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Der dunkle Zauber alter Häuser und ihrer aufwühlenden Geschichte: Der Sammelband »Das Haus der Dämmerung« von Barbara Michaels als eBook bei dotbooks. Drei Frauen – drei bewegende Schicksale … Ein Schloss an der stürmischen Küste Cornwalls: Als Carla es zum ersten Mal betritt, kann sie kaum glauben, dass sie die Erbin von Tregella Castle sein soll. Aber schon bald muss sie feststellen, dass sie auch dessen Geheimnisse geerbt hat, die genauso faszinierend wie gefährlich sind … Eine rosenumrankte Villa mitten im Wald: Hier hofft Ellen auf einen Neuanfang – doch das tragische Schicksal einer jungen Frau, die vor vielen Generationen hier gelebt hat, nimmt sie schon bald ganz und gar gefangen … Ein funkelndes Juwelengeschäft: Die junge Meg will ihrem Familienerbe zu neuem Glanz verhelfen – aber der ebenso anziehende wie geheimnisvolle Geschäftsführer Riley scheint eine dunkle Wahrheit zu verbergen … »Einen Roman von Barbara Michaels kann ich nicht aus der Hand legen.« Bestsellerautorin Marion Zimmer Bradley »Barbara Michaels ist eine unübertreffliche Erzählerin.« Bestsellerautorin Mary Higgins Clark Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der fesselnde Sammelband »Das Haus der Dämmerung« von Barbara Michaels mit den Familiengeheimnis-Romanen »Das Geheimnis von Tregella Castle«, »Die Villa der Schatten«, und »Das Geheimnis der Juwelenvilla«. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 1353
Über dieses Buch:
Drei Frauen – drei bewegende Schicksale … Ein Schloss an der stürmischen Küste Cornwalls: Als Carla es zum ersten Mal betritt, kann sie kaum glauben, dass sie die Erbin von Tregella Castle sein soll. Aber schon bald muss sie feststellen, dass sie auch dessen Geheimnisse geerbt hat, die genauso faszinierend wie gefährlich sind … Eine rosenumrankte Villa mitten im Wald: Hier hofft Ellen auf einen Neuanfang – doch das tragische Schicksal einer jungen Frau, die vor vielen Generationen hier gelebt hat, nimmt sie schon bald ganz und gar gefangen … Ein funkelndes Juwelengeschäft: Die junge Meg will ihrem Familienerbe zu neuem Glanz verhelfen – aber der ebenso anziehende wie geheimnisvolle Geschäftsführer Riley scheint eine dunkle Wahrheit zu verbergen …
»Einen Roman von Barbara Michaels kann ich nicht aus der Hand legen.« Bestsellerautorin Marion Zimmer Bradley
»Barbara Michaels ist eine unübertreffliche Erzählerin.« Bestsellerautorin Mary Higgins Clark
Über die Autorin:
Hinter der US-amerikanischen Bestsellerautorin Barbara Michaels steht Barbara Louise Gross Mertz (1927–2013), die auch unter dem Pseudonym Elizabeth Peters erfolgreich Kriminalromane schrieb. Die Autorin promovierte an der University of Chicago in Ägyptologie. So haben auch ihre Romane, für die sie zahlreiche Preise gewann, meist einen historischen Hintergrund.
Barbara Michaels veröffentlichte bei dotbooks auch ihre Familiengeheimnisromane:
»Der Mond über Georgetown«
»Das Geheimnis von Marshall Manor«
»Die Frauen von Maidenwood«
»Das dunkle Herz der Villa«
»Das Haus des Schweigens«
»Die Töchter von King’s Island«
Außerdem erschienen bei dotboooks ihre historischen Liebesromane:
»Abbey Manor – Gefangene der Liebe«
»Wilde Manor – Im Sturm der Zeit«
»Villa Tarconti – Lied der Leidenschaft«
»Grayhaven Manor – Das Leuchten der Sehnsucht«
Unter Elizabeth Peters erschienen bei dotbooks ihre Romane:
»Der siebte Sünder – Der erste Fall für Jacqueline Kirby«
»Der letzte Maskenball – Der zweite Fall für Jacqueline Kirby«
»Ein preisgekrönter Mord – Der dritte Fall für Jacqueline Kirby«
»Ein todsicherer Bestseller – Der vierte Fall für Jacqueline Kirby«
»Vicky Bliss und der geheimnisvolle Schrein«
»Vicky Bliss und die Straße der fünf Monde«
»Vicky Bliss und der blutrote Schatten«
»Vicky Bliss und der versunkene Schatz«
»Vicky Bliss und die Hand des Pharaos«
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Sammelband-Originalausgabe April 2021
Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2021 dotbooks GmbH, München
Einen Hinweis auf die Copyrights der enthaltenen Romane finden Sie am Ende dieses eBooks.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock / Rory Bowcott / Willy Barton / Igor Meshkov / vilax
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)
ISBN 978-3-95952-575-6
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Barbara Michaels
Das Haus der Dämmerung
Drei Romane in einem eBook
dotbooks.
Aus dem Amerikanischen von Hilde Linnert
Das wilde Lied der aufgewühlten See, ein altes Schloss über den Klippen – und ein düsteres Geheimnis … Ausgerechnet sie soll die Erbin von Tregella Castle an der Küste Cornwalls sein? Die junge Carla kann ihr Glück kaum fassen und reist voll freudiger Erwartungen dorthin. Doch je mehr sie in die Vergangenheit des Schlosses und ihrer Familie eintaucht, desto mehr hat Carla das Gefühl, dass jemand sie genau daran hindern will. Sieht sie etwa schon Gespenster – oder hat es etwas damit zu tun, dass sie ihrer Vorfahrin, der rätselhaften Lady Caroline, wie aus dem Gesicht geschnitten scheint? Um ihren Tod ranken sich dunkle Gerüchte … und einzig der ebenso anziehende wie undurchsichtige Michael, der in der Nähe des Schlosses aufgewachsen ist, scheint mehr darüber zu wissen. Aber kann Carla ihm trauen?
Wenn die Sonne im Sommer vom leuchtendblauen Himmel herabstrahlt, lächelt das Meer, das diese felsige Landzunge umspült, unschuldig. Goldener Ginster und violettes Heidekraut wachsen in den Spalten und Ritzen der ausgewaschenen Granitklippen. Die Wellen plätschern munter am silbernen Sandstrand der kleinen Bucht und spielen funkelnd und flirrend zwischen den Felsen. Wenn die Sonne langsam im Westen versinkt, gleicht das Himmelsgewölbe der Palette eines Malers, die mit den herrlichsten Schattierungen von leuchtendem Rot und tiefem Blau bekleckst ist. Ein einsamer Stern ist wie ein Diamant an den Busen der Nacht geheftet. Man glaubt beinahe, daß man in der Stille des vergehenden Tages das ferne Läuten der versunkenen Kirche von Lyonesse vernimmt.
Tagebuch der Caroline Tregellas,
geboren 1762, gestorben (?) 1780
Als Carla Tregellas – geboren 1952 und quicklebendig – sich zum ersten Mal dem Heim ihrer Vorfahren näherte, dachte sie zugleich auch an die Schönheiten der Natur und an Cornwalls berühmte Klippen. Sie war jedoch keineswegs von Bewunderung überwältigt. Im Gegenteil – sie fluchte leise, aber lästerlich, und stellte mißmutig Überlegungen über die Nachteile des Motorisiertseins an.
Ihr Leihwagen, ein Austin, der sich zentimeterweise durch die Straßen von Exter schob, war nur eines von unzähligen Fahrzeugen, die Wolken von Abgasen ausstießen. Die Luft war mit den Kommentaren der ungeduldigen Autofahrer und mit giftigem Dunst gesättigt. Carla hatte nur zwei Möglichkeiten: entweder sie ließ die Fenster offen und atmete die Giftstoffe in vollen Zügen ein, oder sie schloß sie und starb an Hitzschlag.
In ihrer Naivität hatte sie angenommen, daß sich England im allgemeinen und Cornwall im besonderen vom Rest der sogenannten zivilisierten Welt unterscheiden. Es war Anfang Juni, und die Küste Cornwalls war einer der Spielplätze Englands; sie hätte sich denken können, daß der Verkehr hier genauso dicht sein würde wie zwischen Boston und dem Cape oder zwischen Baltimore und den Badeorten. So wie diese Urlaubszentren ihrer Heimat, der Vereinigten Staaten, war Cornwall ein beinahe zur Gänze vom Ozean eingeschlossener Landzipfel, der nur über einige wenige Zufahrtsstraßen erreicht werden konnte. Natürlich drängten sich dort die Touristen.
Das Reisehandbuch und der Mann von der Leihwagenfirma hatten sie darauf aufmerksam gemacht, daß sie Exeter umfahren solle, und sie war fest entschlossen gewesen, diesen Rat zu befolgen. Aber es war schwierig, Wegweiser zu lesen, wenn man sich darauf konzentrieren mußte, auf der linken Straßenseite zu bleiben. Und wie war sie auf die Idee gekommen, daß England ein kühles feuchtes Land sei? Sogar in Cornwall, das von überschwenglichen Reiseführern als die englische Riviera bezeichnet wird, war es für die Jahreszeit viel zu heiß.
Doch nachdem sie den Tamar überquert hatte, besserte sich ihre Stimmung, und sie mußte widerwillig zugeben, daß Cornwall sogar noch im zwanzigsten Jahrhundert einen eigentümlichen Zauber besaß. Die Straße verlief hoch oben auf der felsigen, zerklüfteten Küste, und Carla erhaschte von Zeit zu Zeit einen atemberaubenden Blick auf den Ozean und die kleinen Dörfer, die malerisch an den steilen Hängen klebten. Kein Wunder, daß die Städte, die um diese von Felsen eingeschlossenen Häfen entstanden waren, während Englands Seeherrschaft blühten und gediehen. Falmouth, Plymouth, Penzance, St. Ives – die vertrauten Namen gaben ihr das Gefühl, nach Hause zu kommen. Heimwehkranke Emigranten hatten einige dieser Namen auf eine ähnliche, Tausende Kilometer weiter westlich liegende Gegend übertragen; andere waren durch die lange literarische Tradition Englands bekannt geworden ... Doch für Carla bedeutete es mehr. Während sie Kilometer um Kilometer hinter sich brachte, erwachten ihre Lebensgeister, und sie dachte an das erst wenige Wochen zurückliegende Gespräch mit dem Anwalt in Boston. Ja, sie kam im ursprünglichen Sinn des Wortes nach Hause.
»Wurzeln?« Carla warf lachen den Kopf zurück. »Nein, Mr. Fawcett, ich habe nie das unwiderstehliche Bedürfnis empfunden, nach meiner Herkunft zu forschen.«
Der Anwalt sah sie erstaunt, aber anerkennend an. Ihr Lachen war bezaubernd, und der veränderte Gesichtsausdruck wirkte Wunder. Als sie sein Büro betrat, hatte sie sehr ernst ausgesehen, und er fand, daß zu einer kleinen, zierlichen, sechsundzwanzig Jahre alten Frau kein so würdevolles Auftreten paßte. Doch wenn sie lächelte, leuchtet ihr Gesicht auf, ihre Augen funkelten, und ihr ungewöhnlich zarter Knochenbau trat deutlich hervor.
Obwohl Mr. Fawcett Carla an diesem Tag zum ersten Mal zu Gesicht bekam, kannte er ihr Alter und wußte über ihre Lebensumstände Bescheid. Ihr Aussehen hatte ihn aus mehreren Gründen verblüfft. Er wußte, daß ihre Familie aus Cornwall stammte, und war auf deutlich keltische Züge gefaßt gewesen. Mr. Fawcett war Amateur-Anthropologe – und sogar beinahe ein Dichter, obwohl er das entschieden bestritten hätte; jetzt stellte er sehr unfachmännisch erschauernd fest, daß er es mit einer typischen Vertreterin einer sehr viel älteren Rasse zu tun hatte, einer Rasse, die so alt war, daß ihre Geschichte zu Sagen und Folklore geworden war. Die kleinen, dunklen Menschen, die England in prähistorischen Zeiten bewohnten, waren von den keltischen Kriegern in die abgelegenen Winkel der Insel zurückgedrängt worden, genau wie die Kelten später anderen Eroberern weichen mußten. Die bedrängten Reste von einem Dutzend Rassen waren nach Cornwall, Schottland und Wales und über das stürmische, graue Meer nach Irland geflohen und hatten erst haltgemacht, als sie mit dem Rücken an der Mauer aus Wasser standen. Sie konnten nicht mehr weiter. Die Invasion kam aus dem Osten, vom Kontinent; jenseits von Englands westlichen Ufern gab es nur noch das endlose Meer und die Inseln der Seligen.
Einiger Gelehrte behaupten, daß die Einwohner Cornwalls starke mediterrane Züge aufweisen, und für diese Theorie gibt es archäologische Beweise. Schon zu Odysseus’ Zeiten war das in den kalten Nebeln des Nordmeers verborgene Britannien das Ziel unternehmungslustiger Seefahrer gewesen. In die Monolithen von Stonehege sind kretische Äxte eingemeißelt, und phönizische Händler, die ihre Seekarten mit den Routen durch das Nordmeer eifersüchtig hüteten, hatten mit dem Zinnhandel Vermögen gemacht.
Als Mr. Fawcett Carla Tregellas betrachtete, kamen ihm diese Theorien noch viel glaubwürdiger vor. Wäre er nicht über sie im Bild gewesen, hätte er sie wegen ihrer dichten, schwarzen Haare und ihres dunklen Teints für eine Griechin oder Süditalienerin gehalten. Doch etwas in ihrem Gesicht paßte nicht zu diesen praktisch denkenden, mit beiden Beinen auf der Erde stehenden Menschen: die Andeutung einer anderen Wesensart in den weit auseinanderliegenden grauen Augen und scharfgeschnittenen Zügen. Ihre Ohren, die die kurzen, wuscheligen Haare freiließen, waren klein und zart; wenn Mr. Fawcetts poetische Ader nicht so tief vergraben gewesen wäre, hätte er beinahe das Wort ›spitz‹ verwendet. Die kleinen, dunklen Menschen, die von den Eindringlingen wie Tiere gejagt wurden, waren untergetaucht; einigen Gelehrten zufolge waren sie als Kobolde und Elfen in die englische Sagenwelt eingegangen ...
Mr. Fawcett riß sich zusammen; er war über seine Gedankengänge überrascht und entsetzt. Das Mädchen hatte etwas an sich, das die Phantasie anregte; wenn sich diese Eigenschaften auf einen älteren, auf seinen gesunden Menschenverstand stolzen Anwalt so auswirkte, mußte sie sehr ausgeprägt sein.
Außerdem paßte ihr Benehmen nicht zu seinen wilden Phantastereien. Als sie jetzt fortfuhr, sprach sie knapp, sachlich und realistisch.
»Natürlich weiß ich, daß meine Familie aus Cornwall stammt – wo sollte sonst der Name Tregellas herkommen? ›An Ire, Ros, Pol, Pen, Caer und Lan erkennst du gleich den Cornwall-Mann.‹ Ich habe ein paar Romane gelesen, die in dem Land spielten, im Fernsehen einige Sendungen darüber gesehen – aber ich habe nie genealogische Forschungen betrieben. Wozu auch? Ich war davon überzeugt, daß meine Familie arm und unbekannt war. Ich weiß, daß im neunzehnten Jahrhundert, als die Zinnminen erschöpft waren, viele Bewohner dieses Landstrichs, die keine Arbeit mehr fanden, nach Amerika auswanderten.«
Sie verstummte, wartete auf eine Bemerkung von Mr. Fawcett, und dieser zuckte schuldbewußt zusammen. Er hatte schon wieder mit offenen Augen geträumt. Aber ihre Augen waren tatsächlich einmalig. Das Grau der Iris war so dunkel, daß sie bei einem bestimmten Lichteinfall schwarz wirkten; doch gelegentlich – zum Beispiel wenn sie lächelte – schimmerten sie silbern und spiegelten ihre Gefühle wider.
Schluß damit, ermahnte sich Mr. Fawcett streng. Das geht doch nicht. Was ist denn mit dir los?
»Ihre Haltung ist durchaus verständlich›, erklärte er steif. »Bis zu dem Erfolg des Buches, auf das sie sich bezogen, waren genealogische Nachforschungen ein Hobby für Leute mittleren Alters. Die Jugend kümmert sich normalerweise nicht um die Vergangenheit. Und Ihre Annahme, daß die Familie – zumindest Ihr Zweig – arm und unbedeutend war, stimmt.«
»Ich habe nicht gesagt, daß sie unbedeutend war«, widersprach Carla. »Ich habe das Wort ›unbekannt‹ verwendet.«
»Was? Ach so – ja, ich verstehe, was Sie meinen. Interessieren Sie sich überhaupt für die Geschichte Ihrer Familie?«
»Nicht sehr.«
»Sie nehmen wohl nie ein Blatt vor den Mund?«
»Diese Frage habe ich schon des öfteren gehört.« Carla lächelte ihn an und seine Verstimmung verflog. »Entschuldigen Sie«, fuhr sie fort. »Erzählen Sie mir, was ich Ihrer Ansicht nach wissen muß. Um dieser Situation zu entkommen, muß ich vermutlich verschiedenes unternehmen, und da ist es besser, wenn ich über die Tatsachen Bescheid weiß.«
»Vollkommen richtig. Zunächst müssen Sie wissen, daß Ihr Ururgroßvater, William Tregellas, der sprichwörtliche jüngere Sohn war. Es gibt eine Geschichte über einen Streit mit seinem Vater, in dessen Folge er enterbt wurde. Allerdings gab es damals kaum etwas, das er hätte erben können. Es ist eine sehr alte Familie, aber sie verarmte nach dem Bürgerkrieg – ich meine nach dem englischen Bürgerkrieg zwischen ...«
»Ich weiß über den Bürgerkrieg Bescheid«, unterbrach ihn Carla lächelnd. »Cromwell und König Karl I. Ich nehme an, daß seine Familie die Partei des Königs ergriff. Idiotisch.«
»Allerdings.« Unerklärlicherweise ärgerte sich Mr. Fawcett über diese zynische Bemerkung. Zynismus paßte nicht zu den großen, grauen Augen. »Erst im neunzehnten Jahrhundert, nachdem William nach Amerika ausgewandert war, baute ein Vetter von ihm das Familienvermögen wieder auf. Eine Zeitlang war sehr viel Geld vorhanden. Doch das moderne Steuersystem bewirkte, was Krieg und Katastrophen nicht fertiggebracht hatten. Das Geld ist weg. Das einzige, was noch da ist, sind das Haus und ein paar Morgen Land.«
»Meine Ahnung hat also gestimmt«, stelle Carla ruhig fest. »Es war ein Reinfall.«
»Reinfall? Meine liebe Miß Tregellas ...«
»Ich habe damit nicht gemeint, daß Sie ...«
Carlas Bestürzung klang echt, doch Mr. Fawcett hatte trotzdem den Eindruck, daß ihn aus den grauen Augen ein Kobold anlachte. »Sie müssen mir verzeihen«, fuhr sie zerknirscht fort, »ich gehöre zu den Menschen, die zuerst reden und dann denken. Ich bin nicht stolz darauf und versuche es mir abzugewöhnen, aber es handelt sich offenbar um einen tief sitzenden Charakterzug. Sowie ich Ihr Büro betrat, wußte ich, daß alles in Ordnung ist, aber die Situation ist schlicht unmöglich, finden Sie nicht? Unauffindbare Erben, eine alte Familie, ein Schloß auf einer Landzunge mit Blick auf das Meer ...« Ihr Lächeln wirkte ansteckend, und Mr. Fawcett erwiderte es unwillkürlich. »Ich bin ein sehr praktisch denkender Mensch, Mr. Fawcett«, schloß sie. »Das ist in diesem Fall wohl ganz gut, denn das Erbe ist ja nicht gerade großartig.«
»Das stimmt allerdings. Ich bin froh, daß Sie nicht auf die Idee gekommen sind, Hals über Kopf nach England abzureisen und die Rolle der Hausherrin zu übernehmen.«
»Um Himmels willen, nein. Mir gefällt es hier. Ich habe eine gute Stellung: am Abend halte ich Kurse für Studenten, und in einigen Jahren werde ich mich um den Posten einer Vorsteherin oder Schulleiterin an einer renommierten Schule bewerben. Die Rolle der Hausherrin ist nichts für mich.«
»Das ist um so besser, weil sich Ihnen diese Rolle gar nicht bietet.« Mr. Fawcett begriff nicht, wieso er diese kurz angebundene, unsentimentale junge Frau für ein romantisches Wesen gehalten hatte. »Es ist kein Kapital vorhanden, mit dem man das Haus instand halten könnte. Ich darf also meinem Kollegen in Truro mitteilen, daß er es zum Verkauf anbieten kann?«
»Ja, bitte.« Carla überlegte einen Augenblick, dann platzte sie heraus. »Etwas verstehe ich noch immer nicht. Wenn kein Geld vorhanden ist, warum hat dann der Anwalt meines Vetters einen bestimmten ansehnlichen Betrag ausgegeben, um mich aufzuspüren? Warum hat er nicht einfach den Besitz an die Krone zurückfallen lassen oder wie immer das heißt?«
»Weil die Anweisungen im Testament ihres Vetters so lauteten«, erläuterte Mr. Fawcett geduldig. »Mr. Walter Tregellas war der direkte Nachkomme des älteren Bruders Ihres Ururgroßvaters, das heißt, er ist ihr ...«
»Vetter genügt«, unterbrach ihn Carla. »Hat es denn keine näheren Erben gegeben?«
»Seltsamerweise nicht. Das Testament war sehr klar: Der Anwalt sollte den nächsten lebenden Blutsverwandten aufspüren, der noch den Familiennamen trägt. Trotz dieser Bedingung würde man erwarten, daß es nähere Erben gibt, aber anscheinend ist die Familie in England vollkommen ausgestorben. Walter starb ohne Nachkommen, und er war der einzige Sohn seines Vaters. Die Kinder seines Onkels ...«
Carla unterbrach ihn schon wieder. »Moment mal. Soll das heißen, daß ich nicht geerbt hätte, wenn ich verheiratet wäre?«
»Vermutlich nicht«, gab Mr. Fawcett zu. »Wenn ich es mir genau überlege, war es ein sehr unpraktisches Testament. Und es bringt Ihnen mehr Ärger als Gewinn. Die Aussicht, daß Sie den Besitz vorteilhaft verkaufen können, ist nicht groß. Soviel ich weiß, ist er verwahrlost und liegt einsam, und das Gebäude ist zu groß, um für die üblichen Käufer interessant zu sein. Sie haben aber keine andere Wahl ...«
»Ja, das sehe ich ein. Das Haus muß verkauft werden – falls es verkauft werden kann. Je früher, desto besser.«
»Sehr gut. Ich brauche jetzt Ihre Unterschrift auf diesen Dokumenten.« Er schlug die auf dem Schreibtisch liegende Aktenmappe auf und begann, in den Papieren zu blättern. Dann zog er ein Blatt heraus und reichte es Carla. »Vielleicht interessiert es sie, wie das Haus aussieht.«
Das Dokument war ein Foto. Carla ergriff es amüsiert, denn sie hatte bemerkt, wie der alte Anwalt auf ihre pragmatischen Bemerkungen reagierte. Er sah wie der typische Bostoner aus – hochgewachsen, hager, dunkler Anzug mit Weste, randloser Kneifer –, aber in ihm steckte bestimmt wohlverborgen eine romantische Ader. Daß sie die Situation unsentimental und realistisch akzeptierte, hatte ihn ein wenig verärgert. Der arme, alte Kerl, dachte sie nachsichtig; alle alten Menschen sind sentimental. Nur junge Leute sind Realisten. Dann sah sie das Foto an und ihre selbstgefälligen Gemeinplätze waren vergessen. Einen Monat später war sie nach England unterwegs.
Die Sonne ging bereits zwischen Gewitterwolken unter, als sie endlich das Original des Fotos begutachten konnte. Während der dazwischenliegenden Wochen hatte sie ihren Entschluß nicht nur ein, sondern ein Dutzend Mal in Frage gestellt, aber ihr Gefühl hatte sie dazu getrieben, weiterzumachen. Das war auch keineswegs unlogisch; schon vor dem Gespräch mit dem Anwalt hatte sie vorgehabt, im Sommer Urlaub zu machen und eine Reise zu unternehmen. Nach dem Collegeabschluß hatte sie vier Jahre lang intensiv gearbeitet, und weil sie ein Jahresgehalt bezog, besaß sie genügend Geld für eine billige Tour. Sie erwähnte es Mr. Fawcett gegenüber, und er wies darauf hin, daß sie das Haus keineswegs sofort zum Verkauf anbieten müsse. Sie konnte es in Ruhe in Augenschein nehmen, bevor es für immer in fremde Hände überging. Während ihres Aufenthalts in England würden sie Kost und Quartier nichts kosten, denn Walter Tregellas hatte in seinem Testament verfügt, daß die Dienerschaft behalten und ihre Löhne weiterbezahlt werden mußten, bis das Haus verkauft oder das Geld verbraucht war.
Ja, ihr Entschluß war vernünftig gewesen, und Mr. Fawcett hatte ihr zugestimmt. Der alte Romantiker, dachte Carla liebevoll und nachsichtig; er weiß, daß ich das Haus nicht behalten kann, aber er möchte, daß ich deshalb mit den Tränen kämpfe. Sie hatte nicht vor, mit den Tränen zu kämpfen oder zu bedauern, daß die Trennung unvermeidlich war; doch als sie jetzt die hohen Türme und die von Efeu überwachsenen Mauern betrachtete, empfand sie den gleichen stechenden Schmerz wie beim Anblick des Fotos, nur viel heftiger.
Sie hielt mit dem Wagen außerhalb der Steinmauer, die den Besitz von der baumbestandenen Landstraße trennte. Das Haus war von Bäumen umgeben; auf den hohen, den Winterstürmen vom Atlantik ausgesetzten Klippen im Westen war dieser Schutz unerläßlich. Doch die Vorderseite des Hauses war frei; Carla konnte sie über die einst sichtlich gepflegte Auffahrt hinweg deutlich sehen.
Das Hauptgebäude war zum größten Teil aus grauen Steinen erbaut; vielleicht war es der gleiche Granit, aus dem die Klippen bestanden. Die Vorderfront lag nach Osten, so daß das Haus der Wetterseite im Westen den Rücken zuwandte, aber das solide Gebäude vermittelte nicht den Eindruck, daß es sich vor den Stürmen duckte. Es leistete ihnen mürrischen Widerstand und hatte das berüchtigte kornische Wetter Jahrhunderte lang überdauert. Die untergehende Sonne färbte die Mauern golden, und die Fenster und Türen hoben sich dunkel ab. Obwohl das Foto schwarzweiß war, hatte es einen guten Eindruck vom Original vermittelt. Was Carla überraschte, war die Größe des Gebäudes. Ursprünglich war es ein Herrenhaus im Tudorstil gewesen, aber im Lauf der Jahre hatte es zwischen die Bäume, die es auf drei Seiten umgaben, Flügel ausgestreckt. Es stand auf einem Hang, so daß Carla von der Stelle aus, an der sie angehalten hatte, den Eindruck gewann, hinter dem Haus sei nur unendlicher, leerer Himmel. Die dumpfe Schwüle des Tages hatte Regen angekündigt, und das Gewitter zog jetzt auf. Die in den kräftigen Farben des Sonnenuntergangs leuchtenden Wolken bildeten einen wildromantischen, prachtvollen Hintergrund für die massiven Mauern.
Jetzt verschlangen die Wolken die Sonne, und es war, als hätte man einen Scheinwerfer abgeschaltet. Die Landschaft wurde grau. Das Haus wirkte nun wie ein Gefängnis, denn die Mauern und das Dach mit den unregelmäßig angeordneten Schornsteinen waren jetzt fast schwarz. In einem der oberen Fenster tauchte ein Licht auf – ein düsteres, graugelbes Licht, das ein- oder zweimal blinkte und dann erlosch.
Ein großer Regentropfen zerplatzte auf der Windschutzscheibe. Carla erschauerte. Der Wind war plötzlich kalt, aber das war nicht der einzige Grund, warum es sie fröstelte. Sie startete und bog in die schmale Einfahrt ein.
Als sie das Gebäude erreichte, regnete es bereits in Strömen. Über dem Eingang gab es kein Vordach, aber die Tür saß tief in den dicken Mauern und bot ein wenig Schutz. Doch sie erreichte die Nische vollkommen durchnäßt, weil sie noch die Koffer aus dem Kofferraum geholt hatte.
Das mit Schnitzereien verzierte mächtige Portal war beeindruckend – es war groß genug, um einen Konzertflügel hindurchzuschieben; außerdem war es mit einem seltsamen Messingklopfer ausgestattet, der so angelaufen war, daß er sich kaum von dem dunklen Holz abhob. Carla musterte ihn interessiert. Er schimmerte im schwindenden Licht fettig, als sei er mit ölhaltigem Wasser ein Berührung gekommen. Der Klopfer sollte offensichtlich einen Meeresbewohner darstellen; Carla erkannte einen langen gespaltenen Schwanz und einen seltsam mißgestalteten Kopf. Ein Windstoß trieb ihr den Regen gegen den Rücken und sie beschloß, sich mit den Antiquitäten des Hauses erst zu befassen, wenn das Wetter günstiger war. Sie griff energisch nach dem Klopfer, hob ihn hoch und ließ ihn fallen.
Das Geräusch erstarb, als hätte das Holz es verschluckt. Sie klopfte immer wieder, vernahm jedoch kein Lebenszeichen; bis auf das Jaulen des Windes und ein fernes Flüstern, das wahrscheinlich von den Wellen kam, die sich an den Felsen unterhalb des Hauses brachen, war es still. Sie wollte gerade wieder in den Wagen steigen und nachsehen, ob die Rückseite des Hauses gastfreundlicher sei, als die Tür aufging.
Der Besitz war vielleicht verwahrlost, die Türangeln aber offensichtlich frisch geölt, denn das schwere Tor verursachte kein Geräusch. Es gab den Blick auf eine beleuchtete Halle mit Teppichen und Holztäfelungen frei, in deren Mitte eine schöne Tudortreppe in den ersten Stock führte. Die kleine alte Dame, die im Türrahmen stand, wirkte infolge seiner Größe winzig. Angesichts ihres rosigen, lächelnden Gesichts, ihrer schneeweißen Haare, ihrer zarten Hände und ihres schwarzen Kleides konnte man sie nur als eine ›Dame‹ bezeichnen. Auch der Ausdruck ›alt‹ traf auf sie zu, denn sie war sicherlich Ende der Siebzig.
Der Anwalt hatte Carla erzählt, daß Walters Haushälterin, Mrs. Pendennis, das Haus betreute, aber Carla hätte ihren Beruf ohnehin erraten. Sie schien einem Roman entstiegen zu sein und gehörte zum Glück zu den freundlichen, zuvorkommenden und nicht zu den harten, bösartigen Haushälterinnen.
Es war angenehm, lächelnd begrüßt zu werden und zu wissen, daß man erwartet wurde. Carla wollte das Lächeln gerade erwidern, als Mrs. Pendennis’ Mund aufklappte und sie riesengroße, erschrockene Augen bekam.
»Der Himmel stehe uns bei«, keuchte sie und streckte die zitternden Hände aus, als wolle sie eine schreckliche Erscheinung abwehren. »Es ist Lady Caroline – sie ist von den Toten auferstanden!«
Carlas erste Reaktion war purer Ärger. Sie war naß und die warme, beleuchtete Halle wirkte bezaubernd – sie war davon überzeugt, daß es einen genauso bezaubernden Salon gab, in dem ein silbernes Teeservice auf einem polierten Mahagonitisch stand. Sie ergriff ihre Koffer, schlüpfte an der alten Dame vorbei, die einige Schritte zurückgetreten war, und schloß die Tür.
»Hören Sie sofort damit auf«, befahl sie in dem scharfen Ton, der sich bei hysterischen Studentinnen immer bewährt hatte. »Ich komme aus den Vereinigten Staaten, und obwohl einige Menschen sie für den Vorraum zur Hölle halten, gehören sie eindeutig zu dieser Welt. Sie haben sicherlich gewußt, daß ich komme, und Sie sind Mrs. Pendennis, nicht wahr?«
Die Haushälterin nickte wie hypnotisiert.
»Und Sie wissen auch, wer ich bin«, fuhr Carla fort, ohne den Namen auszusprechen, der dem ihren so ähnlich war. »Ich bin heute mit dem Wagen von London hierhergefahren und bin müde. Würden Sie mir bitte mein Zimmer zeigen?«
»London«, wiederholte Mr. Pendennis. Ihr Blick wanderte von Carlas tropfnassen Haaren zu ihren in Sandalen steckenden Füßen, und der Anblick beruhigte sie sichtlich. »Ja ... ja, natürlich müssen Sie müde sein. Der Tee ist im Salon serviert. Möchten Sie eine Tasse, bevor Sie hinaufgehen, oder soll ich das Mädchen damit hinaufschicken?«
»Nein, das ist nicht notwendig, danke. Setzen wir uns in den Salon.«
Mrs. Pendennis nickte. Sie faltete die Hände vor dem Bauch, drehte sich um und ging zu einer links von ihr gelegenen Tür.
Der Salon mußte einmal entzückend gewesen sein. Er war noch immer ein schöner Rahmen mit gefälligen Proportionen und den Resten einer eleganten Täfelung aus Eichenholz. Aber der abgetretene Teppich, der nur die Hälfte des Bodens bedeckte, war schäbig, und die modernen Möbel waren billiger Trödel. Hellere Vierecke an den Wänden verrieten, wo einmal Bilder gehangen hatten. In dem Verfall ringsum wirkten die wenigen noch vorhandenen antiken Stücke – ein Rosenholz-Schreibtisch unter den hohen, nach Osten gehenden Fenstern und ein silbernes Teeservice auf einem niedrigen Tisch – fast fehl am Platz. Carla betrachtete das Service und den aus der Kanne mit heißem Wasser aufsteigenden Dampf leicht beunruhigt. Woher hatte Mrs. Pendennis so genau gewußt, um welche Zeit sie eintreffen würde? Es hätte sie nicht gewundert, wenn die Haushälterin beiläufig ihre Kristallkugel erwähnt hätte. Sie war erleichtert, als die alte Dame bemerkte:
»Mary hat von einem Fenster im ersten Stock aus Ihren Wagen gesehen. Ich vermute, daß sie ihre Zeit größtenteils damit verbringt, aus dem Fenster zu sehen, obwohl ich sie nie dabei erwischt habe. Die jungen Frauen heutzutage sind schreckliche Hausangestellte, nicht wahr?«
»Ich habe davon gehört«, bestätigte Carla. »Aber diesmal bin ich froh, daß sie hinausgeschaut hat; ich freue mich auf den heißen Tee. Ich hatte keine Ahnung, daß hier das Wetter so schnell umschlagen kann. Der Wind war plötzlich ausgesprochen kalt, und dabei bin ich auf der Fahrt hierher vor Hitze beinahe umgekommen.«
»Der Wind vom Meer ist immer kühl«, erklärte Mrs. Pendennis. »Aber ich fürchte, daß uns ein Gewitter bevorsteht; hoffentlich wird es nicht zu heftig. Es täte mir leid, wenn Ihr erster Eindruck von Cornwall Ihnen Angst einjagte.«
»Ich habe keine Angst vor Gewittern.« Carla setzte sich auf einen der schäbigen Stühle und zeigte auf einen anderen. Aus Mrs. Pendennis’ Haltung schloß sie, daß eine Frau ihrer Generation stehenbleiben würde, bis die ›Hausherrin‹ Platz genommen hatte. »Bitte leisten Sie mir doch Gesellschaft.«
Mrs. Pendennis strahlte. Ihr Gesicht hätte auf eine Muttertagskarte gepaßt – weich und runzelig, freundlich und rosig. Aber sie vermied es, Carla ins Gesicht zu sehen.
»Danke, meine Liebe. Darf ich Ihnen einschenken? Ihnen kommt sicherlich alles fremdartig vor, und Sie werden viele Fragen über die Familie stellen wollen.«
Ihre zarten, runzligen Hände machten sich geschickt mit den Tassen und Tellern zu schaffen. Carla bekam ein Butterbrot und eine dampfende Tasse Tee und lehnte Zitrone und Milch ab. Sie wollte gerade etwas sagen, als die Tür am anderen Ende des Zimmers aufging und ein Mädchen mit einem Tablett hereinkam. Sie war jung und übergewichtig, und der enge Rock sowie der Strickpulli betonten ihre üppigen Reize. Ihr Gesicht war rund und gerötet, und ihre kleinen, schwarzen Augen musterten Carla mit unverhohlener Neugierde.
»Entschuldigen Sie, Madam«, sagte sie atemlos. »Ich habe die Scones* und die Schlagsahne vergessen. Ich dachte mir, daß die junge Dame vielleicht Appetit darauf hat, denn sie muß nach der langen Fahrt hungrig sein.«
Carla erwiderte das offene Lächeln des Mädchens. Sie wußte, daß Marys Benehmen eher auf Neugierde als auf Dienstwilligkeit zurückzuführen war, und hatte vollstes Verständnis dafür.
»Danke«, sagte sie. »Sie sind bestimmt ...«
»Mary«, unterbrach sie das Mädchen. »Ich hoffe, daß Ihnen der Tee zusagt, Miß. Wir hatten den Kessel seit drei Uhr auf dem Herd stehen, und sobald ich Ihren Wagen sah, sagte ich zu Mrs. Pendennis ...«
»Das genügt, Mary«, schnitt die Haushälterin den Redefluß ab. »Danke.«
Sobald sich die Tür hinter dem Mädchen geschlossen hatte, schüttelte Mrs. Pendennis den silbergrauen Kopf.
»Es ist heutzutage unmöglich, die Mädchen ordentlich zu schulen.«
»Natürlich war sie auf mich neugierig«, beschwichtigte Carla. »Für das Essen bin ich ihr dankbar, ich bin halb verhungert. Ist das die berühmte eingedickte Sahne, von der ich gehört habe?«
»Ja. Wie Sie an Marys Figur erkennen können, ist sie danach süchtig.«
Die berühmte eingedickte Sahne sah nicht besonders köstlich aus. Sie erinnerte an blasse, schaumig gerührte Butter mit kleinen Klümpchen darin. Carla türmte sie auf einen Scone, fügte als Krönung einen Teelöffel Erdbeermarmelade hinzu und biß vorsichtig ab.
»Ich kann Mary verstehen«, erklärte sie, während sie den Scone heißhungrig und nicht gerade elegant verschlang.
Mrs. Pendennis hatte es ihr nachgemacht. Jetzt tupfte sie sich die Lippen sorgfältig mit einer winzigen Serviette ab. Ihre hellblauen Augen funkelten. »Ich muß gestehen, daß ich auch etwas dafür übrig habe.«
Nach diesem Ausflug ins Gewöhnliche war die Stimmung entspannter; Carla fühlte sich allmählich wohl. Mrs. Pendennis hatte anscheinend ihre ursprünglichen Bedenken – was immer der Grund dafür gewesen war – überwunden und plauderte fröhlich über kornisches Essen, komische Bräuche und das kornische Wetter. Zu letzterem äußerte sie sich beinahe rechtfertigend, und Carla konnte sich selbst davon überzeugen, daß sie nicht übertrieb. Der mit Wolken bedeckte Himmel war dunkel wie die Nacht, und trotz der dicken, alten Mauern war der Wind unangenehm laut zu hören. Der Regen prasselte gegen die Fenster, als würde ein kräftiger Arm einen Eimer ausschütten. Das Licht wurde schwächer, flackerte und erlosch schließlich ganz. Mrs. Pendennis schnalzte verärgert mit der Zunge.
»Das habe ich befürchtet. Bei Sturm kommt es manchmal dazu. Bleiben Sie ruhig sitzen, meine Liebe; Mary wird sofort Kerzen bringen.«
Carla hatte keineswegs die Absicht, ihren Platz zu verlassen, da sie kaum die Teetasse in ihrer Hand erkennen konnte. Einige Augenblicke später ging die Tür auf, und Mary erschien mit einer Kerze, die verrückte Schatten auf ihr Gesicht warf.
»Das Licht ist ausgegangen«, verkündete sie unnötigerweise. »Der elektrische Kocher geht auch nicht, Madam, und Mrs. Polreath sagt, daß sie auf dem entsetzlich alten Ofen keine anständige Mahlzeit kochen kann; deshalb wird sie jetzt nach Hause gehen, bevor das Gewitter ärger wird.«
»Unsinn«, antwortete Mrs. Pendennis scharf. »Mrs. Polreath hat sich bereit erklärt, bis acht Uhr zu bleiben, und daran wird sie sich halten. Ich werde mit ihr sprechen.«
»Es ist nicht notwendig, daß die Köchin ein komplettes Abendessen zubereitet«, widersprach Carla. »Ich bin zu müde und habe zu viele Scones gegessen, um es zu genießen. Aber das Gewitter ist so arg ... Wäre es nicht besser, wenn Mrs. Polreath und Mary über Nacht hierblieben?«
Mary schnappte erschrocken nach Luft.
»Über Nacht in diesem Haus bleiben? O nein, Miß, das würde ich nicht für alles Geld der Welt tun.«
»Schluß damit«, befahl Mrs. Pendennis zornig. Sie überlegte einen Augenblick, dann sagte sie verärgert: »Wir werden uns also mit einem kalten Abendessen begnügen müssen. Möchten Sie es vielleicht in Ihrem Zimmer einnehmen, Miß Tregellas? Mary kann Ihnen ein Tablett hinaufbringen, bevor sie geht. Dann können Sie sich ausruhen und zeitig zu Bett gehen, wenn Sie wollen.«
»Nachdem das Licht aus ist und es kein Fernsehen gibt, bleibt Ihnen ohnehin nichts anderes übrig«, meinte Mary fröhlich, ohne sich um den vernichtenden Blick der Haushälterin zu kümmern.
»Das ist mir sehr recht«, sagte Carla. »Aber ich kann das Tablett selbst holen, wenn Mary gehen möchte.«
Mrs. Pendennis’ eiskalt mißbilligender Blick und Marys amüsiertes Kichern machten sie darauf aufmerksam, daß sie ihre soziale Stellung vergessen hatte, also ließ sie die Sache auf sich beruhen und folgte der kleinen, aber stattlichen Haushälterin in die Halle und die Treppe hinauf. Jede von ihnen trug eine Kerze, doch Carla konnte trotzdem kaum etwas sehen. Gelegentlich erhaschte sie einen Blick auf dunkle, alte Porträts und auf schöne Schnitzarbeiten, doch sie konzentrierte sich zu sehr darauf, wo sie hintrat, um viel wahrzunehmen. Auf der Treppe lag kein Teppich, und die Stufen waren in der Mitte so ausgetreten, daß jede eine deutliche Vertiefung aufwies. Angesichts dieses stummen Zeugnisses für das Alter des Hauses erschauerte Carla. Im schattenhaften Licht konnte man sich ohne weiteres vorstellen, um einige Jahrhunderte zurückversetzt worden zu sein, denn die Dunkelheit verbarg die verheerenden Spuren des Alters und der Armut. Es roch nach Jahrhunderten von Staub, Politur und trocknendem Holz, die Bretter unter den Füßen knarrten, von draußen kam das gedämpfte Heulen des Windes, die Fensterrahmen und -läden ratterten ...
Zwischen durch:
Müdigkeit und zu viele Scones zum Tee – Carla möchte kein komplettes Abendessen...
Doch es gibt ja für solche Fälle eine leckere Alternative: eine kleine heiße Mahlzeit, ideal für den kleinen Hunger zwischendurch.
Was meinen wir?
Natürlich die ...
Die kleine, warme Mahlzeit in der Eßterrine. Nur Deckel auf, Heißwasser drauf, umrühren, kurz ziehen lassen und genießen.
Die 5 Minuten Terrine gibt’s in vielen leckeren Sorten – guten Appetit!
Mrs. Pendennis blieb mit einem halb unterdrückten Ausruf stehen und Carla zuckte zusammen, als etwas die Treppe hinunter und an ihr vorbeischoß. Sie war nicht darauf gefaßt gewesen, denn das Geschöpf hatte nicht das geringste Geräusch verursacht; aber es hatte ihre Beine gestreift.
»Du meine Güte«, stieß sie hervor. »Was war das?«
»Der Kater«, antwortete Mrs. Pendennis mit zusammengepreßten Lippen. Carla hatte plötzlich das unbändige Bedürfnis zu lachen.
»Entschuldigen Sie«, keuchte sie, als die überraschte Haushälterin sie strafend ansah. »Das hat mich an eine Operette von Gilbert und Sullivan erinnert. Pinafore – kennen Sie sie?«
»Ja.« Mrs. Pendennis sah aus wie die Königin Victoria, wenn ein unglücklicher Höfling einen unpassenden Witz machte. »Es freut mich, daß ihre ausgezeichneten Werke in den Vereinigten Staaten noch immer bekannt sind. Leider macht mir das elende Tier mehr Ärger als Freude. Es gehört in die Küche und hat hier oben nichts verloren.«
»Es ist sehr schwierig», erwiderte Carla genauso ernst, »einen Kater davon zu überzeugen, daß er ein Bürger zweiter Klasse ist. Warum halten Sie überhaupt einen Kater, wenn Sie diese Tiere nicht mögen?«
»Ich mag eine anständige Katze, die sich ordentlich benimmt. Aber dieses Tier ... Er ist allerdings ein ausgezeichneter Mäusefänger. Hoffentlich stört es Sie nicht, Miß Tregellas, daß wir Mäuse im Haus haben. Ein Haus dieser Größe und dieses Alters ...«
»Ich kann gut auf Mäuse verzichten, aber sie stören mich nicht.«
»Ausgezeichnet. Gehen wir weiter.«
Sobald sich die Haushälterin umgedreht hatte und weiterging, entspannten sich Carlas Mundwinkel. Sie war über das heitere Zwischenspiel froh, denn die Atmosphäre des Hauses war nicht sehr fröhlich, und schon gar nicht in einer Gewitternacht. Der obere Korridor erstreckte sich wie ein langer, dunkler Tunnel vor ihr; die Eintönigkeit wurde nur gelegentlich durch ein düsteres Bild oder eine geschlossene Tür unterbrochen. Mrs. Pendennis marschierte bis zum Ende des Korridors und bog dann in einen Seitengang ein. Ihre Absätze klapperten auf dem nackten Boden. Endlich blieb sie vor einer Tür stehen und öffnete sie. Ein kalter Luftzug fuhr ihnen entgegen, und Carlas Kerze flackerte wild. Mrs. Pendennis, die mit dem alten Haus vertraut war, hatte ihre Kerze mit der Hand geschützt und betrat jetzt vor Carla das Zimmer.
»Ich habe mir erlaubt, Ihnen das grüne Zimmer zu geben, Miß Tregellas. Es ist nicht das größte Schlafzimmer, aber Sie werden bestimmt lieber in diesem Flügel in der Nähe meines Zimmers schlafen als einsam im vorderen Teil des Hauses – noch dazu jetzt, da die Elektrizität ausgefallen ist.«
»Und ob«, stimmte Carla zu. »Es ist ein sehr hübscher Raum, Mrs. Pendennis.«
Das sagte sie zwar, aber sie dachte: Wie aus einem Schauerroman.
In diesem Zimmer gab es keine schäbigen, modernen Einrichtungsgegenstände. Der Raum war klein, hoch, zugig und holzgetäfelt. Die Möbel waren massiv und alt; zu ihnen gehörte ein großes Himmelbett mit schweren, roten Vorhängen. Die Samtvorhänge vor den Fenstern in der Westwand waren zugezogen; obwohl sie ziemlich schwer zu sein schienen, bewegten sie sich im Luftzug. Auch vom Kamin, der eine schöne gemeißelte Steinumrahmung besaß, wehte es kalt. Der abgetretene Teppich war einmal ein schöner Buchara gewesen.
Carla wurde klar, daß Mrs. Pendennis die schönsten Möbel aus den übrigen Räumen dazu benutzt hatte, um diesen einzurichten. Beinahe alles Wertvolle – Bilder, Möbel und so weiter – war verkauft worden; und Carla ahnte, daß die noch vorhandenen wertvollen Stücke zum Unterhalt des Haushalts dienten. Vielleicht trank an diesem Tag zum letzten Mal eine Tregellas aus dem silbernen Teeservice. Es war etliche tausend Dollar wert, und das reichte noch sehr lange für die Löhne der Dienerschaft.
Das grüne Zimmer war auf altmodische, grimmige Weise beeindruckend, denn in dem schwachen Licht sah man die Schönheitsfehler nicht. Carla war beinahe gerührt. Die Haushälterin hatte so tapfer versucht, die Schatten der glänzenden Vergangenheit heraufzubeschwören ...
Mrs. Pendennis zündete weitere Kerzen an. Aus der Tatsache, daß sie vorhanden waren, schloß Carla, daß die Elektrizität öfters ausfiel. Das Zimmer war jetzt halbwegs ausgeleuchtet, und die Haushälterin begutachtete es kritisch.
»Mein Zimmer ist das letzte in diesem Korridor«, erklärte sie, während sie mit dem Finger über die Tischplatte fuhr und beifällig nickte. »Das Badezimmer befindet sich auf der gegenüberliegenden Seite des Korridors. Ich hoffe, daß Sie alles vorfinden werden, was Sie benötigen. Mary hat ausnahmsweise wirklich ordentlich saubergemacht. Wenn Sie noch etwas brauchen ...«
»Danke, ich habe bestimmt alles«, antwortete Carla.
Erst dann bemerkte sie, daß die Haushälterin nicht deshalb verstummt war, weil sie auf Carlas Antwort wartete.
Mrs. Pendennis hatte die Kerze hochgehoben und starrte die Wand oberhalb des Tisches an. Ihre Augen glitzerten im Kerzenschein unheimlich. Carla folgte ihrem Blick. An der Wand hing ein Bild, das im Lauf der Zeit nachgedunkelt war und außerdem im Schatten lag, so daß Carla nicht ausmachen konnte, was es darstellte. Sie konnte nicht glauben, daß es an dem entsetzten Gesichtsausdruck der Haushälterin schuld war; Mrs. Pendennis hatte sicherlich persönlich überwacht, daß jeder Einrichtungsgegenstand den von ihr dafür vorgesehenen Platz einnahm.
Die Haushälterin bewegte sich langsam rückwärts und murmelte dabei vor sich hin.
»Wieso? Ich habe Mary gesagt, daß sie hier den Druck mit der Jagdszene aufhängen soll. Wieso ...«
Sie stolperte über eine abgetretene Stelle im Teppich, und als die Kerze gefährlich ins Schwanken geriet, sprang Carla vor und faßte Mrs. Pendennis am Arm. Diese blickte Carla an und schrie leise auf.
»Was ist denn los?« fragte Carla.
»Nichts, überhaupt nichts. Mary muß meine Anordnungen mißverstanden haben. Es ist nicht wichtig. Schlafen Sie gut. Das heißt, Mary bringt Ihnen ja noch das Abendessen. Hoffentlich ist alles in Ordnung.«
Sie riß sich aus Carlas Griff los und verließ das Zimmer so schnell, wie es ihre alten Beine erlaubten. Die Tür fiel hinter ihr krachend ins Schloß.
Carla ging sofort zu dem Bild, um es näher zu begutachten, fand aber nichts, das das Entsetzen der alten Dame erklären konnte. Es war ein Porträt, noch dazu ein sehr schlechtes. Kein Wunder, daß man nicht erst versucht hatte, es zu verkaufen. Es war das Brustbild einer Frau. Die Spitzen an ihrem Hals und die Frisur wiesen auf das achtzehnte Jahrhundert hin.
Carla zuckte die Achseln und wendete sich ab. Am dringendsten brauchte sie jetzt das Badezimmer auf der anderen Seite des Korridors.
Es war überraschend modern und gut eingerichtet; aber eigentlich was es auch nicht allzu überraschend, denn Badezimmerinstallationen können nicht ohne weiteres aus der Wand gerissen und verkauft werden. Doch als Carla den Hahn über der Wanne aufdrehte, war das Wasser kalt und blieb es auch weiterhin. Entweder war der Mechanismus so kompliziert, daß sie ihn nicht erfaßte, oder das Wasser wurde elektrisch erwärmt. Sie vergaß also das Bad – schließlich war sie keine Spartanerin – und rieb sich rasch mit dem nassen Schwamm ab, bevor sie in ein Nachthemd und ihren wärmsten Morgenrock schlüpfte.
Als sie in ihr Zimmer zurückkam, erwartete Mary sie bereits mit einem Tablett. Sie schrak zusammen, als Carla die Tür öffnete.
»Ich habe mich schon gewundert, wo Sie geblieben sind.« Sie stellte das Tablett auf dem Tisch. »Brauchen Sie noch etwas, Miß? Wenn nicht, würde ich gern gehen.«
»Es sieht großartig aus.« Carla betrachtete das Tablett voll Bewunderung. Die unbekannte Mrs. Polreath hatte es irgendwie fertiggebracht, Teewasser zum Kochen zu bringen. Eine zugedeckte Schüssel war ein Hinweis auf Suppe. Wenn die Köchin unter einem improvisierten kalten Imbiß so etwas verstand, war Carla auf eine komplette Mahlzeit neugierig. »Geh nur, Mary. Hoffentlich hast du es nicht weit. Hör nur, wie der Wind heult.«
Mary lächelte gezwungen.
»Ja, Miß, es ist schlimm. Mein Großvater sagte immer, daß bei unseren Stürmen zwei Männer nötig sind, um dem dritten die Haare auf dem Kopf festzuhalten.«
»Ich finde wirklich, daß du hier übernachten solltest.«
»Ganz bestimmt nicht, Miß!« Mary schluckte krampfhaft. »Ich würde nie – es ist nicht weit, Miß, nur bis ins Dorf, und meine Eltern würden sich Sorgen machen, wenn ich nicht nach Hause komme. Ich bin daran gewöhnt, Miß, so wie alle Leute in der Gegend.«
Carla hatte deutlich den Eindruck, daß das Mädchen begonnen hatte, etwas zu sagen, und es sich dann wieder anders überlegt hatte. Vielleicht hatte ihr Mrs. Pendennis eine Strafpredigt gehalten, weil sie ihre Gefühle so offen zeigte; aber sie waren nicht zu übersehen. Sie hatte Angst davor, in dem Haus zu schlafen, und zwar solche Angst, daß sie lieber einen Südweststurm in Kauf nahm.
Carla war in Versuchung, Mary auszufragen. Das Mädchen war nicht sehr intelligent, und wenn Carla ihr gut zuredete, würde sie bestimmt mit ein paar schauerlichen Gespenstergeschichten herausrücken. Aber sie brachte es nicht übers Herz, Mary noch länger aufzuhalten, und außerdem hatte sie kein Bedürfnis nach Gruselgeschichten, wenn sie die Nacht in dem nicht sehr einladenden Himmelbett verbringen mußte.
»Wenn es schon sein muß, dann lauf, Mary«, sagte sie. »Und gib acht.«
»Das tue ich, Miß. Danke. Gute Nacht.«
Wie Mrs. Pendennis verließ sie das Zimmer rückwärtsgehend. Sie sah das Porträt nicht direkt an, sondern beobachtete es aus den Augenwinkeln, als wäre es ein gefährliches Tier und sie deshalb auf eine drohende Gebärde gefaßt.
Als Carla am nächsten Morgen erwachte, dauerte es einige Minuten, bis ihr klar wurde, wo sie sich befand. Im Zimmer war es sehr dunkel, aber es konnte unmöglich so zeitig am Morgen sein ... Dann erst bemerkte sie, daß die Bettvorhänge zugezogen waren. Ja, sie hatte sie am vergangenen Abend geschlossen, denn sonst hätte sie den Kopf unter den Decken vergraben.
Sie schob die Vorhänge zurück, sprang aus dem Bett – und fiel auf die Nase, weil sie vergessen hatte, daß dieses Bett um gute dreißig Zentimeter höher war als sein Gegenstück in Boston. Sie kam wieder auf die Beine und humpelte zum Fenster.
Die schweren Vorhänge waren noch immer zugezogen. Sie waren so dick, daß sie das Zimmer sehr wirkungsvoll verdunkelten, aber durch die Spalten zwischen ihnen drangen helle Lichtstreifen, die auf einen schönen Tag schließen ließen. Carla schob die Vorhänge zurück und blinzelte, weil der Sonnenschein sie blendete. Die Fenster waren in Wirklichkeit Balkontüren. Sie öffnete eine davon und trat auf den kleinen, mit einer Steinmauer eingefaßten Balkon hinaus.
Die Sonne ging auf der anderen Seite des Hauses, also hinter Carla, auf. Der westliche Himmel war in Pastellfarben getaucht – kräftiges Rosa und blasses Himmelblau –, und die Ränder der bauschigen Wolken leuchteten golden. Der schimmernde Himmel verschmolz am endlosen Horizont mit dem Meer.
Zwischen dem Haus und dem Steilabfall zur Küste hin erstreckte sich ein etwa drei Morgen großes, eingezäuntes Gelände. Carla hatte auf ihrem luftigen Standort das Gefühl, daß sie von reinem Sauerstoff oder etwas ähnlich Gesundem und Stärkendem umgeben war. Das Licht war, so klar, daß sie jedes Blatt auf den Bäumen erkannte. Die Luft war schneidend, doch Carla blieb stehen und umfaßte ihre nackten Arme mit den Händen, um sie zu wärmen; sie konnte sich von der grandiosen Aussicht nicht losreißen. Zu dem ästhetischen Genuß kam ein neues, verwerfliches Gefühl – Besitzerstolz. Das alles gehörte ihr – nur für den Augenblick, denn sie würde es bald verlieren, aber bis dahin gehörte es ihr. Das Haus, der Grund, der Blick auf Meer und Himmel.
Jemand klopfte an die Tür und riß sie aus ihren Träumereien. Sie lief zitternd ins Zimmer zurück und kam gerade zurecht, um Mary zu begrüßen, die mit einem Tablett mit Tee hereinkam.
»Guten Morgen«, begann das Mädchen und schüttelte dann mißbilligend den Kopf, als sie Carlas dünnes Nachthemd bemerkte. »In diesem Fähnchen werden Sie sich den Tod holen, Miß. Gehen Sie lieber zurück ins Bett, dann werde ich das Fenster schließen.«
»Nein, bitte nicht.« Carla befolgte den Rat und wackelte unter der Decke mit den kalten Zehen, während sie das Tablett entgegennahm, ihre Hände über dem Dampf zu wärmen, der aus dem Schnabel der Teekanne emporstieg; aber sie ertrug den Gedanken nicht, die Sonne und die kalte, berauschende Luft auszuschließen.
»Mir ist schon wieder warm«, fuhr sie fort. »Die frische Luft tut gut. Und der Tee duftet verführerisch. Woher hast du gewußt, daß ich wach bin?«
Dann erinnerte sie sich daran, wie sie das Bett verlassen hatte. Sie sah den Ausdruck in Marys Augen und begann zu lachen. »Habe ich solchen Krach gemacht?«
»Es hat sich angehört, als würde die Decke einstürzen«, antwortete Mary grinsend. »Ich habe Mrs. P. gesagt, daß Sie sich mit dem verdammten alten Bett die Beine brechen werden, aber wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, bringt man sie nicht mehr davon ab. Sie wollte damit ihre Ehrerbietung Ihnen gegenüber zum Ausdruck bringen.«
»Ich weiß. Das Zimmer sieht sehr schön aus, Mary. Das ist wahrscheinlich größtenteils dein Verdienst.«
»Dazu bin ich ja da. Ehrlich gesagt kann ich dieses scheußliche alte Gerümpel nicht leiden. Mir ist Chrom und Kunststoff lieber, das ist freundlicher. Aber das Zimmer ist sauber, darauf können Sie sich verlassen. Wenn Sie nichts mehr brauchen – Frühstück in einer halben Stunde.«
Sie zwinkerte Carla zu, nickte fröhlich und verschwand. Carla schob sich die Kissen hinter dem Rücken zurecht und nippte an dem heißen Tee. Die frische Luft roch himmlisch, das Sonnenlicht fiel ins Zimmer, die heiße Flüssigkeit wärmte sie bis in die Zehenspitzen. Von irgendwo unten – war es möglich, daß sie den Speck, der in der Küche gebraten wurde, bis hierher roch? Ihr Magen knurrte hoffnungsvoll und ihre Stimmung wurde euphorisch. Wenn sie sich vorstellte, daß sie dieses Haus beinahe nicht besucht, nicht kennengelernt hätte ...
Dann lächelte sie verlegen, denn ihr wurde einer der Gründe bewußt, warum sie sich so wohl fühlte. Luxus ist unglaublich verführerisch. In ihrer Jugend war sie eine glühende Radikale gewesen, hatte Transparente geschwungen und soziale Gerechtigkeit gefordert. Natürlich war es der richtige Weg ... Aber sie begriff allmählich, warum die Gutsherren und -herrinnen so erbittert um ihre ungerechtfertigten Privilegien kämpften.
Bei Tageslicht sah das Zimmer dem düsteren Raum vom vergangenen Abend so wenig ähnlich, als sei sie im Schlaf an einen anderen Ort versetzt worden. Die Sonne deckte zwar die abgenutzten Stellen in dem Teppich und den Vorhängen erbarmungslos auf, aber die Schäbigkeit wirkte so vornehm, daß sie beinahe gut aussah.
Carla schüttelte verständnislos den Kopf. Sie hatte sich am vergangenen Abend wirklich wie ein Feigling benommen. Diese Seite ihres Charakters war ihr neu, und sie begriff ihre Angst nicht mehr. Vor ihrem Besuch bei Mr. Fawcett hätte sie sich als beinahe stumpfsinnig phantasielos und ganz sicher als vollkommen frei von Aberglauben bezeichnet. Die Schwächen ihrer Freundinnen – die Glücksbringer, die Wochenhoroskope, die Umwege um schwarze Katzen und um Leitern, die Angst vor zerbrochenen Spiegeln – hatten sie nur amüsiert und angewidert. Nicht einmal eine gute Gespenstergeschichte bereitete ihr Vergnügen.
Und jetzt schien sie selbst mitten in eine Gespenstergeschichte geraten zu sein. Obwohl ihr das Ganze nicht vertraut war, konnte sie sich die Handlung ungefähr vorstellen. Es mußte sich um eine Caroline Tregellas handeln, die bereits tot war – sehr tot, wenn die Dame auf dem Porträt diese Caroline darstellte, denn ihre Kleidung wies auf das Ende des siebzehnten Jahrhunderts hin. Carla starrte das Porträt an, das jetzt im hellen Sonnenlicht lag. Wenn Mrs. Pendennis eine Ähnlichkeit zwischen Carla und den verschwommenen Zügen des Bildes entdeckte, so besaß sie entweder bessere Augen oder eine blühendere Phantasie als ihre neue Dienstgeberin. Die Frau auf dem Gemälde hatte dunkle Haare und Augen, aber damit hörte die Übereinstimmung auch schon auf. Es war unmöglich, den Rest des Gesichts deutlich zu erkennen.
Manche Leute wären vielleicht darüber erstaunt gewesen, daß zwei so unterschiedliche Persönlichkeiten wie die wohlerzogene, alte Haushälterin und das fröhliche, etwas vulgäre Dienstmädchen an die Geschichte vom Familiengespenst glaubten. Doch Carla wußte, daß der Aberglaube kein Vorrecht der Ungebildeten ist. Ein im Haus wohnendes Familiengespenst verlieh dem alten Herrenhaus Prestige; die Bewohner hatten vielleicht Angst vor ihm, aber insgeheim waren sie auf die Auszeichnung stolz. Dann kam ihr plötzlich zu ihrem Schreck etwas zu Bewußtsein: Du meine Güte, es ist ja auch mein Gespenst!
Sie lächelte über diese Vorstellung, die sie unsinnigerweise faszinierte. Sie hatte am vergangenen Abend das Essen hastig hinuntergeschlungen, war eilig ins Bett geklettert und hatte die Vorhänge zugezogen, um die unruhigen Schatten auszusperren. Allein die leichte, unaufhörliche Bewegung der Vorhänge hätte Stoff für mehrere Alpträume geliefert, und das Heulen des Westwinds hatte geklungen, als jammere ein Heer armer Seelen um die unerreichbaren Freuden das Paradieses. An dem sonnigen Morgen war es jedoch unmöglich, solche Gedanken ernst zu nehmen. Carla freute sich sogar darauf, Mrs. Pendennis die Geschichte zu entlocken. Ein eigenes Gespenst ... Vielleicht würde es ihr aufgrund dieser zusätzlichen Attraktion gelingen, das Haus an einen wohlhabenden amerikanischen Mitbürger zu verkaufen.
Die Elektrizität funktionierte wieder. Im Badezimmer gab es heißes Wasser. Carla duschte schnell, zog sich an und ging hinunter. Der Duft von Speck lockte sie in die Küche.
Sie verliebte sich auf den ersten Blick in den Raum. Auf dem breiten Fenstersims blühten Geranien, und der mit Steinplatten belegte Boden war blankgescheuert. An den Deckenbalken hingen große Bündel von Kräutern, Gemüse, und sogar ein riesiger, schwarzer Landschinken. Die einzigen modernen Geräte waren ein elektrischer Herd und ein Kühlschrank. Der alte Herd stand noch immer in einer Ecke, aber obwohl er zu dem Reiz des Raums beitrug, konnte Carla es Mrs. Polreath nicht verdenken, daß sie sich weigerte, auf ihm zu kochen.
Die rundliche junge Frau, die an der Spüle stand, war offensichtlich die Köchin. Carla hätte gern gewußt, ob alle Einwohner von Cornwall so gut zu den Klischeevorstellungen paßten wie die Menschen, die sie hier bis jetzt kennengelernt hatte. Mrs. Pendennis hätte direkt aus einem Schauerroman stammen können, und die Köchin war genauso rund und rosig, wie man es von ihrem Berufsstand erwartete.
»Mein Gott, Miß, haben Sie mich erschreckt.« Sie drückte sich die Hand auf den üppigen Busen.
Carla entschuldigte sich, bewunderte die Küche und stellte sich vor – eine unnötige, aber liebenswürdige Geste, die die Köchin sichtlich freute. Sie wischte sich die Hände an der Schürze ab, bevor sie Carlas ausgestreckte Hand ergriff. Carla hätte am liebsten am riesigen Eichentisch gefrühstückt, der so solid und massiv war, daß er den Eindruck erweckte, als sei er aus dem Boden gewachsen, aber die Köchin schickte sie in das Frühstückszimmer. Obwohl Carla die Situation reichlich absurd fand, beschloß sie, keinen Streitfall daraus zu machen. Zwei Dienstboten – drei, wenn man Mrs. Pendennis dazurechnete – bedienten ein gesundes weibliches Wesen in einem verfallenden Haus, dessen Einrichtung verpfändet wurde, um ihre Löhne zu bezahlen. Ach was, dachte sie, wer mit den Wölfen heult ... Es war ohnehin nur für ein paar Wochen.
Mrs. Pendennis war beinahe mit ihrem Frühstück fertig. Sie plauderten eine Weile, sprachen über das Wetter – ein beliebtes Thema und in Cornwall absolut aktuell –, während Mary Speck, Eier, frischen Toast und Kaffee brachte. Aber Carla bemerkte die Seitenblicke, die ihr die Haushälterin zuwarf, und sobald Mary den Raum verlassen hatte, beschloß sie, sich Klarheit zu verschaffen.
»Wer war Lady Caroline?« fragte sie unvermittelt.
Mrs. Pendennis seufzte. »Ach Gott, ich schäme mich wirklich. Ich hätte nicht damit herausplatzen dürfen, nachdem Sie gerade erst angekommen waren. Aber ich weiß nicht, vielleicht sollte man Sie warnen ... Die Ähnlichkeit ist wirklich erstaunlich.«
»Wenn Sie von einer Ähnlichkeit zwischen mir und dem Porträt in meinem Zimmer sprechen, so kann ich diese nicht erkennen«, erwiderte Carla kühl.
»Natürlich nicht«, bestätigte Mrs. Pendennis vollkommen unbeeindruckt. »Kein Mensch sieht sich selbst so, wie er wirklich ist. Spiegelbilder sind irreführend; vergessen Sie nicht, daß sie alles seitenverkehrt zeigen.«
Carla geriet ein wenig aus der Fassung. Mrs. Pendennis war ein seltsames Gemisch aus Aberglauben und scharfem, gesundem Menschenverstand. Trotzdem war Carla nach wie vor davon überzeugt, daß nur die blühende Phantasie der alten Dame eine Ähnlichkeit entdecken konnte.
»Vielleicht erzählen Sie mir die Geschichte erst einmal«, schlug sie vor. »Warum finden Sie, daß man mich warnen muß?«
Sie war auf eine gute, schauerliche Gespenstergeschichte gefaßt, die im hellen Tageslicht bestenfalls unterhaltsam wirken würde. Aber Mrs. Pendennis war eine ausgezeichnete Erzählerin, und die Tatsache, daß sie offensichtlich jedes Wort der verrückten Geschichte glaubte, die sie zum besten gab, verlieh ihr solche Intensität, daß Carlas tolerantes Lächeln verschwand und sie das ausgezeichnete Frühstück vergaß.
Wie sie angenommen hatte, war die Lady Caroline des Porträts ein Mädchen aus dem achtzehnten Jahrhundert gewesen, die einzige Tochter des damaligen Squire Sir Tregellas.
»Das lieblichste Mädchen im Herzogtum«, schwärmte Mrs. Pendennis träumerisch. »Haare wie schwarze Seide, eine Haut so zart wie weiße Rosenblätter, Lippen wie rote Blüten. Wenn sie durch den Garten ging, schien sie zu schweben. Jeder junge Edelmann im Süden Englands warb um sie, und sie entschied sich für den reichsten und schönsten von allen! Er hieß Lord William, war hochgewachsen und ritterlich, um seine Lippen spielte stets ein Lächeln, und seine Haare glänzten golden wie eine Krone. Er war am Abend vor ihrer Hochzeit hier. Sie saßen Hand in Hand auf dem Sofa im Salon und flüsterten miteinander, während Carolines Mutter am Kamin ein Nikkerchen machte. Plötzlich zog Caroline ihre Hände aus den seinen und erhob sich. Ihre Augen waren starr und glasig wie bei einer Schlafwandlerin, und als er zu ihr sprach, antwortete sie nicht, sondern glitt aus dem Zimmer. Er sah, daß sie die Treppe hinaufging, deshalb folgte er ihr nicht. Es war das letzte Mal, daß er oder jemand anderer Caroline Tregellas sah. Es war, als habe sie in dieser Nacht der Erdboden verschluckt.«
Sie nippte am Kaffee und sah Carla herausfordernd an.
»Ja, also ... das ist wirklich ... Die Familie hat sie doch bestimmt überall gesucht? Natürlich. Also war sie nicht im Haus, sondern hatte es verlassen. Vielleicht hatte sie das Bedürfnis nach frischer Luft. Wenn sie in der Dämmerung die Klippen entlangging – sie ist abgestürzt; das war es. Ich habe von den Strömungen vor dieser Küste gehört; wenn ihre Leiche in das Meer hinausgetragen wurde, mußte sie auf ewig verschwunden bleiben.«
Mrs. Pendennis war jetzt erfrischt und bereit, weiter zu erzählen. »Genau diese Erklärung wurde in Umlauf gebracht. Aber natürlich wußten alle in der Gegend, daß sie nicht stimmte.«
»Ach, tatsächlich? Woher wußten sie es denn so genau?«
»Es war eine alte Geschichte.« Mrs. Pendennis sprach jetzt leise und eindringlich. Sie blickte dabei zur Decke empor, und ihre Augen waren genauso glasig und starr, wie sie es von der Verschwundenen behauptet hatte. »Aber man hatte diese Geschichte vergessen. Im achtzehnten Jahrhundert waren die kornischen Landedelleute keine Gelehrten. Ihr Leben bestand aus Jagd und Zechgelagen; die alten, verworrenen Geschichten ihrer Herrenhäuser interessierten sie nicht. Und es war genau zweihundert Jahre her ... Wahrscheinlich hätte man sie auch nicht retten können, wenn man es gewußt hätte, aber vielleicht hätte es für Lord William die Rettung bedeutet ... Er gelangte natürlich zu dem gleichen Schluß wie Sie. Als sie nicht wiederkam und man im Haus keine Spur von ihr entdeckte, bestand er darauf, daß der Besitz durchkämmt wurde, und beteiligte sich selbst daran. Ein Sturm zog auf und die Wellen gingen hoch, aber die Suchtrupps bestanden aus Einheimischen, die jeden Zollbreit des Gebiets kannten. Sie suchten stundenlang, bis sich Wolken vor den Mond schoben und sie nichts mehr sahen. Sie fanden Lady Caroline nicht, aber sie fanden beim westlichen Tor ihren Liebsten. Sein Körper war kalt und steif, seine Augen ...«
»Waren starr vor Entsetzen«, unterbrach Carla sie roh. »Also wirklich, Mrs. Pendennis ...«
»Nein, seine Augen standen nicht offen«, stellte diese richtig. »Sie waren von einer langen Strähne Seetang bedeckt, als hätte man sie ihm verbunden. Der tropfnasse Tang war um seinen verstümmelten Körper geschlungen, der gebrochen war, als hätte ihn ein großes Tier in den Klauen gehabt. Er war nämlich zu früh gekommen. Wäre er einen Augenblick später eingetroffen, so wären sie schon fort gewesen, unten im Meer, aus dem er gekommen war, um sie zu holen. Aber Lord William traf rechtzeitig ein und versuchte, die beiden aufzuhalten.
Der Suchtrupp trug ihn ins Haus zurück, und dort stellte sich zur allgemeinen Verblüffung heraus, daß er nicht tot war. Für ihn wäre es allerdings besser gewesen, wenn er gestorben wäre. Seine schönen, goldblonden Haare waren schneeweiß geworden. Die Verletzungen, die sein Körper davongetragen hatte, heilten, aber die Wunden in seinem Geist nie. Er starb viele Jahre später im Irrenhaus von Bodmin. Er sprach nie wieder ein vernünftiges Wort, aber wenn er einen Anfall bekam, phantasierte er oft von dem dunklen, schleimigen Wesen, das ihn mit seinen knochenlosen Armen zermalmt hatte, während seine Liebste mit großen, starren Augen zusah.«
Sie stärkte sich wieder mit einem Schluck Kaffee.
Diesmal schwieg Carla, denn sie wußte wirklich nicht, was sie dazu sagen sollte. Als die Haushälterin weitersprach, war es kein unheimliches Flüstern mehr, sondern die trockene, sachliche Stimme eines Forschers, der über Tatsachen berichtet.
»Natürlich wurde die Geschichte vertuscht, meine Liebe, aber genauso natürlich kann man die Leute nicht am Reden hindern. Carolines Bruder, Squire Thomas, belebte die Legende wieder. Er war noch klein gewesen, als seine Schwester verschwand, aber er hatte gehört, wie die Diener miteinander flüsterten, und zugesehen, wie seine Mutter dahinsiechte und endlich starb. Dann fand er das Manuskript, in dem das Ende seiner Schwester beschrieben ist. Er lebte von da an zurückgezogen und versuchte, den auf dem Haus liegenden Fluch durch Abtötung des Fleisches zu exorzieren. Ob es ihm geglückt ist ...