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Mord am frühen Sonntagmorgen. Mit welcher Frechheit die Mörder vorgegangen sind, geht daraus hervor, dass sie, während die Überfallenen laut um Hilfe schrien, in einem dritten Zimmer noch alles durchsuchten.
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Seitenzahl: 41
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Christian Lunzer - Henner Kotte
Der Fall Werner und Grosse
Minderlohn
© 2016 cc-live
Kreittmayrstr. 26, 80335 München
Cover: cc-live
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-95616-585-6
www.cc-live.net
Inhalt
Minderlohn
Quellen
Lust auf mehr?
Mütter, Töchter, Ehefrauen
Gift & Galle
Auf Messers Schneide
Weibliche Tugenden
Mörderische Arbeitsmarktverwaltung
Mord am Arbeitsplatz
Arbeitsplatz und Ausbildung
Die Autoren
Der Verlag
Impressum
„Dank den Frommen im Lande ruht Sonntags der Verkehr; die Geschäfte sind geschlossen; ... denn Gottesfurcht und fromme Sitte sollen keine leeren Begriffe sein; die Sonntagsheiligung gilt als probates Mittel gegen den Umsturz ... Handel, Geschäft und Gewerbe ruht; eins ruht aber auch am Sonntag nicht, das ist das Verbrechen; es ruht umso weniger, je förderlicher ihm eine erzwungene und übertriebene Sonntagsruhe ist, die manche gewohnte und natürliche Lebensthätigkeit unterbricht. Was hat der Verbrecher mehr zu fürchten als die allgegenwärtige Presse, die Macht der Öffentlichkeit und die zum Schutz für Leben und Vermögen berufene Polizei? Aber es ist Sonntag und da ist der Arm der Presse gelähmt. Eine grauenvolle That ist vollbracht, mitten in dem beliebtesten Theil der Reichshauptstadt im Herzen Berlins; sie ist verübt an einem der bedeutendsten und angesehendsten Anwälte unter Umständen, die allgemeines Entsetzen erregen. Aber es ist Sonntag..."
Unrecht hat die „Vossische Zeitung“ nicht mit diesem Kommentar auf Seite eins. Möglicherweise wären die Täter eher gefaßt worden. Möglicherweise. Denn in der Frühe des Sonntags, den 18. Oktober 1896, ist „eine Blutthat verübt worden, deren Opfer ein in weiten Kreisen bekannter, hochgeachteter und angesehener Mann wurde. Justizrath Meyer Levy ist in seinem Schlafzimmer ermordet worden. Die beiden Thäter ... sind entflohen und konnten bis heute Mittag noch nicht ermittelt werden. Nach der Auffassung der Polizei handelt es sich nicht um einen Racheakt, wie vielfach geglaubt wurde, sondern um die That von Dieben, die es auf die Beraubung des Justizraths abegesehen hatten und zum Mord schritten, weil sie in der Person des Mannes ein Hinderniß für ihre Absicht erkannten, das sie aus dem Wege zu räumen suchten. Man vermuthet, daß die Einbrecher durch eine Zeitungsmeldung, wonach dem Justizrath Levy eine Million Mark aus dem Meyerschen Nachlaß zur Vertheilung an die Erben zugegangen sei, auf die Vermuthung gekommen wären, bedeutende Beträge in der Wohnung vorzufinden. Weiter glaubt die Kriminalpolizei, daß es nicht gewohnheitsmäßige Verbrecher waren, sondern Leute, die sich für diesen besonderen Fall verbunden hatten. Man schließt dies aus der großen Ungeschicklichkeit, die bei der Ausübung des Verbrechens zu Tage trat ... Die Verbrecher sind, nachdem die Hausthür morgens von einem Bäckerjungen, der die Frühstücksware abtrug und sich im Besitz des Hausschlüssels befand, geöffnet worden war, gegen sechs Uhr von der Straße hereingekommen und sind eine gewundene Treppe im Vorderhause bis zum Absatze in der halben Höhe des zweiten Sockels hinaufgestiegen ... Die zwei Thäter stiegen nun vom Treppenabsatz aus durch ein großes Flurfenster auf die Seitengalerie hinaus, gingen durch die Glasthür, die nicht verschlossen war, in das Eßzimmer hinein und sahen von hier aus durch die offene Thür Levy und Frau im Bette liegen ... Die beiden Verbrecher gingen um das Bett der Frau Levy herum gleich an das des Justizrathes heran, und einer von ihnen stieß mit einem Messer sofort auf diesen los und verwundete ihn durch Stiche im Genick, am Kopfe und an der Brust ohne ihn gleich anfangs tödlich zu treffen. Der alte Herr fuhr in die Höhe und das Geräusch, das dabei entstand, weckte auch seine Frau. Diese sprang, während fast zu gleicher Zeit auch der Mann aus seinem Bette halb herausfiel und halb herausstieg, auf und eilte um Hilfe schreiend an dem Bette des Mannes vorbei nach dem Zimmer zu, in dem das Dienstmädchen schlief. Dabei erhielt sie von dem einen Mordgesellen zwei Messerstiche in Schulter und Hand, die glücklicher Weise nicht bedeutend sind. Justizrath Levy schleppte sich seiner Frau nach zu dem Schlafzimmer des Dienstmädchens und brach hier zusammen. Das Mädchen, das unterdessen wach geworden war und sich halb angekleidet hatte, brachte den alten Herrn in das Schlafzimmer zurück und legte ihn in das Bett seiner Frau, weil sein eigenes mit Blut über und über besudelt war. Dann eilte es auf die Straße den Mördern nach, die das Weite gesuchthatten ...
Mit welcher Frechheit die Mörder vorgegangen sind, geht daraus hervor, daß sie, während die Überfallenen laut um Hilfe schrien, in einem dritten Zimmer noch alles durchsuchten. Eine Frau, die im dritten Stock des Hauses wohnt und von den Hilferufen erschreckt hinauseilte, sah einen der Verbecher auf der Galerie stehen. Sie rief ihn an: ‚Herrjeh, was ist denn bloß los, brennt’s denn?’ worauf dieser ganz harmlos antowortete: ‚Na gewiß ist was los!’ Hierauf nahm er seinen Überzieher, der über der Galerie hing und entfernte sich ohne große Eile. Auffallend erscheint es, daß eine Menge von Personen die Thäter am hellen Tage flüchtend gesehen haben wollen und daß diese dennoch bis jetzt noch nicht gefaßt worden sind ...