Stärke des Herzens - Gilbert Morris - E-Book

Stärke des Herzens E-Book

Gilbert Morris

5,0

Beschreibung

England, 17. Jahrhundert. John Bunyan ist ein leidenschaftlicher Prediger, der Gottes Wort frei und mutig verkündigt. Als der Staat die Religionsfreiheit einschränkt und dieses neue Gebot machtvoll durchsetzen will, droht ihm große Gefahr. Die Wakefields werden in die wechselvollen Ereignisse verwickelt und müssen sich ihren eigenen Herausforderungen stellen. Glaube und Liebe sind die mächtigen Gefühle, für die sie alles zu geben bereit sind.

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SCM Hänssler ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

ISBN 978-3-7751-7485-5 (E-Book)ISBN 978-3-7751-5998-2 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book:Satz & Medien Wieser, Aachen

Dieser Titel erschien zuvor unter der ISBN 978-3-7751-2747-9.

1. Auflage 2020 (2. Gesamtauflage)

© der deutschen Ausgabe 2020SCM Hänssler in der SCM Verlagsgruppe GmbHMax-Eyth-Straße 41 · 71088 HolzgerlingenInternet: www.scm-haenssler.de · E-Mail: [email protected]

Originally published in English under the title: The Fields of Glory© 1996 by Gilbert MorrisPublished by Tyndale House Publishers, Inc.

Übersetzung: Laura ZimmermannUmschlaggestaltung: Jan Henkel, www.janhenkel.comWappen: Adler: © Potapov Alexander/Shutterstock.com,Schild: ©pashabo/Shutterstock.com,Titelbild: Stadt/Häuser: © Michael Trevillion/Trevillion Images,Frau: © Malivan_Iuliia/Shutterstock.com, Mann links: © Kamenetskiy Konstantin/Shutterstock.com, Mann rechts: © majorosl/iStock.comSatz: Satz & Medien Wieser, Aachen

Inhalt

Über den Autor

I | Commonwealth 1645–1659

1 | Eine beherzte Frau

2 | Amos lernt einen Kesselflicker kennen

3 | Bunyan hat Albträume

4 | »Nehmt mich mit euch, Sir!«

5 | Ein Ausflug nach Bedford

6 | Zeit der Tränen

7 | Zeit der Umarmungen

II | Restauration 1660–1665

8 | Jenny in London

9 | In Haft

10 | »Ich werde das Evangelium predigen und wenn ich dafür hängen muss!«

11 | Evan besucht zwei Vorstellungen

12 | Die Heimkehr des Seemanns

13 | Der Hauch des Todes

III | Der fröhliche Monarch 1666–1669

14 | Hope lernt einen Mann kennen

15 | Göttliche Berufung

16 | Eine Zeit der Hoffnung

17 | Das große Feuer

18 | Rückkehr nach Wakefield

19 | Ein König verlässt die Welt

IV | Die Berufung 1670–1672

20 | Amos wagt den Sprung ins Ungewisse

21 | Das Schloss des Zweifels

22 | »Kommt und helft uns!«

23 | Die letzte Versuchung

24 | Vor der Mündung der Kanonen

25 | Die Liebe dauert ewiglich

Mehr über Wakefield in Band 5 »Stürme der Liebe«

1 | Eine Verwechslung

Anmerkungen

Leseempfehlungen

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Über den Autor

GILBERT MORRIS (1929–2016) war Pastor, Englisch-Professor und Bestsellerautor.

Mit seiner Frau und seinen drei Kindern lebte er in Alabama, USA.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

ICommonwealth1645–1659

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

1Eine beherzte Frau

Plötzliche Anspannung durchschauerte Leah Grayson, als sie den Klang von Pferdehufen hörte. Sie ging zum Fenster und spähte vorsichtig hinaus. Beim Anblick zweier schwer bewaffneter Soldaten, die eben von ihren Pferden abstiegen, presste sie grimmig die Lippen zusammen und schob den Türriegel vor. Sie hatte am Vortag Kanonendonner gehört und wusste, dass überall rund um ihr Haus die Schlacht tobte. Erst vor Kurzem waren mehrere Gruppen Berittener vorbeigezogen, aber keine hatte angehalten.

Warum können sie uns nicht in Frieden lassen?, dachte Leah. Zorn stieg in ihr auf, als die Stimmen lauter wurden. Ihre Tante und ihr Onkel hatten sie davor gewarnt hierzubleiben und in Unheil verkündendem Ton davon gesprochen, dass sie dann den feindlichen Soldaten auf Gnade und Ungnade ausgeliefert wäre. Dennoch hatte sie sich geweigert, das Vieh zu verlassen. Zu oft in ihrem jungen Leben hatte sie die Bitterkeit der Armut verspürt. Das Vieh zu verlieren wäre mehr, als sie ertragen konnte.

»Wenn Prinz Ruperts Männer kommen, bist du in großer Gefahr«, hatte ihr Onkel sie bedrängt. »Keine Frau ist vor ihnen sicher!«

»Sie sollen es nur wagen, die Hand gegen mich zu erheben«, hatte sie geantwortet und ihre Augen waren schmal geworden. »Sie würden sich rasch am falschen Ende einer Heugabel wiederfinden! Gott hat uns dieses Heim und diese Tiere geschenkt und ich werde sie nicht aus Furcht im Stich lassen!«

Die Tür erzitterte und eine laute Stimme schrie mit einem Fluch: »Mach auf!«

Offensichtlich sollte sie Gelegenheit bekommen, ihre kühnen Worte zu beweisen.

Verstohlen wich Leah an die Wand zurück. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Vater Gott, betete sie, gib mir Weisheit … und Mut! Sie schlüpfte aus dem Zimmer und eilte in die Küche. Während die Vordertür unter gewaltigen Schlägen erzitterte, sah sie sich nach allen Seiten um, dann ging sie zum Tisch. Eben als ihre Hand sich um den Griff eines Fleischermessers schloss, hörte sie, wie die Vordertür aufsprang.

Hastig eilte sie in den Flur und sah dort einen großen Mann mit einem Schwert in der Hand ihr Heim betreten. Ihm folgte ein weiterer Mann. Beide trugen die Uniformen von Ruperts Kavallerie.

»Na, was ist denn das?« Der Größere der beiden war ein grober Kerl mit einem roten Gesicht, das zum größten Teil unter einem dicken rotbraunen Bart verschwand. Das Haar hing ihm in langen Locken über den Rücken – eine Mode, für die die Kavalleristen eine Vorliebe hatten – und seine Augen waren grausam. Er wandte sich dem anderen Soldaten zu und grinste. »Sieht so aus, als hätten wir eine Gefangene gemacht, Matthew.«

Der andere Mann war viel kleiner und hatte scharfe, füchsische Gesichtszüge. Er näherte sich Leah. Seine schieferblauen Augen glitzerten. »Komm schon, Fräuleinchen, rück heraus, was im Haus ist.«

»Hier gibt es kein Geld, Sir«, antwortete Leah. Ihre Stimme war ruhig, aber bestimmt. »Wir sind arme Leute.«

»Lüg mich nicht an, Mädchen!« Der Soldat namens Matthew bewegte sich wie eine zustoßende Schlange, seine Hand schoss vor und packte den Arm des Mädchens. Leah zwang sich, ruhig zu bleiben. Das Messer hielt sie in den Falten ihres Rockes verborgen.

Sie würde keinen Gebrauch davon machen, es sei denn, sie ließen ihr keine andere Möglichkeit.

Der Mann, der sie festhielt, betrachtete sie aus schmalen Augen. »Wir wissen, dass du das Silber versteckt hast. Halt uns nicht zum Narren. Sieh dich einmal um, Charles. Du kennst diese Schweine.«

»Genau!« Der große Mann legte sein Schwert ab und begann die kleine Hütte zu durchwühlen, wobei er die mageren Besitztümer grob durcheinanderwarf. Er schritt in den anderen Raum hinüber, riss dort alles in Stücke, dann kam er heraus und knurrte: »Nichts als Lumpen und alter Kram, Matthew.«

»Dann hat sie es vergraben.« Matthews Blick hing an Leahs Gesicht. »Hör mal, Mädchen, wir kriegen deinen Kram, also rück ihn freiwillig raus, verstanden? Hat keinen Sinn, wenn du dir selber Schwierigkeiten machst.«

Leahs Gesicht war bleich, aber sie antwortete ihm ruhig: »Ich habe es Euch bereits gesagt, Sir, wir besitzen nichts.«

Ein Ausdruck des Widerwillens huschte über Matthews Gesicht und er streckte die Hand aus, ergriff Leahs Kinn und hob es an, sodass sie den Kopf in den Nacken legen musste. Sie hielt seinem Blick unbewegt stand, als er sie mit Flüchen überschüttete und verlangte, dass sie das Versteck ihrer Schätze verrate.

Charles spähte in einen Topf, der über einem kleinen Feuer hing. Er krauste die Nase und sagte ärgerlich: »Schweinefraß! Nur für Schweine genießbar!« Er näherte sich seinem Gefährten, der die junge Frau festhielt, und ein listiger Ausdruck trat auf seine platten Züge. Er blinzelte seinem Spießgesellen zu. »Na, wenn sie uns schon nichts anderes gibt, dann kann sie uns doch ein bisschen Spaß machen, oder?«

»Das nenn ich eine Idee.« Matthew grinste und bewegte seine Hand von Leahs Gesicht zu ihrem Arm. Dann erstarrte er mitten in der Bewegung, sein Mund klaffte auf, als er Leah fassungslos anstarrte. Sie hatte plötzlich das Messer zum Vorschein gebracht und presste die Spitze gegen seine Kehle. »Was zum –!«, prustete er, dann schnappte sein Mund zu, als Leah das Messer ein wenig fester anpresste.

Charles machte eine Bewegung, als wollte er ihren Arm packen, aber sie warf ihm einen warnenden Blick zu. »Wenn Ihr Euren Freund nicht sterben sehen wollt«, sagte sie, und ihre Stimme war kalt, »dann weicht Ihr jetzt bis an die Wand zurück.«

Er blickte Matthew unsicher an. Der quakte: »Tu, was sie dir sagt, du Tölpel! Bevor sie mir den Hals abschneidet!«

Leah beobachtete, wie der Soldat sich langsam entfernte, bis sein Rücken die Wand berührte. Sie fing Matthews Blick auf – und ein eisiger Schauer überrann ihn, denn er fand den Stahl im Blick der Frau wieder. »Wenn Ihr mir schon sonst nichts glaubt«, sagte sie zu dem Mann, ohne seinen Blick eine Sekunde lang loszulassen, »so glaubt mir dies: Ich werde von diesem Messer Gebrauch machen, um mich zu schützen.« Sie steigerte den Druck ein wenig, um ihre Worte zu unterstreichen, und bemerkte befriedigt, wie die Augen des Mannes sich weiteten. »Auf jede Weise. Lasst mich jetzt los.«

Der Mann ließ langsam ihren Arm los.

Gott, was soll ich jetzt tun?, betete sie. Sie fühlte sich ein wenig verzweifelt. Es war eine Sache gewesen, den Angriff zu stoppen, aber wie sollte sie diese Männer zwingen, ihr Heim zu verlassen, ohne dass es zu weiteren Auseinandersetzungen kam?

Plötzlich drang eine Stimme von der Tür her.

»Braucht Ihr hier Hilfe, Miss?«

Aufgeschreckt wandte Leah den Kopf in die Richtung, aus der die Stimme kam, wobei sie darauf achtete, das Messer an seinem Platz zu lassen. Aber als sie das tat, nutzte Charles ihre Unaufmerksamkeit aus und sprang vor, um sein Schwert zu packen.

»Vorsicht!«, schrie Leah dem Neuankömmling zu, einem hochgewachsenen jungen Mann, der die Uniform von Cromwells Truppen trug. Zum Glück balancierte er ein Schwert locker in der großen Hand. Er war so groß wie die beiden anderen Soldaten und die Art, wie er sich auf den nun bewaffneten Charles zubewegte, hatte etwas Bedrohliches an sich.

»Legt die Waffe weg und wir sind quitt«, sagte der junge Soldat mit ruhiger Stimme. »Wenn nicht, bin ich gezwungen, Euch niederzuhauen.«

Augenblicklich hielt Charles sein Schwert in Bereitschaft, ein rüpelhaftes Lächeln auf den Lippen. »Wir werden sehen, wer hier wen zerhaut!« Er tat einen Schritt vor, das Schwert in der ausgestreckten Hand, und als er nahe genug war, stieß er einen Schrei aus und schwang es mit einer lange geübten Bewegung – aber es berührte seinen Gegner nicht, denn das Schwert des anderen wirbelte schneller, als das Auge folgen konnte, und traf ihn voll an der Schläfe. Charles fiel lautlos zu Boden. Das Weiße in seinen Augen wurde sichtbar, während das Blut aus dem Schnitt an der Seite seines Kopfes tropfte.

Der Soldat wandte sich Leah zu und beobachtete, wie sie Matthew in Schach hielt. Ein Lächeln breitete sich über sein Gesicht und ein bewundernder Blick trat in seine Augen. »Nun, Ihr scheint den einen ja gut unter Kontrolle zu haben«, sagte er.

Leah errötete. Sie konnte nicht anders, ein Lächeln kräuselte ihre Lippen zur Antwort. »Ich wüsste es sehr zu schätzen, wenn Ihr Euch an meiner Stelle um ihn kümmern würdet«, sagte sie. »Ich bin seiner Gesellschaft müde, aber ich fürchte, er wird mich nicht freiwillig verlassen.«

»Nun, Sir«, sagte der Mann, und sein Blick nagelte Matthew fest. »Was sagt Ihr? Wollt Ihr mir ruhig folgen, um Euch zu Cromwells anderen Gefangenen zu gesellen, oder soll ich zulassen, dass die schöne Dame Euch ein Ende macht?«

Matthews einzige Antwort war ein zorniges Gurgeln, denn der Druck von Leahs Messer hinderte ihn sehr wirkungsvoll am Sprechen.

»Fein, es freut mich, dass Ihr Euch so willig ergebt«, sagte der hochgewachsene Soldat. Sein Lächeln wurde breiter. »Wenn Ihr nun so freundlich sein wollt und die Hände ausstreckt?«

Matthew tat wie geheißen und der junge Mann zog eine Lederschnur aus der Tasche. Dann drehte er die Hände des Schurken hinter seinen Rücken und band sie sicher fest. Jetzt erst ließ Leah das Messer sinken.

»Es hat mich gefreut, Euch kennenzulernen, meine Dame«, sagte der Soldat. Er packte Matthew am Arm und stieß ihn auf den immer noch bewusstlosen Charles zu. Er band auch die Hände des reglosen Mannes, dann stieß er Matthew neben seinem Spießgesellen zu Boden.

Als seine Gefangenen sicher gefesselt waren, wandte er sich um und trat auf sie zu. »Mein Name ist John Bunyan. Ich bin in General Cromwells Armee.« Er hatte ein angenehmes Gesicht, und Sorge malte sich in seinen blauen Augen, als er fragte: »Seid Ihr in Ordnung? Sie haben Euch doch nichts angetan?«

»Nein, Sir, durch Gottes Gnade ist mir nichts geschehen.«

Bunyan sah, dass sie zwar keine außergewöhnlich attraktive junge Frau war, aber ihre Züge waren regelmäßig und sie hatte eine gute Figur. Aus milden braunen Augen sah sie ihn an und üppiges kastanienbraunes Haar stahl sich unter ihrem Häubchen hervor. Ihre Lippen hatten etwas Sanftes an sich und die ebenmäßigen Linien ihres Gesicht gaben ihrem Ausdruck etwas Graziöses. Sie war nicht groß, und als sie da stand und zu ihm aufblickte, dachte er, dass sie etwas beinahe Kindliches an sich hatte. Dennoch, die Art, in der sie den beiden Männern gegenübergetreten war, war alles andere als kindlich gewesen. Er hatte keinen Zweifel daran, dass sie eine erwachsene Frau war.

»Nun, da bin ich ja froh, dass ich gerade des Weges kam«, sagte er und nickte. »Der Rest meiner Schwadron ist nicht mehr als eine halbe Meile entfernt. Ich kam zu Eurem Haus, um etwas zu trinken zu finden –«

»Oh, wir haben einen guten Brunnen! Ich will Euch gleich frisches Wasser holen!« Leah eilte zum Brunnen und Bunyan folgte ihr. Während er das frische, kühle Wasser trank, erzählte sie ihm, wie ihre Tante und ihr Onkel geflohen waren. »Sie beschworen mich, mit ihnen zu kommen, aber ich konnte Lucy und Alice nicht alleinlassen.«

»Lucy und Alice?«, fragte Bunyan. »Sind das Eure Cousinen?«

Sie lachte plötzlich und zwei Grübchen erschienen in ihren Wangen. »Oh nein – das ist die Kuh und das neue Kalb! Ich konnte doch nicht zulassen, dass die Soldaten sie abschlachten!«

Er lächelte und genoss den Klang ihres Lachens. »Das ist sehr nett von Euch, und ich bin überzeugt, Lucy und Alice sind Euch gebührend dankbar.« Bunyan setzte sich auf den Brunnenrand und hörte der jungen Frau zu. Er war müde und das Wasser war erfrischend – außerdem hatte er schon eine ganze Weile nicht mehr mit einer jungen Frau gesprochen. Er fand sie anziehend und wäre gern länger geblieben, aber er wusste, dass er das nicht tun konnte. So schüttelte er die Müdigkeit von seinen breiten Schultern und sagte: »Ich muss diese beiden ins Lager schaffen. Danke für das Wasser.«

Leah blickte zu ihm auf. Der Ausdruck in ihren Augen war warm. »Und danke für Eure Hilfe, Sir. Ich wusste nicht mehr, was ich als Nächstes tun sollte. Ich bezweifle, dass ich diese beiden hätte länger in Schach halten können, ohne dass irgendjemand ein schlimmes Ende genommen hätte. Ich wünschte, ich könnte mich Euch erkenntlich zeigen.« Ein Gedanke kam ihr und sie fragte: »Vielleicht könntet Ihr zum Essen bleiben? Mein Onkel und meine Tante sind nicht weiter als eine Meile von hier versteckt. Ich werde sie sofort holen, jetzt, wo der Krieg vorbei ist.«

»Nun, das ist sehr freundlich von Euch«, sagte Bunyan und sie sah ehrliche Freude in seinen Augen. »Ich muss zurück zu den anderen, aber ich glaube, wir werden hier eine Weile kampieren. Wenn ich Urlaub bekommen kann, werde ich kommen und Eure Kochkunst versuchen.« Er lächelte sie an.

Leah erwiderte sein Lächeln. »Gott muss Euch gesandt haben, Mr Bunyan.«

Überrascht starrte Bunyan in ihr eifriges Gesicht. »Nun, ich weiß nicht recht. Ich bin kein Christenmensch.«

Aber Leah nickte und ihre Augen waren warm vor innerer Gewissheit. »Das hat nichts zu besagen, denn Gott gebraucht alle Menschen, wie es ihm gefällt. Und er hat Euch gewiss hierhergesandt, um mir zu helfen. Gepriesen sei sein Name!«

Bunyan fühlte sich von Leahs schlichtem Glauben angezogen. Sie hatte etwas Reizvolles an sich, und er entschloss sich, sie näher kennenzulernen. »Ich nehme Eure Einladung an, Miss. Ich werde so bald wie möglich zurückkehren.« Er lud Charles’ reglosen Körper auf ein Pferd, band ihn fest, dann bestieg er das zweite Pferd und führte den mürrischen Matthew die Straße entlang davon. Als er einen Blick zurückwarf, sah er die junge Frau dastehen und ihm nachsehen. Sie winkte ihm zu, und als er die Geste erwiderte, zog ein Lächeln über sein Gesicht.

Ja, das ist wirklich eine feine, tapfere junge Frau! Ich wüsste nur zu gerne, ob sie auch kochen kann!

***

Drei Wochen waren vergangen, seit Prinz Ruperts Streitkräfte vom Schlachtfeld bei Naseby gejagt worden waren. Für Leutnant Gavin Wakefield war die Zeit in gesegnetem Frieden verlaufen. An diesem Morgen hatte er sein Pferd bestiegen und sich auf die Suche nach seinem Freund John Bunyan gemacht. Bunyan war ein kräftiger junger Mann von siebzehn Jahren; er war mit einem rosigen Gesicht und einem Paar hellblauer Augen gesegnet und unter den Männern für sein fröhliches Wesen bekannt.

Aber die Freundschaft des Leutnants mit dem jungen Soldaten hatte tiefere Gründe: Bunyan hatte in einer früheren Schlacht Gavins Leben gerettet. So kam es, dass Wakefield in den darauffolgenden Kampagnen stets darauf achtete, ein Auge auf seinen neuen Freund zu haben.

Als er dahinritt, flatterte Gavins aschblondes Haar sanft in der Brise, und seine blaugrauen Augen durchforschten das Lager. Es dauerte nicht lange, bis er Bunyan an der improvisierten Schmiedeesse fand, wo der junge Mann damit beschäftigt war, die beschädigte Parierstange eines Schwertes zu reparieren.

Als Gavin sich aus dem Sattel schwang, sagte er fröhlich: »Nun, John, wie geht es dir mit deinem Liebeswerben?«

John, dessen Gesicht von der Hitze der Esse doppelt so rot war wie sonst, warf seinem Freund einen vorwurfsvollen Blick zu. »Nun, Herr Leutnant, so würde ich es nicht nennen.« Er senkte den Blick und versetzte dem glühenden Metall ein paar geschickte Hammerschläge, dann tauchte er es in einen Zuber mit Wasser. Während es zischte, wandte er sich wieder Gavin zu. Sein Gesicht war ernster als gewöhnlich. »Ich habe einer Frau nichts zu bieten, also kann ich auch keine umwerben, oder?«

Gavin lehnte sich an die hoch aufragende Ulme, die Bunyan Schatten spendete. Die Truppe hatte die Erlaubnis bekommen, sich auszuruhen, und er hatte den Müßiggang genossen. Cromwell war nach der Schlacht nach London gereist und die Disziplin hatte nachgelassen. Als Gavin nun Bunyans hochgewachsene Gestalt betrachtete, wurde ihm klar, dass er nicht die geringste Vorstellung davon hatte, was ein Mann aus Bunyans sozialer Schicht vom Hofmachen hielt. Wakefield, der aus einer reichen Familie stammte, kannte nur die Sitten seiner Klasse. Er hob den Blick, und während Bunyan geschickt an der metallenen Parierstange arbeitete, fragte er: »Was wirst du tun, wenn du nach Elstow zurückkehrst?«

»Zu dem zurückkehren, was ich kenne, Sir.«

Gavin beobachtete ihn stumm und wählte seine nächsten Worte sehr sorgfältig. »Wenn du möchtest, könnte ich meinen Vater fragen, ob wir dich in Wakefield gebrauchen können. Dort gibt es jede Menge Arbeit.«

Bunyan blickte auf und lächelte. »Das ist sehr freundlich von Euch, Sir. Aber mein Vater erwartet von mir, dass ich ihm helfe.«

»Und wie steht es mit einer Ehefrau? Hättest du nicht gerne deine eigene Familie?«

»Ob ich das nun möchte oder nicht, Sir, ich habe einer Frau nichts zu bieten. Ich möchte einen Menschen, der mir am Herzen liegt, nicht bitten, meine Armut zu teilen.«

Gavin nickte. Er hatte vollstes Verständnis für diese Argumente. Und dennoch … Bunyan schien mehr als nur oberflächlich interessiert an der jungen Frau. Ach was, es ist nicht meine Sache, sagte sich Gavin und wandte sich anderen Themen zu.

Im Lauf der nächsten zwei Wochen besuchte Bunyan Leah fünfmal. Er freute sich mehr und mehr auf das Zusammensein. Ihr Haus – oder besser gesagt das Haus ihres Onkels – lag nur fünf Meilen vom Lager entfernt, also kam Bunyan oft zu Besuch, wenn die Sonne eben die Hügel im Osten berührte. Für gewöhnlich begrüßte ihn Leahs Onkel, ein wackerer alter Mann namens Henry Jacobs. Jacobs hatte nicht viel übrig für Soldaten, aber er hatte Bunyan näher kennengelernt; der Humor und der Charakter des jungen Mannes hatten sein Herz gewonnen, sodass die beiden gute Freunde geworden waren. John hatte seine Geschicklichkeit auch Jacobs zugute kommen lassen. Alles hatte er repariert, was eine Reparatur brauchte. Das machte ihn bei Leah und ihrem Onkel umso beliebter.

Eines Samstags arbeitete Bunyan bis zum späten Nachmittag im Militärcamp, dann bat er um Urlaub bis zum Morgen. Sein Sergeant grinste ihn an. »Sag der jungen Frau meinen Gruß, Bunyan. Und bring mir wieder einen ihrer Kuchen mit, wie das letzte Mal.«

»Das mache ich, Sir«, antwortete er, und auf seinem Gesicht lag ebenfalls ein Grinsen. Er hatte schon längst bemerkt, dass sein Kommandant eine Schwäche für Hausmannskost hatte. So hatte er Leahs Talente geschickt genutzt und konnte sicher sein, dass seine Urlaubsgesuche wohlwollend behandelt wurden.

Er begab sich zum Häuschen der Jacobs, und nach einem köstlichen Abendessen begleitete er Leah, als sie das Vieh füttern ging. Er half ihr dabei, dann führte er sie zu einer alten Eiche und setzte sich neben ihr nieder. Sie ruhten sich in freundlichem Schweigen aus und beobachteten die Sterne.

Schließlich wandte Bunyan sich um und forschte in Leahs Gesicht. »Ich gehe nächste Woche weg«, sagte er zögernd.

»Du gehst?« Leah wandte sich augenblicklich zu ihm um. »Zieht die Armee weiter?«

»Nein, einige unserer Truppen haben den Abschied bekommen. Ich kehre nach Elstow zurück.«

»Oh.« Leah blickte einen Augenblick auf ihre Hände nieder, dann flüsterte sie: »Ich – ich werde dich vermissen, John.«

»Wirst du das wirklich?« Seine Stimme hatte einen neckenden, aber zärtlichen Unterton.

Sie blickte auf und begegnete vorwurfsvoll seinem Blick. »Du weißt, dass ich es tun werde!«

Das silberne Licht des Mondes badete ihr Gesicht. Sie wirkte sehr jung und beinahe hübsch. Sie trug ihr bestes Kleid, und als er sie anblickte, sprach John den Gedanken laut aus, der ihn seit vielen Tagen beschäftigte.

»Leah, ich habe kein Geld. Nur meinen Sold von der Armee. Aber ich bin ein guter Arbeiter. Alle sagen das.«

Leah schwieg und wartete, dass er weiterredete, aber er blickte beiseite, als wäre er plötzlich verlegen geworden. Sie streckte die Hand aus und legte sie auf die seine – es war das erste Mal, dass sie ihn so berührte. Er blickte sie überrascht an. Sie sagte mit weicher Stimme: »Du bist der freundlichste Mann, den ich je kennengelernt habe, John.«

Ihre Worte ließen Bunyans Augen aufleuchten und er schloss seine Hand um die ihre. »Leah … hast du mich je als einen Mann betrachtet, den du heiraten könntest?«

Leah nickte, dann wisperte sie: »Ja, das habe ich.«

Johns Herz schien zu singen. Er zog sie in seine Arme. Sie war klein und zerbrechlich, und ihre Lippen waren weich und süß, als er sie küsste. »Ich habe dich sehr gern«, sagte er, während er sich zurückzog. »Wir werden arm sein, aber du wirst mich niemals niederträchtig erleben. Ich werde dir ein guter und getreuer Ehemann sein.«

»Oh, John!« Leah klammerte sich glücklich an ihn. Sie wusste, bei diesem großen Mann war sie sicher. »Wir werden einander haben und wir werden Gott haben!« Sie zog sich zurück und Tränen standen ihr in den Augen, als sie sagte: »Gott hat dich zu mir gesandt. Das weiß ich!«

John zog sie eng an sich, und als sie sich an seine Seite kuschelte, war er voll Staunen, dass diese Frau – dieser wunderbare Schatz – ihm gehören sollte. Er lehnte die Wange an ihr weiches Haar und flüsterte: »Ja, Liebste, ich weiß es auch. Komm, wir wollen es deinen Leuten sagen.«

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

2Amos lernt einen Kesselflicker kennen

1650

Amos Wakefield hasste es, zehn Jahre alt zu sein! Er durfte kaum etwas machen, das er gern machen wollte, und war gezwungen, eine Menge Dinge zu tun, die er nicht tun wollte. Dazu gehörte das Studium der lateinischen Sprache und das frühe Zubettgehen, während zu den erstgenannten die Jagd mit seinem Falken gehörten, den er Hook – Haken – genannt hatte nach den nadelscharfen Klauen, mit denen der besondere Vogel seine Beute zu töten pflegte.

An einem hellen Februarmorgen hatte er es satt, bedeutungslose lateinische Verben zu konjugieren – amo, amas, amat –, also verließ er sein Zimmer und schlich die Treppen hinunter. Eine der Mägde hätte ihn beinahe ertappt, aber er schaffte es gerade noch, sich hinter die Rüstung zu ducken, die einem fernen Ahnen gehört hatte. Als die Magd verschwunden war, verließ Amos in aller Eile das Haus und machte sich zu den Stallungen auf, wo die Vögel gehalten wurden.

Die Stallungen waren für Amos das bedeutendste Gebäude auf dem Gelände – und das Wichtigste daran waren die Pferdeställe, in denen sein eigenes Pferd, Destrin, seine Box hatte. Die Stallungen lagen nach Süden und hatten sehr kleine Fenster, die mit Horn bedeckt waren, um die Falken vor Zugluft zu schützen. Amos war mit jedem Zoll des Ortes vertraut, von der winzigen Feuerstelle an einem Ende bis zu dem kleinen Raum, in dem sich die Stallknechte trafen, um an nassen Abenden nach einer Fuchsjagd das Zaumzeug zu reinigen.

Der Junge bewegte sich rasch. Er warf keinen Blick auf die Gerätschaften, zu denen ein Kessel, eine Bank mit kleinen Messern aller Art und Wandbretter mit Töpfen darauf gehörten. Als er zu der Bank kam, auf der die Hauben der Falken aufbewahrt wurden, betrachtete er sie sorgfältig. Es war eine bemerkenswerte Sammlung: alte, von Rissen durchzogene Hauben, die angefertigt worden waren, bevor Amos geboren wurde; winzige Hauben für Bussarde und kleine Hauben für Falken. Alle waren in den Farben der Wakefields gefertigt: weißes Leder mit grünem Fries an den Seiten, umrandet von blaugrauen Reiherfedern.

Amos hob eine Haube auf, dann wandte er sich den Vögeln zu. Er ignorierte die beiden Bussarde und den alten Habicht. Er schlüpfte in den Handschuh, dann streckte er die Hand aus. Hook hob augenblicklich die Schwingen und setzte sich auf das Leder. Sein Griff war so wild, dass Amos spürte, wie die mächtigen Klauen sich in seinen Arm krallten. Ein Schauder durchrieselte ihn. Ich frage mich, wie es wohl ist, ein Vogel oder eine Maus zu sein und zu fühlen, wie einen diese Krallen durchbohren.

Einen Augenblick empfand er Mitleid für die Opfer des Falken, aber seine Vorfreude auf die Jagd überschattete diese Gedanken. Er vergewisserte sich, dass der Falke sicher auf seinem Arm saß, dann verließ er die Stallungen. Dreißig Minuten später befand sich Amos auf einem offenen Feld westlich des Schlosses. Er suchte den Himmel nach Beute ab und sah bald eine Wildgans, die nach Süden flog. Rasch löste er die Fessel des Falken. Hook erhob sich augenblicklich und Amos kratzte seine Füße und fuhr sanft mit den Fingern durch sein Brustgefieder.

»Komm schon, lass uns sehen, was ein königlicher Vogel zustande bringt«, wisperte er voll Zuneigung. Dann rief er laut: »So-ho!«, und warf den Arm hoch, um dem Raubvogel einen besseren Start zu geben. Hooks mächtige Schwingen schlugen die Luft, trugen ihn in die Höhe, bis er ein kleiner Punkt am Himmel war. Er überholte die Wildgans bei seinem Aufstieg, dann begann er Kreise zu ziehen. Wie immer, wenn der Falke sich bereit machte, seine Beute zu schlagen, schlug Amos’ Herz einen Trommelwirbel! Er beobachtete, wie der Vogel zum Sturzflug ansetzte und die Gans schlug, dass die Federn nach allen Richtungen flogen. Die Wucht des Schlages tötete den größeren Vogel augenblicklich, und Hook zog Kreise und stieß einen schrillen Schrei aus, als der Kadaver seiner Beute zu Boden fiel.

Amos rannte durch die Disteln und merkte es kaum, als er sich einen bösen Kratzer auf der Wange zuzog. Als er beim Kadaver der Gans anlangte, hatte Hook eben einen Schnabel voll Federn ausgerupft.

»Gut!«, rief Amos laut. Er griff eilig zu, setzte Hook trotz dessen Widerstrebens die Haube auf und nahm den Vogel auf den Arm. »Ich würde dir diese Gans ja gerne zum Frühstück geben«, erklärte er, während er auf das Feld zurückkehrte, »aber wenn du dich vollstopfst, hast du keinen Grund mehr, etwas anderes anzugreifen, oder?«

Der eifrige Junge wanderte noch eine Stunde lang durch die Wälder und sah voll Vergnügen zu, wie Hook eine Taube und einen Waldhahn schlug. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als Amos sich schließlich voll Bedauern nach Hause wandte.

»Zurück zu dem dummen alten Latein, Hook!«, klagte er. Er streichelte die seidigen Federn des Falken und fügte hinzu: »Ich wünschte, ich wäre ein Falke. Du brauchst niemals etwas anderes zu lernen als das Töten, nicht wahr?«

Er eilte den Pfad zum Schloss entlang und war erleichtert, als er feststellte, dass niemand in den Stallungen seine Ankunft bemerkt hatte. Rasch eilte er nach drinnen und ging geradewegs auf Hooks Sitzstange zu. Er nahm dem Vogel die Kappe ab, und als der Falke sich auf seine Sitzstange setzte, band er die Leine fest.

»Es sieht nicht so aus, als würdest du Latein lernen.«

Erschrocken fuhr Amos herum und sah seinen Vater, der im Schatten stand. »Oh – Vater!« Er schluckte schwer. »Ich – ich habe dich nicht gesehen.«

»Nein, du warst zu beschäftigt mit Hook.«

Amos hatte nicht wirklich Angst vor seinem Vater, aber es gab Zeiten – wie jetzt, wenn er ungehorsam gewesen war –, dass ihn etwas sehr Ähnliches wie Furcht überkam. Seine Gedanken überschlugen sich, als er versuchte, sich eine Entschuldigung auszudenken, die ihm aus der Klemme heraushelfen würde, aber ihm fiel nichts ein. Er legte die Hände auf dem Rücken zusammen, drehte sie hin und her und wartete darauf, dass sein Vater sprach.

»Ich bin enttäuscht von dir, Sohn.«

Amos blickte rasch auf und sah, dass das keilförmige Gesicht seines Vaters traurig war. Christopher Wakefield war jetzt sechzig Jahre alt und die Zeit hatte ihre Spuren an ihm hinterlassen. Sein kastanienbraunes Haar war mit grauen Strähnen untermischt, und um seine Augen und seinen breiten Mund zeichneten sich Linien ab, die von einem harten Leben sprachen. Nur Chris’ Augen waren dieselben wie in seiner Jugend: dunkelblau und leuchtend. Sie erschienen wie das perfekte Ebenbild der Augen des Jungen, der wie angenagelt unter dem Blick seines Vaters stand.

Als er in die Augen seines Vaters sah, wusste Amos, dass er nicht lügen konnte. »Ich war dir ungehorsam, Vater«, sagte er mit hoch erhobenem Kopf.

»Ja, das warst du.«

»Du kannst mich mit dem Rohrstock züchtigen, wenn du willst.«

Chris’ Lippen waren streng zusammengepresst, aber bei Amos’ unerwartetem Angebot verzogen sie sich zu einem Lächeln in den Mundwinkeln. Wakefield liebte seinen jüngeren Sohn von Herzen und sah oft seine eigene Jugend in dem Jungen wieder. Er betrachtete die stämmige Gestalt, das dunkelrote Haar mit den leichten Locken darin – genau so, wie sein Haar in diesem Alter ausgesehen hatte – und das kampflustige Kinn. Er wusste, dass sein Sohn mehr von ihm geerbt hatte als nur die äußere Ähnlichkeit, denn Christopher war ebenfalls ein rebellischer junger Mann gewesen.

Er studierte Amos’ ernstes Gesicht einen Augenblick lang, dann fragte er: »Würde eine Tracht Prügel dich davon abhalten, mir ungehorsam zu sein?«

»Nein, Sir, ich glaube nicht.«

Christopher lachte laut bei diesem Eingeständnis. »Nun, dann werde ich es auch nicht tun.«

Erleichterung huschte über das Gesicht des Jungen, aber Chris freute sich, als er sah, dass sich in den jungen Augen seines Sohnes ein Ausdruck des Bedauerns abmalte, als er zu ihm aufblickte. »Es tut mir leid, Vater. Ich verspreche, ich werde zur Strafe zweimal so viel Latein lernen wie bisher.«

»Das wollte ich dir eben vorschlagen.« Christopher trat vor und berührte den wilden Kopf des Raubvogels. »Ist er gut geflogen, Sohn?«

»Oh ja, Sir!«

Christopher hörte zu, als der Junge mit vor Aufregung und Vergnügen glühenden Wangen die Jagd schilderte. Sosehr er sich über den lebhaften Bericht seines Sohnes freute, so fühlte er sich doch von einer Welle der Erschöpfung überkommen und setzte sich auf einem dreibeinigen Hocker nieder. Obwohl er es niemand gegenüber erwähnt hatte – nicht einmal Angharad oder dem Arzt gegenüber –, wusste Christopher, dass nicht alles in Ordnung war. Sein Herz hatte sich in den letzten sechs Monaten seltsam benommen. Hin und wieder durchfuhr ihn ein Schmerz in der Brust – als würde ein Schwert bis zum Griff hineingestoßen. Und noch öfter hatte er, wie auch in diesem Augenblick, ein seltsam hohles Gefühl in der Brust, als wäre er plötzlich sehr zerbrechlich geworden. Er setzte sich dann immer still hin, bis das Gefühl vorüberging. Eine kranke, graue Leere folgte darauf, die ihn auch jetzt überkam, als er dasaß und Amos lauschte.

Christopher achtete sehr darauf, sich den Schmerz und das Unbehagen nicht anmerken zu lassen; er wollte nicht, dass seine Familie sich Sorgen machte. Schließlich beendete Amos seine Geschichte und Christopher lächelte ihn voll Zuneigung an. »Ich muss bald wieder einmal mit dir jagen gehen. Das haben wir schon lange nicht mehr getan.«

»Morgen?«

»Wenn ich kann und wenn du dein Latein lernst.«

»Vater, erzähl mir vom König«, sagte Amos abrupt.

Ein Schatten zog über Chris’ Gesicht und einen langen Augenblick saß er schweigend da. Er hatte Verständnis für das Interesse des Jungen, denn nie zuvor war in England etwas Ähnliches geschehen wie die Hinrichtung König Karls I. Könige waren auf dem Schlachtfeld gefallen, waren sogar von Meuchelmördern getötet worden, aber niemals war einer als Verbrecher hingerichtet worden!

»Ich habe mir den Tag auf dem Kalender angestrichen«, sagte Christopher langsam und blickte seinem Sohn geradewegs in die Augen. »Am 30. Januar 1649 hat England seinen König hingerichtet.«

Amos starrte ins Gesicht seines Vaters und bemerkte, wie traurig er aussah. »Aber er war ein – ein Blutmensch. Das sagen alle.«

»Karl war kein perfekter Mensch, Sohn, aber wer von uns ist das schon? Aber er war auch kein Verbrecher. Und nun … wer ist nun der Blutmensch?«

Die Frage sollte England noch jahrelang quälen. Cromwell und das Parlament waren zu dem Glauben gekommen, dass nur der Tod des Königs das schwer geprüfte Land retten konnte; andere, Männer wie Christopher Wakefield, waren jedoch überzeugt, dass Karls Tod niemals Frieden über England bringen würde.

»Ist er tapfer gestorben, Sir?«

Zuerst verblüffte die Frage Christopher; dann fiel ihm ein, dass er selbst seine beiden Söhne gelehrt hatte, wie wichtig es war, dem Tod mutig ins Auge zu schauen. Er zögerte mit der Antwort – aber es war wichtig für Amos, die Wahrheit in dieser Sache zu kennen.

»Ja, er ist tapfer gestorben«, sagte er. »Er stieg ohne ein Anzeichen von Furcht auf das Schafott. Man erzählte mir, er habe zwei warme Hemden übereinander getragen und gesagt, er wolle nicht vor Kälte zittern, damit die Leute nicht glaubten, er habe Angst.«

»Das war kühn, Sir!«

»Ja, das war es tatsächlich. Der Kammerdiener des Königs erzählte, dass er – als er am Tag seines Todes geweckt wurde – sagte: ›Dies ist mein zweiter Hochzeitstag. Ich möchte heute so adrett wie möglich aussehen, denn ich hoffe, noch vor dem Abend mit meinem gesegneten Jesus vermählt zu werden.‹« Christopher schüttelte den Kopf und fügte hinzu: »Ich muss annehmen, dass er Gott kannte, Amos. Er tat zwar viele törichte Dinge, aber tief im Herzen muss er gespürt haben, dass Gott ihn zum König von England auserwählt hatte.«

Einer der Falken stieß einen rauen Schrei aus und Vater und Sohn wandten sich zu ihm um. Amos sagte plötzlich: »Als Hook heute Morgen die Gans tötete, fragte ich mich, wie es wohl sei zu sterben.«

»Das fragen wir uns alle zuweilen«, antwortete Christopher. »Meiner Ansicht nach ist das Sterben sehr schwierig. Ich habe keine Furcht davor, meinem Erlöser gegenüberzutreten, aber Sterben ist etwas, das man nicht üben kann. Und doch müssen wir es alle tun. ›Es ist dem Menschen bestimmt, einmal zu sterben, danach aber das Gericht.‹ Selbst wenn wir diese Wahrheit kennen, schaudert das Fleisch vor dem Akt des Sterbens zurück.« Er blickte den Jungen an. »Die Männer und Frauen von Wakefield sind alle gut gestorben, Sohn. Wenn du an der Reihe bist, wirst du dem Tod mutig ins Auge sehen, davon bin ich überzeugt.«

Amos starrte seinen Vater an. »Ja, Sir, ich werde es versuchen.«

Christopher spürte, wie ihn eine Welle von Stolz auf seinen Sohn durchströmte, und er lächelte, als er weitersprach. »Am Tag der Hinrichtung war das Wetter kalt. Aber der König schien es nicht zu bemerken. Mit seinem silbernen Bart und Haupthaar, seiner aufrechten Haltung und den ruhigen Zügen war er durch und durch ein König. Und als er sprach, war sein Stottern verschwunden! Das war ein Wunder, denn er hatte immer gestottert.«

»Was sagte er?«

»Er sagte, er wünsche sich die Freiheit für das Volk – aber er sagte auch, das bedeute, dass die Menschen eine Regierung haben müssten. Da hatte er recht, Sohn! Wir werden schlimme Zeiten erleben, bis wir diese Lektion gelernt haben.«

»Was sagte er sonst noch, Vater?«

»Nun, er sagte, er vergebe denen, die ihn zu Tode gebracht hatten, und dass er eine vergängliche Krone ablege, um eine unvergängliche dafür einzutauschen.«

Die Szene blitzte vor Christophers Augen auf, und er schloss sie, während er sagte: »Er nahm ein kleines weißes Käppchen von seinem Kaplan entgegen und schob sein Haar darunter. Dann hob er Augen und Hände zum Himmel und betete.«

»Haben die Leute mit ihm gebetet?«

»Viele haben es getan. Ich auch. Schließlich ließ er seinen Mantel zu Boden gleiten, kniete nieder und legte den Kopf auf den Block. Der Henker vergewisserte sich, dass sein Haar nicht im Weg war, und der König sagte: ›Warte auf mein Zeichen.‹ Dann fiel tiefe Stille über die Menge. Der König streckte seine Hand aus – und es war vollbracht!«

Ein schmerzlicher Ausdruck erschien auf Christophers Gesicht und er flüsterte: »Der Marschall hob den Kopf auf und hielt ihn in die Höhe. Er sagte: ›Dies ist der Kopf eines Verräters!‹ Aber als der Henker zuschlug, stieg ein Stöhnen aus der Menge auf. Es war schrecklich!«

Amos war immer ein Gegner des Königs gewesen, denn er hegte große Bewunderung für Oliver Cromwell. Aber als er den Kummer auf dem Gesicht seines Vaters sah, sagte er: »Der König tut mir leid.«

Christopher erhob sich und legte die Hand auf die Schulter des Jungen. »Ich hoffe, du wirst immer Mitleid mit denen empfinden, die einen Verlust erleiden, Amos. Das ist das Kennzeichen eines wirklichen Mannes. Jeder Mann mit einem starken Arm kann einen anderen, schwächeren in Stücke hauen, aber Mitleid mit den Leidenden ist das Kennzeichen, das Gott sucht!«

»Ja, Sir!«, flüsterte Amos. Er verstand nicht wirklich, wovon die Rede war, aber er freute sich, dass sein Vater mit ihm zufrieden war.

Christopher lächelte. Er war froh, dass es ihm gelungen war, mit seinem jungen Sohn auf diese Weise zu sprechen. »Nun mach dich an dein Latein, du Schurke. Raus mit dir!« Als der Junge aus den Stallungen rannte, fühlte Christopher einen Stich in der Brust und ein Keuchen entrang sich seinen Lippen. Er stand da und erduldete den Schmerz. Schweißperlen standen auf seiner Stirn und der Gedanke stieg in ihm auf: Was immer ich Amos zu sagen habe, ich werde mich damit beeilen müssen.

***

»Nun, heute gibt es einen Geburtstag zu feiern, nicht wahr?« Will Morgan lächelte Amos an, der in den Stall getreten war. »Wie alt bist du? Ich habe es vergessen.«

»Elf.« Amos nickte, grinste seinen Onkel jedoch an. »Du hast es nicht vergessen, Onkel Will. Du vergisst nie etwas.«

Will Morgan, der ältere Bruder von Angharad Morgan, war fünfzig Jahre alt, aber sein Haar war immer noch kohlschwarz, und sein Waliser Akzent hatte sich seit dem Tag, an dem er nach Wakefield gekommen war, um nichts verändert. Er war ein Diener Sir Robin Wakefields gewesen, ein Freund und Lehrer für Robins Enkel, Gavin, und nun gab er seine Erfahrungen an die jüngste Generation weiter. Er griff in seine Tasche, zog ein Päckchen heraus und reichte es dem Jungen. »Alles Gute zum Geburtstag, Amos.«

Amos riss das Papier auf und starrte das elegante Jagdmesser an, das in seiner Hand lag. »Das ist genau das Messer, das ich mir gewünscht habe!«, rief er mit großen Augen aus.

»Nun, es hat wohl keinen Sinn, einem Burschen ein Messer zu schenken, das er sich nicht gewünscht hat, nicht wahr?« Will nahm die glühenden Dankesbezeugungen des Jungen entgegen, dann sagte er: »Nun sattle dein Pony. Mr Gavin nimmt dich mit nach Elstow, habe ich gehört.«

»Ja, und danach reisen wir nach London!«

»Nun, ich werde ihm sagen, er soll ein Auge auf dich haben.« Will grinste. »Ich will nicht, dass du wieder vom Pferd fällst, wie du es letzte Woche getan hast.«

»Es war nicht meine Schuld!«, protestierte Amos, aber Will lachte und verließ den Stall. Er eilte über das Gut und betrat das Haus. Dort fand er seine Schwester vor, die seine Nichte ankleidete. Er sah ihr voll Zuneigung zu, dann sagte er: »Amos wird demnächst platzen, denke ich. Ich habe niemals einen so aufgeregten Jungen gesehen.«

Angharad Wakefield hatte spät geheiratet, aber mit neununddreißig Jahren war sie von üppiger walisischer Schönheit, für die so manche Hofdame ein Vermögen gegeben hätte. Ihr prächtiges schwarzes Haar hing ihr in Locken über den Rücken hinab, sie hatte sogar nach Hopes Geburt ihre gute Figur wiedererlangt.

Christophers zwei Söhne, Gavin und Amos, waren begeistert von ihrer neuen Schwester, von ihrer neuen Mutter ebenfalls. Obwohl sie ihre leibliche Mutter zuweilen vermissten, waren beide voll Zuneigung zu Angharad. Kaum ein Jahr nach der zweiten Heirat ihres Vaters nannten Gavin und Amos Angharad bereitwillig »Mutter«, denn die Liebe in dieser neuen Familie war tief und stark.

Nun glitzerten Angharads Augen fröhlich, als sie ihren Bruder anlächelte und sagte: »Gavin sagte, der Junge hätte ihn einfach zermürbt. Er ließ kein Nein als Antwort gelten.«

»Es wird ihnen guttun, zusammen zu sein.« Will nickte. »Der Junge muss mehr Zeit mit Männern verbringen.« Er hielt inne, dann fragte er: »Wie geht es Christopher?«

Ein Schatten zog über Angharads Gesicht. »Nicht allzu gut. Er schläft schlecht und manchmal hat er Schmerzen – obwohl er es mir gegenüber nicht zugibt.«

Will beobachtete die Gefühle, die sich auf dem Gesicht seiner Schwester spiegelten, und sein Herz schlug für sie. Sie waren viel zusammen gewesen und verstanden einander gut, also war sie kaum überrascht, als er murmelte: »Du machst dir Sorgen um ihn.«

»Ja.« Die schlichte Antwort war typisch. Angharad war keine sehr gesprächige Frau. Ihre walisische Natur spiegelte sich in ihrem ruhigen Wesen, ihrer beinahe mystischen Veranlagung, die auf die innere Welt des Geistes eingestimmt zu sein schien. Als sie nun ihre kleine Tochter an die Brust drückte, füllten sich ihre Augen mit einer Gemütsbewegung, die sie nicht zu verbergen vermochte.

Will wusste, dass sie kämpfte – und dass sie es vorzog, nicht darüber zu sprechen. Und so saß er da und sprach eine Weile mit ihr über andere Dinge. Schließlich erhob er sich. Seine dunklen Augen waren ernst, als er seine Schwester betrachtete. »Ich glaube, Christopher braucht die Berührung der Hand Gottes. Wir wollen uns darauf einigen, dass es eine heilende Berührung sein soll.«

Sie lächelte ihn an. Ihr Gottvertrauen strahlte aus ihren Augen. »Ja, und Gott wird antworten!«

***

»Erzähl mir noch einmal, wie Mr Bunyan dir das Leben gerettet hat, Gavin.«

Gavin lachte und schüttelte den Kopf. »Das werde ich nicht tun! Du kennst die Geschichte schon auswendig, Amos.«

Die beiden ritten die Hauptstraße entlang und Gavin wies auf ein kleines Haus, das beinahe am Ende der Straße stand. »Da ist das Haus der Bunyans. Komm jetzt und lege ordentliche Manieren an den Tag!«

Amos warf seinem älteren Bruder einen irritierten Blick zu. »Meine Manieren sind so gut wie deine!«

»Tatsächlich? Wir werden ja sehen.«

Gavin hatte die Nachricht erhalten, dass Bunyans Frau ihr Kind geboren hatte, und er hatte beschlossen, auf dem Weg nach London eine kurze Rast einzulegen, um dem Paar zu gratulieren. Er hatte Bunyan nur einmal gesehen, seit er seinen Abschied von der Armee genommen hatte, und freute sich über diese Gelegenheit, seinen Freund zu besuchen.

Die beiden Brüder hielten ihre Pferde vor dem weiß getünchten Häuschen an und stiegen ab. Sie banden die Zügel sicher an den Pfosten, dann gingen sie zur Tür. Amos klopfte und die Tür wurde beinahe augenblicklich geöffnet. Eine adrette junge Frau stand da. Kastanienbraune Löckchen ringelten sich um ihr Gesicht, eine milde Frage stand in ihren braunen Augen. Sie lächelte sie an. »Kann ich Euch helfen?«

»Mrs Bunyan? Ich bin Gavin Wakefield und das ist mein Bruder, Amos.«

Leah Bunyans Augen wurden groß und ein leichtes Rot stieg ihr in die Wangen. Gavin wollte wetten, dass sie nicht erwartet hatte, zwei reisende Aristokraten auf ihrer Türschwelle vorzufinden. Aber man musste ihr zugutehalten, dass sie nur einen Augenblick lang zögerte, dann öffnete sie weit die Tür. »Mr Wakefield, was für eine Freude! John hat so oft von Euch gesprochen. Kommt bitte herein.«

Als das Paar eintrat, sagte Leah: »Ich hole John. Er ist im Hinterhof und repariert den Karren.« Sie verschwand und kehrte mit Bunyan zurück. Seine Augen glänzten vor Überraschung und Freude.

»Mr Wakefield, ich freue mich so, Euch zu sehen, Sir!«

Gavin schüttelte Bunyan die Hand und stellte ihm Amos vor. »Wir sind unterwegs nach London, aber ich musste einfach kurz vorbeischauen und unsere Glückwünsche überbringen, John.«

»Das ist freundlich von Euch«, sagte Bunyan lächelnd. Er wandte sich Leah zu und sagte: »Nun, Frau, bring das Kleine her.«

Leah trat an eine kleine Wiege, hob das in sein Steckkissen gewickelte Baby hoch und trat vor die beiden hin. Gavin streckte die Hand aus und zog die Decke von dem kleinen Gesicht. »Nun, das ist aber hübsch!« Er lächelte. »Wie habt ihr ihn genannt?«

Bunyan lächelte. »Mary«, sagte er.

»Oh, ein Mädchen, tatsächlich? Nun, dann Mary. Wir wollen hoffen, dass sie einmal so hübsch wie ihre Mutter wird.« Er wandte sich Amos zu und sagte augenzwinkernd: »Was hältst du von dem Baby?«

Der Junge spähte ins Gesicht des Säuglings und suchte krampfhaft nach irgendeiner Bemerkung, die die Eltern nicht beleidigen würde. Das Kindchen sah rot, runzlig und hässlich aus, also gab er es schließlich auf und rettete sich in eine Notlüge. »Sehr hübsch«, murmelte er.

Leah bereitete Tee, und Amos lauschte, wie die beiden Männer über ihre Zeit in der Armee sprachen. Er betrachtete das Baby, das aufwachte und eine Zeit lang weinte, und fragte sich, ob er als kleines Kind ebenso unansehnlich gewesen war.

Schließlich gingen die beiden Männer nach draußen, während Leah sich an Amos wandte. Sie stellte ihm viele Fragen nach seinem Zuhause und zu seiner Person. Er war verlegen, aber sie zeigte ein solches Interesse, dass er ihr von seinen Pferden und Falken erzählte. Während er sprach, betrachtete er aufmerksam das Gesicht des Babys. Irgendetwas daran beunruhigte ihn, obwohl er nicht hätte sagen können, was es war.

Leah sah, wie der Junge ihre Tochter anstarrte, sagte aber nichts. Schließlich kehrten die beiden Männer zurück und Gavin sagte: »Wir müssen uns auf den Weg nach London machen.« Die beiden verabschiedeten sich und waren bald wieder unterwegs.

Gavin schwieg und ein besorgter Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Nach einer Weile fragte Amos: »Was ist los? Ist etwas nicht in Ordnung?«

»Ich mache mir Sorgen um meinen Freund John«, sagte Gavin langsam. »Er kämpft mit Gott.« Als er den verblüfften Ausdruck auf dem Gesicht seines jüngeren Bruders sah, fügte er hinzu: »Er kennt den Herrn nicht, Amos. Er fürchtet um seine Seele.«

»Warum lässt er sich nicht einfach taufen und wird Kirchenmitglied?«

Gavin warf Amos einen scharfen Blick zu und seine Stimme klang angespannt. »Meinst du, das genüge, um Gott zu kennen, Amos? Du überraschst mich.«

Amos fühlte den Vorwurf und sagte nichts weiter, aber als sie in einer Herberge ihr Nachtquartier nahmen, brachte Gavin das Thema von Neuem aufs Tapet.

»Gott zu kennen«, sagte er, während sie sich aufs Zubettgehen vorbereiteten, »heißt, dass ein Mensch sich von seinen Sünden abwendet, Gott bittet, ihm zu vergeben, und auf Jesus als seinen Erlöser vertraut. John Bunyan will seine Sünden nicht aufgeben.«

Amos runzelte verwirrt die Stirn. »Was für Sünden?«

»Nichts wirklich Schlimmes«, antwortete Gavin. »Er hat die schlechte Angewohnheit zu fluchen und er spielt ein wenig. Aber es ist gleichgültig, welche Sünden ein Mensch hat. Die Frage ist, will er sie aufgeben, was immer sie sein mögen?«

Die beiden begaben sich zu Bett, und Amos zog sich die schwere Daunendecke bis ans Kinn, während sein Bruder fortfuhr.

»Da ist noch etwas anderes, das mir Kummer macht, wenn ich an John denke. Es geht um das Baby Mary.«

Amos gähnte, dann blickte er seinen Bruder neugierig an. »Was stimmt nicht mit ihr, Gavin? Ist sie krank?«

»Nein, Amos. Sie ist blind.«

Amos fühlte sich schockiert und traurig, als er diese Nachricht hörte, und vergrub das Gesicht in seinem Kissen. Gavin schien so besorgt, so schmerzerfüllt, dass Amos nicht wusste, was er sagen sollte, also sagte er gar nichts. Schweigen breitete sich über den Raum, und Amos war beinahe eingeschlafen, als Gavin traurig sagte: »Eine schwere Bürde lastet auf John Bunyan und seiner guten Frau. Ich fürchte, John zweifelt jetzt an Gottes Erbarmen.«

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3Bunyan hat Albträume

Seit seiner Hochzeit hatte John Bunyan mit seiner täglichen Arbeit als Kesselflicker weitergemacht. Er reiste mit seinem Pferdekarren im ganzen Bezirk herum, sprach in großen Häusern vor und reparierte, was nötig war. Gelegentlich hämmerte er in dem kleinen Schuppen hinter seinem strohgedeckten Häuschen vor sich hin. Und dennoch, so beschäftigt er auch war mit seiner Arbeit an Töpfen und Pfannen, so hallten doch gewisse unwillkommene Gedanken in seinem Geist wider. Seit er beim Dienst in Cromwells Armee dem Tod ins Auge geschaut hatte, lauerte tief in Bunyans Seele ein grausamer Schrecken.

Er sagte nichts davon zu Leah; er wollte das Glück seiner Ehe nicht zerstören. Obwohl seine Frau keine Aussteuer in die Ehe mitgebracht hatte, hatte sie dennoch einen Schatz in das Leben des Kesselflickers gebracht, ein Erbe, das zugleich ein Segen und ein Fluch war: ihr gottgefälliges Wesen und zwei Bücher über Religion. Der Segen war das Alltagsleben mit einer Frau, die Christus zu dienen und nachzufolgen versuchte; der Fluch war, dass ihre beiden kleinen Bücher in drastischen Bildern vor der Verdammnis der Sünder warnten. Ein Buch, Die Praxis der Frömmigkeit, war unbeschreiblich grausam in seiner Schilderung des Zustandes der Verdammten. Obwohl diese Schilderungen Bunyan zutiefst verstörten, forschten er und Leah weiterhin in den Abschnitten, die das Elend eines Sterbenden schilderten, der mit Gott und Christus nicht versöhnt war.

Das andere Buch, Des einfachen Mannes Pfad zum Himmelreich, behandelte solche Themen wie Sünde, Erlösung und vor allem Verdammnis. Bunyan fand dieses Werk leichter zu lesen, weil die Argumente, die darin vorgebracht wurden, nicht so schrecklich waren wie in dem anderen. Dennoch war die Botschaft klar: Ohne Gott zu sterben, bedeutete, zu einer grauenhaften Ewigkeit verurteilt zu werden.

John und Leah pflegten stundenlang in diesen beiden Büchern zu lesen. Da Bunyan seine Furcht und seine innere Qual für sich behielt, hatte Leah keine Vorstellung davon, wie verstört er war. Sie drängte ihn, zur Kirche zu gehen, aber er fand dort keinen Trost. Er fuhr fort, sich als elenden Sünder zu betrachten.

Dann, als Bunyans Tochter Mary beinahe zwei Jahre alt war, begannen die Albträume. John hatte nie viel geträumt, aber jetzt überkamen ihn so erschreckende und beängstigende Träume, dass er sich nachts davor fürchtete, zu Bett zu gehen. Manchmal wälzte er sich so wild herum, dass Leah ihn erschrocken aufweckte und ihn anflehte, ihr zu sagen, was los sei. Bunyan jedoch erzählte ihr nichts über das Wesen der Albträume. Er beharrte einfach darauf, es seien böse Träume.

Er stellte fest, dass er anfing, seltsame Dinge zu sagen und zu tun. Eine Zeit lang hatte er die fünf Glocken im Kirchturm geläutet. Er hatte Freude an dieser Tätigkeit, zum einen wegen seines Berufes als Kesselflicker, zum anderen, weil es schien, als sei der freudige Klang der Glocken eine Art Symbol für den Frieden mit Gott. Plötzlich jedoch kam er aus unerfindlichen Gründen zu der Überzeugung, sein Glockenläuten würde ihn in die Hölle stürzen. Er wusste, dass es einen Mann gegeben hatte, einen anderen Glöckner, der im Norden des Landes während des Glockenläutens von einem Blitz getroffen worden war. Obwohl sein Verstand nicht glaubte, dass ihm dasselbe widerfahren würde, litt sein Geist unter einer unsinnigen Furcht.

Eines Tages stand er da und blickte zum Glockenturm hinauf. Er wollte eben hineingehen, als er sich von Entsetzen überwältigt fühlte. Ich kann nicht hineingehen und die Glocken läuten!, dachte er und seine Hände begannen zu zittern. Als er aufblickte, schien der Turm vornüberzukippen. Er kehrte um und floh. Später, als Leah ihn fragte, warum er mit dem Glockenläuten aufgehört hätte, sagte er nur: »Ach, mit der Zeit wird es langweilig.« Dennoch blieb die Vorstellung himmlischer Freudenglocken für ihn ein Symbol für den Frieden mit Gott, und er konnte nicht an sie denken, ohne dass er Sehnsucht empfand, diesen Frieden zu kennen.

Einige Zeit später lastete ihm sein Fluchen so schwer auf dem Gewissen, dass er sich wacker daranmachte, damit Schluss zu machen. Ihm war bewusst, dass sein Fluchen nicht so schlimm wie das vieler anderer war, dennoch nannte er zu oft ohne Not den Namen Gottes. Obwohl Leah überzeugt war, dass John das Fluchen aus seinem Leben streichen musste, hatte sie keine Vorstellung von dem schrecklichen Konflikt, der sich in ihrem Gatten abspielte, denn John verbarg alles aufs Beste. Tatsächlich wäre sie bitter bekümmert gewesen, hätte sie gewusst, wie oft er nachts aufwachte und sich fühlte, als sinke er in einen bodenlosen Abgrund.

So lebten sie weiter. Leah hatte ihre Freude an ihrer Tochter. Die Blindheit des kleinen Mädchens bekümmerte sie, aber sie fühlte sich dadurch nur noch mehr zu Gott und dem Kind hingezogen. John arbeitete hart. Äußerlich hielt er den Anschein der Ruhe aufrecht, aber sein Herz und sein Geist wurden von den turbulenten Stürmen der Furcht und Ungewissheit umgewirbelt.

Eines Tages nahm sich Bunyan den Nachmittag frei. Er sagte: »Ich möchte einen Spaziergang über die Dorfwiese machen, Leah. Ich komme rechtzeitig zum Abendessen zurück.«

Sie trat an ihn heran und legte die Hände auf seine Schultern. Sie war stolz auf ihren Mann und die Ehe hatte ihr ein warmes, ruhiges Wesen und einen Anhauch von Schönheit verliehen. Sie streichelte Johns Wange und sagte: »In Ordnung, John. Wenn du zurückkommst, machen wir mit Mary einen Spaziergang.«

»Fein. Ich freue mich darauf.«

Bunyan verließ das Haus, eilte zum Dorfanger und fand dort seine Freunde bei einem Spiel namens Tipcat vor. Er beobachtete das ziemlich einfache Spiel eine Weile und bemerkte die Geschicklichkeit derjenigen, die die »Katze« anschlugen – die nichts weiter war als ein Stück Holz, das mit einem speziell geformten Stock angeschlagen wurde. Vor allem ein Mann war bei dem Spiel besonders geschickt. Er schlug die Katze gekonnt mit dem Stock an, warf sie in die Luft und hielt sie dort mit scharfen, harten Schlägen.

Johns Freunde hießen ihn willkommen und er spielte etwa eine halbe Stunde lang mit ihnen. Es war ein frischer Septembertag. Der Wind wurde kalt und Bunyan wusste, dass der Winter unmittelbar hinter den Hügeln lauerte. Sein rosiges Gesicht glühte vor Vergnügen und eine Weile schob er seine Furcht vor Hölle und Verdammnis beiseite und amüsierte sich einfach.

Schließlich streckte er den Stock aus und schlug die Katze mit seiner gewohnten Leichtigkeit an. Er wollte eben ein zweites Mal zuschlagen, als ein Stimme vom Himmel in seine Seele zu dringen schien: Willst du deine Sünden hinter dir lassen und in den Himmel kommen oder deine Sünden behalten und zur Hölle fahren?

Bunyan erstarrte. Der Holzklotz fiel unbemerkt zu Boden und seine Gedanken waren wie gelähmt. Er ignorierte die Stimmen seiner Freunde, die ihn drängten, es noch einmal zu versuchen. Bunyan hob den Blick zum Himmel – und von dort, schien es ihm, sah er den Herrn Jesus Christus herabblicken. Er wusste, dass er ihn nicht mit den Augen sah, aber irgendwie formte sich ein Bild vom Gesicht des Erlösers – streng und unbarmherzig – in seinem Herzen und seinem Sinn.

Bunyan begann zu zittern und dann sprach der Herr Jesus. Seine Stimme klang hart, als er wiederholte: Willst du deine Sünden hinter dir lassen und in den Himmel kommen oder willst du sie behalten und zur Hölle fahren?

John hatte keine Ahnung, wie er nach Hause zurückgekehrt war. Er war so verwirrt von dem, was ihm widerfahren war, dass er keinen Blick für seine Umgebung übrig hatte, als er an den Nachbarhäusern vorbei zu seinem eigenen kleinen Haus schritt. Wieder und wieder hallten die Worte in seinen Gedanken: Willst du deine Sünden hinter dir lassen und in den Himmel kommen oder willst du sie behalten und zur Hölle fahren?

Als er sein Haus erreichte, hatte sich sein Zittern in einen wahren Schüttelfrost verwandelt. Er betrat den großen Raum, der als Küche, Esszimmer und Wohnzimmer diente, und fiel in einen Sessel.

Aufgeschreckt wandte sich Leah von der Feuerstelle um und ließ den Blick über das aschfarbene Gesicht ihres Mannes gleiten. »Was ist mit dir, John?«, rief sie erschrocken. Rasch eilte sie zu ihm hin, ergriff sein Kinn und hob seinen Kopf. Sein rosiges Gesicht war bleich und seine Lippen zitterten. »Was ist mit dir?«, rief sie. »Bist du krank?«

Bunyan flüsterte: »Ich bin zur Hölle verdammt, Leah! Für einen Mann wie mich gibt es keine Hoffnung!«

Leah starrte ihn an und begriff endlich, dass der Mann an einer schweren Last trug. Sie ergriff seine Hände und setzte sich neben ihm nieder. »Wenn du verdammt bist, John«, sagte sie leise, »so ist doch Hoffnung da. Der Herr Jesus starb für die Sünder. Wenn du ein Sünder bist, dann ist er für dich gestorben.«

Bunyan saß da und versuchte ihr zuzuhören, aber die Furcht schien seine Gedanken in Verwirrung zu hüllen. Dies war kein Albtraum, wusste er, dies war Wirklichkeit; er stand unter dem Todesurteil Gottes.

Später, nachdem John in seinen Schuppen gegangen war, wo er versuchen wollte, ein wenig zu arbeiten, nahm Leah ihre Schürze ab, legte ihren warmen Mantel an und verließ das Haus. Sie trug Mary in den Armen und machte sich auf den Weg zu der kleinen Kirche in Elstow. Pastor John Gifford, der sich in seinem Arbeitszimmer befand, erhob sich augenblicklich, als sie eintrat.

»Oh, Mrs Bunyan«, sagte er überrascht, denn obwohl sie eine regelmäßige Gottesdienstbesucherin war, war sie nie zuvor in sein Arbeitszimmer gekommen. »Ich freue mich, Euch zu sehen«, begann er und dann, als er sie eindringlicher betrachtete, sah er, dass sie Sorgen hatte. »Was ist geschehen? Ist jemand krank?«

»Nein, Pastor Gifford, es ist John«, sagte Leah. »Er ist unter die schreckliche Last seiner Sünde gefallen.«

John Gifford war ein klein gewachsener, muskulöser Mann mit dunkelblauen Augen und ungebändigtem schwarzem Haar. Er war ein guter Prediger, obwohl er in seiner Jugend ein wildes Leben geführt hatte. Er hatte den Krieg mitgemacht und war nun zum Pastor der Kirche bestellt worden, wo ihn die Leute mit Freude aufgenommen hatten.

»Setzt Euch, Mrs Bunyan«, sagte er rasch. Das tat sie, das Kind in den Armen. Gifford lauschte aufmerksam, als Leah ihm erzählte, was sich in ihrer Küche abgespielt hatte. Als sie schließlich endete und ihn hoffnungsvoll anstarrte, sagte er: »Ich muss zugeben, ich bin ein wenig überrascht. Ich hatte gedacht, John kenne den Herrn. Er schien mir ein so guter Mensch zu sein.«

»Das dachte ich auch«, sagte Leah mit zitternden Lippen. »Aber, oh, wenn Ihr nur sein Gesicht gesehen hättet, Pastor Gifford! Kein Tropfen Farbe war darin. Und seine Hände zitterten. Er ist zu Tode verängstigt.«

Gifford beugte sich vor. Seine Augen leuchteten. »Das ist ein gutes Zeichen«, versicherte er Leah rasch. »Es beweist, dass Gott zu ihm spricht und dass der Heilige Geist ihn seiner Sünden überführt.«

»Werdet Ihr mit ihm sprechen, Pastor Gifford?«

»Gewiss! Gewiss!« Gifford sprang von seinem Stuhl auf, griff nach der Bibel auf seinem Schreibtisch und wandte sich lächelnd an Leah. »Wenn Ihr mir gestattet, Euch nach Hause zu begleiten, dann wäre jetzt vielleicht eine gute Zeit. Ich schiebe solche Dinge nicht gerne auf die lange Bank.«

»Oh ja!« Leah erhob sich augenblicklich und die beiden verließen die Kirche.

Als sie in dem Häuschen ankamen, blickte Bunyan überrascht den Pastor an. »Ihr seid es, Pastor Gifford«, sagte er. Dann hielt er ein und sein Blick wanderte zu Leah.

»John, ich möchte, dass du mit Pastor Gifford sprichst«, sagte sie, während sie ruhig seinem Blick standhielt. »Ich gehe mit Mary ins Schlafzimmer, damit ihr beiden allein sein könnt.«

Sobald sie mit dem Kind verschwunden war, sagte Gifford: »Mr Bunyan, Eure gute Frau hat mir gesagt, dass Ihr eine schwere Zeit durchmacht. Ich würde Euch gerne helfen, wenn Ihr es mir erlaubt.«

Immer noch erschüttert von seiner Erfahrung auf dem Dorfanger, blickte Bunyan den Pastor an und sog tief den Atem ein, um sich zu beruhigen. Er schätzte und respektierte John Gifford mehr, als er je zuvor einen Geistlichen respektiert hatte. Nach einem Augenblick nickte er und sagte mit beunruhigter Stimme: »Ich brauche Hilfe, Pastor Gifford, und zwar sehr dringend.«