Im Taumel des Glücks - Gilbert Morris - E-Book

Im Taumel des Glücks E-Book

Gilbert Morris

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Beschreibung

Von Mut, Glauben und der Kraft der Vergebung - Der letzte Band der Wakefield-Saga Man schreibt das Jahr 1800. Der Krieg zwischen England und Frankreich unter der Führung Napoleons erschüttert das Land. Kapitän Honor Wakefield weiß, dass Englands einzige Chance die starke Seeflotte ist! In »Wakefield Manor« verläuft das Leben dagegen scheinbar unberührt von den Unruhen, die das Land ergreifen. Doch der äußere Frieden täuscht: Familienkonflikte erzwingen Veränderungen und Entscheidungen, die das Leben der Wakefields auf den Kopf stellen. Die Wakefield-Saga: Band 1: Das Schwert der Wahrheit Band 2: Zwischen Liebe und Hass Band 3: Der Schlüssel der Weisheit Band 4: Stärke des Herzens Band 5: Stürme der Liebe Band 6: Der Kampf ums Glück Band 7: Im Taumel des Glücks

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Seitenzahl: 430

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SCM Hänssler ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört,einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher,Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

ISBN 978-3-7751-7526-5 (E-Book)ISBN 978-3-7751-6026-1 (lieferbare Buchausgabe)

Dieser Titel erschien zuvor unter der ISBN: 978-3-7751-3425-5

Auflage 2021 (2. Gesamtauflage)

© der deutschen Ausgabe 2021SCM Hänssler in der SCM Verlagsgruppe GmbHMax-Eyth-Straße 41 · 71088 HolzgerlingenInternet: www.scm-haenssler.de; E-Mail: [email protected]

Originally published in English under the title: A Gathering of Eagles© 1998 by Gilbert MorrisPublished by Tyndale House Publishers, Inc.

Übersetzung: Laura ZimmermannUmschlaggestaltung: Jan Henkel, www.janhenkel.comTitelbild: Wappen: Adler: © Potapov Alexander/Shutterstock.com,Schild: © pashabo/Shutterstock.com,Komposition: © Andy & Michelle Kerry /Trevillion ImagesSatz: Satz & Medien Wieser, Aachen

Inhalt

Über den Autor

Widmung

I | Cousins 1800

1 | Ein Ball für Shayna

2 | Ein ausgedehnter Besuch

3 | Eine Woche in London

4 | »Eine Frau kann einen Mann zugrunde richten«

5 | Augenblicke der Gewalt

6 | Der Weg des Übeltäters

II | Der Unerschrockene 1800–1801

7 | Zwei Wunder

8 | Trevor bekommt ein Angebot

9 | Die Hand Gottes

10 | Auf hoher See

11 | Die Bestrafung

12 | Eine Frage der Pflichterfüllung

III | Die Seeschlacht 1801

13 | Tag der Entdeckung

14 | Wahre Liebe bleibt bestehen

15 | Die Kosten der Pflichterfüllung

16 | Ein bitterer Sieg

IV | Zuflucht in einem fremden Land 1801–1802

17 | Ein Licht in der Dunkelheit

18 | Ein Freund und ein Bruder

19 | »Wir müssen lernen loszulassen«

20 | Die Gegenwart

21 | Unter den Sternen

22 | Eine Sache des Glaubens

23 | »Er kam in sein Eigentum …«

24 | Zeit für Zärtlichkeit

Leseempfehlungen

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Über den Autor

GILBERT MORRIS (1929–2016) war Pastor, Englisch-Professor und Bestsellerautor.

Mit seiner Frau und seinen drei Kindern lebte er in Alabama, USA.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Widmung

Für Amos und Helen FunderburkIhr zwei habt mein Leben heller gemacht.Von allen Ehepaaren, die ich je kennengelernt habe,habt ihr beide mich ganz besonders beeindruckt.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

ICousins1800

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

1Ein Ball für Shayna

Dichte Dampfwolken stiegen von der Kupferwanne auf, als Lucy McDougal, eine kleine Frau von fünfundzwanzig Jahren mit breiten Hüften, einen großen Eimer heißes Wasser hineingoss. Mit rotem Gesicht und einer Spur von Verachtung, die sich in ihren schottischen Akzent mischte, sagte sie: »Also, mich geht das ja nichts an, aber Ihr werdet Euch bestimmt noch den Tod holen!«

Shayna Wakefield lag eingetaucht in dem heißen Seifenwasser. Ihr kastanienbraunes Haar hatte sie hochgesteckt, damit es nicht nass wurde. Sie rutschte nur noch tiefer in die Wanne, genoss das heiße Wasser und lächelte die Zofe liebevoll an. Diesen Streit führten sie jedes Mal, wenn sie ein Bad nahm – was sehr viel regelmäßiger vorkam als bei den meisten ihrer Bekannten. Sie nahm eine Handvoll Schaum und blies hinein, dann beobachtete sie träge, wie die Schaumflocken hochstiegen und sich auf Lucys Kleid setzten. »Das sagst du jedes Mal, wenn ich ein Bad nehme, Lucy, und noch bin ich nicht tot. Baden schadet doch niemandem.«

»Es zerstört die natürlichen Fette des Körpers«, erwiderte Lucy mit fester Stimme. Diese Theorie hatte sie sich ausgedacht und sie hielt daran fest – sie glaubte fast so fest daran wie an die Glaubensartikel ihrer Vorfahren. Verärgert stemmte sie die Hände in die Hüften und zog die Nase kraus. »Auf jeden Fall ist es nicht gesund. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Prophet Elia gebadet hat. Davon steht nichts im Buch der Bücher!« Und damit war für Lucy das Thema beendet. Wenn etwas nicht im »Buch der Bücher« – der heiligen Bibel – stand, war es nicht wert, von ihr beachtet zu werden. Sie nahm eine weiche Bürste zur Hand und fuhr fort: »Aber wenn Ihr unbedingt Euer Leben aufs Spiel setzen wollt, dann schrubbe ich Euch jetzt ab.«

Shayna setzte sich auf und beugte sich vor. Sie genoss jede Minute ihres Bades. Mit großem Eifer sammelte sie Seifen und Lotionen. Der Badezusatz, in dem sie gerade badete, kam aus Kastilien in Spanien. Während Lucy sie abschrubbte, dachte Shayna an den bevorstehenden Ball.

Shayna Wakefields Gedanken kreisten sehr häufig um Bälle. Sie wurden in den Liebesromanen beschrieben, die sie so gerne las, und nun sollte sie zum ersten Mal in ihrem Leben selbst an einem teilnehmen! Seit Wochen bereitete sie sich schon auf dieses Ereignis vor, kaufte neue Kleider und lud so viele Leute ein, wie ihr Vater ihr erlaubte.

Jetzt richtete sie sich abrupt auf. »Das reicht, Lucy. Du wirst mir noch meine ganze Haut abschrubben.«

»Ich werde die Kleider holen, die Ihr herausgelegt habt. Ihr könnt doch nicht den ganzen Tag in dieser Wanne liegen. Beeilt Euch jetzt!«

»Ist gut, ich werde mich beeilen!«

Nachdem Lucy den Raum verlassen hatte, rutschte Shayna wieder tiefer ins Wasser. Sie nahm einen weichen Lappen und fuhr sich damit über das Gesicht, aber im Augenblick dachte sie nicht an ihr Bad. Sie dachte an den kritischen Punkt, den sie in ihrem Leben erreicht hatte.

»Siebzehn Jahre!« Mutig sprach sie diese Worte aus und lachte. »Wenn Lucy hört, dass ich mit mir selbst rede, wird sie denken, ich sei verrückt geworden. Aber es passiert ja nicht jeden Tag, dass ein Mädchen eine Frau wird. Und das bin ich jetzt! Siebzehn Jahre alt – und eine Frau!«

Nachdem sie noch eine Weile von dem Ball geträumt hatte, umklammerte sie widerstrebend den Rand der Badewanne und zog sich hoch. Mit einem großen, flauschigen Handtuch rubbelte sich Shayna ab, bis ihre Haut sich rosa gefärbt hatte. Dann warf sie das Handtuch beiseite, verließ das kleine Badezimmer und eilte in ihr Schlafzimmer.

Shaynas Schlafzimmer zierte ein hellblauer Teppich mit weißem Blumenmuster. Die mit einer blau-roséfarbenen Tapete mit Blümchenmuster tapezierten Wände schmückten eine Reihe von Gemälden in goldenen Rahmen. Die Vorhänge an den Fenstern wiesen dasselbe Muster auf wie die Tapete. Ganz besonders gefiel ihr der graue Steinkamin und die massiven Kirschbaummöbel, vor allem das große Bett mit dem Baldachin und dem blau-weißen Überwurf. An der Wand dem Bett gegenüber stand ein Kleiderschrank mit einem Spiegel und neben dem Bett eine Kommode mit zarten weißen Deckchen. Das Zimmer war das eines jungen Mädchens, das an Luxus gewöhnt war. Allein die Möbel hatten so viel gekostet, dass das ganze Dorf, in dem sie einkaufte, ein Jahr lang hätte davon leben können.

Lucy zupfte gerade einen Fussel von dem Kleid, das ausgebreitet über dem Bett lag. Sie blickte alarmiert auf und hob entsetzt die Hände. »Ihr habt ja gar nichts an!«, rief sie. »Kommt und steigt in Eure Kleider, bevor Ihr Euch den Tod holt.« Lucy nahm ein weißes Baumwollhemd und zog es Shayna über den Kopf. Sie band es fest, dann hielt sie ihr eine Spitzenhose hin, damit sie hineinsteigen konnte. Nachdem sie sie um Shaynas Taille festgebunden hatte, streifte sie ihr noch ein loses Unterhemd über den Kopf. Dann kamen die verschiedenen Petticoats – einer aus Flanell, einer aus Baumwollcord – und dann drei gestärkte und mit Volants besetzte Unterröcke, die das Gewicht des Kleides halten sollten.

Schließlich nahm Lucy das Kleid zur Hand und hielt es missbilligend in die Höhe. »Es ist eine Todsünde – jawohl, das ist es –, so viel Geld für ein Kleid auszugeben!«

Doch als Shayna in das Kleid schlüpfte und Lucy die Knöpfe an ihrem Rücken zuknöpfte, machte sie sich keine Gedanken über diese Ausgabe. Als Tochter von Sir Honor Wakefield wusste sie kaum, was ihre Kleider kosteten. Sie war verwöhnt und sie scherte sich keinen Deut darum. Jetzt riss sie sich ungeduldig von Lucy los und lief vor den Spiegel. Und was sie im Spiegel sah, stellte sie zufrieden.

Ihr langes kastanienbraunes Haar, von dem Bad noch immer hochgesteckt, schimmerte kupferfarben, ein Vermächtnis von Marielle, ihrer indianischen Großmutter. Aber auf den vielen Porträts, die überall im Schloss hingen, war diese Haarfarbe auch bei den Wakefields zu finden. Von ihrem Vater, der zu einem Viertel Ojibway war, hatte sie die hohen Wangenknochen und ihr ovales Gesicht geerbt. Von ihrer jüdischen Mutter hatte Shayna die weiche Haut geerbt, die etwas dunkler war als die der meisten englischen Damen. Obwohl sich Shayna kaum noch an sie erinnern konnte, wusste sie, dass ihre Mutter schön gewesen war und dass sie ihre Schönheit an ihre Tochter vererbt hatte. Aber ihre dunkelgrünen Augen hatte Shayna weder von ihrem Vater noch von ihrer Mutter.

Ihr jadegrünes Seidenkleid war eine Pracht. Mit dem mit weißer Spitze umsäumten Oberteil, das einen starken Kontrast zu der tiefdunklen Farbe des Stoffes bildete, den kurzen Puffärmeln, einem weißen Seidenunterrock und dem Rock, der in großen weißen Bögen hochgebunden war, sah das Kleid wirklich umwerfend aus.

»Also, wenn Ihr damit fertig seid, Euch im Spiegel zu bewundern«, begann Lucy, doch sie wurde von einem Klopfen an der Tür unterbrochen. Lucy drehte sich um und öffnete die Tür. »Oh, Sir Honor, sie ist gerade fertig angezogen!« Und mit leiser Stimme, damit Shayna es nicht hörte und eitel wurde, fügte sie hinzu: »Sie wird gut ankommen, denke ich.«

»Meinst du, Lucy?«, erwiderte Honor Wakefield mit tiefer Stimme. »Lass mich mal sehen.«

Der Mann, der den Raum betrat, war knapp zwei Meter groß. Er hatte Geheimratsecken, ein vorstehendes Kinn und direkt blickende graublaue Augen. Mit seinen achtunddreißig Jahren hatte Sir Honor Wakefield seine sportliche Figur etwas verloren. Jetzt fuhr er sich mit der Hand über das Kinn, während seine Tochter auf seine Billigung wartete.

»Na ja«, meinte er langsam, da er bemerkte, dass sie mit einem Kompliment seinerseits rechnete, »ich denke, es wird gehen.«

»Oh Papa«, sagte Shayna enttäuscht, als sie sich von ihm abwandte, »mehr kannst du nicht dazu sagen?«

Honor packte sie bei den Schultern und wirbelte sie herum. »Ich wollte dich doch nur necken!« Dann trat er lächelnd einen Schritt zurück. »Lass mich mal sehen … Du siehst deiner Mutter sehr ähnlich. Ein schöneres Kompliment kann ich dir gar nicht machen.«

»Das hast du noch nie zu mir gesagt!«, freute sich Shayna, denn sie wusste, dass ihr Vater an keine andere Frau als Shaynas Mutter dachte. Als ihre Mutter starb, war sie erst sechs Jahre alt gewesen. Alle hatten erwartet, dass er wieder heiraten würde, denn er war reich und bekannt, doch er hatte es nicht getan. Insgeheim war Shayna froh darüber, denn auf diese Weise galt ihr seine volle Aufmerksamkeit. Als sie ihn küsste, flüsterte sie: »Das ist das netteste Kompliment, das du mir machen konntest. Sie war wunderschön, nicht?«

»Wirklich wunderschön.« Honor Wakefield dachte an die Zeit, als Rachel Golding in sein Leben getreten war. Sie war nur ein Jahr älter gewesen als Shayna jetzt. Honor hatte sich auf den ersten Blick in sie verliebt. Es war eine Liebesgeschichte gewesen wie im Roman, denn auch sie hatte sich sofort in ihn verliebt. Honor hatte Shayna die Geschichte schon oft erzählt: Die Eltern seiner zukünftigen Braut, begüterte orthodoxe Juden, hatten eine Ehe zwischen Honor und ihrer Tochter verboten. Doch dann hatte Marielle, Shaynas Großmutter, Rachel für den Glauben an Jesus Christus gewonnen. An dem Tag, an dem Rachel und Honor heirateten, schlossen ihre Eltern sie aus der Familie aus.

»Du siehst genauso aus wie sie an dem Tag, als ich sie kennenlernte, Shayna«, sagte er mit traurigem Blick.

»Du vermisst sie sehr, nicht wahr, selbst nach all dieser Zeit noch.«

»Ich denke jeden Tag an sie.«

Shayna umarmte ihren Vater. »Jetzt hast du ja mich, Papa.«

Honor Wakefield drückte sie an sich. »Ich werde dich nicht mehr lange haben, wenn du so aussiehst. Alle jungen Männer im Land werden sich anstellen, um mich um deine Hand zu bitten.«

»Das hoffe ich doch.« Shayna lächelte ihn an.

Shayna und ihr Vater standen sich sehr nahe. Sie verbrachten so viel Zeit wie möglich miteinander. Aber da er beschlossen hatte, zur Marine zu gehen, war er häufig über einen längeren Zeitraum hinweg fort, manchmal mehrere Monate. Und jedes Mal wenn er wieder gehen musste, gab es Tränen. Honor Wakefield dachte an diese verpassten Jahre und bedauerte sie umso mehr.

Als ob sie seine Gedanken lesen konnte, fragte Shayna: »Gehst du bald wieder fort, Papa?«

Widerstrebend nickte Honor. »Ich fürchte ja. Aber dieses Mal wird es nicht so lange dauern – höchstens zwei Monate. Ich fahre auf der Leopard. Es wird ihre letzte Fahrt sein; dann wird sie entweder verkauft oder zu Brennholz verarbeitet.«

»Ich wünschte, du müsstest nicht fahren«, sagte sie. Doch als sie den Schmerz in seinen Augen bemerkte, fügte sie schnell hinzu: »Aber es wird ja nicht so lange sein.«

»Wenn ich zurückkomme, werden wir beide eine Reise machen. Vielleicht fahren wir nach Spanien oder an irgendeinen anderen exotischen Ort, an dem die Liebesromane spielen, die du immer liest. Du wirst einen gut aussehenden Spanier kennenlernen und dich verlieben. Doch dann stirbt er und du trägst für den Rest deines Lebens schwarz und wirst keinen anderen Mann mehr ansehen.«

»Papa, was für schreckliche Dinge du sagst!«

«Na ja, so etwas passiert doch in deinen Liebesromanen?«

»Ganz so schlimm ist es nicht!«, verteidigte sich Shayna schnell. Ihr Vater war Realist, für einen Kapitän in der Marine seiner Majestät durchaus nicht ungewöhnlich.

Honor Wakefield hatte selbst erlebt, dass das Leben durchaus keine Romanze war – eine Tatsache, die Shayna noch für sich selbst erkennen musste, wie ihm sehr wohl klar war. Er hatte sie sorgfältig vor der harten Realität abgeschirmt, wie junge Mädchen sie so häufig erleben mussten. Doch jetzt fragte er sich, ob das richtig gewesen war. Vielleicht wäre es besser gewesen, dachte er, wenn sie einige harte Schläge hätte einstecken müssen. Eines Tages kann ich sie davor nicht mehr schützen, und wenn sie diese hübsche Welt, die ich für sie geschaffen habe, verlässt, wird sie einen großen Schock erleben, fürchte ich.

Laut sagte er: »Ich habe ein Geschenk für dich. Überrascht dich das?«

Shayna, die wusste, dass er sie neckte, lächelte nur.

Er holte ein kleines Kästchen hervor und reichte es ihr. »Alles Gute zu deinem siebzehnten Geburtstag, Shayna.«

Shayna hob den Deckel. In dem Kästchen lag eine Kette aus tiefgrünen Smaragden. Die Größe und Schönheit der Steine raubten ihr den Atem. Mit strahlenden Augen rief Shayna: »Oh Papa, sie ist wunderschön! Sie muss ja ein Vermögen gekostet haben!«

Honor Wakefield lachte leise und nahm die Kette aus der Schachtel. »Das ist das erste Mal, dass du dir über den Preis eines Gegenstandes Gedanken machst. Komm, lass mich sie dir umlegen.«

Nachdem er den Verschluss gesichert hatte, betrachtete sich Shayna im Spiegel.

»Das war die Kette deiner Mutter. Ich habe sie bis zu deinem siebzehnten Geburtstag aufbewahrt«, erklärte Honor und betrachtete sie liebevoll. »Du siehst wundervoll aus, Liebes.«

»Ich kann dir gar nicht genug danken, Papa.«

»Komm, lass uns hinuntergehen, wenn du fertig bist. Ich denke, Trevor ist bereits da.«

»Ja, ich habe ihm einen Tanz reserviert.«

»Nur einen?« Erstaunt betrachtete Honor seine Tochter, und als er ihren Gesichtsausdruck bemerkte, dachte er, dass er sie vielleicht doch nicht so gut kannte, wie er gedacht hatte. Als sie sechs war, war alles noch so einfach, dachte er, aber jetzt mit siebzehn hat sie ihre Geheimnisse. »Freust du dich nicht, deinen Cousin zu sehen?«

»Natürlich freue ich mich, Papa. Ich bin immer froh, Trevor zu sehen.«

Trevor Wakefield, David und Bethany Wakefields Sohn, war Shaynas Cousin zweiten Grades. Paul, Honors Vater, und David Wakefield waren Zwillinge. Zwar war Paul fünf Jahre zuvor gestorben, doch die beiden Familien standen sich noch immer sehr nahe. David war ein erfolgreicher Schriftsteller und lebte in London, und er besaß ein Cottage in der Nähe, wo er, Bethany und seine Kinder den Sommer verbrachten. Lange Zeit war Trevor, der acht Jahre älter war als Shayna, ihr wie ein Bruder gewesen. Er hatte sie verteidigt und die große Lücke in Shaynas Leben ausgefüllt, wenn ihr Vater auf einer seiner langen Seereisen war. Darum war es kein Geheimnis, zumindest für die den Wakefields nahestehenden Personen, dass Trevor sich im vergangenen Jahr in Shayna verliebt hatte. Trevor studierte in Edinburgh und würde eines Tages Arzt werden. Bisher hatte er sich nicht sonderlich für junge Frauen interessiert – was alle erstaunte, denn er war ein sehr netter und gut aussehender junger Mann, wenn auch ein wenig zurückhaltend. Viele junge Frauen und ihre Mütter hatten sich ausgeklügelte Strategien zurechtgelegt, um ihn in ihre Netze zu locken, doch alles war fehlgeschlagen. Im vorhergehenden Sommer, als Trevor mehrere Monate zu Hause verbracht hatte, schien er Shayna zum ersten Mal als Frau zu erkennen. Sie war voll erblüht, und als Trevor nach Edinburgh zurückkehrte, drehten sich alle seine Gedanken um Shayna Wakefield.

Da sie sah, dass ihr Vater auf eine Antwort wartete, wechselte Shayna das Thema. »Dann komm. Wir werden sonst zu spät kommen.«

Als die beiden die Treppe hinunterstiegen, wünschte sich Honor Wakefield verzweifelt eine Frau an seiner Seite, mit der er die Verantwortung für die Erziehung Shaynas hätte teilen können. Ich muss mit Bethany darüber sprechen, um zu erfahren, wie Trevor empfindet. Seine Tante Bethany hatte viel Zeit mit Shayna verbracht und war ihr beinahe wie eine Mutter geworden. Seine Gedanken überschlugen sich, als sie sich zu den bereits eingetroffenen Gästen gesellten. Die Musik spielte schon und die Gäste plauderten fröhlich miteinander.

***

»Also, ich muss sagen, du siehst fast so gut aus wie dein Vater.«

Trevor Wakefield blickte seine Mutter an. Seine Augen funkelten. Bethany Morgan Wakefield war fünfzig, doch sie sah zwanzig Jahre jünger aus. Ihr Haar war noch immer schwarz, ihre dunkelblauen Augen blickten klar. Als sie David Wakefield, ihren Mann, ansah, der neben ihr in der Kutsche saß, wandte er sich ihr zu. Nach einer Weile meinte sie grinsend: »Nein, ich glaube, dein Sohn sieht sogar noch besser aus als du.«

Trevor lachte. »Ich kann kaum glauben, dass du so etwas sagst. Du hast doch immer behauptet, Vater sei der bestaussehende Mann auf der ganzen Welt.«

»Na ja, du hast dein gutes Aussehen von ihm und zum Teil auch von mir. Du bist also doppelt gesegnet«, erwiderte Bethany Wakefield. Man hörte noch immer eine Spur ihres walisischen Akzents heraus. Schon als Kind hatte sie sich in David Wakefield verliebt. Jetzt ergriff sie seine Hand. »Was meinst du? Freust du dich auch auf den Ball?«

»Na ja, ich kann es kaum erwarten zu sehen, wie Trevor sich benimmt. Ein verliebter Mann macht sich oft zum Narren, wie du weißt.« Er sah, wie Trevor rot wurde, denn selbst im Alter von fünfundzwanzig Jahren war Trevor noch erstaunlich schüchtern. Einige hielten ihn sogar für ein wenig zurückgeblieben. Doch der Grund für seine Zurückhaltung war nicht mangelnde Intelligenz, er war einfach vom Wesen her ein ruhiger Mensch und solche Gespräche brachten ihn immer in Verlegenheit.

»Du solltest den Jungen nicht necken! Shayna ist eine sehr nette junge Frau und sie wäre eine wundervolle Frau für ihn.«

»Mutter, ich habe sie nicht einmal gefragt!«, protestierte Trevor. Er lehnte sich in die Polster zurück. Mit seinen knapp zwei Metern war er eine imponierende Erscheinung. Er hatte rotbraune Haare, dunkle Haut, blau-graue Augen, eine kurze Nase, einen breiten Mund und dichte Augenbrauen, die er immer stutzen musste. Sein tiefes Grübchen im Kinn bereitete ihm Probleme beim Rasieren, doch es stand ihm sehr gut zu Gesicht.

»Ich finde es gut, wenn ein Mann eine jüngere Frau heiratet. Shayna ist noch jung genug, um erzogen zu werden«, fügte David unschuldig mit einem Augenzwinkern zu Bethany hinzu.

»Du!«, explodierte Bethany. »Willst du damit sagen, dass du mich erzogen hast?«

»Sicher. Darum habe ich doch auch eine jüngere Frau geheiratet«, erklärte David lächelnd.

Trevor lächelte ebenfalls. »Du wirst es nicht schaffen, Mutter! Diese Schriftsteller sind für Sterbliche wie uns einfach zu schnell.« Trevor war genauso stolz auf den Erfolg seines Vaters als Schriftsteller wie seine Mutter. Er wusste, dass seine Eltern auch schwierige Zeiten durchgemacht hatten. David Wakefield war als Erbe des Titels Marquis of Wakefield geboren worden, so dachten alle. Doch in einem aufsehenerregenden Prozess wurde bewiesen, dass sein Bruder Paul der eigentliche Erbe dieses Titels war. Daraufhin musste David, der eine Frau geheiratet hatte, die ihn nicht liebte, selbst für seinen Lebensunterhalt aufkommen. Er hatte schreckliche Armut erlebt. Und trotzdem blieb Bethany Morgans Liebe zu ihrem Freund aus Kindheitstagen bestehen. Nachdem Davids erste Frau gestorben war, hatten die beiden geheiratet, und ihre Ehe war sehr glücklich.

Bisher hatte Margaret Wakefield, Trevors gut aussehende und lebhafte Schwester, geschwiegen. Jetzt meldete sie sich zu Wort. »Keine Angst, Bruder. Du musst nur deine Hemmungen überwinden, dann fällt Shayna dir in den Schoß.«

»Was meinst du damit?«, fragte Trevor.

Margaret berührte ihr schwarzes Haar, um sicherzugehen, dass ihre Frisur in Ordnung war. »Ich meine, sie ist sehr romantisch. Ich glaube, es würde ihr sehr gut gefallen, wenn du mit einer dunklen Maske hereinkämest und verkünden würdest, du wärst der schwarze Rächer, wie einer der Helden in ihren Liebesromanen.«

»Das werde ich wohl kaum tun!«, erwiderte Trevor leicht verstimmt. Aber er hatte keine Gelegenheit, dies näher zu erläutern, da die Kutsche vor Schloss Wakefield vorfuhr.

Als sie ausstiegen, fragte Bethany: »Warum hast du das zu Trevor gesagt?«

Margaret beugte sich zu ihrer Mutter hinüber. »Weil es stimmt. Denk an das, was ich dir gesagt habe, Mutter. Er wird ein wenig mehr tun müssen, als mit Shayna Wakefield über seine Arzneien und Operationen zu sprechen!«

Als die vier vor dem Heim des Marquis von Wakefield standen, waren Bethany und Margaret wie gewöhnlich ein wenig eingeschüchtert. Ehrfürchtig betrachteten sie das dreistöckige Herrenhaus aus grauem Stein. David empfand nicht so, denn er war darin aufgewachsen. Während sie die Stufen zu der großen, reich verzierten Eingangstür hochstiegen, bewunderten die Frauen die Ecktürme, die großen Fenster und das steile Dach.

In der Halle war bereits die Musik zu hören. Der Marquis, Honor Wakefield, nahm sie in Empfang. Mit großer Freude schüttelte er seinem Onkel David die Hand. »Onkel David, wie schön, dich zu sehen. Bethany, du hast nie besser ausgesehen. Und du, Margaret, wie hübsch du bist!«

»Wie geht es dir, Neffe?«, fragte David. In seinem schwarzen Frack, dem weißen Leinenhemd und der grauschwarzen Krawatte sah er sehr gut aus. Seine weiten Hosen steckten in schwarzen Lederstiefeln. »Hier ist ja mächtig was los.«

»Ja, ich musste Shayna Einhalt gebieten. Sie hätte das halbe Land eingeladen, wenn ich nicht Einspruch erhoben hätte.«

»Da ist sie ja«, meinte Bethany.

Margaret betrachtete ihre Cousine. »Was hat sie denn um den Hals?« Dann wanderte ihr Blick zu ihrem Gastgeber und sie lächelte. »Ich nehme an, das ist das Geschenk, das Ihr ihr zum Geburtstag geschenkt habt.«

»Ich muss mich schuldig bekennen. Aber das Mädchen wird nur einmal siebzehn«, erwiderte Honor. Und an Trevor gewandt fuhr er fort: »Du stellst dich besser für einen Tanz an. Sie wird schon von den jungen Burschen aus der Nachbarschaft belagert.«

»Jawohl, Sir, das mache ich sofort.«

Während Trevor davonging, bemerkte Bethany, dass Honor besorgt wirkte. Aber im Augenblick war nicht der richtige Zeitpunkt, um mit ihm über das zu sprechen, was ihn beunruhigte.

In der Zwischenzeit stand Trevor an der Wand des Ballsaales und beobachtete Shayna, die mit einem großen, blonden jungen Mann tanzte. Irgendwie deprimierte ihn die Schönheit des Saales – die an die Decke gemalten Bilder von Cherubim, der Alabasterboden, in dem sich die Kerzenhalter und die flackernden Kerzen spiegelten, die Kronleuchter, der Kamin mit den silbernen Kerzenständern und die Stühle mit den weinroten, golddurchwirkten Damastbezügen. Während er eines der Kristallgläser mit Punsch von einem Tisch nahm, musste er denken: Vermutlich ist das keine besonders gute Idee, wenn sich ein armer Medizinstudent um die Tochter eines Marquis bewirbt. Allein mit diesem Silberservice könnte ich meine Studiengebühren für ein Jahr decken. Die Tatsache, dass er kein guter Unterhalter war, da er mehr Zeit damit verbrachte, sich mit der Anatomie des Menschen zu beschäftigen, als zu lernen, wie man tanzte, besserte seine Laune auch nicht. Während er den unbekannten Mann anstarrte, der Shayna anlächelte, dachte er: Er tanzt besser als ich, aber ich würde gern einmal sehen, wie er eine Leiche seziert. Ihm wurde klar, wie lächerlich sein Vergleich war, und er lachte über sich selbst. Trevor hatte schon Sinn für Humor, aber es war eine sehr hintergründige Art von Humor und nicht für jeden sofort erkennbar. Da er bei solchen Anlässen sehr wohl in der Lage war, die Diskrepanz zwischen Schein und Sein zu erkennen, amüsierte er sich eher über die Gesellschaft, als dass er betrübt war.

Schließlich war der Tanz zu Ende, und er ging auf die beiden zu, die gerade den Tanzboden verließen. »Alles Gute zum Geburtstag, Shayna.«

»Oh Trevor, ich bin so froh, dass du gekommen bist!« Shayna freute sich tatsächlich, denn sie mochte Trevor sehr. Sie streckte ihm die Hand entgegen, und während er sie nahm, sagte sie: »Kennst du Mr Leslie Carrington? Mr Carrington, mein Cousin Trevor Wakefield.«

Die beiden Männer begrüßten sich und Carrington fragte: »Ihr seid Cousins, sagtet Ihr?«

»Entfernte Cousins«, erklärte Trevor schnell.

»Trevor studiert Medizin und er wird einmal der beste Arzt in Schottland sein«, warf Shayna stolz ein.

»Oh, ich werde nach England zurückkommen, wenn meine Ausbildung beendet ist.«

»Mr Carrington ist Anwalt.«

Trevor machte eine passende Bemerkung, und die drei plauderten noch eine Weile, bis Trevor Shayna fragte: »Schenkst du mir den nächsten Tanz, da ich den ersten schon verpasst habe?«

»Natürlich.«

»Vergesst nicht«, erinnerte sie Carrington, als die beiden davongingen, »den nächsten habt Ihr mir versprochen.«

»Es ist so schön, dich zu sehen, Trevor. Du musst mir alles über dein Studium erzählen«, sagte Shayna.

»Ja. Also, wir mussten einen Mann trepanieren. Zuerst schoren wir seinen Kopf, dann schnitten wir«, begann Trevor mit ernstem Gesicht.

»Trevor, wie kannst du über so etwas sprechen!« Doch dann entdeckte sie den Schalk in seinen Augen. »Genieße den Tanz.«

»Ich kann nicht tanzen. Das weißt du.«

»Na ja, aber ich kann es, und du könntest es lernen, wenn du nur mehr Zeit dafür investieren würdest.«

Dem konnte Trevor nicht widersprechen. Sein einziges Argument war, dass er nicht viel Zeit hatte. Er war fest entschlossen, der beste Arzt des britischen Empires zu werden. Und dazu musste er lernen, denn die Kurse waren anstrengend und die Lehrer sehr streng.

Die beiden tanzten den Tanz zu Ende, dann übergab Trevor sie an den jungen Carrington.

Der Rest des Abends verlief für Trevor recht langweilig. Er stand allein herum, bis Bethany zu ihm kam und ihn ermahnte, er sollte doch auch ein wenig mit den anderen Frauen tanzen. »Sieh nur, da drüben steht Ann Hargrave. Sie braucht einen Partner.«

»Sie riecht immer nach Knoblauch.«

»Es ist mir egal, wie sie riecht. Geh und tanze mit ihr.«

»Ja, Mama.«

Trevor tanzte mit Ann, danach mit mehreren anderen, und er schaffte es sogar, noch zwei Tänze mit Shayna zu ergattern. Er merkte, wie gern sie tanzte. Sie ist für diese Dinge geschaffen und ich mache eine armselige Figur. Ich muss wirklich lernen, besser zu tanzen und auch über Themen zu sprechen, die mich überhaupt nicht interessieren. Trevor hatte sich diese Dinge schön häufiger vorgenommen, doch er hatte es nie geschafft, sie auch wirklich umzusetzen.

Der Ball war schon eineinhalb Stunden in vollem Gange, als David auf Shayna zukam. »Hast du noch einen Tanz für einen alten Mann übrig?«

»Natürlich, Onkel David!« Shayna führte ihn auf die Tanzfläche. »Ich wünschte nur, du könntest Trevor beibringen, so gut zu tanzen wie du.«

»Er hat sich nie besonders dafür interessiert, aber ich werde einmal ein ernstes Wort mit ihm reden.« Während sie miteinander tanzten, verengten sich Shaynas Augen. »Wer ist denn der junge Mann, der gerade hereinkommt?«

David sah zur Tür. »Ich bin wirklich erstaunt! Kennst du nicht einmal deine eigenen Verwandten? Das ist dein Cousin Cathan Morgan.« Der ein Meter neunzig große Neuankömmling in der Uniform der Armee trug eine rote Jacke mit hochgeschlossenem Kragen, purpurroten Rockaufschlägen und Manschetten, eine rote Schärpe und eine weiße Hose. Schwarze Lederstiefel und Epauletten aus silberner Spitze mit Troddeln vervollständigten seine auffallende Erscheinung.

»Tatsächlich? Ich hätte ihn nie erkannt«, erwiderte Shayna.

»Wann hast du ihn das letzte Mal gesehen?«

»Das muss schon zehn Jahre her sein. Wir waren noch Kinder. Damals war er bei euch zu Besuch.«

Cathan Morgan war der Sohn von Ivor Morgan, Bethanys Bruder. Da Ivor bereits seit vierunddreißig Jahren in der Armee diente, waren er und seine Familie viel herumgekommen. Sie waren sogar für längere Zeit im Ausland gewesen.

»Komm, ich werde dich vorstellen. Er würde dich auch bestimmt nie erkennen. Du warst ein kleines Mädchen mit Kratzern auf den Knien, als er dich das letzte Mal gesehen hat.«

Als die beiden auf den schwarzhaarigen, sportlich aussehenden jungen Mann zugingen, rief er: »Guten Abend, Onkel David.«

«Guten Abend, Cathan. Wie schön, dich zu sehen. Ich denke, du kennst diese junge Dame.«

»Ich glaube nicht!«

»Ihr beide habt ein kurzes Gedächtnis«, bemerkte David trocken.

»Ich bin Shayna, Cathan.« Als sie sein Erstaunen bemerkte, streckte Shayna ihm schnell die Hand hin. »Keine Angst. Ich habe Euch auch nicht erkannt.«

Cathan Morgan war braun gebrannt und gut gebaut, er hatte ein scharf geschnittenes Gesicht und ein vorstehendes Kinn. Doch besonders beeindruckt war Shayna von seinen durchdringenden, dunkelbraunen Augen.

Geschickt überspielte Cathan sein Erstaunen. »Ich glaube, dann muss ich unbedingt diesen Tanz mit Euch tanzen, damit wir unsere Bekanntschaft erneuern können.«

Shayna nickte und nahm seinen Arm. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen und sie dachte: Er ist der bestaussehende Mann, den ich je gesehen habe! Laut meinte sie an ihn gewandt: »Ihr habt mich wirklich nicht erkannt, nicht, Cathan?«

»Natürlich nicht. Ihr wart noch ein kleines Mädchen, als ich Euch das letzte Mal gesehen habe. Mein Kompliment für die Veränderung.«

»Danke. Ihr habt Euch auch verändert. Ihr seid in der Armee?«

»Bis vor Kurzem. Ich erzähle Euch ein anderes Mal mehr davon. Im Augenblick möchte ich mehr über Euch erfahren.«

Obwohl es Shayna Wakefield nicht bewusst war, erfüllte Cathan Morgan alle ihre Vorstellungen von Romantik. Er war Soldat, hatte die Welt bereist und ein wagemutiges, beinahe rücksichtsloses Wesen. Als sie ihn mit den jungen Männern aus der Nachbarschaft verglich, die kaum mehr als hundert Meilen weit gereist waren und ihren Alltag recht phlegmatisch hinnahmen, schnitt er gut ab. Er drückte ihren Arm fester als alle anderen, und in ihr erwachte der Wunsch, sich der Herausforderung zu stellen, die sie in seinem Blick bemerkte. Sie gab sich selbst dem Vergnügen des Tanzes mit ihm hin, und ohne dass sie es beabsichtigt hatte, gewährte sie ihm auch den nächsten Tanz. Diesen Tanz hatte sie eigentlich Peter Gilcrest versprochen, aber Cathan hatte ihn einfach stehen lassen und sie mit sich fortgezogen. »Ihr wolltet doch nicht wirklich mit diesem Burschen tanzen, oder? Er sah so langweilig aus.«

»Ihr seid schrecklich!«

»Das hat man mir oft gesagt, aber Ihr seid nicht schrecklich. Ich bin sehr erfreut, dass meine Gefährtin aus Kindertagen zu einer so hübschen jungen Frau erblüht ist.«

Honor und Bethany Wakefield standen an der Wand und beobachteten das Paar. »Dieser junge Mann hat sich sehr verändert«, meinte Honor. »Ich hätte ihn nie erkannt. Was macht er? Er ist in der Armee, nicht?«

»Ja, das war er zumindest. Ich mache mir ein wenig Sorgen um ihn und Ivor auch.«

»Was ist los?«

Bethany wollte Honor nicht gegen ihren Neffen einnehmen, aber sie musste ehrlich sein. »Oh, er ist ganz anders als Ivor! Mein Bruder war immer ein sehr beständiger Mensch – das ist er übrigens noch immer. Und Cathan ist gar nicht wie sein Bruder oder seine beiden Schwestern, die sich alle gut machen. Irgendwie hat er seinen Weg noch nicht gefunden. Ich schätze, sein Name, der auf Walisisch ›Schlacht‹ bedeutet, passt sehr gut zu ihm. Er kämpft die meiste Zeit seines Lebens gegen irgendetwas an. Seine Mutter hat mir erzählt, dass er häufig zerrauft und angeschlagen aus der Schule nach Hause kam, weil er sich immer mit den Größten angelegt hat. Wie oft sie ihn auch verprügelt haben, er blieb ihnen auf den Fersen, bis er sie erwischte.«

»Das hört sich so an, als sei er für die Armee wie geschaffen.«

»Das denke ich auch, aber wir machen uns trotzdem Sorgen um ihn. Ich habe gerade einen Brief von seiner Mutter erhalten. Sie ist beunruhigt, weil er die Armee verlassen hat und sie nicht weiß, was er vorhat.«

»Wie alt ist er?«

»Sechsundzwanzig.«

»Zeit für einen Mann, sich einen Beruf zu wählen. Trevor zum Beispiel hat seine Ausbildung schon fast abgeschlossen.« Honor schüttelte den Kopf. »Sehr schwierig für einen jungen Mann in dieser Zeit.«

Bethany warf Trevor einen Blick zu. »Honor, sieh dir nur Trevor an. Er wirkt ziemlich trübsinnig.«

»Er mag Bälle genauso wenig wie ich.«

Aber Bethany ließ sich das nicht ausreden. Sie ging zu ihrem Sohn hinüber. »Was ist los mit dir, Trevor?«

»Nichts. Was sollte denn los sein?«

»Du siehst aus, als hättest du in einen wurmstichigen Apfel gebissen! Ich denke, ich kenne dich sehr gut. Du bist eifersüchtig auf deinen Cousin Cathan.«

Unwillkürlich sah Trevor zu Cathan und Shayna hinüber, die miteinander tanzten. »Na ja«, meinte er beiläufig, »er ist ein sehr romantischer Bursche. Sieh ihn dir nur an. Ein großartiger Tänzer und ich kann überhaupt nicht tanzen. Ich bin nichts als ein unbeholfener Trottel.«

»Geh hinüber und wirf ihn aus dem Fenster!«, schlug Bethany wie aus heiterem Himmel vor.

Schockiert von dieser Vorstellung starrte Trevor seine Mutter an. »Was hast du gesagt?«

»Ich sagte, geh und wirf ihn aus dem Fenster! Das würde Shaynas Aufmerksamkeit erregen«, meinte sie trocken. »Offensichtlich ist sie von seiner Uniform fasziniert, weil sie zu viele Geschichten über wagemutige junge Männer gelesen hat. Das Problem ist, manchmal zahlt sich Wagemut nicht besonders aus. Also geh und wirf ihn aus dem Fenster.«

»Mutter, das ist lächerlich! Das kann ich nicht! Seien wir doch mal ehrlich – ich bin ein ziemlicher Langweiler.«

Bethany lag eine Erwiderung auf der Zunge, doch sie sprach sie nicht aus. Er meint das wirklich ernst! Irgendwie habe ich es nicht geschafft, ihn davon zu überzeugen, dass er durchaus nicht langweilig ist – nur zurückhaltend. Während sie Shayna mit ihrem Offizier beobachtete, dachte sie traurig: Sie ist eine Närrin, wenn sie nur diese rote Uniform sieht!

Cathan wusste, dass der Ball zu Ende ging. Er war ein ausgezeichneter Stratege und hatte gelernt, nicht nur Truppen zu führen, sondern auch junge Frauen zu manipulieren. Und Shayna Wakefield war, wie er schnell herausgefunden hatte, sehr naiv. Mühelos hatte er es geschafft, sie etwas abseits in eine dunkle Nische zu ziehen, dann in einen Raum zu führen, der nur von wenigen Kerzen erleuchtet wurde. »Ich kann Euch gar nicht sagen, was es für einen armen Soldaten bedeutet, jemanden wie Euch zu finden«, schmeichelte er.

»Sagt Ihr das zu allen jungen Mädchen?«, neckte sie.

»Oh ja«, erwiderte er. »Aber ich meine es nicht immer so ernst wie im Augenblick.« Während er sie mit eindringlichem Blick betrachtete, fiel das Kerzenlicht auf eine Narbe an seiner rechten Wange.

»Wie habt Ihr diese Narbe bekommen?«

»Ich gehörte zu einem Angriffskommando in einem kleinen Boot vor der Küste von San Luis …« Er erzählte ihr die Geschichte, denn er spürte, dass sie sich nach Abenteuern sehnte. Und die Geschichte stimmte auch tatsächlich, bis auf die Tatsache, dass er seine eigene Rolle darin ein wenig aufbauschte.

»Was für ein wundervolles Leben Ihr geführt habt«, meinte sie bewundernd.

»Nein, ich habe alles verpasst. Ihr seid aufgewachsen, und ich war nicht da, um Euch zu beobachten.«

Shayna fiel keine passende Antwort darauf ein, auch wusste sie nicht, wie sie reagieren sollte, als er sie an sich zog. Sie spürte, dass er sie küssen würde, und sie leistete keinen Widerstand. Dreimal war sie bereits geküsst worden, aber nicht so fordernd, wie dieser Kuss war. Bezaubert legte sie ihm die Arme um den Hals.

Schließlich zog sie sich von ihm zurück und setzte zu sprechen an. Doch dann bemerkte sie einen Schatten und drehte sich zur Tür um. Trevor Wakefield war in den Raum getreten und seinem Gesicht sah sie an, dass er den Kuss beobachtet hatte. »Oh Trevor …!«, flüsterte sie.

Trevor Wakefield starrte die beiden an, dann meinte er gleichmütig: »Ich bin nur gekommen, um mich zu verabschieden.« Er war fort, bevor Shayna antworten konnte.

»Er hat gesehen, dass wir uns geküsst haben«, sagte Shayna schockiert.

»Ja, hat er. Ich erinnere mich an Trevor.« Als er das Entsetzen auf Shaynas Gesicht bemerkte, meinte er: »Er war eifersüchtig. Seid Ihr mit ihm verlobt oder so etwas?«

»Oh nein!«, erwiderte Shayna schnell. Sie fühlte sich schrecklich wegen dem, was passiert war. Sie hatte Trevor nicht verletzen wollen. Aber sie hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn Cathan nahm ihre Hand, küsste sie und zog sie wieder an sich.

»Er ist bestimmt ein netter Bursche«, meinte Cathan lächelnd, »aber er hat seine Chance gehabt.« Und dann küsste er sie erneut.

Shayna überließ sich noch einen Augenblick seiner Umarmung, doch dann kam sie zu Verstand. Sie hatte das Gefühl, dass sie sich irgendwie nicht angemessen verhielten, und löste sich aus seinen Armen. »Ich muss mich von Trevor verabschieden.«

Sie verließ den Raum und Cathan Morgan blieb in der Dunkelheit stehen. »So, so«, sagte er leise vor sich hin und strich sich über das Kinn, »die Dinge haben sich tatsächlich geändert. Ein hübsches Mädchen von gerade siebzehn Jahren – mit einem reichen Vater. Wir werden uns häufig sehen, Miss Shayna Wakefield!«

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2Ein ausgedehnter Besuch

David Wakefield lehnte sich in seinem Sessel zurück und bewunderte den Raum. Dieses Zimmer mit seinem grünen Teppich, der rot-grün gestreiften Tapete, dem Fichtensims auf dem Kamin und der Kirschbaumuhr neben dem Bücherregal aus Walnussholz und dem Schreibtisch war sein und das Lieblingszimmer seines Bruders auf Wakefield gewesen. Als ich der Herr von Wakefield war, habe ich schöne Stunden hier verbracht, dachte David. Er betrachtete den Messingkerzenständer und dann die Stickerei, die das letzte Abendmahl zeigte und über dem Pembroke-Tisch hing.

Honor, der Marquis von Wakefield, saß am Schreibtisch und drehte einen großen Globus. Dann und wann hielt er ihn an. »Ich weiß nicht, was aus England in der Zukunft werden wird«, meinte er stirnrunzelnd.

»Du meinst, wegen Boney?«, fragte David. Er benutzte den Spitznamen, den die Engländer Napoleon Bonaparte gegeben hatten. David selbst war politisch nicht sehr interessiert, aber Honor als Offizier der königlichen Marine wusste genau, was in der Welt vorging.

»Ja. Dieser Mann ist ein Ungeheuer! Er wird keine Ruhe geben, ehe er nicht die ganze Welt beherrscht!«

Honor Wakefield hatte recht, denn seit der Französischen Revolution und dem Aufstieg Napoleon Bonapartes war Europa in heftige Auseinandersetzungen verwickelt. Als die Bastille 1789 dem Mob in die Hände fiel und die Revolution Frankreich erfasste, hatte sich England zuerst noch aus den kriegerischen Auseinandersetzungen heraushalten können – bis Frankreich 1793 Großbritannien den Krieg erklärte. England verbündete sich mit Österreich, Preußen, Holland und Spanien und trat in den Krieg ein.

Während Honor von bewaffneten Auseinandersetzungen, Invasionen und Tausenden Soldaten erzählte, die getötet worden waren, versuchte David, sich das Ausmaß des Krieges vorzustellen, der über die zivilisierte Welt hereingebrochen war.

»Horatio Nelson, unser bester Admiral, hat uns im vergangenen Jahr gerettet«, fuhr Honor fort. »Frankreich hatte seine Position im Mittelmeer gestärkt, darum hat die Admiralität Nelson hingeschickt, damit er sich ihrer annimmt. Es war ein hoher Einsatz, denn wenn Nelson die französische Flotte nicht gefunden hätte, hätten die Franzosen durch den englischen Kanal die Themse hochfahren können. Dann hätten wir den Krieg verloren. Aber die Admiralität hat den richtigen Mann ausgesucht. Oh, das war wirklich eine glorreiche Schlacht!«

»Du warst dabei, nicht wahr?«

»Ja, ich habe den Befehl über die Leopard gehabt.«

»Wir können Gott für Männer wie Admiral Nelson danken«, sagte David.

»Da hast du recht, denn in der Zukunft brauchen wir einen Führer wie ihn«, erwiderte Honor grimmig. »Die Flotte ist Englands einzige Hoffnung, da Napoleon an Land nur Siege davonzutragen scheint. Nun ist es Aufgabe der Flotte, das Land zu beschützen, damit Napoleon seine Männer nicht an unseren Küsten an Land setzt. Das Problem ist, dass die Flotte über die ganze Welt verteilt ist. Unsere Schiffe geben Geleitschutz, stellen Blockaden auf, transportieren Truppen. Napoleons Admiräle brauchen nur den Zeitpunkt herauszufinden, wo die britische Flotte weit auseinandergerissen ist, dann können sie ins Land kommen und an die Tür von Schloss Wakefield klopfen.« Honor wechselte nun das Thema und stellte David die Frage, die ihm schon seit Jahren auf der Seele lag. »Hat dir die Sache mit dem Titel eigentlich sehr viel ausgemacht?«

David war sehr erstaunt über die Frage. »Du meinst, dass ich nicht der Marquis bin?«

»Ja. Es muss doch schrecklich für dich gewesen sein. An einem Tag bist du noch Marquis mit großem Einfluss und Besitz und am nächsten schon wird dir aufgrund eines Gerichtsurteils alles genommen. Und mein Vater hat den Titel, das Geld, alles bekommen. Du kannst mir nicht erzählen, dass dir das gar nichts ausgemacht hat.«

»Das hat es wirklich nicht, Honor. Ich habe den Titel nie gewollt, dein Vater dagegen schon. Und ich wollte, dass er ihn bekam. Als Vater starb, habe ich sogar versucht, den Titel an ihn abzutreten, aber das ging nicht«, erklärte er langsam.

»Aber du hast dabei doch alles verloren.«

»Nicht die guten Zeiten machen uns zu Männern, Honor. Ich bin sicher, als Soldat weißt du das. Wie würde es dir gefallen, mit einer Truppe von Männern in die Schlacht zu ziehen, die noch nie irgendeinen Mangel erlitten haben? Eine Gruppe von Landratten wie mich zum Beispiel. Würde dir das gefallen?«

»Nein!« Ganz entschieden äußerte Honor seine Meinung. »Das wäre Selbstmord! Aber das ist doch etwas anderes.«

»Das ist gar nichts anderes. Ich wollte nichts weiter als Schriftsteller sein. Als Marquis hätte ich diese Tätigkeit niemals ausüben können, weil ich mich zu sehr um die Verwaltung des Besitzes hätte kümmern müssen. Und dann habe ich alles verloren, wie du gesagt hast.« David lächelte, um zu zeigen, dass er es nicht böse meinte, »und war gezwungen, von dem zu leben, was ich immer tun wollte.«

»Das muss sehr schwer gewesen sein.«

»Na ja, ich habe keine Mahlzeiten ausgelassen – ich musste nur ein paar hinausschieben«, fuhr David nachdenklich fort. »Aber Gott bereitete die passende Frau für mich vor. Als ich dann wieder frei war, mich zu verheiraten, wartete Bethany auf mich, und die Kinder liebten sie bereits.«

»Du führst eine glückliche Ehe, nicht?«, meinte Honor sehnsüchtig. »Ich beneide dich darum, dass du eine Frau wie Bethany gefunden hast.«

»Hast du nie daran gedacht, dich wieder zu verheiraten?«

Immer wieder wurde Honor gefragt, warum er nicht wieder geheiratet hatte, und noch immer konnte er keine zufriedenstellende Antwort darauf geben. Zu sagen: »Ich habe Rachel so sehr geliebt, dass eine Ehe mit einer anderen Frau nicht infrage kam«, hätte selbst in seinen Ohren platt geklungen – wie ein Satz aus den Liebesromanen, die Shayna immer las. Dem Mann, den er liebte und dem er vertraute wie nur wenigen anderen, wollte er eine solche Platitüde nicht anbieten. »Nach Rachels Tod habe ich keine Frau gefunden, mit der ich mein Leben gern geteilt hätte.«

Dann wandten sie sich anderen Themen zu. »Ich wollte noch über Trevor mit dir sprechen«, sagte Honor schließlich. »Seit dem Ball habe ich ihn nicht mehr gesehen.«

»Nein, er ist nach Schottland zurückgefahren, um seine Studien wieder aufzunehmen.«

»Ich wünschte, er könnte in London studieren. Wir bekommen ihn hier nicht oft zu Gesicht. In diesem Haus ist er doch praktisch aufgewachsen. Er ist fast wie mein eigener Sohn.«

»Wir empfinden dasselbe für Shayna. Sie ist ein liebes Mädchen.«

Als David abbrach, ergriff Honor schnell das Wort. »Ich glaube, ich weiß, was dich beunruhigt. Das macht mir auch Sorgen. Ich hatte gehofft, Trevor und Shayna würden ein Paar werden.«

Erleichterung machte sich auf Davids Gesicht breit. »Bethany und ich haben darüber gesprochen. Es wäre ein wenig wie unsere eigene Ehe. Sie war eine Morgan und hat mich, einen Wakefield, geheiratet. Sie sind natürlich Cousins zweiten Grades, aber wir lieben Shayna.«

»Ich dachte, alles liefe sehr gut.« Honor nahm eine Walnuss von einem Teller, dann warf er sie wieder auf den Schreibtisch. »Sie trifft sich häufig mit ihrem Cousin Cathan. Ich weiß, er ist mit dir verwandt, David, aber ich bin … beunruhigt.«

»Um ehrlich zu sein, ich auch. Die Morgans sind gute Menschen. Gareth Morgan ist der netteste Mann, den ich kenne.«

»Es geht ihm einigermaßen gut, nicht?«

»Er ist jetzt dreiundachtzig, glaube ich, aber er predigt noch immer. Noch immer reitet er bei Wind und Wetter zu irgendeiner Kirche zwanzig Meilen entfernt. Sein Sohn Ivor ist auch ein guter Mensch und ein hervorragender Soldat.«

»Aber wie ich gehört und gesehen habe, hat Ivors Sohn Cathan nicht besonders viel von ihm geerbt.«

»Was sagt Shayna von ihm?«, erkundigte sich David.

»Oh, sie ist schrecklich von ihm eingenommen. Und er trägt noch immer seine rote Uniform, obwohl er nicht das Recht hat, sie noch zu tragen, wie ich höre. Er hat die Armee doch verlassen, nicht?«

»Ja. Ich kenne zwar die näheren Umstände nicht, aber ich glaube nicht, dass er im besten Einvernehmen ausgeschieden ist.«

»Ich würde gern Näheres darüber erfahren. Würdest du mir den Namen seines vorgesetzten Offiziers nennen?«

Nur ungern gab David den Namen weiter. Er fühlte sich schuldig, doch er und Bethany hatten darüber gesprochen und waren übereingekommen, dass es nur fair wäre, Honor jede mögliche Information zu geben, die sie über Cathan hatten. »Vielleicht sind seine Gründe ja auch verständlich«, mahnte David.

»Ich hoffe doch.« In diesem Augenblick schlugen die Hunde an und Honor eilte zum Fenster. »Komm nur und sieh dir das an!«

David erhob sich von seinem Sessel und stellte sich neben seinen Gastgeber. Die Stallknechte brachten zwei Pferde heraus. Einer von ihnen half Shayna in den Sattel; dann schwang sich Cathan Morgan mit Leichtigkeit auf einen lebhaften Hengst. Lachend verließen sie in schnellem Galopp den Hof. David wusste nicht so recht, was er sagen sollte. »Er reitet gut«, bemerkte er.

»Oh, ich bin sicher, dass er gut reitet! Er ist in allem gut und sehr durchtrainiert. Aber es gehört mehr zu einer Ehe, als ein Pferd zu reiten.« Und mit trauriger Stimme fügte Honor hinzu: »Ich wünschte, du würdest mit Trevor sprechen.«

»Und was soll ich ihm sagen?«

»Sag ihm, er soll herkommen und ernsthaft um sie werben! Noch nie habe ich Shayna so erlebt – und ich merke, dass der junge Morgan Erfahrung mit Frauen hat.«

»Trevor kann nicht gut mit Frauen umgehen«, seufzte David. »Er verbringt seine Zeit lieber in Bibliotheken und mit seiner Medizin. Im Umgang mit Frauen ist er sehr unbeholfen.«

Ein hartes Funkeln trat in die Augen von Sir Honor Wakefield und er sprach mit zusammengebissenen Zähnen. »Na ja, Cathan Morgan ist auf jeden Fall nicht unerfahren und das macht mir Sorge.«

***

Shaynas Gesicht war vor Vergnügen gerötet, als sie sich an ihren Begleiter wandte. »Wir wollen zu diesem Hain dort drüben um die Wette reiten.«

»In Ordnung«, erwiderte Cathan lächelnd. »Ich gebe Euch fünf Längen Vorsprung.«

Auf Shaynas Kommando galoppierte die Stute los und gewann rasch einen ansehnlichen Vorsprung. Shayna war eine gute Reiterin. Zuerst hatte ihr Vater ihr das Reiten beigebracht, danach war sie von Michael Devon unterrichtet worden, der in der Kavallerie gedient hatte, bevor er als Verwalter zu ihrem Vater kam. Sie sah über die Schulter zurück und rief: »Na kommt schon! Ihr könnt es doch besser!«

Cathan hielt sein Pferd bewusst zurück. Nur selten hatte er ein so hervorragendes Tier geritten, aber er hatte nicht die Absicht, das Rennen zu gewinnen. Er gestattete dem Pferd, eineinhalb Längen aufzuholen, doch dann zügelte er es wieder, damit Shayna den Hain als Erste erreichte.

»Ihr seid eine sehr gute Reiterin! Ich habe noch keine Frau kennengelernt, die besser reiten kann.«

Shayna errötete bei diesem Kompliment. Sie wusste nicht, wie glatt ihm seine Schmeicheleien über die Lippen kamen. »Kommt weiter. Ich möchte Euch etwas zeigen.« Sie führte ihn zu einem verfallenen Haus, von dem nur noch ein paar Wände standen und die Ruine eines Schornsteins sich etwa drei Meter erhob. »Das Haus ist vor langer Zeit abgebrannt«, erklärte sie, »aber es hatte einen wunderschönen Garten und die Blumen sind noch immer da.«

Cathan sprang von seinem Pferd und band das Tier an einem Ast fest, dann half er Shayna hinunter. Er hielt sie ein wenig länger fest, als notwendig gewesen wäre, bis sie protestierte. »Ich möchte nur sicher sein, dass Euch nichts geschieht«, sagte er und blinzelte ihr zu. Er band ihre Stute fest und folgte ihr in einen Hain mit alten Obstbäumen.

Nachdem sie die Bäume hinter sich gelassen hatten, kamen sie an eine offene Fläche. Der Boden war mit Steinen gepflastert, doch mittlerweile waren die Steine von Unkraut überwuchert. Umgeben von Eibenhecken blühten hier wunderschöne rote und gelbe Blumen. In ihrer Begeisterung nahm Shayna seine Hand und führte ihn zu einer anderen Stelle. »Hier stand der Turm. Die Steine wurden fortgeholt, um etwas anderes zu bauen.«

»Bestimmt hat eine Prinzessin darin gelebt. Habt Ihr Euch das vorgestellt?«, fragte Cathan. Wieder einmal bewunderte er Shaynas Schönheit. Ihr Reitkleid, eine burgunderrote Jacke, eine weiße Bluse und ein weiter Rock, stand ihr sehr gut. Ihr Haar hatte sich durch den Ritt gelockert und fiel ihr auf den Rücken.

»Kommt und setzt Euch«, forderte sie ihn auf. »Ich werde Euch eine Geschichte über diesen Garten erzählen und dann könnt Ihr mir eine von Euren Schlachten erzählen.«

Cathan kam ihrer Aufforderung nur zu gern nach. Sie suchten sich eine alte Steinmauer, setzten sich darauf und plauderten miteinander. Cathan musste zugeben, dass Shayna, obwohl sie von der wirklichen Welt wenig Ahnung hatte, sehr erfrischend war und hervorragend mit Worten umgehen konnte. Das gefiel ihm.

»Und jetzt erzählt mir von einer Schlacht«, beharrte sie.

»In Ordnung. Also, wir waren in Toulon abgeschnitten. Die Franzosen hatten zwei ganze Divisionen und wir nur ein paar Bataillone …«

Fasziniert lauschte Shayna seiner Erzählung und ihre Augen wurden groß, als er die Schlacht beschrieb und berichtete, wie sie sich mit Schwertern und anderen Waffen jeder Art durch die französischen Linien gekämpft hatten.

»Ich war froh, diese Schlacht überlebt zu haben«, beendete er seinen Bericht. »Davon habe ich eine Narbe zurückbehalten, die von hier bis hier geht.« Er deutete auf seine Brust. »Ein französischer Leutnant hat mich aufgeschlitzt.«

»Und was ist mit ihm geschehen?«

»Wir haben ihn am folgenden Tag begraben. Hier ging es um ihn oder mich.«

Impulsiv legte Shayna ihre Hand auf die Stelle seiner Brust, die er ihr gezeigt hatte. Er trug nur ein dünnes Hemd und sie spürte seine festen Muskeln darunter. »Genau hier?«, fragte sie.

Cathan legte seine Hand über ihre und drückte sie fest an sich. Er beugte sich über sie und flüsterte: »Genau da.« Cathan war ein sehr gut aussehender Mann und hatte schon viele Frauen kennengelernt. Er hatte keine Skrupel, Liebe zu empfangen, wo er sie finden konnte. Aber Shayna war anders. Als er in diesem Land angekommen war, war er sehr niedergeschlagen gewesen, da er nun keinen Beruf mehr hatte und nicht wusste, was er als Nächstes tun sollte. Doch Shayna hatte ihm geholfen, seine Sorgen zu verdrängen und sein Leben wieder zu genießen.

Sein Gesicht lag dicht an ihrem, und er sah, wie ihre Lippen weich wurden und sie schwer zu atmen begann. Der Fliederduft ihres Haares und ihrer Kleider durchbrach seinen Schutzwall und er wurde sich plötzlich des tiefen, lieblichen Feuers dieses Mädchens bewusst. Zwar war sie noch jung und in vieler Hinsicht unreif, doch sie hatte einen wachen Verstand.

Gefangen und gleichzeitig beunruhigt durch die Gegenwart dieses jungen Mannes wehrte sich Shayna einen Augenblick. »Nein, das – das dürft Ihr nicht.« Doch er zog sie in die Arme und küsste sie. Seine Liebkosung ließ sie dahinschmelzen und ihr Körper drückte sich an ihn. Doch als er sie noch fester an sich zog, löste sie sich unter Aufbringung aller Willenskraft von ihm, da sie sich an Bethanys Mahnung, sie solle sich vor Männern in Acht nehmen, erinnerte. Er erhob sich ebenfalls, da ihm klar wurde, dass es unklug wäre, sie zu drängen.