das Wohnzimmer ohne ihrem Sohn, der versucht hatte sie zu trösten, etwas zu sagen. Kenan saß still und alleine da und sah seiner Mutter hinter her bis sie langsam in das Badezimmer verschwand und die Tür hinter sich abschloss. Kenan tat es weh seine Mutter so zu sehen. Er vermisste die Frau, die sie einmal gewesen war. Wo war sie bloß hin verschwunden? Würde sie je wieder zurück kommen? Würde sie ihn je wieder fragen, wie sein Tag in der Schule war? Würde sie je wieder fragen, ob er Hilfe bei seinen Hausaufgaben benötige, obwohl sie jedes Mal ganz genau wusste, dass er in der Lage war, seine Aufgaben alleine zu meistern? Würde sie ihn je wieder um Hilfe bitten, wenn sie mit ihrem Kreuzworträtsel nicht weiter kam? Würde sie denn überhaupt je wieder Kreuzworträtsel lösen? Er wünschte, er könnte irgendetwas machen, damit sie wieder ganz die alte werden konnte. Er wünschte, sie wären wieder eine glückliche Familie wie sie früher einmal gewesen waren. Er wünschte sich so vieles.

Später am selben Abend befand sich Kenan erneut in seinem Zimmer und las ein Sachbuch über Wölfe. Er war immer fasziniert darüber, wie organisiert diese Tiere waren. Kenan fand sie großartig. Er hatte sich mittlerweile von dem, was er Stunden zuvor erlebt hatte, erholt und war erneut in seine Welt abgetaucht gewesen. Voller Konzentration und Stille las er in seinem Buch und speicherte all die Informationen, die er daraus erhielt, in seinem Gehirn ab. Seine Mutter war in der Küche und bereitete das Abendessen zu. Sie hatte ihre Wunden geschickt mit Make-Up versteckt. Hatte sich geduscht und frisch gekleidet. Mit einem kleinen kreisförmigen Pflaster hatte sie ihre Wunde, hinter ihrem linken Ohr, zu geklebt. Der Esstisch war bereits für drei Personen zugedeckt gewesen und im Hintergrund lief der Fernseher im Wohnzimmer. Als eine Hausfrau und Mutter hatte sie es bisher ohnehin schon nicht einfach und jetzt noch als Gattin von einem aggressiven, arbeitslosen Mann, der mittlerweile auch Alkoholiker geworden war, hatte sie ein noch härteres Leben als je zuvor. Jetzt wo ihr Ehemann auch nichts mehr verdiente und er keine guten Aussichten für eine neue Stelle hatte, hatte sie jegliche Hoffnungen auf ein besseres und glückliches Leben verloren. Es schien alles gut zu laufen, es war alles in Ordnung. Sie waren einst eine glückliche und zufriedene Familie gewesen, die auch viel miteinander unternommen hatten. Doch jetzt, seitdem ihr Ehemann seinen Job vor sieben Monaten verloren hatte, hatte sich alles schlagartig zum schlechten gewendet. Als Langzeit Arbeitsloser wurde er zu einem vollkommen anderen Menschen. Er fing an zu trinken, fing an seine Ehefrau und sein Kind anzuschreien und am Ende auch zu schlagen. Er führte teilweise Selbstgespräche und ging nur selten aus der Wohnung hinaus. Fast jedes Mal, als sie oder Kenan ihn ansprachen, wies er sie auf eine unangenehme Art und Weise ab. Sie hätte sich das alles nie erdenken können. Sie hätte sich nie gedacht, dass ihr einst so liebevolle Ehemann, der zugleich auch ein sehr guter Vater gewesen war, sich dermaßen ändern könnte. Es war fast so, als wäre dieser Mann, den sie aus Liebe geheiratet hatte, plötzlich verschwunden und durch einen anderen, nein, durch etwas Böses ersetzt worden war. Er war einfach nicht mehr der Selbe. Er konnte es einfach nicht sein. Wie sehr wünschte sie sich, dass er wieder der Alte werden würde. Wie sehr wünschte sie sich, dass die guten alten Tage wieder zurückkehren würden. Doch es schien so, als würden sie diese Tage nie wieder erleben. Als würden sie nie wieder eine kleine und glückliche Familie werden können. Sie vermisste diese Zeiten wirklich sehr. Und so sehr es ihr auch weh tat, daran glauben zu müssen, sie wusste, dass es nie mehr so werden würde wie früher. Allein dieser schrecklicher Gedanke tat ihr mehr weh als die Schläge ihres Ehemannes, die er ihr bei jedem Streit austeilte. Sie war nicht nur körperlich verletzt gewesen, sie war auch seelisch verletzt worden. Nichts und niemand hätte sie wieder gesund pflegen können. Sie war einfach nur noch kaputt. Eine leere Hülle, die nur noch Angst empfand.

Plötzlich knallte die Wohnungstür auf und der Vater stürmte hinein. Die Mutter zuckte in der Küche zusammen und ließ die Schüssel aus ihrer Hand fallen in die sie soeben die Suppe eingießen wollte. Die Schüssel fiel zu Boden und zerbrach in ihre Einzelteile. Kenan's Vater schien noch verärgerter zu sein als ein paar Stunden zuvor. Denn sowie er in die Wohnung gestürmt war, so begann er auch gleich mit seiner Schreierei an. >>Wo bist du, du verdammte Schlampe!<< Die Mutter antwortete aus Angst sehr rasch und mit zitternden Lippen. >>In....In der K...Küche!<< Schnell beugte sie sich hinterher zum Boden und sammelte die kaputten Teile vom Schüssel auf. In der Eile, schnitt sie sich am rechten Zeigefinger, doch vor lauter Angst spürte sie keinen Schmerz. Ihr Ehemann stürmte in die Küche hinein und begann sofort auf sie zu schimpfen. >>Na toll! Hast du wieder was kaputt gemacht du unnötiges Weib. Du bist einfach so ungeschickt.<< Er schimpfte und schrie so sehr, dass man seine Spucke, die dabei aus seinem Mund austrat, deutlich erkennen konnte. Die Mutter stand sofort mit den aufgesammelten Teilen auf und erkannte, dass ihr Ehemann einen fremden Mann mitgenommen hatte. Zuerst dachte sie sich, er sei vielleicht ein ehemaliger Kollege von ihrem Ehemann gewesen, aber sie kannte alle Kollegen von ihm und dieser Fremder, der jetzt mit in der Küche dicht neben ihm stand, war ihr unbekannt gewesen. Sie hatte ihn bisher noch nie gesehen. Er war ihr noch nie zuvor aufgefallen. Er war auch keiner von den Nachbarn. Wer sollte dieser Mann sein, fragte sie sich. Während ihr die verschiedensten Gedanken über diesen fremden Mann durch den Kopf gingen, legte sie die kaputten Teile, die noch Sekunden zuvor ein Suppenschüssel gewesen waren, in das Waschbecken und drehte sich zu ihrem Ehemann und dem fremden Mann, der direkt neben ihm steht, um. Ganz verwirrt fragte sie ihren Ehemann. >>Du....du hast nicht gesagt, dass wir Besuch bekommen werden.<< Kenan's Vater antwortete mit wütender Stimme und diesmal spuckte er umso mehr. >>Ich muss dir wohl jeden Scheiß berichten was? Bist du der Herr des Hauses oder ich?<<

Die Mutter zitterte am ganzen Leib, versuchte aber, vor dem unerwarteten Besuch, sich nichts anmerken zu lassen. Der Vater redete im selben wütenden Ton weiter. >>Du meckerst doch immer darüber, dass ich keinen Job mehr habe und ich euch nicht genug versorgen kann, weil wir kein Geld haben.<< Die Mutter wurde noch verwirrter und wusste nicht, was ihr Mann damit sagen wolle. Kenan machte langsam seine Zimmertür auf um besser lauschen zu können. Sein Vater redete weiter. >>Nun,.....das ändert sich ab heute.<< Die Mutter war immer noch verwirrt gewesen und sah die beiden Männer weiterhin schweigend an. In ihrem Kopf waren lauter Fragezeichen. Und das sah man ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen an. Kenan's Vater klärte nun seine Mutter auf. >>Das ist mein Kumpel aus der Kneipe. Sein Name ist Anton.<< Er griff dabei Anton auf die Schulter. Kenan's Mutter begriff immer noch nicht, was er damit sagen wollte. >>Ich verstehe nicht ganz. Habt ihr vor gemeinsam ein Unternehmen zu gründen?<< Nun bemerkte sie den kleinen Einschnitt an ihrem rechten Zeigefinger und versuchte das daraus austretende Blut mit einem Stück von der Küchenrolle zu stoppen. Kenan war weiterhin am Lauschen. Sein Vater lachte. Er hatte ein grauenhaftes Lachen dachte er sich. Es war mehr ein lautes Keuchen als Lachen. Klang fast so, als würde er lachen und ersticken zugleich. Es erinnerte ihn jedes Mal an einen Schimpansen, der gerade dabei war zu ersticken. Sein Vater antwortete. >>Ha....so könnte man das auch nennen. Mein guter Freund Anton hier, zahlt mir viel Geld damit er mit dir schlafen kann.<< Die Mutter war entsetzt und schockiert darüber was sie soeben gehört hatte. Sie war sich nicht einmal sicher, ob sie es auch wirklich richtig verstanden hatte, was ihr Ehemann da eben gesagt hatte. Kenan hatte es sehr wohl verstanden und war mindestens genauso entsetzt darüber wie seine Mutter. Seine beiden Augenbrauen gingen wie auf Kommando hinauf und er machte dabei ganz große Augen. Anton hatte ein leichtes und freches Grinsen aufgesetzt. Die Mutter redete weiterhin schockiert. >>W....was redest du da Ilhan?<< Kenan's Vater Ilhan erklärte weiter. >>Na das du von jetzt an eine Hure sein wirst meine liebe Sinem. So werden wir in Kürze sehr viel Geld machen und all unsere finanziellen Sorgen sind mit einem Schlag dahin und du wirst mir nie wieder Vorwürfe machen, dass ich kein Geld verdiene und mich endlich damit in Ruhe lassen.<< Kenan's Mutter Sinem konnte nicht glauben, was da gerade geschehen war und sie war vollkommen fassungslos. Sie dachte, sie befände sich in einem Albtraum. Es kam ihr vor als wäre das alles nur ein geschmacksloser und kein bisschen witziger Scherz. Sie wartete vergeblich darauf, dass ein anderer aus der Ecke hervor springen und sagen würde, dass das alles eine Show für die abartigste Versteckte Kamera Sendung war, die je gedreht wurde. Sie zitterte vor Wut am ganzen Körper und wusste zunächst nicht, was sie noch darauf sagen sollte. Wie konnte es nur soweit kommen? Wie konnte er so etwas nur ernst meinen? Dreht er jetzt wirklich durch oder ist sie es, die endgültig durchdreht? Was passiert da gerade eben? Ihr schossen erneut sämtliche Fragen durch den Kopf, doch Sinem versuchte trotz all dem vernünftig zu reden. >>B...bitte Ilhan, hör auf damit. Das ist ein schlechter Scherz und nicht angebracht vor unserem Gast.<< Kenan zuckte, bei dem was er soeben gehört hatte, zusammen. Obwohl er noch sehr jung war, war er, aufgrund seiner Intelligenz, in der Lage zu begreifen, was sich da gerade in der Küche abspielte. Ilhan näherte sich zu Sinem und packte sie am Arm. >>Das ist kein Witz du Schlampe. Jetzt geh mit Anton ins Schlafzimmer und sieh zu, dass du unseren Kunden zufriedenstellst.<< Sinem fing zu weinen an und versuchte sich von Ilhan mit all ihrer Kraft loszureißen. Das Stück Küchenrolle, das sie sich um den rechten Zeigefinger gewickelt hatte, löste sich und fiel zu Boden. Sie weinte und schluchzte. >>Bitte, bitte Ilhan, lass mich los! Bitte! Du tust mir weh!<< Sinem war nicht stark genug um sich von Ilhan's griffen zu befreien. Je mehr sie versuchte sich loszureißen, umso stärker packte Ilhan zu. Ilhan zog Sinem zu sich und schleuderte sie anschließend Richtung Anton. So leicht wie sie war, so schnell landete sie in den Armen des fremden Mannes Namens Anton. >>Da! Nimm sie und gib dich deinen Fantasien hin mein Freund.<< Anton hielt Sinem am Arm fest. Sinem weinte noch stärker. >>Nein, fass mich nicht an!

Lass mich los! Das kann doch einfach nicht wahr sein.<< Sie versuchte sich mit all ihrer Kraft zu befreien. Ilhan eilte dazu und fing wieder an sie zu schlagen. Er verpasste ihr eine ordentliche Ohrfeige, sodass ihre Unterlippe aufplatzte und dabei etwas Blut auf die Küchenwand spritzte. >>Du mieses Drecksweib! Wieso wehrst du dich? Du vermasselst mir schon wieder meine Geschäfte. Ich verfluche den Tag an dem ich dich geheiratet habe.<< Kenan konnte die Geräusche, die durch die Schläge entstanden, nicht aushalten. Er machte schnell die Tür zu, hockte sich nieder und drückte seine Hände fest an beide Ohren. Er schloss ganz fest seine Augen und versuchte in seine eigene Welt zu fliehen, doch das Weinen und Schluchzen seiner Mutter waren so laut, dass sie durch seine Tür und seine Hände hindurch in seine Ohren drangen. So konnte er der Realität diesmal nicht entkommen und war gezwungen sich alles mit anzuhören. Und das was er diesmal zu hören bekommt, war das Schlimmste, dass er bis dahin je hören musste. Sinem versuchte sich immer noch mit aller Kraft zu wehren. Doch Ilhan war einfach viel zu stark. Er nahm sie in die Arme und trug sie in das Schlafzimmer. Auf dem Weg dorthin, versuchte sich Sinem mit all ihrer Kraft an dem Türrahmen festzuhalten, an dem sie vorbeikamen und brach sich dabei einige Fingernägel. Doch auch so konnte sie Ilhan nicht stoppen. Schließlich kamen sie im Schlafzimmer an und Ilhan warf sie auf das Bett. Beim unsanftem aufkommen auf der Matratze stieß Sinem ein leichtes Pusten aus. Ilhan erteilte, der immer noch weinenden Sinem, Befehle. >>Du wirst jetzt hier schön liegen bleiben!<< Sinem wickelte sich sofort mit der Decke ein, sodass sie das Gefühl hatte, die Decke würde ihr Schutz bieten und sie klammerte sich mit aller Kraft daran. Ilhan ging hinaus und schickte Anton in das Schlafzimmer. >>So, sie ist nun im Bett.

Tob dich aus!<< Anton grinste erneut. >>Und es ist wirklich alles erlaubt?<< >>Du bist der Kunde. Der Kunde ist König. Du darfst mit ihr machen was du willst. Schließlich hast du eine ganz nette Summe dafür bezahlt.<< Ilhan grinste zurück. Anton antwortete lächelnd. >>Allerdings, das habe ich.<< Anton ging nun in das Schlafzimmer, in dem sich Sinem bereits befand und machte die Tür hinter sich zu. Sobald Anton das Zimmer betreten hatte, klammerte sich Sinem fester an die Decke und zog sie weiter nach oben zu, sodass nur ihr Kopf und ihre Finger zu sehen waren. Sie starrte Anton mit tränenden und ängstlichen Augen an, wie ein wehr- und hilfloser Reh, der in die Falle getappt war und darauf wartete vom bösen Jäger erschossen zu werden. Man konnte deutlich ihre, vor lauter Tränen angelaufenen und zitternden, glasigen Augen sehen. Sie zitterte am ganzen Körper und wimmerte leise vor sich hin. Ilhan ging seelenruhig in das Wohnzimmer und versuchte es sich vor dem Fernseher gemütlich zu machen. Kenan, der immer noch hinter der Tür saß und Augen und Ohren zuhielt, richtete sich langsam wieder auf und öffnete leise seine Tür. Er streckte seinen Kopf hinaus und checkte die Lage ab. Beim genauen Zuhören, konnte er die weinerliche Stimme seiner Mutter ausmachen. Er machte die Tür ganz auf und ging mit langsamen Schritten in das Wohnzimmer. Er sah wie sein Vater vor dem Fernseher saß und eine offene Flasche Bier in der Hand hielt. Mit leiser Stimme sprach er seinen Vater an. >>Wo ist Mutter?<< Sein Vater drehte sich zu ihm um und nahm einen Schluck aus der Flasche. >>Na sieh einer an. Unser Klugscheißer ist auch hier.<< Er nahm noch ein Schluck und redete, mit bereits Rot angelaufenen Augen, weiter. >>Deine nutzlose Mutter verdient gerade Geld. Oder besser gesagt, sie arbeitet und ich verdiene das Geld. Ganz schön clever was? Du bist nicht der einzige hier, der gescheit ist.<< Ilhan grinste Kenan an und nahm einen weiteren Schluck von seinem Flaschenbier. Kenan konnte seinem Vater nicht folgen und fragte weiter. >>Was meinst du denn damit?<< Ilhan stellte sein Bier auf den Tisch vor ihm ab, stand genervt auf und ging mit schnellen Schritten zu Kenan. Kenan ging instinktiv zwei Schritte nach hinten. Ilhan packte Kenan an seinen Haaren, sodass Kenan's Kopf leicht zur Seite neigte und schimpfte auf ihn ein. >>Hör zu du Bengel! Das sind Geschäfte, die nicht einmal ein begabter Pisser wie du verstehen kannst. So etwas geht dich auch gar nichts an.<< Kenan schrie vor lauter Schmerzen, die sein Vater ihm verursachte, während er Kenan an seinen Haaren festhielt. >>Aua, du tust mir weh!<< Kenan's Beschwerde machte Ilhan nur noch wütender. Er ließ Kenan's Haare los und zog seinen Gürtel aus. Reflexartig kratzte sich Kenan genau an der Stelle, an der sein Vater gerade eben seine Haare fest gehalten hatte. Kenan wusste ganz genau, was jetzt kommen würde. >>Wie oft habe ich dir gesagt, dass ein richtiger Mann niemals jammert?<< Ilhan packte Kenan am Arm und brachte ihn in sein Zimmer. Er machte die Tür hinter sich zu und stieß Kenan auf den Boden. Kenan fiel auf allen Vieren um. >>Na mach schon! Zieh dein T-Shirt aus!<< befahl ihm sein Vater. Kenan tat genau das, was sein Vater ihm sagte und zog sich sein T-Shirt, auf dem ein Bild vom berühmten Maler Gustav Klimt abgebildet war, aus. Dieses T-Shirt hatte ihm eine Klassenkameradin geschenkt, als sie zu Weihnachten das Spiel Engerl-Bengerl in der Klasse spielten und sie Kenan's Namen aus der Box heraus gezogen hatte. Da sie wusste, dass er ebenso Kunst mag, dachte sie, dass das ein angemessenes Geschenk werden würde. Das war es auch. Denn dieses T-Shirt gehörte seitdem zu seinen Lieblingsshirts. Doch jetzt lag das T-Shirt wie ein Klumpen Nichts vor ihm und er kniete mit nacktem Oberkörper mitten in seinem Zimmer und wartete, fast schon mutig, darauf, dass sein Vater endlich weitermachen und diese Sache so schnell wie möglich ein Ende nehmen würde. Man erkannte an seinem Rücken viele Narben, die durch die Schläge seines Vaters entstanden waren. Die Narben vom letzten Mal waren immer noch etwas rötlicher als die anderen, da sie noch frisch waren. Es waren Narben, von denen bislang niemand in der Schule wusste.

Er wusste, wie er die Narben zu verstecken hatte, jedes Mal wenn er sich für den Turnunterricht umziehen musste. Er musste sich ganz einfach mit dem Rücken zu der Wand drehen und schnell wie der Wind seine gewöhnliche Kleidung mit der Sportbekleidung austauschen, sodass weder seine Lehrerin noch seine Mitschüler seine Narben entdecken konnten. Denn sein Vater hatte ihn diesbezüglich sehr streng ermahnt. Und bisher kam er mit dieser Methode auch gut durch. Ilhan machte den Gürtel für die Schläge bereit und holte aus. Der erste Schlag fiel mit einem lauten Klatschen auf Kenan's Rücken und verursachte bei Kenan ein Gefühl als würde ein Vulkan ausbrechen und richtig heiße Lava auf seine Haut ausspucken. Es brannte einfach viel zu sehr. Während Ilhan auf Kenan schlug, schimpfte er mit ihm. >>Wehe du gibst einen Mucks von dir. Dann werden die Schläge nur noch härter werden.<< Kenan machte die Augen vor Schmerzen ganz fest zu und drückte sich beide Hände an den Mund, sodass ja kein Laut seine Lippen verlassen konnten. In Kenan's Augen sammelten sich Tränen, die er mit viel Mühe zurückzuhalten versuchte. Ilhan schimpfte weiter, während er mit seinem Gürtel auf Kenan's Rücken schlug. >>Du wirst bald ein erwachsener Mann werden. Willst du etwa ein Weichei werden? Eine Pussy, die immer jammert? Bist du ein verdammtes Mädchen?<< Mit jedem Schlag zuckte Kenan zusammen und kniff sich dabei die Augen fest zu. Er kämpfte damit nicht zu weinen. >>Du bist ein Junge verdammt. Also verhalte dich auch wie einer!<< Ilhan verpasste Kenan einen letzten Schlag und hörte nach zwei Minuten, die für Kenan wie zwei Stunden vorkamen, mit den Schlägen auf. Kenan verharrte immer noch in seiner Position. Vor lauter Schmerzen konnte er sich kaum bewegen. Die Schmerzen, nach den eigentlichen Schlägen, waren fast noch schlimmer. Dieses Gefühl des Ziehens, des Brennens, des Juckens und des Zwickens zugleich, war das Schlimmste für ihn.

Für einen kurzen Moment tauschte Kenan Schmerzen gegen Angst aus, als sein Vater ihn ansprach. >>Jetzt verpiss dich ins Bett und sieh zu das du schnell einschläfst. Ein so begabter Junge wie du, möchte doch bestimmt nicht zu spät zur Schule kommen.<< Ilhan steckte sein Gürtel wieder an seine Hose und verließ anschließend Kenan's Zimmer. Kurz bevor er durch die Tür hinaus ging, sah er zu Kenan runter und beschimpfte ihn. >>Du Sohn eines Esels, womit habe ich dich bloß nur verdient? Du erfüllst mich mit nichts mehr als nur Scham, du elender Bastard.<< Kenan saß immer noch in derselben Position und bewegte sich nicht bis sein Vater das Zimmer verlassen hatte. Ilhan verließ das Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu. Kenan zuckte dabei zusammen und ließ nun seine Tränen fließen, die er solange, tapfer, zurückhalten musste.

Am nächsten Morgen verband Kenan's Mutter im Wohnzimmer seine Wunden, die er sich durch die brutalen Schläge seines Vaters zugezogen hatte. Seine Mutter hatte dabei ein Gesicht ohne jegliche Emotionen und ihre Blicke waren leer. Es war fast so, als ob sie mit den Gedanken nicht bei der Sache gewesen war. Ihre Hände arbeiteten zwar, aber es schien so, als würden sie von jemand anderem bewegt werden. Von unsichtbaren Fäden, an denen ein unsichtbarer Puppenspieler zog. Kenan saß vor ihr und starrte auf den Boden. Sinem war mit dem Binden fertig und saß noch eine Weile regungslos da und starrte weiter in die Leere. Kenan hob sein Kopf etwas hoch und blickte zu seiner Mutter nach hinten. >>Mutter? Bist du fertig?<< Sinem reagierte nicht auf die Frage ihres Sohnes. Kenan fragte sie erneut. Diesmal mit lauter Stimme. >>Mutter? Bist du fertig? Darf ich jetzt zur Schule gehen?<< Nun wendete die Mutter ihre Blicke auf Kenan. >>Ja, ja! Ich bin fertig. Du kannst jetzt zur Schule gehen.<< Kenan stand auf und zog sich sein Hemd an. Seine Mutter saß immer noch. >>Aber, denk dran! Du darfst niemandem etwas sagen.<< Kenan beruhigte sie. >>Ist gut! Ich sage schon nichts.<< Kenan nahm seine Schultasche, auf dem Spiderman abgebildet war, Spiderman war Kenan's Lieblingssuperheld, in die Hand und verließ das Wohnzimmer. Manchmal, wünschte er sich auch, er hätte Superkräfte wie Spiderman. Denn dann könnte er seiner Mutter immer zur Hilfe eilen und sie vor seinem Vater retten. Doch er wusste, dass Superhelden und Superkräfte nicht existierten. Also müsste er sich selbst etwas einfallen lassen um seiner Mutter helfen zu können. Er wusste nur noch nicht was. Sinem blickte ihm mit leeren Blicken hinterher und verabschiedete sich nicht einmal, wie sie es früher immer tat.

Die Schulglocke klingelte und alle Kinder gingen in ihre Klassen. Kenan stand gemeinsam mit seinen Klassenkameraden in seiner Klasse an seinem Sitzplatz. Die Lehrerin stand vorne an der Tafel und begrüßte ihre Schülerinnen und Schüler. Ihr Name war Veronika Neumann. Sie war eine gut aussehende und junge Dame, die von all ihren Schülerinnen und Schülern, ganz besonders von Kenan geliebt wurde. Er fand, dass sie eine hervorragende, kluge und nette Lehrerin war, die sich sehr mit den Kindern beschäftigte und sich für jede einzelne von ihnen interessierte. Er hatte sie bisher noch kein einziges Mal traurig oder verärgert erlebt. Sie hatte stets ein schönes Lächeln auf und war immer gut aufgelegt. >>Guten Morgen Kinder!<< Die Kinder begrüßten die Lehrerin gemeinsam zurück. >>Guten Morgen Frau Lehrerin!<< Die Lehrerin fuhr fort. >>Gut, bitte alle hinsetzen!<<