Die Villa der Schatten - Barbara Michaels - E-Book
SONDERANGEBOT

Die Villa der Schatten E-Book

Barbara Michaels

0,0
5,99 €
1,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 2,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ein einsames Haus im Wald, ein düsteres Erbe: Das Romantik-Highlight »Die Villa der Schatten« von Barbara Michaels jetzt als eBook bei dotbooks. Als Ellen die rosenumrankte Villa auf der Waldlichtung zum ersten Mal sieht, spürt sie: Hier will sie einen Neuanfangen wagen, um ihre schmerzhafte Vergangenheit endlich hinter sich zu lassen. Doch schon bald dringen ihr dunkle Gerüchte zu Ohren, dass vor vielen Jahren schon einmal eine junge Frau hier gelebt hat, schön und voller Lebensdrang – doch unter den Dorfleuten war sie als Hexe verschrien. Ein Schicksal, das sich nun zu wiederholen scheint, als Ellen ihrem Nachbarn, dem charmanten Norman McKay, zum Spaß aus der Hand liest ... und sich plötzlich alle Vorhersagen erfüllen! Mehr und mehr beschleicht Ellen der Verdacht, dass jemand ein dunkles Spiel mit ihr treibt. Einzig Norman scheint auf ihrer Seite zu stehen – oder verbirgt auch er ein Geheimnis? »Spannende Unterhaltung, schaurig und unheimlich.« Publishers Weekly Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der düster-fesselnde Familiengeheimnisroman »Die Villa der Schatten« von Bestseller-Autorin Barbara Michaels. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 369

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch:

Als Ellen die rosenumrankte Villa auf der Waldlichtung zum ersten Mal sieht, spürt sie: Hier will sie einen Neuanfangen wagen, um ihre schmerzhafte Vergangenheit endlich hinter sich zu lassen. Doch schon bald dringen ihr dunkle Gerüchte zu Ohren, dass vor vielen Jahren schon einmal eine junge Frau hier gelebt hat, schön und voller Lebensdrang – doch unter den Dorfleuten war sie als Hexe verschrien. Ein Schicksal, das sich nun zu wiederholen scheint, als Ellen ihrem Nachbarn, dem charmanten Norman McKay, zum Spaß aus der Hand liest ... und sich plötzlich alle Vorhersagen erfüllen! Mehr und mehr beschleicht Ellen der Verdacht, dass jemand ein dunkles Spiel mit ihr treibt. Einzig Norman scheint auf ihrer Seite zu stehen – oder verbirgt auch er ein Geheimnis?

»Spannende Unterhaltung, schaurig und unheimlich.« Publishers Weekly

Über die Autorin:

Hinter der US-amerikanischen Bestsellerautorin Barbara Michaels steht Barbara Louise Gross Mertz (1927–2013), die auch unter dem Pseudonym Elizabeth Peters erfolgreich Kriminalromane schrieb. Die Autorin promovierte an der University of Chicago in Ägyptologie. So haben auch ihre Romane, für die sie zahlreiche Preise gewann, meist einen historischen Hintergrund.

Eine Übersicht über weitere Romane von Barbara Michaels bei dotbooks finden Sie am Ende dieses eBooks.

***

eBook-Neuausgabe November 2020

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1973 unter dem Originaltitel »Witch« bei Dodd, Mead & Co., New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 1991 unter dem Titel »Zeit der Ahnung« bei Heyne.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1973 by Barbara Michaels

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1991 Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock / Darry Brooks / Olha Rohulya / MH Stock / Sasha Zlunirsyna /Don Landwehrle / Slatan / Nik Merkulov sowie © Fotolia /deviantArt

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96655-160-1

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Sind Sie auf der Suche nach attraktiven Preisschnäppchen, spannenden Neuerscheinungen und Gewinnspielen, bei denen Sie sich auf kostenlose eBooks freuen können? Dann melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an: www.dotbooks.de/newsletter.html (Versand zweimal im Monat – unkomplizierte Kündigung-per-Klick jederzeit möglich.)

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Die Villa der Schatten« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

www.instagram.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Barbara Michaels

Die Villa der Schatten

Roman

Aus dem Amerikanischen von Hilde Linnert

dotbooks.

Kapitel 1

Laut der Beschreibung, die Ellen von der Grundstücksmaklerin erhalten hatte, lag das Haus auf einer Lichtung im Wald. Die in dem stickigen Büro schwitzende Ellen hatte sehnsüchtig an Kühle im Schatten hoher Bäume gedacht. In Virginia ist der April unberechenbar; dieser Tag hätte besser in den Juli gepaßt, und das Kleinstadtbüro war nicht klimatisiert. Eine Stunde später war Ellen über ausgefahrene Wege gerumpelt, auf denen die Äste der Bäume gegen die Wagenfenster schlugen, und neigte dazu, das Wort ›Lichtung‹ für eine maßlose Übertreibung zu halten. Sobald sie von der Autostraße abgebogen war, hatte sie wieder zu schwitzen begonnen. Durch das dichte Unterholz des verwilderten Waldes drang kein Hauch, und die Luft war schwer vor Feuchtigkeit.

Das mußte jedenfalls das Haus sein, obwohl es mehr wie ein Haufen altersschwacher, von Geißblatt und anderen Schlingpflanzen überwucherter Balken aussah. Ein Fenster glänzte unerwartet sauber; vermutlich gab es unter dem Wirrwarr von Kletterrosen auch irgendwo eine Tür. Ellen schaltete die Zündung aus und betrachtete das Gebäude. An die Stelle des Kummers über den zerkratzten Lack und die überbeanspruchten Stoßdämpfer ihres Wagens trat belustigtes Staunen.

Ob Lichtung oder Schneise – es war schön. Blaßweiße Hartriegelsterne schimmerten vor dem grünen Hintergrund der Fichten, und die blütenbedeckten Zweige wilder Kirsch- und Apfelbäume schwankten über dem Wagen. Leuchtend gelbe Narzissen behaupteten sich gegen Unkrautbüschel, und unter den verwilderten Büschen, die das Haus bedrohten, gab es einige Fliedersträucher. Einer von ihnen sah einem Hügel aus lavendelfarbenen Blüten gleich; der durchdringende Duft überlagerte selbst den Geruch der Auspuffgase.

Seit der Motor verstummt war, lag brütende Stille über dem Haus. Es wirkte irgendwie unheimlich und auf seine Art genauso geheimnisvoll wie ein düsteres mittelalterliches Schloß um Mitternacht. Hier hatte die Zeit ihre Bedeutung verloren. Der Wald hatte sich seit Jahrhunderten nicht verändert, und man bekam das Gefühl, daß ihn die Menschen nicht gänzlich in Besitz genommen hatten. Es war ein Ort aus einem Märchen; aber die Geschöpfe, die hier im Zwielicht lärmende Feste abhielten, waren sicherlich nicht die in Flitter, Musselin und Gaze gekleideten Geister der Kindergeschichten. Sie besaßen Hufe, Federn und Fell, gingen aufrecht, und ihre tierischen Schlitzaugen blickten, ohne zu blinzeln, aus schmalen, menschlichen Gesichtern.

Ellen lehnte sich zurück und entnahm ihrer Handtasche eine Zigarette. Sie genoß die Bilder ihrer Phantasie und hatte es nicht eilig, dem fragwürdigen Bewohner des Hauses gegenüberzutreten. Sie mußte lächeln, als sie sich an die Warnung erinnerte, die ihr Rose Bates, die Grundstücksmaklerin, auf den Weg mitgegeben hatte.

»Ich kann Ihnen das Haus nicht einmal zeigen«, hatte Rose gemurrt. »Ed besteht darauf, daß nur er die Interessenten hinbringen darf. Sie müssen zuerst ihn aufsuchen. Es ist mir gar nicht recht, daß Sie allein hinfahren. Ich würde Sie begleiten, aber der alte Schurke läßt mich bestimmt nicht hinein.«

Ellen hatte Verständnis für den unbekannten Ed. Rose, die vom Beginn ihrer Bekanntschaft an darauf bestanden hatte, daß sie einander mit den Vornamen anredeten, glich einer Karikatur der Angehörigen ihres Berufsstandes: energisch, fröhlich, hartnäckig. Über Rose's beruflichen Eifer konnte sich Ellen jedoch nicht beklagen. Sie hatte auf der Suche nach Ellens Traumhaus das ganze County abgegrast. Ein- oder zweimal hatte Ellen unhöflich und hemmungslos über eine massive Scheußlichkeit aus Backstein gelacht, die ihr Rose stolz als den letzten Schrei an modernem Komfort anpries. Für Rose war ihre Kundin ein Ärgernis und ein Rätsel, und das letzte Angebot war aus Verzweiflung erfolgt.

»Das Haus von Miss Highbarger, das Ed gerade geerbt hat, könnte genau das Richtige für Sie sein. Es ist, weiß Gott, alt genug; einige Teile stammen aus der Zeit der Revolution. Dazu gehören ungefähr vierzig Morgen – es liegt genau am Rand der Blue Ridge, jede Menge Bäume, Gegend und solches Zeug. Ja, für Sie könnte es das Richtige sein. Aber Ed ...«

»Was stimmt mit Ed nicht?« fragte Ellen. »Er klingt reichlich exzentrisch; er wird doch nicht –«

»Nein, nein.« Rose war rot geworden. »Ich würde Sie nie in eine solche Situation bringen. Ed haßt Frauen.«

»Das ist nicht unbedingt eine Garantie«, stellte Ellen fest.

Rose sah sie überrascht an. Daran war nicht die Feststellung schuld, der Rose rückhaltlos zustimmte, sondern die Tatsache, daß ihrer Kundin diese zynische Wahrheit vertraut war.

Ellen wußte, daß Rose sie für unpraktisch und weltfremd hielt. Sie war achtunddreißig, sah aber jünger aus; schließlich hatte sie sorgfältig auf ihr Gesicht geachtet und regelmäßig Schönheitssalons besucht – der Luxus der Mittelklasse; ihre blonden Haare glänzten, ihre Haut war weich und glatt, und sie hatte sich ihre schlanke Figur bewahrt. Die ältere, auf dem Land aufgewachsene Frau nahm ihr unbewußt nicht so sehr ihr Aussehen übel, aber ihren großstädtischen Hintergrund, ihren Akzent, ihre Kleidung, ihr Auftreten.

»Es ist keine Garantie«, bestätigte Rose trocken. »Ich muß nur an Joe Muller in Chew's Corners denken; er versetzt Hunden Fußtritte, erschießt Katzen, schlägt seine Frau und beschimpft seine Kinder. Er hat vierzehn Kinder, und nicht alle mit Mrs. Muller ... Aber, wie gesagt, Eds wegen müssen Sie sich keine Sorgen machen. Er ist ein gemeiner alter Schuft, aber ein Gentleman. Sie werden mit ihm zurechtkommen – falls es Ihnen gelingt, ihn zu finden. Er lebt in einer Art Schuppen allein im Wald. Ich mache Ihnen eine Skizze.«

Die Zeichnung hatte gestimmt. Ellen warf noch einmal einen Blick darauf. Ja, sie befand sich vor dem Haus, aber es hatte keinen Sinn, wenn sie im Wagen hocken blieb. Vorn Eigentümer gab es bis jetzt kein Lebenszeichen. Obwohl sie sich ein bißchen vor dem exzentrischen Ed fürchtete, hoffte sie, daß er zu Hause war; es wäre höchst ärgerlich gewesen, wenn sie die Fahrt umsonst unternommen hatte. Sie stieg aus, ließ die Zigarette fallen, trat sie mit dem Absatz aus und fuhr zusammen, als eine Stimme dröhnte.

»Bitte haben Sie die Güte, Madame, keine Schadstoffe auf meinen Grund und Boden fallen zu lassen!«

Ellen sah sich ratlos um. Niemand in Sicht. Doch die Rosenbüsche schwankten, also verbarg sich vielleicht ein Mensch hinter ihnen. Sie bückte sich gehorsam und hob den Zigarettenstummel auf, was ihren weißen Handschuhen nicht gerade guttat.

Die Rosen schwankten heftiger und gaben eine menschliche Gestalt frei; einen hochgewachsenen alten Mann mit goldgefaßter Brille und einem unglaublichen Bart. Als er näher kam, bemerkte Ellen, daß die Brille von Klebestreifen zusammengehalten wurde und daß der graue, gelockte Bart dem Mann bis zum Gürtel reichte. Die Hemdsärmel – und vermutlich auch der Rest dieses Kleidungsstücks – waren aus grobem, handgesponnenem blauem Leinen. Die Augen hinter der Brille strahlten leuchtend blau.

»Hat dieses entsetzliche weibliche Wesen in Warrenton Sie veranlaßt, wegen des Hauses meiner verstorbenen Tante hierherzukommen?« fragte eine Stimme aus dem Bart.

»Ja.«

»Dann dürfen Sie hereinkommen.«

Der Mann trat zurück und warf sich dabei einen Vorhang aus grünen Blättern über den Arm, als wäre er einer der drei Musketiere und das Laub sein Mantel. Eine Tür kam zum Vorschein. Ellen ging unter den Rosen durch ins Haus. Der Mann folgte ihr, ohne die Tür zu schließen.

»Ich bin Edward Salling.«

»Ellen March.«

»Mrs. March? Guten Tag.«

Er verbeugte sich formvollendet. Mit der gleichen pedantischen Förmlichkeit bot er Ellen einen Stuhl und eine Tasse Tee an. Sie nahm beides an, obwohl sie sich über die wahren Gefühle ihres Gastgebers keine Illusionen machte. Ed war ein Gentleman und würde sich entsprechend benehmen, auch wenn er daran erstickte, aber er legte keinen Wert auf ihre Gesellschaft. Die Eile, mit der er das Zimmer verließ, um den Tee zuzubereiten, sah verdächtig nach Flucht aus.

Ellen benützte seine Abwesenheit, um sich im Raum umzusehen. Er war einfach und sparsam eingerichtet, aber überraschend sauber. Die Möbel waren ausnahmslos in der Mitte des Zimmers untergebracht, denn der gesamte freie Platz an den Wänden war mit Büchern bedeckt.

Als Ed mit einem Tablett wiederkam, stand Ellen vor einem der Bücherregale. Sie hatte vergessen, wie zurückhaltend ihr Gastgeber war, und drehte sich mit strahlendem Lächeln zu ihm um.

»Sie haben die Henty-Bücher! Ich habe sie seit Jahren nicht mehr gelesen; ich liebe sie heute noch.«

Die kalten blauen Augen wurden etwas weicher, aber so leicht ließ sich Ed nicht herumkriegen. Er stellte das Tablett auf den Tisch und forderte sie mit einer fast königlichen Handbewegung auf einzuschenken.

»Ich lese sie immer noch«, sagte er. »Gottlob bin ich in der Lage, mir ein seltenes Vergnügen leisten zu können: Ich tue nur, was mir Freude macht. Sie werden auch intellektuellere Werke entdecken.«

Ellen konnte nicht anders, sie mußte ein bißchen angeben.

»Wie schön. Mögen Sie Joyce? Ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich Ulysses nie kapiert habe. Aber ich liebe seine Gedichte.«

Sie setzte ihren Angriff auf Eds schwache Punkte fort, und einige Male blitzten seine eisblauen Augen tatsächlich amüsiert auf. Schließlich wies er darauf hin, daß es Zeit sei, das Haus seiner Tante zu besichtigen. Sie würden mit seinem Lastwagen hinfahren.

Wie Eds gesamter Besitz war auch sein Lastwagen alt, jedoch makellos instand gehalten. Er war in einem Schuppen hinter dem Haus untergebracht, wurde aber anscheinend nicht oft benützt. Ed wischte sorgfältig den Staub vom Sitz, bevor er Ellen beim Einsteigen half. Als er hineinkletterte, bemerkte sie:

»Ich hätte angenommen, daß Sie einen Wagen mit Vierradantrieb besitzen. Es muß im Winter schwierig sein, von hier fortzukommen.«

»Ich komme im Winter nicht von hier fort«, erwiderte er.

Diese Antwort war zu erwarten gewesen. Ellen sah im Geiste, wie Ed das Feuer im Kamin, Bücher und Dosensuppe genoß, während sich draußen die Schneewehen türmten. Bevor sie dazu kam, seine Bemerkung als Zurechtweisung zu empfinden, fügte er hinzu: »Sie kennen sich offenbar mit Motorfahrzeugen aus, Mrs. March.«

Es war die erste Äußerung, die man als persönliche Bemerkung bezeichnen konnte. Ellen hatte sich über seine Zurückhaltung gewundert; jemand, der ein Grundstück verkauft, hat das Recht, sich nach dem Vorleben des Käufers zu erkundigen. Doch plötzlich merkte sie zu ihrer Bestürzung, daß sie eine vertraute Anwandlung überkam.

Ellens Mitteilungsbedürfnis hatte in der Familie schon oft für Heiterkeit gesorgt, vor allem, wenn ihr wieder einmal ein unfreiwilliger Zuhörer ins Netz gegangen war. Sie sprach vollkommen unbefangen über sich und ihre Familie und erzählte ihrem hilflosen Opfer dabei viel mehr, als dieses jemals wissen wollte. Ellen hatte wegen dieser Anfälle ein schlechtes Gewissen, war jedoch nicht imstande, sich zu beherrschen, auch wenn ein Teil ihres Bewußtseins sarkastische Kommentare zu ihrem blödsinnigen Geplapper abgab. Der kleine Kobold in ihr kicherte spitzbübisch, als Ellen tief Luft holte und begann:

»Mir blieb nichts anderes übrig, als mich mit Autos zu beschäftigen. Meine drei Neffen schleppten die unglaublichsten alten Wracks an – Jeeps, verrostete Lastwagen, Autos ohne Motor und Motoren ohne Auto ... Es war für mich angenehm, denn sie reparierten meinen Wagen immer wieder und brachten meiner Tochter sehr viel bei. Sie ist nämlich jünger als die drei und hatte sich angewöhnt, hinter ihnen herzulaufen wie ein junger Hund. Dieser Service wird mir fehlen. Natürlich werden mir auch die Kinder fehlen. Aber man muß sie ziehen lassen, nicht wahr?«

»So lautet jedenfalls das Klischee«, meinte Ed.

Ellen überhörte seine Bemerkung. »Ich hänge zu sehr an ihnen. Die Kinder sind viel unabhängiger; sie wollen nur noch fort. Meine Tochter fährt diesen Sommer nach Europa. Nicht allein, sie ist erst sechzehn. Ich würde nie zulassen, daß sie sich wie so viele arme, kleine Dinger mit einem Rucksack und dem Geld für das Flugticket auf den Weg macht. Sie fährt mit einer Schülergruppe. Wenn ich ein Haus kaufe, das so weit von Washington entfernt ist, dann wird sie ab nächstem Herbst in der Privatschule untergebracht, die sie bis jetzt als externe Schülerin besucht hat. Sie kann über das Wochenende herunterkommen ...«

Sie biß sich schmerzhaft in die Zunge, als der Wagen über eine Furche in der Straße rumpelte. Eds Hände umklammerten das Lenkrad, als hätte er Angst, daß es sich selbständig machen würde. Seine Augen blickten glasig. Der Kobold in Ellen hatte Mitleid mit ihm, denn ihr sinnloses Geplapper mußte für einen Einsiedler, der Frauen haßte, quälend sein. Aber der Anfall war noch nicht vorbei, und Ellen sprach erbarmungslos weiter.

»Zwei meiner Neffen sind bereits am College, und der dritte ist im Herbst soweit. Deshalb hielt ich es für den richtigen Augenblick, mein Leben zu ändern. Die Familie löst sich ohnehin auf. Jack nimmt einen Posten in Übersee an ... Er hat mir das Haus angeboten ... es steht in Bethesda und ist sehr hübsch, aber es war nie mein Haus, sondern das von Jack und Louise. Meine Schwester. Sie hat es so sehr geliebt, und sie hat mir so sehr gefehlt, daß ich es nicht über mich brachte, etwas an dem Haus zu ändern. Sie war so jung. Wir hätten nie geglaubt, daß ihr Herz nicht in Ordnung war ... Es ist beinahe zehn Jahre her, und ich sollte mich inzwischen damit abgefunden haben. Jack ist es nicht gelungen. Aber er war immer wunderbar, so ausgeglichen und zuverlässig ... Ich war froh, daß ich ihm und den Jungen helfen konnte. Natürlich war es auch für mich schön. Penny und ich lebten in einer engen, kleinen Wohnung in der Stadt. Ich kam mit den Jungen immer gut zurecht, und sie brauchten jemanden, der im Haus wohnte; Sie wissen ja, wie Jungen sind. Jack hätte eine Haushälterin anstellen müssen, und es ist nicht leicht, eine geeignete zu finden.«

Schon gut, schon gut, sagte der innere Kobold; du mußt Ed Salling nicht davon überzeugen, daß deine Motive rein waren, als du in das Haus deiner Schwester zu ihrem Mann und ihren Söhnen zogst. Du kannst es ja nicht einmal dir selbst einreden. Sprich schon weiter, erzähl ihm von Jack. Wie großartig er ist, wie angesehen. Du kannst es ohnehin nicht erwarten, von ihm zu reden.

»Das Haus«, sagte Ellen laut, viel zu laut, weil sie gegen die innere Stimme kämpfte, und Ed, der gerade hinunterschaltete, um auf die Überlandstraße einzubiegen, blickte sie überrascht an. »Ich habe nie ein eigenes Haus besessen. Zuerst die Wohnung und dann Louises Haus. Jetzt möchte ich mir etwas gönnen. Ich habe nämlich Geld geerbt – von einer Tante ...«

Nicht von Louise, stichelte der Kobold. Sorge dafür, daß ihm das klar wird. Nichts, das Louise gehört hat.

»Sie müssen sich also keine Sorgen machen, ob ich es bezahlen kann.« Ellen lachte schwach. Der Anfall klang langsam ab. »Wir haben noch nicht über den Preis gesprochen ...«

»Das überlasse ich dem Makler«, erklärte Ed geringschätzig. »Sie müssen mir das alles nicht erzählen, Mrs. March.«

Ellens Stimmung schlug wie immer nach einem solchen Anfall in Trübsinn und Selbstverachtung um.

»Ich weiß«, erwiderte sie verzagt. »Es tut mir leid. Ich fange an und kann nicht mehr aufhören. Es muß für andere schrecklich langweilig sein.«

»Ich würde es eigentlich nicht als langweilig bezeichnen.«

Ellen warf Ed einen Blick zu. Der Bart verbarg seinen Mund, aber seine Stimme klang, als würde er lächeln.

»Wenn man an Ihrer Konversation etwas aussetzen kann, dann keinesfalls, daß sie uninteressant ist«, fuhr Ed fort. »Sie ist vielmehr unzusammenhängend. Und von Kürze kann auch keine Rede sein. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann haben Sie Ihrem verwitweten Schwager und seinen drei Söhnen den Haushalt geführt. Sie haben eine Tochter. Ihr Schwager ist bei einer jener unmoralischen Bundesdienststellen beschäftigt, die sich in die Angelegenheiten fremder Nationen einmischen. Jetzt sind Ihre Neffen im Collegealter, Ihr Schwager fährt nach Übersee, um sich weiterhin einzumischen, und Sie haben beschlossen, ein malerisches altes Haus auf dem Land zu kaufen. Hier wollen Sie ihre Seele erforschen ... Ich bitte um Entschuldigung, ich werde persönlich und ironisch. Letzteres gestatte ich mir, ersteres nicht. Sagen wir, daß Sie Ihr Leben hier selbst gestalten wollen. Ein wunderbares Vorhaben. Ich bin absolut dafür, daß man sein eigenes Leben lebt. Ich bin absolut dagegen, daß man sich in das Leben anderer einmischt. Doch ich bin im Begriff, eine Ausnahme zu machen. Es überrascht mich, daß ich diesen Wunsch hege ... Sind Sie Witwe, Mrs. March?«

»Geschieden«, antwortete Ellen, der unter dem plötzlichen Wortschwall schwindlig wurde. »Vor Jahren.«

»Dann werde ich Ihnen einen Rat geben. Wenn Sie sich hier niederlassen sollten, erwähnen Sie Ihre Scheidung nicht.«

»Ich soll lügen?«

»Lügen ist die bewundernswerteste aller gesellschaftlichen Tugenden. Allerdings empfehle ich es in Ihrem Fall nicht, weil es undurchführbar ist. Man würde es herausfinden. Ich schlage ein wenig Zurückhaltung vor.«

»Und das mit gutem Grund«, lachte Ellen. »Ich rede jedoch nicht immer so viel. Es gibt Situationen, die diese Anfälle auslösen, ohne daß ich den Grund kenne.«

»Ich halte Sie für einen von Natur aus offenen Menschen. Sie können es sich leisten; Sie sehen nicht aus wie eine Frau, die etwas zu verheimlichen hat. Sie müssen aber die altmodische Einstellung in Kleinstädten berücksichtigen. Sehen Sie sich um, Mrs. March. Wir haben Chew's Corners erreicht. Ein wohlklingender Name, nicht wahr? Wenn Sie mein Haus kaufen, wird dieser Ort Ihr Einkaufszentrum sein.«

Ellen sah sich um. Sie war aus der anderen Richtung gekommen, deshalb erblickte sie das Städtchen zum erstenmal. Es war nicht sehr groß. Die alten, behäbigen Häuser waren ein wenig von der Straße zurückgesetzt und von schönen alten Bäumen umgeben. Auf den Gehsteigen waren Kinder mit Dreirädern und Frauen mit Kinderwagen unterwegs. Ed fuhr langsamer, weil er sich an die Geschwindigkeitsbeschränkung hielt, und Ellen fiel auf, daß die Fußgänger, an denen sie vorbeikamen, sie anstarrten. Ed konzentrierte sich scheinbar auf das Fahren, bemerkte aber nach einem Augenblick:

»Die Leute starren nicht Sie an, Mrs. March, sondern mich. Sie bekommen mich nur selten zu Gesicht. Ich bin nämlich der Stadtexzentriker.«

Dazu fielen Ellen mehrere Bemerkungen ein, die sie alle hinunterschluckte. Sie erreichten das Geschäftsviertel – und verließen es wieder. Es bestand aus einer Tankstelle, einigen Fachwerkhäusern, die man zu Geschäften umfunktioniert hatte, und einem größeren Unternehmen – einem echten alten Dorfladen mit einer gedeckten Veranda, die die ganze Vorderseite einnahm. Auf der Veranda stand eine Reihe von Holzstühlen, die alle besetzt waren, und zwar ausnahmslos von Angehörigen des männlichen Geschlechts. Als Eds Lastwagen vorbeifuhr, beugten sich alle gleichzeitig vor und starrten sie hemmungslos an.

»Grapow's General Merchandise«, las Ellen vom Schild über der Veranda ab. »Was für ein faszinierender Ort.«

»Mrs. Grapow ist einer der erfolgreichsten Geschäftsmänner in der Stadt – ich verwende die männliche Form bewußt –, und auch eine Stütze der Kirche. Ich warne Sie vor der Kirche, Mrs. March, und auch vor Mrs. Grapow. Aber Sie werden zweifellos keinen der beiden Ratschläge befolgen.«

»Wir erregen Aufsehen«, meinte Ellen, sobald sie die Männer hinter sich gelassen hatten. »Hoffentlich schade ich Ihrem Ruf nicht, Mr. Salling.«

»Das wäre unmöglich«, meinte Ed gelassen. »Ich habe doch erwähnt, daß ich der Stadtexzentriker bin. Man bezeichnet mich auch als Atheisten. Ich bin ein rationaler Deist, aber man kann von solchen Idioten nicht erwarten, daß sie den Unterschied begreifen. Natürlich habe ich ihren Gott abgelehnt. Er ist ein unangenehmer alter Mann im Nachthemd, und er hat die Gewohnheit, sich ständig einzumischen. Was meine Nachbarn aber wirklich ärgert, ist die Tatsache, daß ich auch ihren Teufel ablehne.«

»Ich verstehe. Aber es fällt einem schwer, hier an einen Teufel zu glauben.«

Sie zeigte auf das letzte Haus am Ende der Stadt – ein weißgetünchter Fachwerkbau mit den strengen Linien und der eigenen Würde der frühen georgianischen Häuser.

»Sie haben offenbar nie in einer Kleinstadt gelebt?«

»Nein, ich bin ausgerechnet in Brooklyn zur Welt gekommen. Aber als ich klein war, habe ich oft meine Großmutter in Indiana besucht. Sie hatte ...«

»Nichts mehr.« Ed schüttelte den Kopf. »Ich flehe Sie an, kein Wort mehr. Sie sind eine nette Frau, Mrs. March, soweit man das von einer Frau sagen kann – aber ich will wirklich nicht mehr wissen, als ich bereits weiß.«

»Sie sind ebenfalls nett«, lächelte Ellen. »Ich bin noch nie so schmerzlos zum Schweigen gebracht worden.«

»Ich will Ihnen nicht Ihre Begeisterung rauben, sondern Sie nur vor Naivität warnen. Rousseaus Vorstellung vom edlen Wilden ist längst in Verruf geraten. Die ländliche Einfalt bringt genauso viele Laster hervor wie die städtische Blasiertheit.«

Ellen wurde ein bißchen ungeduldig. Sie mochte diesen bärtigen Anachronismus, aber sie war nicht bereit, seine Voreingenommenheit dem Universum oder Chew's Corners gegenüber hinzunehmen, auch wenn sie zugab, daß der Name schrecklich war. Sie fragte sich flüchtig, was Eds Einstellung seinen Mitmenschen gegenüber nachteilig beeinflußt hatte. Wie so viele Zyniker war er ein enttäuschter Romantiker, das verrieten seine Bücherregale.

»Machen Sie sich keine Sorgen«, sagte sie, »ich weiß über Kleinstädte Bescheid. Wahrscheinlich werden die Leute zunächst zurückhaltend sein, aber ich werde sie herumkriegen. Ich gebe keine wilden Partys, und ich verfüge nicht über zahllose Liebhaber, auch wenn ich geschieden bin. Wenn meine Nachbarn nicht mit mir verkehren wollen, kann ich selbst für meine Unterhaltung sorgen. Ich lese viel und male ein wenig, betreue den Garten, stricke und beobachte Vögel. Ich freue mich darauf, hier Vögel zu beobachten, ich habe so lange in der Vorstadt gewohnt.«

»O ja«, brummte Ed mürrisch, »wir haben Vögel.«

»Es gibt so vielerlei, das ich immer tun wollte, wofür ich aber nie Zeit fand. Ich werde Gitarre spielen lernen, Krieg und Frieden noch einmal lesen und mich an Proust versuchen; ich werde Sanskrit lernen, einen Kräutergarten anlegen, Häkeln lernen, Patchwork-Decken anfertigen, einkochen und ...«

Ein rostiges, krächzendes Geräusch unterbrach sie mitten im Satz. Sie brauchte einige Sekunden, bis sie das Geräusch als Gelächter identifizierte.

»Ich sage überhaupt nichts mehr«, erklärte Ed.

Sie bogen von der Überlandstraße ab, bei einem Schild mit der Aufschrift ›Privatstraße‹. Sie war asphaltiert, aber sehr schmal, Bäume drängten sich an den Lastwagen. Dann wurde der Blick nach links frei, und Ellen sah hoch oben auf einem Hügel ein Haus.

»Das ist es doch nicht, oder?« fragte sie unglücklich. Das Haus prunkte an der Vorderseite mit weißen Säulen und war ein prächtiges Beispiel für den Neoklassizismus. Es war viel zu groß und zu großartig für sie.

»Nein, das ist das Haus der McKays. Norman McKay ist Ihr nächster Nachbar. Er hat die Straße asphaltieren lassen. Sie führt nur zu den beiden Häusern, aber Norman hatte genug davon, daß er bei Regen jedesmal steckenblieb. Er hält sie auch im Winter frei, denn er besitzt einen eigenen Traktor.«

»Das wäre ein Vorteil.« Die Straße beschrieb eine Kurve, und Mr. McKays Villa verschwand aus Ellens Gesichtsfeld. »Was für ein Mensch ist Mr. McKay?« fragte sie.

»Er hat in Harvard Betriebswissenschaft studiert und sammelt Antiquitäten, Porzellan und Bücher. Ich wechsle gelegentlich ein paar Worte mit ihm. Er ist der einzige gebildete Mensch in der Gegend.«

»Das klingt, als wäre er der vollkommene Nachbar.«

»Niemand ist vollkommen.«

Ellen lag bereits eine scharfe Antwort auf der Zunge, als Ed plötzlich auf die Bremse stieg. Weil er nicht schnell fuhr und sofort den Arm ausstreckte, wurde Ellen nicht gegen die Windschutzscheibe geschleudert. Während sie sich aufrichtete, erblickte sie kurz eine Gestalt, die in dem dichten Gestrüpp neben der Straße verschwand. Offensichtlich war diese Gestalt für Eds Notbremsung verantwortlich.

Es war ein Junge oder ein junger Mann gewesen, der verwaschene Jeans und ein Hemd trug. Das hellblonde Haar war modisch lang und sah aus, als wäre es mit einer rostigen Heckenschere geschnitten worden. All das war normal, aber er hatte etwas an sich gehabt, das Ellen beunruhigte. Vielleicht die raschen, verstohlenen Bewegungen? Oder das neugierige Zurückschauen und der forschende Blick? Sie erinnerte sich an ihre Fantasievorstellungen vom Wald und den nichtmenschlichen Geschöpfen, die vielleicht durch das Unterholz schlichen.

»Ich bitte um Entschuldigung«, sagte Ed und zog den Arm zurück.

»Entschuldigen Sie sich nicht. Wer war das? Sollte er nicht in der Schule sein?«

»Tim hat sich seit seinem sechzehnten Geburtstag nicht mehr in den Räumen der Western High School blicken lassen. Zur beiderseitigen Erleichterung. Er sollte arbeiten, zieht es aber vor, sich im Wald herumzutreiben.«

»Wie alt ist er?«

»Beinahe achtzehn.« Ed sah sie von der Seite an. »Mir ist aufgefallen, wie Sie auf meine Feststellung reagiert haben, daß Mr. McKay kein ganz vollkommener Nachbar ist. Tim gehört zu seinen Unvollkommenheiten. Er ist Normans Neffe, und wenn ich der Stadtexzentriker bin, dann ist er der Stadtdelinquent.«

Bevor Ellen das Thema verfolgen konnte, hielt Ed an und sprang hinaus. Sie sah sich um. Die asphaltierte Straße endete wenige Meter vor ihr. Ein Weg, der höchstens einem Fahrrad Platz bot, führte in den Wald hinein. Von einem Haus war nichts zu sehen; das einzige Ungewöhnliche waren zwei riesige Fichten, zwischen denen Ed verschwand. Einen Augenblick später war er wieder da, stieg ein, bog scharf nach rechts zu den beiden Bäumen ab und fuhr zwischen ihnen hindurch.

Die Zweige teilten sich; der Abstand zwischen den beiden Räumen war gerade groß genug, um einen Wagen durchzulassen. Dahinter befand sich eine Ziegelmauer mit einem Holztor, das jetzt offenstand. »Diese Bäume müssen gestutzt werden«, stellte Ed fest. Es war die Untertreibung des Jahres. »Falls Sie das Haus kaufen, werde ich es selbstverständlich veranlassen.«

Einen Augenblick später gelangten sie auf eine Lichtung. Ed stellte den Motor ab, stieg aus und öffnete die Tür auf Ellens Seite, doch sie blieb sitzen und sah sich mit großen Augen um.

Das Haus war schön, aber das war nicht wichtig. Es war ihr Haus. Es streckte unsichtbare Arme nach ihr aus und zog sie an sich.

Laut Rose war das Haus im achtzehnten Jahrhundert erbaut worden, aber Ellen war sicher, daß es vor dem Unabhängigkeitskrieg, vielleicht um siebzehnhundertzwanzig, entstanden war. Ursprünglich war es das übliche Gebäude mit zwei Räumen gewesen, das an jedem Ende einen Schornstein besaß. Oder vielleicht – ja, das steile Dach war bestimmt genauso alt wie das Haus. Also ein Vier-Zimmer-Haus, mit zwei Schlafzimmern im Obergeschoß. Einige frühe Grenzlandhäuser hatten sich diesen Luxus geleistet. Die Backsteine waren jetzt verwittert und von Schlingpflanzen überwuchert, so daß das Gebäude mit der Landschaft verschmolz. Spätere Besitzer hatten einen Fachwerk-Küchenflügel und an der Hinterseite im rechten Winkel zum Gebäude einen Flügel mit zwei Räumen hinzugefügt. Ellen bezweifelte, daß man jemals einen Architekten zu Rat gezogen hatte; kein Fachmann hätte die Veranda mit Fliegengittern gebilligt, die die schlichte Würde der Backsteinfassade störte. Doch das Haus war von dem instinktiven Gefühl für Linien und Gliederungen geprägt, das man bei vielen frühen Gebäuden findet.

Sein Reiz lag zum Teil auch in seiner Umgebung. Die Lichtung umfaßte etwas mehr als einen Morgen Land. Sanfte, baumbestandene Hügel umschlossen den freien Raum, um den Bäume eine Art lebende Mauer bildeten. Unter ihnen befanden sich Eichen und Ahornbäume, die im Herbst prächtig aussehen würden – wie große, mit Farbklecksen bedeckte impressionistische Bilder. Es gab auch zahlreiche immergrüne Bäume, die im Winter als schützendes Bollwerk fungierten. Eine große Eiche, die die Schornsteine überragte, war bestimmt genauso alt wie das Haus. Ihr Stamm leuchtete smaragdgrün. Ich muß die Schlingpflanze entfernen, obwohl sie hübsch ist, dachte Ellen; sie kann den Baum umbringen. Hinter dem Haus wiesen weiße Gebilde, die wie unzeitgemäße Schneewehen aussahen, darauf hin, daß sich dort ein alter Obstgarten mit Apfelbäumen befand.

Ellen war überwältigt, denn sie entdeckte immerzu weitere Einzelheiten. Der Baum links von ihr war bestimmt ein Walnußbaum. Die Veranda war von Kletterrosen überwuchert, und neben der Küchentür standen Fliederbüsche. Ein mit Steinplatten belegter Pfad führte durch das hohe Gras zu der Veranda. Wie herrlich mußte es sein, an einem Sommerabend dort zu sitzen, wenn der Rosenduft die Luft erfüllte ... Der Wald war voller weißblühender Hartriegelsträucher. Neben dem Weg stand ein rosa Strauch.

»Ich möchte es«, sagte Ellen. »Kann ich es haben?«

»Erst nachdem Sie das Innere gesehen haben.«

Falls Ed gehofft hatte, daß das Innere des Hauses Ellen abschrecken würde, hatte er sich geirrt. Es war Liebe auf den ersten Blick; sie erkannte trotz der jahrelangen Vernachlässigung, wie kraftvoll und anmutig die Linien des Gebäudes waren. Die Küche war ein Alptraum; die Einrichtung stammte ausnahmslos aus der Zeit vor 193o, und die abblätternde grüne Farbe der Schränke war scheußlich. Das Linoleum war gesprungen und wellte sich. Ellen sah den Raum mit Kiefernschränken und einem kühlen, gelben Anstrich vor sich. Ein offener Kamin war ebenfalls vorhanden; die Ziegelwand, an der er stand, hatte im ersten Haus die Außenmauer gebildet. Die Küche war jedenfalls so geräumig, daß ein großer Tisch und Bänke mühelos in ihr Platz hatten.

Der von Ellens Reaktion sichtlich angewiderte Ed schleppte sie weiter. Die enge Treppe störte sie nicht, auch dann nicht, als Ed sie darauf aufmerksam machte, daß jeder über einssiebzig große Besucher sich bücken mußte, wenn er unter dem Treppenbogen durchging. Im oberen Korridor blieb sie jedoch wie angewurzelt stehen, weil sie von einem unbeschreiblichen Gefühl erfaßt wurde.

Verlangen – jubelndes, glühendes, triumphierendes Verlangen. Es war nicht sexuell, nicht einmal körperlich, sondern das Gefühl, aus dem körperliches Verlangen entsteht. Es war, als hätte sich aus dem Chaos etwas gelöst und sie mit unbändiger Freude empfangen. Es bemächtigte sich ihres Geistes so heftig, daß ihr schwindlig wurde, so leidenschaftlich, daß es beinahe schmerzhaft war.

Das Gefühl kam und verging sofort wieder. Ellen hatte den Atem angehalten; jetzt atmete sie aus und sah sich verwirrt um.

Der obere Korridor war eigentlich nur ein Treppenabsatz, der sein Licht durch ein einziges kleines Fenster erhielt. Der ausgetretene Fichtenfußboden fiel gefährlich schräg zur Treppe ab. Zu beiden Seiten des Fensters hatten Vorratsschränke Platz. Es war ein freundlicher kleiner Raum, doch es gab hier nichts, das ihren unheimlichen Begeisterungstaumel erklären konnte.

Ellen blickte verstohlen zu Ed hinüber, und ihr Sinn für Humor vertrieb die letzten Reste des Anfalls. Er flößte sicherlich die unterschiedlichsten Gefühle ein, aber auf keinen Fall wahnsinnige Leidenschaft.

Als Ed die Türen zu beiden Seiten des Treppenabsatzes aufstieß, vergaß Ellen ihre kurze Verwirrung. Die Schlafzimmer waren gleich groß, etwa drei mal vier Meter. Die schrägen Gesimse und die Dachfenster trösteten über die Einrichtung hinweg – Ellen bezeichnete diesen Stil als frühen Woolworth.

»Loch im Dach.« Ed zeigte mürrisch auf einen Fleck in der häßlichen Tapete.

»Das kann instand gesetzt werden.«

»Nur zwei Schlafzimmer.«

»Im Anbau unten gibt es zwei zusätzliche Zimmer. Sie können als Gästezimmer verwendet werden oder zu einem einzigen großen Arbeitszimmer vereinigt werden, das man notfalls auch als Gästezimmer benutzen kann.«

»Sie haben das Badezimmer noch nicht gesehen.«

Der so bezeichnete Raum hätte einen weniger entschlossenen Käufer vielleicht in die Flucht gejagt. Die Badewanne war nicht alt genug, um als Kuriosität zu gelten, sondern einfach alt, und der größte Teil des Emails war abgeschlagen. Die Innenseite der Armaturen war infolge des mineralhaltigen Wassers rostbraun.

»Mit grünen Fliesen und einer nilgrünen Badewanne wird es entzückend aussehen«, sagte Ellen träumerisch.

Ed vergaß in seiner Verwirrung, sich unter dem Treppenbogen zu bücken, und rannte mit dem Kopf dagegen. Das machte ihn so wütend, daß er den Rest des Abstiegs schweigend zurücklegte.

Während er die Vordertür versperrte, begutachtete Ellen die Veranda. Hier warteten weitere Unkosten: Die Fliegengitter mußten erneuert werden, und das Holzwerk war zum Teil vermodert. Die Veranda war zwar ein ästhetischer Horror, aber Ellen wollte sie behalten. In Virginia gibt es die unterschiedlichsten fleischfressenden Insektenarten.

Der Garten bot zu dieser Jahreszeit natürlich den schönsten Anblick. Einer der früheren Besitzer war Gärtner gewesen und hatte viele blühende Pflanzen gesetzt. Ellens fachkundiges Auge identifizierte die grünen Speere der Gladiolen, die gerade erst sprießenden Chrysanthemen und die gefiederten, smaragdgrünen Embryos von Rittersporn und Fingerhut. Den ganzen Sommer über würde eine der vielen Pflanzenarten in Blüte stehen – Rhododendron, Gebirgslorbeer und die verschiedenen Rosensorten. Ellens Finger konnten es kaum erwarten, sich an die Arbeit zu machen. Der Garten war herrlich, aber vernachlässigt; alle Sträucher mußten gestutzt, Knollen ausgegraben und sortiert werden ...

Sie wandte sich Ed mit so leuchtenden Augen zu, daß er unwillkürlich lächeln mußte.

»Sie sind eine sehr schlechte Geschäftsfrau, Mrs. March. Wenn ich ein guter Geschäftsmann wäre, würde Ihr Gesichtsausdruck den Preis um etliche tausend Dollar in die Höhe treiben.«

»Aber Sie sind keiner«, stellte Ellen fest. »Ich kaufe es.«

»Ich schlage vor, daß Sie es sich einige Tage überlegen.«

»Aber ich ...«

»Ich lasse Ihnen das Vorkaufsrecht. Wahrscheinlich ist das nicht der richtige Ausdruck, doch das ist unwichtig. Wir brauchen keine Anzahlung, oder was immer das Gesetz verlangt. Sie haben mein Wort.«

Er marschierte den Weg hinunter, und Ellen folgte ihm. Sie mußte laufen, um ihn einzuholen. Beim Lastwagen packte sie ihn am Arm, und als er stehenblieb, drehte sie sich um und betrachtete noch einmal das Haus. Ihr Haus.

»Ich versuche, Ihnen zu erklären, Mr. Salling, daß ich es mir nicht überlegen muß. Ich bin meiner Sache vollkommen sicher. Sie können nicht wissen, wie viele Häuser ich mir angesehen habe. Eines war scheußlicher als das andere. Ich fahre direkt nach Warrenton und ...«

»Sie werden nichts dergleichen tun; ich bestehe darauf, daß Sie es sich zuerst überlegen. Sprechen Sie mit Ihrer Familie darüber.«

Chauvinist, dachte Ellen.

Sie sagte nichts, aber offenbar gehörte Telepathie zu Eds geheimen Fähigkeiten.

»Ich sage das nicht, weil Sie eine Frau sind, sondern weil Sie so sind, wie Sie sind.«

»Ich bin vielleicht impulsiv, aber nicht unzurechnungsfähig«, erwiderte Ellen hochnäsig. »Wenn ich einen Fehler begehe, dann zahle ich dafür, ohne zu jammern. Sie können sicher sein ...«

Sie unterbrach sich.

»Was ist los?« Ed drehte sich um und folgte ihrem Blick. »Wahrscheinlich ein Tier – es verschwand gerade zwischen den Bäumen.«

»Es gibt hier Eichhörnchen und andere kleine Tiere.«

»Ich habe noch nie ein Albino-Eichhörnchen gesehen.« Ed bekam große Augen.

»Sie haben ein weißes Tier gesehen?«

»Vielleicht eine Katze.« Ellen beobachtete mit zunehmender Besorgnis, wie die sichtbaren Teile von Eds bärtigem Gesicht zuckten.

»Ich wollte es Ihnen eigentlich nicht erzählen«, sagte er schließlich mit einem schweren Seufzer. »Schon der Gedanke an eine solche Möglichkeit widert mich an. Aber im Hinblick auf Ihre unerklärliche plötzliche Zuneigung ... Bevor Sie sich entschließen, Mrs. March, müssen Sie etwas über dieses Haus erfahren.«

Kapitel 2

»Dein Haus hat ein was?«

Ellens Schwager legte das Buttermesser weg und starrte sie an.

Ellen schenkte ihm Kaffee nach und schob den Gedanken von sich, daß es nur noch zwei Monate waren. Wieso hatte sie, obwohl sie schon so lang bei ihm lebte, die unausweichliche Wahrheit nicht schon früher erkannt? Er sah nicht einmal gut aus. Er war groß, und seine drei unternehmungslustigen Söhne hatten dafür gesorgt, daß er schlank und in Form blieb; aber sein Haaransatz war weit hinaufgerutscht, und das nachsichtigste Eigenschaftswort, das Freunde für sein Gesicht fanden, war »angenehm«. Er sah wie ein ehemaliger Football-Spieler aus, aber die gebrochene Nase hatte er sich nicht auf einem Spielfeld geholt, und die Augen hinter der Hornbrille waren immer kurzsichtig gewesen. Er sah schlecht, seine Ohren waren zu groß, seine Haare zu schütter, und sie liebte ihn. Sie hatte ihn immer geliebt, hatte sich diese Tatsache aber erst eingestanden, als ihr klar wurde, daß sie ihn verlieren würde. Wie konnte sie eine Zukunft ertragen, in der sie sein Gesicht nicht mehr jeden Morgen am Frühstückstisch sehen würde?

Sie würde es eben ertragen müssen. Jack liebte sie ebenfalls – als Schwester und hilfsbereite Ersatzmutter. Er war feinfühlend und herzlich, und wenn sie weiterhin Freunde bleiben sollten, durfte er nie erfahren, was sie für ihn empfand.

Ellen kam entschlossen auf das Thema zurück, das sie angeschnitten hatte.

»Ein Gespenst«, sagte sie. »Mein Haus besitzt ein Gespenst. Ist das nicht wunderbar? Er stellt es nicht einmal zusätzlich in Rechnung.«

Schritte dröhnten durch den Korridor – ein Junge war im Anmarsch. Es war beinahe eine Enttäuschung, daß auf den Krach hin nur ein einziges, wenn auch großes männliches Wesen folgte; man war auf eine Herde wilder Mustangs oder gar Büffel gefaßt. Phil sah seinem Vater ähnlich, besaß jedoch mehr Haare – viel mehr Haare. Hinten waren sie schulter- und vorn nasenlang. Da Phil sich weigerte, Stirnbänder oder gar Haarspangen zu tragen, engten die Stirnlocken sein Gesichtsfeld gefährlich ein. Er hatte die aufreizende Gewohnheit, den Kopf zurückzuwerfen, um die Haare aus den Augen zu bekommen, aber wenn ihn ein Thema interessierte, ließ er sie einfach hängen.

Phil saß die letzten Wochen in der Oberschule ab. Er hatte seinem Vater erklärt, daß es wirklich keinen Sinn hatte, wenn er weiterhin zur Schule ging, denn die Aufnahme ins College war ihm sicher. Er ging dennoch zur Schule.

Phil warf sich in einen Stuhl und ergriff eine Handvoll Brot. »Er stellt was nicht in Rechnung?« fragte er mit vollem Mund.

»Mein Gespenst!«

»Dein was?« frage eine neue Stimme.

Ellen warf ihrer Tochter, die gerade hereingekommen war, einen Blick zu. Penny dröhnte nicht, sondern schwebte. Sie war ein zierliches Geschöpf mit langem, schwarzem Haar, das lose um das spitz zulaufende Gesicht hing, aber ihre Aufmachung hätte zu einem arbeitslosen Landarbeiter gepaßt: geflickte, verschossene Jeans und ein knappes T-Shirt. Das T-Shirt saß wie eine zweite Haut, und Ellen blieb mit einer Platte voll Speck und Eiern in der Hand auf halbem Weg zwischen Herd und Tisch stehen.

»Penny! Du gehst sofort wieder hinauf und ziehst einen BH an. Oder eine undurchsichtige Bluse.«

»Büstenhalter sind out.« Phil war mit dem Brot fertig und griff nach einem Krapfen. »Penny hat die ihren verbrannt, nicht wahr, Küken?«

Penny schlug nach ihm, aber er duckte sich, ohne deshalb die Nahrungszufuhr zu unterbrechen.

»Niemand trägt mehr Büstenhalter, Mutter. Sie sind Symbole der sexuellen Unterdrückung. Ein was, hast du gesagt?«

»Hast du gesagt, ein Gespenst?« wiederholte Phil, spießte ein Spiegelei mit der Gabel auf und beförderte es auf seinen Teller.

Ellen bemerkte den amüsierten Blick ihres Schwagers.

»Ihr treibt mich zum Wahnsinn«, erklärte sie.

»Aber du liebst uns.« Phil langte nach einem weiteren Ei.

»Wenn du nicht die Vorlegegabel benützt, Phil, verprügle ich dich«, bemerkte sein Vater. »Und versuche, das Ei in mehr als zwei Stücke zu teilen. Und du, Penny, widersprich deiner Mutter nicht, sonst verprügle ich dich ebenfalls. Außerdem haltet ihr beide den Mund. Ich werde nie begreifen, wieso ihr so ungehobelt seid; schließlich seid ihr bei zwei wohlerzogenen Verwandten aufgewachsen.«

»Wahrscheinlich habt ihr uns falsch erzogen«, meinte Phil nachdenklich.

»Nein, wir haben euch richtig erzogen. Wenn ihr vom richtigen Weg abgekommen seid, dann deshalb, weil ihr von Natur aus böse seid. Sucht euch selbst einen Psychiater. Und jetzt erzähl von deinem Gespenst, Ellen.«

Ellen sah sich lächelnd im Kreis um, und drei Gesichter erwiderten ihr Lächeln. Ich weiß nicht, ob ich es durchstehen kann, dachte sie.

»Kein gewöhnliches Gespenst«, stellte sie fröhlich richtig. »Der Geist einer Hexe.«

»He«, bemerkte Phil anerkennend. »Spitze.«

»Wau«, sagte Jack an Pennys Stelle, weil sie den Mund voll hatte. »Erzähl weiter, Ellen, kümmere dich nicht um die pöbelhaften Kommentare.«

»Ihr Mann hat das Haus gebaut«, begann Ellen und verfiel dabei unbewußt in den Ton, in dem sie den Kindern Märchen erzählt hatte. »Er war Farmer, ein Deutscher, so wie viele der ersten Siedler in West-Virginia. Er kam aus den relativ zivilisierten Gemeinden Pennsylvanias in den Süden, in eine ungeheure Wildnis, an das äußerste Ende der bekannten Welt. Hier gab es feindliche Indianer, Bären, Wildkatzen und so dichte Wälder, daß das Sonnenlicht nie den Boden erreichte.

Sobald die Wildnis gerodet war, ergab sie gutes Ackerland. Getreide und Vieh gediehen. Karl Baumgartner mußte nur eine Million Bäume fällen, die Stümpfe ausgraben, den Boden pflügen, säen und ernten. Keiner von euch verweichlichten, modernen Typen hätte es länger als eine Woche durchgestanden.«

Sie sah Phil streng an.

»Bin ich froh, daß ich nicht damals gelebt habe«, murmelte er.

»Es gab bereits einige kleine Häuser, die sich an der Kreuzung zweier Wege zusammendrängten«, fuhr Ellen fort. »Damals halfen die Menschen einander; ihnen blieb nichts anderes übrig, denn sie waren so wenige. Die Siedler halfen Karl, ein kleines Holzhaus zu bauen, aber er wollte höher hinaus. Er arbeitete wie ein Verrückter und übertraf sogar seine fleißigen Nachbarn. Bereits nach einigen Jahren erzielte er eine ansehnliche Weizenernte und besaß zwei Wagen, mit denen er das Getreide in die Tidewater-Städte brachte. Nach zehn Jahren begann er, ein richtiges Haus zu bauen.

Seine Nachbarn waren überrascht und ein bißchen verärgert, als er die Siedlung verließ und sein Haus in eineinhalb Kilometern Entfernung mitten im Wald errichtete. Zwei oder drei wohlhabende Siedler hatten ihre Häuser vergrößert, aber das genügte Karl nicht; sein Haus war aus Backsteinen erbaut, die er aus England kommen ließ. Wenn seine Wagen mit dem Getreide auf den Markt fuhren, kamen sie nicht leer zurück, sondern mit Ziegeln. Und schließlich brachten sie noch etwas mit – Karls Braut.

Angeblich war sie eine Zigeunerin, eine Spanierin oder Ägypterin. Jedenfalls war sie etwas Exotisches, etwas, das sich von den kräftigen deutschen und schottisch-irischen Mädchen in diesem Gebiet unterschied. Sie war schlank und dunkel, hatte olivfarbene Haut, große, blitzende schwarze Augen ...«

»Das erfindest du«, unterbrach sie Penny.

Ellen grinste.

»Ich habe nie ein Bild von ihr gesehen ... Es wird eine Wohltat sein, wenn ich eine neue Zuhörerschaft bekomme, die nicht jedes meiner Worte auf die Goldwaage legt.«

»Sie werden dich nicht so gut kennen wie wir«, bemerkte Phil.

»Dieser Teil der Geschichte ist vermutlich reine Erfindung«, gab Ellen zu. »Ich meine die Sache mit dem Zigeunerblut. Sie konnte schon deshalb nicht so exotisch sein, weil sie einen guten, alten, englischen Namen trug – Mary.«

Penny stöhnte.

»Mary Baumgartner – ein schrecklicher Name für eine Hexe. Sie war doch die Hexe, oder?«

»Versuch einmal, fünf Minuten lang still zu sein«, schlug ihr Onkel vor.