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Jagd nach dem mysteriösen Waldmenschen: Fall drei für Chefinspektor Wendelin Kerschbaumer Es ist Herbst in Bad Kleinkirchheim. Das Laub der Bäume färbt sich rot und golden, die Sommerferien sind vorbei und die meisten Gäste abgereist. Doch statt die Ruhe der Nebensaison zu genießen, schlittert Wendelin Kerschbaumer in den merkwürdigsten Fall seiner Karriere. Als treuer Gast bemerkt der Chefinspektor der Wiener Kriminalpolizei schnell: Irgendetwas stimmt nicht im schönen Kärntner Urlaubsort. Die Menschen sind verstört und misstrauisch. Als dann auch noch die schrille Travestie-Künstlerin Greta Glimmer behauptet, ein gewaltiges Wesen aus dem Wald habe sie niedergeschlagen, ist die Aufregung perfekt. Sofort lebt die Legende vom sagenumwobenen Waldmann wieder auf. Aber was ist dran an den Geschichten vom Kärntner Yeti? Kerschbaumer nimmt die Fährte des vermeintlichen Ungeheuers auf. - Band 3 der Krimi-Reihe rund um den charismatischen Chefinspektor Wendelin Kerschbaumer - Hoch oben in den österreichischen Bergen: Alpenkrimi mit viel Lokalkolorit und Ortskenntnis - Humorvoll und außergewöhnlich: Buchtipp für alle Krimi-Fans - Schauplatz Bad Kleinkirchheim: Wer treibt sein Unwesen im beschaulichen Luftkurort? Schluss mit dem Urlaubs-Feeling: Krimi-Spannung in Kärnten Als versierter Kriminalist steht für Kerschbaumer fest: Ungeheuer gibt es nicht. Doch als er selbst schmerzhafte Bekanntschaft mit dem zotteligen Wesen macht, ist sein Misstrauen geweckt. Was geht im sonst so friedlichen Bad Kleinkirchheim vor? Wem kommt das plötzliche Auftauchen des Kärntner Yetis gelegen? Schnell wächst die Liste der Verdächtigen – doch der Lösung des Rätsels ist Kerschbaumer damit noch keinen Schritt näher gekommen. Dieser Heimatkrimi verspricht beste Unterhaltung und spannende Lesestunden!
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Seitenzahl: 190
Stefan Maiwald
Ein Bad-Kleinkirchheim-Krimi
Diese Geschichte ist frei erfunden. Tatsächlich existierende Personen und Firmen wurden verändert und/oder vom Autor ausgedacht, Geschehnisse anderen und/oder fiktiven Personen zugeordnet. Verbleibende Übereinstimmungen mit etwaigen realen Personen wären somit rein zufällig und sind nicht gewollt.
Die Zitate auf den Seiten 80f. stammen aus: Georg Graber, Sagen aus Kärnten.
Leipzig, Verlag Dieterich, 1914.
Die Rezepte aus Hildes Kochbuch im Anhang sind freie Variationen aus dem Servus-Magazin »Gute Küche«, Heft 2/2020.
Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren bzw. Herausgeber und des Verlages ist ausgeschlossen.
1. Auflage 2022
Copyright dieser Ausgabe © 2022 Servus Verlag bei Benevento Publishing
Salzburg – München, eine Marke der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Verlagsagentur Lianne Kolf.
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Karte Innenklappe: Nina Andritzky
Autorenillustration: © Claudia Meitert/carolineseidler.com
ISBN: 978-3-7104-0241-8
eISBN: 978-3-7104-5031-0
CHEFINSPEKTOR KERSCHBAUMERSCHLITTERT IN DEN MERKWÜRDIGSTENFALL SEINER KARRIERE
TAG 1
1. Feuer!
2. Journalistenauftrieb
TAG 2
3. Welches Projekt?
4. Am Sack
5. Beim Doc
TAG 3
6. Bad Beats
7. Gibt es ein Geheimnis?
TAG 4
8. Meidbewegungen
9. Niedergeknüppelt
10. Im Stadion
11. Gesalzen
TAG 5
12. Keine Maniküre
13. Beim Heimatmaler
TAG 6
14. Kein Sand
15. Jeden Pfifferling wert
16. Der ewige Ex
TAG 7
17. Gut behandschuht
18. Proteste!
19. Der Ninja
20. Zweigelt und Gummibärchen
TAG 8
21. Platzt der Traum?
22. Alles sehr interruptus
TAG 9
23. Die Talrunde
24. Der Fang
TAG 10
25. Wasser-Fest
26. Trillerpfeifen
27. Eine fast fatale Begegnung
TAG 11
28. Der flotte Italiener
29. Persönliche Bestleistung
30. Was für ein Auftritt!
31. Die Opferfrage
TAG 12
32. Das Video
33. Bestleistungen
34. Hohe Küchenkunst
TAG 13
35. Neuwagengeruch
36. Zu tiefe Deckung
37. Da fehlt doch jemand
38. Eine Million Euro
39. Das Feuer im Wald
TAG 14 – ABREISE
40. Die Nachfolge
41. Die Jagd geht erst los
ANHANG
Missgelaunte Septemberwolken rücken aus Nordosten auf Wien heran, belassen es aber bei leeren Drohungen und einem kurzen nächtlichen Platzregen.
Zwei junge deutsche Touristen stehlen einen Königspinguin aus dem Tiergarten Schönbrunn. Johannes R., 21, und Kathi M., 20, dringen in der Nacht stark angetrunken zunächst ins Gehege der Bennettkängurus ein und fordern sie zu einem Boxkampf heraus. Dann entführen sie Pinguinmännchen Josef. Als sie schwer verkatert in ihrer Frühstückspension aufwachen, wissen sie nicht, was sie mit dem flugunfähigen Vogel tun sollen. Sie versuchen »ihr inkompetentes Bestes« (so ein Polizeisprecher), ihn zu füttern, und stellen ihn unter die Dusche. Später wollen sie Josef in der Alten Donau nicht weit von der Kagraner Brücke aussetzen, werden dabei aber von Spaziergängern beobachtet, die die Polizei verständigen. Ein Richter verurteilt die beiden zu je tausend Euro Strafe und fordert sie auf, beim nächsten Besuch in Österreich »etwas weniger Wodka« zu trinken.
Der Funke war auf den Teppich übergesprungen, einen hässlichen Teppich mit Blumenmotiven, den Wendelin Kerschbaumer schon mehrmals hatte entsorgen wollen. Er war faltig und an manchen Stellen arg abgenutzt (der Teppich, nicht Kerschbaumer – obwohl der sich manchmal auch ziemlich fadenscheinig fühlte). Doch irgendwie hatte es der Chefinspektor nicht übers Herz gebracht, ihn in die Mülltonne zu stopfen, er gehörte gewissermaßen zum Inventar, und das war jetzt ein großes Pech. Denn der Teppich, alt und trocken wie Stroh, bot einen idealen Nährboden. Der Funke fraß sich inmitten einer stilisierten Rose fest, hinterließ ein Loch, schien auszugehen, doch dann stieg plötzlich eine schmale, schwarze Rauchsäule empor, und schon war die Flamme da. Sie züngelte erst unschlüssig dahin, dann war sie schon kniehoch, dann erwischte sie den Sessel, und dann war es um Kerschbaumers Wohnung geschehen. Dass ausgerechnet der Sessel als Erstes in Flammen stand, das Wertvollste, was Kerschbaumer besaß – ein Eames Chair samt Hocker mit einer Schale aus Palisanderholz –, war wie ein zusätzlicher Mittelfinger des Schicksals. Die Pokale aus seiner Ü40-Tennisgruppe schmolzen ebenso dahin wie der Riesenpokal des Hallenfußball-Turniers, den das Kriminaldezernat im März nach einem überragenden Halbfinale gegen das Polizeikommissariat Ottakring in einem ganz schmutzigen Finale gegen das Polizeikommissariat Josefstadt gewonnen hatte. Kerschbaumer hatte das entscheidende 2:1 erzielt, auch wenn die Kollegen von Josefstadt bis heute behaupteten, dem sehenswerten Schuss in den Winkel sei ein Foul vorausgegangen.
Aber das stimmte ja gar nicht, sein Leben war noch wertvoller als der Designer-Sessel, und das konnte Kerschbaumer zum Glück mit Leichtigkeit retten. Was der Laie nämlich nicht weiß, ist Folgendes: Brände sind laut. Wohnungsbrände knistern nicht gedämpft wie ein Kaminfeuer, nein, sie krachen, brüllen, verspritzen lärmende Funken, bringen Dinge zum Platzen. Bilder fallen von den Wänden, Fenster zerspringen, Vasen zerbersten. Man muss schon sehr betrunken sein, um all das nicht zu hören. Und da Kerschbaumer am Abend nie mehr als zwei Viertel trank, jedenfalls bestimmt nicht mehr als vier, war er rechtzeitig wach und geistesgegenwärtig genug, ins Treppenhaus zu flüchten, alle Bewohner des Hauses zu warnen und rasch die Feuerwehr zu alarmieren.
* * *
Kerschbaumer hatte schon vor Jahren mit dem Rauchen aufgehört, und das war gut so. Deswegen dürfte es schon mal keine Scherereien mit der Versicherung geben. Und natürlich auch nicht mit den Nachbarn. Denn es ist ja immer etwas unglücklich, wenn ein Mehrfamilienhaus (drei Stockwerke, sieben Parteien, Baujahr 1952) abbrennt, und alle geben einem die Schuld. Nein, es musste höhere Gewalt gewesen sein.
Kerschbaumer bewohnte die oberste Etage (seit seiner Trennung allein), so dass die anderen Wohnungen zum Glück gerettet werden konnten. Der Dachstuhl war aber so was von hinüber, dass man alle Bewohner trotzdem vorübergehend ausquartieren musste, mindestens für zwei, eher drei Wochen, zumindest für provisorische Abdichtungsmaßnahen, wie Abschnittsbrandinspektor Wiesinger noch in derselben Nacht schätzte, ein Mann, dessen gewaltiger Schnurrbart, wie Kerschbaumer befand, doch ein ziemliches Sicherheitsrisiko in seinem Job darstellte.
Der Gestank nach einem Wohnungsbrand war eigentümlich. Heißes Metall roch wie Blut, der verschmorte Kunststoff stach heftig in der Nase. Die Feuerwehr, mit zwei Leiterwagen und zwei Transportern im Einsatz, hatte alles schnell gelöscht und holte die Leitern ein. Ob Kerschbaumer noch einmal nach oben dürfe, um zu sehen, was zu retten sei? Nein, das dürfe er nicht. Ein Ehepaar von gegenüber brachte Kaffee. Etwas Härteres hätte Kerschbaumer jetzt besser gebrauchen können. Verwandte seiner Nachbarn kamen herangefahren, luden sie in ihre Autos ein und fuhren sie davon. So stand er allein vor dem verschmorten Rest seiner Bleibe, denn Kerschbaumer hatte keine Verwandten in der Stadt, und er war noch zu verwirrt und auch zu stolz, jetzt einen seiner Kollegen anzurufen, und blickte stattdessen starr auf die rußgeschwärzte Fassade. So fühlte sich also ein Schock an, den er schon oft genug bei Verbrechensopfern erlebt hatte.
Nein, er hatte nicht im Bett geraucht, so wie er ja überhaupt nicht rauchte. Seit zwanzig Jahren schon nicht mehr. Auch Kerzen schieden aus, denn dafür hatte Wendelin Kerschbaumer, in eine Wolldecke der Wiener Feuerwehr gehüllt, erst recht nichts übrig. Seine Ex-Frau war eine so leidenschaftliche Verfechterin von Duftkerzen mit Zitrusaroma, dass ihm jetzt noch schlecht wurde, wenn er einen Limoncello angeboten bekam. Das Feuer musste anderweitig entstanden sein, darum würden sich die Sachverständigen kümmern. Kerschbaumer solle sich, so Wiesinger, da mal keine Sorgen machen.
Kerschbaumer würde sich allerdings um eine neue Wohnung sorgen müssen, zumindest vorläufig. Die Schnurrbartenden des Abschnittsbrandinspektors wippten mitleidig.
Eine Rezeptionistin des Hotels, das Kerschbaumer noch in der Nacht bezogen hatte, hatte ihm das Nötigste besorgt, so dass er nun, eingekleidet in etwas zu großen Turnschuhen, etwas zu kurzer Hose und einem dicken, kratzenden Pullover, mit einem Taxi zur Arbeit fuhr, denn Armbanduhr, Geldbörse mit Kreditkarten und Handy hatte er retten können, nicht aber den Autoschlüssel.
Vor der Inspektion staute es sich, er wunderte sich über das ungewöhnliche Verkehrsaufkommen an diesem Ort und zu dieser Zeit und stieg zweihundert Meter vorher aus. Als er aufs Revier zuschritt, erkannte er die Ursache des Staus: Er selbst war es, dem das Interesse der herangenahten Fahrzeuge galt. Aus dem einen schälte sich gerade Leichenschmauser, ein gefürchteter Boulevardjournalist, der eigentlich Leikermauser hieß, aber wegen seiner Fähigkeit, bei rätselhaften Todesfällen die Witwen der Abgelebten auszuschütteln, den Spitznamen völlig zu Recht trug. Auch eine junge Redakteurin der Kronenzeitung namens Rinklmeier und zwei Fotografen unbekannter Provenienz näherten sich ihm rasch. Es blitzte, und Kerschbaumer wurde schwindlig, denn er hatte nur zwei Stunden Schlaf abbekommen, und die waren angesichts der Umstände alles andere als erholsam ausgefallen.
»Na, Herr Chefinspektor, was für ein Schlamassel«, wienerte Leichenschmauser los und fuchtelte mit einem Aufnahmegerät in der Luft bedrohlich nah vor Kerschbaumers Gesicht herum. Der nickte und schob sich zügig in die Inspektion.
Moreno, sein bester Freund auf dem Revier, und alle übrigen Kollegen hatten sich sogleich um seinen Schreibtisch versammelt und wollten alle Einzelheiten hören, die alten Tratschtanten. Moreno bot ihm an, bei ihm unterzukommen, denn wie alle auf dem Revier war er geschieden – der gehobene Polizeidienst hatte österreichweit die höchste Scheidungsrate aller Berufsgruppen – und musste eine viel zu große Wohnung abbezahlen.
Doch noch bevor Kerschbaumer viel berichten konnte, klingelte der Dienstapparat. Annig wollte ihn sehen, umgehend.
Isidor Kruschannig, der Abteilungsleiter der Landespolizeidirektion Wien, war Kerschbaumers Vorgesetzter und saß im obersten Stockwerk. Er hieß bei allen nur Annig, denn am Telefon meldete er sich so hastig, dass man nur den letzten Teil seines Namens verstand, und generell lebte er in allen Belangen auf der Überholspur, was nicht lange gut gehen konnte. Das sollte man jedenfalls meinen, denn eigentlich ging es schon recht lange gut. Er war auch der einzige Mensch auf dem Revier, der noch rauchte – in seinem Büro, obwohl das gegen die Vorschriften war. Aber erklären Sie das mal dem obersten Polizisten der Stadt.
* * *
»Was für eine unschöne Sache, mein Beileid«, rang sich Annig einen Funken Anteilnahme ab. Er sprach so hastig, wie es ihm der Takt seines Ruhepulses von geschätzten hundertfünfzig Schlägen in der Minute vorgab. Er stand am Fenster, rauchte und blies den Qualm mit spitzem Mund durch das angekippte Fenster. Er hatte die Physiognomie eines Nagetiers, und die unruhigen Augen waren immer in Bewegung, vielleicht auf der Suche nach der nächsten Nuss.
»Danke.«
»Kommen S’ mal her, schauen S’ mal.« Er winkte Kerschbaumer zu sich ans Fenster. »Schauen S’, da unten.«
Inzwischen hatte sich ein gutes Dutzend Journalisten vor dem Revier versammelt.
»Alle nur wegen Ihnen da, ein richtiges Komitee. Ein Feuer und ein bekannter Inspektor, na, wenn das keine schöne Geschichte gibt«, sann Annig. »Und wir haben noch Glück gehabt, dass es zu spät für die heutige Ausgabe war. Auf die Schlagzeilen morgen bin ich gespannt.«
»Da müssen sich die Damen und Herren aber schon viel einfallen lassen«, erwiderte Kerschbaumer. »Es war schlicht ein Unfall.«
»Oh, das werden sie, verlassen Sie sich drauf. Ein Anschlag? Brandstiftung? Gar selbst gelegt?«
»Na, hören Sie mal«, protestierte Kerschbaumer, doch Annig wischte seinen Protest mit der flachen Hand weg.
»Ich male es Ihnen ja nur aus. Die werden das Thema schön auswringen. Da ist doch alles drin, was der Presse gefällt. Außerdem haben die Presseleute mit Ihnen noch ein Hühnchen zu rupfen wegen der Sache mit Kluibnschädl, das ist eben der esprit de corps, nicht wahr?«
»Da gibt’s aber nicht viel zu rupfen.« Kerschbaumer unterdrückte ein Seufzen. Was musste Annig den Kluibnschädl wieder hervorzaubern? Als ob es seine Schuld gewesen wäre, dass er den allzu ehrgeizigen Journalisten des Mordes überführt hatte, als er im letzten Dezember in Bad Kleinkirchheim den Fall um ein allzu totes Zimmermädchen hatte aufklären müssen.
»Seien Sie sich da nicht so sicher. Es kann lange dauern, bis die Brandursache geklärt ist. Und jetzt frage ich etwas, was Sie sich sicher auch schon gefragt haben: Könnte es sein, dass Ihnen jemand Übles wollte?«
Kerschbaumer zuckte mit den Schultern. »In unserem Beruf ist das ja ständig der Fall. Aber mir die eigene Wohnung anzuzünden … Also, wer mich beseitigen will, der hätte das auch effektiver angehen können.«
»Na, warten wir mal ab, was die Schadensermittler herausfinden. Bis dahin schauen Sie doch mal, wer von Ihren Jungs in den letzten Monaten entlassen wurde. Vielleicht ist da einer dabei, der Sie zu gern durchgebraten sehen will.«
Kerschbaumer nickte brav, obwohl er das natürlich schon in der unruhigen Nacht überlegt hatte. Ihm war niemand in den Sinn gekommen. Die härteren Fälle, mit denen er zu tun gehabt hatte, saßen noch ein paar Jahre. Und jemand, der nur wegen eines minderen Vergehens verurteilt worden war, würde wohl kaum Brandstiftung riskieren, immerhin eine sogenannte Potenzialstraftat, die weit über Sachbeschädigung hinausging und schnell eine Anklage wegen versuchten Mordes nach sich zog.
»Bis dahin wird munter spekuliert von der Brut da unten.« Annig drückte die Zigarette in einem marmornen Aschenbecher aus und setzte sich an seinen Computer, die Finger flogen im schnellen Takt seines inzwischen nicht mehr ganz so ruhigen Pulses über die Tastatur. Der Streber beherrschte natürlich die Zehn-Finger-Schreibweise.
»Also, Ihr Kontostand …«
»Woher kennen Sie meinen Kontostand?«
»Na, bittesehr, so was ist doch heutzutage kein Problem mehr. Auch nicht für die Presse.«
Kerschbaumers Girokonto war just in diesen Tagen mit 23.000 Euro in den Miesen, denn er hatte sich ein neues Auto gekauft und statt einer üblichen Finanzierung wegen der niedrigen Zinsen sowie eines vom Autohaus zugesagten Nachlasses bei Sofortzahlung kurzerhand seinen Dispositionskredit ausgereizt. Es war das Auto, für das er sich jetzt neue Schlüssel würde besorgen müssen.
»Das wird die Presse lieben.«
»So ein Unsinn«, winkte Kerschbaumer ab, aber so ganz sicher war er sich da selbst auch nicht mehr.
»Ich schlage vor, dass wir Sie eine Zeitlang aus der Schusslinie nehmen.« Annig schoss ihm dabei einen Blick über den Bildschirm zu, der keine Widerrede zuließ.
»Wie meinen Sie das?«
»Nach dem Skandal um Krautwurm wollen wir negative Schlagzeilen um jeden Fall verhindern.«
Jetzt verstand Kerschbaumer. Tatsächlich war der gute Ruf der Wiener Polizei arg in Mitleidenschaft geraten, als bei internen Ermittlungen vor zwei Monaten ein faules Ei zutage gefördert wurde: Willibald Krautwurm, stellvertretender Chefarzt der Landespolizeidirektion, hatte sich günstige psychiatrische wie medizinische Gutachten mit oralen Gefälligkeiten bezahlen lassen, übrigens von beiderlei Geschlechtern. Die Presse hatte daraus eine Riesensache gemacht, was sie ja auch war –, bloß hieß es, dass die gesamte Landespolizeidirektion darin verstrickt gewesen sei, obwohl interne wie externe Untersuchungen und intensive Zeugenbefragungen nicht das Geringste belegten. Krautwurm hatte allein gehandelt, aber in den Zeitungen und den Rundfunknachrichten klang es, als hielte die Landespolizeidirektion regelmäßige Orgien römischen Ausmaßes ab. Annigs Kopf war zwar nicht gerollt, aber er saß auch nicht mehr ganz so fest auf dem Rumpf, wie ihm das lieb gewesen wäre.
Wieder flogen Annigs Hände über die Tastatur. »Sie haben noch fünfzehn Tage Resturlaub, macht bei geschickter Legung dreieinhalb Wochen. Bis dahin sollte sich die Lage beruhigt haben. Fahren Sie doch in Ihren Kurort, Bad Dingenskirchen …«
»Bad Kleinkirchheim.«
»Ja, genau.«
»Aber was ist mit den Automatensprengern?« Das war Kerschbaumers aktueller Fall, und er war schon weit gekommen. So hatte er das Fahrzeug identifizieren können, mit dem die Täter in Wien und Umland in den letzten Monaten elf Geldautomaten gesprengt hatten. Jetzt musste man nur darauf warten, dass das Fahrzeug – gestohlen und mit gefälschten Kennzeichen – bei einer Kontrolle oder in einem Überwachungsvideo auftauchte.
»Darum kümmert sich Moreno, Sie stehen doch ohnehin kurz vor der Lösung, nicht wahr?«
»So würde ich das nicht …«
»Soll sich der Kollege doch mal beweisen. Der schiebt mir sowieso eine allzu ruhige Kugel. Sie brauche ich dann frisch und einsatzbereit hier, wenn die Mordsaison wieder losgeht.«
Die Mordsaison, das war die Vorweihnachtszeit. Und in jenen Tagen, wenn die Welt in Harmonie, Bratapfelglasur und Zuckerwatte erstickte, gingen die Menschen einander tatsächlich häufiger an die Gurgel als irgendwann sonst im Jahr.
Stahlblauer Himmel, wie er sonst nur an Wintertagen vorkommt. Beinahe liegt eine vorwitzige Idee von Schnee in der Luft.
In Ottakring bricht der polizeibekannte Autodieb L. H., der seine besten Zeiten allerdings schon lange hinter sich hat, einen Lamborghini Aventador SV, Lackfarbe Arancio Atlas, auf und macht es sich auf dem Beifahrersitz gemütlich, wo er so lange schläft, bis ihn am nächsten Morgen der Besitzer findet und die Ordnungskräfte ruft, die auf der Wache einen Restalkoholgehalt von beachtlichen 1,7 Promille feststellen.
Die Fahrt von Wien nach Bad Kleinkirchheim war überraschend unrund verlaufen. Immer wieder hatte es sich gestaut, und als Kerschbaumer endlich auf der Landstraße hinauf nach Bad Kleinkirchheim war, forderte die Agrikultur in Form von breitarschigen Traktoren ihr Recht, deren Fahrer noch mit Handzeichen abbogen und von den kilometerlangen Blechlawinen, die sie hinter sich herzogen, gänzlich unbeeindruckt blieben. Wer, hatte Kerschbaumer gedacht, fährt nach den Sommerferien schon noch in die Berge? Doch der Städter unterschätzte die Zahl der Wanderer und Biker und Kletterer angesichts der Magie einer vorteilhaften Wettervorhersage.
Und dann war da ja auch noch das neue Auto. Was für ein Quatsch! Der Spurassistent machte ihn nervöser als ihm lieb war. Jedes Mal, wenn er den Mittelstreifen leicht überfuhr – was in den kurvigen Bergstraßen häufiger vorkam –, vibrierte das Lenkrad und wollte ihn zurück auf die Spur zwingen. Ein übermächtiges Wesen, das ihm auf die Finger schlug wie ein ungeliebter Mathelehrer, wenn er die Aufgaben nicht auf Anhieb lösen konnte. Kerschbaumer brauchte zwei Stunden und schließlich doch einen Stopp an einer Tankstelle, um den Knopf zu finden, der den Spurassistenten mundtot machte.
Danach wollte das neue Auto, offenbar von der Kastration beleidigt, gleich mal zeigen, was es sonst noch so draufhatte, und blies mit voller Kraft arktische Kälte aus den Klimadüsen. Nach einer kleinen Korrektur emittierten die Öffnungen sogleich glutheiße Luft, die direkt aus der Sahara unter der Mittagssonne zu kommen schien. Entnervt schaltete Kerschbaumer die Klimaautomatik ab. Und er träumte sich in seinen Golf II von früher zurück, einen Turbodiesel, bei dem noch ordentlich geschaltet werden durfte und die Klimaanlage aus Fenstern bestand, die gekurbelt wurden.
Das Hotel, das er bei seinen letzten beiden Abenteuern bewohnt hatte, war wegen Generalüberholung leider bis zum Winter geschlossen, also hatte er ein Apartment im etwas erhöht am Hang gelegenen Wasserschlossweg gemietet, mit hübschem Blick auf den Ortskern und die Waldschneisen von Sankt Oswald, in denen sich bald wieder Skifahrer und Snowboarder die Pisten hinabstürzen würden. Doch der Schnee war noch eine ferne Zukunft, denn die Sonne gab ihr Bestes, gegen den Herbst anzustrahlen, und die Schäfchenwolken standen so putzig am Himmel, als hätte der berüchtigte Bad Kleinkirchheimer Heimatmaler Godehard Wunderbar, der vor nicht allzu langer Zeit schon einmal das Talent bewiesen hatte, in einem Kriminalfall eine Rolle zu spielen, sie höchstpersönlich gemalt.
Das Apartment, als vollausgestattet angepriesen, besaß zwar eine Filtermaschine, aber Kerschbaumer brauchte zuerst dringend einen Cappuccino, also spazierte er auf dem Wanderweg namens Talrunde bis zur Nockalmbahn und bog dort nach links in Richtung Dorfstraße ab, und schon betrat er die Greisslerei, den ihm so wohlvertrauten und geliebten Ort des guten italienischen Kaffees und der köstlich blättrigen Croissants. Doch die Säulen seines Wohlfühltempels gerieten sogleich ins Wanken, denn dort bezahlte gerade ein Mann, den er am wenigsten erwartet und gewünscht hätte: Hartmut Trevisol, seines Zeichens Chefinspektor vor Ort und alter unfreiwilliger Bekannter. Er hatte sich über Kerschbaumers Diensthilfe bei seinem letzten Aufenthalt in Bad Kleinkirchheim nicht gerade begeistert gezeigt, zumal es mit diesem internationalen Gangsterauftrieb allzu dramatisch zugegangen war und er, Trevisol, auch noch auf eine ganz falsche Spur gesetzt hatte. Umso überraschender begegnete Kerschbaumer jetzt eine geradezu erfreute Visage.
»Menschenskind, Kerschbaumer, Sie schon wieder! Dumme Sache mit Ihrer Wohnung«, rief er ihm entgegen. Das Tratschtantentum war in der Polizei länderübergreifend verbreitet. Ein Mangel an Mitleid sowieso. Das erklärte auch die heitere Begrüßung. »Weiß man denn schon, wer Ihnen das Bett unterm Hintern angezündet hat?«
»Es war sicher nur ein technischer Defekt«, winkte Kerschbaumer ab. Die übrigen Gäste spitzten die Ohren.
»Soso, auf Heimwerker gemacht und die Drähte falsch verknotet, ha?«, bellte Trevisol in feixendem Kärntnerisch in sein Publikum. Sein Humor war gewöhnungsbedürftig, aber Kerschbaumer hatte ja zwei Ermittlungen Zeit gehabt und reagierte mit einem schwachen Lächeln.
»Und nicht, dass hier wieder ein Mord passiert«, tadelte Trevisol den Neuankömmling noch, bevor er das Café verließ. »Sie scheinen das ja irgendwie anzuziehen.«
* * *
Die Einkäufe waren erledigt und im Kühlschrank verstaut, das Internet-Passwort – so lang und verwirrend erstellt, dass auf diese Weise jedes Atom in diesem Universum einen individuellen Breitbandzugang bekommen würde – klappte gleich beim ersten Mal. Der Triumph des modernen Menschen! So mussten sich die Höhlenbewohner gefühlt haben, wenn sie mit der Hilfe von zwei Ästen und trockenen Blättern ein Feuer entfacht hatten.
Kerschbaumer trat mit einem noch etwas warmen Bier auf den Balkon. Die letzten glutroten Sonnenstrahlen strichen über die Häuserdächer, der Skihang von Sankt Oswald lag schon ganz im Schatten.
Jetzt war er also da. Schön.
Und was sollte er mit den drei Wochen anfangen, die sich vor ihm ausbreiteten?
Keine Frage, als Erstes brauchte er einen geregelten Tagesablauf mit ausreichend Sport.
Und außerdem brauchte er ein Projekt.
Vor allem, weil sich Hilde Hofgärtner nicht gemeldet hatte. Drei Mal hatte er die Bad Kleinkirchheimer Kollegin mit dem Pferdeschwanz und der Porzellanhaut vor seiner Ankunft hier anzurufen versucht, doch es hatte einfach nur durchgeklingelt. Wie jeder vernünftige Mensch hatte sie ihre Mailbox ausgeschaltet, das wenigstens musste er ihr lassen, wenn es für ihn auch ungelegen kam. Aber öfter als drei Mal konnte er es auch nicht versuchen, sonst wäre es ja schon fast Stalking. Er machte sich gewisse Hoffnungen, denn erst vor wenigen Wochen, nach dem aufregenden letzten Fall, hatten die beiden sich mit einem Kuss verabschiedet, sogar einem richtigen, echten. Doch die Hoffnungen waren mit jedem unbeantworteten Anruf geschrumpft wie ein Herbstapfel.
Also brauchte er, jetzt erst recht, ein Projekt.
Hätte Gott gewollt, dass der Mensch joggt, hätte er ihn nicht den Verbrennungsmotor erfinden lassen. Kerschbaumer empfand das Joggen als schlimmstmögliche und würdeloseste aller Sportarten. Das heisere Keuchen, das unangenehm aufdringliche Durchschwitzen sämtlicher Kleidungsstücke und die ostentativ zur Schau gestellte Leistungsbereitschaft im öffentlichen Raum – das war einfach ohne jeden Anstand. Und vor allem erinnerte er sich an Boris Becker, mit dessen Tennisglorie er aufgewachsen war: »Fürs Laufen bin ich einfach zu schwer.«
Das Joggen fiel also schon mal weg. Auch wenn alle von Kerschbaumers Freunden plötzlich für den nächsten Wiener Marathon trainierten, beschloss der physisch tatsächlich ausgebrannte, aber auch mental etwas angekokelte Chefinspektor, seine Mittvierziger-Midlife-Crisis anders zu bewältigen. Denn wozu gab es Werners Ruckizucki Fit in Radenthein?