Der Killer - Richard Laymon - E-Book

Der Killer E-Book

Richard Laymon

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Beschreibung

Genieße deinen letzten Atemzug

Als die Journalistin Lacey eines Abends in einem kleinen Supermarkt einkaufen will, findet sie sich in einem Albtraum wieder. Schwer verletzt kann sie einem unheimlichen Killer entkommen. Doch dies ist erst der Anfang. Auf ihrer verzweifelten Flucht kommt Lacey einer Kultgemeinschaft auf die Spur, die verbotene Riten abhält. Um die Entfesselung unvorstellbaren Grauens zu verhindern, muss die junge Frau alle Grenzen hinter sich lassen.

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Seitenzahl: 338

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Zum Buch

Eines Nachts macht die Journalistin Lacey in einem Supermarkt eine schreckliche Entdeckung. Sie findet die Besitzerin des Ladens grausam verstümmelt in ihrem eigenen Blut. Und da ist noch etwas anderes, jemand anderes …

Du kannst ihn nicht sehen … Er ist hinter dir her … Er wird dich bekommen … Ganz egal, was du machst … Ganz egal, wo du bist … Du hörst seinen Atem … Du spürst seine Präsenz … Flieh, solange du noch kannst …

Für Lacey beginnt die Hölle auf Erden …

Mit einem ausführlichen Verzeichnis aller im Wilhelm Heyne Verlag erschienenen Werke von Richard Laymon.

Zum Autor

Richard Laymon wurde 1947 in Chicago geboren und studierte in Kalifornien englische Literatur. Er arbeitete als Lehrer, Bibliothekar und Zeitschriftenredakteur, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete und zu einem der bestverkauften Spannungsautoren aller Zeiten wurde. 2001 gestorben, gilt Laymon heute in den USA und Großbritannien als Horror-Kultautor, der von Schriftstellerkollegen wie Stephen King und Dean Koontz hoch geschätzt wird.

Besuchen Sie auch die offizielle Website über Richard Laymon unter www.rlk.stevegerlach.com

RICHARD LAYMON

DER KILLER

Roman

Aus dem Amerikanischenvon Marcel Häußler

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Die Originalausgabe

BEWARE

erschien bei Leisure Books, New York.

Das komplette Hardcore-Programm, den monatlichen Newsletter sowie unser halbjährlich erscheinendes CORE-Magazin mit Themen rund um das Hardcore-Universum finden Sie unter www.heyne-hardcore.de

Weitere News unter www.facebook.com/heyne.hardcore

Vollständige deutsche Erstausgabe 04/2015

Copyright © 1985 by Richard Laymon

Copyright © 2015 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Published in arrangement with Lennart Sane Agency AB

Redaktion: Catherine Beck

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich,unter Verwendung eines Fotos von © Dave Wall / Arcangel Images

Satz: Schaber Datentechnik, Wels

ISBN: 978-3-641-14387-9

www.heyne-hardcore.de

Wärst du gewesen aus Lumpen und Holz,

ausgestopft hätte ich dich und verbrannt.

Doch du warst lebendig, aus Fleisch und Blut,

mit Armen, die kein Ende nahmen,

das Herz aus Stein, die Augen voller Glut.

aus The Bogeymanvon R. S. STEWART

1

In der Nacht, in der alles begann, verließen Frank und Joan Bessler die drückende Hitze ihres Hauses und gingen vier Straßen weiter zu Hoffmans Supermarkt. Frank wollte ein Sixpack.

»Sieht geschlossen aus«, sagte Joan.

»Kann nicht sein.« Frank sah auf die Uhr. »Es ist Viertel nach neun.«

»Warum ist dann das Licht aus?«

»Vielleicht will sie Strom sparen.« Er hoffte, dass er recht hatte, auch wenn er selbst nicht daran glaubte. Solange er sich erinnern konnte – und er hatte seine gesamten neunundzwanzig Lebensjahre in Oasis verbracht –, war der Supermarkt immer bis zum Ladenschluss hell erleuchtet gewesen.

Er hatte bis zehn Uhr geöffnet, um dem Safeway, der um neun schloss, ein paar Kunden abzujagen. Als Elsie Hoffmans Mann vor drei Jahren gestorben war, hatte es Gerüchte gegeben, dass sie den Laden verkaufen oder zumindest früher schließen würde. Doch sie hatte den kleinen Supermarkt behalten und die Öffnungszeiten nicht geändert.

»Ich glaube, es ist geschlossen«, sagte Joan, als sie vor dem leeren Parkplatz stehen blieben.

Das Ladenschild war dunkel. Im Fenster sah man nur den schwachen Schein der Glühbirne, die Elsie immer über Nacht brennen ließ.

»Nicht zu fassen«, murmelte Frank.

»Sie muss einen guten Grund gehabt haben.«

»Vielleicht hat sie die Zeiten geändert.«

Joan wartete auf dem Bürgersteig, während Frank an die Holztür trat. Er bückte sich und sah auf das Schild an der Scheibe. Zu dunkel, um die Öffnungszeiten zu lesen.

Er versuchte, den Türknauf zu drehen.

Abgeschlossen.

Er spähte durch das Fenster und sah niemanden. »Verdammt.« Er klopfte an die Scheibe. Das konnte nicht schaden. Vielleicht war Elsie irgendwo hinten, wo man sie nicht sehen konnte.

»Komm schon, Frank. Sie hat geschlossen.«

»Ich habe Durst.« Er hämmerte fester gegen die Scheibe.

»Wir können zum Golden Oasis gehen. Eine Margarita wäre mir sowieso lieber.«

»Na gut, okay.«

Er warf einen letzten Blick in den schwach beleuchteten Laden, dann wandte er sich ab. Hinter ihm knallte etwas so heftig gegen die Tür, dass sie im Rahmen wackelte.

Frank zuckte zusammen. Er wirbelte herum und starrte auf die Tür mit den vier Glasscheiben.

»Was war das?«, flüsterte Joan.

»Ich weiß nicht.«

»Komm, lass uns gehen.«

Ohne den Blick abzuwenden, wich er zurück, und ihm wurde klar, dass er auf der Stelle einen Herzinfarkt bekäme, wenn dort plötzlich ein Gesicht auftauchte. Bevor das geschehen konnte, drehte er sich schnell um.

»Wer passt auf die Goldgrube auf?«, fragte Red.

Elsie nippte an ihrem Whisky Sour. Er war süß und herb zugleich. Niemand konnte so gute Whisky Sour mixen wie Red. »Ich habe ein bisschen früher zugemacht«, sagte sie.

»Muss einsam sein da drin.«

»Hör mal, Red, ich habe meine besten Zeiten hinter mir, schon lange, aber ich bin noch klar im Kopf. Meine Birne ist noch nicht weich geworden. Oder was meinst du?«

»Du bist auf Zack, Elsie. Wie immer.«

»Als Herb gestorben ist, bin ich durch die Hölle gegangen. Ich habe den Mann geliebt, auch wenn er ein elender alter Geizkragen war. Aber das ist jetzt im Oktober drei Jahre her. Ich habe mich ganz gut erholt. Und selbst in der schlimmsten Zeit – kurz nachdem ich ihn verloren habe – bin ich nicht durchgedreht.«

»Du warst wie ein Fels in der Brandung, Elsie.« Er sah die Theke entlang. »Bin gleich wieder da«, sagte er und ging zu einem neuen Gast.

Elsie trank einen Schluck. Sie sah sich um. Zu ihrer Linken saß Beck Ramsey und hatte den Arm um die kleine Waters gelegt. Das arme Mädchen, dachte Elsie. Beck würde ihr nur Ärger einbringen. Zu ihrer Rechten, neben einem leeren Barhocker, saß Lacey Allen, die Frau von der Zeitung. Sie war ein hübsches Ding. Die Männer meinten, sie sei prüde, aber das sagten sie über jede Frau, die nicht sofort das Höschen auszog, wenn man sie anlächelte. Im Geschäft war sie jedenfalls immer freundlich. Es war ein trauriger Anblick, wie sie so allein an der Bar saß, als hätte sie auf der ganzen Welt keinen einzigen Freund.

»Sie sind doch eine gebildete Frau.«

Lacey sah sie an. »Ich?«

»Klar. Sie waren in Stanford und so. Sie haben einen Doktor in irgendwas.«

»Englische Literatur.«

»Genau. Vermutlich gehören Sie zu den gebildetsten Leuten im ganzen Ort. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich Sie gern was fragen.«

Sie zuckte die Achseln. »Okay. Wenn ich Ihnen helfen kann.«

»Gibt es so was wie Geister?«

»Geister?«

»Sie wissen schon. Gespenster, Geister von Toten, Spukgestalten.«

Lacey schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Ich habe noch nie einen Geist gesehen. Aber seit Anbeginn der Zeiten behaupten manche Leute, es gäbe welche.« Sie wandte den Blick ab, nahm ihr Weinglas und hob es an die Lippen. Doch sie trank nicht. Plötzlich weiteten sich ihre Augen. Sie blickte Elsie an und setzte das Glas ab. »Haben Sie etwa einen Geist gesehen?«

»Ich weiß nicht, was ich gesehen habe. Ich bin mir nicht sicher, ob ich überhaupt was gesehen habe.«

»Darf ich?« Lacey sah zu dem leeren Hocker zwischen ihnen.

»Nur zu.«

Sie rutschte von ihrem Hocker und setzte sich neben Elsie.

»Das muss unter uns bleiben. Ich möchte nicht, dass darüber was in der Tribune steht und hinterher der ganze Ort sagt, Elsie hat nicht mehr alle Tassen im Schrank.«

»Versprochen.«

»Gut.«

Eine Hand klopfte ihr von hinten auf die Schulter. Sie zuckte zusammen und spritzte sich Whisky auf das Kleid.

»Oh, Entschuldigung.«

»Mein Gott!« Sie drehte sich um. »Frank, du hast mich zu Tode erschreckt!«

»Tut mir wirklich leid. Verdammt, ich …«

»Okay, schon gut.«

»Ich hole Ihnen einen neuen Drink.«

»Da sage ich nicht nein.«

Frank nickte Lacey zu, dann lächelte er Elsie an. »Andererseits haben Sie es verdient, dass ich Sie erschrecke, nachdem ich mich vor Ihrem Laden so erschreckt habe.«

»Was meinen Sie?«

»Haben Sie einen Wachhund da drin oder so?«

»Was ist denn passiert?«

»Wir waren vor ein paar Minuten drüben bei Ihrem Laden, und ich habe durch die Tür geschaut, um zu sehen, ob Sie da sind, da hat irgendwas unglaublich fest dagegen geschlagen. Ich hab mir fast in die Hose gemacht.«

»Haben Sie gesehen, was es war?«, fragte Lacey.

»Ich habe gar nichts gesehen. Aber ich bin ganz schön zusammengezuckt. Haben Sie sich einen Hund angeschafft, Elsie?«

»Ich halte keine Haustiere. Sie sterben einem sowieso nur weg.«

»Was war es dann?«

»Das wüsste ich auch gern«, erwiderte Elsie. »Ich habe selbst etwas gehört, so gegen neun. Es klang, als würde jemand rumlaufen. Ich habe überall nachgesehen – in allen Gängen und hinten im Lager. Sogar im Fleischkühlraum. Niemand im Laden, außer meiner Wenigkeit. Dann ist die Kasse von allein aufgesprungen, und mir hat es gereicht. Ich habe zugemacht.«

»Vielleicht haben Sie einen Geist«, sagte Frank mit einem angedeuteten Grinsen.

»Das habe ich mich auch schon gefragt«, sagte Elsie. »Was meinen Sie, Lacey?«

»Ich meine, wir sollten zu Ihrem Laden fahren und nachsehen.«

Lacey steuerte ihren Wagen auf den Parkplatz von Hoffmans Supermarkt.

»Vielleicht solltest du im Auto warten«, sagte Frank zu seiner Frau.

»Damit ich den ganzen Spaß verpasse?« Sie stieß die Hecktür auf, stieg aus und lächelte Lacey an. »Glauben Sie, dass wir in die Zeitung kommen?«

»Kommt drauf an, was da drin ist«, erwiderte Lacey und folgte Elsie zur Tür.

»Wenn wir da drin alle abgemetzelt werden«, sagte Frank, »kommen wir auf jeden Fall in die Zeitung.«

Elsie warf ihm über die Schulter einen finsteren Blick zu. »Hören Sie auf mit dem Quatsch, Frank.«

»Wenn du so nervös bist«, sagte Joan, »solltest du vielleicht im Auto warten.«

»Damit du ohne mich abgemetzelt wirst? Wie würde das denn aussehen?«

Elsie spähte durch ein Fenster. »Ich sehe nichts. Aber vorhin habe ich natürlich auch nichts gesehen.«

»Lasst uns reingehen«, flüsterte Lacey. Sie rieb sich über die Arme. Trotz der warmen Nacht hatte sie eine Gänsehaut. Vielleicht war das keine so gute Idee, dachte sie, als Elsie den Schlüssel ins Schloss steckte. Aber es war ihre Idee gewesen. Sie konnte jetzt kaum noch aussteigen. Außerdem wollte sie herausfinden, was den ganzen Ärger ausgelöst hatte.

Elsie schob die Tür auf und trat ein. Lacey folgte ihr. Der Holzboden knarrte unter ihren Füßen. Sie blieben vor der Ladentheke stehen. Bis auf die Deckenlampe in der Nähe der Tür war das Geschäft dunkel. Lacey konnte nicht weit in die Gänge hineinsehen.

»Vielleicht sollten Sie das Licht …«

»Wahnsinn!«

Sie wirbelte herum. Franks Hand lag noch auf der Tür, die er gerade hatte schließen wollen. Joan und er standen reglos da und starrten auf das Holz.

»Das gibt’s nicht«, sagte Elsie.

Lacey trat zur Tür und ging in die Hocke. »Das Ding sieht fies aus«, sagte sie. Das Fleischerbeil steckte nur Zentimeter unterhalb der unteren Scheibe tief im Holz.

»Ein bisschen höher …«, murmelte Frank.

»Das hat also gegen die Tür gehämmert!«, schrie Joan.

»Stimmt.«

»Gott, es hätte dich umbringen können!«

Lacey erhob sich. »Ich glaube, wir sollten hier lieber verschwinden.«

»Ja«, sagte Frank. »Und zwar schnell. Wer auch immer dieses Scheißding geworfen hat, ist nicht zu Scherzen aufgelegt.«

»Sollten wir nicht die Polizei rufen?«, fragte Elsie.

»Aus der Kneipe. Los.«

Samstag, 12. Juli

Oasis Tribune

EINBRECHER GREIFT BÜRGER AN

Frank Bessler, ein Fernsehmechaniker aus Oasis, ist nur knapp einer Verletzung entkommen, als er einen Einbrecher in Hoffmans Supermarkt störte.

Bessler und seine Frau Joan kamen zum Supermarkt, kurz nachdem die Besitzerin Elsie Hoffman das Geschäft für die Nacht geschlossen hatte. Als Bessler hineinsah, warf ein unbekannter Angreifer ein Fleischerbeil gegen die Tür.

Die Polizei wurde benachrichtigt, nachdem Bessler Mrs. Hoffman über den Vorfall informierte. Der hinzugezogene Streifenpolizist Ralph Lewis durchsuchte den Supermarkt und stellte fest, dass der Angreifer geflohen war.

Es wurden keine Spuren eines gewaltsamen Eindringens entdeckt. Laut Mrs. Hoffman wurde kein Geld entwendet. Die leeren Verpackungen zweier T-Bone-Steaks wurden zusammen mit einer leeren Weinflasche hinter der Fleischtheke gefunden.

Elsie Hoffman, die das Geschäft seit dem Tod ihres Manns allein betreibt, räumte ein, dass sie der Einbruch und der Angriff auf Bessler beunruhigen, doch sie hat nicht die Absicht, die Öffnungszeiten zu ändern. »Angst kann das ganze Leben bestimmen, wenn man es zulässt. Aber nicht mit mir.«

Bessler kommentierte: »Ich wollte nur ein paar Bier holen und hätte beinahe ins Gras gebissen.«

Dienstag, 15. Juli

Oasis Tribune

ERNEUT EINDRINGLING IN SUPERMARKT

Am Wochenende wurde Hoffmans Supermarkt erneut zum Ziel eines unbekannten Vandalen. Als die Inhaberin Elsie Hoffman ihr Geschäft am Montagmorgen öffnen wollte, fand sie leere Fleischverpackungen, Chipstüten und andere Lebensmittel auf dem Boden verteilt vor.

»Es sah aus, als hätte sich wieder jemand ein Festmahl gegönnt«, erklärte Mrs. Hoffman, in deren Geschäft sich Freitagnacht schon ein ähnlicher Vorfall ereignet hatte. Dabei entging der Fernsehmechaniker Frank Bessler nur knapp einer schweren Verletzung, als der aufgeschreckte Vandale ein Fleischerbeil nach seinem Kopf warf.

Die Polizei vermutet hinter beiden Vorfällen denselben Täter. Bis jetzt wurde der Eindringling weder gesehen noch ist bekannt, wie er sich Zugang zum Geschäft verschafft hat.

Red Peterson, Barkeeper des Golden Oasis und langjähriger Freund von Mrs. Hoffman, bot seinen Deutschen Schäferhund Rusty an, um die Räumlichkeiten zu bewachen. »Selbst wenn Rusty es mit zehn Vandalen aufnehmen muss, werden wir ja sehen, wer sich diesmal den Bauch vollschlägt«, so Red.

Mrs. Hoffman hat zugestimmt, den Hund einzusetzen, um weitere Verluste zu vermeiden.

2

Nebel senkte sich über den Bayou Lafourche, während die Teilnehmer einer nach dem anderen eintrafen. In Dingis und Skiffs und Kanus paddelten oder stakten sie geräuschlos um die Flussbiegung, legten an und zogen ihre Boote ans Ufer.

Das dunkelhäutige verschwitzte Gesicht des Manns wirkte im Zielfernrohr von Dukanes Gewehr grimmig. »Lächeln«, flüsterte Dukane. Seine Stimme kam ihm laut vor, doch er glaubte nicht, dass ihn jemand gehört hatte. Er saß rittlings auf einem Ast hoch oben in einem Baum. Selbst in völliger Stille hätten die Gestalten unter ihm sein Flüstern wahrscheinlich nicht wahrgenommen, und bei den lauten Geräuschen des Walds hatten sie keine Chance.

Da er in Chicago aufgewachsen war, hatte Dukane keine Ahnung, was zum Teufel da so ein Getöse veranstaltete. Es klang, als wäre der gesamte Brookfield Zoo durchgedreht. Oder wie im vietnamesischen Dschungel.

Er nahm ein weißes altes Weib ins Visier, dann eine Jugendliche mit langen Zöpfchen. Einen dicken weißen Mann, der wie ein wohlhabender Südstaatler aussah. Ein dünnes rothaariges Mädchen. Eine umwerfend schöne Mulattin. Einen Schwarzen mit dem Körperbau eines Sumoringers.

Was für eine Versammlung, dachte Dukane. Aber Laveda war eine unglaubliche Frau. Es war kaum vorstellbar, dass jemand, der so schön war, so verdammt böse sein konnte.

Bis jetzt war sie noch nicht in Erscheinung getreten. Das war typisch. Wie die meisten Frauen, die eine zu hohe Meinung von sich hatten, stand sie auf dramatische Auftritte.

Das Trommeln begann. Dukane warf einen Blick auf die drei schwarzen Männer. Sie hockten mit nackten Oberkörpern und den Trommeln zwischen den Beinen am Rand der Lichtung. Mit flachen Händen schlugen sie auf die Felle.

Dukane blickte zur Seite und sah ein weiteres Ruderboot anlegen. Der einzige Insasse kletterte heraus. Es war ein weißes Mädchen in abgeschnittener Jeans und T-Shirt. Ziemlich attraktiv. Er fand sie mit dem Zielfernrohr. Es war Alice Donovan, kein Zweifel. Obwohl sie ihr Haar nun länger trug, hatte sie große Ähnlichkeit mit dem Mädchen auf dem Foto von der Abschlussklasse, das ihre Eltern Dukane gegeben hatten, als sie ihn anheuerten.

Schon während sie auf die Lichtung zuging, wog sie sich im langsamen Rhythmus der Trommeln.

Das rituelle Feuer wurde angezündet.

Der Trommelrhythmus beschleunigte sich, und der Tanz begann.

Dukane legte das Gewehr in den Schoß und sah zu. Das Tempo wurde immer höher, und die Trommler schlugen einen fieberhaften Rhythmus. Die Tänzer wirbelten und sprangen durch den Feuerschein. Einige waren schon nackt. Dukane beobachtete, wie Alice ihr T-Shirt auszog. Sie drehte sich im Kreis und schwenkte es wie eine Fahne, während sie mit der anderen Hand die abgeschnittene Jeans aufknöpfte. Doch sie zog die Hose nicht herunter. Sie tanzte, als hätte sie sie vergessen. Zuerst blieb sie auf der Hüfte hängen, dann rutschte sie tiefer und tiefer, bis sie den halben Hintern freigab. Mit einem Mal fiel sie zu Boden. Dukane dachte, Alice wurde darüber stolpern und hinfallen, doch sie sprang anmutig heraus. Er richtete den Blick auf die Mulattin mit der teefarbenen Haut. Sie glänzte vor Schweiß und wand sich, während sie ihre Brüste massierte.

Viele Männer, dachte Dukane, würden für so eine Show tief in die Tasche greifen. Er war selbst ein wenig erregt, aber auch erschrocken. Manche Leute sagten, Angst sei ein Aphrodisiakum. Nicht für ihn. Dukane hatte die Erfahrung gemacht, dass Angst jede Erektion schrumpfen ließ.

Erektionen. Davon gab es da unten eine ganze Menge. Aber noch wurde nicht kopuliert. Niemand berührte einen anderen. Sie tanzten allein, zuckten im wilden Rhythmus der Trommeln und streichelten sich selbst, als wären die anderen gar nicht da.

Plötzlich verstummten die Trommeln. Die Tänzer sanken auf die Knie.

Eine tiefe Stimme sagte: »Laveda.« Andere Stimmen fielen in den langsamen Singsang ein. »Laveda, Laveda, Laveda …«

Dukane zuckte zusammen, als ihm etwas auf den Kopf fiel. Es kroch durch sein Haar und über die Stirn. Er wischte es weg. Wahrscheinlich eine verfluchte Spinne. Der Sumpf war voll davon.

Die Gruppe, die um das Feuer kniete, fuhr mit ihrem Singsang fort.

Aus der Dunkelheit hinter den Trommlern trat Laveda hervor. Dukane hatte sie in New Orleans zwei Wochen lang überwacht, weil er gehofft hatte, sie würde ihn zu Alice führen – doch so hatte er sie noch nie gesehen. Er starrte sie an.

Sie trug einen Dolch, dessen Scheide an einer goldenen Kette an ihrer Seite hing, und goldene Armreifen an beiden Oberarmen. Dazu trug sie eine Halskette aus Tierkrallen. Und sonst nichts.

Das dichte blonde Haar hing ihr über die Schultern. Ihre Haut glänzte, als wäre sie mit Öl eingerieben. Dukane konnte den Blick nicht abwenden. Sie war einen Meter fünfundachtzig groß und die atemberaubendste Frau, die er je gesehen hatte.

Als sie in die Versammlung trat, verstummte der Singsang.

»Der Fluss fließt«, sagte sie.

Im Einklang psalmodierten die anderen: »Der Fluss ist rot.«

»Der Fluss fließt.«

»Er fließt vom Herzen.«

»Der Fluss fließt.«

»Allmächtig ist der Fluss.«

»Sein Wasser ist das Wasser des Lebens«, sagte sie.

»Allmächtig ist der, der an seinem Ufer trinkt.«

»Wer unter uns möchte allmächtig sein?«

»Ich«, antwortete der Chor.

Dukane entdeckte Alice. Sie schien in Ekstase zu sein.

Laveda zückte ihren Dolch. Dicht am Feuer hob sie ihn in die Höhe und drehte sich langsam im Kreis. »Wer von uns möchte vom Fluss trinken?«

»Ich.«

»Wer vom Lauf des Flusses trinkt, wird sich seine Macht einverleiben.«

»Die Macht des Lebens, die Macht des Todes …«

»… wird all unsere Feinde bezwingen …«

»Die Starken und die Schwachen werden auf seinen Befehl untergehen!«

»… wird tun, was immer er will!«

»Dein Wille sei Gesetz!«

»Wer wird vom Fluss trinken?«

»Ich!«, brüllten sie.

Die Trommeln dröhnten. Die Versammlung wiegte sich auf Knien zum Rhythmus.

»Der Fluss fließt!«, schrie Laveda, die zwischen den Leuten umherging. »Er fließt und windet sich. Heute Nacht trinken wir an seinem Ufer. Wir trinken das allmächtige Wasser und verleiben uns seine Macht ein. Der Fluss ist endlos. Sein Wasser fließt ewig. Die immerwährende Macht wird uns gehören!«

Sie blieb stehen und legte ihre Hand auf den Kopf der wunderschönen jungen Mulattin. Die Frau stand auf.

»Wir werden vom Fluss trinken!«

Dukane schreckte zusammen, als Laveda den Kopf der Frau an den Haaren nach hinten riss und ihr mit dem Dolch über die Kehle fuhr. Sie drückte den Mund auf die sprudelnde Wunde.

Zwei Männer hielten die von Krämpfen geschüttelte Mulattin von hinten fest, und Laveda trat zurück. Blut verschmierte ihr Gesicht und floss an ihrer Brust herab.

»Ihr alle, trinkt vom Fluss!«

Die ganze Meute stürmte nach vorn, einschließlich Alice. Sie fingen das Blut mit ihren Mündern auf, beschmierten ihre Leiber, tanzten mit plötzlicher Wildheit, als wären sie alle wahnsinnig geworden. Auch Laveda selbst sprang und wirbelte über die Lichtung. Ihr goldenes Haar flog durch die Luft, die Haut glänzte im Feuerschein, die Brüste waren glitschig vor Blut. Ein riesiger Schwarzer sank vor ihren Füßen zu Boden. Sie warf sich auf ihn und spießte sich auf. Während sie auf ihm ritt, befriedigte sie einen anderen mit dem Mund.

Wo Dukane auch hinsah, überall fielen sie übereinander her und rammelten zum treibenden Rhythmus der Trommeln.

Alice, die in der Mitte der Gruppe auf dem Rücken lag, war unter dem blassen Körper eines Manns im mittleren Alter kaum zu erkennen.

Dukane hängte sich das Gewehr über den Rücken und kletterte von seinem Baum hinunter. Er lehnte die Waffe gegen den Stamm. Während er sich auszog, versuchte er, den Klumpen der Angst in seinem Bauch zu ignorieren.

Das wird ein Kinderspiel, sagte er sich.

Berühmte letzte Worte.

Scheiß drauf, dachte er und brachte ein Grinsen zustande.

Als er nackt war, zerzauste er sich das Haar, bis es ihm über die Augen hing. Dann zog er sein Jagdmesser aus der Scheide.

Was man für Geld nicht alles tut.

Doch während er sich in den Unterarm schnitt, wurde ihm klar, dass es nicht nur um das Geld ging. Nun, da er das Mädchen aufgespürt hatte, hätte es weniger gefährliche Möglichkeiten gegeben, sie aus der Sekte zu entführen. Aber keine davon war so tollkühn und aufregend. Er würde nicht denselben Nervenkitzel dabei empfinden.

Eines Tages werde ich deswegen getötet.

Mit einer zitternden Hand schmierte er sich Blut über die Wangen, den Mund und das Kinn.

Er rammte das Messer in den Stamm der Zypresse, dann machte er sich auf den Weg zur Lichtung. Sein Herz hämmerte im Gleichklang mit den Trommeln. Sein Mund war ausgetrocknet. Als er sich über die Lippen leckte, schmeckte er sein eigenes Blut.

Aus der Deckung eines Gebüschs beobachtete er die Versammlung im Feuerschein. Niemand stand, niemand hielt Wache. Alle waren damit beschäftigt, sich zu zweit oder zu mehreren aneinanderzureiben oder wegzukriechen, um sich neue Partner zu suchen.

Zwei Meter vor ihm hielten sich zwei Frauen umschlungen und vergruben das Gesicht zwischen den weit gespreizten Schenkeln ihrer Partnerin. Die obere war eine schlanke Weiße mit einem erdbeerroten Muttermal auf dem Hintern. Dukane kroch zu ihr und kniff sie in das Muttermal. Ihre Hinterbacken verkrampften sich, und sie schrie überrascht auf. Dann wandte sie den Kopf und sah ihn mit wildem Blick an. Dukane grinste anzüglich. Er warf sich auf ihren verschwitzten Rücken. Gemeinsam rollten sie zur Seite, sodass Dukane unter ihr lag. Als er an ihrem Hals knabberte und an den Brüsten spielte, stöhnte sie. Die andere Frau kroch zu ihnen, um mitzumachen. Sie schob die Beine der beiden auseinander, kniete sich dazwischen und widmete sich mit dem Mund der Frau und mit der Hand Dukane.

Sie massierte und streichelte ihn. Er wurde hart, und seine Erektion drückte gegen den Schritt der Frau über ihm. Er spürte eine Zunge.

Dann fiel die zweite Frau nach hinten und räkelte sich auf dem Boden, während sich ein stämmiger Schwarzer auf sie warf und in sie eindrang.

Dukane drehte sich mit der Frau, die auf ihm lag. Als er ihre Beine spreizte, krallte sie sich in das Gras. Hinter ihr kniend, streichelte er ihre feuchte Spalte, dann umklammerte er ihre Hüfte und drang in sie ein. Seine schnellen, harten Stöße brachten sie bald zu einem bebenden Orgasmus. Er zog seinen steifen Penis heraus und konzentrierte sich darauf, nicht selbst zum Höhepunkt zu kommen. Mit einem Klaps auf den Hintern verabschiedete er sich von ihr und kroch davon.

Er entdeckte Alice. Sie lag einige Meter entfernt auf dem Rücken und bohrte die Fersen in den Hintern eines dicken Manns, um ihn tiefer in sich hineinzudrücken. Als Dukane auf sie zukroch, tauchte von hinten eine Hand auf und packte seine Erektion. Er senkte den Kopf und blickte zwischen seinen Beinen hindurch.

Ein Schauder lief über seinen Rücken.

Dort lag Laveda und umklammerte ihn. Sie leckte sich über die Lippen. Ihre Augen wirkten trüb und glasig.

Vielleicht ist sie zu weggetreten, um zu bemerken, dass ich nicht dazugehöre, dachte Dukane.

Als Laveda an ihm zog, kroch er zurück.

Es sind dreißig andere hier, sagte er sich. Mindestens dreißig. Sie kann sich nicht jedes Gesicht merken.

Oder doch?

Nein. Die Gruppe aus New Orleans war nur eine von Hunderten. Sie hatte Anhänger im ganzen Land. Mehrere Tausend. Ständig kamen neue Mitglieder. Es war unwahrscheinlich, dass sie alle kannte.

Ihr Gesicht erschien zwischen seinen Beinen. Sie hob den Kopf und saugte ihn in ihren Mund. Er spürte ihre prallen Lippen, ihre drückende Zunge, ihre Zähne.

Wenn sie es weiß, dachte Dukane, wird sie zubeißen. Oder mir den Dolch …

Aber sie wusste es nicht. Ihr Mund hielt ihn fest und lutschte ihn.

Wenigstens kann sie mein Gesicht nicht sehen, dachte er.

Und dann überwältigte ihn das wachsende Verlangen. Vor seinem geistigen Auge flackerten Bilder auf, wie Laveda sich im Feuerschein wand, die Haut glänzend, die Nippel ihrer festen Brüste aufgerichtet.

Ihre Hände spreizten seine Hinterbacken. Sie schob einen Finger hinein, und er explodierte. Während er seinen Samen in ihren nassen Mund pumpte, saugte sie fest an ihm. Als er gekommen war, behielt sie ihn noch einen Augenblick in sich.

Dann ließ sie den Kopf sinken. Ihre Augen waren geschlossen. Sie leckte sich über die Lippen.

Dukane kroch weiter. Als er zurückblickte, sah er sie nach dem Fuß einer jungen Frau neben ihr greifen. Die Frau befreite sich aus der Umarmung eines älteren Manns, den sie gerade ritt, und krabbelte zu Laveda.

Dukane hielt nach Alice Ausschau und fand sie an derselben Stelle, wo sie noch immer unter dem dicken Mann keuchte. Dukane eilte zu ihnen. Der Dicke stöhnte und stieß in sie hinein, wobei sein Hintern vibrierte wie Wackelpudding.

Dukane drückte seine Halsschlagader zu und spürte, wie der Mann sich erst versteifte und dann erschlaffte. Er rollte ihn von Alice herunter und nahm seinen Platz ein.

Sie lächelte matt. Ihre Hände strichen über seinen Rücken, mit den Füßen streichelte sie seinen Hintern. Sie fühlte sich heiß und glitschig unter ihm an. Er knabberte an ihrem Hals, und sie erschauderte.

Er stemmte sich auf alle viere hoch. Als er loskroch, hing sie zuerst an seinem Hals. Dann löste sich ihr Griff. Sie fiel zu Boden, und er kroch weiter. Ihre Hände glitten über seinen Bauch, bis sie seinen Penis fanden.

Dukane senkte den Kopf, um sie anzusehen. »Reite auf mir«, sagte er.

Alice stieß ein heiseres Lachen aus. Dann drehte sie sich um und kletterte auf Dukane. Mit den Beinen umklammerte sie seine Hüfte, drückte die Brüste gegen seinen Rücken und schlang die Arme um ihn. »Hü!«, flüsterte sie.

Er kroch an mehreren Knäulen von sich windenden Leibern vorbei. Einmal streckte sich Alice, um eine aufragende Brust zu kneten, und fiel von Dukanes Rücken. Schnell schwang sie sich wieder hinauf.

Dukane kroch weiter.

»Ich bin dran«, flüsterte Alice ihm ins Ohr.

»Was?«

»Jetzt reitest du mich.«

Dukane ließ sich auf die Ellbogen fallen. Sie rutschte nach vorn herunter. Er kletterte auf ihren Rücken, ließ die Füße jedoch am Boden, um sie zu unterstützen. Mit einer Hand packte er ihr Haar, zog ihren Kopf hoch und dirigierte sie zu den Büschen. Mit der anderen Hand klatschte er ihr auf den Hintern. Sie wieherte und setzte sich in Bewegung.

Dukane lief mit, damit nicht zu viel Gewicht auf ihrem Rücken lastete, und führte sie so von der Gruppe weg. Am Rand der Lichtung hielt sie an. Sie begann, an den Blättern eines Buschs zu kauen.

Dukane beugte sich vor und drückte sich an ihren Rücken. Mit dem rechten Arm griff er unter sie und streichelte ihre Brüste. Mit der linken Hand drückte er ihre Halsschlagader zu. Sie brach zusammen. Er rollte sich mit ihr in die Deckung des Gebüschs.

Lange Zeit blieb Dukane reglos auf ihr liegen. Er beobachtete die Gruppe.

Offenbar war niemandem aufgefallen, dass sie verschwunden waren.

Er stieg von Alice herunter. Gebückt zog er sie tiefer ins Unterholz. Als sie sich weit genug von der Lichtung entfernt hatten, hievte er sie sich über die Schulter und rannte los.

Mittwoch, 16. Juli

Oasis Tribune

WACHHUND ABGESCHLACHTET

Der zerstückelte Körper von Rusty, dem Deutschen Schäferhund des Barkeepers Red Peterson, wurde gestern in Hoffmans Supermarkt gefunden, wo der Hund über Nacht zurückgelassen wurde, um das Geschäft vor wiederholtem Vandalismus und Diebstahl zu schützen.

Die Inhaberin Elsie Hoffman, die den toten Hund fand, reagierte fassungslos: »Das ist widerlich, einfach nur widerlich. Wir hätten den armen Hund nicht dort lassen sollen. Ich wusste, dass es kein gutes Ende nimmt.« Mit Tränen in den Augen fügte sie hinzu: »Der Hund war Reds Ein und Alles.«

Red Peterson, der im Golden Oasis arbeitet, stand für einen Kommentar nicht zur Verfügung.

3

Lacey setzte sich auf einen Barhocker. Sie schnippte eine Zigarette aus der Packung und steckte sie sich zwischen die Lippen.

George O’Toole drehte sich zu ihr um. Sein gerötetes breites Gesicht verzog sich zu einem Lächeln, und er zündete ein Streichholz an.

»Danke.«

»Und was trinkst du heute Abend?«, fragte er in einem Tonfall, von dem Lacey annahm, dass er ihn sich aus einem Barry-Fitzgerald-Film angeeignet hatte.

»Einen kleinen Rotwein.«

»Ein edles Getränk für eine edle Dame«, sagte er. Er hob seine dicke wettergegerbte Hand und machte den Barkeeper auf sich aufmerksam.

Es war Will Glencoe.

»Einen Tropfen Roten für die Dame, Will. Und noch ein Guinness für mich.« Der Barkeeper wandte sich ab.

»Du hast Red einen Gefallen getan, indem du den Artikel so geschrieben hast, wie du es gemacht hast. Er hat sich schrecklich geschämt, weil ihm die Sache mit Rusty so zugesetzt hat. Ich verstehe, dass ein erwachsener Mann den Verlust eines guten Hunds beweint – das habe ich selbst schon öfter getan. Aber es ist eine Privatangelegenheit, und ein Mann will nicht, dass es herumposaunt wird. Du hast ihm wirklich einen Gefallen getan.«

»Da hat er recht«, sagte Will, als er die Getränke auf die Theke stellte. »Ein typischer Reporter hätte das an die große Glocke gehängt. Das sind doch lauter Aasgeier.«

»Aber nicht unsere Lacey. Das war gute Arbeit, junge Frau.«

Sie griff in ihr Portemonnaie.

»Lass mal stecken.«

»Danke, George.«

Er zahlte, und Will ging davon, um am anderen Ende der Theke eine Bestellung aufzunehmen.

»Wo ist Red denn heute Abend?«, fragte Lacey.

George kniff ein Auge zu. »Wo wärst du denn, wenn ein herzloser Mistkerl so was mit deinem Hund gemacht hätte?«

»In Elsies Laden?«

Er drehte die Hand, um auf die Uhr zu sehen. »Sie macht in zehn Minuten zu. Red ist mit seiner Kaliber zwölf da. Er übernachtet heute im Laden und hofft, dass der Drecksack wieder auftaucht. Ich habe ihm meine Hilfe angeboten – zwei Gewehre sind besser als eins –, aber er will es allein durchziehen, und ich kann es ihm nicht verübeln.« George hob seinen Krug. »Zum Wohl«, sagte er.

»Auf dich, George.«

Er zwinkerte ihr zu und trank.

Lacey nippte an ihrem Wein. »Was hat Red vor? Will er den Mann erschießen?«

»Der Drecksack hat seinen Hund abgestochen, Lacey.«

»Ich weiß, ich hab’s gesehen.«

»Und war es so schlimm, wie man hört?«

»Mein Gott, George. So was habe ich noch nie …« Sie würgte. Tränen traten in ihre Augen.

»Schon gut, schon gut.« George tätschelte ihre Schulter.

Sie wischte die Tränen ab und atmete tief durch. »Entschuldigung.« Sie brachte ein Lächeln zustande. »Normalerweise würge ich nicht in der Öffentlichkeit. Aber allein bei dem Gedanken …« Sie musste es wieder tun.

»Ganz ruhig. Sag mal, weißt du, woran man auf einer irischen Hochzeit den Bräutigam erkennt?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Das ist der mit den Nadelstreifen auf den Gummistiefeln.«

Sie wischte sich über die Augen und seufzte.

»Geht’s dir jetzt besser? Trink noch einen Wein, und wir reden über was anderes. Ich kenne jede Menge Iren-Witze. Das muntert dich bestimmt auf.«

»Danke, George. Aber ich sollte jetzt wirklich gehen.«

Draußen in der warmen Nachtluft fühlte sie sich gleich besser. Sie stieg in ihr Auto und kurbelte das Fenster herunter. Mit der Hand am Zündschlüssel zögerte sie. Sie wollte nach Hause fahren, ein langes heißes Bad nehmen und ins Bett gehen. Aber sie konnte nicht. Vielleicht ging es sie nichts an, doch da sie von Reds Vorhaben wusste, kam es ihr falsch vor, nicht zumindest mit ihm zu reden und ihn vor den möglichen Konsequenzen zu warnen.

Man konnte niemanden mit der Schrotflinte in Stücke schießen, weil er einen Hund getötet hatte. Es sei denn, man wollte ins Gefängnis. Selbst wenn man einen Einbrecher erschoss, konnte man mehr Ärger bekommen, als Red vermutlich erwartete, es sei denn, der Mann war bewaffnet.

Sie ließ den Motor an und fuhr die drei Blöcke zu Hoffmans Supermarkt. Das Schild leuchtete hell; der Laden war noch nicht geschlossen. Sie steuerte auf den Parkplatz und hielt neben Reds Pick-up. Fast immer, wenn sie den Wagen gesehen hatte, war Rusty schwanzwedelnd und mit vom Wind zerzaustem Fell auf der Ladefläche herumgetrippelt. Manchmal hatte sie sich sogar Sorgen um den Hund gemacht, weil sie fürchtete, er könnte über die niedrige Ladewand springen. Einmal hatte sie Red darauf angesprochen. »Würdest du von einem fahrenden Pick-up springen?«, hatte er gefragt.

»Nein, aber ich bin auch kein Hund.«

Daraufhin hatte Red gegrinst. »Du bist eher eine Mieze.«

Lacey strich mit der Hand über die Heckklappe und sah auf die leere Ladefläche, dann eilte sie davon.

Die Tür des Ladens war nicht abgeschlossen. Sie stieß sie auf und trat ein. Niemand stand an der Theke.

»Hallo«, rief sie.

Als sie die Tür zuzog, fiel ihr Blick auf die helle Kerbe, die das Fleischerbeil im Holz hinterlassen hatte.

»Elsie? Red?«

Sie blickte in einen hell beleuchteten Gang. Am anderen Ende, gleich vor der Fleischtheke, lag eine Schrotflinte auf dem Boden. Lacey lief ein eisiger Schauder über den Rücken, und sie bekam eine Gänsehaut. Sogar die Härchen auf ihrer Stirn schienen sich aufzurichten. Sie rieb sich das Gesicht, während sie zwischen den Regalen entlangging, ohne den Blick von der Schrotflinte zu wenden.

In der Luft hing der schwache, aber beißende Geruch, den sie vom Tontaubenschießen mit ihrem Vater kannte.

Erst als sie über der Schrotflinte stand, hob sie den Blick zur Fleischtheke und sah Elsies in Zellophan eingewickelten Kopf.

Lacey riss den Mund auf. Sie wollte schreien, doch ihre Stimme versagte, nur der Atem schoss keuchend heraus.

Sie ging in die Hocke, packte die Schrotflinte und wirbelte herum. Hinter ihr war niemand. Sie repetierte das Gewehr. Es gab ein lautes metallisches Klacken von sich, und eine blaue Patronenhülse fiel zu Boden.

Ohne zu Elsies Kopf zu blicken, ging sie an der Fleischtheke entlang. Gleich vor ihr stand ein Aufsteller mit Coladosen, der von einem Schuss zertrümmert worden war. Überall lagen Dosen herum, die Hälfte war von Kugeln durchbohrt. Der Boden war mit einer dünnen Colapfütze bedeckt.

Hinter dem Aufsteller, halb verdeckt von den Regalen des nächsten Gangs, fand sie Red. Er lag auf dem Rücken, lebendig, und griff sich über die Brust, um seinen abgetrennten linken Arm wieder an die Schulter zu drücken.

»O Mann«, flüsterte er. »O Mann.«

»Red?«

Er sah zu Lacey auf, dann blickte er wieder auf seinen Arm. »O Mann.«

»Ich hole Hilfe«, versicherte sie ihm. Mit der Schrotflinte im Anschlag rannte sie nach vorn. Sie wusste, dass Elsie ein Telefon hinter der Kasse hatte. Sollte sie das benutzen oder …

Sie wurde von hinten umgerissen und fiel der Länge nach hart zu Boden. Pfeifend entwich die Luft aus ihrer Lunge. Sie versuchte, sich aufzurichten, doch ein Gewicht auf Hintern und Beinen hielt sie unten. Ihr Kragen wurde nach hinten gerissen und schnürte ihr die Luft ab. Dann traf sie etwas seitlich am Kopf.

Sie schlug die Augen auf und sah die Decke. Zu beiden Seiten standen Regale mit Lebensmitteln: Dosen mit Suppen und Eintöpfen links, Gebäck und Kekse rechts.

Auch ohne sich zu bewegen, wusste sie, was ihr angetan worden war. Sie spürte das raue kühle Holz unter ihrer nackten Haut. Sie spürte die Stellen, an denen ihre Haut malträtiert worden war. Ihre Brustwarzen brannten und juckten. Ebenso ihre Vagina. Ihr Inneres fühlte sich gezerrt und geprellt an. Tränen traten ihr in die Augen.

Sie hob den Kopf und sah sich an. Ihre Brüste waren rot, als wären sie ausgewrungen worden. Sie entdeckte Bissspuren an beiden Nippeln. Kratzer von Fingernägeln zogen sich über ihren Bauch. Als sie sich mit steifen Armen aufstützte, spürte sie, wie etwas langsam aus ihr herausrann.

Am Ende des Gangs lag Red. Sein abgetrennter Arm hing quer über der Brust. Er rührte sich nicht.

Mit Taschentüchern aus ihrer Handtasche säuberte sie sich. Sie hatte keine Angst. Sie fühlte sich beschmutzt und elend und beschämt. Nachdem sie das letzte Taschentuch aufgebraucht hatte, sammelte sie alle ein und stopfte sie in ihre Tasche.

Während sie sich anzog, behielt sie die Tür im Auge, weil sie befürchtete, jemand könnte hereinkommen, ehe sie fertig war. Ihre Unterhose war zerfetzt. Beide BH-Träger waren kaputt, die Haken hinten abgerissen. Sie verstaute die Unterwäsche in der Handtasche und stieg in ihre Jeans. Mühsam zog sie die Hose hoch. Der Stoff hüllte sie eng und schützend ein. Sie wünschte, ihre Bluse wäre ebenso fest und eng wie die Jeans, doch als sie sie angezogen hatte, fühlte sie sich noch immer nackt.

Der Weg zur Kasse kam ihr sehr lang vor. Sie bewegte sich langsam und vorsichtig, als könnte die kleinste Erschütterung etwas in ihr losrütteln.

Schließlich erreichte sie die Theke. Sie griff zum Telefon.

4

»Okay, Lacey. Wenn Ihnen noch was einfällt, rufen Sie mich an.«

»Mach ich.«

Rex Barrett strich sich mit dem Daumen über den aufgezwirbelten Schnurrbart, den er sich hatte wachsen lassen, seit er Polizeichef von Oasis war. Lacey erinnerte der schlanke Gesetzeshüter an Wyatt Earp, und sie hatte schon den Verdacht gehegt, dass er den Bart aus diesem Grund trug.

»Schreiben Sie in der Tribune darüber?«, fragte er.

»Ja.«

»Ich möchte Sie bitten, keine Einzelheiten darüber zu erwähnen, was er mit Elsie gemacht hat.«

»Gut«, sagte sie und lehnte sich gegen die Theke. Es gab noch andere Details, die sie nicht erwähnen wollte.

»An Ihrer Stelle würde ich meinen Arzt aus dem Bett klingeln, damit er mal einen Blick darauf wirft. Sie haben heute Nacht ein paar harte Schläge eingesteckt, und bei Kopfverletzungen kann man nie wissen.«

»Das mache ich«, log sie.

»An Ihrer Stelle würde ich es tun.«

»Kann ich jetzt …?« Zwei Männer rollten eine Trage durch den Gang. Einer eilte voraus, um die Tür aufzuhalten. Lacey blickte auf den Leichensack. Unter dem schwarzen Plastik zeichneten sich die Umrisse eines menschlichen Körpers ab. Hatten sie Elsie wieder zusammengeflickt?

Sie schloss die Augen und versuchte, an etwas anderes zu denken. Jemand berührte sie an der Schulter. Sie zuckte zusammen und riss die Augen auf.

»In Ordnung«, sagte Barrett. Er drückte ihre Schulter.

»Gut.«

»Gehen Sie jetzt. Gehen Sie zu Ihrem Arzt. Schlafen Sie sich aus.«

»Das mache ich. Danke.«

Draußen sah sie, wie die Trage in den Lieferwagen des Gerichtsmediziners geschoben wurde. Sie lief an Reds Pick-up vorbei und öffnete ihre Autotür. Als sie einsteigen wollte, stellten sich ihr die Nackenhaare auf.

Sie riss den Kopf herum. Niemand auf dem Rücksitz.

Aber sie konnte hinten nicht bis auf den Boden sehen.

Dämlich, dachte sie. Wie ein Kind, das unter dem Bett nachsieht.

Egal, sie musste sich vergewissern, dass sich niemand hinter den Vordersitzen versteckte. Sie stellte ein Knie auf den Sitz und zog sich an der Kopfstütze nach hinten. Ihre Brust schmerzte, als sie gegen das Plastikpolster gedrückt wurde. Lacey spähte über den Sitz. Dahinter war niemand.

Natürlich nicht.

Aber sie hatte auf Nummer sicher gehen müssen.

Sie drehte sich um, setzte sich, zog die Tür zu und verriegelte sie. Mit einem Blick nach rechts stellte sie fest, dass die Beifahrertür nicht abgeschlossen war. Sie beugte sich über den Sitz und drückte mit dem Zeigefinger den Knopf herunter. Dann überprüfte sie die Hecktüren. Alle Knöpfe waren unten.

Sie seufzte und rieb sich mit einer verschwitzten Hand den Nacken. Dann schob sie den Schlüssel in die Zündung und ließ den Motor an.

Eine Zigarette. Sie brauchte eine Zigarette. Ein kleines Vergnügen, einen Genuss, einen Trost, auf den sie nicht warten musste, bis sie ihr Haus am Stadtrand erreicht hatte. Der Drink und das Bad kamen später, aber nicht die Zigarette.

Sie klappte ihre Handtasche auf. Mit einem Blick über den Parkplatz vergewisserte sie sich, dass ihr niemand zusah, dann zog sie den kaputten BH und die Unterhose heraus und warf die Sachen auf den Beifahrersitz. Inmitten der Dunkelheit blickte sie in die Tasche, griff hinein und hoffte, ihr Päckchen Tareytons zu finden, ohne die vollgesaugten Taschentücher zu berühren. Als sie mit den Fingern gegen einen der kalten glitschigen Klumpen stieß, zuckte sie zusammen und musste würgen. Die Zigarettenpackung lag unter der ganzen Sauerei. Sie fischte sie heraus und musste erneut würgen, als ihre nasse klebrige Hand zum Vorschein