Der gelbe Regenmantel - Alexa Hennig von Lange - E-Book

Der gelbe Regenmantel E-Book

Alexa Hennig von Lange

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Beschreibung

In unsicheren Zeiten und Momenten der Überforderung erinnern wir Erwachsene uns oft mit Wehmut an unsere Kindheit, in der das Leben leichter war und wir uns von unseren Eltern und Großeltern behütet fühlten. Wir wünschen uns die Einfachheit dieser Tage zurück, an denen wir alles zum ersten Mal erlebten und schon Kleinigkeiten wie große Wunder wirkten. In sechs Kurzgeschichten erzählt Alexa Hennig von Lange von den Stürmen des Alltags – und den darin plötzlich aufscheinenden Momenten der Geborgenheit. Die zauberhaften Illustrationen von Bonnie & Buttermilk tragen uns nach Hause ins Gefühl der Sicherheit zurück. Dieses sehr besondere Buch ruft uns ins Bewusstsein, dass es oft nicht viel mehr braucht als eine alte Küchenbank, einen großen Regenmantel, ein paar Apfelspalten oder ein Lächeln, um zu wissen, dass alles gut ist.

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Seitenzahl: 77

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Es gibt diese Momente im Leben, in denen alles über einem zusammenschlägt: Ein Mann Mitte dreißig, der plötzlich erkennt, dass er seit zehn Jahren den falschen Beruf ausübt. Eine alleinstehende Lehrerin, deren geliebter Vater mit einem Herzinfarkt ins Krankenhaus kommt. Ein erschöpftes Elternpaar auf der Suche nach mehr Raum und Zeit – und dem Hamster der Familie.

Mit sensiblem Gespür und viel Humor erzählt Alexa Hennig von Lange von alltäglichen Augenblicken, verborgenen Sehnsüchten, von Momenten des Ausbrechens und Ankommens – und davon, wie man in plötzlich aufscheinenden Erinnerungen an die Kindheit Freude und Geborgenheit finden kann.

Eike Braunsdorf, Alexa Hennig von Lange, Kathinka Oettrich (v.l.n.r.)

Alexa Hennig von Lange, geboren 1973, wurde mit ihrem Debütroman ›Relax‹ zu einer der erfolgreichsten Autorinnen ihrer Generation. Zuletzt erschienen bei DuMont die drei Bände ihrer ›Heimkehr-Trilogie‹ und ihr Kochbuch ›Relaxt vegan‹ (2023). Alexa Hennig von Lange lebt mit ihrem Mann und ihren fünf Kindern in Berlin.

Bonnie & Buttermilk ist ein Berliner Modelabel, das von Eike Braunsdorf und Kathinka Oettrich gegründet wurde. Eike und Kathinka entwerfen alle Stoffe selbst und produzieren ihre Kollektionen nachhaltig. Ihre Designs spielen mit Kindheitserinnerungen und werden von Filmen, Songs, Kunst und dem Alltäglichen inspiriert.

www.bonnieandbuttermilk.com

Alexa Hennig von Lange

DER GELBEREGENMANTEL

Geschichten übers Geborgensein

Illustriert von Bonnie & Buttermilk

E-Book 2024

© 2024 DuMont Buchverlag, Köln

Alle Rechte vorbehalten

Verlagskoordination: Kathrin Nick

Lektorat: Leonora Tomaschoff

Gestaltung: Andrea Lehmann

Reproduktionen: PPP Pre Print Partner, Köln

E-Book-Konvertierung: CPI books GmbH, Leck

ISBN E-Book 978-3-7558-1069-8

www.dumont-buchverlag.de

BIST DU SICHER?

Über den Mut, jemanden von ganzem Herzen zu lieben, die Notwendigkeit, über sich selbst hinauszugehen, und die Dankbarkeit, Herausforderungen nicht allein bewältigen zu müssen

»Bist du sicher?«, fragt mein zukünftiger Ehemann und sieht mich besorgt von der Seite an.

»Was soll schon passieren?«, frage ich ihn und klappe den Kroatien-Reiseführer zu. Wir sitzen in Benedicts Bett. Von da aus blicken wir in seine Loft-Wohnung, die er sich mit viel Mühe für sein Junggesellenleben ausgebaut hat. Mit freigelegtem Mauerwerk, einer Küche im Industrial-Design, großen tropischen Pflanzen und Retro-Lichtschaltern. Ich lege den Reiseführer auf die selbst gebaute Holzkiste, auf der eine Retro-Nachttischlampe steht. Ich stöhne leise. Mein stetig größer werdender Bauch ist mir im Weg.

»Das kann passieren«, sagt Benedict und zeigt auf meinen Bauch.

Ich lehne mich zurück und sage trocken: »Das ist schon passiert.«

Wir haben uns kennengelernt, als Benedict gerade mit dem Ausbau seiner Wohnung fertig war. Er hatte eigentlich nicht vor, sich zu binden. Über die Gründe haben wir viel geredet und am Ende hat sich herausgestellt, dass er Bindungsangst hat. Wer hat die nicht? Ich habe mein Leben lang entsetzliche Bindungssangst gehabt. Aber eigentlich ist es nicht die Angst vor der Bindung, sondern vor dem Schmerz, den so eine enge Bindung automatisch mit sich bringt. Ich weiß, das hört sich sehr negativ an. So ist es aber gar nicht gemeint. Benedict und ich, wir lieben uns. Wir haben uns gesehen und wussten, dass wir den Rest unseres Lebens miteinander verbringen wollen. Es war eine reine Herzensentscheidung.

Nun heiraten wir bald und werden Eltern einer kleinen Tochter. Seit unserem Kennenlernen haben wir sehr viel mit unseren jeweiligen Bindungsängsten zu tun gehabt. Es ist schwierig, zwei Leben zu einem gemeinsamen werden zu lassen. Was nicht heißt, dass wir symbiotisch sind. Es heißt, dass wir unseren gemeinsamen Weg finden wollen. Benedict muss zum Beispiel sein Loft für unsere neue gemeinsame Wohnung aufgeben, obwohl die Küche mit all den teuren Geräten so schwer einzubauen war. Und wenn unser Baby da ist, muss ich in Elternzeit gehen, obwohl ich meinen Beruf liebe. Ich muss meine schlanke Figur hergeben, für die ich so hart trainiert habe. Wir haben beide Sorge, uns in der Gemeinschaft zu verlieren und gleichzeitig wollen wir nichts anderes. Ich erzähle hier sicher nichts Neues. Jeder, der sich auf eine enge Bindung einlässt, kennt diese Prozesse.

Gerade geht es um den Prozess, unsere Hochzeitsreise zu planen. Ich möchte nach Kroatien, weil ich dort bei der Familie meines Vaters immer die Sommerferien verbracht habe. Ich möchte meinem zukünftigen Mann den Ort zeigen, der mich in meiner Kindheit wohl am meisten geprägt hat. Das Haus meiner Großeltern ist mein Sehnsuchtsort, an dem ich ganz ich selbst sein kann. Für Benedict gibt es solch einen Ort nicht, sagt er. Das glaube ich ihm natürlich nicht. Jeder Mensch hat einen Sehnsuchtsort, an dem er als Kind ganz er selbst sein konnte. Und wenn es die Sandkiste im Garten war.

»Was denkst du gerade?«, fragt Benedict und knipst das Licht auf seiner Seite aus.

»Wie es dir in Kroatien gefallen wird.«

Mein zukünftiger Ehemann nimmt mich in den Arm. »Na, sehr gut natürlich! Ich habe nur die Befürchtung, dass dir das mit dem Wohnmobil zu viel wird. Ich habe mir mal die Temperaturkurve im Internet angeschaut. Im Hochsommer wird es dort ja ziemlich heiß.«

»Ich weiß. Aber wir haben doch eine Klimaanlage.« Ich bin fest entschlossen, unsere Hochzeitsreise nach Kroatien mit dem Wohnmobil zu machen – wir wollen sogar bis nach Istanbul fahren. Fliegen kommt für mich nicht infrage. Seit der Schwangerschaft leide ich plötzlich unter Flugangst. Außerdem ist Benedict ein sehr guter Autofahrer. Damit wir uns die Hochzeitsfeier leisten können, musste er leider sein Motocross-Bike verkaufen. Damit ist er mit seinen Freunden Rallyes gefahren, bis wir uns kennengelernt haben. Natürlich geben unsere Eltern auch etwas dazu. Aber wir wollen alle unsere Freunde einladen. Das werden an die zweihundert Leute, und ich bezahle dafür die Hochzeitsreise. Zu diesem Zweck habe ich fast alle meine Designerklamotten verkauft, die ich mir für Restaurantbesuche mit meinen besten Freundinnen zugelegt hatte. Wie gesagt: Es ist alles ein Abwägungsprozess. Du gewinnst etwas, wenn du dich bindest, und du verlierst etwas. Oder noch schöner: Du lässt es los. Ich schalte mein Nachtlicht aus und sage: »Es tut mir leid, dass du deine Motocross-Maschine verkaufen musstest.«

Benedict gibt einen kleinen Seufzer von sich und küsst meine Stirn. »Ich liebe dich.«

Ich hätte nicht gedacht, dass eine Fahrt mit dem Wohnmobil nach Kroatien so anstrengend sein kann. Zumindest, wenn man »in anderen Umständen« ist. Es ist Mitte August, überraschend heiß in Kroatien und nach drei Tagen Fahrt ist unsere Klimaanlage bereits kaputt. Das heißt, wir sitzen wie in einer Konservendose, die über dem Feuer erhitzt wird. Natürlich ist das übertrieben. Aber so fühlt es sich für mich nun mal an. Mittlerweile kann ich Benedicts Zweifel verstehen, ob diese Reise wirklich vernünftig ist. Vernünftig ist sie vielleicht nicht, aber ich glaube an Gleichberechtigung. Ich habe mir Flitterwochen in Kroatien gewünscht, Benedict Flitterwochen mit dem Wohnmobil. Er wollte schon immer einmal mit dem Wohnmobil durchs regnerische Schottland fahren, nun geht es genau in die entgegengesetzte Richtung. Mein frisch angetrauter Mann trägt Badehose und T-Shirt und steuert uns die kurvige Küstenstraße hinunter, vorbei am glitzernden, kristallblauen Meer. Ich habe eins seiner T-Shirts an, einen Rock mit Gummizug und meine Fußknöchel werden immer dicker. Ich versuche, meine Beine auf das Armaturenbrett zu legen, damit die Stauung etwas nachlässt. Wir genießen die schöne Aussicht, gleichzeitig werden unsere Augen immer müder. Heute Nacht konnten wir nur noch auf einem Hotelparkplatz »wild parken«, weil der angepeilte Campingplatz voll belegt war. Von draußen schienen die Parkplatzlaternen zu uns herein und tauchten das Innere unseres mobilen Heims in gelbes Licht. Wir lagen auf dem Bett über der Fahrerkabine. Was heißt »lagen«. Ich musste jede Stunde die schmale Leiter hinunterklettern, um auf unsere Chemietoilette zu gehen. Das gehört dazu, wenn man schwanger ist. Gegen fünf Uhr morgens, bei Sonnenaufgang, klopfte es ziemlich heftig an unserer Plastiktür. Benedict ist aufgestanden und hat nachgeschaut, was los ist: Es war die örtliche Polizei, die uns genau fünf Minuten gegeben hat, um uns vom Acker zu machen. Ich kichere.

»Was ist los?«, fragt Benedict und sieht mich durch die Gläser seiner Aufreißer-Sonnenbrille an, die er sich in irgendeinem Thailandurlaub vor unserer Zeit gekauft hat.

»Das ist eine ziemlich witzige Hochzeitsreise«, antworte ich.

Er grinst. »Wenn du das sagst.«

»Na ja, oder aufregend. Hätten die netten Slowenen nicht alle ihre Autos umgeparkt, damit wir wieder aus der verwinkelten Altstadt von Bled herauskommen, würden wir immer noch in der engen Gasse feststecken.«

»Dafür haben wir jetzt eine Schramme hinten an der Stoßstange.« Benedict legt seine Hand auf meine. Zärtlichkeiten verbinden uns. Es gibt vieles, was uns miteinander verbindet. Vor allem, dass wir zusammen alt werden wollen.

Mit einem Tuch wische ich mir den Schweiß von der Stirn und öffne das Fenster, um ein bisschen Meeresbrise hereinzulassen. Die salzige Luft riecht so gut. Ich höre die Möwen kreischen. Ich sage: »Bei dem Preis, den wir für diese Schrottlaube bezahlen, sollte man eigentlich erwarten, dass die Klimaanlage funktioniert.« Schrottlaube trifft es natürlich nicht ganz. Eher fahren wir mit einer rustikalen Schrankwand durch die Gegend. Innen ist alles mit Holzfurnier verkleidet und die Sitzbank hat Blümchenbezug. Aber trotzdem funktioniert so gut wie nichts. Ich seufze: »Nicht zu vergessen, dass wir jetzt nur noch ein zugeklebtes Toilettenfenster haben.«

Auf den steilen Serpentinen hinunter zum Mittelmeer kam uns gestern ein Tanklaster entgegen, der wie Benedict keine Lust hatte, die Geschwindigkeit zu drosseln. Er zieht die Stirn kraus. »Ich dachte, Augen zu und durch«, sagt er.