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Wer eine Italienerin heiratet, bekommt die Großfamilie gleich mit dazu. Nie auf den AC Mailand schimpfen. Die ›Gazzetta dello Sport‹ erst dem Schwiegervater und dann den beiden Schwägern überlassen, sonst gibt es Ärger. Beim Angeln immer nach der Küstenwache Ausschau halten. Kein zweites Bier bestellen, das macht einen unguten Eindruck. Den Teller leeren, auch wenn das Essen noch lebt. Das Leben mitten in einer italienischen Familie kann ganz schön anstrengend sein, und Stefan Maiwald muss es wissen: Seit sechs Jahren ist er mit Laura verheiratet – und mit dem Rest der Familie.
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Seitenzahl: 173
Stefan Maiwald
Laura, Leo, Luca und ich
Wie man in einer italienischen Familie überlebt
Deutscher Taschenbuch Verlag
Originalausgabe 2007© Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, MünchenDas Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlags zulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.Rechtlicher Hinweis §44 UrhG: Wir behalten uns eine Nutzung der von uns veröffentlichten Werke für Text und Data Mining im Sinne von §44 UrhG ausdrücklich vor.
Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH,
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eBook ISBN 978-3-423-41119-6 (epub)ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-20960-1Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Bücher finden Sie auf unserer Website www.dtv.de/ebooks
Vorwort
Deutschland gegen Italien
Meine Arbeit bei dem Interview -Magazin
Der Blonde am Tisch
Hätte Gott gewollt, dass der Mensch fliegt, hätte er ihm Flügel gegeben
Italienische Namen klingen wie ein Versprechen
Die Zwei
Lernen mit Laura: Verlieren
Minnie loves Milan
Die Cappuccino-Jahre
Handle wie eine Frau!
Runter komme ich immer
Manchmal wäre ich ungern Fußgänger
Die Hochzeit zu Arezzano
Meine Ordnungspolitik
Jetzt hieß es Ja sagen
Die Führerscheinprüfung
Mein Jagdrevier
Stefans Kochstudio
Laura wird berühmt
Fahr doch schon mal vor, Schatz
Mein Freund, der Braun
Lernen mit Laura: Schlangestehen
Ihr ständiger Begleiter: Ich bin’s nicht
Für Besseresser
Beim Charmeurcoiffeur
Wer ein Auto kauft, sollte eine Schwiegermutter dabeihaben. Am besten meine
Stapelweise Urlaubsglück
Colazione, einsam
Ohne Laura wäre ich ein Paria
Warten wir, bis es dunkel wird
Die rosa Kriege
Sieger sehen anders aus
Lob des Handwerks
Die Ciao-Problematik
Dienstag, der 17.
Aus den Händen lesen
Reisen ist eine Religionsfrage
Das Leben ist ein Spiel
Die Gang der Gelben Sonnenschirme
Mit Luca um die Häuser
Fortsetzung folgt
Um es kurz zu machen: 18 Gründe, Italien zu lieben
|5|Für Laura, natürlich
Dies ist kein Roman. Es ist auch keine wohlfeil durchstrukturierte Erzählung. Dieses Buch ist wie mein Leben in Italien selbst, work in progress: Ich schildere meine Eindrücke und Erlebnisse auf dem Planeten südlich der Alpen. Einigen wir uns also literaturtheoretisch auf den Begriff Tagebuch. Seit 1996 bin ich mit einer Italienerin zusammen (und zwar seit dem 30.Juni 1996 – wer wissen will, warum ich das als Mann so genau weiß, blättere auf Seite 22), seit 2002 bin ich mit ihr verheiratet, und seitdem lebe ich mehr in Italien als in Deutschland; vorher führten wir eine Wochenendbeziehung, was schon aus logistischen Gründen ziemlich anstrengend war. Wer die einschlägigen Autobahnen und Alpenpässe kennt, wird mein Wehklagen nachvollziehen können.
Wer eine Italienerin heiratet, heiratet praktisch immer gleich eine Familie mit. Der Übersicht halber daher ein Verzeichnis der wichtigsten Personen.
Laura
meine Frau
Leo
mein älterer Schwager
Luca
mein jüngerer Schwager
Minnie
meine Schwiegermutter
Pepe
mein Schwiegervater
Lilli
(eigentlich Elisabetta) meine Tochter, zum Zeitpunkt des Niederschreibens 3,2Jahre alt
Trixi
(eigentlich Beatrice) meine Tochter, zum Zeitpunkt des Niederschreibens 0,4Jahre alt. Wir sind noch auf der Suche nach einem besseren Diminutiv.
Claudia
Leos Verlobte. Die Hochzeit steht bald an. Wieder werde ich zwei Kilo zunehmen.
Marina
Lauras beste Freundin. Wenn Sie jetzt anfangen, Marina, Marina, Marina zu summen, dann geht es Ihnen wie 99Prozent aller Menschen, denen Marina ihren Namen nennt. Arme Marina.
Marta
Lauras Cousine und auch beste Freundin
Paolo
Ehemann von Lauras Cousine
Mario
der Harpunenmann
Momi
der Bagnino
Es versteht sich von selbst, dass alle Personen im gleichen Ort wohnen und deswegen, wie in einem modernen Theaterstück, ständig auftreten oder zumindest irgendwo am Rand der Bühne herumlungern. In meinem Fall heißt die Bühne Grado, eine Laguneninsel mit etwas weniger als 10000Einwohnern zwischen Venedig und Triest. Ein aufgeschütteter Damm verbindet |11|sie mit dem Festland, und so hübsch Grado mit der Altstadt und den romanischen Kirchen ist (im 6.Jahrhundert residierte hier sogar ein Bischof), präsentiert sich der Ort alles andere als unverfälscht: Schon im 19.Jahrhundert kurierten reiche Wiener Familien hier ihre Zipperlein aus, und auch heute noch ist der Tourismus neben dem Fischfang die Haupteinnahmequelle. Nicht zuletzt die Insellage sorgt jedoch für eine erstaunliche Resistenz der Insulaner gegen jegliche Vereinnahmung aus dem Norden, wie sich Italien ja überhaupt in Zeiten der Globalisierung seine Eigenheiten partout nicht nehmen lassen will. Gut für mich – hätte ich eine Österreicherin oder eine Dänin geheiratet, wäre dieses Tagebuch sehr, sehr schmal geworden.
Sollten Sie mal nach Grado kommen, ist es gut möglich, dass wir uns sehen. Ich bin der Typ, der im Restaurant »Santa Lucia« in der Ecke sitzt und verzweifelt versucht, einen Fisch perfekt zu filetieren, bis Franco, der Wirt, die Hände über dem Kopf zusammenschlägt und mir unter einem Stoßseufzer das Besteck entreißt, um dem Fisch ein würdevolles Ende zu bereiten.
Die Menschen schauen immer so romantisch, wenn ich erzähle, wie ich Laura kennen lernte, deswegen versuche ich es zur Abwechslung mal auf die unromantische Tour, und diese B-Seite der Geschichte kann eigentlich nur mit Lucy Schrödelmann anfangen. Lucy Schrödelmann war ein schrecklicher 80-jähriger Drachen, den ich täglich im Rollstuhl zum Einkaufen in den Supermarkt fuhr. Nein, sie hatte nicht den Liebreiz ältlicher Damen, welchen man in Vorabendserien bestaunt. Sie war böse, beschimpfte die Kassiererinnen (einmal zum Beispiel deswegen, weil die Metzgereifachgehilfin an der Fleischtheke kein Papier zwischen die einzelnen Salamischeiben legte) und beschuldigte mich allerlei Übeltaten, von der falschen Abrechnung bis zum angeblich absichtlich ruckartigen Schieben des Rollstuhls um Kurven – und all das in einer Lautstärke, die den gesamten Supermarkt an ihren Vorwürfen teilhaben ließ und meinem Gesicht die Farbe einer gut gereiften Tomate verpasste. Alter, finde ich seit damals, ist, ebenso wenig wie die Jugend, eine Entschuldigung für schlechtes Benehmen.
|13|Abgesehen von Lucy Schrödelmann aber war die Zivildienstzeit ein Traum. Ich war 19, stand voll im Saft, lebte daheim und hatte jeden Monat den im Jahr 1992 durchaus noch fabelhaften Betrag von 900Mark auf dem Konto. Die Miete war mit zweimal Rasenmähen monatlich abgegolten, und ab und zu holte ich meinem Vater Bier aus dem Keller, um mein tägliches, wenn auch oft verspätetes und zerknittertes Erscheinen am Esstisch zu entschuldigen.
Es war nämlich so: Meine Freunde machten zur gleichen Zeit Zivildienst. Sie hatten ebenfalls 900Mark auf dem Konto und ebenfalls zu viel Zeit. Wir trafen uns jeden Abend in unserer Kneipe, deren Name »Zapfhahn« unverblümt klar machte, worum es hier ging, und legten eine erstaunliche Kreativität beim immer neuen Erfinden von Trinkspielen an den Tag. Eines davon hatte zum Beispiel die Folge, dass ich bis heute keinen Bananensaft mehr sehen kann – die Einzelheiten möchte ich den sensiblen Lesern allerdings ersparen. Wir dürften jedenfalls maßgeblich zur Abrodung einiger saftiger Agaven in der mexikanischen Provinz Tequila gesorgt haben, und mehr als einmal hing mir der Magen aus dem Gesicht wie eine umgestülpte Socke.1Auch Tequila trinke ich übrigens nicht mehr. Ich kann ihn nicht einmal mehr riechen. Um ehrlich zu sein: Mir wird schon schlecht, wenn ich einen Sombrero sehe.
|14|Tägliches Trinken im Wettspielformat kann für ein paar Tage ein äußerst angenehmer Zeitvertreib sein. Aber auf Wochen hinaus wird es doch etwas problematisch. Und nach ein paar Monaten kannte ich nur zwei Zustände: betrunken oder verkatert. Der Tiefpunkt war wohl erreicht, als ich den Geburtstag meiner Mutter vergaß. Kein Wunder: Zu der Zeit konnte ich im »Zapfhahn«, wenn ich mich beispielsweise um eine Frau bemühte (eine Spezies, die allerdings extrem selten in dieses verrauchte Etablissement kam), gerade noch meinen eigenen Namen sagen. Und selbst den nur gelallt.
Also musste ich die Kurve kriegen und mich abends irgendwie beschäftigen, bevor ich in ein paar Jahren zu Anonyme-Alkoholiker-Meetings in grell ausgeleuchteten Gemeindesälen gehen müsste. Ich trug mich in einen Volkshochschulkurs ein und lernte bei Isabella Pototschnig-Deutsch, die wirklich so hieß, zwei Abende pro Woche Italienisch. Das führte erstens dazu, dass sich meine Leberwerte wieder halbwegs normalisierten, und zweitens konnte ich, als ich ein paar Jahre später mit diesem sehr dunkelhaarigen Wesen namens Laura sprach, sogar meinen Namen sagen und ein bisschen italienisches Beiwerk dazu. Ungelallt. Das hatte wohl einen gewissen Effekt. Und führte dazu, dass ich bald an einer italienischen Hochzeitstafel mit den 250 engsten Freunden der Familie saß.
Okay, wirklich eine ziemlich unromantische Variante. Hier kommt also die romantische – die eigentliche – Geschichte. Legen Sie die Taschentücher bereit und |15|schnallen Sie die Sitzgurte an.2 Ich war 16Jahre alt und fuhr mit meinen Eltern nach Italien, und zwar auf eine kleine Insel in der Adria namens Grado. Alles sehr hübsch, und am letzten Abend sprach mich ein Mädchen an. (Sagt nicht die moderne Biologie, dass sich das Weibchen stets das Männchen raussucht – aber das Männchen in dem Glauben lässt, jenes selbst hätte autonom die Wahl getroffen?) Mit Haar, so schwarz, dass es bläulich schimmerte, braunen Augen und tiefbrauner Haut setzte die Italienerin sich zu mir und fragte, wer ich denn so sei und was ich denn hier so mache. Ich schaute gerade einem Tennismatch zu (damals war Tennis schwer angesagt, und der Eintritt war frei). Es stellte sich heraus, dass es ihr Bruder war, der spielte. Wir tauschten Namen aus, und sie sagte, da gäbe es einen Club namens – Verheißung! – »La Manna«, dort könne man sich ja später treffen. Ich war elektrisiert, und das meine ich wortwörtlich. Ich glaubte, meine Haarspitzen würden knistern. Vielleicht sollte ich, ohne auf peinliche Einzelheiten näher einzugehen, in der gebotenen Beiläufigkeit erwähnen, dass ich sehr spät in die Pubertät gekommen war und lange äußerst glücklos auf dem Frauensektor agierte. Da kam so ein Date doch sehr überraschend.
Ach, und dann gab es das volle Programm, man sah sich in dem Club, der auch noch direkt am Strand lag, man ging Hand in Hand im Mondschein spazieren, |16|während die Wellen die Knöchel umspülten, der Mond glänzte natürlich silbern auf der tiefschwarzen Wasseroberfläche, wir scherzten radebrechend über die Sternzeichen am Himmel. Und jetzt kommt das dicke Ende: Es passierte nichts. Gar nichts! Was, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, weiß Gott nicht an meinen Bestrebungen lag. Zum Schluss gab es einen trockenen Abschiedskuss und, welch schwacher Trost, Adressaustausch.
Am nächsten Tag ging es von der Insel Grado 1200Kilometer zurück nach Braunschweig. Ich habe gewisse romantische Gene in mir und bezeichnete mich vor mir selbst als verliebt, und Laura und ich traten in einen intensiven Briefkontakt. E-Mails gab es noch nicht beziehungsweise allenfalls zur militärischen Nutzung für die CIA.Dieser Briefkontakt hielt gute drei Jahre, und ich hatte vielleicht sogar Laura im Hinterkopf, als ich den Italienischkurs belegte. Doch dann zog ich von Braunschweig nach Hamburg, die Entfernung zu Laura nahm noch einmal um 200Kilometer zu, und ich genoss das Single-Dasein als schäbiger Politologie-Student. Der Kontakt riss ab. Herrje, was konnte man auch von einer Urlaubsbekanntschaft erwarten?
Außerdem holte ich in Hamburg alles nach, was mir in meiner späten Teen-Ära verwehrt geblieben war – der kluge und mittlerweile sehr maßvolle und nachgerade gezielte Einsatz von Alkohol bei mir wie bei der jeweiligen Partnerin wird dabei fraglos geholfen haben. Diese Flegeljahre wurden unterstützt von meiner Rumtreiberei in traditionell promisker Szene: Ich lungerte |17|auf Ausstellungen, Vernissagen und Lesungen rum, schloss Freundschaft mit ein paar Künstlern und genoss sehr bald ein aufregendes Leben, das von allerlei seltsamen weiblichen Wesen bevölkert wurde. Ich war nicht gerade ein Casanova, aber ich tat mein Bestes.
Natürlich war ich (bitte an dieser Stelle seufzen) im Kern noch ein zutiefst verunsicherter junger Mann. Die, die ich haben wollte, bekam ich nicht. Ich war eher der Mann für die nicht ganz so gut aussehende beste Freundin, aber da es in Hamburg eine Menge reizender Wesen gab, war auch die nicht ganz so gut aussehende Freundin oft noch recht passabel. Doch bald spürte ich (bitte an dieser Stelle ein zweites Mal seufzen, dann aber nie mehr) eine gewisse Leere, denn nur Sex machte komischerweise auch nicht glücklich. Apropos Sex: Ich schrieb nebenbei ein paar Geschichten für diese und jene Zeitschrift, saß plötzlich in der Redaktion der Zeitschrift ›Tempo‹ und bekam von dort ein Angebot vom, jawohl, ›Playboy‹. Ich überlegte kurz (etwa eine halbe Sekunde lang), dann sagte ich zu und zog im Sommer 1995 nach München.
Exkurs: Meine journalistische Karriere verlief ziemlich unglücklich. Vor allem für die Zeitschriften, die mich fest engagierten. Hier eine vollständige Auflistung meiner Stationen:
1992–1993: fester Autor ›Braunschweiger Stadtzeitung‹. 1993 wurde das Blatt eingestellt.
1993–1994: fester Autor ›Tempo‹. 1996 eingestellt.
|18|1995–2000: Redakteur ›Playboy‹. 2003Lizenzverlust; vom Burda-Verlag gekauft.
2000–2002: Textchef und Chefredakteur ›Globo‹. 2002 eingestellt.
Dann beschloss ich, es wäre für alle Beteiligten besser, wenn ich fortan nur noch als freier Autor arbeitete.
Ein Dreivierteljahr später war es Zeit, meinen ersten Urlaub zu nehmen. Nachdem ja alle Münchner mir vorschwärmten, wie nahe man an Italien sei, beschloss ich, Pfingsten dort zu verbringen. Aber wo? Ich erinnerte mich an diese bezaubernde kleine Insel und fuhr hin. Ich verbrachte fünf angenehme Tage mit Lesen, Pastaessen und sinnlos starke Espressi zu später Stunde trinken – eben all das, was man als Deutscher in Italien so macht. An meinem letzten Abend bummelte ich wieder einmal durch die Altstadt; meine letzte Runde Italien, bevor mich die ›Playboy‹-Redaktion wiederhaben würde, etwas brauner gebrannt und etwas fülliger um die Hüften, also ein bisschen schmierlappiger, was ja ganz gut zum Blatt passte. Dann hörte ich von irgendwoher meinen Namen. Konnte ja schlecht sein, also ging ich, nachdem ich mich verstohlen umgeblickt hatte, weiter. Ein paar Minuten später hörte ich wieder meinen Namen. Diesmal war es kaum zu leugnen, dass ich gemeint war, denn die Stimme war höchstens ein paar Meter hinter mir, also drehte ich mich um. Und da stand: Laura. Zufällig. Nach acht Jahren. Umwerfend sah sie aus, mit jetzt längerem, |19|immer noch blauschwarzem Haar. Sie hatte mich zufällig gesehen, wollte mich aber nicht ansprechen, es war ja schon sehr lange her, doch zufällig hatte sie eine alte Freundin dabei, die weniger vertrackt dachte als sie und sie immer wieder mit dem Ellbogen in die Seite stieß.
Tja. Wir gingen auf den Schreck erst mal einen caffè trinken, das heißt, ich glaube, ich bestellte mir ein Bier. Sie setzte sich neben mich, wir unterhielten uns wie damals auf Englisch, nachdem mein Isabella-Pototschnig-Deutsch-Italienisch schnell verpulvert war. Immerhin war ihr Englisch besser geworden, sie hatte ein halbes Jahr lang als Au-pair in Philadelphia gearbeitet. So gut war es aber auch nicht, denn es war natürlich eine italienische Familie gewesen, bei der sie die Kinder hütete. Doch es reichte, um mich zu verzaubern. Ich verliebte mich auf der Stelle in sie. Und sagte ihr, im Sommer würde ich wiederkommen und dabei meinen gesamten Jahresurlaub aufbrauchen. Das mit dem Jahresurlaub ließ ich weg, weil ich unsicher war, was das auf Englisch heißt: year’s holiday wohl kaum, all my holiday days for the whole year klang auch komisch.3
Wieder einmal verabschiedeten wir uns ohne Kuss, immerhin aber mit einer ungelenken (meinerseits) Umarmung. Gibt es etwas Peinlicheres, als Begrüßungs- |20|oder Abschiedsrituale zu vermasseln? Etwa einem Menschen die Hand zu schütteln, der das partout nicht will? Jemanden zu duzen, der gesiezt werden will? Beim flüchtigen Begrüßungskuss die falsche Wange hinzuhalten? Ich bin ein Experte für so was. Ich könnte ein Internet-Forum darüber einrichten: Schicken Sie mir Ihre Erfahrungsberichte unter www. abschieds-und-begruessungsrituale-vermasseln. de.
Von Pfingsten bis zu meinem Sommerurlaub waren es noch ein paar Wochen, also schrieb ich feurige englische Briefe, in denen ich ihr zwar nicht meine Liebe gestand, aber doch immerhin Winke mit Zaunpfählen in jede Zeile packte, etwa von der Art, dass ich mich sehr, sehr, sehr auf das baldige Wiedersehen freute. Sie schrieb, wie ich fand, durchaus unterkühlter zurück, aber das konnte mich auch nicht mehr bremsen. Eigentlich hatte ich mit meinen alten Schulfreunden Christoph, Timo, Thomas und Frank (die dieses Buch nur kaufen wollen, wenn ich ihre Namen erwähne) einen Dosenbier-Urlaub in Südfrankreich geplant. Doch ich sagte ihnen, Jungs, ich hab was Besseres zu tun, und brach am 29.Juni gen Süden auf. Gleich am ersten Abend wollten wir uns treffen. Ich verbrachte sehr viel Zeit im Bad und achtete penibel auf meine Unterwäsche.
Am Abend verabredeten wir uns in einer Bar. Ich war natürlich zu früh dran und hatte schon in einer anderen Bar zwei Bier getrunken. Dann kam sie. Aber sie war nicht allein. Sie tauchte unfassbarerweise mit zwei Typen auf, die nicht unbedingt so aussahen, als würden sie freiwillig die erste Runde übernehmen. Um |21|genau zu sein, sahen sie aus, als hätten sie nichts dagegen, mir das Glas über den Schädel zu hauen. Oder war es nur meine Unsicherheit, die mir das vorgaukelte? Sie stellte die beiden Kerle als ihre Brüder vor, und ich war mir zunächst nicht sicher, ob das eine gute oder eine schlechte Nachricht war. Jedenfalls schnatterten die drei in trauter familiärer Runde munter vor sich hin, mehrere Stunden lang, während ich mich ums Verstehen bemühte und immer mehr Bier bestellen musste, um irgendwas zu haben, woran ich mich klammern konnte. Laura, und das war das Schockierende, blickte mich den ganzen Abend nicht ein einziges Mal an. Ich dachte: Prima, das war’s jetzt wohl. Zwei Wochen werde ich allein hier herumhängen, weil ich irgendwelche Zeichen falsch gedeutet habe. Meine Freunde werden mich auslachen. Und ich werde zu viel trinken. Gut, mit Letzterem würde ich umgehen können.
Lauras Brüder Leo und Luca versicherten mir später, ihre Anwesenheit sei wirklich reiner Zufall gewesen, man sei ja eine aufgeklärte norditalienische Familie, es sei eben nur so gewesen, dass man schon Wochen zuvor beschlossen hatte, den Abend zusammen zu verbringen. Ich nehme ihnen das bis heute nicht so recht ab, auch wenn sie hartnäckig bei ihrer Version bleiben. Immerhin hatte ich es auch schon mal schlimmer getroffen. Einmal führte ich in Antibes eine Französin aus. Ich holte sie daheim ab, und ihr Vater ließ sich nicht nur meinen Personalausweis zeigen, sondern er schrieb ihn ab, Wort für Wort, Ziffer für Ziffer.
|22|Es muss schon ein paar Stunden nach Mitternacht gewesen sein, als wir uns schließlich verabschiedeten. Da schaute mich Laura tatsächlich an. Also fragte ich sie: »Was machst du morgen Abend?« Und sie sagte: »Da können wir uns wieder treffen.« Na, immerhin. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Am nächsten Tag aber war das Europameisterschaftsfinale zwischen Deutschland und Tschechien. (Alte Regel unter europäischen Autoren, die nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurden: Wenn keine erklärende Sportart genannt wird, geht es um Fußball.) Also sah ich zunächst im Hotel das Endspiel und das Golden Goal von Oliver Bierhoff, dann traf ich mich mit Laura. Sie kam allein. Wir setzten uns in den kleinen Garten einer Enoteca und küssten uns zum ersten Mal. Zum ersten Mal nach acht Jahren des Kennens, was möglicherweise nicht gerade für mich sprach. Es war der 30.Juni 1996, und es war, mit dem dramatischen Fußballspiel und dem Kuss, einer dieser Tage, die, gäbe es einen Täglich-grüßt-das-Murmeltier-Tag zum Aussuchen, ganz schön weit oben auf der Liste stehen würden.
Das Wort ›Playboy‹ aus dem ersten Kapitel hat Sie neugierig gemacht, oder? Keine Sorge, ich kenne das gut. Ich erzähle Ihnen also einfach mal kurz, wie es beim ›Playboy‹ so war. Die, die nur Italien wollen, blättern eben schnell weiter. Wobei ich durchaus die Kurve vom ›Playboy‹ zu Laura kriege, denn versuchen Sie mal, einer katholischen Großfamilie von Ihrer täglichen Arbeit bei einem Blatt zu erzählen, das sich im Wesentlichen über die Zahlen 90–60–90 definiert.
Als ich bei ›Playboy‹ zusagte (sie hatten eine Reportage über Dorffußball von mir gelesen), ließ ich mich von der verführerischen Möglichkeit blenden, allerlei interessante Reportagen und Interviews machen zu dürfen, und so war es denn auch: Ich schrieb eine Geschichte über Kunstfälscher, eine Geschichte über Windhunderennen in England, eine Geschichte über die herrlichsten Verschwörungstheorien, interviewte die eine oder andere leidlich bekannte Person, beispielsweise Mario Basler, Meat Loaf und Margarethe |24|Schreinemakers, welche ja damals größer als das Leben selbst schien. Täglich flatterten Einladungen zu interessanten »Events« (das Wort »Veranstaltung« war schon vor einiger Zeit abgeschafft worden) ins Haus, meine beginnende Golf-Leidenschaft eröffnete, gepaart mit der schicken ›Playboy‹-Visitenkarte mit eingestanztem Häschen (Terminus technicus: »Bunny«), mir eine neue Welt.1 Nebenbei: Die neuen Visitenkarten des Burda-›Playboy‹ verfügen über keinerlei Reliefdruck. Sehr schade.