Stresst ihr noch oder liebt ihr schon? - Alexa Hennig von Lange - E-Book

Stresst ihr noch oder liebt ihr schon? E-Book

Alexa Hennig von Lange

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Beschreibung

Eine glückliche Familie ist weder harte Arbeit noch Zauberei. Sondern eine Entscheidung.

Alexa Hennig von Lange und Marcus Jauer erzählen in „Stresst Ihr noch oder liebt Ihr schon?“ mit Witz und Charme, wie sie durch fünf Kinder, Patchwork, Karriere und Partnerschaft zu mehr Freiheit gefunden haben. Kinder gelten heute als Anschlag auf die gute Laune, als Sargnagel im Lebensplan. Mütter, die bedauern Mutter geworden zu sein. Väter, die sich im Büro verschanzen, seit Zuhause ein Baby schreit. Eltern, die sich gegenseitig die Schuld für den Schlamassel geben, in dem sie stecken und der sich Familie nennt. Darüber gibt es inzwischen unzählige Bücher und Zeitungsartikel – nur keine Lösung.
Alexa Hennig von Lange und Marcus Jauer zeigen einen Weg aus dieser Sackgasse. Sie erzählen von ihrer Familie nicht als System des ständigen Lasten- und Zeitenausgleichs sondern als Ort, an dem sich Gleichberechtigung und Freiheit ganz neu definieren. Entlang ihres Weges vom ersten Date bis zum fünften Kind beschreiben die beiden Autoren, wie jede kleine und große Herausforderung – Feminismus, Singlesein, durchwachte Babynächte, Pubertät, Liebeskummer, umgekippte Saftgläser und Schwiegermütter – nicht zu mehr Stress sondern zu mehr Gelassenheit und Liebe führen kann.
„Stresst Ihr noch oder liebt Ihr schon?“ ist ein modernes Plädoyer für eine Familie, die nicht nur Hülse ist sondern Lebensinhalt. Weil sich darin alle – nicht nur die Kinder, vor allen Dingen auch die Eltern – miteinander weiterentwickeln und lernen erfolgreich zu sein.

  • - Humorvoll aus dem Leben gegriffen. Mit Wiedererkennungswert und Aha-Faktor
  • - Verliebt wie am ersten Tag – trotz Erziehungsdiskussion und Hausarbeit
  • - Job, Karriere, Lebenstraum: Wer Familie schafft, schafft alles
  • - Verantwortung und Selbstgefühl: Wie man durch Kinder erwachsen wird
  • - Jeder Tag ein neues Desaster: Wie der Alltag zum Ereignis wird
  • - Besonders reizvoll: Das Ehepaar erzählt aus Frauen- und Männersicht

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ALEXA HENNIG VON LANGE MARCUS JAUER

STRESST IHR

NOCH ODER

LIEBT IHR

SCHON?

WARUM FAMILIE NICHT

DAS PROBLEM IST,

SONDERN DIE LÖSUNG.

GÜTERSLOHER VERLAGSHAUS

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.

Copyright © 2016 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

Umschlagmotiv: Gute Botschafter GmbH, Haltern am See

ISBN 978-3-641-19820-6V001

www.gtvh.de

INHALT

STRESST IHR NOCH ODER LIEBT IHR SCHON?

Vorwort

von Alexa Hennig von Lange und Marcus Jauer

IM NAMEN ALLER FRAUEN

Alexa erzählt davon,

dass Emanzipation noch lange nicht ein größeres Maß an Freiheit bedeutet.

WOHER ICH KAM

Marcus erzählt davon,

dass ein Leben als Single noch lange nicht ein größeres Maß an Freiheit bedeutet.

EINE NEUE GRUPPE

Alexa erzählt davon,

dass es auch nach einer gescheiterten Ehe für eine Familie nie zu spät ist.

EINE NEUE WELT

Marcus erzählt

von der Selbstfindung und dem Kraftzuwachs durch die Familie.

MIT MEHL SCHMEISSEN

Alexa erzählt davon,

dass die wahre Stärke in der Bitte um Hilfe liegt.

PLÖTZLICH PAPA

Marcus erzählt davon,

dass nicht die Vergangenheit die Zukunft bestimmt – sondern jeder selbst.

NICHT JEDES KANU KENTERT

Alexa erzählt davon,

dass das Leben gar nicht so gefährlich ist.

DARF EIN PATCHWORKVATER MITERZIEHEN?

Marcus erzählt davon,

dass ein »Nein« die Kindheit retten kann.

TANTRAKURS

Alexa erzählt davon,

dass sich Verlustangst am leichtesten im schlimmsten Albtraum auflöst.

DER GRÖSSTE ABENTEURER VON ALLEN

Marcus erzählt davon,

dass man nicht weit gehen muss, um bei sich selbst anzukommen.

WAS, WENN ER MICH FÜR EINE ANDERE FRAU VERLÄSST?

Alexa erzählt davon,

wie sinnlose Gedanken Panik auslösen und wie man sie unschädlich macht.

MÄNNERTRIP

Marcus erzählt davon,

warum manche Freundschaften nach der Familiengründung aus der Kurve fliegen.

DER VATER MEINER TOCHTER

Alexa erzählt davon,

dass auch glückliche Trennungskinder keine Heimat haben.

ICH MACH DAS ABER SO!

Marcus erzählt davon,

warum zwei Ordnungssysteme besser sind als eins.

ICH BIN TISCHMANIEREN

Alexa erzählt davon,

dass man sich nicht trennen muss, nur weil der Partner anders »isst« als man selbst.

ICH WILL DA NICHT MEHR HIN

Marcus erzählt davon,

ob Kinder ihre Hobbys immer durchhalten müssen.

DIE BESTEN ELTERN DER WELT

Alexa erzählt davon,

dass dreijährige Kinder sich noch nicht selbst Grenzen setzen können.

WER IST HIER DER ERWACHSENE?

Marcus erzählt davon,

warum Eltern sich manchmal unreifer aufführen als ihre Kinder.

MEIN ALLERBESTER FREUND

Alexa erzählt davon,

wie leicht es sein kann, dem anderen zuzuhören – wenn er schreit.

VON FEST ZU FREI

Marcus erzählt davon,

dass Kündigen manchmal der einzige Weg sein kann, um erfolgreich zu sein.

DUMME SACHEN MACHEN

Alexa erzählt davon,

dass Kinder keine Mörder sind, auch wenn sie jemanden fast umbringen.

PUBERTÄT

Marcus erzählt davon,

warum diese Phase vollkommen zu Unrecht ein schlechtes Image hat.

DIE RÄDER AN DER WIEGE

Alexa erzählt davon,

dass es kein Parallelleben als Bacardi-Cola-Model gibt.

WIR ZIEHEN AUFS LAND

Marcus erzählt davon,

wie man in zwei verschiedenen Lebensträumen das Gemeinsame entdeckt.

JETZT RETTE ICH DIE WELT

Alexa erzählt davon,

dass von einem umgekippten Saftglas nicht die Welt untergeht.

MEIN VATER, MEIN SOHN UND ICH

Marcus erzählt davon,

dass es auch ein Master of the Universe manchmal nicht besser kann.

ICH BIN NICHT WÜTEND

Alexa erzählt davon,

dass niemand ein Opfer sein muss.

IST DAS NICHT WAHNSINNIG ANSTRENGEND?

Marcus erzählt davon,

was im Familienleben am meisten Kraft kostet.

GEHEN SIE WEG VOM BABY!

Alexa erzählt davon,

dass die eigenen Eltern mindestens so unschuldig sind wie Babys.

WENN EINER STIRBT

Marcus erzählt davon,

dass man den Tod nicht ohne den lieben Gott erklären kann.

EIN LEITFADEN FÜRS LEBEN

Alexa erzählt davon,

dass auch Eltern von ihren Kindern lernen.

IMMER NIE ALLEIN

Marcus erzählt davon,

warum das Leben hundertzwanzig Jahre dauern soll.

STRESST IHR NOCH ODER LIEBT IHR SCHON?

Vorwort

von Alexa Hennig von Lange und Marcus Jauer

Es ist witzig. Sobald Eltern irgendwo erzählen, dass sie Kinder haben, werden sie mitleidig angesehen. Es fallen Sätze wie: »Oh, das ist bestimmt anstrengend!« Oder: »Ist das nicht total nervig?« Als seien diese Erwachsenen in einen richtigen Schlamassel hineingeraten, der erst wieder vorbei ist, wenn die gerade erst geborenen Kinder endlich aus dem Haus sind.

Dabei sind wir Eltern es doch, die sich dazu entschieden haben, eine Familie zu gründen und Kinder zu bekommen. Warum tuen wir uns und allen anderen dann trotzdem so leid? Als hätten wir uns durch die Elternschaft von unseren einstigen Lebensträumen verabschiedet. Warum fühlen wir uns im eigenen Heim gefangen und geben unseren Partnern die Schuld daran, als hätten sie uns zu dieser Familie gezwungen? Warum sagen wir dauernd solche Sätze wie: »Ich brauch dringend mal eine Auszeit!«

Weil die Sehnsucht, vor den eigenen Kindern, der Partnerschaft, dem Familienleben flüchten zu können, längst zum allgemeinen Konsens gehört.

Scheinbar automatisch werden wir Erwachsenen zu Müttern und Vätern, die ihren Alltag mühsam bis unerträglich finden. Plötzlich besteht er aus lauter Dingen, die wir uns so nicht vorgestellt haben. Wir könnten durchdrehen, wenn »schon wieder« ein Saftglas umkippt, die Kinderzimmer »schon wieder« so aussehen, als sei eine Bombe eingeschlagen, in Mathe »schon wieder« eine Fünf geschrieben wurde. Wir wollen das Selbstverständliche nicht akzeptieren: dass Babys nicht nur blumig duften und niedlich schlummern und Teenager heimlich rauchen und im Bad die nassen Handtücher auf dem Boden liegen lassen.

Dieser Widerstand ist in etwa so absurd, wie wenn Christoph Kolumbus sich mitten auf dem Ozean darüber beklagt hätte, dass so eine Entdeckerfahrt echt anstrengend ist. Von wegen: »Leute, ich brauche dringend eine Auszeit!« Jeder hätte ihn sofort für komplett unzurechnungsfähig gehalten!

Der einzige Unterschied zwischen Kolumbus und uns liegt darin, dass wir so tun, als hätten wir mit unserer Elternschaft, unserer Familie keine freie Wahl getroffen. Oder als würde ausgerechnet mit unserer Familie etwas nicht stimmen. Wir beklagen uns darüber, dass unsere Kinder sich weniger »im Griff« haben als wir uns selbst. Wir erziehen mit schlechter Laune anstatt mit Liebe. Wir sind es leid, unsere Santa Maria durch die Nacht und sämtliche Unwetter zu segeln, im ständigen Auf und Ab mit unseren Partnern, wer hier eigentlich das Sagen und wer die Mehrarbeit hat.

Warum feiern wir Mütter und Väter nicht in uns den großen und mutigen Abenteurer Christoph Kolumbus, der sich entschlossen aufmachte, seinen Lebenstraum von Freiheit zu erfüllen? Hat Christoph Kolumbus jemals gesagt: »Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich nie losgefahren«?

Er hat sich in sein Abenteuer gestürzt, obwohl er wusste, dass es enorme Herausforderungen mit sich bringen würde. Das liegt in der Natur des Abenteuers. Er hat dafür die volle Verantwortung übernommen. Mit Sicherheit hätte er es als Beleidigung seiner Autorität empfunden, wenn ihm irgendjemand mitleidig auf die Schulter geklopft und gesagt hätte: »So ein Sturm ist bestimmt nervig!« Oder: »Wie kommst du nur mit dieser minderbemittelten Mannschaft klar?«

Elternschaft ist nichts anderes als die glorreiche Fahrt mutiger Abenteurer, die mit der ihr anvertrauten Mannschaft in See stechen. Mal weht kein Lüftchen, dann fegt wieder ein heftiger Orkan über uns hinweg. Auch auf unserem Schiff gibt es Meutereien und furchtbare Epidemien. Vielleicht bricht sogar mal der Mast. Doch genau wie Kolumbus sollten wir niemals an unserem Ziel zweifeln oder uns klagend das Steuerrad aus der Hand nehmen lassen.

Genau wie von Kolumbus, hängt von uns Eltern das Gelingen unserer Reise ab. Er hatte eine Vision. Wir haben eine Vision. Er hatte die Verantwortung. Wir haben die Verantwortung. Hätte Kolumbus sich gegen seine Mannschaft gewendet, so, wie wir uns gelegentlich gegen unsere eigene Familie wenden, hätte sein Schiff nicht mal den Hafen verlassen und er niemals das Unglaubliche entdecken können. Solange er entschlossen war, waren es alle anderen auch. Seine Begeisterung, Teil von etwas ganz Großem zu sein, hat ihn zum unsterblichen Helden gemacht. Er hatte sich ins Ungewisse begeben, um eine neue Welt zu entdecken. Aufgeben, umdrehen kam nicht in Frage.

Bevor wir mit unseren Familien Schiffbruch erleiden, sollten wir an unsere Kraft, an unsere Freude, an unsere Gemeinschaft und an unseren einstigen Lebenstraum von etwas ganz Großem denken und darauf vertrauen, dass unsere Herzen – unser innerer Kompass – uns leiten werden. Mit jeder Herausforderung werden wir stolzer und sicherer werden. Egal, ob »echte« oder Patchworkfamilie – wir Mütter und Väter, unsere Kinder werden eine Entdeckung machen von unglaublicher Schönheit, Weisheit und Freude. Wir werden vor Anker gehen in einer Welt voller Freiheit, Liebe und wahrer Partnerschaft. Machen wir uns auf – in eine neue Welt mit unseren Kindern.

IM NAMEN ALLER FRAUEN

Alexa erzählt davon,

dass Emanzipation noch lange nicht ein größeres Maß an Freiheit bedeutet.

Als meine erste Tochter Lilly geboren wurde, war ich noch ziemlich jung. Eine alleinerziehende, total selbstbestimmte Mutter zu sein, war Teil meines feministischen Lebensplans. So wie Madonna, die sich kurzerhand von dem vorbeijoggenden Fitnesstrainer »Carlos Leon« ein Baby hatte machen lassen, um es dann allein aufzuziehen. Ich stellte mir so ein Alleinerziehenden-Dasein ziemlich cool und unkompliziert vor. Außerdem entsprach das direkt dem Traum meiner Mutter, die während meiner Jugend immer mal wieder festgestellt hatte, dass es unmöglich war, mit meinem Vater Lösungen zu finden, die nicht auf ihre Kosten gingen. Ihre Lieblings-Parole lautete: »Heiratet bloß nicht, Kinder!«

Die Umsetzung schien so einfach. Als müsste ich mir nur ein dickes, weiches Sofakissen unters T-Shirt stopfen – schon hätte auch ich ein Kind. Nun ja, viel schwerer war es tatsächlich nicht. Als entschlossene junge Frau ging es überraschend leicht, visionäre Lebenspläne in die Tat umzusetzen. Umso schockierter war ich, als sich kurz nach dem Durchführen des positiven Schwangerschaftstests eine nicht mehr zu steuernde Naturkatastrophe in Gang setzte.

Schon im dritten Monat taumelte ich wie ein schwerfälliges, von Sodbrennen gebeuteltes Teletubbie in der Gegend herum und musste meine schmerzenden Unterschenkel beim Schlafen auf einem Getränkekasten ablegen – ein harmloser Vorgeschmack auf das, was mich und meine Emanzipation noch erwarten würde.

Weit entfernt – auf einem ganz anderen Stern – saßen meine Freundinnen leichtfüßig in Cafés herum, schmissen Studenten-Partys in neuen H&M-Fummeln und tranken billigen Fusel bis zum Abwinken, bevor sie einen Mann finden und für immer in den Hafen der Ehe einlaufen würden. Unter ihnen kam ich mir nicht mehr fortschrittlich und mutig vor, sondern einfach nur wie ein einsames, riesiges, unförmiges Neutrum.

Mit fünfzehn Jahren hatte ich schon einmal über achtzig Kilo gewogen. Damals hatte ich mich ähnlich gefühlt und es mithilfe der Brigitte-Diät und anschließender Magersucht geschafft, mein Wunschgewicht zu erreichen, und mir geschworen, mich nie wieder so weit von meinem Idealbild als weltgewandte, moderne, aufgeklärte junge Frau zu entfernen. Diese Selbstkontrolle hatte sich so unglaublich nach Freiheit angefühlt. Als könnte ich alles erreichen, was immer ich wollte. Und das hatte ich ja auch: Ich war schwanger und allein.

Nachdem meine Tochter Lilly auf die Welt gekommen war, sahen mich auf der Mutter-Kind-Station des Krankenhauses nicht nur die anderen frischgebackenen Mütter, sondern auch Schwestern und Ärzte mitleidig an. Mehr als zwölf Stunden lang hatte ich in Agonie den gesamten Klinikkomplex zusammengebrüllt. Ein Panzer war über mich hinweg gerollt, eine Handgranate war in mir explodiert, ich hatte meiner Hebamme kräftig in die Hand gebissen und sie angefleht, mir die Kugel zu geben.

Ich hatte genug von der übermächtigen Natur, der ich mich während der letzten neun Monate und der Geburt notgedrungen hatte unterwerfen müssen. Ich wollte so schnell wie möglich zurück zu den gewohnten Abläufen. Zurück zu meinem alten Selbstbild. Zurück zur Kontrolle. Zurück zu meinem unabhängigen Ich. Vorsorglich hatte ich meine Röhrenjeans in meine Krankenhaustasche gepackt, im Glauben daran, nach der Geburt sofort wieder hineinzupassen. Ich bekam die Jeans nicht einmal über die Knie gezogen.

Ich war so erleichtert, als ich endlich wieder zu Hause war und meine Hebamme Elke kam, um mir – wie ich dachte – ein bisschen Mut zuzusprechen. Stattdessen tat sie alles, um mich noch mehr in eine Zwangslage zu manövrieren. Tatenlos sah ich aus der linken oberen Zimmerecke zu, wie Elke sich abmühte, meine sterbliche Hülle zum Stillen zu bringen. Zuerst kamen noch Freundinnen vorbei, um sich mein niedliches Baby anzusehen. Meist, wenn Lilly und ich gerade in einen unruhigen Mittagsschlaf gefallen waren. Mit strähnigen Haaren schleppte ich mich zur Tür, klappte mit letzter Kraft meine Augendeckel hoch, während mein kleiner Engel am anderen Ende des Flures schon wieder in seiner Wiege schrie.

Irgendwann fiel ich meiner großen Schwester erschöpft in die Arme, als sie mit einem Kuchen vor der Tür stand. »Ich will mich einfach nur mal zwei Minuten frei bewegen! Ist das denn zu viel verlangt?« Ich heulte furchtbar und ich kam mir vor wie der Mann in der eisernen Maske, der schon seit Jahren kein Tageslicht mehr gesehen hatte. Von wegen: alleinerziehend und unabhängig! Ich konnte mich keinen Schritt von meinem Baby entfernen, ohne dass es sofort anfing zu schreien. Es war ja nicht direkt ein Vater da, mit dem ich mir die Sorge um unser gemeinsames Baby teilte. Mit dem ich stolz und glücklich unser Kind heranwachsen sah. Denn: Der blutjunge Papa lebte in einer wilden WG und verfolgte mit Volldampf seine eigenen Lebenspläne – die erst einmal keine Familie vorsahen.

Ich tröstete mich damit, dass ich das Ganze mental überhaupt nur durchhalten konnte, weil ich alleine war. Weil ich nicht wie all die anderen Mütter auf dem Spielplatz mit einem Mann verheiratet war, der jeden Morgen ganz entspannt und gut gelaunt zur Tür hinausmarschierte und am Abend ganz entspannt und gut gelaunt wieder hereinkam und fragte: »Und, noch alles frisch?« Ein Mann, der sein ganz normales Leben weiterführte und mir witzige Schoten aus dem Büro erzählte oder sich mit Kollegen zur zweistündigen Mittagspause traf, während ich – wie mit der Zeitmaschine zurück in die 50er Jahre geschossen – den gesamten Haushalt schmiss, unser Baby stillte, einkaufen ging und versuchte, wenigstens ein bisschen was zu arbeiten. Diese ungerechte Aufgabenverteilung hätte mir definitiv so richtig den Rest gegeben.

Vermutlich war genau das der Grund gewesen, warum meine Mutter meiner Schwester und mir eingebläut hatte, dass Kinder haben ohne Mann stressfreier sei. Sie war es leid gewesen, meinem Vater beim Kommen und Gehen zuzusehen, während sie sich um uns Kinder kümmerte, obwohl auch sie gerne mehr gearbeitet hätte. Aber ein Kind vierundzwanzig Stunden am Stück ohne Zeugen zu betreuen war auch nicht gerade emanzipiert.

Vier Jahre später – als ich frisch verheiratet und mit meinem Sohn schwanger war –, hatte ich verstanden, dass es schöner fürs Kind war, wenn die Eltern zusammenlebten. Was für mich bedeutete, ich konnte jetzt genau in die entgegengesetzte Richtung marschieren und direkt weiterarbeiten. Und zwar richtig. Ich fand es nur gerecht, dass jetzt mal der Papa mit der Babybetreuung betraut war und mir den Rücken freihielt, damit ich – im Namen aller Frauen – karrieretechnisch ordentlich durchstarten konnte. Schließlich verwirklichten wir Frauen uns mindestens so gerne wie Männer durch unsere Arbeit! Mir gefiel die Aufgabenteilung sehr. Ich war viel unterwegs, führte ein abwechslungsreiches Leben, traf jede Menge Leute und kam mir endlich wieder modern und selbstbestimmt vor – nicht so mein damaliger Mann, der wohl zunehmend an seiner neuen Hausfrauen-Rolle zu knapsen hatte, bis er den Spieß umdrehte, plötzlich ununterbrochen unterwegs war und aus mir wieder die schreibende Hausfrau wurde. Und das, obwohl wir uns ursprünglich beide diese Familie gewünscht hatten!

Aus all diesen Erfahrungen ergab sich für mich folgende Frage, als ich geschieden, mit zwei Kindern und alleinerziehend war: »Ist es überhaupt möglich, als Paar Kinder aufzuziehen und seinem Beruf nachzugehen, ohne dass irgendjemand unglücklich ist – oder im schlimmsten Fall die Ehe daran zerbricht?«

WOHER ICH KAM

Marcus erzählt davon,

dass ein Leben als Single noch lange nicht ein größeres Maß an Freiheit bedeutet.

Im Sommer, bevor ich Alexa traf, fuhr ich allein für eine Woche ins Baltikum. Ich lebte damals schon seit längerer Zeit mit niemandem mehr zusammen und hatte auf absehbare Zeit auch nicht vor, das zu ändern. Insofern war diese Reise genau das, was meiner Situation entsprach. Dennoch fühlte es sich ungewohnt an. Ich war noch nie allein in den Urlaub gefahren.

Am Flughafen von Riga mietete ich mir ein kleines Auto, mit dem ich die nächsten sieben Tage herumfuhr. Ich nahm Straßen, die kilometerlang einfach nur geradeaus durch Wälder führten. Manchmal tauchte ein Dorf auf oder Kinder, die vom Angeln kamen. Wo ich es schön fand, hielt ich an. Ich ging in einem Fluss schwimmen, übernachtete in einer Windmühle, und einmal saß ich den halben Tag am Ostseestrand am Lagerfeuer, ohne einen einzigen Menschen zu sehen. Ich glaube, ich kam mir recht bemerkenswert vor in dieser Zeit, wenigstens machte ich mir jede Menge Notizen in ein kleines Buch, das ich eigens zu diesem Zweck vor meiner Abreise gekauft hatte.

Am letzten Tag meiner Reise übernachtete ich in einem Ferienort mit dem Namen Palanga, ohne zu wissen, dass es sich hierbei um den Ballermann Litauens handelt. Alle Hotels waren ausgebucht, und nur durch Zufall fand ich, weit entfernt vom Strand, ein Zimmer in einem Einfamilienhaus, in dem ich mir das Bad mit vier weiteren Urlaubern teilte. Die Familie selbst wohnte im Keller ihrer Pension. Als es Abend wurde, setzte ich mich in ein Café auf der Promenade, das sich nach und nach füllte, und beobachtete die Gäste, während ich hoffte, dass die Kellner niemanden zu mir setzten, bis ich irgendwann das Gefühl bekam, die Gäste beobachteten mich.

Wirkte ich etwa einsam auf sie? Wie jemand, der niemanden gefunden hatte? Sahen sie mir gar nicht an, dass ich es nicht anders wollte? Oder war das für sie nicht zu verstehen – dass jemand absichtlich allein blieb?

Plötzlich kam ich mir vor wie der einzige Single außerhalb von Berlin-Mitte. Wie ein Sportler, dem auf einmal klar wird, dass die Disziplin, für die er täglich so hart trainiert, nirgendwo anders bekannt ist. Aber dann rief ich mir in Erinnerung, wie weit ich in dieser Disziplin schon gekommen war – ich hatte einen tollen Job, jede Menge interessanter Freunde, ich ging ins Fitnessstudio, wurde auf Partys eingeladen, wohnte in einem Loft, das ich selbst ausgebaut hatte, und all das in einer Stadt, die die halbe Welt spannend fand – und ich beruhigte mich wieder. Was wussten denn schon die Litauer? 

Nach dem Essen wollte ich, wie jeden Abend auf dieser Reise, noch eine Runde joggen. Ich lief hinunter zur Ostsee, die Sonne ging gerade unter und der Strand war voller junger Familien. Männer, die eher noch Jungs, und Frauen, die fast noch Mädchen waren, standen da, eng umschlungen, sich an den Händen haltend, und schauten aufs Wasser, während ihre Kinder im Sand spielten und ich ihnen quer durchs Bild lief. Obwohl alle diese Paare jünger waren als ich, hatten Männer und Frauen jeweils schon Bäuche. Vermutlich waren sie ein paar Jahre zuvor schlank und schön gewesen, und dann hatten sie mit dieser Attraktivität nichts anderes anzufangen gewusst, als  jemanden zu finden, eine Familie zu gründen und Kinder zu bekommen.

Aber war es von der Natur nicht genauso vorgesehen?

Hatten sie nicht alles zur genau richtigen Zeit getan, während ich nie in der richtigen Zeit war, sondern ihr ständig davonlief? Gerade versuchte ich, joggend meinen Körper zu konservieren – aber für wen eigentlich? Warum war ich überhaupt so wild entschlossen, allein zu bleiben?

Das allerdings konnte ich genau begründen.

Ich kannte damals nur zwei Arten von Beziehungen, und beide wirkten auf mich nicht gerade überzeugend. Die eine war die Ehe meiner Eltern gewesen. Zwei Menschen, die sich einmal wegen ihrer Verschiedenheit füreinander entschieden hatten und die am Ende auf nichts genervter reagierten als auf eben diese Verschiedenheit. Meine Mutter ist ein sehr strukturierter Mensch und vermutlich hat ihr an meinem Vater zuerst die Leichtigkeit gefallen, mit der er alles anging und die ihr nicht zur Verfügung stand. Dafür sah er in ihr vermutlich den Menschen, der wusste, wie man aus all den Ideen, Eingebungen und Wünschen, die er hatte, etwas machen konnte. Sie hätten voneinander lernen können, wie man sich ergänzt, stattdessen setzte einer sich durch. Bei ihnen war das meine Mutter.  Als Kind sah es für mich so aus, als würde sie bestimmen, wie der Hase zu laufen hatte, und anscheinend war mein Vater der Hase. Dieses Gefühl des Herumgejagtwerdens und Nichtgenügens, auf der Hut zu sein vor dem strengen Blick der eigenen Frau, dieser Eindruck, dass man als Mann nichts richtig machen konnte, weil man die Dinge anders anging – das wollte ich für mich nicht.