Das Geheimnis der Juwelenvilla - Barbara Michaels - E-Book
SONDERANGEBOT

Das Geheimnis der Juwelenvilla E-Book

Barbara Michaels

0,0
5,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 3,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der dunkle Glanz der Vergangenheit: Der Familiengeheimnisroman »Das Geheimnis der Juwelenvilla« von Barbara Michaels jetzt als eBook bei dotbooks. Ehrfürchtig betritt die junge Meg Venturi das glitzernde Reich ihres Großvaters zum ersten Mal. Ein Erbe, das nun ihr gehört – und viele Neider auf den Plan ruft: Der neuen Besitzerin des Juwelengeschäfts begegnet man in Manhattans Old Town nicht immer freundlich. Meg ist fest entschlossen, sich davon nicht unterkriegen zu lassen … aber dann stößt sie auf einen rätselhaften Goldring, der schon seit Generationen im Besitz ihrer Familie ist: Er scheint mit einem tragischen Geheimnis verbunden zusein, das seine Schatten bis in die Gegenwart wirft. Während Meg versucht, der Wahrheit auf die Spur zu kommen, führt das Schicksal sie immer wieder mit dem geheimnisvollen Riley zusammen – dem jungen Geschäftsführer ihres Großvaters, dessen Herz so kalt und hart wie Diamant zu sein scheint ... »Barbara Michaels ist eine unübertreffliche Erzählerin.« Bestsellerautorin Mary Higgins Clark Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der fesselnde Familiengeheimnisroman »Das Geheimnis der Juwelenvilla« von Bestseller-Autorin Barbara Michaels verspricht ebenso spannende wie romantische Momente voller Herzklopfen. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 611

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch:

Ehrfürchtig betritt die junge Meg Venturi das glitzernde Reich ihres Großvaters zum ersten Mal. Ein Erbe, das nun ihr gehört – und viele Neider auf den Plan ruft: Der neuen Besitzerin des Juwelengeschäfts begegnet man in Manhattans Old Town nicht immer freundlich. Meg ist fest entschlossen, sich davon nicht unterkriegen zu lassen … aber dann stößt sie auf einen rätselhaften Goldring, der schon seit Generationen im Besitz ihrer Familie ist: Er scheint mit einem tragischen Geheimnis verbunden zusein, das seine Schatten bis in die Gegenwart wirft. Während Meg versucht, der Wahrheit auf die Spur zu kommen, führt das Schicksal sie immer wieder mit dem geheimnisvollen Riley zusammen – dem jungen Geschäftsführer ihres Großvaters, dessen Herz so kalt und hart wie Diamant zu sein scheint ...

»Barbara Michaels ist eine unübertreffliche Erzählerin.« Bestsellerautorin Mary Higgins Clark

Über die Autorin:

Hinter der US-amerikanischen Bestsellerautorin Barbara Michaels steht Barbara Louise Gross Mertz (1927–2013), die auch unter dem Pseudonym Elizabeth Peters erfolgreich Kriminalromane schrieb. Die Autorin promovierte an der University of Chicago in Ägyptologie. So haben auch ihre Romane, für die sie zahlreiche Preise gewann, meist einen historischen Hintergrund.

Eine Übersicht über weitere Romane von Barbara Michaels bei dotbooks finden Sie am Ende dieses eBooks.

***

eBook-Neuausgabe November 2020

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1990 unter dem Originaltitel »Into the Darkness« bei Berkley, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 1992 unter dem Titel »Die Juwelenerbin« im Franz Schneekluth Verlag, München

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1990 by Barbara Michaels

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1992 Franz Schneekluth Verlag, München

Copyright © der Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock / Nik Merkulov / Brian Goodman / Maridav

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96655-161-8

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Das Geheimnis der Juwelenvilla« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

www.instagram.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Barbara Michaels

Das Geheimnis der Juwelenvilla

Roman

Aus dem Amerikanischen von Sonja Winner

dotbooks.

Kapitel 1

Hinter dem Glas wirbelten Schneeflocken, wie eine Gardine aus weißer Spitze. Die Figuren waren starr, als wären sie eingewebt in dieses feine Netzwerk. Aber das Gewebe war zu zart, um sie gefangenzuhalten, gleich würden sie sich bewegen, würden langsam, aber unerbittlich auf sie zukommen, Boten einer tödlichen Nachricht, die sie kein zweites Mal ertrüge.

Ein instinktiver Abwehrreflex ließ Meg Venturi die kleine, eingeschlossene Welt von sich stoßen. Die Kristallkugel trudelte nah an die Tischkante und wäre hinuntergefallen, wenn Nick sie nicht festgehalten hätte.

»Mußt du gleich so dramatisch zeigen, daß es dir nicht gefällt? Sag doch einfach ›Nein danke‹, das reicht völlig aus.« Seine Stimme war ruhig, aber der Unterton von Brüskiertheit war nicht zu überhören. Die ebenmäßigen Bögen seiner dunklen Augenbrauen, die in so auffallendem Kontrast zu seinen hellblonden Haaren standen, waren hochgezogen, er machte dasselbe Gesicht, mit dem er sonst die Zeugen der Gegenpartei ins Auge faßte. Nick Taggert war einer der besten Strafverteidiger von New York – ein Beruf, in dem ihm die Verbindung von gutem Aussehen und theatralischer Mimik gute Dienste leistete. Die blonde Mähne war das attraktivste an ihm, und er wußte sie bei weiblichen Geschworenen effektvoll einzusetzen, wenn er sich eine kräftige Locke aus der Stirn strich. Er trug die Haare etwas länger, als es gerade in Mode war, und Meg zog ihn damit auf, daß er bloß seine Ohren verstecken wolle; er fand sie nämlich zu groß, und wenn sie ihn Mr. Spock nannte, dann lachte er, aber es klang gezwungen.

Meg liebte seine Ohren. Sie liebte alles an ihm – oder fast alles – und sie nahm es ihm auch nicht übel, daß er sich über ihre Reaktion auf sein Geschenk ärgerte. Es war ein luxuriöses kleines Spielzeug. Die Billigausführungen konnte man in jeder Geschenkboutique kaufen, Mini-Nikoläuse oder Hügellandschaften, die sich in Schneegestöber hüllten, wenn man die Glaskugel schüttelte – die meistens aus Plastik war. Diese hier war anders. Die Kugel war aus Kristall und die Figürchen waren handgeschnitzt und fein bemalt.

»Tut mir leid! Es gefällt mir ja; wirklich, ich finde es schön. Ich wollte nicht ...« Ein Fünkchen Wut blitzte in ihr auf, entzündet an seinem Ärger. »Du hast es vergessen. Ach, Nick, warum bist du so unsensibel? Ich hab’ dir doch von meinem Vater erzählt – von der Nacht, in der sie gekommen sind, durch den Schnee und die Dunkelheit, und mir gesagt haben ...«

Einen Moment lang war sein Gesicht die blanke Begriffsstutzigkeit. Dann riß er seine blauen Augen auf. »Ich bin ein Idiot. Verzeih mir, Liebling. Ich wollte dir was Schönes mitbringen; dir Schmuck schenken, das ist ja wie der Gärtnerin Blumen bringen; und als ich das hier entdeckt hab’, da war ich entzückt, da dachte ich, ich hätte das perfekte Geschenk für dich gefunden. Es hat mich an das wunderbare Wochenende in Maine erinnert – unser erstes gemeinsames Wochenende, weißt du noch? Ehrlich, mir wäre nie in den Sinn gekommen, daß dich diese alte Erinnerung immer noch quält.«

Er redete, erklärte, bedauerte. Sie hörte ihm nicht mehr zu. Die Schneeflocken in dem Glas hatten sich wieder gelegt, der kleine geschnitzte Mann und seine kleine Frau standen unbewegt. Nur die Figuren in Megs Kopf bewegten sich weiter, traten aus dem Dunkel jener Winternacht vor mehr als zwanzig Jahren.

Sie hatte so lang am Fenster gestanden und gewartet, ungeduldig die kleine Nase an die Scheibe gepreßt. Ihr Atem beschlug das Glas. Als sie die Scheinwerfer sah, jauchzte sie vor Freude. Aber es war nicht das Auto, auf das sie gewartet hatte, und bei den Männern, die ausstiegen, war ihr Daddy nicht dabei. Dieses Auto hatte eine Schrift auf der Seite und ein rotes Blinklicht auf dem Dach, das sich drehte und kalte rote Blitze aussandte, die durch die Dunkelheit schnitten und die Schneedecke rötlich färbten.

Sie wußte, was für ein Auto das war. Sie war schon fast sechs und konnte schon lesen ... jedenfalls ein paar Wörter. Das Wort auf der Seite von dem Auto war keines von den Wörtern, die sie kannte, aber sie brauchte es gar nicht zu lesen, sie wußte trotzdem, das war ein Polizeiauto, und die Männer waren Polizisten. Mama und Daddy sagten, daß man zu den Polizisten nett sein mußte, weil sie die Guten waren. Weil sie den Leuten halfen. Wenn man sich verirrt hatte, oder wenn ein Böser einem was tun wollte, dann mußte man zu einem Polizisten gehen und der würde einem helfen.

Aber warum hatte sie dann Angst, als sie diese Polizisten sah? Ihr Bauch tat weh und die nebligen Flecken auf der Scheibe wurden viel schneller weiß und wieder durchsichtig als vorher. Vielleicht war der Schnee schuld, daß sie so anders aussahen, so ... sie fand das Wort nicht. Es war, als ob sie nicht aus einem richtigen Polizeirevier mit richtigen Wänden und Zimmern kamen, sondern aus dem Schneesturm selbst. Sie waren stehengeblieben. Ganz reglos standen sie da und schauten auf das Haus.

Dann ging die Haustür auf und jemand kam auf die Veranda hinaus. Es war Mama. Sie hatte keinen Mantel an und auch keinen Schal um, und der lange weite Rock ihres blauen Samtkleids fegte den Schnee von den Stufen, als sie hinunterlief. Meg hatte Angst, daß sie ausrutschen und hinfallen würde; sie rannte zu schnell und sie machte sich ihr schönes Kleid ganz naß. Meg mochte es am liebsten von Mamas Kleidern. Und Daddy auch. Deshalb hatte Mama es auch an, es gab nämlich eine Party an dem Abend. Daddy war spät dran. Aber er würde noch zu ihr raufkommen und ihr Gute Nacht sagen und das Spiel mit ihr spielen, so wie er es immer machte. Immer. Auch wenn er ausgehen mußte, zu einer Party, oder arbeiten, oder irgendwas, Daddy kam immer.

Der Schnee machte schöne Muster auf das Samtkleid, wie weiße Spitze. Dann fiel Mama hin. Einer der Polizisten versuchte sie aufzufangen, aber er war nicht schnell genug. Sie lag auf dem Boden, mit den Falten aus blauem Samt rundherum. Und der Schnee fiel stärker, wie ein schwerer Vorhang, als wollte er sie zudecken.

An diesem Abend kam Daddy nicht.

Als Nick gegangen war, schob Meg den Riegel zu und legte die Kette vor. Sie wohnte schon zu lange in Manhattan, um diese Vorsichtsmaßnahme zu vergessen, auch wenn sie den Kopf voller Gedanken hatte.

Als sie sich herumdrehte, sah sie sich in der kleinen Diele jemandem gegenüberstehen. Ihr blieb fast das Herz stehen. Aber das Gesicht war ihr eigenes – in dem großen Spiegel. Tausendmal hatte sie es darin gesehen, aber heute sah es anders aus und sie musterte es mit der distanzierten Neugier eines Fremden, der jemanden zum ersten Mal sieht.

Das neue Augen-Make up sah nicht halb so gut aus, wie sie gedacht hatte. Anstatt ihre Augen größer und weicher zu machen, ließ es sie stumpf und dunkel wirken, ein derber schwarzer Strich wie auf einer Kinderzeichnung. Ihr zarter, sorgfältig aufgetragener Lippenstift hatte Nicks Küssen standgehalten. Er haßte knalligen Lippenstift, er behauptete, sie sehe älter und härter damit aus. Er hatte ihr das schwere Haar gelöst; aber anstatt in weichen Locken auf die Schultern zu fallen, stand es in bizarrer Unordnung ab, wie die Schlangenlocken der Medusa, und das Schwarz glänzte nicht, sondern schluckte das Licht. Auf ihr Haar hielt sie sich etwas zugute, denn es war das rare, echte Blauschwarz, das als Naturfarbe nur selten vorkam. Sie hatte es von ihrem italienischen Vater geerbt – hätte ihr Großvater gesagt. Dan war ein unerbittlicher Anhänger der Vererbungstheorie. Wenn die Debatte darüber aufkam, was dem Menschen angeboren und was anerzogen sei, stand er fest an der Seite der Natur und der vorbestimmten Anlagen im Menschen. Meg wandte sich vom Spiegel ab und ging ins Wohnzimmer. Es war noch nicht spät. Die Kristallkugel war nicht zerbrochen, aber etwas anderes war zerbrochen, und ihre Versuche, es wieder zu kitten, waren fehlgeschlagen. Nick hatte ihr keine Vorwürfe gemacht. »Ich hätte sowieso nicht lange bleiben können, Liebling. Morgen hat Cara Geburtstag, und ich hab’ ihr versprochen, daß ich sie mit ein paar Freunden auf dem Boot mitnehme. Die scharren bei Sonnenaufgang in den Startlöchern – du kennst ja Kinder.«

»Nicht deine Kinder.«

Seine Augenbrauen hoben sich. »Meg, Liebling ...«

»Entschuldige.« Sie zog sich aus seinen Armen zurück. »Entschuldige bitte, Nick. Ich weiß nicht, wieso ich so üble Laune habe heute abend.«

»Das liegt doch auf der Hand, meinst du nicht?« Er ließ sich zurücksinken, gegen die Armlehne des Sofas. »Es war dieser Anruf, daß dein Großvater krank ist.«

»Das ist nur die Grippe. Nichts Ernstes.«

»Wir wollen es hoffen. Aber du solltest dir nichts vormachen, Liebling; der alte Knabe wird nicht ewig leben. Nein, dreh dich nicht weg, schau mich bitte an.« Er unterstrich, was er sagte, mit einer Geste, die ebenso zärtlich wie bestimmt war, er legte die Hand an ihre Wange und drehte ihr Gesicht zu sich herum. »Ich bin froh, daß du mir das gesagt hast, das mit deinem Vater. Es war ja nicht nur der Schmerz, ihn zu verlieren, es waren auch die ungewöhnlichen Umstände und die Tatsache, daß du in einem Alter warst, in dem einem das besonders nahegeht. Es ist kein Wunder, daß du die ganze Anhänglichkeit auf deinen Großvater übertragen hast. Ich bin kein Psychiater ...«

»Gott sei Dank«, murmelte Meg.

»Meg, Liebling, du hast der Sache nie wirklich eine Chance gegeben. Mir hat meine Analyse ein großes Stück weitergeholfen – jedenfalls genug, um dein Problem zu verstehen. Es ist nicht so kompliziert.«

»Ach ja?«

»Liebling, ich will dir nur helfen«, sagte Nick geduldig. »Die Angst vor dem Tod, vor dem eigenen und vor dem der Menschen, die wir lieben, ist eine zutiefst menschliche Empfindung. Im Kopf bist du dir darüber im klaren, daß dein Großvater sterben muß. Aber gefühlsmäßig kannst du das – oder willst du das – nicht akzeptieren. Und in deinem Fall kommt ja noch dazu, daß du deine Eltern so früh verloren hast, und das auch noch unter besonders schmerzlichen Umständen. Dan ist für dich nicht nur der Großvater, sondern zusätzlich Vater und Mutter. Es ist kein Wunder, daß die Vorstellung, ihn zu verlieren, dich in Panik versetzt.« »Ich bin nicht in Panik. Ich hab’ keinen einzigen Panikanfall mehr gehabt, seit ...« Meg hielt inne. Sie hatte Nick von diesen schrecklichen Anfällen nie erzählt; sie hatte seit Jahren nicht mehr daran denken müssen, es war so lange her ...

Er fragte nicht weiter nach. Er sah auf seine Armbanduhr, stand auf und griff nach der Kristallkugel.

»Ich heb’ sie für dich auf, bis du diese Erinnerungen aushalten kannst. Und dann werden wir zusammen dasitzen und die Schneeflöckchen anschauen. Gute Nacht, Liebes; ich bin immer für dich da, das weißt du.«

Außer, wenn Cara nach dir verlangt. Oder Emily. Oder Nick Junior.

Diese Worte hatte sie nur gedacht, nicht laut ausgesprochen. Jetzt fielen sie ihr wieder ein. Sie sank auf das Sofa nieder, ohne jede Grazie, und fing an, den Ring an ihrem kleinen Finger zu drehen – eine Gewohnheit, die ihr gar nicht mehr bewußt war, so oft tat sie das. Eifersüchtig war sie nicht auf diese Menschen, die Nick wichtig waren – natürlich nicht. Er und seine Frau hatten sich scheiden lassen, lange bevor sie ihn kennenlernte, und einen Mann, der seine Kinder vernachlässigte, hätte sie nicht respektieren, geschweige denn lieben können. Kinder gingen vor.

Und dennoch ... war es denn so maßlos von ihr, bei irgendjemandem an erster Stelle stehen zu wollen – nicht immer, nicht so ausschließlich, daß er keine anderen Bindungen mehr haben durfte, aber für die Situationen, in denen das ängstliche Kind, das in jedem Menschen steckte, nach Trost und Zuwendung verlangte? Seit jener kalten Winternacht hatte sie nie wieder diese ungeteilte Wärme bekommen, von niemandem. Nicks schlichte Diagnosen konnten sie manchmal auf die Palme bringen, aber diesmal hatte er vielleicht ihren wunden Punkt getroffen. Nach dem Tod ihrer Eltern hatte sie in ihrem Großvater einen Ersatz gesucht, aber Meg hatte immer gewußt, daß sie seine Liebe mit anderen teilen mußte – nicht nur mit Großmama, sondern sogar mit den Juwelen, die Dans Leidenschaft und Obsession waren. Manchmal hatte Meg das Gefühl, er hätte alles hergegeben, sogar sie selbst, sogar Großmama, für deren kalten, prachtvollen Glanz.

Der Ring drehte sich unter Megs Fingern und reflektierte das Licht in leuchtendem Rot, Eisvogelblau und dem funkelnden Farbenspiel des Diamanten. Es war ein früh-viktorianischer Freundschaftsring. Der Spruch, der an seiner Außenseite eingraviert war, lautete: Je suis ici en lieu d’ami. Obwohl es schon eine Ewigkeit her war, daß sie ihn vom Mittelfinger auf den kleinen Finger hatte wechseln müssen, trug sie ihn noch immer, denn es war der erste einer wertvollen Sammlung von Andenkenringen, die Dan ihr seitdem geschenkt hatte.

Ich bin hier an Freundesstatt. Das war der wahre Grund, weshalb sie den Kinderring nie hatte ablegen wollen, ein abergläubisches Vertrauen in die Macht dieses eingravierten Spruches. Ein Freund ... ein Mensch, der jeden Fehler kannte und einen trotzdem mochte, Dan kannte alle ihre Fehler. Das ließ er sie oft genug merken! Aber er liebte sie trotzdem. Und ihn sollte sie auch verlieren, wie sie ihren Vater verloren hatte.

Aber noch nicht. Bitte, noch nicht. Es war nichts Ernstes, nur eine kleine Grippe. Zweiundachtzig war kein Alter, nicht heutzutage. Es gab jede Menge Leute, die hundert wurden.

Aber Daniel Mignot hatte mit seinem Alter geschwindelt, wie er bei so vielen Dinge schwindelte – sogar bei seinem Namen. Er behauptete, von einem berühmten europäischen Goldschmied gleichen Namens abzustammen, der im sechzehnten Jahrhundert gewirkt hatte. Und als ob diese Behauptung noch nicht absurd genug wäre – die wenigsten Leute können ihre Herkunft so weit zurückverfolgen -, zierte Mignot, der als Daniel Merck geboren worden war, seinen Stammbaum noch mit einer Reihe weiterer unwahrscheinlicher Verwandtschaftsblüten. Mütterlicherseits war er mit den Castellanis verwandt, die die verlorene etruskische Kunst des Granulierens wiederentdeckt hatten, bei der winzige Goldkörnchen auf glatte Goldflächen aufgelötet werden. Die Castellani-Technik war mit den Castellanis ausgestorben, aber wenn ihr Nachfahre in besonders überschwenglicher Stimmung war, dann pflegte er zu raunen, daß er dieses Familiengeheimnis geerbt habe, zusammen mit den anderen legendären Fertigkeiten seiner Vorfahren. Sein Urgroßvater hatte die Neueinfassung der französischen Kronjuwelen durch Nitot für die Krönung Napoleons beaufsichtigt; sein Vater hatte Lalique alles beigebracht, was er wußte.

Jacob Merck hatte vermutlich von Lalique nie gehört. Als polnischer Immigrant in New York der Jahrhundertwende hatte er genug damit zu tun, sich und seine Familie in den überquellenden Einwandererunterkünften über Wasser zu halten. Dennoch konnte man nicht umhin, sich zu fragen, ob die Phantasien seines Sohnes nicht doch ein Körnchen Wahrheit enthielten – wie sonst wäre die Leidenschaft zu erklären gewesen, mit der er sich für die kompliziertesten Techniken des Juwelierhandwerks interessierte, und die Treffsicherheit, mit der er Edelsteine zu begutachten verstand? Keine der Geschichten, die er über seinen Einstieg in die Zunft erzählte, hörte sich sonderlich glaubwürdig an, und einige dieser Geschichten widersprachen sich; aber möglicherweise hatte er – ausnahmsweise – doch die Wahrheit gesagt, als er einmal erzählte, wie ein mißtrauisch gewordener Polizist ihn festnehmen wollte, weil er seine Nase gegen die eiskalte Scheibe des Schaufensters von Tiffany’s an der Fifth Avenue gepreßt hatte, geschlagene drei Stunden lang. Allein der Intervention von keinem geringeren als Louis Comfort Tiffany, der genau im richtigen Augenblick aus dem Geschäft trat, hatte er es zu verdanken, daß er von polizeilichem Gewahrsam verschont blieb. Louis, den exzentrischen Bilderstürmer der Familie, amüsierte der Kontrast zwischen der schäbigen Erscheinung des Jungen und den funkelnden Schätzen, die ihn so gefangen nahmen. Er verschaffte ihm den ersten Zutritt zum Juweliergeschäft, indem er dem Burschen eine Anstellung als Putzmann in dem Laden gab.

Eine andere seiner Lieblingsgeschichten lautete, er habe einem Rothschild oder Rockefeller (die Namen variierten) während des Ersten Weltkriegs das Leben gerettet. Er war noch minderjährig, als er sich anwerben ließ, aber das scherte ihn ebensowenig wie die Army. Danach blieb er bis 1925 in Europa und brachte bei seiner Rückkehr den Grundstock zu seiner berühmten Sammlung antiken Schmucks mit. »Es ist immer ein Vermögen zu machen, wenn eine Zivilisation zugrunde geht«, pflegte er zu sagen. Der Spruch war ja zweifellos wahr; wer hungert, der wird seinen Schmuck gegen Brot eintauschen. Aber er erklärte nicht, wo Mignot das Geld auftrieb, um das Brot zu kaufen.

Der Börsenkrach von 1929 war für Daniel Mignot keine Katastrophe, sondern ein weiterer Glücksfall. Eine gewisse Ängstlichkeit hatte ihn davon abgehalten, sein Geschäft zu vergrößern. Mit dem angesparten Vermögen kaufte er, zu Spottpreisen, den Schmuck derer auf, die weniger vorsichtig gewesen waren als er.

Erst in den späten Dreißigern, nachdem er mit einer mäßigen Expansion begonnen hatte, nahm er sich die Zeit, um eine Frau zu werben und zu heiraten, ein sanftes, ausnehmend schönes Mädchen von Adel aus Neu-England. Ihre Familie meldete Protest an – vergeblich. Lovely Mary hatte noch immer bekommen, was sie wollte, und sie wollte diesen kecken, kleinwüchsigen Niemand, der fast doppelt so alt war wie sie. 1937 kam ihre erste Tochter zur Welt; die zweite genau am Tag nach der Bombardierung Pearl Harbors durch die Japaner.

Daniel Mignot war unter den ersten Amerikanern, die sich zur Fahne meldeten. Er gab an, Patriotismus habe ihn dazu getrieben, Frau und Kinder zu verlassen. Die Schmach und die Vaterlandsliebe trieben Tausende von Amerikanern dazu, dasselbe zu tun. Aber in Mignots Fall sind Zweifel wohl angebracht.

Diesmal war es Asien, nicht Europa, auf das er sein Wissen über den Erwerb eines Vermögens anwandte. Über Details seiner Aktivitäten hielt er sich bedeckt, in Anspielungen schützte er Aufträge vor, die höchster Geheimhaltung unterlagen. Auf irgendwelchen Wegen schaffte er es, nach Indien zu gelangen, bei Kriegsende war er jedenfalls dort stationiert. Jahrhundertelang war der Subkontinent der Umschlagplatz für die Edelsteinhändler aus Burma, Ceylon und Kaschmir gewesen. Es kann schwerlich Zufall gewesen sein, daß die Firma von Daniel Mignot, kaum war ihr Begründer aus dem Krieg zurückgekehrt, internationales Ansehen zu gewinnen begann und bis in die Klasse von Tiffany’s und Harry Winston und den paar anderen Giganten des Juwelen-Business aufstieg. Wie diese auch hatte er die großen Steine im Angebot, die glitzerndsten Steine, und die berühmten Steine, aber bald spezialisierte er sich, und zwar auf Design. Er selbst war nur ein zweitklassiger Designer, aber er hatte eine große Begabung im Aufspüren junger Talente. Er zahlte hohe Gehälter und war einer der ersten, der sich mit dem Namen seiner Designer schmückte. 1965 hatte er bereits Filialen seines New Yorker Geschäfts in Palm Beach und San Francisco eröffnet. Sein Privatleben war ebenso glücklich wie sein berufliches erfolgreich. Mary haßte New York und konnte Reisen nicht ausstehen. Also baute er das Familienanwesen in Connecticut, das sie bald nach ihrer Heirat erbte, in eine herrschaftliche Villa um, die ein würdiges Futteral für seine kostbarsten Juwelen, wie er sie nannte, abgab: seine schöne Gattin und seine beiden Töchter.

Dann stürzte in einer einzigen Nacht das ganze glitzernde Gebäude ein. Ein Jahr nach dem tragischen Skandal, der seine Familie zerstörte, zog Mignot sich aus dem Geschäft zurück und verkaufte seine Firma an einen internationalen Konzern. Sogar seine Feinde, und er hatte eine Menge davon, empfanden Mitleid für den geschlagenen alten Mann. Auch seine Freunde bemitleideten ihn, aber sie kannten ihn besser. Dan würde sich nicht geschlagen geben.

Trotzdem hätte keiner von ihnen vorhersagen können, wie sein Neuanfang aussehen würde. Einige Jahre zuvor hatte er einen Laden und eine Werkstatt an der Main Street der kleinen Stadt eröffnet, in der seine Frau aufgewachsen war. Obwohl er ein liebender Ehemann war, muß ihn die vornehme Gepflegtheit seines Zuhauses zuweilen ermüdet haben; in seiner Werkstatt konnte er seine stinkenden schwarzen Zigarren rauchen, konnte fluchen und abgeschmackte Witze erzählen. Die Werkstatt war sein Spielzeug und sein Hobby.

Der Laden war jedoch etwas mehr als ein Spielzeug.

Zu Anfang war der Umsatzzuwachs kaum wahrnehmbar, so langsam gedieh er; Dan führte den Laden selbst, unterstützt nur von einem Buchhalter – der später sein Schwiegersohn wurde – und ein paar pensionierten, aber versierten Prokuristen, allesamt alte Freunde und frühere Angestellte. Den größten Teil seines Geschäftes machte er mit antikem Schmuck, den die Leute ihm brachten, weil sie gehört hatten, Dan zahle gute Preise für die »alten Klunker von Großmutter«. Seinem Grundstock aus dem Kriegszeiten hatte er vierzig Jahre lang ein Stück ums andere hinzugefügt, wobei er die besten Sachen seiner persönlichen Sammlung einverleibte und den Rest auf Lager nahm, bis die Zeit reif war – wenn der unaufhaltsame Zyklus der Mode wieder bei den kuriosen, altmodischen Kreationen des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts angelangt war. Die Granat-Garnituren, schweren Goldketten und mehrfarbigen Schmuckstücke der viktorianischen Mode wurden von Kennern und Sammlern bespöttelt; sie hatten sich nicht verkaufen lassen, weil man sie für häßlich und wertlos hielt, und die Steine hatte man nicht herausgebrochen, weil Granat, Topas und Alexandrit an sich nur von geringem Wert waren – damals. Mignot war einer der wenigen, die ihren Wert erkannten, und als sein Leben von der Katastrophe erschüttert wurde, da war es diese Leidenschaft, die ihm die Grundlage für einen Neuanfang bot. Zwanzig Jahre später war Daniel Mignot Jewelers ein Begriff bis über die Landesgrenzen hinaus. In den Worten eines sentimentalen Gedichts, das er oft zitierte: er hatte Triumph und Niederlage kennengelernt und jeden dieser beiden Gauner auf die gleiche Weise behandelt. Es gab keinen Grund, warum er nicht hundert Jahre alt werden sollte. Aber als der Virus sich in seinem Körper einnistete, war er neunzig Jahre alt, nicht zweiundachtzig, und er hatte eben eine Entdeckung gemacht, die ihn bis in die Grundfesten seiner Seele erschütterte. Es ist undenkbar, daß Dan Mignot den Tod willkommen geheißen hätte; er war sein Leben lang ein Kämpfer. Aber seine Verteidigung war brüchig geworden und der Feind, dem am Ende alle Menschen unterliegen müssen, war im Vorteil.

Der Sarg war offen. Meg fand diesen Brauch abscheulich, aber sie hatte keinen Einwand erhoben; ihre Großmutter wollte es so, Dan selbst hatte es in seinem letzten Willen verfügt. Außerdem wären die Leute aus der Stadt gekränkt gewesen, wenn man es ihnen verwehrt hätte, ihm auf diese Weise die letzte Ehre zu erweisen. Vom verachteten Außenseiter war Dan zu einem der ihren geworden. Nicht wegen der großen Firma in New York und der vornehmen Filialen in so glanzvollen Städten wie Palm Beach oder Paris oder Buenos Aires, die er einmal besessen hatte – für die Leute in Seldon würde er immer Dan Mignot, der Besitzer des Juweliergeschäfts in der Main Street, bleiben. Zwanzig Jahre lang hatte Dan es jeden Morgen pünktlich um neun Uhr aufgeschlossen. An den Werktagen war er mittags über die Straße in Kate’s Café gegangen, um dort den Lunch einzunehmen, genauso wie Mike Potter, dem der Eisenwarenladen gehörte, und Barb Bothwell vom Barby’s Beauty Shop, und die anderen Geschäftsleute, die Seldons Wandel von der kleinen Provinzstadt in eine der obligatorischen Stationen für Touristen, die Neuengland bereisten, überlebt hatten. Es war zu keinem geringen Teil Dans Verdienst, daß dieser Übergang sich so glimpflich für die kleinen Läden und ihre Betreiber vollzogen hatte.

Auf der einen Seite honorierte Meg die Ehrbezeugungen und fand etwas Tröstliches darin. Auf der anderen Seite störte sie sich an der zudringlichen Anwesenheit all dieser Fremden und an der Förmlichkeit, die sie sich ihretwegen auferlegen mußte. Sie hatte sich sogar ein schwarzes Kleid gekauft – sie trug sonst nie Schwarz. Schwarz war Tod, Schwarz war Trauer. Als sie an diesem Morgen vor dem Aufbruch zur Kirche in den Spiegel geschaut hatte, hatte sie einen Schreck bekommen vor der geisterhaften Erscheinung, die ihr da entgegenblickte, mit dem aschfahlen Gesicht unter dem breitkrempigen schwarzen Hut – noch so einer überstürzten Neuanschaffung, die aber wenigstens den Vorteil hatte, ihr Gesicht gegen neugierige oder mitleidige Blicke abzuschirmen.

Bei Großmama hatte ihre Aufmachung auch keinen Anklang gefunden. Sie hatte sie mit einem betrübten Stirnrunzeln angeschaut und gemurmelt: »Und ich dachte, Schwarz müßte genau deine Farbe sein ... Vielleicht ist es auch nur, weil du so schrecklich blaß bist. Trotzdem, eine liebe Geste von dir!«

Großmama sah in Schwarz glänzend aus, und sie wußte das auch. Die Spitzen an Kragen und Manschetten waren genauso schneeweiß wie ihr volles, gewelltes Haar. Der einzige Schmuck, den sie trug, waren die prächtige kleine Perlenkette, die einst einer Herzogin gehört hatte, und passende Perlenohrringe. Sie saß kerzengerade und hielt ihre Tränen unter Kontrolle – die strenge Würde ihrer Generation und ihrer aristokratischen Herkunft waren ein gutes Korsett. Sie war achtzehn Jahre jünger als Dan, und sie hatte gewußt, daß dieser Tag einmal kommen würde.

Meg wußte, daß sie Großmamas ehernem Vorbild nicht würde genügen können.

Bis jetzt hatte sie aber noch gar keine Tränen vergossen. Es war alles viel zu schnell gegangen, um es überhaupt zu begreifen: erst der Anruf, der sie aus unruhigen Träumen gerissen hatte, an die sie sich nicht erinnern konnte, und ihr das traurige Ereignis meldete; dann das hastige Packen und die Fahrt zum Flughafen; und dann Großmamas anfängliche Hilflosigkeit, die es nötig machte, daß wenigens sie die Fassung behielt. Inzwischen schien Großmama sich wieder gefangen zu haben, die Formalität der Begräbnisfeier gab ihr den nötigen Halt. Sie machte alles richtig und machte alles gut, solange es nur Regeln dafür gab, wie man es machen mußte. Aber gab es Regeln dafür, was eine Witwe in der dunklen Stunde der Einsamkeit tun konnte, wenn sie allein war mit ihrem Schmerz? Vielleicht ging einem das Würdige und Ritualisierte ja in Fleisch und Blut über, wenn man sich erst so lange daran gehalten hatte wie Großmama.

Meg wünschte, sie könnte glauben, es wäre so. Aber die untadelige Haltung ihrer Großmutter beunruhigte sie. Gottseidank war George da. Er saß zwischen ihr und Großmama. Sie sah ihren Onkel von der Seite an. »Stabil« war das Wort, das ihr in den Sinn kam, nicht nur wegen seiner Statur, sondern wegen der unerschütterlichen Gelassenheit, die er ausstrahlte. Als hätte er ihren Blick gespürt, wandte er den Kopf und lächelte sie an, über das gebeugte Haupt ihrer Großmutter weg. Seine Augen waren stärker gerötet als die von Großmama. George Wakefield war ihr Schwiegersohn, nicht ihr richtiger Sohn, wie die Leute in der Stadt immer sagten, aber was sie damit meinten, war, daß er den beiden Alten so ähnlich war und so nahe stand, als ob er es doch wäre. Er hatte nicht wieder geheiratet, er hatte keine andere Frau mehr angeschaut, und dabei lag es über zwanzig Jahre zurück ...

Meg bemerkte, daß der Pfarrer betete – deshalb hatte Großmama den Kopf gebeugt. Schnell senkte sie auch das Kinn. Aber den Worten aufmerksam zu folgen, dazu war sie nicht imstande. Aus dem Augenwinkel sah sie die Hände des Mannes, der links neben ihr saß – schmale, gepflegte, gebräunte Hände, fromm gefaltet. So früh im Jahr schon diese Sonnenbräune – das war typisch Cliff. Wie so ordentlich gefaltete Hände nur einen solchen Ausdruck an sich haben konnten!

Es waren nicht die Hände, es war das, was sie von Cliff kannte. Sie hatte ihren Cousin – Georges Sohn aus erster Ehe – seit vielen Jahren nicht gesehen, aber als er an diesem Morgen angekommen war, hatte sie sofort gespürt, daß er sich nicht verändert hatte. Körperlich, ja, natürlich. Er war nicht mehr der schlaksige, pickelige Knabe, den sie zuletzt gesehen hatte, sondern ein erwachsener Mann, genauso groß gewachsen und drahtig wie sein Vater. Er hatte Manieren, war höflich, und er sah genauso gut aus und hatte dieselben hellblauen Augen wie sein Vater. Aber der Ausdruck war noch immer der gleiche wie bei dem frechen Bengel, der sie bis zur Weißglut schikaniert hatte und mit seinen Streichen den Zorn der ganzen Stadt auf sich gezogen hatte, bis sein entnervter Vater ihn ins Internat schickte. In Cliffs Lächeln war keine Spur von Georges Wärme, da war nichts als die Lust auf Schadenfreude – als ob er nur darauf wartete, daß jemand eine Dummheit oder Ungeschicklichkeit beginge. Auf ihre Kosten sollte er seinen Lacher jedenfalls nicht bekommen. Für sein Vergnügen mußte er sich schon ein anderes Opfer suchen.

Mit vor Rührung bebender Stimme leierte der Pfarrer die lange Liste der Wohltaten herunter, die Dan der Stadt und ihren Bewohnern hatte angedeihen lassen. Meg konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Dan hätte nicht nur gelächelt, er hätte lauthals losgeprustet über die Aura von Heiligkeit, in die der Gottesdiener das Andenken an ihn einnebelte. Dan hatte immer behauptet, das einzige Verbrechen, das er nicht begangen habe, sei Barraterie gewesen – aber auch nur deshalb, weil er keine Ahnung habe, was das überhaupt sei. Für Religion und Gottesglauben hatte er auch nie viel übrig gehabt. Aus Rücksicht auf Großmama hatte er seine Ansichten für sich behalten. Im Umgang mit seinen Freunden war er freilich nicht so zurückhaltend gewesen. Meg konnte sich gut erinnern, wie sie einmal dabei gewesen war, als er sich zum Thema Zölibat ausließ. »Ein Mann, der behauptet, an der köstlichsten Sache, die sich die Natur je hat einfallen lassen, nicht interessiert zu sein, der hat nur eine große klaffende Lücke, wo andere ihren ...« An diesem spannenden Punkt fiel sein Blick auf Meg und er brach in einen Hustenanfall aus.

»Wo andere was?« hatte sie ganz neugierig gefragt. »Wo andere ihr Hirn haben«, hatte Dan geantwortet.

Eine Hand packte sie am Arm und riß sie aus ihren Gedanken. Sie warf Cliff einen erbosten Blick zu und sah, wie er zwinkerte. Seine Lippen bewegten sich kaum, aber sie verstand trotzdem, was er sagte: »Lach nicht!«

»Ich hab’ nicht ...« Doch, sie war kurz davor gewesen zu lachen. Die Orgel fing an zu spielen und kam der Antwort zuvor, die sie schon versucht war, ihm zu geben. Sie erkannte die Melodie – »Rock of Ages« – und mußte noch einmal ein Lachen unterdrücken. Wie hatte Dan dieses Lied gehaßt! Die lauten, fröhlichen Kirchenlieder hatte er noch durchgehen lassen, aber diese Sorte mit ihren kummervollen Melodien fand er abscheulich.

Ihr Blick schweifte durch die Kirche und stieß überall auf die zahlreichen Beweise von Dans Großzügigkeit. Was für ein alter Heuchler, dachte sie mit Zärtlichkeit, eine Institution, die er doch verabscheute, mit Geschenken zu überhäufen. Aber in Wirklichkeit waren die Geschenke für Großmama gewesen; das war keine Heuchelei, das war die selbstloseste Form, die Liebe haben kann. Das Bleiglasfenster hinter dem Altar war eine von Dans Gaben. Es war ein so unorthodoxes Kirchenfenster, daß es die Stadt in zwei Parteien gespalten hatte, die einen, die es bewunderten, und die anderen, die es am liebsten eingeschlagen hätten. Statt Heiligen und Bibelszenen zeigte es nämlich nur eine riesige, saphirblaue Fläche, die von Sternen und Galaxien übersät war. Man mußte es erst eine ganze Weile ansehen, bevor man entdeckte, daß das durchscheinende Licht die Form einer riesigen Hand bildete, die die Sonnen und Sonnensysteme von ihren Fingerspitzen schüttelte und dann in der schützenden Kuhle ihrer Handfläche sammelte.

Endlich war die Messe zu Ende. George erhob sich. Er war einer der Sargträger, und erst, als er sich umwandte, um Großmama seinen Arm zu bieten, fiel Meg wieder ein, daß noch ein letztes Zeremoniell vollzogen werden mußte, ehe sie die Kirche verlassen konnten.

Ich kann es nicht, dachte sie. Ich kann nicht und ich will nicht. Es ist barbarisch ... Dann sah sie, wie Cliffs Hand sich bewegte, und ein Reflex ließ sie aufspringen. Sie war an Cliffs Arm in die Kirche hereingekommen, weil Großmama darauf bestanden hatte, aber keine zehn Pferde würden sie dazu bringen, sich von ihm zu diesem letzten Gruß geleiten zu lassen oder auch nur zuzulassen, daß er mitbekam, wie sie davor zurückschauderte. Sie hatte nicht die Absicht, diese kalte Maske anzuschauen, die einmal das Gesicht ihres Großvaters gewesen war. Sie wollte ihn so in Erinnerung behalten, wie sie ihn zuletzt gesehen hatte – seine tiefliegenden, verschmitzten Augen und sein schalkhaftes Lächeln, das der struppige weiße Schnurrbart halb verdeckte.

Als sie zitternd aus der Kirchenbank heraustrat, fiel ihr Blick auf ein Gesicht, in dem sich ihre innere Erregung so haargenau abbildete, daß ihr zumute war, als schaute sie in einen Spiegel ihrer Seele. Äußerlich war dieses Gesicht von dem ihren so verschieden, wie zwei Gesichter nur verschieden sein können: das Gesicht eines Mannes, nicht besonders gutaussehend oder gar attraktiv. Die Züge waren zu grob für die lange, schmale Gesichtsform – eine riesige Hakennase, ein Kinn, das der Anmaßung dieser Nase in nichts nachstand, ein schmallippiger, verschlossener Mund und magere Wangen. Die Augen schienen in diesem versteinerten Gesicht das einzig Lebendige zu sein; dieselbe zornige Verweigerung, die Meg fühlte, flammte in ihnen, und der unverwandte Blick war geradewegs auf sie gerichtet.

Meg starrte zurück. Was hatte dieser Mann da zu suchen, in der ersten Bank, die für enge Freunde der Familie reserviert war? Sie hatte keine Ahnung, wer er war, sie konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, ihn jemals gesehen zu haben. Obwohl die Kirche überfüllt war, gab es um ihn herum kein Gedränge, so als ob die Leute aus seiner Kirchenbank von ihm Abstand halten wollten.

Cliff stieß sie in den Rücken. Meg zwang sich, zu dem offenen Sarg zu gehen.

Der Rest des Zeremoniells ging vorüber. Auf dem Friedhof sah sie den Unbekannten wieder; sein schroffes Profil ragte wie eine Kamee aus der Verschwommenheit der anderen Gesichter hervor, die alle die gleiche Trauermiene trugen. Nur einmal, als sein Blick auf den weißen Marmorengel auf der Einfriedung des Familiengrabs fiel, trat an die Stelle seines zornigen Aussehens etwas, das vielleicht milder Spott sein konnte. Niemand stand bei ihm. Als die kurze Zeremonie beendet war, brach er als erster auf, und die Leute machten Platz, als ob er ein König wäre – oder ein Aussätziger.

Meg folgte ihrer Großmutter und ihrem Onkel zu der wartenden Limousine. Den Arm von Cliff verschmähte sie wieder. Er stieg als erster ein und setzte sich vorne neben den Chauffeur. Also mußten sie hinten zu viert sitzen – Großmama, Georg, sie selbst und Henrietta Maria, Großmamas Himalaya-Katze. Henrietta trug ihren eigenen Schmuck, ein edelsteinbesetztes Halsband mit passender Leine – Topase, Karneole und andere Steine in den warmen Braun- und Orangetönen, die so gut zu ihrem seehundfarbenen Fell paßten – und sie begleitete Großmama überallhin, mit ihrem hochmütigen, herablassenden Wesen, über das die ganze Familie sich aufregen konnte. Meg hatte es mit einem schwachen Einwand versucht, als Großmama die Katze zum Auto getragen hatte, der aber ungehört verhallte; als sie jetzt sah, wie die beiden sich begrüßten, war sie froh, es dabei belassen zu haben. Henrietta kletterte sofort auf Großmamas Schoß und die alte Dame zog sie nah zu sich heran, ohne sich um die Haare zu scheren, die sich auf ihrem schwarzen Satinrock ausbreiteten. Der feste Griff, mit dem sie das Kätzchen an sich drückte, verriet ihr Bedürfnis nach Trost, und Henrietta Marie, die sich über unsanfte Behandlung sonst lauthals und unmißverständlich beschwerte, gab wunderbarerweise keinen Laut von sich.

»Alles in Ordnung, Mary?« George wirkte besorgt.

Großmama richtete sich auf. »Aber natürlich. Ich bin etwas müde, das ist alles.«

»Und jetzt der ganze Mob, der ins Haus einfällt ...« George schüttelte den Kopf.

»Es sind nur unsere Freunde«, sagte Großmama freundlich.

»Es ist nur die halbe Stadt, meinst du wohl.«

»Freunde«, wiederholte Großmama. »Dan wollte keine Außenstehenden, all diese Leute aus New York und die Geschäftsführer – ich hoffe, ich habe sie nicht beleidigt, als ich sie bat, nicht zu kommen.«

»Ich werde dich entschuldigen, Mary, wenn du dich ein wenig hinlegen möchtest. Das werden sie verstehen.«

Großmama schüttelte lächelnd den Kopf, und George wandte sich zu Meg. »Das gleiche Angebot gilt für dich, mein Liebes. Alle wissen, wie nah ihr euch gestanden seid, du und Dan. Sie werden es ...«

»Danke, George. Aber ich tue meine Pflicht. Für Dan. Was hätte ihm das alles für einen Spaß gemacht!«

George hob die Augenbrauen. »Meine liebe Meg ...«

Großmama lachte, ein verblüffend helles, kicherndes Mädchenlachen. »Meg hat recht. Dan hätte jeden Augenblick genossen. Weißt du noch, Meg, wie er immer scherzte, er würde sich gern totstellen und heimlich an seiner eigenen Beerdigungsfeier teilnehmen?«

»Stimmt, das hat er.« Meg lachte auch. »Er sagte, das sei die einzige Gelegenheit, bei der man sicher sein könne, nur Gutes über sich zu hören.«

»Er liebt es einfach, Späße zu machen«, sagte Großmama zärtlich.

Daß sie in der Gegenwartsform sprach, versetzte Meg einen kleinen Stich. Sie erinnerte sich, was ihre Großmutter geantwortet hatte, als Dan seinen Scherz darüber machte, bei der eigenen Beerdigung dabeizusein. »Aber Dan, Liebling, natürlich wirst du dabeisein.«

Aus jedem anderen Mund hätte sich das wie ein makabrer Scherz angehört. Aber Großmama scherzte nie über solche Dinge. Meg betrachtete den gelösten Ausdruck, der auf dem Gesicht ihrer Großmutter lag und dachte über sie nach. War es das vielleicht, was Großmama aufrechterhielt, der Glaube daran, daß Dan über ihr schwebte wie ein Schutzengel auf einem viktorianischen Gemälde?

Einige neue Siedlungen waren in den letzten Jahren gebaut worden, aber die Stadt selbst war klein, und der Friedhof lag, ebenso wie das Gutshaus – das Dan sein »Rittergut« genannt hatte – westlich des Stadtkerns. Meg war sich nie sicher gewesen, ob Dan die Bezeichnung ernst gemeint hatte oder sich über sich selber und seine Ambitionen lustig machen wollte. Als Mary das Anwesen geerbt hatte, kannte man es unter dem Namen »Das alte Morgan-Gut«, aber die aufwendigen Um- und Ausbauten hatten alle Spuren irgendwelcher Ahnen getilgt. Meg hatte den Verdacht, daß es nur Großmamas mäßigenden Eingriffen zu verdanken war, daß Dan es nicht komplett in eine original nachgebaute Ritterburg verwandelt hatte, inklusive Zinnen und Türmchen. Solange es um sein Metier ging, hatte er einen ausgezeichneten Geschmack; bei allem anderen aber war er imstande, sich in barocken und viktorianischen Ausschweifungen zu ergehen. So, wie das Haus jetzt dastand, war es ein Kuddelmuddel von Stilen und Materialien, dessen Kontraste die Jahre gnädig abgemildert hatten, und das aus seiner landschaftlich schönen Lage einigen Charme bezog. Nicht allerdings für Meg. Wann immer sie es sah, ob in flutender Sommersonne oder eingehüllt in die Blütenwolken des Frühlings, sie sah nur wirbelndes Schneegestöber und die Finsternis jener schrecklichen Nacht. Das war einer der Gründe, warum ihre Besuche in Seldon so selten gewesen waren in den letzten Jahren.

Die Bediensteten waren von der Kirche direkt nach Hause gegangen, ohne noch an der Friedhofszeremonie teilzunehmen – kein kleines Opfer von ihnen, wie Großmama sich zu bemerken beeilte. Sie hielt Frances Polanski, der Wirtschafterin, die sie in der Diele empfing, beide Hände hin und sagte: »Ich weiß, ich brauche nicht zu fragen, ob für unsere Gäste alles bereit ist, Frances. Ich danke Ihnen für die große Hilfe.«

Frances mußte gut über sechzig sein; sie stand in den Diensten des Hauses, solange Meg zurückdenken konnte, und hatte sich in den letzten zwanzig Jahren nicht verändert. Ihre Haare hatten noch immer das grelle Kastanienbraun, ihre Figur steckte in demselben schlankmachenden Korsett, das Gesicht war so mollig und zugepudert wie eh und je. Sie behandelte Großmama wie ein kleines Kind, und sie führte den Haushalt mit tadelloser Umsicht. Sie wäre die perfekte Haushälterin gewesen, hätte sie nicht auch einen Fehler gehabt – eine sentimentale Schwäche für rührselige alte Romane, in denen Haushälterinnen vorkamen. Zu einigen dieser literarischen Vorbilder fühlte sie sich so hingezogen, daß sie sich all deren Manierismen zulegte. Mit einer gewissen Beklommenheit stellte Meg fest, daß Frances die Rolle gewechselt hatte, seit sie das Haus verlassen hatten. Am Morgen war sie noch die ergebene Dienerin der Familie gewesen, und hatte Meg »Schätzchen« genannt. Ich hätte es mir denken können, sagte Meg düster zu sich selbst. Das war zu erwarten, daß Frances an diesem Tag aller Tage sich in Mrs. Danvers verwandeln würde.

Die böse Haushälterin aus ›Rebecca‹ würdigte den Gruß ihrer Herrin kaum eines Murmelns. Mit einer marmorkalten Miene nahm sie die Leine von Großmamas Katze in Empfang und rief nach einem der Hausmädchen, das auch gleich hereingeschwebt kam. Mit einem Schrubber bewaffnet, geleitete die junge Frau Mary hinein.

Meg wollte gleich mitgehen, aber sie wußte, so leicht käme sie nicht davon. Frances versperrte ihr den Weg, die Arme verschränkt, den Blick in Megs Augen gebohrt.

»Nun ist er also zur letzten Ruhe gebettet, meinen Sie.«

»Meinen?« Meg verstummte. Eine Diskussion mit Mrs. Danvers konnte jetzt nur deprimierend ausfallen. »Entschuldigen Sie mich, Frances, ich muß ...«

»Ja, meinen Sie«, intonierte Frances. Wenn sie Mrs. Danvers war, lag ihre Stimme um eine ganze Oktave tiefer. »Aber er hat keine Ruhe. Und er wird auch keine Ruhe haben, bis die Wahrheit ans Licht gekommen ist. Ich hatte keine Gelegenheit, mit Ihnen zu sprechen ...«

»Jetzt ist bestimmt nicht der richtige Zeitpunkt«, sagte Meg unwillig. »Die Gäste können jeden Moment eintreffen.« »Lassen Sie sie warten. Er hat lange genug gewartet. Aber Sie sind ja nie gekommen.«

Meg spürte, wie das Blut aus ihrem Gesicht wich; Frances wußte bei jedem, wo sie ihn am empfindlichsten treffen konnte. »Ich hab’ das erste Flugzeug genommen; ich hab’ nicht mal gepackt, nur ein paar Sachen in den Koffer geworfen. Wenn ich gewußt hätte, wie krank er war ... Niemand hat mir das gesagt. Warum haben Sie es mir nicht gesagt?« So direkt angegriffen wich Mrs. Danvers zurück und verwandelte sich, wenn auch nur kurz, in die freundliche alte Hannah, die brave Bedienstete bei der Familie March. »Schätzchen, das hab’ ich doch auch nicht gewußt. Niemand hat es gewußt. Es kam ganz plötzlich ...« Ihre Miene gefror und ihre Stimme senkte sich. »Zu plötzlich. Es liegt ein Fluch auf diesem Haus, ich sage es Ihnen. Er war der erste. Es werden noch zwei weitere folgen.«

Die große Diele begann sich mit Menschen zu füllen. Die Hausmädchen nahmen die Mäntel entgegen. »Reden Sie keinen Unsinn, Frances«, sagte Meg unwirsch. »Das ist wirklich nicht der Moment für Ihre überdrehten Phantasien. Ich habe hier Pflichten, und Sie im übrigen auch.«

»Ihre erste Pflicht gehört dem Toten. Er wird keine Ruhe finden, ich sage es Ihnen, nicht, solange sein Mörder auf freiem Fuß ist.«

Meg war so wütend, daß sie keinen Ton herausbrachte. Das war zuviel, sogar von Frances. Sie warf der Wirtschafterin den Blick zu, vor dem ihre Mitarbeiter in der Werbeagentur zuverlässig in Deckung gingen, und endlich schreckte Frances zurück, nicht ohne mit jedem einzelnen Muskel einen übertriebenen Schauder zur Schau zu stellen. Meg schloß daraus, daß ihre Rüge den gewünschten Erfolg erzielt hatte, und wandte sich ab – um im selben Augenblick einer Hemdbrust gegenüberzustehen, die offenbar zu jemandem gehörte, der von hinten an sie herangetreten war, wahrscheinlich gerade noch rechtzeitig, um Frances’ irrsinnige Anschuldigung mitzubekommen. »Verzeihung«, sagte sie und hob den Blick.

Es war der Mann, der ihr in der Kirche und auf dem Friedhof aufgefallen war. »Oh, entschuldigen Sie sich nicht, bevor Sie wissen, wer ich bin. Ich bin der, von dem sie gesprochen hat. Dans Mörder.«

Kapitel 2

Meg streckte die Hand aus. »Angenehm.«

Sein Gesicht war nicht dafür geschaffen, Emotionen zu zeigen, aber ihre Reaktion schien ihn doch überrascht zu haben, und die Pause, die bis zu seiner Antwort verstrich, gab ihr Zeit, ihn genau in Augenschein zu nehmen. Er trug einen dunklen Anzug, den er sich für Hochzeiten und Beerdigungen vorzubehalten schien; er schien zwar kaum getragen, war aber schon seit einigen Jahren aus der Mode. Dazu eine geschmackvolle Krawatte – grobe Seide, in Blau- und Türkistönen gemustert – nur leider zu schmal. Ob er sie auch nur auf Hochzeiten und Beerdigungen trug?

Die Hand, die schließlich die ihre ergriff, war groß und derb; die Haut auf der Innenfläche fühlte sich so rauh an wie eine schuppige Schlangenhaut. »Sie sind aber eine Eiskalte«, sagte er.

»Nicht ich. Nur meine Hand.«

Schwere Lider, von kräftigen, dunklen Wimpern gesäumt, verhüllten eine Sekunde lang seine Augen. Es war das einzige Anzeichen von Verlegenheit oder Bedauern, das er zu erkennen gab. Aber als er antwortete, wurde seine tiefe Stimme um eine Nuance weicher. »Ja ... Er war sehr stolz auf Sie.« Das kam Meg merkwürdig vor. Dan war doch nicht stolz auf sie gewesen; ganz im Gegenteil, er hatte es ihr nie verziehen, daß sie sich geweigert hatte, die Laufbahn einzuschlagen, die er für sie vorgesehen hatte. »Er hat Sie geliebt«, das hätte es besser getroffen – und das war es doch auch, was man gewöhnlich sagte. War »geliebt« ein Wort, das dieser Mann nicht über die Lippen brachte? Wer war er eigentlich? Sie wollte ihn gerade fragen, da zog ihre Kehle sich zusammen von Tränen, die plötzlich in ihr aufstiegen, und sie brachte kein Wort heraus. Stolz auf sie? Dan?

Sie hatte den Kloß in ihrem Hals noch nicht hinuntergeschluckt, da ließ er ihre Hand schon wieder fallen und trat beiseite, um den anderen Platz zu machen, die darauf warteten, von ihr begrüßt zu werden.

Manche der Gesichter kannte sie, die meisten nicht. Meg nahm die gemurmelten Beileidsbekundungen mit roboterhafter Höflichkeit entgegen und fühlte große Erleichterung und Freude, als schließlich ein alter Freund vor ihr stand. Darren Blake war Dans Anwalt gewesen. Er hatte die Kanzlei seines Vaters übernommen und war nur ein paar Jahre älter als Meg; als Kinder hatten sie zusammen gespielt und er war für sie immer wie ein älterer Bruder gewesen, der sie gegen die wilderen Jungen und gegen Cliffs Attacken verteidigt hatte. Er war extrem kurzsichtig und trug eine Hornbrille mit dicken Gläsern, die genauso zu seinem Gesicht zu gehören schien wie die freundlichen braunen Augen.

Der gestutzte dunkle Schnurrbart, den er sich hatte wachsen lassen, seit sie ihn zuletzt gesehen hatte, gab seinem Gesicht etwas Angenehmes, wenn es auch nicht hübsch im üblichen Sinne war. Die borstigen Härchen kitzelten ihre Wange, als er sich vorbeugte, um sie zu küssen, und sein Händedruck war tröstlich. Er trug einen modischen Anzug, der erstklassig war, aber einen leichten Bauchansatz nicht ganz verbergen konnte.

Da der Besucherstrom ein wenig nachließ, befand Meg, daß sie ihre Gastgeberpflichten nun endlich etwas leichter nehmen konnte. Sie stieß einen langen, erschöpften Seufzer aus. »Schwerer Tag?«

Die Ehrlichkeit seines Mitgefühls glich, wenigstens zum Teil, die Banalität seiner Frage wieder aus. »Schwere drei Tage – schwere Woche – wie lang auch immer. Ich hab’ den Überblick verloren.«

Mit dem Charme eines Mannes, der mit Eleganz gegen Konventionen verstößt, legte Darren ihr den Arm um die Schulter und führte sie zu einem Stuhl. Vom Tablett eines der Mädchen, das gerade vorbeikam, nahm er ein Glas Wein für sie herunter. »Setz dich und ruh dich eine Minute aus. Du siehst mitgenommen aus.«

»Nein, ich sehe aus wie eine Leiche. Und so fühle ich mich auch.« Meg nahm einen Schluck. »Mmmm, genau, was der Onkel Doktor verschrieben hat.«

»Das Schlimmste ist vorbei, Meg.«

»Würde mich wundern. Wenn Frances bei Mrs. Danvers bleibt, haben wir noch einen heiklen Abend vor uns.« Darren sah sie fragend an und ihr fiel ein, daß er diesen Familienwitz nicht verstehen konnte. Sie hatte keine Lust, ihn zu erklären, aber sie war noch immer wütend auf Frances und mußte es bei irgend jemandem loswerden. »Sie sagt Tod und Verderben voraus und schwört, daß ein Fluch auf unserer Familie liegt. Ich finde wirklich, heute ist sie zu weit gegangen. Sie hat gesagt, es sei meine Pflicht, Dans Mörder vor Gericht zu bringen! Und das Schlimmste war, der Mann, den sie meinte, hat alles mitbekommen. So hat sie es sich wenigstens gedacht. Er stand hinter mir, ich konnte ihn nicht sehen, aber sie hat ihn die ganze Zeit angestarrt.« »Ich habe gesehen, wie du mit ihm gesprochen hast«, sagte Darren bedächtig.

»Woher weißt du, von wem ich spreche? Du willst doch nicht etwa behaupten ...«

»Nein, nein, nichts dergleichen.« Darren blickte erschrocken drein. »Aber das ist nicht das erste Mal, daß mir diese Anschuldigung zu Ohren kommt.«

»Wer ist er?«

»Ich staune, daß du ihn noch nicht kennst. Das heißt, eigentlich ist es gar nicht erstaunlich, er ist ja erst seit drei Jahren in der Stadt. Du hast uns nicht oft mit deiner Anwesenheit beehrt, Meg.«

»Ich hatte viel zu tun.« Mehr wollte sie nicht sagen. Sie schuldete niemandem eine Erklärung. Aber der sanfte, tadelnde Blick seiner Augen drang dennoch zu ihr durch. »Ich habe Dan oft gesehen, weißt du? Er ist fast jeden Monat nach New York gekommen. Großmama auch. Darren, wenn du mir keine Antwort gibst, dann schreie ich.«

»Oh, entschuldige.« Darren zwinkerte. »Ich verstehe nicht, wieso Dan dir nicht von ihm erzählt hat. Er heißt A. L. Riley. Er hat vor ein paar Jahren den Laden als Geschäftsführer übernommen.«

»Tatsächlich?« Meg ließ den Blick durch den Raum schweifen, aber er war nirgends zu sehen. Er mußte ins Speisezimmer gegangen sein, wo der übliche Leichenschmaus angerichtet war.

Das also war A. L. Riley. Dan hatte von ihm erzählt, nicht bloß einmal, sondern sogar öfters. Über die Herkunft und den Hintergrund des Mannes hatte er nicht viel gesagt; er erklärte immer, daß es ihm völlig schnuppe sei, wo einer herkomme und was er gemacht habe, solange er seine Hände und seinen Kopf zu gebrauchen verstehe. Und Riley hatte beides bewiesen. Er zeichnete sich in den gleichen Fertigkeiten aus, auf die Dan bei sich selbst so stolz war, bis die Arthritis ihm die Hände gelähmt hatte: im Goldschmieden und Steinesetzen, den beiden Hauptkünsten des Juwelierhandwerks. Und er hatte ein Talent, an dem es Dan selbst gebrach: sogar mehr als Talent – eine große künstlerische Begabung für Design.

Falls er noch mehr erzählt hatte, so konnte Meg sich nicht erinnern. Sie hatte immer angestrengt weggehört, nicht bloß, weil Dan die Gewohnheit hatte, sich zu wiederholen, sondern vor allem, weil das Thema ihr unangenehm gewesen war. Jemand mit Takt hätte davon nicht mehr als unbedingt nötig gesprochen. Ein einfühlsamerer Mensch hätte begriffen, warum sie sich so vehement gegen seine Versuche wehrte, sie in sein Metier einzuführen, das für sie selbst mit so schrecklichen Erinnerungen verknüpft war. Aber Takt und Feingefühl waren schließlich nie Dans Stärken gewesen und sein Geschäft hatte ihm alles bedeutet. Sein ganzes Leben lang hatte er nach diesem unbekannten Künstler gesucht – nach dem ultimativen Designer, der es unter seinem Patronat so weit bringen sollte, es mit den großen Künstler-Designern der Renaissance, mit einem Holbein und einem Cellini, aufzunehmen. Bis er diesen Mann endlich gefunden hatte. Und dieser Mann hatte ihn verraten, zweifach, erst, indem er starb, bevor er die in ihn gesetzten Hoffnungen einlösen konnte, und dann, indem er auch noch Dans Familie zerstörte.

Dieser Mann war ihr Vater gewesen.

»Meg?«

Darrens besorgte Stimme brachte sie in die Gegenwart zurück. Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Ich mußte an etwas denken ... an etwas, das Dan einmal sagte.«

Es war unmöglich für einen Mann mit so rosigen Wangen und so einem Engelsgesicht wie Darren, hinterlistig auszusehen, aber er unternahm den Versuch. »Über Riley? Hat er jemand ...?« Er unterbrach sich und runzelte die Stirn, als eine Schar Neuankömmlinge ins Haus strömte. »Wir müssen miteinander sprechen, Meg, aber jetzt ist wohl weder der richtige Moment noch der richtige Ort. Denk dran, daß wir uns um fünf in der Bibliothek treffen, um das Testament zu eröffnen.«

»Ja, ist in Ordnung«, sagte Meg. Jemand stürzte auf sie zu, in der unverkennbaren Absicht, Beileid auszudrücken und Trost zu spenden – eine beleibte ältliche Dame mit dem Gesicht einer Stoffpuppe. »Wer in aller Welt ...« Darren flüsterte: »Mrs. Allen, Vorsitzende des Bibliotheks-Vorstands«, dann zog er sich zurück. Meg straffte die Schultern, setzte ihr Gesellschaftslächeln auf und ergab sich in ihre Pflicht. Es schien Stunden so weiterzugehen, aber um fünf Uhr waren alle gegangen, die letzten hartnäckigen Gäste wurden von Darren taktvoll hinauskomplimentiert. Meg war in einen Zustand jenseits von Erschöpfung hinübergeglitten; sie war schlichtweg zu müde, um irgendetwas zu empfinden. Vielleicht, sagte sie sich, bin ich auch einfach zu betrunken. Wie viele Gläser Wein waren das eigentlich gewesen? Die Leute hatten sie ihr immer wieder aufgedrängt, und mit der Zeit war es ihr einfacher erschienen, brav zu trinken, als lächelnd abzulehnen und dauernd heuchlerische Beteuerungen abzugeben. Dan hatte gut gelebt und lang gelebt, aber er war nicht bereit gewesen zu sterben, und sie war nicht bereit, sich mit diesem Verlust abzufinden. »Sanft gleiten sie hinab in ihr dunkles, dunkles Grab, die Schönen, die Sanften, die Guten; so ist des Lebens Lauf und bleibet so für immer, damit abfinden werd’ ich mich nimmer.« Dan war nicht schön gewesen, und sonderlich sanft auch nicht, und sanft hinabgeglitten war er schon gar nicht, darauf wollte sie wetten. Aber die Dichterin hatte trotzdem recht. Damit abfinden wollte sie sich nimmer.

Das angenehm verschwommene Gefühl der Ermattung, das der Wein und die Poesie gefördert hatten, wich der Bestürzung, als sie die Bibliothek betrat. Sie hatte sich so auf den Moment gefreut, in dem ihre Pflichten gegen die Öffentlichkeit von ihr abfallen würden und sie endlich mit ihrer Familie und dem Freund aus Kindertagen allein wäre. Weit gefehlt; die Bibliothek sah aus wie ein Theater, mehrere Dutzend Stühle waren in Reihen vor Dans großem Mahagoni-Schreibtisch aufgestellt. Dan mußte auch das verfügt haben. Wie viele Leute hatte er denn in seinem Testament bedacht?

Die Bediensteten, natürlich. Sie waren bereits vollzählig anwesend und füllten die letzte Reihe – Karen Anderson, die Köchin; die beiden Hausmädchen; der alte Jeb McComber, Chefgärtner, der schon seit einer Ewigkeit bei ihnen war; Frances natürlich; und noch einige andere, die sie nicht wiedererkannte. Die Hälfte der Stühle war bereits besetzt, und es kamen immer noch Leute herein. Barby Bothwell und Mike Potter; Dans alte Kumpel aus dem Rotary Club, einige jüngere Gesichter, die ihr bekannt vorkamen. Und A. L. Riley. Er kam als einer der letzten herein und seinem Gesicht war deutlich anzusehen, daß er sich wünschte, lieber irgendwo anders zu sein. Seine finstere Miene wechselte zu einem ebenso wenig einnehmenden Lächeln, als er den Blick über die Stuhlreihen und die Gesichter schweifen ließ, wobei er Meg mit einer Gleichgültigkeit streifte, die sie vor Ärger erstarren ließ – warum, war ihr unerklärlich. Nicht gänzlich unerklärlich vielleicht. Die Arroganz dieses gemächlichen Umherschauens war unübersehbar, und als er, die leeren Stühle mißachtend, sich an die Fensterwand lehnte, war sie überzeugt, daß er sich absichtlich den auffälligsten Platz im ganzen Raum ausgesucht hatte.

Darren nahm hinter dem Schreibtisch Platz und öffnete seine Aktenmappe. »Ich muß Sie um Ihre Nachsicht bitten; dieses Testament ist weder kurz noch unkompliziert.«

Dan hatte sein Testament so oft und mit einem so offensichtlichen Genuß erörtert, daß es aufgehört hatte, ein Symbol für den Tod zu sein, und statt dessen zu einem Spiel geworden war. Stunden hatte er damit zubringen können, die langen Inventarlisten und zugehörigen Kommentare seiner Hinterlassenschaft zu sichten; wenn er auf eine besonders gelungene Formulierung stieß, wiederholte er sie, wieder und wieder, jedem, der sie hören wollte.

Er wäre entzückt darüber gewesen, welchen Anklang einige seiner Witzeleien fanden. Mehrmals übertönte ein Ausbruch von Gelächter Darrens Vortrag. Aber die Beleidigungen hatte Dan seinen alten Kumpels vorbehalten, und die Trauer überwog im ganzen doch die Heiterkeit. Jedem der Bediensteten vermachte er etwas, auch denen, die erst seit kurzem bei ihm waren. Was er der Köchin, dem Gärtner und der Wirtschafterin zusprach, war so großzügig bemessen, daß Frances völlig vergaß, Mrs. Danvers zu spielen, und aufgelöst schluchzte. Es folgte eine lange Liste von kleinen Andenken für Leute, deren Namen Meg nie gehört hatte, darunter einen Jungen namens Joey Pentovski, der Dans Zehn-Gang-Fahrrad erbte, verbunden mit der Ermahnung, ab und zu seinen kleinen Bruder damit fahren zu lassen.

Der große Rest des Vermögens ging an Mary Mignot, Daniels geliebte Ehefrau – aber nur auf Lebenszeit. Nach ihrem Tod sollte er Daniels einzigem lebenden Nachkommen zufallen ...

Meg schnappte nach Luft. Dan hatte nie darüber gesprochen, was er ihr zu hinterlassen gedachte. Sie hatte das auch nie erwartet, und er hatte ihr ja schon bis jetzt so viel gegeben, daß sie genug hatte, um den Rest ihres Lebens in relativer Sorglosigkeit zu verbringen. Wenn sie sich über die Sache Gedanken gemacht hätte, dann wäre ihr klar gewesen, daß sie eines fernen Tages wahrscheinlich eine sehr vermögende Frau wäre. Aber das hier – das war willkürlich, ungerecht und selbstherrlich. Es überließ Großmama keinerlei Freiheit, über das Vermögen nach eigenem Ermessen zu verfügen, und er ließ George leer ausgehen, der es wahrhaft besser verdient hätte von dem Mann, dem er so ergeben gedient hatte.

Großmama zeigte keine Überraschung, ebensowenig wie Henrietta, die sich wie eine Königin in ihrem Schoß räkelte. Beider Gesichter hatten nahezu den gleichen Ausdruck, eine Miene selbstgefälliger Billigung. Meg sah zu ihrem Onkel. Falls ihn die Nachricht schockiert oder bestürzt hatte, so ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken.

Darren fixierte die Menge mit einem mißbilligenden Blick und wartete ab, bis das Gemurmel sich gelegt hatte, ehe er fortfuhr: »... davon ausgenommen einzig das als Daniel Mignot Jewelers bekannte Unternehmen an der südlichen Main Street, einschließlich der zugehörigen Lagerbestände und Realrechte ...« Meg biß sich auf die Lippe und wurde zunehmend ungeduldiger, als Darren eine juristische Phrase nach der anderen herunterleierte. Gut, alles klar, wer immer den Laden bekommt, dem gehören auch die Vorhänge im Schaufenster ... Wie, und der Staub unter’m Teppich, mit keinem Wort erwähnt? Das war wieder die Ouvertüre zu einem von Dans Witzchen, sie wußte es so sicher, als hätte er direkt vor ihr gesessen und sich glucksend über den langen Satz und den ermüdenden Spannungsaufbau amüsiert. Der Laden war sein liebstes Steckenpferd und dazu noch das Denkmal seiner Kunst. Wer ...?

Darrens (und Dans) Paragraphenreiterei erschöpfte sich schließlich doch. Ein Fünfzig-Prozent-Anteil an dem Laden für sie, Meg. Die andere Hälfte für A. L. Riley.

Diesmal war die Reaktion kein gedämpftes Murmeln; es hörte sich an, als ob ein Schwarm wildgewordener Wespen aus einem brennenden Nest gefahren wäre. Alle Köpfe im Raum wandten sich um.