Der Kampf ums Glück - Gilbert Morris - E-Book

Der Kampf ums Glück E-Book

Gilbert Morris

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Beschreibung

Ergreifendes Historiendrama im 18. Jahrhundert Als die Briten und Franzosen in den turbulenten 1750ern in den Krieg gegeneinander ziehen, fechten die Zwillinge David und Paul ihren eigenen Kampf aus. Nur einer der beiden kann der rechtmäßige Erbe von Wakefield sein. Aus Rache wird ein Geheimnis gelüftet, das einen unwiderruflichen Riss zwischen die Familien hervorzubringen scheint. Nun muss ihr Glaube zeigen, ob er stark genug ist, dem standzuhalten... Die Wakefield-Saga: Band 1: Das Schwert der Wahrheit Band 2: Zwischen Liebe und Hass Band 3: Der Schlüssel der Weisheit Band 4: Stärke des Herzens Band 5: Stürme der Liebe Band 6: Der Kampf ums Glück Band 7: Im Taumel des Glücks Gilbert Morris (1929–2016) war Pastor, Englisch-Professor und Bestsellerautor. Mit seiner Frau und seinen drei Kindern lebte er in Alabama, USA.

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SCM Hänssler ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört,einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher,Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

ISBN 978-3-7751-7516-6 (E-Book)ISBN 978-3-7751-6025-4 (lieferbare Buchausgabe)

Dieser Titel erschien zuvor unter der ISBN: 978-3-7751-3048-61. Auflage 2021 (2. Gesamtauflage)

© der deutschen Ausgabe 2021SCM Verlagsgruppe GmbH · Max-Eyth-Straße 41 · 71088 Holzgerlingen Internet: www.scm-haenssler.de;E-Mail: [email protected]

Originally published in English under the title: The Song of Princes© 1997 by Gilbert MorrisPublished by Tyndale House Publishers, Inc.

Übersetzung: Laura ZimmermannUmschlaggestaltung: Jan Henkel, www.janhenkel.comWappen: Adler: © Potapov Alexander/Shutterstock.com,Schild: © pashabo/Shutterstock.comTitelbild: Häuserreihe: © Konmac/Shutterstock.com,beide Reiter: © Tony Marturano/Shutterstock.comSatz: Satz & Medien Wieser, Aachen

Inhalt

Über den Autor

Widmung

I | Der Erbe von Wakefield 1753–1759

1 | Der schlechte Samen

2 | Du warst mein Leben …!

3 | Die Verwechslung

4 | Die alte Ordnung ändert sich

5 | Der verlorene Sohn geht

6 | Tod in Quebec

II | Zu haben und zu halten 1760–1768

7 | Felle

8 | Eine Frau zum Lieben

9 | Der Überfall

10 | Männer sind ja solche Narren!

11 | »Liebe ist eine gefährliche Sache«

12 | Hochzeitsglocken

III | Ein Tag im Gericht 1772–1773

13 | Die Rückkehr des verlorenen Sohnes

14 | Aus der Vergangenheit

15 | Die Gerichtsverhandlung

16 | Das Leben eines armen Mannes

17 | Eine alte Flamme

18 | Bethany übernimmt das Kommando

IV | Die tiefe Kluft 1773–1775

19 | Blutsbande

20 | Honors Zeit ist gekommen

21 | Wolken über Boston

22 | Zwei Frauen

23 | Duell im Morgengrauen

24 | Kein Ausweg

25 | Die Sprache des Blutes

26 | Eine Zeit für Bethany

Mehr über Wakefield in Band 7 »Im Taumel des Glücks«

1 | Ein Ball für Shayna

Leseempfehlungen

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Über den Autor

GILBERT MORRIS (1929–2016) war Pastor, Englisch-Professor und Bestsellerautor.

Mit seiner Frau und seinen drei Kindern lebte er in Alabama, USA.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Widmung

Für Mark und Janie Baber

Weder Zeit noch Entfernung haben meine wundervollen Erinnerungen an euch verwischen können. Ich denke so oft an unsere schöne gemeinsame Zeit, als wir uns kennenlernten. In den folgenden Jahren ist unsere Verbindung noch tiefer geworden. Darum möchte ich dieses Buch euch beiden widmen. Ihr habt mein Leben sehr bereichert und mir gezeigt, dass es in dieser dunklen Welt noch immer Menschen gibt, die für andere ein Lichtstrahl sein können.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

IDer Erbe von Wakefield1753–1759

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

1Der schlechte Samen

Mai 1753

»Oh sieh nur, dahinten im Feld! Die Äpfel sind reif!«

Dieser Ausruf kam von einem dreizehnjährigen Mädchen mit karottenrotem Haar und dem ungewöhnlichen Namen Priscilla Bean. Ihre strahlenden blauen Augen funkelten, als sie sich den beiden Jungen an ihrer Seite zuwandte. »Oh, ich würde zu gern einen dieser saftigen Äpfel essen!«

Sofort wanderte der Blick der beiden Jungen zu dem Obstgarten, der unmittelbar hinter der alten Steinmauer lag. Ihre gleichzeitige Bewegung wirkte beinahe lustig, denn sie waren eineiige Zwillinge – David und Paul Wakefield.

David und Paul sahen wirklich genau gleich aus. Sie waren dünn und ihr dunkelblondes Haar war exakt gleich lang geschnitten, bis kurz über den steifen, weißen Kragen. Ihre graublauen Augen blickten offen und ihre feinen Gesichtszüge mit der breiten Stirn und der kurzen englischen Nase ließen bereits im Alter von zwölf Jahren erkennen, dass sie später einmal sehr gut aussehen würden. Der entschlossene Mund mit der vollen Unterlippe und den außergewöhnlich schönen Zähnen und das ausgeprägte Kinn ließen Züge von Eigensinn erkennen.

Die Jungen trugen sogar die gleichen Kleider: braune Kniehosen, weiße Strümpfe, langärmlige weiße Hemden und abgestoßene Lederschuhe mit Messingschnallen. Beide hatten ihre Bücher unter den Arm geklemmt.

David Wakefield, der rechts neben Priscilla stand, ließ seinen Blick ruhig und überlegt über den Obstgarten schweifen – so wie er fast alles mit reiflicher Überlegung tat. Es sah beinahe so aus, als würde er über eine philosophische Frage nachdenken. Dann wandte er sich dem Mädchen zu und schüttelte den Kopf. »Egal, wie saftig diese Äpfel sind, Priscilla. Wir werden keinen davon bekommen. Du weißt doch, was für ein schrecklicher Mann Saul Beddows ist. Denk an das, was er im vergangenen Jahr mit Martin Drake gemacht hat, als er ihn beim Apfelklauen erwischt hat.«

Priscilla runzelte die Stirn. »Armer Martin! Er hatte den ganzen Rücken voller Striemen.«

Paul Wakefield grinste und seine Augen verschwanden bei dem für die Zwillinge so typischen Grinsen fast in den Augenhöhlen. »Martin war einfach nur dumm!«, verkündete er mit Nachdruck. »Es geschah ihm recht, dass er geschnappt wurde!« Und schnaubend fragte er: »Woher weißt du überhaupt, dass er Striemen auf dem Rücken hatte, Priscilla? Hast du sie gesehen?«

Priscilla wusste genau, welcher der Zwillinge gesprochen hatte, denn David hätte niemals eine so ungezogene Äußerung gemacht. »Du bist einfach schrecklich, Paul Wakefield! So eine Frage gehört sich nicht!«

Paul jedoch achtete nicht auf sie. Er ließ seine mit einem verschlissenen Lederriemen zusammengebundenen Bücher baumeln und richtete seine graublauen Augen abschätzend auf den Apfelbaum. »So schwierig dürfte das gar nicht sein. Die reifen Äpfel hängen zwar ganz oben, aber der alte Beddows schläft vermutlich. Ich kann ihn jedenfalls nirgends entdecken.«

David, der seinen Zwillingsbruder beinahe so gut kannte wie sich selbst, erwiderte schnell: »Er könnte dich vom Fenster aus sehen … und wenn du geschnappt wirst, weißt du ja, dass dich Schläge erwarten, Paul. Komm, lass uns gehen.«

Ein bösartiges Grinsen umspielte Pauls Lippen. Er legte den Kopf zur Seite und fragte: »Willst du wirklich einen von diesen Äpfeln, Priscilla?«

»Oh, lieber nicht! Es ist zu gefährlich!«

Paul zögerte nicht lange. »Komm, David. Wir können uns ein paar Äpfel holen und wieder verschwunden sein, bevor Beddows uns überhaupt bemerkt.«

»Nein, Paul – das gibt Ärger. Mutter und Vater würde das überhaupt nicht gefallen.«

Doch seine Worte trafen auf taube Ohren. »Hier, Priscilla«, sagte Paul, »halte meine Bücher. Ihr beide bleibt hier, während ich uns ein paar von den Äpfeln hole.« Er reichte Priscilla seine Bücher und näherte sich der Steinmauer. Vorsichtig blickte er zur Hütte hinüber, die am hinteren Ende des Obstgartens stand. Eine dünne Rauchwolke stieg aus dem Kamin auf, aber draußen war niemand zu sehen. Paul legte seine Hände auf die Mauer und sprang hinüber. Er rannte zu dem hohen Apfelbaum, einem schon sehr alten Baum, und griff nach dem untersten Ast. Schnell stieg er weiter. Die unteren Äpfel ignorierte er und schon bald war er bis ganz nach oben geklettert. Er pflückte einen von den saftigen roten Äpfeln, steckte ihn in sein Hemd und streckte seine Hand nach dem zweiten aus. Gerade hatte er nach dem dritten Apfel gegriffen, als er einen schrillen Schrei hörte. Er sah zum Haus hinüber und entdeckte Saul Beddows, der von seiner Veranda sprang und wütend mit seinem knorrigen Spazierstock fuchtelte.

»Lauf!«, rief Priscilla und packte David an der Hand. »Komm schon!«

»Wir bleiben besser hier bei Paul.«

»Wir müssen weg!«, drängte sie. »Ich darf auf keinen Fall erwischt werden. Mein Pa würde mich auspeitschen, wenn er herausfände, dass ich Äpfel klaue!«

Paul schnappte sich noch den dritten Apfel, stopfte ihn in sein Hemd und kletterte mit der Geschwindigkeit eines Affen vom Baum herunter. Unten angekommen rannte er, so schnell er konnte, zu der Mauer, dicht gefolgt von Saul Beddows. Mit Leichtigkeit sprang er darüber und lief in den Wald auf der anderen Seite des Weges. Hinter sich hörte er Saul Beddows wütend schimpfen, aber Paul lachte nur, während er immer tiefer im Wald verschwand. Der alte Mann würde ihn nun nicht mehr einholen können. Er kämpfte sich durch den Wald, bog auf einen mit Dornen überwucherten Weg ab und erreichte schließlich eine Viertelmeile von Beddows’ Haus entfernt die Straße wieder. Dort wartete er einen Augenblick und kurz darauf kamen David und Priscilla die Straße entlanggerannt.

»Hier, bitte, Priscilla«, sagte Paul und holte einen Apfel aus seinem Hemd. »Einen für dich, David – und einen für mich.«

Nur widerwillig nahmen Priscilla und David die Äpfel entgegen. David schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, wir werden deswegen Ärger bekommen.«

»Du machst dir zu viele Gedanken«, sagte Paul achselzuckend. Dann biss er herzhaft in den Apfel. »Hmmm! Die sind gut! Los, komm schon, Priscilla, beiß rein.« Lachend fuhr er fort: »Adam und Eva haben ja auch wegen einer Frucht von einem Baum Ärger gekriegt, aber wir machen uns darum keine Gedanken, nicht?«

Priscilla biss in ihren Apfel, doch David starrte seinen nur an, schüttelte langsam den Kopf und gab ihn Paul zurück. »Ich wünschte, du hättest es nicht getan«, sagte er. »Es wird ganz bestimmt Ärger geben.«

Das Haus, in dem der Prediger Andrew Wakefield mit seiner Frau Dorcas und den Zwillingen David und Paul wohnte, sah aus wie die meisten bescheidenen Häuser im ländlichen Cornwall des Jahres 1753. Es war aus den Steinen gebaut, die man in dieser Gegend fand, und sein spitzes Dach war mit Stroh gedeckt. Zwei kleine Fenster in der Mitte ließen etwas Licht hinein, genau wie das einzige Fenster im ersten Stock. An einer Seite befand sich ein massiver Steinkamin, der beinahe zu groß für das bescheidene Häuschen wirkte. Die Südseite war von Weinranken überwuchert und eine riesige Eibe gab ausreichend Schatten; sie wurde von den Jungen als Kletterbaum benutzt.

Das Innere des Häuschens war bescheiden eingerichtet: In dem großen Raum links wurde gekocht und gegessen, rechts daneben befand sich ein Wohnzimmer und ein kleines Arbeitszimmer. Im hinteren Teil waren noch zwei Schlafzimmer untergebracht und eine schmale Treppe führte zu dem oberen Schlafzimmer. Die Küche, in der zwei Frauen und zwei Kinder saßen, hatte eine niedrige Decke und wurde von einer großen, mit Steinen eingesäumten Feuerstelle beherrscht. Jeder Zentimeter war mit Kupferkesseln, Töpfen und Gerätschaften aller Art vollgestopft. Neben der Feuerstelle stand ein von Messingringen zusammengehaltenes Butterfass, dem man den häufigen Gebrauch ansah. An der Decke hingen getrocknete Apfelstreifen, Pfefferschoten und Kürbisstreifen. Die Wände waren weiß getüncht und neben dem großen Fenster auf der Südseite standen auf einem Regal Eisen- und Kupfergeräte.

Eine der Frauen erhob sich von ihrem Stuhl und ging zu dem schwarzen Topf, der über dem Feuer hing. »Ich glaube, das Stew ist schon fast fertig.« Dorcas Wakefield rührte mit ihrer linken Hand in der Suppe. Ein Unfall in ihrer Kindheit hatte dazu geführt, dass sich die Finger ihrer rechten Hand nach innen krümmten und bis auf den Daumen bewegungslos blieben. Sie war achtunddreißig Jahre alt, und man konnte bei ihr noch die Spuren der schönen Frau erkennen, die sie mit achtzehn gewesen war. Ihre Figur war etwas fülliger, aber ihre Gesichtszüge waren ansprechend: große dunkelblaue Augen und dunkles, fast schwarzes Haar, von nur wenigen grauen Strähnen durchzogen. Dorcas rührte noch einmal in der Suppe, legte den Deckel wieder auf den Topf und kehrte zu ihrem Stuhl zurück. Mit einem Blick auf die beiden Kleinen im hinteren Teil des Zimmers meinte sie: »Ich kann kaum glauben, dass unsere Kinder so schnell groß werden, Sarah.«

Sarah Morgan blickte ihre geliebte Freundin an, die ihre Schwägerin geworden war. Sarah war eine Lancaster, die Tochter von Sir Talbot Lancaster. Als sie ihr bequemes Leben aufgegeben hatte, um Dorcas’ Bruder Gareth Morgan, einen armen Methodistenprediger zu heiraten, waren sowohl Sir Talbot als auch seine Frau Jane entsetzt gewesen. Es hatte mehrere Jahre gebraucht, bis sie sich mit Sarahs Entscheidung abgefunden hatten. Mit ihrem blonden Haar und den blaugrauen Augen war Sarah noch immer eine Schönheit. Wenn sie auch genauso alt war wie Dorcas, wirkte sie sehr viel jünger als die Freundin. »Ja, sie werden groß«, stimmte sie zu und warf einen Blick auf die Kinder. »Ich bin froh, dass sie sich so gut verstehen. Die meisten Jungen machen sich wenig aus ihren kleinen Schwestern, aber Ivor hat sich seit Bethanys Geburt um sie gekümmert. Und sie betet ihn an.«

»Sie sehen Gareth sehr ähnlich, meinst du nicht?«

Es stimmte, sowohl Ivor, acht Jahre, als auch Bethany, drei Jahre, hatten viel von Gareth, ihrem walisischen Vater geerbt. Beide hatten seine pechschwarzen Haare, wenn auch Bethanys lang und Ivors kurz geschnitten waren. Auch hatten sie seine dunkelblauen Augen geerbt, sein fein geschnittenes Gesicht und seine ausgeprägten Wangenknochen sowie seine schlanke Figur. Sarah meinte lächelnd: »Ich nehme an, dunkles Haar und dunkle Augen siegen über blondes Haar und hellblaue Augen, wie ich sie habe. Aber das ist schon in Ordnung. Ich fand ihren Vater sowieso immer hübscher als mich.«

Dorcas Wakefield lachte. »Sag ihm das nur nicht.«

»Dazu ist es zu spät. Das habe ich bereits«, erwiderte Sarah. Obwohl Gareth die Gemeinde in dem kleinen, etwas weiter entfernten Städtchen Deerfield betreute, war die Entfernung doch nicht so groß, dass die beiden Familien sich nicht häufig besuchen konnten. An diesem Tag waren die Morgans bei den Wakefields zu Besuch, denn kein anderer als John Wesley, der große Erweckungsprediger der Methodisten, übernachtete im Haus der Wakefields.

Wenige Meter von den plaudernden Frauen entfernt saßen die drei Prediger in Reverend Andrew Wakefields kleinem Arbeitszimmer. Dieser Raum war so mit Büchern vollgestopft, dass die drei Männer kaum noch Platz fanden. Der kleinste der drei Männer ließ seinen Blick über die überfüllten Bücherregale an den Wänden, über die auf dem Tisch und selbst auf dem Boden aufgestapelten Bücher gleiten. »Du warst schon immer eine Leseratte, Andrew.«

Der Sprecher, John Wesley, war fünfzig Jahre alt, neun Jahre älter als Andrew. Mit seinen ein Meter achtundsechzig war John schlank und sein langes kastanienbraunes Haar fiel ihm bis auf die Schultern. Sein offenes Gesicht mit den vollen Lippen und seiner langen dünnen Nase war häufig Gegenstand von spöttischen Bemerkungen seiner Gegner. Aber dieser Lehrer aus Oxford hatte zusammen mit seinem Bruder Charles England aufgewühlt. Ihre Lehre erschütterte die Grundfesten der anglikanischen Kirche. Die Wesleys hielten jedoch an der etablierten Kirche fest und hofften, dass die Tausende, die sich bei ihnen bekehrt hatten und ihre Gottesdienste besuchten, irgendwie ihren Platz in dieser Kirche fanden.

Jedoch gab es so gravierende Unterschiede zwischen Wesley und der etablierten Kirche, dass John manchmal beinahe verzweifelte, wenn er eine solche Versöhnung sah. Er lehnte sich nun zurück und sagte: »Ich musste gerade an die Zeit denken, als du, Charles und ich nach Savannah gingen.«

»Ich denke auch viel an diese Zeit in Amerika, Mr Wesley.« Andrew Wakefield war durchschnittlich groß und noch immer so schlank wie vor zwanzig Jahren. Sein dunkelblondes Haar war kurz geschnitten und umrahmte seine intelligenten blauen Augen, seine gleichmäßigen Gesichtszüge, die breite Stirn und seinen sehr ausdrucksvollen Mund. Er lächelte Wesley an und seine graublauen Augen funkelten amüsiert. »Ich glaube, wir haben jeden Fehler gemacht, den ein Missionar nur machen kann.«

Wesley runzelte die Stirn, denn er wurde nicht gern an seine Fehler erinnert, aber sein ihm angeborener Sinn für Humor siegte und er lachte. »Du hast recht, Andrew! Wir haben es gut gemeint, aber ich weiß noch, wie ich in mein Tagebuch schrieb: ›Ich bin nach Amerika gegangen, um die Heiden zu bekehren – aber wer wird mich bekehren?‹«

Wesley gegenüber saß ein dritter Mann, Gareth Morgan. Mit seinen knapp zwei Metern Größe und dem vom Arbeiten in den Kohlenbergwerken kräftigen Körperbau war er ein Hüne von einem Mann. Seine schwarzen, lockigen Haare, die dichten Augenwimpern und das ausdrucksvolle Gesicht ließen ihn sehr gut aussehen. Er ergriff das Wort: »Würdet Ihr gern wieder nach Amerika gehen, Mr Wesley?«

»Das würde ich allerdings! Aber das ist wohl nicht nötig«, bemerkte Wesley nachdenklich. »George Whitefield hat Amerika zu seinem Missionsfeld erklärt.«

»Ich habe gehört, dass dort Großes geschieht«, meinte Andrew.

»Er ist der beste Prediger, den ich je gehört habe«, erwiderte Wesley. Er hielt inne und fügte dann hinzu: »Und er hat auch ein sehr sanftes Wesen.«

Gareth und Andrew sahen sich an, denn sie wussten sehr wohl, dass Wesley und Whitefield sehr heftige Auseinandersetzungen in Bezug auf ihre Auslegung der christlichen Lehre geführt hatten. Sie sagten nichts, aber Wesley fing ihren Blick auf und sprach weiter. »Sicher, George und ich hatten über bestimmte Punkte unsere Differenzen … aber trotzdem bewundere ich seinen Charakter und seine evangelistischen Fähigkeiten.«

»Ich glaube, in Bezug auf George habt Ihr recht. Ich erinnere mich, wie er mich unterstützt hat, als ich in Oxford war«, bemerkte Andrew.

Gareth fügte hinzu: »Wenn er nicht gewesen wäre, hätte ich sicher aufgegeben und wäre nach Wales zurückgekehrt.«

Die drei Männer unterhielten sich noch eine Weile, bis Wesley schließlich zu Andrew sagte: »Wie hast du es geschafft, in der anglikanischen Kirche zu bleiben, Andrew? Das konnte ich nie verstehen. Ich darf in keiner Kirche in London predigen.«

Andrew schüttelte den Kopf. »Ich glaube, sie kennen mich nicht besonders gut. Dies ist eine so kleine Gemeinde in einem kleinen Pfarrbezirk. Soweit ich weiß, verkündige ich dasselbe Evangelium wie Ihr, aber sobald Euer Name genannt wird, gerät alles in Aufruhr.« Er lachte über seine eigenen Worte. »Dieses Leben gefällt mir. Ich war nie dazu bestimmt, eine große Rolle im Drama dieser Welt zu übernehmen.«

»Du bist des Herrn Diener hier in Cornwall, und ich bin Gott dankbar, dass du noch immer der Kirche von England angehörst.« Wesleys Worte verklangen, während er wehmütig aus dem Fenster sah. »Ich möchte keine Teilung«, fuhr er fort. »Ich habe nicht die Absicht, irgendjemanden der Kirche von England zu entfremden.«

Gareth wartete, bis Wesley fertig gesprochen hatte. »Ich glaube, dies ist Euch von Gott in den Weg gestellt worden, Sir«, meinte Gareth. »Ich habe es zwar nie miterlebt, aber ich habe oft gehört, dass Ihr, wenn man Euch nicht erlaubte, in Eurer kleinen Kirche in Epworth zu predigen, nach draußen gegangen seid und vom Grabstein Eures Vaters aus gepredigt habt.«

Wesley lachte. »Ja, das habe ich tatsächlich getan. Vielleicht steckt doch ein klein wenig Arroganz in mir. Ich bin ziemlich anfällig für solche Dinge.«

»Sagt so etwas nicht«, meinte Andrew schnell. Er liebte John und Charles Wesley von ganzem Herzen, und häufig war er versucht gewesen, aus der etablierten Kirche auszutreten und sich Wesley anzuschließen, wie Gareth es getan hatte. Aber irgendwie hatte Gott ihm gezeigt, dass sein Platz in der Gemeinde in Cornwall war. Er sprach seine Gedanken aus. »Ich denke, dass auch ich eines Tages aus der Kirche von England austreten werde, aber bis dahin werde ich hierbleiben. Die Leute haben alles, was ich weiß, schon hundertmal gehört.«

»Sie brauchen nichts anderes zu hören als Jesus«, sagte Wesley auf einmal. »Wenn du ihnen von ihm erzählst, Andrew, wie du es sicher tust, dann hören sie, was sie hören müssen.«

Gareth blickte auf, als seine Frau die Tür öffnete. »Was ist, Sarah?«

»Das Essen ist fertig.«

Die drei Männer erhoben sich sofort und Wesley verließ das Arbeitszimmer als Erster. Als sie das Esszimmer betraten, fragte Andrew: »Wo sind die Jungen?«

»Sie sind von ihrem Tutor noch nicht nach Hause gekommen«, erwiderte Dorcas. »Wir werden ohne sie anfangen. Ich bin sicher, sie werden bald kommen. Mr Wesley, wenn Ihr Euch vielleicht hierher setzt …« Mit den fünf Erwachsenen um den Tisch wirkte das Zimmer noch kleiner.

Dorcas hatte eine ausgezeichnete Mahlzeit zubereitet. Auf dem Tisch standen Schüsseln mit den köstlichsten Speisen: ein gebackener Fisch, ein schmackhaftes Stew, eine Platte mit einem knusprig gebratenen Hühnchen, Schüsseln mit Brotpudding, gewürzt mit Korinthen und Muskatnuss und eine große Schüssel geschnittener Äpfel mit Kürbisstreifen.

»Ihr seid vielleicht der Ansicht, dass Cornwall ein hartes Pflaster ist«, bemerkte Wesley. »Ich frage mich –«

Die Tür flog auf und die Zwillinge stürmten herein.

»Ihr seid spät!«, sagte Dorcas streng.

»Mr Cummings hat uns länger als gewöhnlich beim Schreiben festgehalten, Mutter«, erklärte Paul höflich.

»David!« Bethany, die neben ihrem Bruder Ivor in einer Ecke des Zimmers auf einem Hocker saß, sprang nun auf und rannte durchs Zimmer zu David. Die Erwachsenen konnten David und Paul häufig nicht auseinanderhalten, doch Bethany Morgan hatte mit ihren drei Jahren diese Probleme nicht. Instinktiv schien sie David zu erkennen, weil er mehr Zeit mit ihr verbrachte als sein Zwillingsbruder und mehr auf sie einging. Bethany klammerte sich an ihn und bettelte: »Liest du mir was vor?«

»Nachher, Bethany«, erwiderte David liebevoll. Er bückte sich und gab ihr einen Kuss.

»Nun kommt, wir haben euch noch ein wenig Fisch und vielleicht einen Hühnchenschenkel übrig gelassen. Wollt ihr Mr Wesley nicht begrüßen?«

Gehorsam begrüßten beide Jungen den Besucher. »Ihr gleicht einander wie ein Ei dem anderen«, meinte Wesley erstaunt. »Wie kann man euch nur auseinanderhalten?«

»Ich bin der Böse, Mr Wesley«, sagte Paul mit einem schelmischen Grinsen. »David ist der Gute.«

Wesley lachte leise und meinte: »Dann brauchst du also nur lieb zu sein, und deine Eltern werden glauben, du bist der Gute?«

»Ja Sir, genau das tue ich.« Paul warf David einen Blick zu. »Aber David ist niemals ungezogen, darum kann er auch niemanden täuschen.«

»Das reicht jetzt!«, sagte Dorcas streng. »Ich werde euch einen Teller fertig machen. Ihr könnt euch zu Ivor und Bethany setzen.«

Sobald die Jungen ihren Teller hatten, suchten sie sich einen Platz und begannen hungrig zu essen, während die Erwachsenen ihre Unterhaltung fortsetzten. Bethany zog ihren Hocker so dicht wie möglich an David heran und stellte ihm eine Frage nach der anderen, wobei sie ihn immer am Ärmel zupfte, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen.

Die Erwachsenen blieben noch eine Weile am Tisch sitzen und tranken ihren Tee, während die Zwillinge ihre Mahlzeit beendeten. Plötzlich wurde heftig an die Tür geklopft. Dorcas fuhr nervös zusammen. »Wer schlägt denn da die Tür kaputt?«

»Ich werde nachsehen«, erbot sich Andrew. Er erhob sich, ging zur Tür und öffnete sie. »Ach, Mr Beddows –«

»Mr Wakefield, ich bin wegen Eurer Jungen gekommen!« Saul Beddows trat ein. Er war ein großer, stämmiger Mann von Mitte sechzig, dessen Hände von der Arthritis leicht gekrümmt waren, doch ansonsten war er noch gesund und kräftig. »Es geht um den Diebstahl, den sie begangen haben!«

Andrew starrte den alten Mann an. »Ich verstehe Euch nicht, Sir«, erwiderte er ruhig.

»Ihr werdet sehr schnell verstehen, wenn ich Euch sage, dass einer Eurer Jungen einige meiner Äpfel gestohlen hat.«

»Ich wäre sehr traurig, wenn ich annehmen müsste, dass meine Jungen so etwas tun würden.«

»Ihr könnt ruhig traurig sein, Pastor, denn ich habe ihn mit eigenen Augen gesehen. Ich hätte ihn beinahe geschnappt.«

Andrew betrachtete das Gesicht des Mannes. Er wusste, dass Beddows sehr leicht erregbar war, aber er war auch ein gutes, gottesfürchtiges Mitglied der Kirche. Ein wenig schwierig im Umgang vielleicht, doch sehr treu. »Ihr seid sicher, dass es einer meiner Jungen war?«

»Ganz sicher!«

Andrew drehte sich um und rief die beiden Jungen. Als sie neben ihm standen, fragte er leise: »Paul, hast du Mr Beddows’ Äpfel gestohlen?« Es war bezeichnend, dass er Paul fragte, denn nicht in seinen wildesten Träumen konnte er sich vorstellen, dass David so etwas getan hätte.

Paul riss die Augen auf. »Nein, Vater! Ich habe seine Äpfel nicht gestohlen!«

Andrew blinzelte und warf schnell einen Blick auf Dorcas, die nervös mit ihren Händen spielte. Dann wandte er sich an David und stellte ihm dieselbe Frage. »David, hast du Mr Beddows’ Äpfel gestohlen?«

David leckte sich die Lippen. Er hatte befürchtet, dass so etwas passieren würde, und nun waren seine schlimmsten Befürchtungen eingetroffen! Er verfügte über eine sehr lebhafte Fantasie und konnte bereits den Stock auf seinem Rücken spüren. Er wollte seinen Bruder nicht verraten, doch als er murmelte: »Nein, Sir …«, wirkte er sehr schuldbewusst.

»Er war es!«, brummte Mr Beddows. »Seht ihn Euch nur an. Schuldbewusst durch und durch.«

Dorcas stellte sich neben ihre Jungen, die bald so groß sein würden wie sie. Als sie die beiden ansah, wusste sie auf einmal, wie sich der Zwischenfall abgespielt hatte, ohne dass sie dabei gewesen war. »David hat Eure Äpfel nicht gestohlen, Mr Beddows.«

»Aber seht ihn Euch doch nur an! Er hat es getan und muss den Stock zu spüren bekommen.« Beddows ließ seinen Stock durch die Luft sausen. »Ich weiß, Ihr werdet niemals zulassen, dass ich Eure Söhne züchtige, Reverend, aber Ihr würdet sehr in meinem Ansehen sinken, wenn Ihr es nicht selbst tun würdet.«

Andrew fühlte sich schrecklich elend. Er nahm Beddows den Stock aus der Hand und blickte David an, der schuldbewusster denn je dreinblickte. »Es tut mir leid, dies tun zu müssen, David, aber –«

»Ich habe seine blöden Äpfel genommen«, sagte Paul. Er schob das Kinn vor und starrte den alten Mann an. »Ich habe drei Stück genommen. Was ist schon dabei?«

Das Verhalten des Jungen war so herausfordernd, dass die Erwachsenen im Raum entsetzt waren. Paul wusste, dass er gestraft werden würde, doch er hielt den Kopf hoch und zeigte keinerlei Furcht.

»Ich verstehe«, erwiderte Andrew langsam. »Komm mit … aber erst entschuldigst du dich bei Mr Beddows.«

»Ich habe Eure Äpfel genommen, und es tut mir leid, dass Ihr mich erwischt habt«, sagte Paul ohne Reue.

»Paul!« Dorcas war entsetzt. »So solltest du nicht mit Mr Beddows sprechen.«

Aber Paul Wakefield presste die Lippen fest aufeinander und folgte seinem Vater nach draußen. Bald war zu hören, wie der Stock auf den Rücken des Jungen niedersauste. »So etwas habe ich noch nicht erlebt«, sagte John Wesley erstaunt. »Ich fürchte, Euer Sohn ist ziemlich eigenwillig, Schwester.«

»Er hat in der Tat einen sehr ausgeprägten Willen.«

»Er muss gebrochen werden«, erwiderte Wesley sanft. »Auch ich hatte einen sehr ausgeprägten Willen und Gott musste hart mit mir ins Gericht gehen. Ich werde für Paul beten.«

»Vielen Dank, Sir«, erwiderte Dorcas leise.

Als die beiden Jungen später in ihrem Zimmer saßen, sagte David: »Ich habe es dir ja gesagt; du hättest es nicht tun sollen, Paul.«

Paul, der noch immer die Schläge seines Vaters spürte, verzog das Gesicht. »Es hat Spaß gemacht! Ich werde irgendwann abends hingehen und einen ganzen Sack voll holen!«

Die Stockschläge hatten bei Paul keinen Eindruck gemacht. Am folgenden Tag, bevor sein Vater mit Reverend Wesley zu einem etwas weiter entfernten Dorf ging, um dort zu predigen, erhielt er eine weitere Ermahnung. Andrew legte die Hand auf Pauls Schulter und sagte: »Es tut mir leid, dass ich dich schlagen musste, Paul. Das hat mir bestimmt keine Freude gemacht.«

Paul sah seinen Vater an und erwiderte: »Mach dir nur keine Gedanken, Vater. Es war nicht deine Schuld, sondern meine.«

Andrew betrachtete seinen Sohn und meinte nachdenklich: »Ich weiß, es waren nur drei Äpfel und das erscheint dir eine Lappalie zu sein – nur ein Jungenstreich. Ich habe auch solche Streiche gemacht, als ich in deinem Alter war.«

»Tatsächlich, Vater?«, fragte Paul lächelnd und interessiert. »Welche?«

Andrew lachte. »Ich werde dir ein anderes Mal davon erzählen. Alle Jungen machen so etwas.«

»David nicht«, sagte Paul und legte den Kopf zur Seite. »Ich glaube nicht, dass er in seinem Leben jemals geschlagen wurde, dafür habe ich für uns beide Schläge eingesteckt.«

»Vergleiche dich nicht immer mit deinem Bruder. Gott hat euch beide erschaffen«, sagte Andrew sanft. Es hatte ihm wehgetan, Paul mit dem Stock schlagen zu müssen, und ihm war daran gelegen, seinem Sohn dies klarzumachen. »Wir haben viele Gespräche geführt, Paul, und ich weiß, dass du der Meinung bist, ich würde viel von dir verlangen, aber ich mache mir Sorgen um dich. Es waren nur drei Äpfel, aber es war sehr eigensinnig, dich zu weigern, dich bei Mr Beddows zu entschuldigen. Und das hat mir zu schaffen gemacht. Du scheinst kein Gefühl für Recht und Unrecht zu haben.«

»Na ja, wie du schon sagtest, Vater, es waren nur drei Äpfel. Er hat Tausende.«

»Aber es waren seine Äpfel«, betonte Andrew. Und als er bemerkte, wie Paul wieder störrisch wurde, fuhr er schnell fort: »Wir wollen die Sache jetzt auf sich beruhen lassen. Ich werde heute Abend erst sehr spät wiederkommen und Mr Wesley setzt seine Reise fort.«

»Halte ihnen eine gute Predigt, Vater.«

Andrew musste unwillkürlich lächeln. Sein rebellischer Sohn konnte unglaublich charmant sein, wenn er es darauf anlegte. »Vielen Dank, mein Sohn«, erwiderte er. »Ich werde mich bemühen.« Er wollte den Jungen umarmen, aber Paul mochte so etwas nicht besonders. Da Wesley wartete, nahm Andrew seinen Hut und seinen Mantel, und nachdem er sich von seiner Frau und David verabschiedet hatte, ging er. Wesley und er nahmen die Pferde, da es zu dem Dorf, in dem sie erwartet wurden, zu weit zu laufen war. Andrew winkte seiner Familie noch einmal zu, als sie losritten. Wesley sagte: »Ich bewundere deine Familie, Andrew. Du hast eine prächtige Frau. Eine sanfte Frau. Und dein Junge erinnert mich an George Whitefield. Ein so sanfter Geist! Der andere«, fügte er nachdenklich hinzu, »ist anders.«

»Ich wäre Euch dankbar, Mr Wesley, wenn Ihr für Paul beten würdet.«

»Ganz bestimmt. Du kannst dich darauf verlassen.«

Als die beiden Männer das Dorf erreichten, in dem die Versammlung abgehalten werden sollte, wurden sie bei dem Leiter der dortigen Gruppe, einem großen, stämmigen Mann namens Johnson, begrüßt. Sobald die beiden Prediger abgestiegen waren, nahm er ihre Pferde und sagte besorgt: »Mr Wesley, ich denke, es wäre besser, wir würden die Versammlung verschieben.«

»Was ist los, Mr Johnson?«

»Nun, Sir, hier in der Umgebung gibt es eine Menge Raufbolde. Sie haben darüber gesprochen, wie sie … nun, sie sagen, sie würden Euch und Reverend Wakefield etwas antun, wenn Ihr die Versammlung abhaltet.«

»Lasst Euch niemals von Euren Ängsten bestimmen, Bruder«, erwiderte Wesley fröhlich. Schon oft hatte er vor aufgebrachten Menschenmengen gestanden. Das gehörte zum Methodismus dazu. Die Prediger, die Wesley aussandte, wurden häufig mit verfaultem Gemüse oder toten Katzen beworfen. Manchmal wurden sie geschlagen und nicht selten in einen Fluss oder Bach geworfen. Wesley zeigte keinerlei Besorgnis, genauso wenig wie Andrew Wakefield. Die beiden Männer machten sich auf den Weg zu dem Feld, auf dem die Versammlung abgehalten werden sollte, und fingen sofort an. Wie gewöhnlich ließ Wesley einige Lieder singen, bevor er mit seiner Predigt begann. Schon bald war die Luft erfüllt mit Liedern, von denen einige kein anderer als sein Bruder Charles geschrieben hatte.

Nach dem Singen stellte sich Wesley in seinen anglikanischen Kleidern auf eine kleine Erhöhung und begann zu den etwa hundert Menschen zu sprechen. Er hatte sich zu einem hervorragenden Freiluftprediger entwickelt. In dieser Beziehung hatte er viel von George Whitefield gelernt. Wenn er auch nicht Whitefields kräftige Stimme noch die Ausstrahlung des jüngeren Evangelisten besaß, so war er doch beeindruckend. Wesley war etwa in der Hälfte seiner Predigt angekommen, als Andrew plötzlich eine Bewegung wahrnahm. Von links sah er eine Gruppe von fünfzehn bis zwanzig Personen herankommen. Die Männer waren alle ärmlich gekleidet und wirkten recht grob. Einige von ihnen trugen Knüppel.

»Halt den Mund, Wesley!«, rief einer von ihnen, ein großer, stämmiger Mann, der der Anführer zu sein schien.

»Wir sind hier, um das Evangelium von Jesus zu verkündigen. Wir wollen niemandem etwas Böses tun«, erwiderte Wesley ruhig.

»Aber ich möchte dir Böses tun, Prediger! Verschwinde hier. Ich würde dir raten zu tun, was ich gesagt habe.«

Wesley versuchte, vernünftig mit den Männern zu reden, aber es war sinnlos. Sie waren betrunken, wie Andrew feststellte, und nachdem sie ruhelos Wesleys Worten zugehört hatten, rief der Anführer: »Gebt ihnen einen kleinen Vorgeschmack von dem, was sie erwartet!« Damit marschierte er direkt auf Wesley los.

Eine unschöne Szene folgte. Mehrere der Zuhörer wurden von den Knüppeln getroffen, einer erlitt einen Knochenbruch und auch Wesley musste einiges einstecken. Andrew machte keinen Versuch, sich zu verteidigen, und als vier starke Männer ihn umstellten, sagte er ruhig: »Es wird euch nichts nützen, gegen das Evangelium anzugehen. Warum stellt ihr euch gegen Jesus Christus, der euch liebt?«

»Genug davon! Ich glaube, er sollte getauft werden«, schrie einer der offensichtlich betrunkenen Männer. »Packt ihn und werft ihn in den Fluss!«

Andrew wurde ergriffen und zu dem breiten Fluss gezerrt, der in der Nähe des Dorfes vorbeifloss. Jeder seiner Gegner packte eines seiner Glieder und dann warfen sie ihn hoch durch die Luft ins Wasser. Mit dem Kopf zuerst landete er im Fluss. Ein schrecklicher Schmerz durchzuckte ihn. Danach verlor er das Bewusstsein.

Nachdem es Wesley gelungen war, den Mob zu beruhigen, und sich die meisten der aufgebrachten Männer zurückgezogen hatten, rief Johnson: »Sie haben Reverend Wakefield in den Fluss geworfen!«

Sofort eilte Wesley mit einer Gruppe hinunter zum Ufer. »Er ertrinkt! Jemand muss ihn sofort herausholen!«, rief Wesley. Ohne lange zu überlegen, sprang Johnson ins Wasser. Andrew Wakefield trieb mit dem Gesicht nach unten auf dem Wasser und rührte sich nicht, als Johnson ihn packte.

»Er bewegt sich nicht!«, rief Johnson, als er den Prediger umdrehte, damit er wieder Luft holen konnte. Nachdem er Andrew ans Ufer gezogen hatte, streckten sich ihm Hände entgegen, um ihm zu helfen, den bewusstlosen Mann ans Ufer zu ziehen. »Ist er ertrunken?«, fragte Johnson ängstlich.

»Nein, er atmet, aber er ist bewusstlos«, antwortete Wesley. Alle sammelten sich um den Verletzten und einige begannen zu beten. Schließlich seufzte Wesley erleichtert auf. »Seine Augenlider bewegen sich. Ich denke, es wird alles wieder gut werden.« Er wartete noch einige Minuten, dann hob er Andrews Kopf hoch. »Bist du in Ordnung, Andrew?«

Andrew erwachte aus seiner Bewusstlosigkeit. Er hustete, um seine Lungen freizubekommen, und blinzelte. Als er die Hand hob, um sich das Wasser aus dem Gesicht zu wischen, kam seine Erinnerung zurück. »Sie haben mich in den Fluss geworfen«, flüsterte er. »Bin ich mit dem Kopf aufgeschlagen? Er tut ziemlich weh.«

»Du wirst wieder in Ordnung kommen«, sagte Wesley freundlich. »Komm jetzt, wir wollen dir aufhelfen.«

Doch als sie versuchten, Andrew Wakefield auf die Beine zu helfen, rief er erstaunt: »Meine Beine! Ich kann sie nicht fühlen!«

»Was ist?«, fragte Wesley.

»Ich kann meine Beine nicht fühlen!« Andrew sah an sich hinunter. »Ich weiß, dass sie da sind, aber ich habe kein Gefühl in ihnen.« Seine Beine gaben unter ihm nach. Er hatte keinerlei Kontrolle über sie.

»Setzt ihn hierher«, sagte Wesley alarmiert. Sie setzten Andrew ab und Wesley kniff ihn ins Bein. »Kannst du das spüren, Andrew?«

»Nein. Nichts.« Und als Wesley ihn in den Oberschenkel kniff, starrte Andrew ihn an. Er sah, dass der Prediger ihn ins Bein kniff, und er schlug sich mit der Faust. »Bis hinauf zur Taille«, sagte er. »Es ist, als wäre alles taub.«

Wesley atmete tief durch. »Er braucht einen Arzt.«

Doktor Crowell, ein junger Mann von dreißig Jahren, saß an Andrew Wakefields Bett. Dorcas stand neben ihm und die Zwillinge am Fußende. John Wesley war gegangen, nachdem der Arzt ihn versorgt hatte, doch er hatte versprochen, am folgenden Tag zurückzukehren.

Dorcas suchte in Doktor Crowells Gesicht nach einem Zeichen der Hoffnung. Als sie keines entdecken konnte, sank ihr Mut. Seit drei Tagen hatte Andrew den unteren Teil seines Körpers nicht mehr bewegt. Doktor Crowell hatte gesagt, der Schock würde vielleicht nachlassen.

Auch Andrew Wakefield betrachtete aufmerksam das Gesicht des Arztes. »Keine gute Nachricht, Doktor, nicht wahr?«

»Ich wünschte, ich könnte Euch eine gute Nachricht bringen«, erwiderte Crowell langsam. Diese Seite seines Berufes hasste er. Es fiel ihm jedes Mal schwer, eine schlimme Diagnose zu stellen. »Ich fürchte, dieser Sturz hat Eure Wirbelsäule verletzt, und vermutlich wird sich Euer Zustand nur im Laufe der Zeit bessern.«

Andrew Wakefield war ein sehr intelligenter Mann. Er hörte Doktor Crowells Worte, doch er beobachtete auch aufmerksam das Gesicht des Mannes. »Ihr meint vermutlich, dass ich niemals wieder werde laufen können. Dass ich meine Beine nie wieder werde gebrauchen können.«

Crowell zögerte. »Das liegt in Gottes Hand«, sagte er schließlich und erhob sich. »Ich werde morgen wieder vorbeischauen, Reverend.«

Als der Arzt gegangen war, blickte Andrew Dorcas an. Mit ihrer gesunden Hand ergriff sie seine Hand. Tränen schimmerten in ihren Augen und plötzlich konnte sie sie nicht mehr zurückhalten. »Oh Andrew!«, sagte sie mit leiser Stimme. Dann fiel sie neben seinem Bett auf die Knie und barg ihr Gesicht an seiner Brust.

»Weine nicht, Dorcas. Alles liegt in Gottes Hand. Alles dient zu unserem Besten«, tröstete sie Andrew. Er sah die Jungen an und sagte: »Komm her, Paul, und du auch, David.« Die Jungen traten blass an seine Seite. »Es tut mir leid, dass ihr so etwas erdulden müsst, denn wenn ein Mann eine Familie hat, dann leiden alle mit, wenn ihm etwas zustößt.«

»Du wirst wieder gesund werden, Vater«, erwiderte David tapfer. Paul schwieg. Er suchte im Gesicht seines Vaters nach einer Antwort, konnte jedoch keine finden.

Andrew Wakefield wusste, dass Gott Wunder tun konnte. »Wir werden darauf vertrauen, dass Gott mir wieder Gefühl in den Beinen schenkt. Und wir werden geduldig sein. Gottes Wille soll geschehen.«

Stille erfüllte den Raum. David konnte die Tränen nun nicht mehr zurückhalten. Er wischte sie mit seinem Ärmel ab und nahm das ermutigende Lächeln seines Vaters an. Aber Paul Wakefield weinte nicht. Seine Lippen pressten sich zornig aufeinander und er dachte: Warum muss Gott meinem Vater das antun? Das ist nicht gerecht! Er sprach seine Gedanken jedoch nicht aus, aber die Rebellion stand ihm ins Gesicht geschrieben. Als Dorcas den Blick hob, erkannte sie es. Sie schüttelte leicht den Kopf, aber Paul wandte das Gesicht ab, damit sein Vater die Verbitterung in seinen Augen nicht erkennen konnte.

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2Du warst mein Leben …!

Dezember 1755 – Februar 1756

Im Dezember 1755 hielt der Winter England eisern im Griff. Noch Jahre später wurde von dem »schlimmen Winter« gesprochen, und alle wussten, welches Jahr gemeint war. Bäume wurden von der Kälte gespalten, das Vieh erfror und die ganze Insel schien in die Polarzone getrieben worden zu sein. Im Februar 1756 schien das Schlimmste überstanden zu sein. Noch immer war der gefrorene Boden von Schnee bedeckt, aber wenigstens waren die Temperaturen erträglich. Die Menschen seufzten erleichtert auf und freuten sich auf den Tag, wenn der warme Atem des Frühlings ihre Insel auftauen und das Gras wieder aus der Erde hervorsprießen würde.

Am 10. Februar saß Sir George Wakefield in seinem Wohnzimmer und wärmte seine Füße am prasselnden Feuer. Seine Frau Caroline saß ihm gegenüber und las im Licht einer Walöllampe in einem Buch. Sie sah häufig auf. Besorgnis machte sich auf ihrem Gesicht breit, während sie ihren Mann betrachtete. Er saß mit über dem Bauch gefalteten Händen in seinem Sessel und das einzige Lebenszeichen war das gleichmäßige Heben und Senken seiner Brust.

Die Tür zum Arbeitszimmer öffnete sich und ein Diener in schwarzer Kleidung trat ein. Obwohl vollkommen gesund, war er sehr blass und sah aus, als gehöre er eher in einen Sarg. »Sir George …«, flüsterte er. Wakefield bewegte sich und blinzelte schläfrig. »Ja? Was ist, Ives?«

»Ihr habt Besuch, Sir. Ein Mr Gareth Morgan.«

»Morgan?« George schüttelte sich und schob den Hocker zurück. »Führ ihn herein, Ives.«

»Jawohl, Sir.«

»Was macht Gareth um diese Zeit hier?«, murmelte Wakefield. Er richtete sich auf und erhob sich.

Auch Caroline hatte sich erhoben. Sie zog ihr dunkelrotes Kleid mit dem weißen Pelzkragen zurecht. Es war spät, bereits vier Stunden nach Sonnenuntergang. Nur wenige wagten sich bei diesem Wetter vor die Tür. »Ich weiß es auch nicht. Hattest du ihn denn erwartet, George?«

»Aber natürlich nicht. Habe nichts von ihm gehört – du etwa?« Seine Frage hatte einen seltsamen Unterton, denn Gareth Morgan hatte um Caroline Barksdale geworben, bevor George ihr Herz erobert hatte.

Wakefield war sich nie so ganz über die Gefühle seiner Frau für Gareth Morgan im Klaren gewesen, denn trotz seines Titels und seines Reichtums gab es keinen Mann in ganz England, der besser aussah als Gareth Morgan. Von Natur aus war Wakefield jedoch nicht misstrauisch veranlagt, und die Eifersucht, die ihn dann und wann plagte, verblasste schnell wieder. Er wandte sich der schweren Eichentür zu und betrachtete den Mann, der eintrat.

Gareth Morgan hatte seinen Mantel und seinen Hut abgelegt, doch an seinen Stiefeln hing noch etwas Schnee, und sein Gesicht war gerötet, als er in das warme, geräumige Zimmer trat. »Ziemlich kalt draußen, Sir George«, sagte er steif. Er wandte sich um und verbeugte sich leicht. »Wie geht es Euch, Lady Wakefield?«

»Sehr gut, Gareth, vielen Dank«, erwiderte Caroline. Auch sie erinnerte sich noch an die Zeit, als Gareth ihr den Hof gemacht hatte. Bei einigen Frauen blieb die Erinnerung an die jugendliche Verliebtheit, und Caroline hatte sich oft gefragt, wie ihr Leben wohl verlaufen wäre, wenn sie Gareth geheiratet hätte.

Ich bin viel zu verwöhnt, dachte sie. Vermutlich hätte es mir gar nicht gefallen, mit einem armen Prediger verheiratet zu sein. Sie mochte Gareth und seine Familie. Sarah, Gareths Frau, war jahrelang mit ihr befreundet gewesen und auch jetzt besuchten sie sich gelegentlich und standen in Briefkontakt. »Geht es Eurer Familie gut?«

»Ja, sehr gut«, erwiderte Gareth. Er schüttelte George die Hand und meinte dann leise: »Ich bringe schlechte Nachrichten, Sir George.«

George starrte Morgan einen Augenblick lang an und fragte: »Was ist los, Gareth?«

»Es geht um Andrew, Euren Bruder, Sir. Er ist sehr krank. Ihr wisst, dass er sich seit dem Unfall nie wieder richtig erholt hat. Das ist nun schon fast drei Jahre her und er hat seither keinen einzigen Schritt mehr getan«, erklärte Gareth langsam. Er schüttelte den Kopf und fuhr schmerzerfüllt fort: »Er hat keine Bewegung, da er die meiste Zeit im Bett liegt – oder in dem Rollstuhl sitzt, den ich ihm gebaut habe. Diese Untätigkeit scheint seinen Körper geschwächt zu haben. Vor zwei Wochen hat er sich erkältet. Vielen von uns ist es so ergangen, aber seine Erkältung wurde schlimmer.«

»Was sagt der Arzt, Gareth?«, fragte Caroline schnell.

»Er sagt – nun, er sagte, ich sollte Euch besser holen, Sir George.«

Entsetzen machte sich auf Wakefields Gesicht breit. Er und Andrew standen sich nicht so nahe, wie es hätte sein sollen, aber George hegte eine tiefe Zuneigung zu seinem jüngeren Bruder. »Es tut mir leid, das zu hören.«

»Ich glaube, es ist eine Lungenentzündung. Ich bin schnell losgefahren, um Euch zu holen, Sir George. Ich denke, es ist das Beste, wenn wir sofort aufbrechen.«

»Ist es so ernst, Gareth?«, fragte George. Er war sehr groß und hatte beträchtliches Übergewicht. Eine ungesunde Blässe lag auf seinem Gesicht, denn in den vergangenen zwei Jahren hatte es mit seiner Gesundheit nicht zum Besten gestanden. »Wir werden natürlich sofort aufbrechen.«

»Bei diesem Wetter, George?«, protestierte Caroline. »Du kannst nicht fahren. Dir geht es nicht gut.«

»Ich fürchte, mir bleibt keine Wahl, Caroline«, erwiderte Wakefield fest.

»Gareth, Ihr bleibt über Nacht hier und ruht Euch aus. Ich werde sofort aufbrechen, Ihr könnt morgen nachkommen.«

»Nein«, erwiderte Gareth bestimmt. »Ich werde mit Euch zurückkehren, Sir George.«

»Nun denn – geht in die Küche.« Wakefield ging zur Tür, öffnete sie und rief: »Ives, sieh zu, dass die Köchin eine kräftige, heiße Mahlzeit für Mr Morgan zubereitet, und lass Haines die Kutsche anspannen. Wir werden noch heute Nacht nach Cornwall fahren.«

»Das ist sehr freundlich von Euch, Sir«, sagte Gareth, als er zur Tür ging. Seine walisischen Augen funkelten billigend und trotz seiner Müdigkeit machte er sich leichten Schrittes auf den Weg in die Küche.

Nachdem Caroline mit George allein zurückgeblieben war, sagte Caroline: »George, du kannst nicht fahren. Du weißt doch, dass dein Herz in letzter Zeit nicht mehr so richtig mitmacht. Oh, du beklagst dich nicht, aber ich merke es.«

»Ich muss fahren, meine Liebe. Wir sind die einzige Hilfe, die Andrew und seine Familie hat. Ich komme zurück, sobald es ihm wieder besser geht, aber das kann eine Weile dauern.«

Caroline zögerte. »Und wenn er sich nicht wieder erholt?«, fragte sie vorsichtig. »Mir scheint er ernsthaft erkrankt zu sein.«

»Ich weiß es nicht. Im Augenblick kann ich gar nicht richtig denken. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, dass Andrew sterben könnte. Er ist zu jung – und ein zu guter Mensch. Ein besserer Mensch, als ich es bin.«

»Nein, er ist kein besserer Mensch als du«, erwiderte Caroline sofort.

Sie ging zu ihm hinüber und legte ihre Arme um ihn. Er drückte sie an sich und merkte, dass sein Herz wieder einmal unregelmäßig schlug, wie so oft in letzter Zeit. Er ignorierte es und drückte sie fest an sich. »Was werden wir tun, wenn er stirbt? Dorcas und die Kinder werden ganz allein sein.«

»Du musst sie hierher nach Wakefield bringen, George.«

»Hierher?« Wakefield war ehrlich erstaunt. »Bist du ganz sicher, Caroline? Das wäre – eine ziemliche Verantwortung und würde viele Unannehmlichkeiten mit sich bringen.«

»Sprich nicht so.« Caroline reckte sich, um ihm einen Kuss zu geben. »Hier ist es manchmal recht einsam.«

Weiter sagte sie nichts, aber George wusste, dass sie an ihre drei Babys dachte, die alle bei der Geburt gestorben waren. Ohne Kinderstimmen war es sehr still in Wakefield. George war traurig darüber, aber seiner Frau gegenüber erwähnte er diesen Schmerz mit keinem Wort. Er wusste, dass sie darüber tief betrübt war und viel weinte. »Ich weiß, du möchtest Kinder«, sagte er, »aber die Zwillinge – sie sind schon fast fünfzehn. Keine Babys mehr.«

»Ich weiß, aber wir müssen ihnen helfen, George. Ich habe Dorcas immer gemocht. Wir wollen hoffen und beten, dass Andrew wieder gesund wird, aber falls das nicht der Fall sein sollte, werden wir seine Familie hierher nach Wakefield holen.«

»In Ordnung. Wie du meinst. Und nun komm und hilf mir, mich fertig zu machen.«

Eine Stunde später stiegen die beiden Männer in die Kutsche. George Wakefield beugte sich hinaus, um Caroline zu winken. Sie stand trotz der Kälte in der Tür, um sie zu verabschieden. Als die Kutsche sich in Bewegung setzte, lehnte sich George mit einem Seufzer der Erleichterung zurück. Er atmete schwer von der Anstrengung, zur Kutsche zu gelangen und hineinzusteigen, und nun wartete er mit geschlossenen Augen darauf, dass sein Herzschlag sich beruhigte.

Gareth hatte gewusst, dass Sir George Wakefield Probleme mit dem Herzen hatte, aber ihm war nicht klar gewesen, wie schlimm es um ihn stand. Ich hätte ihm das nicht zumuten dürfen, dachte er. Als er Wakefield betrachtete, bemerkte er, dass der Mann sehr blass war und schwer atmete. Jetzt ist es zu spät. Vermutlich hätte ich es ihm sowieso nicht ausreden können. Während die Kutsche den Weg entlangholperte, betete Gareth nicht nur für Reverend Andrew Wakefield, sondern auch für dessen Bruder, Sir George Wakefield.

Das kleine Wohnzimmer im Haus der Wakefields war gemütlich warm. David hatte große Holzscheite hereingeholt und das Feuer angefacht, bis die Flammen lustig tanzten und orange Funken in den Kamin sprühten. Paul hatte ihm nicht dabei geholfen. Er saß auf einem Stuhl und sah mit ausdruckslosem Gesicht zu, wie sein Bruder das Feuer schürte.

Normalerweise war er ein lustiger junger Mann und mit seinen fast fünfzehn Jahren bereits so stark an Mädchen interessiert, dass seine Eltern sich Sorgen machten. Der Schock über die schwere Krankheit seines Vaters hatte ihn jedoch still und in sich gekehrt werden lassen. Er saß in der hintersten Ecke des Zimmers und starrte auf seine Hände. Nur gelegentlich hob er den Blick und sah zum Fenster hinaus auf den Schnee, der langsam fiel.

Die Morgans waren gekommen, und Sarah Morgan saß an Andrews Bett, während Dorcas sich ausruhte. Die mittlerweile sechs Jahre alte Bethany setzte sich sofort an Davids Seite, als er sich auf der Couch niederließ. Schweigend ergriff sie seine Hand. David sah sie an und bemerkte, dass sie sehr besorgt war. Er beugte sich vor und drückte sie. »Keine Angst, Bethany. Vater wird wieder gesund werden.«

»Aber ich habe Angst«, flüsterte Bethany. Abrupt drehte sie sich um, legte David die Arme um den Hals und klammerte sich an ihn. Sie stand Andrew Wakefield sehr nahe; er hatte die Rolle eines Großvaters bei ihr eingenommen. Während Andrews langer Krankheit waren die Morgans häufig zu Besuch gekommen, und da Andrew seine Pflichten als Pastor nicht mehr wahrnehmen konnte, war Gareth für ihn eingesprungen. Er betreute beide Gemeinden, so gut er es konnte. Sarah und die Kinder kamen häufig herüber und Bethany hatte sich noch enger an David angeschlossen.

Ivor, der dicht am Feuer saß, schnitzte nervös an einem Stock herum. Er war sehr groß für sein Alter, hatte schwarzes, lockiges Haar und dunkle Augen und war das Ebenbild seines Vaters. Er betrachtete seine Schwester und wunderte sich über ihre Zuneigung zu David Wakefield. Als er den Hufschlag von Pferden hörte, sagte er: »Da kommt jemand.« Er klappte schnell sein Messer zu und ging zur Tür. Er öffnete sie und berichtete: »Es ist eine Kutsche.«

Dorcas, die den Hufschlag ebenfalls gehört hatte, kam aus dem Schlafzimmer und stellte sich neben Ivor. Auch David und Bethany gesellten sich zu ihnen – nur Paul Wakefield rührte sich nicht von seinem Platz. »Es sind dein Vater und Sir George«, sagte Dorcas. Sie blieben in der offenen Tür stehen, bis Gareth, der Sir George stützte, hereinkam. Dorcas war schockiert, als sie sah, wie sehr sich der ältere Mann auf Gareth stützte, doch sie sagte nichts dazu.

Sir George nahm seinen Hut ab und ergriff Dorcas’ Hände. »Wie geht es ihm?«

»Nicht gut, fürchte ich. Ich bin froh, dass du gekommen bist, George. Er hat nach dir gefragt. Aber du hättest dich nicht bei diesem scheußlichen Wetter auf den Weg machen sollen.«

»Das ist doch selbstverständlich«, erwiderte George ungeduldig. »Ich möchte ihn sehen.«

Dorcas führte ihn ins Schlafzimmer. Bevor sich die Tür schloss, kam Sarah heraus. Sie ging sofort zu Gareth, der sie in die Arme nahm und küsste. »Ich mache dich ganz nass«, sagte er. »Es schneit noch immer. Wie geht es ihm?«

Sarah warf einen Blick auf die Kinder und schüttelte unmerklich den Kopf. »Der Arzt war noch einmal da. Er hat uns eine neue Medizin für Andrew gebracht.«

Gareth sah seine Frau eindringlich an. Er wusste, dass ihre Worte mehr bedeuteten. Er fuhr seinem Sohn durch die dunkle Lockenpracht. »Wie geht es dir, mein Sohn?«

»Gut, Papa. Komm zum Feuer und wärme dich.«

Gareth nickte und ging mit gefühllosen Füßen zum Kamin. »Es war eine schwierige Fahrt. Ich wusste gar nicht, wie schwach Sir George ist. Eigentlich hätte ich nicht gedacht, dass er eine solche Reise unternehmen würde, aber er bestand darauf mitzukommen.«

Gareth blickte Paul an, der in der Ecke saß. Ein eigensinniger Ausdruck verzerrte das Gesicht des Jungen und Gareth konnte den Zorn darin erkennen. »Vielleicht könntest du etwas zu essen machen«, meinte er leise. »Ich bin hungrig, und Sir George möchte bestimmt auch etwas essen, nachdem er mit Andrew gesprochen hat.«

»Natürlich«, erwiderte Sarah. »Ivor und Bethany, kommt mit in die Küche.«

»Ich möchte bei David bleiben«, protestierte Bethany.

»Du kannst später wieder bei David sein. Jetzt komm bitte mit«, beharrte Sarah.

Sobald die Morgans gegangen waren, ergriff Paul zum ersten Mal das Wort. »Nun, Bruder, jetzt wissen wir, wie Gott wirklich ist.« Er sprang plötzlich auf und trat ans Fenster. »Zuerst hat er Vater die Beine genommen und jetzt wird er ihm das Leben nehmen.«

David war schockiert, wie verbittert Pauls Stimme klang. »Vielleicht auch nicht, Paul«, sagte er und stellte sich neben seinen Bruder ans Fenster. Er beobachtete, wie die Schneeflocken fielen. Schließlich drehte er sich zu Paul um. »Wir müssen Gott vertrauen.«

»Seit fast drei Jahren betest du nun schon für Vaters Heilung. Und hat er je wieder laufen können? Nein!« Paul spuckte die Antwort auf seine Frage nur so aus. Und während er hinaus in die Dunkelheit starrte, fragte er mit einer Spur von Angst in der Stimme: »Was wird aus uns werden, wenn Vater stirbt? Wir werden verhungern.«

»Nein«, erwiderte David sofort und schüttelte entschieden den Kopf. »Onkel George wird nicht zulassen, dass wir verhungern.«

»Ihm ist das doch egal.«

»Das meinst du doch nicht wirklich, Paul. Du weißt doch, dass Onkel George uns alle mag.«

Paul wirbelte wütend und mit funkelnden Augen zu seinem Bruder herum. Im Laufe der Jahre hatte sich eine Härte in sein Wesen eingeschlichen, die niemand erklären konnte. Er hatte nichts von der Sanftheit seiner Mutter oder der Liebe seines Vaters für andere geerbt und er verabscheute ihre Armut. Seit dem Unfall seines Vaters war diese harte Seite von Pauls Charakter deutlicher zutage getreten. Mit knapp fünfzehn Jahren war Paul Wakefield zu einem verbitterten jungen Mann geworden.

Im Krankenzimmer begrüßten sich die beiden Brüder und George setzte sich auf das Bett des Kranken. Beim Anblick von Andrews einst so starken und sportlichen Körper war George schockiert. Er ist ja vollkommen zusammengeschrumpft, dachte George. Das Fieber und die Krankheit hatten tatsächlich alles Fleisch von Andrew Wakefields Körper aufgezehrt. Seine Wangen waren eingefallen und die Augen tief in ihre Höhlen eingesunken. Die Hand, die er seinem Besucher reichte, bestand nur noch aus Haut und Knochen.

George war nicht in der Lage gewesen, die Gefühle zu verbergen, die ihn beim Anblick seines Bruders ergriffen, und Andrew flüsterte sofort: »Mach dir keine Sorgen, George.«

»Mein lieber Bruder – mein lieber Junge …!«, murmelte George. Es fiel ihm schwer, seine Gefühle zu verbergen – die wenigen, die er hatte. George Wakefield hatte für tiefgehende Gedanken, Philosophie und Religion nicht viel übrig, doch nun war er sehr betroffen. Vielleicht war der Grund dafür der Anblick des zusammengesunkenen Körpers seines Bruders und die schwache, aber beharrliche Stimme, die ihn an seine eigene Sterblichkeit erinnerte. In diesem Raum wartete der Tod. George hatte die unheimliche Vorstellung, dass er, falls er sich umdrehte und in die dunkle Ecke hinter sich starrte, eine Gestalt in Schwarz erblicken würde – die auf die Seele seines Bruders wartete! Er bemühte sich, dieses seltsame Gefühl zu unterdrücken, und hielt die Hand seines Bruders.

»Du musst nicht denken, ich sei unglücklich«, sagte Andrew leise und mit schwacher Stimme. Das Sprechen strengte ihn sehr an, aber ein sanftes Lächeln umspielte seine Lippen und aus seinen Augen sprachen Liebe und Zuneigung. »Ich bin froh, dass du gekommen bist. Ich wollte mich von dir verabschieden.«

Georges Lippen zitterten und er versuchte, etwas herauszubringen, doch er schaffte es nicht. Normalerweise war er nicht sentimental veranlagt, doch nun traten Tränen in seine Augen. »Mein lieber Andrew. Ich – ich kann dich nicht gehen lassen!«

»Wir alle müssen einmal gehen, George, früher oder später. Das ist eine Reise, vor der sich kein Mensch drücken kann. Könige wie Bettler müssen sich mit dem Sterben abfinden«, sagte Andrew leise. »Ich habe Jesus treu gedient, und nun sieht es so aus, dass ich ihn früher sehen werde, als ich erwartet hatte. Ich finde das nicht schlimm – ich sehne mich sogar danach, den zu sehen, der für mich gestorben ist und mich so treu erhalten hat. Aber bevor ich zu ihm gehe, wollte ich noch mit dir – wie schon häufiger – über deine Beziehung zu Gott sprechen.«

Andrew Wakefield hatte tatsächlich häufig mit seinem Bruder über seinen Glauben gesprochen, jedoch war es ihm nie gelungen, zu ihm durchzudringen. Doch als George nun vom Schmerz gebeugt am Krankenbett seines Bruders saß und Andrew voller Leidenschaft von der Liebe Jesu und der Notwendigkeit sprach, mit Gott ins Reine zu kommen, hörte George zu.

Während Sir George Wakefield Andrews Worten lauschte, dachte er: Was für ein selbstsüchtiger Mensch bin ich doch gewesen! Und wie selbstlos ist dagegen mein Bruder. Er wird nun bald vor Gott stehen … er ist in Sicherheit … aber was wird aus mir?

»George, du musst dein Vertrauen auf Jesus setzen«, sagte Andrew. Seine Stimme war auf einmal fest und lebendig. Er umklammerte die Hand seines Bruders und blickte ihn eindringlich an. »Es würde mich so glücklich machen zu wissen, dass du das getan hast. Ich weiß, dass du Mitglied der Kirche bist, aber du musst dich Jesus ganz hingeben – mit allem, was du hast! Das ist sehr schwierig, doch ich, der ich nun vor den Toren der Ewigkeit stehe, trauere über die Bereiche meines Lebens, die ich nicht Gott überlassen habe. Wenn es ans Sterben geht, George, sollst du sagen können, dass du Jesus ganz gehörst!«

Dorcas war ins Zimmer geschlüpft und hörte schweigend zu. Sie wusste, wie sehr sich Andrew um seinen Bruder sorgte. Niemand konnte sagen, welche Beziehung George zu Gott hatte, denn er behauptete von sich zwar, Christ zu sein, aber er war nur ein Namenschrist. Doch nun erkannte Dorcas, dass er tief bewegt war.

Ein Schluchzen entrang sich George. »Sag nichts mehr, lieber Bruder! Ich verspreche dir, ich werde für mein Seelenheil sorgen, das werde ich. Ich werde mich Gott ausliefern – du hast mein Ehrenwort darauf!« Er drehte sich um, denn bei seinen Worten hatte Dorcas einen Freudenschrei nicht unterdrücken können. George starrte sie mit Tränen in den Augen eine Zeit lang an, dann drehte er sich wieder um und drückte die Hand seines Bruders. »Andrew«, flüsterte er mit brechender Stimme. »Um eines möchte ich dich bitten – sorge dich nicht um deine Familie. Ich werde dafür Sorge tragen, dass sie keine Not leiden werden, so wahr mir Gott helfe! Sie wird sein wie meine eigene, das verspreche ich dir.«

Andrew blickte ihn warm an und drückte seine Hand. »Das ist das, was mich, abgesehen von deinem Versprechen, dich selbst Gott zu geben, am glücklichsten macht. Ich danke dir, lieber Bruder!«

Zwei Tage kämpfte Andrew Wakefield noch mit dem Tod. Er sprach mehrmals mit George und beiden taten diese Gespräche gut … doch das Ende war nahe. Die Menschen, die den Kranken pflegten, konnten von Stunde zu Stunde sehen, wie er immer schwächer wurde. Schließlich war er nicht mehr in der Lage, Nahrung zu sich zu nehmen. Um drei Uhr an einem Mittwochnachmittag im Februar 1756 kam das Ende. Die ganze Familie war im Krankenzimmer versammelt und auch die Familie Morgan, von der er sich bereits verabschiedet hatte.

Das kleine Zimmer war überfüllt. Dorcas stand an Andrews rechter, seine beiden Söhne an seiner linken Seite. David kniete am Bett seines Vaters, doch Paul stand hoch aufgerichtet und mit ausdruckslosem Gesicht an seiner Seite. Alle lauschten auf das stoßweise Atmen des Sterbenden.

»Er stirbt«, flüsterte Dorcas. »Oh Andrew, kannst du mich hören?« Sie streichelte sein Gesicht und bei ihrer Berührung öffnete er die Augen.

»Dorcas –«

»Ja, mein Geliebter?«

»Erinnerst du dich noch an unsere Hochzeit? Wie wir versprochen haben, uns zu lieben?«

»Oh ja, natürlich erinnere ich mich daran …!« Dorcas rannen nun die Tränen über die Wangen, und sie machte keinen Versuch, sie aufzuhalten. Sie tropften auf Andrews Hand, doch er schien sie nicht zu bemerken.

»Ich erinnere mich noch so gut an diesen Tag«, sagte Andrew leise.

Ein langes Schweigen erfüllte den Raum. Das einzige Geräusch war das Ticken der Uhr auf dem Kaminsims und das schwache Atmen des Sterbenden. Schließlich blickte Andrew seine beiden Söhne an und sagte mit neuer Kraft, die ihn für einen Augenblick aufzurichten schien: »David – liebe Gott.«

»Ja, Vater, das werde ich. Ich – ich liebe dich, Vater.« David nahm die Hand seines Vaters und küsste sie, dann barg er sein Gesicht in der Bettdecke.

»Paul?«

Paul beugte sich vor und ergriff unbeholfen die Hand seines Vaters. Er sagte nichts, doch sein Vater bemerkte die Härte im Gesicht seines Sohnes. »Lass nicht zu, dass mein Tod dich bitter macht. Ich liebe dich, mein Sohn, und ich habe dafür gebetet, dass Gott dich erhalten möge und dich zu einem mächtigen Mann Gottes macht.«

Paul hörte zu; in seinem Gesicht arbeitete es. Er hielt die Tränen zwar zurück, aber er flüsterte: »Papa, ich liebe dich so sehr!«

Bei diesen Worten lächelte Andrew Wakefield schwach. Er wandte sich wieder an Dorcas, betrachtete ihr Gesicht und sagte: »Ich gehe zum Herrn Jesus …«

»Ja, mein Liebling … aber ich werde dich so sehr vermissen.«

»Ich werde – auf dich warten …« Und schließlich flüsterte er so leise, dass nur Dorcas es hören konnte: »Du warst mein Leben!«

Danach sagte er nichts mehr, und das Leben wich so sanft aus seinem Körper, dass es beinahe unmöglich war zu sagen, wann er diese Welt verlassen und in die andere Welt eingetreten war. Doch schließlich war diese Zeit gekommen und Dorcas wischte sich die Tränen aus den Augen. Sie legte ihre Hand auf den Kopf ihres Mannes und flüsterte: »Auch du warst mein Leben und meine Liebe …!«

An der Beerdigung nahmen so viele Leute teil, wie es in dem kleinen Dorf noch nie vorgekommen war. George Wakefield war erstaunt, wie viele trotz des schlechten Wetters gekommen waren. Die kleine Kirche war überfüllt und alle diese Menschen standen auch während der kurzen Ansprache am Grab.

Als die Familie ins Haus zurückgekehrt war, schüttelte Sir George erstaunt den Kopf. »Nie hätte ich gedacht, dass Andrew eine solche Menge liebevoller und umsichtiger Freunde hat.«

»Er war ein liebevoller und umsichtiger Mann«, erwiderte Dorcas leise.

Mit gebeugtem Kopf stand George vor ihr und dachte über das Gesagte nach. Lange Zeit sagte er nichts, und die Zwillinge blickten sich an und fragten sich, warum er so lange schwieg.

Schließlich hob George den Kopf. »Ihr kommt mit mir«, sagte er mit entschlossenem Gesicht. Als er die verblüfften Gesichter bemerkte, fügte er schnell hinzu: »Ich meine, ihr kommt mit nach Wakefield und werdet von nun an dort leben.«