Der Mond über Georgetown - Barbara Michaels - E-Book
SONDERANGEBOT

Der Mond über Georgetown E-Book

Barbara Michaels

0,0
5,99 €
3,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 2,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Für Fans von Agatha Christie: Der fesselnde Mystery-Roman »Der Mond über Georgetown« von Barbara Michaels jetzt als eBook bei dotbooks. Eine alte Südstaaten-Villa – ein dunkles Geheimnis! Um ihre Gäste bei einem feierlichen Dinner zu unterhalten, schlägt Ruth Bennet aus Spaß eine Séance vor – doch sie hat nicht damit gerechnet, tatsächlich eine Antwort aus dem Jenseits zu erhalten … Die Botschaft ist ebenso verstörend wie rätselhaft: Erlaubt sich etwa jemand einen schlechten Scherz mit Ruth – oder steckt etwas ganz anderes, viel Dunkleres dahinter? Mit einem Mal ist die alte Villa kein Ort des Friedens mehr, sondern ein Gefängnis, aus dem es kein Entkommen mehr zu geben scheint … »Barbara Michaels ist eine unübertreffliche Erzählerin.« Bestseller-Autorin Mary Higgins Clark Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der fesselnde Spannungsroman »Der Mond über Georgetown« von Bestseller-Autorin Barbara Michaels – in Tradition der englischen Landhauskrimis von Agatha Christie. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 379

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch:

Eine alte Südstaaten-Villa – ein dunkles Geheimnis! Um ihre Gäste bei einem feierlichen Dinner zu unterhalten, schlägt Ruth Bennet aus Spaß eine Séance vor – doch sie hat nicht damit gerechnet, tatsächlich eine Antwort aus dem Jenseits zu erhalten … Die Botschaft ist ebenso verstörend wie rätselhaft: Erlaubt sich etwa jemand einen schlechten Scherz mit Ruth – oder steckt etwas ganz anderes, viel Dunkleres dahinter? Mit einem Mal ist die alte Villa kein Ort des Friedens mehr, sondern ein Gefängnis, aus dem es kein Entkommen mehr zu geben scheint …

»Barbara Michaels ist eine unübertreffliche Erzählerin.« Bestseller-Autorin Mary Higgins Clark

Über die Autorin:

Hinter der US-amerikanischen Bestsellerautorin Barbara Michaels steht Barbara Louise Gross Mertz (1927–2013), die auch unter dem Pseudonym Elizabeth Peters erfolgreich Kriminalromane schrieb. Die Autorin promovierte an der University of Chicago in Ägyptologie. So haben auch ihre Romane, für die sie zahlreiche Preise gewann, meist einen historischen Hintergrund.

Eine Übersicht über weitere Romane von Barbara Michaels bei dotbooks finden Sie am Ende dieses eBooks.

***

eBook-Neuausgabe März 2020

Dieses Buch erschien bereits 2001 unter dem Titel »Haus der Wiederkehr« bei Heyne.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1986 by Barbara Michaels

Die amerikanische Originalausgabe erschien 1968 unter dem Titel »Ammie, Come Home« bei Meredith Press.

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1996 by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von

© shutterstock / yurakrasil / Martina Birnbaum / DMS Foto / Scorpp / Panagiotis Chatziiliadis / Ethiriel / Nik Merulov

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (tw)

ISBN 978-3-96655-175-5

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Der Mond über Georgetown« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Barbara Michaels

Der Mond über Georgetown

Roman

Aus dem Englischen von Gabriele Lichtner

dotbooks.

Kapitel 1

Um fünf Uhr nachmittags war es schon fast dunkel. Obwohl das im November nicht verwunderlich war, schaute Ruth immer wieder besorgt zum Fenster am anderen Ende des Zimmers. In dem Raum herrschte eine warme und angenehme Atmosphäre, die Einrichtung stammte aus einem vergangenen Jahrhundert; der heutige Wert der Möbel hätte deren ursprüngliche Eigentümer bestimmt in Erstaunen versetzt. Nur die zwei großen, weich gepolsterten Sofas, die vor dem Kamin einander gegenüberstanden, waren relativ modern. Ihre elfenbeinfarbenen Bezüge harmonierten mit der in Blauweiß gehaltenen Einrichtung, deren Farbgebung sich nach den in den Kaminsims eingelegten kostbaren WedgwoodKacheln richtete. Im Kamin flackerte ein behagliches Feuer; es ließ in den Kristallgläsern auf dem Kaffeetisch Funken tanzen und verlieh dem Sherry in der geschliffenen Glaskaraffe die Farbe von geschmolzenem Kupfer. Seitdem ihre Nichte bei ihr wohnte, hatte Ruth jeden Abend Wein und Gläser bereitgestellt. Es war schon zu einem Ritual geworden, das sie beide genossen, auch dann, wenn es anschließend nur Hamburger zu essen gab. Aber heute abend verspätete sich Sara.

Die dunklen Fenster erstrahlten in gelblichem Licht, als draußen die Straßenlaternen aufflammten. Ruth erhob sich, um die Vorhänge zuzuziehen. Sie verharrte am Fenster, eine Hand strich abwesend über den blaßblauen Satin. Saras Unterricht ging doch heute nur bis halb vier.

Und was war dabei, ermahnte Ruth sich selbst, das Mädchen war zwanzig Jahre alt. Sie hatte sich gerne bereit erklärt, ihre Nichte bei sich aufzunehmen, während diese das Institut für den Botschafts- und Konsulatsdienst besuchte, das einer Washingtoner Universität angegliedert war; aber das bedeutete schließlich nicht, rund um die Uhr den Babysitter zu spielen. Sara selbst hielt sich ohnehin für erwachsen. Andererseits fand Ruth, daß ihr noch immer die zwar rührende, aber etwas beängstigende Illusion persönlicher Unverletzlichkeit anhaftete, die ein untrügliches Zeichen der Jugend ist. Doch waren Washingtons Straßen selbst in diesem exklusiven Wohnviertel nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr völlig sicher.

Obwohl sich das Jahr dem Ende zuneigte und sich die Dämmerung jetzt kalt und düster auf die Straße niedersenkte, bewahrte der Blick aus Ruths Fenster noch immer etwas von dem berühmten Charme Georgetowns, ein Charme, der auf der Ausgewogenheit der Architektur und der Würde des Alters beruhte. Heutzutage wurde diese antike Anmut wieder selbstbewußt zur Schau gestellt; nach Jahrzehnten der Vernachlässigung waren die Häuser der Altstadt, die zumeist noch aus dem achtzehnten Jahrhundert stammten, in Mode gekommen und hatten jetzt das gepflegte, selbstgefällige Aussehen, das viel Geld und sorgfältige Restaurierung bewirken können.

Die Häuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite waren zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts erbaut worden, ihre ehrwürdigen georgianischen Fassaden zierten wohlproportionierte Giebel und halbrunde Oberlichter mit fächerförmigen Sprossen. Zwischen den Häusern und der Straße waren überhaupt keine oder nur kleine Vorgärten. Die Gärten, für die Georgetown berühmt war, befanden sich hinter den Häusern, waren dem Blick der Passanten entzogen und durch Mauern vor der Neugier der Nachbarn geschützt. Hier und da sah man kahle Baumspitzen über die Häuser ragen.

Der harmonische Eindruck wurde nur dadurch beeinträchtigt, daß am Straßenrand dichtgedrängt Autos parkten, die meisten von ihnen unerlaubt. Das Parkproblem war ein erbittert debattiertes Thema in Georgetown, was nicht ungewöhnlich war für eine Stadt, deren Bevölkerung seit der Erfindung des Automobils um ein vielfaches angewachsen war.

Die durch die Straßen fahrenden Autos hatten jetzt ihre Scheinwerfer eingeschaltet, und Ruth schaute nervös zur nächsten Ecke, an der sich die Bushaltestelle befand. Immer noch kein Zeichen von Sara. Ruth murmelte etwas vor sich hin und schüttelte mit selbstironischem Lächeln den Kopf. Zwar trat der Gluckeninstinkt bei ihr erst spät auf, aber dafür war er um so stärker.

Kapitel 2

Ruth war Mitte Vierzig. Sie war immer sehr schlank gewesen und hatte sich ihre Figur über die Jahre bewahrt. Allerdings lehnte sie es ab, etwas gegen ihr grau werdendes Haar zu tun, und wandte auch all die anderen Tricks für Frauen ihres Alters nicht an, für die jugendliches Aussehen häufig zum Götzenbild erhoben wird. Ihre mit der Mode gehenden Freundinnen sagten daher in einem etwas mitleidigen Ton über sie, sie habe sich ›gut gehalten‹. Ihre Kleidung kaufte Ruth schon seit fünfzehn Jahren in derselben eleganten kleinen Boutique in Georgetown, und seitdem hatte sich auch ihre Kleidergröße nicht geändert. Das Kostüm, das sie heute trug, hatte sie erst seit kurzem; es war aus weichem Tweedmaterial in Rosa und Blau, dazu gehörte ein hochgeschlossener blaßrosa Pullover. Als berufstätige Frau in gehobener Position hielt sich Ruth an die Konvention, Kostüme zu tragen. Sie bevorzugte jedoch die mehr femininen Pastellfarben, die das Blau ihrer Augen betonten und mit ihrem goldenen Haar harmonierten, dessen Farbe jetzt langsam von Gold in Silber überging.

Ruth fröstelte trotz der warmen Kostümjacke. Dieser Teil des Zimmers war immer zu kalt; sogar die schweren, in Falten herabfallenden Vorhänge schienen nicht zu verhindern, daß kühle Luft durch die großen Fenster hereindrangen. Das Zimmer war einfach zu langgezogen für den einzigen Kamin, der sich in der Mitte seiner Längsseite befand. Ruth ging der Gedanke durch den Kopf, wie ihre Vorfahren wohl die Kälte ertragen hatten, als es noch keine Zentralheizung gab. Aber in der guten alten Zeit war man wahrscheinlich noch nicht so verweichlicht, dachte sie, die Menschen waren sicher auch weniger sentimental und realistischer. Bestimmt wäre keiner von ihnen auf die Idee gekommen, sich wegen eines jungen Mädchens, das sich ein paar Minuten verspätete, gleich Sorgen zu machen. Allerdings hätte sich in jenen Tagen eine wohlerzogene junge Frau auch nicht nach Anbruch der Dunkelheit ohne Begleitung außerhalb des Hauses aufgehalten.

Gerade wollte Ruth ihren Wachposten verlassen, da sah sie, wie vor dem Haus ein Auto seine Fahrt verlangsamte. Kurze Zeit verharrte es unschlüssig in der zweiten Spur, um sich dann wie ein großes Insekt, dem es tatsächlich ähnelte, mit einem plötzlichen Satz in eine enge Parklücke neben einem Hydranten zu stürzen. Ruth ging ganz nah ans Fenster heran, wobei sie völlig vergaß, daß man sie durch das so dicht an der Straße liegende erleuchtete Fenster von draußen deutlich sehen konnte. Da kaum etwas sie so wenig interessierte wie Autos, konnte sie nicht genau erkennen, um welche Marke es sich handelte, war aber der festen Überzeugung, daß es ein ausländisches Fabrikat sein mußte.

Eine Wagentür öffnete sich, und das daraus auftauchende Gewirr von Armen und Beinen entpuppte sich nach einem kurzen Moment als die hochgewachsene, schlanke Gestalt ihrer Nichte. Ruth lächelte, einerseits vor Erleichterung und andererseits, weil es sie jedesmal amüsierte, wenn Sara versuchte, ihre langen, von einem Minirock nur spärlich bekleideten Beine mit Anstand aus einem kleinen Auto herauszumanövrieren. Ihr Lächeln vertiefte sich beim Anblick von Saras Kleidung. Normalerweise war ihre Nichte morgens noch im Bett, wenn Ruth das Haus verließ, um zur Arbeit zu gehen. Sara war im dritten Studienjahr und hatte längst die Kunst erlernt, ihre Kurse so zu legen, daß ihre sozialen Aktivitäten oder ihr Schlaf davon nicht übermäßig beeinträchtigt wurden. So erwartete Ruth jeden Abend aufs neue das Erscheinen ihrer Nichte mit einem Gemisch aus Spannung und leiser Besorgnis. Jede neue Aufmachung erschien ihr als das Äußerste, das Extrem, über das man unmöglich noch hinausgehen konnte. Und jedesmal mußte sie feststellen, daß sie sich geirrt hatte.

Im linken Arm hielt Sara einen Stapel Bücher. Mit der rechten Hand strich sie sich das lange schwarze Haar aus dem Gesicht, eine Geste, die sich als das größte, wenn nicht einzige Ärgernis für ihre darunter leidende, aber stillschweigende Tante herausgestellt hatte. Saras Haar war vollkommen glatt. Wie sie das anstellte, wußte Ruth nicht, aber es machte ihr oft Kopfzerbrechen. Wenigstens bedeckten die Haare Ohren, Hals und Schulter des Mädchens und erfüllten so einige der Funktionen von Hut und Schal, die Sara sich weigerte zu tragen. Zeitweise wurden sogar Nase und Kinn davon eingehüllt.

Vielleicht sollte die wallende Haarfülle ja den Ausgleich dafür bilden, daß Saras untere Extremitäten im allgemeinen nur spärlich bedeckt waren. Heute abend trug sie die langen schwarzen Stiefel, die sie erst vor kurzem gekauft hatte, aber zwischen deren oberen Ende und dem Rocksaum klaffte eine Lücke von etwa zwanzig Zentimetern. Schwarze Netzstrümpfe bedeckten sie nur spärlich, denn sie waren so großmaschig, daß man ein gutes Stück von Saras nacktem Oberschenkel zu sehen bekam.

Besonders amüsant war Saras momentane Aufmachung, wenn Ruth sich in Erinnerung rief, wie sie das Mädchen an einem Vormittag Anfang September zum ersten Mal gesehen hatte. Als Sara aus dem Taxi stieg, trug sie ein ordentliches Leinenkostüm, Nylonstrümpfe, dezente Pumps und – Ruth konnte es heute kaum noch glauben – einen Hut und Handschuhe. Seitdem hatte Ruth weder das Kostüm noch den Hut oder die Handschuhe wiedergesehen. Rückblickend fühlte sie sich sogar fast geschmeichelt, nicht, weil Sara sich Mühe gegeben hatte, für sie konventionell auszusehen – ohnehin hegte Ruth den Verdacht, daß dafür eher Saras Mutter die Verantwortung trug –, sondern weil sie offenbar der Meinung war, daß sie diese Form der Angepaßtheit bei ihrer Tante nicht aufrechtzuerhalten brauchte.

Sara beugte sich zum Wagenfenster hinunter, um mit dem Fahrer zu sprechen. Wieder fiel ihr das Haar ins Gesicht. Vor Neugier bemerkte Ruth nicht einmal den Reflex in Saras Fingern, der – wie immer – dadurch ausgelöst wurde. Der Mann im Auto war keiner von Saras üblichen Begleitern. Offensichtlich hatte sie ihn aufgefordert, mit ins Haus zu kommen, denn die Wagentür öffnete sich, und er trat auf die Straße. Dabei entging er nur knapp dem Schicksal, überfahren zu werden, so dicht raste eine Volkswagen an ihm vorbei. Er schien jedoch daran gewöhnt zu sein, so wie es in der Tat die meisten Washingtoner sind.

Ruths erste Eindruck war neutral. Er war groß und breitschultrig, aber das Auffälligste an ihm war sein sogar in dem schwachen Straßenlicht weithin sichtbares Haar, dessen leuchtendes Orangerot noch kein Grau zu enthalten schien. Trotzdem wußte Ruth, daß er nicht mehr jung war; etwas in der Art, wie er stand und sich bewegte, wies darauf hin.

Mit einer abrupten Bewegung drehte er sich um und sah zu dem Haus herüber. Erschrocken ließ Ruth die Gardine los und trat zurück. Sie hatte die plötzliche Wendung seines Kopfes wie eine direkte Berührung empfunden. Wie dumm von ihr, hier zu stehen und wie eine klatschsüchtige Hausfrau oder eine viktorianische Gouvernante, die ihren Schützling kontrolliert, auf die Straße zu starren. Während Ruth zur Tür ging, um zu öffnen, errötete sie vor Scham, eine liebenswerte Eigenheit, die selbst fünfzehn Jahre im Staatsdienst nicht hatten auslöschen können. Die Farbe verlieh ihrem feingeschnittenen Gesicht mit dem zarten Teint eine lebhafte Ausstrahlung, und Ruth war oft gesagt worden, daß sie bezaubernd aussah, wenn sie rot wurde. Daher war sie etwas verärgert, als der Blick des Mannes, der vor der Tür stand, sofort über sie hinwegging und im Raum hinter ihr haften blieb.

»Allmächtiger Gott«, waren seine ersten Worte.

Ruth warf einen Blick über ihre Schulter.

»Es freut mich sehr, daß es Ihnen gefällt«, kommentierte sie frostig. »Wollen Sie nicht hereinkommen, um sich alles in Ruhe anzusehen? Der Wind ist etwas kühl heute.«

»Dies ist Professor MacDougal, Ruth«, sagte Sara, während sie mit der vertrauten Geste schwungvoll die Haare aus dem Gesicht beförderte. »Er war so nett, mich nach Hause zu fahren. Meine Tante, Mrs. Bennett, Professor.«

»Und wie immer tritt er sofort ins Fettnäpfchen«, grinste Professor MacDougal und entblößte ein raubtierhaft aussehendes Gebiß. Als er ihr jetzt seine ganze Aufmerksamkeit zuwandte, war Ruth sich nicht sicher, ob ihr das gefiel. Er schien viel größer, als sie gedacht hatte, weit über ein Meter achtzig und von mächtiger Statur. Seine Abstammung stand ihm ins Gesicht geschrieben, aber es war nicht die irische Stereotype, die im allgemeinen eher Karikatur als Wirklichkeit ist. Er hatte ein Gesicht, wie man es auf alten irischen Porträts findet, das eines Träumers und Soldaten zugleich. Von nahem sah man, daß sein Haar doch nicht mehr nur rot, sondern mit viel Grau durchmischt war, dessen Schimmer eher an Eisen als an Silber erinnerte. An Wangen und Kinn war seine Haut nicht mehr ganz straff. Er muß um die fünfzig sein, dachte Ruth, und er hat ein sehr nettes Lächeln.

»Es tut mir leid, Mrs. Bennett«, fuhr er fort, »das war verdammt noch mal keine feine Art, eine fremde Dame zu begrüßen, nicht wahr? Vor allem, wenn man gerade deren Nichte nach Hause gebracht hat. Aber ich liebe gute Architektur, und das ist eine bemerkenswerte Treppe. Kleiner als die im Octagon-Haus, aber genauso schön.«

»Kommen Sie herein«, forderte Ruth ihn auf.

»Ich bin schon drin. Wollen Sie, daß ich wieder hinausgehe und noch einmal von vorn anfange?«

Für einen Moment verschlug es Ruth die Sprache. Sie fühlte sich, als ob sie bei schlechtem Wetter auf einem Schiff stünde und das Deck unter ihren Füßen wegrutschte. Doch dann rettete sie ihr stark ausgeprägter Sinn für Humor. »Nein, bleiben Sie drin, nun ist es ja schon passiert. Was in aller Welt lehren Sie, Professor?«

»Anthropologie.«

»Natürlich.«

»Natürlich«, wiederholte er mit ernster, bedenklicher Miene. »Das brüske, unzivilisierte Benehmen, die mit Flüchen durchsetzte Sprache, das wettergegerbte Aussehen …«

»Keineswegs«, fiel Ruth in dem Versuch ein, die Konversation mitzubestimmen. »Aber Sara hat oft von Ihnen gesprochen. Sie ist ganz begeistert von Ihren Kursen. Es war sehr freundlich von Ihnen, sie nach Hause zu bringen.«

»Sie blieb länger, weil sie mir half, meine Papiere zu ordnen. Aber es ist kein Umweg für mich gewesen, und ich hatte sowieso heute nichts Besonderes vor.«

»Dann müssen Sie bleiben und einen Sherry mit uns trinken – oder etwas anderes, wenn Ihnen das lieber ist –, bevor Sie sich wieder hinaus in diesen gräßlichen Wind begeben.«

Er trank einen Sherry, was Ruth ein wenig erstaunte. Sherry fand sie eigentlich kein angemessenes Getränk für jemanden, der so außerordentlich maskulin war, und ein Bierkrug schien besser in seine großen Hände zu passen als das zerbrechliche Sherryglas mit dem dünnen Stil. Professor MacDougal setzte sich auf das Sofa und ließ einen entspannten Seufzer vernehmen, der ein unbewußter Tribut an den beruhigenden Charakter des Zimmers war.

»Hübsch, wirklich sehr hübsch. Aber die Freitreppe ist die Krönung. Hat Thornton selbst sie entworfen?«

»Der Architekt des Capitols? Das sagt man zwar, aber es läßt sich nicht nachweisen.«

»In meiner Jugend – das war vor ungefähr vier Kriegen – wollte ich Architekt werden. Ich habe die Führung durch die Georgetown-Häuser mitgemacht, zusammen mit den sozialen Aufsteigern und den schwärmerischen alten Damen, aber dieses Haus habe ich nie gesehen. Ich hätte mich an die Treppe erinnert.«

»Oh, dann sind Sie also hier aufgewachsen? Das ist selten in Washington und in Georgetown noch seltener.«

»Ich wohne nicht mehr hier«, antwortete er kurz.

»Aber vielleicht erinnern Sie sich, warum dieses Haus nicht zu besichtigen war. Die vorherige Eigentümerin war eine exzentrische alte Dame, eine echte Georgetown-Persönlichkeit, wie sie im Buche steht. Sie sagte immer, sie will nicht, daß der Pöbel auf ihren Teppichen seinen Schmutz hinterläßt und ihre Sachen anstarrt.«

»Genau, jetzt erinnere ich mich. Allerdings habe ich ihre Gründe nie auf so eindrückliche und unschmeichelhafte Art dargestellt gehört. Gehe ich richtig in der Annahme, daß Sie das Haus möbliert gekauft haben? Sie können doch unmöglich all diese Möbel und den ganzen Nippes in Ihrem kurzen Leben selbst zusammengesammelt haben.«

»Ihre Vermutung, was die Einrichtung angeht, ist richtig«, sagte Ruth und ignorierte den etwas plumpen Versuch, ihr zu schmeicheln. »Aber ich habe das Haus nicht gekauft. Die alte Miß Campbell war meine Kusine zweiten Grades. Sie hat es mir vererbt.«

»Ich wußte gar nicht, daß sie noch lebende Verwandte hatte. Langsam erinnere ich mich wieder – stammte sie nicht sogar noch direkt von dem ursprünglichen Erbauer es Hauses ab?«

»Ja, genau. Das ist eins der wenigen Häuser, die nie restauriert worden sind, weil sie nie vernachlässigt wurden. Viele Möbelstücke stehen noch immer an der gleichen Stelle wie vor hundertfünfzig Jahren. Ich gehöre zu einer Seitenlinie der Familie. Miß Campbells Vater hat meine Großmutter verstoßen, aber das ist ungefähr tausend Jahre her.«

»Wie haben Sie es fertiggebracht, die alte Dame zu betören?« MacDougal fuhr mit einem Finger über den Rand des neben dem Sofa stehenden Tisches, der mit einem lieblichen Schmuckmotiv aus Bändern, Blumen und Früchten verziert war. Seine Hände waren groß und gebräunt und hatten breite Finger, aber seine Berührung war so zart wie die eines Musikers.

»Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Als ich vor Jahren nach Washington kam, habe ich sie angerufen, aus purer Höflichkeit. Ich war noch nicht einmal interessiert an dem Haus, denn um diese Zeit hatte ich gerade meine moderne schwedische Phase. Aber ich wußte, daß all ihre näheren Verwandten nicht mehr lebten, daher dachte ich, die arme alte Seele wäre vielleicht einsam. Weit gefehlt! Sie hatte eine ungeheuer spitze und giftige Zunge, und die benutzte sie ausgiebig. Wenn ich nicht so wohlerzogen gewesen wäre, wäre ich nach den ersten fünf Minuten wieder gegangen. Aber das Haus fand ich wunderschön. Es war das erste Mal, daß ich so etwas überhaupt sah. Sogar jetzt weiß ich kaum etwas darüber. Ich habe keine Zeit, mich mit Architektur oder Antiquitäten zu beschäftigen, ich erfreue mich einfach nur daran. Als mich letztes Jahr Kusine Hatties Rechtsanwalt anrief, um mir mitzuteilen, daß sie mir das Haus vererbt hatte, fiel ich aus allen Wolken.«

»Vielleicht waren Sie die einzige Verwandte, die sie überhaupt persönlich kannte. Und wahrscheinlich hatte sie einen sehr stark ausgeprägten Familiensinn, wie so viele dieser sauertöpfischen alten Jungfern.«

»Das nehme ich auch an. Ich hatte immer ein schlechtes Gewissen, weil ich nicht einmal wußte, daß sie gestorben war. Ihr Rechtsanwalt sagte mir zwar, daß sie selbst auf einem ganz privaten Begräbnis bestanden hatte, aber wenn ich die Zeitungen gelesen hätte …«

»In unserem Alter liest man eben noch keine Todesanzeigen«, warf MacDougal trocken ein. »Warum haben Sie ein schlechtes Gewissen? Sie wollte es doch selbst so. Sie wird Sie bestimmt nicht als Gespenst heimsuchen, oder tut sie das?«

»Tut wer was?«, fragte Sara, die im selben Moment mit einem Tablett hereinkam. Ruth bekam große Augen, sagte jedoch nichts. Sara hatte für Professor MacDougal das vorbereitet, was sie unter sich als den Service für Ehrengäste bezeichneten: geräucherte Austern, Nüsse (die Luxusmischung ohne Erdnüsse) und heißen Blätterteig, gefüllt mit Käse.

»Ob die alte Miß Campbell Ihre Tante als Gespenst heimsucht. Danke, Sara, das sieht sehr gut aus.« MacDougal bediente sich ohne Umschweife und ausgiebig. Dann warf er einen abschätzigen Blick auf Saras Kleidung. »Aber ich muß sagen, obwohl mir im allgemeinen die Sachen gefallen, die ihr Mädchen heute tragt, in diesem Zimmer sehen Sie so unpassend aus wie ein Kopfjäger in Versailles, Sara.«

»Ich teile Ihre ästhetische Einschätzung«, stimmte Ruth lächelnd zu, »aber ich kann mir Sara auch nicht in Rüschen und Krinolinen vorstellen.«

»Heute lassen sich die Leute von solchen Dingen sowieso nicht mehr beeindrucken«, meinte Sara verächtlich. »Es ist ja auch schrecklich – Sherry, Antiquitäten und all dieses Zeug, während nur ein paar Straßen weiter …«

»Diese Art Kontrast ist das banalste Klischee von allen«, unterbrach sie MacDougal. Zu Ruths Überraschung nahm Sara den Verweis gelassen hin.

»Ja, Sir. Aber ein Klischee ist nicht notwendigerweise falsch, nicht wahr?«

»Nein, meine Liebe, und auch ich würde gerne jeden glücklich und gleichberechtigt sehen. Aber bis es soweit ist, schwelge ich weiter in meinen sündhaften bourgeoisen Vergnügungen, wie zum Beispiel Sherry und Antiquitäten. Sind Sie denn gar nicht empfänglich für den Charme dieses Ortes hier? Die alte Miß Campbell gehörte doch auch zu Ihrer Familie, nicht wahr?«

»Ich denke schon«, erwiderte Sara gleichgültig. »Meine Mutter ist Ruths Schwester, also bin ich Kusine Hatties… tja, was? Vierzehnte Kusine zweiten Grades? Merken Sie, wie albern das ist? Warum sollte ich für Kusine Hattie mehr empfinden als für Hairy Joe, der am Dupont Circle so wunderschön Gitarre spielt?«

»Alle Menschen sind Brüder«, kommentierte MacDougal mit süßlicher Stimme.

»Ja, verdammt noch mal!«

»Sara …« fing Ruth an.

»Lassen Sie nur«, unterbrach MacDougal sie. »Ich sollte das Mädchen nicht herausfordern. Aber ich kann es einfach nicht lassen. Es befriedigt meine sadistische Art, die richtigen Knöpfe zu drücken und zuzusehen, wie sie vor Empörung aufspringen. Sie setzen Verwahrlosung mit Mitmenschlichkeit gleich. Übrigens spielt Joe furchtbar schlecht Gitarre.«

»Oh, ich will gar nicht die Blumenkinder verteidigen«, entgegnete Sara in altklugem Ton. »Manche von ihnen sind ziemlich einfältig. Aber wenigstens denken sie über die wichtigen Probleme nach, auch wenn das, was sie denken, falsch ist. Während die Georgetown-Mentalität … Ich sage Ihnen, was ich typisch dafür finde. Die Geschichte von einer Gouvernante, die streng darüber wachte, daß ihre Schützlinge jeden Abend um Punkt zehn Uhr das Licht löschten. Und dann, nachdem sie gestorben war, gingen alle Lampen in ihrem früheren Zimmer genau um diese Zeit aus, ganz von allein. Leere Traditionen, unnütze Sentimentalität …«

»Ganz offensichtlich hast du ein Buch über Georgetown gelesen«, bemerkte Ruth, während sie die Gläser nachfüllte.

»Ein einziges, das erste und letzte! Ganz ehrlich, mir hat sich der Magen dabei umgedreht! So viel Güte und so viel Licht, und solche dicken fetten Lügen.«

»Na, na«, warf MacDougal grinsend ein.

»Sie wissen ganz genau, was ich meine. Wenn man diesem Buch glaubt, waren alle Bewohner von Old Georgetown freundliche, edle Philantropen. Aber schauen Sie sich nur die Bilder von Ihnen an! Zusammengekniffene Lippen, Hakennasen, grimmige alte Schreckgespenster! Und nicht ein Wort von Skandalen, Verbrechen … Wie ist das möglich, Sie wissen selbst, daß es in einem Zeitraum von zweihundert Jahren hier eine Menge Gewalt gegeben haben muß. Aber das Buch erwähnt sie nie – um Himmels willen, bloß nicht!«

»Etwas, was ich an der jungen Generation gar nicht mag«, sagte MacDougal traurig, »ist ihr bitterer Zynismus.«

»Ich nehme an, davon bekommen Sie eine ganze Menge zu hören?«, fragte Ruth.

»O ja. Diese jungen Leute deprimieren mich zutiefst. Was halten Sie davon, mich nach einem harten Tag unter Halbwüchsigen ein wenig aufzuheitern, indem Sie mir beim Abendessen Gesellschaft leisten?«

»Sehr gerne«, antwortete Sara enthusiastisch.

»Nicht Sie«, entgegnete MacDougal, »nur Ihre Tante. Sie sind alt genug, um sich selbst ein Ei zu braten.« Beiläufig fügte er zu Ruth gewandt hinzu: »Man muß deutlich mit ihnen reden, sie verstehen keine Feinheiten.«

Ruths Blick war auf den goldenen Schimmer des Sherrys in ihrem Glas gerichtet. Sie hatte nur drei kleine Gläser davon getrunken, bei weitem nicht genug, um damit die angenehme Wärme zu erklären, die sie durchströmte. Und schließlich war er Professor – ein derart angesehener Beruf, machte sie sich innerlich über sich selbst lustig.

»Vielen Dank«, erwiderte sie schließlich absichtlich förmlich. »Ich nehme Ihre Einladung gerne an. Aber ich muß früh zu Hause sein.«

Im selben Moment wußte sie, daß diese letzte Bemerkung ihn amüsieren würde. Sie tat es; sein Mund kräuselte sich, und die Augenbrauen schossen in die Höhe. Saras Reaktion war schlimmer. Nachdem sie ihr Erstaunen überwunden hatten, strahlte sie Ruth an wie eine stolze Mutter, die ihre Tochter zum ersten Rendezvous schickt.

Kapitel 3

Sie saßen in einem französischen Restaurant in Georgetown, nicht weit entfernt von Ruths Haus. Die Einrichtung war absichtsvoll und mit viel Geld in rustikalem Stil gehalten; zwischen zwei großen Kaminen hingen allerlei ländliche Gerätschaften und Kupferpfannen an den Wänden, die Kellnerinnen trugen weite Röcke und Schürzen. Das schummrige Licht war MacDougals Behauptung zufolge ein nicht erfolgreicher Versuch, die Armseligkeit der Kochkünste zu verbergen.

»Ich bin kein Gourmet«, erklärte er, während er mit ruhiger Zufriedenheit aß. »Ich merke zwar, wenn richtig schlecht gekocht wurde, aber es ist mir nicht wirklich wichtig. Natürlich tut es mir um Ihretwillen leid, daß ich eine schlechte Wahl getroffen habe. Ich kenne mich nicht allzu gut in der Stadt aus.«

»Ich nehme an, Sie sind viel unterwegs«, sagte Ruth. Sie hatte eben beschlossen, den größten Teil der ziemlich ungenießbaren Zwiebelsuppe stehenzulassen. »Und in Washington ändert sich dauernd alles in kürzester Zeit.«

»Das ist richtig, beides. Ich habe das letzte Jahr in Afrika verbracht und bin erst diesen Herbst wiedergekommen. Vielleicht bin ich deswegen gegenüber den hiesigen Kochkünsten so unkritisch. Verglichen mit dem, was ich zehn Monate lang gegessen habe, hat praktisch alles die Qualität eines ausgezeichneten Cordon bleu.«

»Was machten Sie denn in Afrika?« Ruth sah leicht bestürzt auf das Omelette, das ihr gerade serviert worden war. Omelette bestellte sie für gewöhnlich, wenn sie sich der Fähigkeiten des Kochs nicht sicher war. Doch selbst bei diesem schlechten Licht war deutlich zu erkennen, daß die bräunliche Rolle auf ihrem Teller einer nicht fachgemäßen Behandlung unterzogen worden war.

»Schwarze Magie studieren.«

»Oh, tatsächlich. Was ist das eigentlich, was Sie essen?«

»Eintopf. Auf der Karte steht zwar Bœuf bourguignon, aber es ist Eintopf. Lassen Sie das Omelette zurückgehen, wenn es Ihren Sinn für Ästhetik beleidigt. Essen Sie sich an Brot satt, während ich Sie ersatzweise mit Geschichten verwöhne, wie man den Teufel heraufbeschwören kann.«

»Ich dachte, Sie haben nur Spaß gemacht.«

»Aber nein. Tatsächlich bin ich eine der führenden Autoritäten auf dem Gebiet von Magie und Aberglauben. Erzählen Sie mir nicht, daß Sie noch nie von mir gehört haben.«

Er grinste sie an und nahm einen großen Bissen Eintopf.

»Es tut mir leid …«

»Merken Sie eigentlich nicht, wenn jemand Sie aufzieht? Trinken Sie noch etwas Wein. Das ist das einzige, was dieser infernalische Koch nicht verderben kann.«

»Danke. Und wie kommen Sie zu der Beschäftigung mit so … so …«

»Mit so absonderlichen Dingen? Nun ja, man könnte sagen, ich bin darüber gestolpert. Während meiner ersten Feldstudie in einem Dorf in Zentralafrika, wo die Eingeborenen an einem Fluch starben.«

Seine Stimme war sachlich, aber Ruth bemerkte, wie er über seine Weinglas hinweg gespannt ihre Reaktion beobachtete. Sie entschied, daß sie jedenfalls nicht springen würde, wenn er den richtigen Knopf drückte.

»Tatsächlich?«, fragte sie höflich.

»Schreckliche Frau! Wollen Sie den Spieß umkehren und mich an der Nase herumführen?« MacDougal strahlte sie an. »Also gut, ich meine es in der Tat ernst. Sie starben wirklich und wahrhaftig, weil ihr Zauberdoktor sich geärgert und einen Fluch über sie verhängt hatte.« Jetzt war sein Gesichtsausdruck ernst, und seine Augen hatten sich verdunkelt. »Es waren sehr liebenswürdige Wilde«, fuhr er fort, »scheu und ein bißchen ängstlich. Ich habe meinen ganzen Vorrat an Erste-Hilfe-Mitteln aufgebraucht, als ich versuchte, ihnen zu helfen. Erst dann dämmerte mir langsam die Wahrheit.«

»Und was haben Sie getan, als Sie die Wahrheit erfuhren?«, fragte Ruth.

»Was? Oh, ich … ich überzeugte den Schamanen, sich nicht in meine Aktivitäten einzumischen. Dann habe ich den Fluch wieder unwirksam gemacht.«

»Jetzt ziehen Sie mich auf.«

»Nein, das tue ich nicht. Wissen Sie, als ich jung war, wollte ich nicht nur Architekt werden und Feuerwehrmann und Cowboy und Spion und Müllmann, sondern kurze Zeit hegte ich auch den sehnlichsten Wunsch, als Zauberer auf einer Bühne zu stehen. Ich habe ausgiebig geübt und war gar nicht so schlecht. Also zog ich in Afrika einigen dieser Eingeborenen Schlangen aus den Ohren, sang Lieder, vollführte einen Zaubertanz …«

Er zuckte mit den Achseln. Ruth sah ihn nachdenklich an, dann entschied sie, daß er trotz seines breiten Lächelns die Wahrheit sagte.

»Ich wußte nicht, daß so etwas tatsächlich passiert«, erwiderte sie.

»›Stöcke und Steine können mir die Knochen brechen, aber Worte mich nie verletzen‹? Das ist falsch, sogar in unserer sogenannten rationalen Gesellschaft. Ein falsches Wort, verankert im Kopf eines verwirrten Kindes, kann Jahre später zu einem Mord führen. Und in einer Kultur, wo die Macht des Wortes anerkannt ist, kann ein Fluch töten. In diesem Dorf in Rhodesien tötete er acht Menschen.«

»Ich glaube, man wartet darauf, daß wir gehen, damit das Restaurant geschlossen werden kann«, meinte Ruth mit einem unbehaglichen Blick auf die Kellnerin, die in einer Haltung auffälliger Geduld an einer Wand lehnte. »Sollen wir …«

»Ja, gehen wir.« Sein Lächeln wurde noch breiter, als er sie über die Kerzenflamme hinweg ansah. »Sie reden über so etwas nicht gerne, habe ich recht? Warum nicht?«

»Warum nicht? Weil es gegen jede Vernunft ist.«

»Deswegen? Ich glaube, es gibt noch einen anderen Grund.«

»Ach? Sind Sie auch so etwas wie ein Psychologe?«

»Das muß ich in meinem Beruf sein. Die Erscheinungen, die wir als übernatürlich bezeichnen, sind Produkte des verrückten, durcheinandergebrachten menschlichen Geistes und weiter nichts.«

Er half ihr in den Mantel, und Ruth streifte ihre Handschuhe über. Auf dem Weg zur Tür sagte sie: »Sie haben recht, das Thema ist mir unangenehm. Merkwürdig. Aber ich habe nicht die Absicht, Sie in meinem Unterbewußtsein herumwühlen zu lassen, um eine Erklärung dafür zu finden.« Er lachte, und sie fügte scherzhaft hinzu: »Jedenfalls weiß ich jetzt, an wen ich mich wenden kann, wenn meine arme alte Kusine Hattie als Geist bei mir auftaucht.«

»Nein, zum Teufel, Sie haben es nicht verstanden! Ich glaube genausowenig an Geister wie Sie; wenn Kusine Hattie auftaucht, müssen Sie einen Priester oder ein Medium rufen. Die Dinge, die ich untersuche, sind völlig natürlich.«

»Okay, tut mir leid. Dann also nicht.«

Für den Weg zu ihrem Haus brauchten sie nur fünf Minuten. Sie schwiegen beide, während der Wagen ruhig durch die leeren Straßen rollte. MacDougal hielt vor dem Haus. Anstatt auszusteigen und ihr die Türe zu öffnen, drehte er sich zur Seite und sah sie an. Ruth war sich nicht bewußt, irgend etwas signalisiert zu haben, aber nach einem kurzen Moment änderte sich sein Gesichtsausdruck und er lehnte sich in seinen Sitz zurück.

»Ich frage Sie lieber gar nicht erst, ob ich mit hineinkommen darf«, sagte er leichthin. »Ich könnte in Versuchung geraten. Und ich möchte Sara nicht schockieren.«

»Sie wäre nicht schockiert«, entgegnete Ruth. Ihr Lächeln war nur leicht gezwungen. »Höchstens amüsiert.«

»Das wäre noch schlimmer. Gute Nacht, Ruth.«

Kapitel 4

Die Küche war warm und hell, und es duftete anregend nach frischem Kaffee. Ruth bestrich gerade ihre Toastbrotscheiben mit Butter, als sie Schritte hörte und vor Schreck das Messer fallen ließ.

»Meine Güte, hast du mich erschreckt«, rief sie, während ihre Nichte die Küche betrat. »Was machst du denn schon so früh hier? Es ist noch nicht einmal hell draußen.«

»Ich konnte nicht wieder einschlafen.« Sara gähnte so ausgiebig, daß Ruth vor Mitgefühl die Backenknochen weh taten. »Gib her, ich mach’ das für dich.«

»Du schläfst ja noch halb. Setz dich und trink erst mal Kaffee. Es sei denn, du willst lieber wieder ins Bett gehen.«

Sara schüttelte den Kopf und ließ sich in einen Stuhl fallen. Ihr grüner Samtmorgenmantel mit den langen, spitzenbesetzten Ärmeln ging bis zum Boden. Ganz offensichtlich stammte dieser Beitrag zu Saras Garderobe von ihrer sie abgöttisch liebenden Mutter, die sich wahrscheinlich vorgestellt hatte, daß Sara darin jung und unschuldig aussehen würde. Statt dessen gaben der dunkle Schimmer des Materials und der ans Mittelalter erinnernde Stil ihrer Erscheinung eher eine reife und erhabene Schönheit. Sie sah aus wie eine Edeldame auf dem Bildnis eines spanischen Hofmalers aus dem sechzehnten Jahrhundert. Saras Haut war glatt und olivfarben, und ihr schwarzes Haar, das sie für die Nacht zu einem dicken Zopf geflochten hatte, glänzte wie poliertes Metall.

Ruth warf einen Blick auf die Uhr und goß sich noch eine Tasse Kaffee ein. Es war noch früh. Sie stand immer zeitig genug auf, um in aller Ruhe frühstücken zu können.

»Möchtest du Toast?«

»Nein, danke.« Wieder gähnte Sara.

»Warum nicht? Du brauchst nicht Diät zu halten, und wenn du schon nicht genügend schläfst, solltest du wenigstens ordentlich essen.« Ohne eine Antwort abzuwarten, steckte Ruth noch zwei Scheiben Brot in den Toaster und schob Sara den Teller hin, den sie für sich selbst vorbereitet hatte. Als sie einen zweiten Teller auf den Tisch stellte, biß Sara dankbar in ein mit Butter bestrichenes goldenes Dreieck.

»Hmm, gut«, sagte sie und lächelte ihre Tante an. »Entschuldigung, Ruth, eigentlich sollte ich dir dein Frühstück machen.«

»Ich wüßte nicht, warum.« Ruth erwiderte Saras Lächeln. Wie hübsch das Mädchen war! Die langen dunklen Wimpern waren so dicht, daß sie die Augen sogar jetzt groß und ausdrucksvoll erscheinen ließen, obwohl die Lider noch schwer vom Schlaf waren. Ruth mußte daran denken, daß das genau die Wirkung war, die von teuren Augen-Make-ups versprochen, meist jedoch nicht eingelöst wurde.

Kaffee und Toast weckten Saras Lebensgeister, und sie stand auf und fing an, Rührei zu machen.

»Ich liebe diese Küche«, sagte sie, während sie mit einem Quirl die Eimasse schaumig rührte.

Beifällig ließ Ruth ihren Blick durch den Raum schweifen. Im Gegensatz zu der tristen grauen Dämmerung, die draußen jetzt anbrach, fiel die behagliche Atmosphäre besonders auf. Der Edelstahl des Herdes, des Backofens und der doppelten Spüle sowie die makellos weiße Tür des Kühlschranks blitzten, während die Schränke aus Ahornholz mit den gehämmerten eisernen Beschlägen und Griffen einen wohnlichen Akzent setzten. Eine Wand war tapeziert, das altmodische Muster zeigte Bauern bei der Heuernte, eine Kopie eines alten französischen Originals. Das helle Rot der Hemden, die die Arbeiter trugen, und die goldenen Korngarben gaben der Küche einen lebendigen und fröhlichen Charakter, der durch das warme Rotbraun der Bodenfliesen noch verstärkt wurde. In einem Eckschrank mit Glastüren wurden mehrere Fächer von Ruths Teekannensammlung eingenommen, die aus Kannen in allen Materialien und Farben bestand.

»Allerdings müßte der Kühlschrank braun sein«, fügte Sara hinzu.

»Ich mag farbige Kühlschränke nicht«, erwiderte Ruth abwesend. Diesen Dialog hatten sie schon mehrere Male geführt, und inzwischen besaß er die angenehme Monotonie einer Routinehandlung. »Ich finde sie dekadent.«

»Wie farbiges Toilettenpapier«, fuhr Sara fort, und beide lachten.

»Bei dieser Küche ist einem sofort klar, daß du die Einrichtung ausgesucht hast«, sagte Sara. »War sie so unerträglich, als du das Haus geerbt hast?«

»Du hättest sie sehen müssen! Ich nehme an, daß Kusine Hattie vierzig Jahre lang nur von gekochten Eiern gelebt hat. Sie hielt nichts von neumodischen Erfindungen.«

»Es muß furchtbar ausgesehen haben!«

»Einige der alten Sachen waren richtige Museumsstücke. Zum Beispiel einer der riesigen, schwarzen Herde, die man mit Holz beheizt – ich glaube nicht, daß du so etwas jemals gesehen hast. Natürlich war er jahrelang nicht benutzt worden, es ist auch völlig unsinnig, so ein Monster für eine einzige Person in Gang zu bringen. Kusine Hattie kochte auf einem Kerosinkocher mit einer einzigen Flamme. Schrecklich gefährlich, diese Dinger. Es ist ein Wunder, daß ihr dabei nicht irgendwann das Haus abgebrannt ist.«

»Wie wär’s mit ein wenig Ei?« Sara brachte die dampfende, mit einem Kupferboden versehene Pfanne zum Tisch und schwenkte sie einladend unter Ruths Nase.

»Liebes Kind, ich habe gefrühstückt!«

»Draußen ist es kalt, und du brauchst keine Angst zu haben, daß du dick wirst.« Sara gab einen Löffel voll lockeren goldgelben Rühreis auf Ruths Teller. »Du kommst doch nicht zu spät, oder?«

»Nein, ich habe Zeit. Was ist mit dir? Wann ist dein erster Kurs?«

»Erst um elf. Dieser langweilige Kurs über Geschichte der Diplomatie. Aber ich glaube, ich werde früher in die Uni gehen und in der Bücherei arbeiten.«

»Oder Kaffee trinken mit … wie war doch sein Name?«

»Bruce. Du weißt ganz genau, wie er heißt. Du versuchst nur, die Tatsache zu leugnen, daß er existiert.«

»Du hörst dich an wie dein Freund Professor MacDougal«, konterte Ruth.

»Wann bist du übrigens letzte Nacht nach Hause gekommen?«

»Das ist meine Sache. Und was Bruce angeht, ich habe keinerlei mentale Blockierungen in Bezug auf seine Person. Er interessiert mich einfach nicht, das ist alles. Aber du weißt, was deine Mutter über ihn sagen würde.«

»Er ist nicht so schlimm wie Alan«, kicherte Sara.

»Da ich Alan nie gesehen habe, kann ich nichts dazu sagen. Die Beschreibung deiner Mutter war ziemlich schrecklich, aber ich bin gewillt, Übertreibungen zuzugestehen. Man übertreibt nämlich leicht«, fügte sie hinzu, als ihr klar wurde, daß sie gerade die vereinte Front der ältere Generation verletzt hatte, »wenn man sich um jemanden Sorgen macht, den man liebt.«

»Dazu hatte Mutter aber nicht den geringsten Grund. Ich war nie auch nur im mindesten in Versuchung, Alan zu heiraten.«

»Vielleicht hat sie sich gerade deswegen Sorgen gemacht.«

Sara lachte. Ihr Lachen klang weich und ansteckend und brachte auf ihren Wangen zwei Grübchen zum Vorschein.

»Ruth, du bist einfach wunderbar. Ich schätze deine Loyalität gegenüber Mutter, schließlich ist sie deine Schwester. Aber findest du nicht auch, daß ihre Haltung in Bezug auf Sex etwas mittelalterlich ist?«

»Das ist ein Gebiet, auf dem ich keine Autorität bin.«

»Welches, Sex?«

»Die Haltung deiner Mutter zu Sex. Werd nicht frech.«

Ruths Ton war scherzhaft, aber Sara hatte ein Gespür für Nuancen, eine Seltenheit für ein Mädchen ihres Alters, wie Ruth meinte. Sie wechselte sofort wieder in harmlose Gefilde.

»Alan war nur eine kurzfristige Verirrung«, erklärte sie leichthin. »Eine Demonstration jugendlicher Rebellion meinerseits. Wenn Mutter nicht dauernd über ihn hergezogen wäre, hätte ich viel früher mit ihm Schluß gemacht.«

Und das stimmte wahrscheinlich, dachte Ruth. Wie oft hatte sie sich zurückgehalten und geschwiegen, wenn ihre Schwester Helen Sara oder den Jungen gegenüber Bemerkungen machte, die offensichtlich nur deren Widerspruch anstachelten. Nun ja, ermahnte sie sich selbst ironisch, unverheiratete Tanten wissen immer alles besser als die Eltern selbst. Und wie viele kleine Fehler Helen auch gemacht haben mochte, Sara machte der Familie alle Ehre. Sie war hübsch, charmant, klug und hatte darüber hinaus noch gute Manieren. Während Ruths Blick wohlgefällig auf Saras Gesicht ruhte, hatte sie den Eindruck, daß heute morgen irgend etwas an Sara anders war als sonst. Was war es nur?

»… die Tatsache, daß er sich niemals gewaschen hat«, hörte sie Sara sagen. »Es war nicht so, daß er es nicht gekonnt hätte, weißt du; er wohnte zu Hause, und seine Eltern hatten eine wunderschöne riesige Villa in Shaker Heights, mit fünf Badezimmern, keins weniger. Es war eine Frage des Prinzips.«

»Ich habe noch nie verstanden, welches Prinzip durch kultivierten Schmutz ausgedrückt wird«, murmelte Ruth, die in Gedanken nur halb bei dem Gespräch war. Sie versuchte noch immer dahinterzukommen, was ihr das Gefühl gab, daß etwas mit Sara nicht in Ordnung sei.

»Nun ja, es ist ein Protest dagegen, wie schrecklich die Welt ist.«

»Aber der Welt noch einen Gestank mehr hinzuzufügen, verbesserte sie doch auch nicht, oder?«

»Ruth, du bist ein hoffnungsloser Fall«, lachte Sara. »Wenigstens mußt du zugeben, daß Bruce tadellos gepflegt ist. Du kannst dich nur nicht damit abfinden, daß er einen Bart hat.«

»Es ist nicht so sehr der Bart selbst, als vielmehr mein Verdacht, daß er angeklebt ist. Bruce ist nicht alt genug, um einen Bart wie Philipp von Spanien zu haben. Sara, geht es dir gut? Fühlst du dich gesund?«

»Sicher, mir geht’s prima. Ich bin ein bißchen müde, das ist alles.«

»Du hast gesagt, du konntest vorhin nicht wieder einschlafen. Was hat dich denn geweckt?«

Sara senkte den Blick. Sie nahm ihre Gabel in die Hand und fing an, goldene Stücken Rührei auf ihrem Teller hin- und herzuschieben.

»Wahrscheinlich mein schlechtes Gewissen. Ich müßte mich öfter in der Bibliothek aufhalten. Es sind bald Zwischenprüfungen.«

»Ach so. Im Moment haben viele Leute Grippe, und du hast Schatten unter den Augen.«

»Wie kannst du mich nach all den Eiern, die ich bei dir esse, verdächtigen, Grippe zu haben? Nicht, Tantchen, laß diese Teller stehen, das ist meine Aufgabe. Ich gehe frühestens in einer Stunde los. Soll ich heute abend Spaghetti machen?«

»Das wäre wunderbar. Deine Spaghetti sind sehr gut.«

»Das sollten sie auch. Es ist alles, was ich außer Eiern kochen kann.« Und dann, als Ruth schon ihre Handtasche und Handschuhe aufnahm und zur Tür ging, fragte sie: »Ruth?«

»Ja?«

»Haben die Leute, die im Haus neben uns wohnen, einen Hund oder eine Katze oder so?«

»Die Owens haben einen Weimaraner und irgend jemand hinter uns eine siamesische Katze. Ich habe den Hund drüben ein- oder zweimal gesehen, wie er in den Büschen herumschnüffelte.«

»Ein Weimaraner? Sind das nicht diese geisterhaft aussehenden grauen Hunde mit den roten Augen? Wie heißt er?«

»Ich habe keine Ahnung. Warum fragst du?«

»Ach, nur so.« Das Zögern und der ausweichende Blick waren so untypisch für Sara, daß Ruth sich sofort wieder Sorgen machte. Sara lächelte sie beruhigend an und sagte dann: »Es hört sich so albern an. Aber ich bin davon aufgewacht, daß jemand hinterm Haus etwas gerufen hat, mitten in der Nacht. Ich habe angenommen, daß irgendein geliebtes Haustier nicht zum Abendessen nach Hause gekommen ist.«

»Was hat dieser jemand gerufen?«

»Oh, siehst du, deswegen wollte ich dir nichts davon sagen. Ich wußte, daß du sofort an einen verrückten Mörder oder einen Peeping Tom denken würdest.« In ihrem Ton schwang mit: »Das tun ja alle Erwachsenen.« Dann fuhr sie laut fort: »So etwas war das überhaupt nicht, es war einfach nur jemand, der ein Tier rief, oder auch ein Kind. Aber ich konnte mir nicht vorstellen, daß Kinder nachts um vier Uhr draußen herumspazieren. Also dachte ich, daß es wohl ein Haustier sein mußte. Ich habe früher so nach unserem Kater gerufen, wenn ihn sein männlicher Instinkt zu lange draußen hielt.«

»Ich hoffe, du hast nicht so viel Lärm dabei gemacht, daß du die Nachbarn aufgeweckt hast. Ich werde mit Mr. Owens sprechen.«

»Nein, tu das nicht. Es war nur ein sanftes, leises Rufen, wirklich. Ich hoffe, sie finden den armen Sam«, fügte sie hinzu. »Er sieht wirklich etwas unheimlich aus, aber er war sehr freundlich, als ich das letzte Mal durch den Zaun mit ihm gesprochen habe.«

Ruth, die schon die Tür geöffnet hatte, drehte sich um.

»Sam? Nein, der Hund heißt Wolfgang von Eschenbach oder so ähnlich. Ich weiß nur, daß es ein völlig absurder Name ist.«

»Oh, dann muß es die Katze gewesen sein, die nicht nach Hause gekommen ist«, sagte Sara leichthin. »Ich bin nicht ganz sicher, wie der Name war, aber Wolfgang von Sowieso ganz bestimmt nicht. Es war Sammie oder so etwas Ähnliches. ›Komm nach Hause, komm nach Hause‹ – das hat die Stimme immer wieder gerufen – ›Sammie, komm nach Hause. ‹«

Kapitel 5

»Mein Name«, klang es laut und vernehmlich durch den Telefonhörer, »ist Pat MacDougal.«

»Wie bitte?«, fragte Ruth ungläubig.

»Ich gebe zu, daß es ein komischer Name ist. Hört sich an wie eine Comicfigur. Aber zufällig ist es mein wirklicher Name.«

»Sie verrückter Kerl«, sagte Ruth und wurde dunkelrot, als ihre Sekretärin ihr einen überraschten Blick zuwarf. »Ich wollte sagen, wie haben Sie mich gefunden?«

»Ich hab’ Sara angerufen und gefragt, wo Sie arbeiten. Das Landwirtschaftsministerium hat einen sehr effektiven Informationsdienst. Was, zum Teufel, tun Sie im Landwirtschaftsministerium – Äpfel zählen?«

»So etwas Ähnliches.«

»Hört sich ziemlich langweilig an für eine Frau mit Ihren Talenten.«

»Woher wissen Sie …«, begann Ruth, bevor ihr auffiel, daß sie dabei war, auf seinen Knopfdruck hin zu springen. »Es tut mir leid«, fuhr sie fort, »aber ich habe im Moment gerade viel zu tun. Kann ich Sie später zurückrufen?«

»Nein. Später werde ich bei Ihnen vorbeikommen, vorausgesetzt natürlich, daß Ihnen das recht ist.«

»Nun, das ist es nicht.«