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Die Geheimnisse eines alten Schlosses: Der Regency-Roman »Grayhaven Manor – Das Leuchten der Sehnsucht« von Barbara Michaels als eBook bei dotbooks. England im 18. Jahrhundert. Ein schwarzer Regenbogen spannt sich über Grayhaven Manor am nächtlichen Himmel, der Mond taucht alles in ein silbriges, unheimliches Licht ... So sieht die junge Megan das alte Schloss zum ersten Mal, das von nun an ihr Zuhause sein soll. Es scheint ein dunkler Vorbote zu sein: Als Gouvernante ist ihre Stellung im Haus schwierig, ihr kleines Mündel wild und ungezähmt – und der Herr von Grayhaven Manor erscheint ebenso anziehend wie unnahbar. Megan weiß, dass sie ihre Gefühle für Edmund Mandeville um jeden Preis geheim halten muss ... doch seine dunklen Blicke entfachen eine unbändige Sehnsucht in ihr. Als Megan gegen alle Vernunft zu hoffen beginnt, ereignet sich plötzlich immer mehr Rätselhaftes um sie herum. Verbirgt die Adelsfamilie etwa ein gefährliches Geheimnis? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der fesselnde historische Liebesroman »Grayhaven Manor – Das Leuchten der Sehnsucht« von Bestseller-Autorin Barbara Michaels – in der Tradition der großen englischen Romane »Jane Eyre« und »Northanger Abbey«. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 352
Über dieses Buch:
England im 18. Jahrhundert. Ein schwarzer Regenbogen spannt sich über Grayhaven Manor am nächtlichen Himmel, der Mond taucht alles in ein silbriges, unheimliches Licht ... So sieht die junge Megan das alte Schloss zum ersten Mal, das von nun an ihr Zuhause sein soll. Es scheint ein dunkler Vorbote zu sein: Als Gouvernante ist ihre Stellung im Haus schwierig, ihr kleines Mündel wild und ungezähmt – und der Herr von Grayhaven Manor erscheint ebenso anziehend wie unnahbar. Megan weiß, dass sie ihre Gefühle für Edmund Mandeville um jeden Preis geheim halten muss ... doch seine dunklen Blicke entfachen eine unbändige Sehnsucht in ihr. Als Megan gegen alle Vernunft zu hoffen beginnt, ereignet sich plötzlich immer mehr Rätselhaftes um sie herum. Verbirgt die Adelsfamilie etwa ein gefährliches Geheimnis?
Über die Autorin:
Hinter der US-amerikanischen Bestsellerautorin Barbara Michaels steht Barbara Louise Gross Mertz (1927–2013), die auch unter dem Pseudonym Elizabeth Peters erfolgreich Kriminalromane schrieb. Die Autorin promovierte an der University of Chicago in Ägyptologie. So haben auch ihre Romane, für die sie zahlreiche Preise gewann, meist einen historischen Hintergrund.
Eine Übersicht über weitere Romane von Barbara Michaels bei dotbooks finden Sie am Ende dieses eBooks.
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eBook-Neuausgabe April 2020
Dieses Buch erschien bereits 1984 unter dem Titel »Der schwarze Regenbogen« bei Heyne.
Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1982 by Barbara Michaels
Die amerikanische Originalausgabe erschien 1982 unter dem Titel »The Black Rainbow« bei Congdon & Weed.
Copyright © der deutschen Erstausgabe 1984 by Wilhelm Heyne Verlag, München
Copyright © der Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Shelli Jensen, Frame Art, Somyk Volodymyr und Period Images/Dunraven/Mary Chronis
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (tw)
ISBN 978-3-96148-040-1
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Barbara Michaels
Grayhaven Manor – Das Leuchten der Sehnsucht
Roman
Aus dem Amerikanischen von Traudi Perlinger
dotbooks.
Ich bin eine große Katzenfreundin, liebe besonders Siamkatzen, und weiß natürlich, daß die ersten Siamkatzen von Owen Gould, dem damaligen britischen Generalkonsul in Bangkok, im Jahre 1884 nach England gebracht wurden. Ich habe mir jedoch gestattet, ein fiktives Exemplar dieser Rasse zu einem früheren Zeitpunkt vorzustellen, da es mir denkbar erscheint, daß vor dem registrierten Zeitpunkt bereits Siamkatzen in England existierten, ohne daß dies einer breiteren Öffentlichkeit bekannt war.
Die Katze sowie alle anderen Charaktere dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.
Ein wissenschaftlich erwiesenes, völlig normales Naturereignis – das Kind von Sturmwolken und Vollmond, wie sein bunter Bruder am Tage aus der Verbindung von Sonne und Regen hervorgeht. Megan war aber nicht abergläubisch, doch als sie oben auf dem Hügel stand und den schwarzen Regenbogen sah, der sich über den vielen Türmen von Grayhaven Manor spannte, raffte sie erschrocken ihre nassen, klammen Röcke und rannte so schnell sie konnte den Hügel wieder hinunter, den sie eben mühsam hinaufgeklettert war.
Der Regenschauer, der sie völlig durchnäßt hatte, hörte so unerwartet wie er losgeprasselt war auf, und das erschöpfte Mädchen blieb stehen, um Atem zu schöpfen, als der Vollmond durch die Wolken brach. Die Farben des nächtlichen Regenbogens reichten vom bleichen Silbergrau bis zu einem tiefen Schwarz – ein seltsam angsteinflößender Willkommensgruß für die Wanderin, deren Ziel das alte Schloß war, über dem sich der unheilvolle Regenbogen wölbte.
Das Haus lag in einem sanften Tal zwischen Hügelketten, die bei Tageslicht grün und lieblich wirken mußten. Das bleiche Mondlicht raubte ihnen jede Farbe, die Bäume ragten wie schwarze Federkiele in den Himmel, die Wiesen lagen im fahlen Schein, und der Bach glich einem silbernen Band. Die Szenerie war von schauriger Schönheit, doch Megan wünschte, sie hätte die vergangenen Wochen des erzwungenen Nichtstuns nicht damit verbracht, so viele mittelalterliche Schauerromane, die zur Zeit Mode waren, zu lesen, in denen es von Gespenstern, Vampiren und Spukschlössern nur so wimmelte. Nicht, daß sie viel Auswahl gehabt hätte; die kleine Bibliothek ihrer Pensionswirtin umfaßte ausschließlich Bücher solchen Inhalts; und sie besaß kein Geld, um sich anspruchsvollere Lektüre in einer Leihbibliothek zu holen.
Auf den ersten Blick hätten die alten Mauern und gotischen Türme von Grayhaven den idealen Rahmen für einen von Radcliffes Romanen abgeben können, in denen unschuldigen jungen Mädchen meist große Gefahr von schwarzen Mönchen und anderem abscheulichen Gelichter drohte. Doch bei genauerem Hinsehen gewann das Mädchen einen freundlicheren Eindruck. Die Wärme und das Licht, das die bernsteinfarbenen Fenster ausstrahlten, wirkten beruhigend auf die durchnäßte, erschöpfte Wanderin.
Megan zögerte, wollte noch etwas rasten, bevor sie ihren Weg fortsetzte. Am Bahnhof hatte man ihr gesagt, es seien nur vier Meilen bis zum Schloß. Ihr war der Weg jedoch mindestens doppelt so lang erschienen. Sie war hungrig, hatte seit dem Morgen nichts mehr gegessen, und ihre nassen Röcke hingen bleischwer an ihr. Die Erde roch feucht, und sie fror in dem scharfen Wind, der die Wolken vertrieben hatte. Der Silberball des Mondes zog hoch am Himmel seine unsichtbare Bahn durch das sturmgepeitschte Gewölk, der Streitwagen der Diana, der jungfräulichen Jagdgöttin der Römer.
Megan war gebildeter als die meisten ihrer Mitschülerinnen, sie konnte Latein und sogar ein wenig Griechisch; doch ihr Wissen über heidnische Gottheiten hatte sie nicht von den Nonnen, bei denen sie erzogen worden war. Ihr Vater war selbst ein halber Heide. Aus seinen Erzählungen und durch die Bücher, die er irgendwo auf ihren gemeinsamen Reisen auftrieb, hatte sie von Zeus und Apoll, dem grimmigen Pluto und seiner entführten Braut und den anderen Unsterblichen des Olymps gehört. Unter dem Bann des schwarzen Regenbogens erinnerte sie sich an Dinge, die sie lieber vergessen hätte. Die silbrig-schwarze Landschaft war kein Ort für den strahlenden Apoll oder für harmlose Quellnymphen; doch was für eine Nacht für Diana, die Jägerin, die zuweilen in die Rolle der Zaubergöttin Hekate schlüpfte, deren Hundemeute menschlichen Opfern nachhetzte. Ein Schauder durchlief Megan, als sie ein entferntes Geheul vernahm. Gleichzeitig hörte sie ein anderes, näheres Geräusch und blickte angstvoll über die Schulter. Es klang wie Hufe auf weicher Erde. Ein harmloses Reh – ein Geisterhirsch? – Oder ein großer, schwarzer Hengst, dem einer der Geisterreiter, die sie aus den Romanen kannte, die Sporen gab … dessen schwarzes Haar aus der edlen, bleichen Stirn geweht wurde und dessen ernste, braune Augen auf ein fernes Ziel am Horizont gerichtet waren …?
Megan schüttelte ihre Fantasien ab und zwang sich zurückzukehren in die Wirklichkeit ihrer schmerzenden Füße in den durchweichten Stiefeln. Das Gesicht des Geisterreiters war kein Ausbund ihrer überreizten Fantasie, es gehörte einem wirklich existierenden Menschen. Ihre Vernunft befahl ihr, mit ihrer Träumerei aufzuhören. Edmund Mandeville war ihr Arbeitgeber. Mehr nicht. Sie bückte sich und hob die schwere Tasche auf, die sie abgestellt hatte, als sie auf den Hügel geklettert war.
Sie hatte mehr Kraft, als ihre zarte Erscheinung vermuten ließ. Obwohl das Gewicht ihrer Tasche schmerzlich auf ihren Armmuskeln zerrte, setzte sie ihren Weg fort. Doch da sah sie etwas, was ihr den Atem stocken ließ. Diesmal war es keine der wilden Fantasien, die ihr einen Streich spielten. Auf einem großen Felsen neben dem Weg kauerte eine kleine Gestalt. Das Mondlicht gleißte auf glatten, dunklen Haaren und zeichnete die Kontur einer bleichen Wange. Kein Zweifel: Es mußte sich um ein Menschenwesen handeln. Megan entfuhr ein Schreckensschrei. Das zwergenhafte Wesen fuhr hoch, stellte sich auf den Felsen und starrte auf das Mädchen.
Ja, es mußte ein Kobold oder Heinzelmännchen sein, eines jener menschenähnlichen Wesen, die in den entlegenen Bergen leben, und die im Märchen den Menschen manchmal heimliche Wünsche erfüllen. Es war in einen dunklen Umhang gehüllt, dessen Kapuze nach hinten gerutscht war und winzige Gesichtszüge freigab. So zwergenhaft, wie Megans erschrockene Fantasie ihr das im ersten Schock einflößte, waren sie nun wieder nicht, wie sich später erweisen sollte.
Das runde, zutrauliche Gesicht spiegelte ihr eigenes Entsetzen wider. Weitaufgerissene Augen starrten sie an.
»Wer sind Sie?« Die beiden Stimmen überschnitten sich in einem erschrockenen Duett.
Die kleine Frau fand als erste ihre Fassung wieder. Ihr Mund öffnete sich zu einem breiten Lächeln, dann lachte sie.
»Sie haben mich aber erschreckt! Ich dachte, ich sei allein hier, und einen Augenblick lang sahen Sie aus wie … Aber ich sage lieber nicht, welch sonderbare Gedanken mir durch den Kopf geschossen sind, sonst halten Sie mich für total verrückt; dabei bin ich nur leicht exzentrisch.«
Megan hatte bemerkt, daß ihr ›Heinzelmännchen‹ lediglich ein weibliches Wesen von ungewöhnlich kleinem Wuchs war; auch ihre zweite Theorie, die einfach gekleidete Frau müsse zur Dienerschaft des Schlosses unter ihnen gehören, wurde durch Stimme, Tonfall und Redeweise widerlegt.
Erleichtert und dankbar erwiderte sie das freundliche Lächeln. »Wenn Sie es als exzentrisch bezeichnen, in einer solchen Nacht spazierenzugehen, so bin ich es auch. Aber dieser Anblick ist einfach faszinierend. Das heißt – haben Sie ihn überhaupt gesehen?«
»Den schwarzen Regenbogen?« Die kleine Frau lachte wieder. »Ich kann Ihnen versichern, es handelt sich um eine völlig normale Naturerscheinung. Meine alte Kinderfrau hat ihn einmal gesehen, als sie noch ein junges Mädchen war. Aber man sieht ihn sehr selten, und ich habe kaum erwartet, ihn einmal selbst erleben zu dürfen.« Sie schwieg. Ihr Lächeln wich einem Ausdruck träumenden Staunens, und mit völlig veränderter Stimme murmelte sie, »schwarzes Kind stürzender Wasser und des Vollmondes, die Straße, auf der die Jägerin reitet …«
Megan hörte mit Erstaunen, wie ihre eigene Fantasie von einem anderen Menschen in Worte gefaßt wurde, doch andererseits würde wohl jeder klassisch gebildete Mensch seine Gedanken in ähnliche Worte umsetzen. Sie fühlte sich durch den veränderten Gesichtsausdruck der kleinen Frau unbehaglich und sagte ziemlich forsch: »Vermutlich knüpfen die Leute in der Gegend allerhand abergläubischen Unsinn daran.«
»Sicherlich.« Die Stimme der Frau war wieder normal. »Meine Kinderfrau ließ mein Blut mit ihren Geschichten beinahe gerinnen. Ihre Schwester starb nämlich dreizehn Monate nachdem sie ihn gesehen hatte. Sie war überzeugt davon, der schwarze Regenbogen war ein Vorbote des Todes. Ich habe mich später ziemlich gründlich mit den wissenschaftlichen Begründungen dieses Naturphänomens beschäftigt – vielleicht weil ich meine kindliche Horrorvision dadurch loswerden wollte. Aber dies ist eine etwas merkwürdige Unterhaltung zwischen zwei Fremden, die sich spät nachts treffen. Haben Sie sich verirrt? Diese Straße führt nirgendwohin, nur zum Haus.«
»Wenn dies, wie ich vermute, Grayhaven Manor ist, dann habe ich mich nicht verirrt. Dies ist mein Ziel.«
»Wirklich?«
Mehr sagte sie nicht; nur ihr leicht veränderter Tonfall verlangte eine Erklärung. Megan war für ihre Zurückhaltung dankbar, doch die Tatsache, daß die Frau offensichtlich nichts von ihrer Existenz wußte, ließ ihr Herz in ihre vom Regen aufgeweichten Stiefel sinken.
»Ich nehme an, Sie sind Miß Mandeville?« fragte sie.
»Richtig.«
»Ich bin Megan O’Neill.«
Der gleiche Ausdruck höflicher Verständnislosigkeit war die Antwort.
»Du meine Güte«, sagte Megan erregt. »Sie wissen nichts von meiner Ankunft? Hat er Ihnen nichts davon erzählt?«
»Er? Ah – ich glaube, ich fange an zu verstehen. Sie sprechen von meinem Bruder?«
»Ja. Mr. Edmund Mandeville. Er hat mich engagiert. Er versicherte mir, er würde Ihnen schreiben, im Falle er in London aufgehalten und ich vor ihm ankommen würde …«
Ihre Stimme versagte; ein Klumpen schien ihr die Kehle zuzuschnüren. Es hatte scheußlich genug begonnen, als sie verlassen auf dem Bahnhof stand wie ein unzustellbares Paket. Kein Wunder, daß Miß Mandeville sie so fragend angestarrt hatte. Sie war freundlicher zu ihr, als sie erwarten konnte, denn sie mußte sie für eine Landstreicherin halten in ihren schmutzigen, pitschnassen Kleidern. Scham und Peinlichkeit waren nicht die einzigen Gefühle, die Megan bedrängten. Schmerzlicher war die Tatsache, daß sie Edmund Mandeville so wenig bedeutete, daß er vergessen hatte, seine Familie von ihrer Ankunft zu benachrichtigen.
»Mein Bruder hat Sie engagiert?« fragte Miß Mandeville nach längerem Schweigen. »Wofür denn?«
»Als Gouvernante. Ich … er sagte, es sei ein Kind im Haus.«
»Sein Mündel. Caroline ist drei Jahre alt.«
»So jung? Mr. Mandeville hat nicht erwähnt …«
»Er wird es vergessen haben«, sagte Miß Mandeville trocken. »Er hat sie nicht mehr gesehen, seit sie ein Baby war. Sei’s drum, dies scheint mir nicht der rechte Ort für eine längere Konversation. Sie zittern ja vor Kälte. Kommen Sie.«
Mit diesen Worten raffte sie ihre Röcke, sprang vom Felsen und ging den Weg entlang, der ins Tal führte. Megan folgte schweigend. Ihr Kopf schmerzte, und sie hatte das Gefühl, keinen festen Boden unter den Füßen zu haben, sondern durch einen Sumpf zu waten, der sie nach unten zog.
Nach ein paar Schritten blieb Miß Mandeville stehen und wartete. »Verzeihen Sie, ich wollte Ihnen nicht davonlaufen. Ich dachte gerade an Edmund. Es ist eigentlich nicht seine Art, so gedankenlos zu sein. Ich hoffe nur, er hat keinen Rückfall erlitten. Er war krank, müssen Sie wissen – sehr krank.«
Megan versuchte, sie zu beruhigen. »Er schien wohlauf, als ich ihn vor zwei Tagen sah. Etwas schmal und blaß, aber guter Dinge. War er im Krimkrieg? Ich wollte ihn nicht danach fragen.«
»Ja. Er wurde bei Inkerman verwundet. Aber am Typhus, den er im Lazarett bekam, wäre er beinahe gestorben.«
»Auf mich machte er nicht den Eindruck, als müßten Sie sich Sorgen um ihn machen.«
»Es ist nett von Ihnen, daß Sie mich beruhigen wollen. Wir müssen ihm wohl den einen oder anderen Fehler nachsehen, nach allem, was er durchgemacht hat. Aber liebe Miß O’Neill, es war nicht sehr klug von Ihnen, sich allein auf den Weg zu machen, zu Fuß und bei dem Wetter. Warum haben Sie keine Kutsche am Bahnhof genommen?«
Megan wollte ihr die Wahrheit verschweigen – daß sie kein Geld hatte, um sich einen Mietwagen zu nehmen. Dann hätte sie ebenfalls zugeben müssen, daß sie aus ihrer letzten Stellung plötzlich und ohne Zeugnis entlassen worden war. Sie hatte gehofft, Mr. Mandeville würde ihr einen Vorschuß auf ihren Lohn anbieten, oder ihr wenigstens die Bahnfahrt bezahlen, doch er hatte keinerlei diesbezügliches Angebot gemacht – ein Mann wie er kannte das Gefühl nicht, nur ein paar Shilling in der Tasche zu haben und dachte an solche Nebensächlichkeiten nicht. Das ermunterte sie zu der Hoffnung, daß er auch an solche Nebensächlichkeiten wie Referenzen und Zeugnisse nicht dachte.
Ihre Begleiterin schien auf eine Antwort zu warten, und sie sagte schnell: »Als ich losging, regnete es nicht; und der Bahnhofsvorsteher sagte, es sei nicht weit. Nach den langen Stunden im überfüllten Zug freute ich mich auf einen Spaziergang. Ich habe meinen Koffer am Bahnhof gelassen –«
»Das hoffe ich! Diese Tasche sieht schwer genug aus. Sie können sie hier am Parktor lassen. Ich schicke später einen Diener, um sie zu holen.«
»Nein, danke. Es geht schon. Ich hoffe, Miß Mandeville, Sie entschuldigen –«
»Unsinn. Ich müßte mich bei Ihnen entschuldigen. Genug jetzt. Wenn Sie sich aufgewärmt haben, sprechen wir weiter.«
Während des restlichen Weges schwieg sie, und Megan war ihr dafür dankbar; sie hatte genug damit zu tun, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Ihre schweren Stiefel quietschten bei jedem Schritt und schienen jeder mindestens fünfzig Pfund zu wiegen. Sie nahm kaum die hohen Mauern des Schlosses mit dem Turm in der Mitte wahr, dessen Zinnen schwarz in den Nachthimmel ragten. Miß Mandeville strebte dem Haupteingang zu und öffnete das schwere Portal schwungvoll. Eine Flut von Wärme, Licht und Luxus schien Megan mit barmherzigen Armen zu umfangen.
Die Arme gehörten einer plumpen, alten Frau im schwarzen Kleid und Rüschenhäubchen. Ihr runzeliges Gesicht glich einem verschrumpelten Apfel, doch ihre Arme waren so stark wie die eines Hufschmieds; sie schob das halb ohnmächtige Mädchen eine Treppe hinauf und einen erleuchteten Korridor entlang.
Megan stotterte etwas – sie wußte kaum, was sie sagte – und versuchte zu beweisen, daß sie ohne Hilfe gehen konnte. Doch die kräftigen Arme festigten nur ihren Griff.
»Plagen Sie sich nicht, armes Kind«, beruhigte sie die alte Frau. »Lizzie kümmert sich um Sie; Sie hatten einen Schwindelanfall; ist ja auch kein Wunder, so durchnäßt und müde, wie Sie sind. So eine Schande, aber typisch für Herrn Edmund. Er war immer ein gedankenloser Bursche – schön wie ein junger Lord, aber gedankenlos …«
Megan hatte weder Lust noch Kraft zu widersprechen. Man half ihr aus den nassen Kleidern und setzte sie in eine dampfende Badewanne. Schläfrig und zufrieden erinnerte sie sich an eine Zeit, in der andere Hände sich zärtlich um sie bemühten, andere Stimmen sie einlullten. Ihr Kindermädchen … den Namen hatte sie vergessen, aber das einst geliebte Gesicht stand deutlich vor ihren Augen – rosige Apfelbäckchen, ein liebevolles Gesicht, entfernter, weniger deutlich – ein schimmerndes Oval mit einer goldenen Haarsträhne in der Stirn, eine leichte, lachende Stimme, schmeichelnde Worte, die wie Musik klangen.
Lizzie hob sie aus der Badewanne und hüllte sie in ein Morgenkleid, und allmählich begann Megan ihre Umgebung wahrzunehmen. In ihrem verwirrten Zustand schien der Raum voller Leute zu sein. Es waren jedoch nur drei da – zwei junge Mädchen, der Kleidung nach Dienstmädchen, die die Kupferwanne leerten, und die alte Frau, die begonnen hatte, ihre Tasche auszupacken und mit kritisch geschürzten Lippen ihre zerdrückten Kleider ausschüttelte.
Das große Zimmer war von mehreren Lampen und dem Kaminfeuer erhellt, der hohe Plafond lag im Dunkel der sich hin und her bewegenden Schatten. Das Mobiliar war dunkel und schwer, in der Mitte ein geschnitztes Himmelbett mit blauen Samtvorhängen. Im blanken Parkett, das wie goldener Honig schimmerte, spiegelten sich die tanzenden Flammen.
In den vergangenen zwei Jahren, seit der Tod ihres Vaters sie gezwungen hatte, ihren eigenen Lebensunterhalt zu verdienen, hatte Megan verschiedene elegante Häuser gesehen, konnte sie als Außenseiter bewundern. Der Beruf einer Gouvernante war eine komische Sache. Beinahe jeder in der klassenbewußten Gesellschaft hatte seinen Platz im Kastensystem, je nach Reichtum, Ahnentafel oder Beruf. Der Platz mochte niedrig und unbedeutend sein, aber er war definiert; man wußte, wohin man gehörte und was das System von einem erwartete. Eine Gouvernante konnte von Geburt oder Erziehung her besser gestellt sein als die Leute, in deren Diensten sie stand. Sie gehörte also nicht zur Dienerschaft, andererseits aber keineswegs zur herrschenden Klasse. Folglich wurde sie von beiden Seiten, der Dienerschaft und der Herrschaft, herablassend behandelt.
Diese Ambivalenz bekam Megan ständig zu spüren. Ihr Zimmer war kaum besser als die der Dienstboten, eingerichtet mit ausgedienten Möbeln, das von den Zimmermädchen beim Saubermachen geflissentlich übersehen wurde. Doch im Gegensatz zu den Dienstboten wurde sie gelegentlich in den Salon befohlen, wenn ihre Herrschaft mit einer musikalischen Darbietung oder mit Vorlesen unterhalten werden wollte. Sie kannte sich in den neuesten Moderichtungen von Architektur und Inneneinrichtung aus und hatte ein geschultes Auge für die Unzulänglichkeiten ihrer gegenwärtigen Umgebung.
Das Zimmer und alles, was sich darin befand, war alt, doch makellos gepflegt; sogar das Messinggitter vor dem Kamin glänzte frisch poliert. Aber die blauen Samtbehänge des Himmelbettes waren in ein graues Azur verblichen, und das Bett selbst mußte wohl hundert Jahre alt sein, das Holz war vom Alter geschwärzt.
Aber wie kam sie dazu, Kritik zu üben? Die verblichene Pracht war viel zu elegant für sie; es mußte sich um eine Verlegenheitslösung handeln. Miß Mandeville schien eine gütige Frau zu sein, trotz ihrer Merkwürdigkeiten. Offenbar hatte sie befohlen, die Gouvernante, die auf so ungelegene Weise zusammengebrochen war, in das nächstgelegene Zimmer zu bringen; morgen würde Megan in die ihr zustehende kleine Kammer neben dem Kinderzimmer verwiesen werden – wenn man sie nicht überhaupt wegschickte.
Sie kann mich nicht fortjagen, dachte Megan. Aber sie hat großen Einfluß auf ihren Bruder; er sprach mit soviel Liebe und Bewunderung von ihr, er sagte, sie sei die Herrin des Hauses … Und das Kind war erst drei Jahre alt! Sie brauchte ein Kindermädchen, keine Erzieherin. Es gab zwar ehrgeizige Eltern, die ihre Söhne bereits mit drei Jahren mit lateinischer Grammatik und Geographie quälten; aber wer mochte ein derartiges Interesse mit einem kleinen Mädchen haben? Ein Mädchen geriet schnell in den Ruf, zu klug und folglich unweiblich zu sein, wenn es danach strebte mehr zu wissen, als die für ein Mädchen schicklichen Dinge – Musik, Zeichnen und ein wenig Französisch.
Megans Hände verkrampften sich. Mochte der Raum auch etwas veraltet wirken, er hatte eine Eleganz, strahlte eine Atmosphäre von Wärme und Geborgenheit aus, die modernes Mobiliar nie haben konnte. Ich will hierbleiben, flehte sie kindlich. Heilige Mutter Gottes, laß mich hierbleiben; gebenedeite Jungfrau, gewähre mir diese Zufluchtsstätte – nur eine Weile, ich bin so müde.
Die Tür öffnete sich, und Miß Mandeville trat ein, gefolgt von einem Diener, der ein Tablett trug. Megans Nasenflügel begannen zu beben. Sie hatte vergessen, wie hungrig sie war, bis ihr der Duft aus den Schüsseln auf dem Tablett entgegenströmte. Miß Mandeville wies den Diener an, das Tablett auf einen niederen Tisch neben Megan zu stellen, dann entließ sie die übrige Dienerschaft. Die letzte, die das Zimmer verließ, war die dicke, alte Frau, die Miß Mandeville vertraut mit Lizzie anredete.
Megan bedankte sich, wagte jedoch nicht, den vertraulichen Namen ebenfalls zu benutzen; durch schmerzliche Erfahrungen hatte sie gelernt, daß Köchinnen und Haushälterinnen großen Wert auf den Ehrentitel ›Frau‹ legten und von einer Gouvernante keinerlei Vertraulichkeiten duldeten. Sie war etwas erstaunt über Lizzies Rolle. Ihre Kleider waren ausgesprochen altmodisch, ein Kindermädchen vor fünfzig Jahren hätte sich so angezogen; doch die jungen Dienstmädchen hatten eilfertig ihren Befehlen gehorcht.
Megan konnte sich einer diesbezüglichen Frage nicht enthalten. Miß Mandeville erwiderte mit einem Lächeln, das ihre Wangen rundete und ihre Augen zu zwei blitzenden Sehschlitzen verengte. In ihrem einfachen grauen Wollkleid, die braunen Haare streng zu einem Nackenknoten frisiert, glich sie eher einer der Hausangestellten als der Herrin des Hauses.
»Lizzie betrachtet sich als Haushälterin, doch in Wirklichkeit ist sie die Gebieterin von Grayhaven, und was für eine große Tyrannin. Sie hat mich und Edmund von klein auf schikaniert. Aber bitte essen Sie, solange es noch warm ist. Ich habe schon gegessen und werde nur ein Glas Wein mit Ihnen trinken.«
Der Burgunder hatte ein feines Bouquet und eine leuchtende Farbe. Er lief weich die Kehle hinunter und wärmte Megans durchfrorenen Körper. Die Anerkennung spiegelte sich in ihrem Gesicht wider, und ihre Gastgeberin sagte lächelnd: »Sie sind offenbar Weinkennerin, Miß O’Neill. Mein Bruder hat ihn ausgesucht; wenn Ihre anderen Qualifikationen ebenso ausgezeichnet sind, dann wundert es mich nicht, daß Edmund von Ihnen angetan ist.«
»Ich bin halbe Französin, vielleicht habe ich ein angeborenes Gespür für guten Wein«, sagte Megan. »Aber eigentlich hat mein Vater meinen Geschmack kultiviert – keine ausgesprochen schickliche Gabe für ein junges Mädchen, fürchte ich.«
»War Ihr Vater Ire?«
Die scheinbar beiläufig gestellte Frage vertrieb Megans Glücksgefühl, hervorgerufen durch die Wärme, das Essen und den Wein. Sie mußte sich für eine Aufgabe rüsten, der sie sich ohne die Güte der Dame des Hauses längst hätte stellen müssen. Sie haßte es, ihre Geschichte vor Fremden auszubreiten, aber es mußte sein. Ihre mutmaßlich zukünftige Arbeitgeberin hatte ein Recht zu erfahren, wer sie war und woher sie kam.
»Meine Mutter war Französin. Mein Vater Ire – der jüngste Sohn von Lord Connacht von Kerry. Die jüngsten Söhne irischer Edelleute sind bekannt für ihre Armut, stimmt’s? Und mein Vater entstammte einer großen Familie; nachdem alle anderen in irgendwelchen Positionen untergebracht waren, stand mein Vater buchstäblich auf der Straße und wußte nicht, womit er sein Leben verdienen sollte.«
Megan schwieg. Ihre Gastgeberin mißdeutete die Pause und deutete mit einer einladenden Geste auf das Essen, als wolle sie ausdrücken: »Ihre Geschichte kann warten, bis Sie satt sind.«
Doch der Braten, der eben noch so verlockend schien, reizte sie nicht mehr, denn nun kam der Teil ihrer Geschichte, den sie am meisten haßte; gewöhnlich streifte sie dieses Kapitel nur kurz, wenn sie ihren Vater anderen Arbeitgebern schildern mußte. Welcher Dämon oder Engel der Wahrheit ihre Zunge nun löste, verstand sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Sie legte die Gabel zurück in den Teller und trank noch einen Schluck Wein, um sich Mut einzuflößen. »Er war ein Spieler«, sagte sie. »Unter anderem … ich habe nie gewußt, aus welchen Quellen er unseren Lebensunterhalt bestritt; er war sehr bedacht darauf, daß wir es nicht erfuhren. Es gab Zeiten des Überflusses, in denen er meine Mutter in teure Pelze hüllte und mir die schönsten Spielsachen schenkte; dann gab es wieder Zeiten, in denen wir tagelang von trocken Brot und billigem Wein lebten. Meine Mutter starb, als ich fünf war. Anstatt mich in die Obhut einer Tante oder Cousine zu geben, nahm mein Vater mich auf all seine Reisen mit. Und er sorgte für meine Erziehung –«
»In einer Klosterschule?«
Die Frage traf Megan überraschend. Diesen Teil ihrer Geschichte wollte sie für sich behalten.
»Wie konnten Sie das wissen?«
Miß Mandeville deutete zu einem Tisch, auf den Lizzie Megans persönliche Dinge gelegt hatte. Dort lag auch das goldene Kruzifix, das sie sonst unter dem hochgeschlossenen Mieder verbarg.
»Da Sie irisches und französisches Blut in sich haben, wäre ich ohnehin daraufgekommen, daß Sie Katholikin sind«, sagte Miß Mandeville.
Es klang wie eine Entschuldigung. Seit Heinrich der Achte vor über dreihundert Jahren mit Rom gebrochen hatte, waren Katholiken im ganzen Land verfolgt, geschmäht und verbannt worden. Von einigen Privilegien, die jeder andere britische Staatsbürger genoß, waren sie ganz ausgeschlossen. Bis vor einigen Jahren durften Nicht-Anglikaner kein öffentliches Amt bekleiden, und immer noch gab es keine katholischen Professoren an den beiden großen Universitäten Cambridge und Oxford. Vor kaum fünf Jahren, 1850, war es zu Aufruhren in verschiedenen Städten gekommen: Schaufenster katholischer Ladenbesitzer wurden durch Steinwürfe zertrümmert und Bilder des Papstes verbrannt. Anglikanische und protestantische Glaubensanhänger – in vielen religiösen Fragen zerstritten – vereinigten sich unter dem gemeinsamen Schlachtruf gegen den »päpstlichen Aberglauben«.
»Der … der Anhänger gehörte meiner Mutter«, stammelte Megan. »Ich trage ihn aus Sentimentalität … ich gehöre ihrem Glauben nicht mehr an.«
»Es tut mir leid, das zu hören«, war die erstaunliche Antwort. »Es sei denn, ehrliche Überzeugung hat Sie zu dieser Konvertierung gebracht. Aber das ist vermutlich nicht der Fall.«
Tränen des Selbstmitleids und des Zorns stiegen in Megans Augen. Wie konnte diese Frau so selbstgefällig über eine ehrliche Gesinnung richten und ihr unterstellen, daß niedrige Beweggründe den Ausschlag zu ihrem Glaubenswechsel gegeben hatten. Was wußte sie schon über den Kampf ums tägliche Brot und von den Kompromissen, die dieser Kampf erforderte? Beinahe hätte sie ihren Tränen freien Lauf gelassen, aber etwas in Miß Mandevilles ruhigem Blick warnte sie davor, diese Waffe hier anzuwenden. Sie bezwang ihre Schwäche, nicht aber ihren Zorn. Wenigstens würde sie die Genugtuung haben, ihre lang angestaute Wut zu entladen, bevor man sie wegschickte.
»Ehrlichkeit ist keine Tugend, Miß Mandeville, sie ist ein Luxus, den sich nur reiche Leute leisten können. Ein Mädchen wie ich hat keine große Auswahl – wenn ich keine ehrliche Arbeit bekomme, bleibt mir nur die Ehrlosigkeit oder der Tod, oder die Möglichkeit von Almosen zu leben, was schlimmer als beides ist. Was wissen Sie denn von Hunger – nicht das gesunde Verlangen nach Nahrung, sondern die beißende Leere im Bauch, ohne auch nur eine Brotrinde im Schrank? Sie kennen nicht die magische Anziehungskraft eines schwarzen Flusses, der Frieden und Sicherheit verspricht. Mehr als einmal habe ich in die kalten Tiefen geblickt und mir gewünscht, dem ein Ende zu machen.«
Miß Mandeville hatte mehrmals versucht, Megans leidenschaftlichen Redefluß zu unterbrechen. Als diese endlich eine Pause einlegte, um Luft zu holen, sagte Miß Mandeville gelassen: »Sie besitzen eine recht ungestüme Redegewandtheit, Miß O’Neill. Haben Sie vielleicht eine Vorliebe für Schauerromane?«
Megan ersparte sich die Mühe, die spöttische Frage zu beantworten. Erschöpft von ihrem Gefühlsausbruch griff sie nach dem Weinglas. Es war bereit, ihr zweites, hätte sie das nur realisiert; und ein feines Lächeln wehte um Miß Mandevilles Mundwinkel, als sie ihr zusah. »Mir sind jedoch die Tatsachen«, fuhr sie fort, »von denen Sie sprachen, sehr wohl bewußt. Es gibt Familien in diesem Land, in denen Ihre Religion ein Hindernis sein würde, Sie zu engagieren. Und ich fürchte, Ihre Erscheinung wäre ein weiterer Hinderungsgrund. Sie scheinen sehr jung zu sein.«
»Ich bin achtzehn«, sagte Megan dumpf.
»Doch schon so erwachsen? Und Sie sind sehr hübsch in einer zerbrechlichen Art, an der manche Menschen ihre Stärke messen wollen. Wissen Sie, als ich Sie vorhin zum erstenmal sah, in Ihrem grünen Umhang, mit den Haaren im Nachtwind, da dachte ich, Sie gehörten zu den geheimnisvollen Wesen, die in den Bergen leben, und Sie seien gekommen, um mich ins Märchenland zu entführen.«
»Und ich dachte, Sie seien ein Kobold oder ein Heinzelmännchen.«
Die Worte waren ihr einfach herausgerutscht, irgend etwas schien die Verbindung zwischen ihrer Zunge und ihrem Hirn unterbrochen zu haben. Miß Mandeville war keineswegs gekränkt; sie ließ ihre kleinen Füße baumeln und lachte herzlich.
»Man hat mir schon schlimmere Dinge gesagt. Anscheinend haben wir beide eine etwas überreizte Fantasie, Miß O’Neill. Vielleicht können wir diese Schwäche gemeinsam bekämpfen.«
Die Worte, die so zwanglos klangen, sickerten nur langsam in Megans schläfrigen Verstand. »Aber«, sagte sie stockend, »haben Sie denn vor, mich zu behalten – nach allem, was ich Ihnen gesagt habe?«
»Ich könnte Sie gar nicht gehen lassen, selbst wenn ich wollte«, erwiderte ihre Gastgeberin sachlich. »Mein Bruder hat Sie engagiert. Aber wenn ich es könnte – Sie haben mir nichts erzählt, was mir Grund gibt, Sie zu entlassen. Meiner Ansicht nach braucht die kleine Caroline noch keine Gouvernante; sie ist ein süßes Kind, aber nur durchschnittlich begabt. Und ich halte nichts davon, Kinder vorzeitig zum Lernen zu zwingen. Andererseits sehe ich keinen Grund, ihr nicht auf spielerische Weise einige Unterrichtsstunden zu geben, und Sie machen den Eindruck, als seien Sie eine kinderliebe Person.«
Die letzten Worte verschwammen in einem unverständlichen Gemurmel, die Wände des Zimmers begannen zu schwanken. Megan nahm wie durch einen Schleier wahr, daß man ihr vom Stuhl aufhalf und sie zu Bett brachte.
»Ich bin nur ein wenig müde«, stammelte sie. »Nicht schwach …«
»Nein, nein.« Miß Mandevilles Gesicht erschien über ihr; ihr breites Grinsen schien körperlos in der Luft zu schweben. »Sie sind nicht schwach, nur ein wenig betrunken.«
Ihr Lachen war das letzte Geräusch, das Megan vernahm, bevor der Schlaf sie übermannte.
Ausschweifungen jeder Art lagen Megan fern, sie eiferte darin nicht ihrem Vater nach. In den frühen Morgenstunden lag sie hellwach im Bett mit schmerzendem Kopf und ausgedörrter Kehle. Wasser war ihr erster Gedanke. Das Kaminfeuer war zu einer schwachen Glut erloschen, und sie tastete im Dunkel durch das Zimmer, bis sie eine Wasserkaraffe auf einem der Beistelltische fand und ihren brennenden Durst stillen konnte.
Erfrischt legte sie sich wieder in die Kissen zurück, doch sie konnte keinen Schlaf mehr finden. Die Erinnerung an ihr Benehmen des Vorabends jagten ihr heiße Schamröte ins Gesicht. Sie mußte betrunken gewesen sein, nichts sonst konnte ihre Unkontrolliertheit erklären. Mit einem Seufzer drehte sie ihren schmerzenden Kopf und verbarg ihn in dem kühlen Leinen des Kopfkissens.
Aber Miß Mandeville war nicht verärgert. Sie hatte gelacht. Was für eine merkwürdige Frau sie war, kleidete sich wie eine bessere Bauerntochter und benahm sich wie eine hochgestellte Dame. Trotz ihres würdevollen Auftretens konnte sie nicht recht viel älter sein als Megan.
Sie erinnerte sich an ihre letzten Worte und wischte ihre Bedenken fort. Sie würde nicht Weggehen müssen. Sie hatte eine Zuflucht gefunden; und wenigstens für diese eine Nacht konnte sie den Luxus eines stillen Zimmers genießen. Die Bettücher dufteten nach Lavendel, und die Luft war frisch und kühl. Sie hatte das Gefühl, in einem Sommergarten zu liegen, über sich den weiten nächtlichen Sternenhimmel.
Ihre Gedanken wanderten zwischen Wachen und Träumen. Zuflucht … das Zimmer, ja das ganze Haus gab ihr dieses Gefühl. Vielleicht war es nur das Alter – Jahrhunderte friedlichen Lebens hatten einen Zauber von Geborgenheit um die alten Mauern gewoben. Das alte Schloß in Irland, das sie kurz nach dem Tod ihrer Mutter zum letztenmal gesehen hatte, hatte die gleiche Atmosphäre ausgestrahlt, obwohl es damals schon eine halbe Ruine gewesen war. Die O’Neills waren eine alte Familie und verfügten über eine Menge Hausgespenster, wenn man den Geschichten ihres Vaters glauben durfte – die Weiße Frau, der enthauptete Kutscher, der ohne Kopf die Gespensterkutsche lenkte, die Todesfee der Familie, die mit ihrem Geheul einen Todesfall ankündigte … Megan lächelte schlaftrunken. In diesem Zimmer gab es keine Gespenster. Es war freundlich und gemütlich wie ein Kinderzimmer.
Sie war beinahe wieder eingeschlafen, als sie senkrecht hochfuhr durch den schauerlichsten Jammerton, den sie je in ihrem Leben gehört hatte – ein langgezogenes dämonisches Heulen, die Tonleiter ekstatischer Höllenpein hinauf und hinunter; das Wahnsinnsklagen einer verdammten Seele, die um den verlorenen Himmel wimmerte.
Megan zog die Bettdecke bis zur Nase hinauf und starrte entsetzt in das Dunkel. Das Heulen der Todesfee – was sonst konnte es sein? – Die Beschreibungen ihres Vaters hatten nur einen Abklatsch des Entsetzens bewirkt, das jetzt in ihr hochkroch. Draußen vor dem offenen Fenster raschelte etwas, und sie preßte die Lider aufeinander, um den feuerroten Augen des Gespenstes zu entgehen, das sie anstarren würde.
Wieder ertönte der markerschütternde Jammerschrei – nicht vom Fenster her, sondern draußen vom Korridor. Die Todesfee der O’Neills war nie ins Schloß gekommen; sie hing von der Dachrinne wie eine riesige, graue Fledermaus und ließ ihr langes Haar im Wind flattern. Nun erinnerte sich Megan, daß ein Kind im Haus war und daß dieses Kind von nun an unter ihrer Obhut stand. Wenn das schauerliche Gebrüll sie zu Tode erschreckte, wie würde erst ein dreijähriges Kind darauf reagieren? Barfuß, ohne sich etwas umzuhängen, rannte sie zur Tür und stieß sie auf.
Das Jammergeheul brach von neuem los, so laut und furchtbar wie nie zuvor. Doch ein Lichtstrahl aus der offenen Tür des Nebenzimmers gab ihr etwas Mut. Jetzt hörte sie auch Stimmen – menschliche Stimmen, die weniger erschrocken als ungeduldig und ärgerlich klangen. Eine Stimme schwoll zum Triumphgeschrei. Aus der Dunkelheit des langen Korridors näherte sich die Gestalt eines kleinen Kindes, das etwas an seine Brust drückte. Ein engelsgleiches Wesen mit zerzausten blonden Locken, im langen, weißen Nachthemd tappte auf sie zu. Als es Megans Silhouette sah, rief es: »Ich hab’ sie, Tante. Hier ist sie!«
Schritte aus der anderen Richtung kündigten das Kommen von Miß Mandeville an, die eine Lampe in der Hand hielt. In ihrem wirren Haar und dem langen braunen Nachtkleid sah sie aus wie ein verschlafener Gnom. Das kleine Mädchen blieb bei Megan stehen. »Sie sind ja gar nicht meine Tante Jane«, sagte sie.
»Das ist Miß O’Neill«, sagte Miß Mandeville. »Sie ist eine neue Freundin, die dir beim Lernen helfen wird.«
»Guten Tag, Miß O’Neill.« Das Kind machte einen artigen, kleinen Knicks und drückte dabei das zappelnde, knurrende Ding, das sie im Arm hielt, fester an sich.
Megan begann zu vermuten, die Kreatur in Carolines Armen könne etwas mit dem überirdischen Gebrüll zu tun haben, obwohl es unmöglich schien, wie ein so winziges Geschöpf solch grauenhaft furchteinflößende Töne von sich geben konnte. Ihre Zweifel wurden sofort beseitigt. Das Wesen öffnete sein Mäulchen, zeigte scharfe, weiße Zähne und wiederholte die gräßliche Vorführung.
Aus unmittelbarer Nähe war der Effekt so unerträglich, daß Megan unwillkürlich einen Schritt zurückwich. Miß Mandeville nahm das Tier aus den Armen des Kindes.
»Böse Katze!« rief sie. »Wo warst du? Ich habe dir doch verboten, rauszugehen. Nun hast du wieder das ganze Haus aufgeweckt. Du kleine Bestie! Mein süßes Kätzchen!«
»Kätzchen?« wiederholte Megan ungläubig.
Das Tier drängte sich zärtlich an Miß Mandeville, reckte den Hals und schmiegte sich schnurrend an ihr Kinn. Der Körper war der einer Katze, doch sie war völlig anders gezeichnet als die getigerten oder buntgescheckten Katzen, die Megan kannte. Ihr Fell war einfarbig lichtbraun, nur die äußeren Gliedmaßen – Schwanz, Ohren und Pfoten – waren wie aus schwarzbraunem Samt. Das Gesicht trug eine Maske der gleichen Färbung, die sich über das Schnäuzchen zog und die Augen umrahmte, die leuchtend saphirblau strahlten.
»Ich habe noch nie so eine Katze gesehen«, rief sie. Das Tier schien seinen Schmerz einen Moment lang zu vergessen und starrte Megan anmaßend gelangweilt ins Gesicht. Ihr Köpfchen mit den langen Barthaaren war rund wie ein Apfel.
»Das kann ich mir denken«, sagte Miß Mandeville. »Es gibt nur zwei oder drei Exemplare dieser Rasse in ganz England. Sie ist eine Siamkatze. Ein Jugendfreund von mir, der Kapitän bei der Ostindischen Handelsgesellschaft ist, brachte sie mir eines Tages. Er kennt meine Schwäche für exotische Haustiere.«
»Wir hatten mal ein Äffchen«, pflichtete das Kind bei. »Aber es ist gestorben«, fügte es mit herabgezogenen Mundwinkeln hinzu.
»Vielleicht bringt dir der Kapitän wieder eins mit«, sagte Megan, hoffte jedoch inständig, er würde davon absehen.
»Mögen Sie Affen, Miß O’Neill?«
»Ihr könnt morgen über eure Vorlieben und Interessen plaudern«, sagte Miß Mandeville lächelnd. »Es tut mir leid, Miß O’Neill, daß Sie geweckt worden sind. Aber die Missetäterin ist nun unter Arrest; Sie können beruhigt wieder schlafen gehen.«
»Aber was quält das arme Tier?« fragte Megan. »Es hat wohl große Schmerzen.«
»Ach nein«, sagte das Kind leichthin. »Sie will nur Babys. Deshalb schreit sie so. Aber Tante Jane läßt sie nicht.«
Megans Gesichtsausdruck ließ Miß Mandeville in schallendes Gelächter ausbrechen. »Ich hoffe, Sie sind nicht zu schockiert, Miß O’Neill. Wir leben hier auf dem Lande und gehen mit naturgegebenen Vorgängen natürlich um.«
»Aber nein«, stotterte Megan.
»Alle Katzen schreien, wenn sie in Hitze kommen«, fuhr Miß Mandeville liebenswürdig fort. »Obwohl ich zugeben muß, daß dieses exotische Wesen seinem Trieb wesentlich durchdringender Ausdruck verleiht als unsere heimischen Katzen.«
»Es klang wie das Heulen einer verlorenen Seele«, sagte Megan schaudernd.
»Oder gar wie das Familiengespenst, das ein Unheil ankündigt. Ich möchte nur nicht, daß sie im Augenblick trächtig wird. Letztes Jahr hatte sie einen Wurf mit fünf Jungen, doch zu meiner großen Enttäuschung hatte keines ihre Zeichnung, alle waren wie üblich schwarz oder weiß und gestreift. Ich bin neugierig, was dabei herauskommt, wenn sie sich mit einem Kater ihrer Rasse paart. Aber bisher ist es mir noch nicht gelungen, einen aufzutreiben.«
Sie sprach mit glänzenden Augen, hellwacher Stimme, als sei es Morgen und nicht mitten in der Nacht. Und Megan, die sich nicht sonderlich für die Zeichnung irgendwelcher Katzen interessierte, dachte schon, sie würde nie mehr aufhören zu reden. Da gähnte das Kind, und Miß Mandeville beendete ihren Vortrag und schickte beide zu Bett.
Alles, was in den folgenden Wochen geschah, bestärkte Megan darin, welch gütiges Schicksal sie nach Grayhaven gebracht hatte. Jeden Abend kniete sie neben ihrem Bett und dankte Gott dafür und flehte, daß dieses Glück nicht plötzlich aufhören möge. Seit dem Tod ihres Vaters war sie nicht mehr so glücklich gewesen; doch auch zu seinen Lebzeiten war ihre tiefe Liebe zu ihm überschattet von ihren Sorgen über seinen Lebenswandel. Hier fühlte sie sich geborgen und in Sicherheit.
Die kleine Caroline war so liebenswert, wie ihre Tante sie geschildert hatte; ein geliebtes Kind, das Liebe geben konnte, begegnete sie jedem Menschen mit bezaubernder Offenheit. Natürlich war sie, wie jedes Kind, zuweilen unfolgsam und neigte zu Temperamentsausbrüchen. Kein Kleidchen war länger als eine Stunde sauber; wenn sie sich nicht vom Unterricht wegstahl, um in den Ställen oder Scheunen zu spielen, war sie in der Küche und bettelte die Köchin, die ohnehin in sie vernarrt war, um ein Marmeladenbrot an; oder sie malte ihre Schürze mit Wasserfarben an, weil sie fand, so sähe sie hübscher aus. Doch wenn die reuige Sünderin ihre schmuddeligen Ärmchen um Megans Knie schlang und krähte, »ich hab’ Sie so lieb, Miß Megan«, fiel es dem weichherzigen Mädchen nicht schwer, ihr zu verzeihen.
Mit Lizzie verstand sie sich bestens. Die Haushälterin hatte das arme, vom Regen triefende Geschöpf, das ihr in die Arme gefallen war, ins Herz geschlossen; Megan hatte das Gefühl, Lizzie brachte ihr eine ähnliche Zuneigung entgegen wie den streunenden Katzen oder aus dem Nest gefallenen Vögeln, die Lina ihr ständig anschleppte, und die sie liebevoll hochpäppelte.
Als sie am Tag nach ihre Ankunft Miß Mandeville fragte, wo sie untergebracht werden sollte, hob diese erstaunt die Augenbrauen. »Gefällt Ihnen das Zimmer nicht? Es liegt neben Linas, das schien mir am günstigsten. Aber wenn Sie es nicht mögen …«
In anderen Familien, für die Megan gearbeitet hatte, wurden die Kinder mitsamt dem Personal, das sich um sie kümmerte, in den entlegensten Teil des Hauses verbannt. Doch Miß Mandeville hielt nichts davon, die Kinder von der übrigen Familie zu isolieren. Außerdem, gestand sie frei heraus, liebte sie etwas Unterhaltung; das Haus war groß und weitläufig, und ohne Lina würde sie ganz alleine den Westflügel bewohnen.
Miß Mandeville war der Mittelpunkt und Vorstand dieses ungewöhnlichen Haushalts. Megans Vermutung über Janes Alter traf beinahe zu. Sie war erst zwanzig. Ihr klares Urteil, ihre Bestimmtheit und ihr Wissen über so viele Dinge ließen sie älter erscheinen. Sie war an allem lebhaft interessiert und löste jede Aufgabe, die sie sich vornahm, doch sie hatte nicht einen Deut weiblicher Eitelkeit. Zugegeben, sie war nicht schön, nicht einmal ›gutaussehend‹ – eine beschönigende Floskel, die auf jedes junge Mädchen der besseren Gesellschaft paßte –, doch sie hatte Qualitäten, die sie anziehender machten als manche Dame mit edlen Gesichtszügen und zierlicher Figur. Nie überschattete träge Langeweile ihre Augen oder zog ihr Gesicht in verdrießliche Falten. Das Leben war für sie ein nicht enden wollendes Vergnügen, und ihre Lebensfreude übertrug sich auf ihre Umgebung.