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Für Julia bricht eine Welt zusammen. Ihr Ehemann entpuppt sich als notorischer Fremdgänger, und Nele, ihre Teenagertochter, will nichts mehr von ihr wissen. "Wo war ich schon mal richtig glücklich?", fragt sich Julia und reist kurz entschlossen genau dort hin - an die Ostsee.
Sulzhagen, ein kleines Dorf auf der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst, hält für Julia mehr als nur eine Überraschung bereit. Der attraktive Tierarzt Alexander zeigt ihr die schönen Seiten der Halbinsel - und des Lebens. Er erinnert sie an ihre Träume und Wünsche. Und an ihre große Leidenschaft: das Kreieren von Pralinen.
Wie wird sich Julia nach ihrer Auszeit am Meer entscheiden? Wird sie hier an der Ostsee ihr Glück finden? Und kann sie Nele für sich zurückgewinnen? Schließlich hat sie eines begriffen: Der Sommer hat doch Meer zu bieten.
Der neue sommerfrische Roman von der Autorin der erfolgreichen Buch-Reihe Das kleine Café an der Mühle!
Weitere sommerliche Küsten-Liebesromane von Barbara Erlenkamp: Sommerzauber auf der kleinen Insel, Strandkorbsommer
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Seitenzahl: 371
Cover
Weitere Titel der Autorin
Über dieses Buch
Über die Autorin
Titel
Impressum
Widmung
Erster Brief an das Leben
Vierzehn Tage vorher
Der Geschmack von Orangenkrokant
Einsame Verantwortung
Entschuldigung angenommen
Morgens in Föckenrath
Er ist jetzt frei
Aus der Traum
Aufräumen
Anruf mit Folgen
Klartext
Der Entschluss
Unter sechs Augen
Sulzhagen – das letzte Fischerdorf
Frühstück mit Meerblick
Die Galerie
Zweiter Brief ans Leben
Wenn das Leben Strippen zieht
Strandspaziergang
Kannst du das überhaupt?
Willkommen in der Praxis
Einladung zum Tanz
Der Mutausbruch
Darf ich bitten
Nachricht aus Föckenrath
Dünenleuchten
Am Meer
Sulzer Feuer
Dritter Brief ans Leben
Und bring deine Winterjacke mit
Nacht über dem Meer
Ein kurzer Abschied
Neuanfänge
Mehr als nur ein Punkt auf der Liste
Hannes
Madeleine hat das im Griff
Zwei Künstlerinnen, zwei Erfolge
Ganz schön sauer
Nele
Madeleine hat ein Problem
Umbaupläne
Mitgehört
Fast zwei Monate später ...
Kaffee und Meer
Patchwork-Schwestern
Nudelauflauf an der Klippe
Schwarze Teufel
Planänderung
Vierter Brief ans Leben
Elke
Zur Rede gestellt
Racheplan
Rückkehr
Notaufnahme
Epilog
Danksagung
Schwarze Teufel von Jean-Pierre Wybauw
Dunkle Trüffeln handgerollt
Whiskey-Trüffeln handgerollt
Das kleine Café an der Mühle
Winterzauber im kleinen Café an der Mühle
Frühlingsglück im kleinen Café an der Mühle
Sommerzauber auf der kleinen Insel
Für Julia bricht eine Welt zusammen. Ihr Ehemann entpuppt sich als notorischer Fremdgänger, und Nele, ihre Teenagertochter, will nichts mehr von ihr wissen. »Wo war ich schon mal richtig glücklich?«, fragt sich Julia und reist kurz entschlossen genau dort hin – an die Ostsee. Sulzhagen, ein kleines Dorf auf der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst, hält für Julia mehr als nur eine Überraschung bereit. Der attraktive Tierarzt Alexander zeigt ihr die schönen Seiten der Halbinsel – und des Lebens. Er erinnert sie an ihre Träume und Wünsche. Und an ihre große Leidenschaft: das Kreieren von Pralinen. Wie wird sich Julia nach ihrer Auszeit am Meer entscheiden? Wird sie hier an der Ostsee ihr Glück finden? Und kann sie Nele für sich zurückgewinnen? Schließlich hat sie eines begriffen: Der Sommer hat doch Meer zu bieten.
Andreas J. Schulte ist freier Journalist und Autor. Christine Schulte hat bereits in ihrer Schulzeit zusammen mit einer Freundin ihren ersten Roman verfasst und arbeitet heute als technische Redakteurin. Das Ehepaar lebt mit seinen beiden Söhnen seit 25 Jahren in einer alten Scheune zwischen Andernach und Maria Laach. Unter dem Pseudonym Barbara Erlenkamp schreiben sie zusammen moderne, humorvolle Frauen- und Unterhaltungsromane. 2018 ist ihr erster Roman »Das kleine Café an der Mühle« erschienen.
Barbara Erlenkamp
Originalausgabe
»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG
Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Clarissa Czöppan
Lektorat/Projektmanagement: Anna-Lena Meyhöfer
Covergestaltung: Guter Punkt, München unter Verwendung von Motiven © Sonja Filitz/Getty, © ah_fotobox/ Getty, © Igor Normann /Adobestock
eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 978-3-7325-8947-0
www.be-ebooks.de
www.lesejury.de
Für alle, die – wie wir – mindestens einmal im Jahr das Meer brauchen.
Deshalb muss ich immer wieder her.
Zu dir, mein Meer.
Stefan Gwildis
Liebes Leben,
ja, ich habe mich in den letzten Jahren nicht viel um Dich gekümmert. Schon klar, dass Du jetzt sauer bist. Zu Recht, ich hab's nicht anders verdient. Aber wir zwei, wir müssen irgendwie miteinander klarkommen, nicht wahr?
Außerdem bist Du auch nicht ganz unschuldig.
Ist es denn zu viel verlangt, wenn ich sage, jetzt bin ich auch mal dran?
Hallo, Leben, wo bist Du?
Komm, gib zu, Du hast mich schlicht vergessen, es war ja auch ganz bequem so: Die Julia, die hat keine großen Ansprüche an mich, das läuft.
Sicher, ich habe selber kaum mitgekriegt, wie sehr alles neben der Spur lief.
Hannes, mein Göttergatte, hat sich zuerst mal von mir durchfüttern lassen, hat in aller Ruhe Karriere gemacht, während ich zu Hause Windeln gewechselt habe. Der Klassiker in Deinem Angebot.
Tja, und dann hat der verlogene Mistkerl doch geglaubt, er müsse mal mehr erleben, zum Beispiel auf diesem Flittchen. Auf der hat er jetzt so viel Neues erlebt, dass er ganz besoffen ist von seinem neuen Glück.
Besoffen war ich auch, ein bisschen zumindest. Nämlich an dem Abend, als ich begriff, was los war. Und dann eröffnete er mir auch noch, dass er neue Freiräume für sich brauche.
Und jetzt stehe ich da ... ich finde, Du bist dran, liebes Leben. Denn es kann ja wohl nicht angehen, dass ich mit fast einundvierzig Jahren schon zu denen gehöre, um die Du Dich nicht mehr kümmerst.
Ich bin gespannt, was Du zu bieten hast.
Und ja, ich habe mir gerade die letzte Flasche Champagner aufgemacht, während ich Dir diesen Brief schreibe.
Ich habe letzte Woche noch kurz überlegt, ob ich Hannes' Porsche abfackeln soll, den er so sehr vergöttert. Aber so viel Aufmerksamkeit hat der gar nicht verdient. Ich meine Hannes, nicht den Porsche, wollte ich nur sagen.
Also, melde Dich bei mir und lass mich jetzt ja nicht hängen.
Das Leben geht weiter, sagt man. Bei mir hast Du jetzt aber gefälligst stehen zu bleiben. Ich habe das verdient.
Herzlichst
Deine Julia
»Nele! Nele, du verpasst noch den Schulbus. Himmel, es ist schon zwanzig nach sieben.«
Julia schaute besorgt auf die Uhr. Sie hätte nicht sagen können, was sie mehr aufregte – das ewige morgendliche Herumtrödeln ihrer 16-jährigen Tochter oder die Aussicht darauf, gleich angemault zu werden. Sie wusste sogar schon, was Nele sagen würde: Sie würde sich unnötig aufregen. Es sei doch alles cool.
Nichts war cool an diesem Morgen. Hannes hatte schon vor fast einer Stunde das Haus verlassen, um rechtzeitig am Flughafen zu sein. Der sauteure Espresso-Vollautomat – Hannes' neueste Anschaffung – verlangte eine vollständige Entkalkung und weigerte sich bis dahin, irgendetwas mit Koffein herauszugeben. Julia war gezwungen gewesen, die alte French-Press-Kanne und die Kaffeemühle aus dem Keller zu holen, um wenigstens einen Becher Kaffee kochen zu können. Ohne ihren Kaffee am Morgen kam sie einfach nicht in Schwung.
Schwung am Morgen hätte Nele auch gebraucht, doch dafür wäre mehr als nur Kaffee nötig gewesen. Magie vielleicht. Oder eine Zeitschleife. Nele kam mittlerweile nicht mal mehr an den Frühstückstisch, ohne sich vorher ausgiebig zu stylen. Gott sei Dank gab es im ersten Stock zwei Bäder, sonst hätten Neles morgendliche Badezimmerorgien schon längst eine Familienkrise ausgelöst.
»Nele, nun mach endlich!«
Julia überlegte gerade, ob sie die Treppe hinaufstürmen sollte, um ihrer Tochter Beine zu machen, als diese endlich nach unten geschlendert kam.
»Och, komm Mama, chill mal. Wir haben in den ersten zwei Stunden Sport bei dem Herbheimer.«
»Ja und? Willst du die ausfallen lassen, oder was?«
Julia war sich sehr wohl bewusst, dass ihre Tochter nicht mal einen Ansatz von einem Lächeln gezeigt oder sie begrüßt hatte. »Chill mal« statt »Guten Morgen«.
»Marla fährt mit dem Auto in die Schule und nimmt mich mit. Ich werd dem Herbheimer einfach sagen, dass ich meine Tage habe, dann wird der immer ganz rot und fragt nicht nach. Hab sowieso keinen Bock auf Sportgymnastik. Ich mach mich doch nicht zum Affen und hüpf mit 'nem Flatterband durch die Halle.«
»Du kannst doch nicht einfach die ersten zwei Stunden schwänzen!«
»Mach ich doch gar nicht, ich bleib brav auf der Bank sitzen, aber dafür muss ich mich auch nicht umziehen. Ist also genug Zeit für alles.«
Draußen ertönte ein lautes Hupen.
»Cool, das muss Marla sein.«
»Moment mal, Nele. Marla ist doch gerade mal achtzehn. Die hat doch erst vor zwei Wochen ihren Führerschein gemacht.«
Gott, ich klinge wie meine eigene Oma, dachte Julia für einen kurzen Moment. Bei dem Gedanken, dass ihre Tochter gleich zu einer Anfängerin ins Auto steigen würde, die ihre allerersten Fahrversuche machte, wurde ihr ganz schlecht.
»Boah, Mama, die Marla hat das mit ihrem Dad geklärt, der hat nichts dagegen. Jetzt mach doch keinen Stress.« Nele griff nach der Türklinke und war schon halb draußen.
Julia seufzte. »Okay, schon gut. Aber zieh dir die warme Jacke an.«
»Waaaas? Doch nicht die mit der großen Kapuze, da seh ich aus wie ein Schlumpf.«
»Nele, du hast dir die selber ausgesucht ...«
»Ja, vor fast einem Jahr, mittlerweile sind auch die Ärmel viel zu kurz.«
»Nele, heute wird zwar ein sonniger Tag, aber wir haben nur knapp vier Grad. Hast du überhaupt Socken an? Es ist Januar! Sonnenschein heißt nicht automatisch warm.«
Julia hätte auch erklären können, dass im Vorgarten Pinguine brüteten, Nele hätte das für genauso unwahrscheinlich gehalten. Statt einer Antwort gab es nur ein wütendes Schnauben samt Augenverdrehen. Augenverdrehen mit einer großen Portion Jetzt-bin-ich-richtig-genervt.
Neues Hupen vor der Tür. »Muss jetzt los. Weiß nicht, wann ich heute Mittag wieder zurück bin, vielleicht geh ich noch mit den anderen in der Innenstadt shoppen.«
»Du hast um 17 Uhr Klavierunterricht.«
»Schon klar. 17 Uhr, kein Problem.«
»Und vergiss die Jacke nicht.«
Nele kam zurück, nahm die Winterjacke vom Garderobenhaken und verließ grußlos das Haus. Julia schaute ihr durch das kleine Flurfenster nach. Nele war kein Kind mehr, irgendwann war aus ihr eine große, schlanke junge Frau geworden. Mit langen, glatten, rotbraunen Haaren und einem zarten sommersprossigen Teint zum Niederknien.
Vielleicht bin ich deshalb so besorgt, weil sie selber gar nicht weiß, wie hübsch sie ist, dachte Julia. Irgendwer muss sie doch beschützen.
Sie sah zu, wie Nele in den Golf von Marlas Vater stieg und die Winterjacke achtlos auf den Rücksitz warf. Wann hat das eigentlich angefangen, dass wir bei fast jedem Gespräch aneinanderrasseln?
»Verflixte Teenager!«
Jetzt war ihre Laune endgültig im Keller. Julia ging zurück in die Küche, um sich einen neuen Becher Kaffee einzuschenken. Im Kopf ging sie die To-do-Liste für den Tag durch. Sie musste unbedingt die Steuerunterlagen fertig machen. Wenn sie jedes Jahr warten würden, bis Hannes dafür Zeit hätte, stünde wahrscheinlich regelmäßig der Gerichtsvollzieher vor der Tür. Also erst die Steuerbelege, und dann war da noch der Kuchen für den Schulbasar. Ursprünglich hatte sie den in der Schule abgeben wollen, um danach mit Nele zum Mittagessen in die Stadt zu gehen. Aber das fiel ja jetzt flach. Also, nur den Kuchen abgeben und dann einen Salat bei Pietro. Wenn sie schon mal in Bonn war, konnte sie auch gleich das Geburtstagsgeschenk für Gerald, Hannes' Kompagnon, besorgen. Hannes hatte sie vor ein paar Tagen mit seinem besten flehenden Dackelblick darum gebeten. Es war genau dieser Blick gewesen, in den sie sich zu Beginn ihrer Beziehung verliebt hatte. Und er wirkte immer noch: Er setze ganz auf ihren guten Geschmack, hatte Hannes gesagt. Von wegen guter Geschmack, er hatte nur keine Lust, sich Gedanken zu machen. Es war nicht das erste Mal, dass sie ihm aus der Klemme half. Julia war irgendwie klar, dass sie ausgenutzt wurde. Aber okay, Hannes hatte auch wirklich viel um die Ohren.
Bei dem Gedanken ans Backen hob sich Julias Stimmung merklich. Vor allem, weil sie den Kuchen mit einer ihrer neuen Schokoladenkreationen verzieren wollte. Genug Zeit habe ich, rechnete sie im Kopf nach. Also erst die Belege, dann das Vergnügen.
Wenn man Julia gefragt hätte, wann ihre Leidenschaft für Schokolade und Pralinen begonnen hatte, hätte sie weit, sehr weit zurückdenken müssen. Ihre Großmutter Auguste war eine begnadete Konditorin gewesen, die vor dem Zweiten Weltkrieg ihre Ausbildung bei einem der führenden Pralinenhersteller absolviert hatte. Nach der Ausbildung machte sie noch Zwischenstation in der Schweiz und in Frankreich, dann aber kam der Krieg, und inmitten von Bombentrümmern stand Auguste nicht der Sinn nach feinen Pralinenkreationen, da ging es um das nackte Überleben.
Als sich im Wirtschaftswunderland wieder die Waagschale Richtung Genuss senkte, begann Auguste von vorne, wobei sie Wert darauf legte, dass ihre Familie nicht zu kurz kam. Rund um Stuttgart, Augustes neuer Heimat, wurden ihre Kreationen so etwas wie ein regionaler Renner und Auguste eine kleine Berühmtheit. Daran änderte sich auch nichts, während sie ihre Tochter Gabriele großzog. Gabriele mochte zwar Pralinen, hatte aber keine Ambitionen, in Augustes Fußstapfen zu treten.
Erst in der nächsten Generation kam die Begabung wieder zum Vorschein. Gabrieles Tochter Julia entwickelte schon früh eine enge Beziehung zu ihrer Großmutter Auguste.
Als Julia sechs Jahre alt war, verbrachte sie scheinbar endlos lange Sommerferien bei ihrer Großmutter. Und weil die ihrer Enkelin etwas Besonderes bieten wollte, zeigte sie der neugierigen Julia eines Nachmittags, wie man eine Nougatpraline herstellte. Womit Auguste nicht gerechnet hatte, waren die Begeisterung und der Feuereifer, mit dem die kleine Julia bei der Sache war. Und anders als bei allen anderen Spielen oder Bastelarbeiten verlor sie auch nicht das Interesse daran. Im Gegenteil, Julia drängte ihre Großmutter dazu, ihr mehr zu zeigen.
In diesem Jahr sollte Julias Vater als Ingenieur beruflich für ein Jahr nach China gehen. Es gab hitzige Diskussionen, man wog ab, was besser für Julia wäre: eine Trennung von den Eltern oder ein Jahr in der chinesischen Provinz. Es war schließlich Auguste, die den Vorschlag machte, ihre Enkelin könne ja in Stuttgart eingeschult werden und während dieser Zeit bei ihr wohnen.
Julia zog dann tatsächlich in Augustes gemütliches Haus. Der Moment kam, an dem ihre Eltern in Frankfurt hinter den Sicherheitskontrollen verschwanden und Julia sich an Augustes Hand klammerte, um die großen Flugzeuge durch die riesigen Scheiben des Terminals zu bewundern. Damit sie ein wenig von dem Trennungsschmerz abgelenkt wurde, versprach ihr Auguste, gleich am nächsten Tag Orangenkrokant zu machen. Für immer sollte der Geschmack von Zartbitterschokolade und Orangenkrokant für Julia mit diesem einen Jahr im Haus ihrer Großmutter verbunden bleiben. Weil sich im Unterricht zeigte, dass Julia eine aufmerksame und gute Schülerin war, blieb zu Hause genug Zeit, um von ihrer Oma so viel wie möglich zu lernen. Und die war von ganzem Herzen bereit, ihr Wissen zu teilen.
So kam es, dass Gabriele und Stefan Münder bei ihrer Rückkehr aus China eine ausgelassene, glückliche Tochter mit einer unauslöschlichen Leidenschaft für die Schokoladen- und Pralinenherstellung vorfanden. Und nach dem Probieren von Julias ersten eigenen Zubereitungen waren sie mit dem Hobby der Tochter mehr als nur einverstanden.
Oma Auguste starb im Sommer 2002 ganz friedlich im Alter von 88 Jahren. Im gleichen Jahr, im Oktober, wurde Nele geboren. Julia hatte nach dem Abschluss ihres Germanistikstudiums gerade mal ein Jahr in der Marketingabteilung des Architekturbüros A. Kiepbauer & Partner gearbeitet. Das Büro, in dem sie Hannes kennenlernte. Sie verliebte sich in den charmanten jungen Architekten, und wenig später wurde geheiratet. Die Hochzeitsfotos zeigten eine strahlende junge Braut, deren Babybauch sich bereits deutlich unter dem Hochzeitskleid wölbte. Ein kleines Mädchen kam zur Welt. Hannes hatte nichts dagegen, dass Julia ihrer Tochter die Vornamen ihrer Mutter und ihrer Großmutter geben wollte. Allerdings setzte sich ziemlich bald der Kurzname Nele durch. Nur Julias Mutter bestand auf Gabi, einen Namen, den Nele aus tiefstem Herzen hasste.
Die kleine Nele wurde größer, aber Julia sah keinen Sinn mehr darin, ihren Vollzeitjob wieder aufzunehmen. Sie bearbeitete freiberuflich einzelne Projekte des Architekturbüros, unterstützte ansonsten Hannes bei seiner Karriere als Architekt, und sie widmete sich weiter ihrem Hobby.
Und für Orangenkrokant schwärmte sie auch fast fünfunddreißig Jahre später noch.
»Das sieht ja großartig aus, Frau Schumann. Wie machen Sie das bloß, haben Sie das mal professionell gelernt?« Lisa Bauschneider-Fuhrmann, Neles Deutschlehrerin, klatschte begeistert in die Hände, als Julia den Schokoladenkuchen in der Aula abgab. Der Kuchen war ein ganz normaler Rührteigkuchen mit Schokostücken und Kirschen, nichts Außergewöhnliches. Die Dekoration dagegen war es schon: mit Schokolade überzogene Kirschen, die einen Stiel und Blätter aus Marzipan besaßen, und dazu der Schriftzug 15 Jahre Selma-Lagerlöf-Gymnasium aus weißer Schokolade.
»Ich habe viel von meiner Großmutter gelernt«, erklärte Julia zufrieden. »Sie war Konditorin.« Denn bei der ganzen Arbeit, die sie am Vormittag gehabt hatte, vor allem mit der Dekoration, war sie durchaus für ein wenig Lob empfänglich.
»Am liebsten würde ich den Kuchen gleich anschneiden oder eine dieser hinreißenden Kirschen stibitzen. Nele! Schau doch mal, der Kuchen deiner Mutter ist sooo toll geworden.«
Julia hatte nicht damit gerechnet, ihre Tochter hier in der Aula anzutreffen. Langsam schälte sich Neles vertraute Gestalt aus einem Pulk von Mädchen heraus. Sie warf einen Blick auf den Kuchen und brummte etwas, das man sowohl als Zustimmung als auch als Verachtung hätte deuten können. Wahrscheinlich lag die Wahrheit irgendwo in der Mitte, knapp über »mir doch egal« und kurz unter »sieht okay aus, ist mir aber tierisch peinlich, das zuzugeben«.
Lisa Bauschneider-Fuhrmann drückte Nele die Kuchenplatte in die Hand. »Trag das bitte vorsichtig rüber zum Tisch dort drüben.« Und zu Julia gewandt ergänzte sie: »Ich muss mich jetzt leider verabschieden, ich habe da hinten die Aufsicht zu führen. Ich danke Ihnen jedenfalls für den wunderbaren Beitrag zu unserem Büfett. Auf Wiedersehen, Frau Schumann.«
Die Lehrerin verschwand, und auch Nele wollte schon das Weite suchen, als Julia laut sagte: »Ach, Nele, warte doch mal gerade.«
»Was denn?«
»Ich fahr jetzt gleich nach Bonn. Möchtest du mitkommen? Oder ...«
»Ich hab doch schon gesagt, dass wir alleine losziehen.« Für einen Sekundenbruchteil verdrehte Nele die Augen – dachte sie wirklich, dass das niemand bemerken würde?
»Okay, wollte ich nur noch mal wissen. Ist sonst noch was?«, fragte Julia. Dieses genervte Augenverdrehen würde sie ihrer Tochter nicht durchgehen lassen.
»Was soll denn sein?«
»Na ja, du machst ein Gesicht, als hätte ich mich auf deinen Hamster gesetzt.«
»Boah, Mama, ist schon okay. Ich fand nur den Auftritt gerade too much. Musstest du wieder einen von deinen Wahnsinnskuchen abgeben? Wäre nicht auch ein Blech Streuselkuchen gegangen, irgendwas Normales? Das ist so was von peinlich. Und jetzt wird mir die Bauschneider-Fuhrmann wieder tagelang im Nacken hängen und mir die Ohren vollsäuseln, wie toll du das alles kannst.«
Julia schluckte, ihr war nicht klar gewesen, dass sie und ihr Hobby, ihre Leidenschaft, etwas waren, das für ihre sechzehnjährige Tochter Anlass für Peinlichkeit bot. Im ersten Moment verspürte sie einen Stich Schuldgefühl, aber dann gewann die Empörung die Oberhand.
»Ich will dir was sagen: Ich habe drei Stunden an diesem Kuchen gearbeitet, und ich habe das gern gemacht. Warum? Weil ich deiner Schule eine Freude machen wollte. Deiner Schule und dir.« Ihre Stimme wurde lauter. »Du solltest besser mal nachdenken, bevor du den Mund aufmachst, junge Frau.«
Wütend drehte sich Julia um und verließ die Aula. Schon auf dem Schulflur bereute sie ihre heftige Reaktion. Aber verdammt noch eins – sie musste doch nicht alles schlucken, was ihr Nele gedankenlos an den Kopf warf. Draußen auf dem Schulhof holte sie tief Luft. So kann das nicht weitergehen. Ich muss dringend mit Nele wieder auf die Spur kommen, dachte sie. Vielleicht kann Hannes mal mit ihr reden, praktisch als unbeteiligter Dritter. Aber noch während sie darüber nachdachte, wurde Julia klar, dass sie auf die Unterstützung ihres Mannes nicht zu hoffen brauchte. So hatte sie sich die gemeinsame Erziehung eigentlich nicht vorgestellt. Er tut wahrscheinlich, was er kann, aber bei seinem derzeitigen Stress habe ich ganz alleine die Verantwortung am Hals, dachte Julia verbittert. Zugegeben, ums Geld brauche ich mir keine Sorgen zu machen, und das ist viel wert – aber es macht mich so müde, alle Streitereien mit Nele alleine auszufechten.
Sie beschloss, erst einmal wie geplant zu Pietro zu fahren und einen Happen zu essen. Ärger und ein leerer Magen waren zwei ganz schlechte Berater für den Kauf eines Geburtstagsgeschenks – dabei würde nichts Gutes herauskommen.
***
An jedem anderen Tag hätte Julia das Mittagsessen bei Pietro, ihrem Lieblingsitaliener in Bonn, genossen, aber der Streit mit Nele hing wie eine düstere Wolke über ihrer Mittagspause. Julia beschloss, auf Dessert und Espresso zu verzichten, um möglichst viel Zeit für die Suche nach Geralds Geschenk zu haben. Sie hatte zwar schon eine Idee, aber wenn sich die als Irrweg herausstellen sollte, brauchte sie noch genug Puffer, um etwas anderes zu finden. Als Erstes ging Julia zu der großen Buchhandlung am Bonner Markt. Mit ein wenig Wehmut erinnerte sich Julia an das Metropol-Kino, das ursprünglich in diesem Gebäude gewesen war. Als Studentin hatte sie mehr als eine Spätvorstellung besucht.
Julia suchte auf der großen Übersichtstafel am Eingang nach der entsprechenden Fachabteilung und ging zielstrebig dorthin. Sie widerstand der Versuchung, sich bei den Unterhaltungsromanen und Krimis umzuschauen. Zu Hause lagen noch zwei ungelesene Romane im Regal, Lesestoff war also noch vorhanden.
Als sie im richtigen Bereich angekommen war, brauchte sie nicht lange, um das Passende zu finden. Sie kaufte einen prächtigen Bildband über schottische Whisky-Sorten mit dem Porträt verschiedener Destillen und ihren jeweiligen Bränden. Genau das Richtige für Gerald – so viel stand fest. Der Rest war dann ein Kinderspiel. Die Straße weiter runter gab es ein Tabakgeschäft. Julia war zwar Nichtraucherin und kannte sich auf dem Gebiet nicht besonders gut aus, aber sie wusste, dass Gerald ab und zu als Genussraucher eine gute Zigarre nicht ablehnte.
»Guten Tag, kann ich Ihnen helfen?«
Der Verkäufer schaute sie auffordernd an, als Julia den Laden betrat und sich suchend umsah.
»Bestimmt können Sie das. Ich benötige ein Geschenk, eine Zigarre für einen Gelegenheitsraucher. Ich hab mir gedacht, das ist eine schöne Zugabe zu dem Bildband über Whisky, den wir ihm schenken werden.«
»Klingt nach einem durchdachten Plan. Whisky und Zigarren«, der Verkäufer lächelte. »Was soll es denn sein?«
»Da fängt mein Problem an: Ich habe überhaupt keine Ahnung, weil ich nie geraucht habe, Zigarren schon gar nicht. Also, ich verlasse mich ganz auf Ihren Rat. Geben Sie mir einfach eine Zigarre für, sagen wir mal, um die dreißig Euro.«
»Okay, da hätte ich was für Sie.«
Und auch dieser Kauf dauerte nicht sehr lange, weil Julia am Ende einfach die Zigarre auswählte, die die hübscheste Verpackungsröhre besaß. Der Verkäufer versicherte ihr, dass sie eine gute Wahl getroffen habe, Julia bezahlte, und schon stand sie wieder in der Fußgängerzone. Jetzt gab es nur noch eine Entscheidung zu treffen: Weiter durch die Stadt bummeln, Zeit hatte sie noch genug, oder zurück nach Föckenrath fahren und wieder Belege sortieren? Julia entschied sich für den Stadtbummel. Sie war heute Vormittag schon recht weit gekommen, den Rest konnte sie leicht morgen erledigen.
Nach wenigen hundert Metern blieb sie vor dem Schaufenster einer Boutique stehen. Ein weißer Trenchcoat fesselte ihre Aufmerksamkeit. Einen Trench in beige hatte ja jeder, aber dieser gefiel ihr besonders. Die Ärmel endeten in einer Manschette in einem hellen Sandton, fast als hätte man sie umgeschlagen, um das Innenfutter zu zeigen. Kurzentschlossen betrat Julia die Boutique. Eine kleine Glocke über der Tür verkündete ihr Eintreten, aus dem hinteren Bereich des Geschäftes kam eine Verkäuferin nach vorne.
»Kann ich Ihnen helfen?«
»Ja, ich interessiere mich für den Trench in Ihrem Schaufenster.«
»Oh, den haben wir ganz neu hereinbekommen. Ist aus der neuen Frühjahrskollektion.«
»Könnte ich ihn einmal anprobieren?«
»Natürlich, Augenblick, ich hole ihn direkt. Ihre Größe?«
»Irgendwas zwischen 42 und 44.«
»Sofort, da müsste ich kurz ins Lager.«
Irgendwas zwischen 42 und 44, dachte Julia mit einem Anflug von Bitterkeit. Bei knapp eins siebzig etwas zu mollig, ich müsste wirklich wieder mehr auf meine Figur achten. Julia nahm sich vor, spätestens ab kommender Woche wieder regelmäßig zum Sport zu gehen. Die teure Mitgliedschaft im Fitnessclub nutzte sie viel zu selten.
»Hier haben wir das gute Stück. Ich habe den Mantel sogar in beiden Größen da. Bitte, kommen Sie doch mit, die Umkleidekabine ist da drüben.« Julia zog vor dem großen Spiegel ihre Jacke aus, und die Verkäuferin half ihr in den neuen Mantel. Ja, der sah wirklich klasse aus, daran gab es keinen Zweifel. Das helle Cremeweiß passte hervorragend zu ihrer wallenden roten Lockenmähne.
»Also, ich finde, dass der Mantel perfekt sitzt«, erklärte die Verkäuferin. »Sehen Sie hier, an den Schultern passt er gut, und auch die Ärmel sind ausreichend lang.« Sie schloss probehalber die Knöpfe und zupfte die Schulternähte noch einmal zurecht, warf dann einen prüfenden Blick auf Julias Handgelenke. »Ich kann es ja nicht ertragen, wenn eine Jacke oder ein Mantel zu kurze Ärmel hat, dann doch lieber einen Zentimeter mehr. Diesen Mantel kann man gut mit einer Jeans oder mit einer Stoffhose kombinieren. Und dazu helle Lederschuhe. Ich hatte gestern eine Kundin, die einfach Sneakers dazu anhatte, das sah auch schick aus. Sie können das wirklich tragen.«
Professionelle Schmeichelei, keine Frage, aber Julia fand, dass heute ein Tag war, an dem sie ein paar Schmeicheleinheiten verdient hatte.
Während sie mit ihrem Gewicht haderte – sie fühlte sich ja nicht wirklich dick, nur manchmal wäre sie gerne etwas schlanker gewesen –, gab es durchaus ein paar Pluspunkte. Die roten Locken gehörten ihrer Meinung nach dazu. Schon seit Jahren hatte sie die gleiche Frisur, einen Mittelscheitel und die Haare mehr als schulterlang. Weitere Punkte auf der Habenseite: strahlend blaue Augen, ein makelloser Teint und ein breites Lächeln, das Hannes gerne als Pretty-Woman-Lächeln bezeichnete. Im Grunde kann ich ganz zufrieden sein, dachte Julia.
Und weil Hannes seit zwei Jahren einer der Geschäftsführer des alteingesessenen Architekturbüros A. Kiepbauer & Partner war, musste sie sich keine Gedanken um Geld machen, schon gar nicht, wenn es nur um den Kauf eines Mantels ging.
»Ich nehme ihn. Wenn Sie vielleicht das Preisschild abtrennen könnten, ich würde ihn gleich anbehalten.«
»Selbstverständlich«, strahlte die Verkäuferin, der natürlich auffiel, dass Julia nicht einmal nach dem Preis gefragt hatte.
Beschwingt ging Julia in ihrem neuen Mantel durch die Stadt zurück zum Parkhaus. Die Sonne schien, und das Wetter war wie ein Vorgeschmack auf den Frühling. Unterwegs registrierte sie ein paar bewundernde Blicke. Ja, keine Frage, der Mantel war die richtige Wahl gewesen. Sie hatte schon lange nicht mehr ein Kleidungsstück einfach spontan und ohne Notwendigkeit gekauft. Dieser Mantel war ein reiner Lustkauf gewesen, und sie bereute ihn nicht im Geringsten.
Manchmal konnte Julia schon an der Art des Klopfens hören, in welchem Gemütszustand sich ihre Tochter gerade befand. Als es diesmal an ihrer Arbeitszimmertür klopfte, war sich Julia ziemlich sicher, dass Nele mit einem Friedensangebot im Gepäck vor der Tür stand. Das Klopfen war nicht forsch oder genervt hektisch, sondern zurückhaltend, fast übervorsichtig.
»Komm ruhig rein, Nele. Ich bin hier fast fertig.«
Julia heftete den Beleg ab, den sie gerade in der Hand hielt, und schloss den Aktenordner. Nele ließ sich in den alten Ohrensessel fallen. Das letzte Relikt aus Julias Studentenbude.
»Stefan ist jetzt weg. Nächste Woche kann er keinen Unterricht geben, da hat er irgendeine Prüfung.«
Stefan war Neles Klavierlehrer, der in der Uni kurz vor dem Abschluss stand und den Julia über ein Schulprojekt kennengelernt hatte.
»Okay, und du hast ihm das Geld gegeben, das ich auf den Tisch gelegt habe?«
»Klar, die Kohle hat er gleich zu Beginn bekommen, damit er sie nicht wieder vergisst.«
»Wollen wir zusammen essen? Oder hast du keinen Hunger?«
Harmlose, beiläufige Fragen, sozusagen das Angebot, auf neutralem Boden zu verhandeln.
Nele nickte zustimmend: »Ich könnte Salat machen.«
Friedensangebot akzeptiert.
»Finde ich gut, vielleicht so in einer Stunde? Ich muss noch ein bisschen wegarbeiten, ich hab morgen das Gespräch bei Dr. Salmer.«
»Du, Mama ...«
»Ja?«
»Also, Marla, Dani und Andrea fanden deinen Kuchen superlecker. Und Andrea will unbedingt das Rezept haben, um ihn nachzubacken, und sie lässt fragen, ob du ...«
Nele schluckte einmal trocken. Julia ahnte, dass das, was jetzt kam, für ihre Tochter eine ziemliche Überwindung sein musste.
»Ob ich was?«
»Na ja, sie lässt fragen, ob du ihr vielleicht drei, vier von diesen Kirschen machen könntest, die würde sie im Leben nicht selber hinbekommen.«
»Bestell Andrea einen lieben Gruß, das würde ich machen, und das Rezept kann sie auch haben.«
»Cool.«
Nele stand auf. Mission Friedensverhandlung fast abgeschlossen.
»Ähm, und ... ich wollte sagen: Sorry wegen heute Mittag. Ich hab mich da wie die übelste Zicke benommen. Die Mädels waren total entsetzt, und da ist mir erst richtig klar geworden, dass das echt mies war von mir.«
»Entschuldigung angenommen. Ich hätte heute früh auch mehr Vertrauen in Marlas Fahrfähigkeiten haben müssen, wenn ihre Eltern doch mit allem einverstanden sind.«
»Ich darf also weiter mitfahren?«
»Ja, Nele, aber nur solange Marla auch die Erlaubnis hat und es keinen Stress mit ihren Eltern gibt.«
»Sehr cool. Danke, Mum. Ich fange dann in einer halben Stunde mit dem Salat an.«
Julia war zwar »Mama« lieber als »Mum«, aber das jetzt zu sagen, wäre wirklich kleinlich gewesen. Als Nele die Tür hinter sich schloss, atmete Julia erleichtert auf. Dauerstreit mit einem Teenager zehrte an den Nerven. So friedlich wie gerade war es ihr viel lieber. Konnte Nele nicht einfach immer so sein? Ich will ja gar nicht, dass wir beste Freundinnen sind. Ich möchte einfach nur eine gute Mutter sein. Julia schaute auf ein Buch, das sie vor ein paar Wochen von Sandra, einer Freundin vom Sport, geschenkt bekommen hatte. Matthias Jung – Untertitel: Am Ende der Geduld ist noch viel Pubertät übrig.
»Da ist was dran«, murmelte Julia lächelnd und nahm sich vor, das Buch endlich mal zu lesen, aber vorher war noch der Stapel Belege fürs häusliche Arbeitszimmer dran.
***
»Wann kommt eigentlich Papa zurück? Wo ist der heute noch mal?«
Nele schaute kauend hoch.
»Zu Frage eins: Wahrscheinlich in einer Stunde so gegen acht. Sein Flugzeug müsste schon gelandet sein, aber bis dann alle raus sind und er im Parkhaus ist, das dauert ja manchmal eine Weile. Außerdem kann niemand sagen, wie es auf der A59 um diese Uhrzeit aussieht. Und Frage Nummer zwei: Hamburg. Da gibt es ein großes Bauprojekt in der Speicherstadt.«
»Nach Hamburg würde ich gern mal. Dani war in den Weihnachtsferien eine ganze Woche in Hamburg, ihre Schwester studiert da oben. Muss echt ꞌne schöne Stadt sein.«
Julia nahm eine neue Gabel Salat. Der war wirklich gut. Nele hatte eine leckere Vinaigrette angerührt, gleichzeitig fruchtig und würzig.
»Schmeckt übrigens toll.«
»Ich hab frischen Orangensaft gepresst.«
»Kannst du öfter machen, das ist gut. Und was Hamburg betrifft: Wir können ja mal zusammen nach Hamburg fliegen. Papa muss dort in den nächsten Wochen manchmal für mehrere Tage bleiben, dann nehmen wir uns alle zusammen ein Apartment. Vielleicht in den Osterferien. Und wir nehmen Dani, Andrea oder Marla mit.«
Nele strahlte übers ganze Gesicht. »Echt jetzt? Das wäre ja krass.«
Julia war zufrieden mit sich. Ging doch, so konnte ein Familienabendessen auch laufen. Okay, shoppen in Hamburg mit Freundin als Köder war natürlich schon berechnend, aber sie genoss auch die Vorfreude, die sie damit bei Nele geweckt hatte.
Die Nachricht von Hannes kam kurz nach dem Abendessen.
Bin immer noch in Hamburg, Maschine hat einen Defekt, warten auf Ersatzmaschine 😫. Hannes
Es hatte früher Zeiten gegeben, da hätte ihr Mann angerufen oder wenigstens noch ein paar Küsschen und einige liebe Worte in seiner Nachricht hinzugefügt, aber seit ein paar Wochen war der Druck im Büro dermaßen groß, dass Hannes in seinen Nachrichten auf Liebesbekundungen völlig verzichtete. Das Hamburg-Projekt musste ein Erfolg werden, dann stünden Kiepbauer und Partner alle Türen offen. Hamburg war der Schlüssel zum Erfolg, und Hannes musste diesen Schlüssel ins Schloss kriegen und umdrehen, so ähnlich hatte sich der Firmenpatriarch Alfons Kiepbauer auf der Weihnachtsfeier gegenüber Julia geäußert.
Julia seufzte. Sie hätte gern den Abend mit Hannes verbracht, aber wer konnte schon wissen, wann er losfliegen würde. Schnell schickte sie ihm ein paar tröstende Worte und einen Smiley mit Kussmund.
Lustlos schaute sie zu, wie Nele sich durch die Fernsehprogramme zappte. Als dann schließlich junge Frauen als Nachwuchsmodels über den Flachbildschirm torkelten, in Kleidern, die aussahen wie große Puddingformen, hatte Julia genug.
»Weißt du was, Schatz, ich leg mich hin und lese noch ein paar Seiten.«
»Okay, Mama. Hast du was dagegen, wenn ich mir noch Chips aus der Küche hole?«
»Nee, mach nur, aber schau, dass es nicht zu spät wird.«
»Kein Problem, die Sendung ist sowieso gleich vorbei.«
»Dann gute Nacht, Nele.«
Julia gab ihrer Tochter im Vorbeigehen einen flüchtigen Kuss auf den Scheitel. Sie dachte an die Jahre, an denen das Ins-Bett-Gehen mit einer langen Schmusephase, mindestens einem halben Bilderbuch Mama Muh oder Pettersson und Findus und einer zusätzlichen, selbst ausgedachten Gutenachtgeschichte verbunden gewesen war. Zeitaufwendig, aber vor allem schön. Jetzt wusste Julia nicht einmal, ob Nele der flüchtige Kuss nicht schon unangenehm war.
»Nacht, Mum.«
Im Bad nahm Julia die Kontaktlinsen heraus und kramte nach ihrer Hornbrille. Ihre Augen brannten, vielleicht vertrug sie die Kontaktlinsen doch nicht so gut. Hannes schwor ja auf seine. Als sie sich kennengelernt hatten, hatte Hannes wie sie eine runde Hornbrille getragen. Seine hellbraunen glatten Haare pflegten ihm damals immer ein bisschen in die Stirn zu fallen. Dazu ein makellos glatt rasiertes Gesicht und ein Grinsen, bei dem Julia dahinschmolz. Als er dann anfing, als Architekt Karriere zu machen, verschwand als Erstes die Hornbrille, danach wurden die Haare mit Gel gebändigt und zurückgekämmt, und schließlich fing er an, einen sorgfältig kultivierten Dreitagebart zu tragen, der zwar cool aussah, beim Küssen aber ziemlich kratzig war.
Julia empfand beim Sport ihre eigene Brille eher als lästig, also hatte sie sich ebenfalls zu Linsen überreden lassen. Aber als sie jetzt aus dem Bad kam, sich ins Bett legte und ihr aktuelles Buch aufschlug, zweifelte sie einmal mehr an ihrer Entscheidung. Beobachten und noch mal mit dem Optiker sprechen, nahm sie sich vor.
Eine halbe Stunde später ertappte sie sich dabei, wie sie einen Absatz zum zweiten und dann zum dritten Mal las, weil sie zwischendurch kurz eingeschlafen war. Julia setzte die Brille ab, schaltete ihre Nachttischlampe aus und kuschelte sich gähnend in eine bequeme Schlafposition. Ein letzter Blick auf den Wecker: Schon halb elf, und Hannes war immer noch nicht da. Sie nahm das Handy vom Tisch und prüfte ihre Nachrichten. Vor zwanzig Minuten hatte er geschrieben, dass er gelandet sei. Dann konnte es ja nicht mehr lange dauern. Julia gähnte erneut. Jetzt brannten ihre Augen wieder, diesmal aber vor Müdigkeit. Ich sollte besser wach bleiben und auf Hannes warten. Mit diesem Gedanken schlief sie ein.
Julia wachte von dem Geräusch der Dusche nebenan auf. Im Zimmer war es noch dämmrig, ihr Wecker zeigte sechs Uhr zwanzig. Hannes war zurück.
Und sie hätte noch zehn Minuten schlafen können, aber daran war jetzt nicht mehr zu denken. Julia schlug die Decke zurück und ging ins angrenzende Badezimmer.
»Guten Morgen, mein Schatz. Du bist aber früh wach.«
Julias Begrüßung sorgte dafür, dass der Schemen hinter der Duschwand erschrocken zusammenzuckte und die Shampooflasche fallen ließ.
»Autsch, Mist, verdammter. Guten Morgen, Julia, musst du mich so erschrecken? Bin gleich fertig, Sekunde.«
Es hatte mal Zeiten gegeben, da hätte Hannes sie eingeladen, zu ihm unter die Dusche zu kommen, aber er hätte sich ganz sicher nicht vor Schreck eine Flasche Shampoo auf den Zeh fallen lassen.
Er ist wirklich überarbeitet, dachte Julia und trat den Rückzug ins Schlafzimmer an.
Zwei Minuten später streckte Hannes den Kopf aus der Badezimmertür.
»Sorry, aber ich muss heute schon um acht wieder im Büro sein, weil doch diese Firma aus München anreist. Kannst du mir einen Anzug und ein Hemd rauslegen?« Hannes warf ihr einen Luftkuss zu. »Danke! Bist ein Schatz.«
Julia, die gerade dabei war, sich den Bademantel zuzubinden, nickte nur. »Ich liebe dich auch.« Das hatte er zwar so nicht direkt gesagt, aber als altes Ehepaar verstanden sie sich auch ohne viele Worte. Eine kleine Stimme im Hinterkopf sagte ihr zwar, dass es auch ganz schön wäre, wenn er öfter mit ihr über irgendetwas sprechen würde, das nicht Teil der täglichen Organisation war, aber wie so oft in letzter Zeit verdrängte sie diesen Gedanken schnell wieder.
»Wann bist du denn zurückgekommen?«
»Du hast tief und fest geschlafen«, tönte es aus dem Badezimmer.
Spät abends wiederkommen, morgens früh raus – so kann das nicht ewig weitergehen, überlegte sie. Hannes braucht dringend eine Auszeit. Quatsch, wir beide brauchen dringend mal Zeit, und zwar miteinander.
Als sie das Sakko von gestern, das Hannes achtlos über eine Stuhllehne gelegt hatte, auf einen Bügel hängen wollte, stieg ihr ein unbekannter Parfümduft in die Nase. Schwer, süßlich, Vanille mit Kopfnote Moschus. Ganz sicher nicht ihr Parfüm. Julia runzelte die Stirn.
»Ich wollte im Hamburger Duty-Free nach deinem Parfüm suchen. Gab es aber leider nicht. Die dusselige Verkäuferin hat mir ein anderes zeigen wollen und dabei gleich den ganzen Stoff eingenebelt.« Julia fuhr herum. Hannes stand in der Badezimmertür, ein Handtuch um die Hüften, und grinste schief. Offenbar hatte er ihren nachdenklichen Gesichtsausdruck bemerkt. Julia hängte das Sakko außen an den Schrank.
»Danke, dass du das Parfüm nicht gekauft hast. Wir lassen das mal auslüften. Wenn der Geruch nicht rausgeht, bringe ich es in die Reinigung.«
»Ist gut.« Hannes verschwand wieder im Bad, ließ aber die Tür offen. »Und was machst du heute?«, rief er über das Surren des elektrischen Rasierers hinweg.
Julia griff nach einem grauen Anzug und wählte ein passendes Hemd aus.
»Deine Sachen leg ich aufs Bett. Ich treffe mich heute mit Dr. Salmer, die Unterlagen sind fertig.«
»Super, Mensch, da fällt mir aber ein Stein vom Herzen.«
»Du wirst noch glücklicher sein, wenn ich dir sage, dass Geralds Geschenk fix und fertig verpackt im Wohnzimmer liegt, musst du gleich nur mitnehmen.«
»Stimmt, Gerald hat ja heute Geburtstag.«
Hannes kam zu ihr und küsste sie sanft. »Danke für alles, Schatz. Ich brauch übrigens keine Krawatte, aber wenn du einen Becher Kaffee ...«
»Der Vollautomat streikt seit gestern, wir haben keine Entkalkungstabletten mehr, aber das mit dem Kaffee kriege ich schon hin.«
Als Julia an Neles Zimmer vorbeiging, hörte sie leise Musik. Alles klar, Neles Wecker war auch schon angesprungen. Dann konnte sie sich ja jetzt um den Kaffee kümmern. Gähnend ging Julia die Treppe herunter. Eigentlich ein ganz normaler Morgen.
***
Dr. Rudolf Salmer war Partner in einer großen Kölner Steuerberatungskanzlei und seit zwei Jahren Julias und Hannes' Steuerberater. Eine Empfehlung von Alfons Kiepbauer, die sich in Julias Augen bereits mehr als ausgezahlt hatte. Dr. Salmer war stets korrekt, fast schon penibel, und zeigte keine Ambitionen, mit riskanten Steuer-Spar-Ideen Eindruck zu schinden. Dafür war das, was er vorschlug, so wasserdicht, dass Julia mittlerweile seinen Ratschlägen blind vertraute. Dr. Salmer hatte in ihren Augen noch einen weiteren Bonuspunkt: Er wohnte mit seiner Frau ebenfalls in Föckenrath. Und weil beide Seiten das ganz praktisch fanden, hatte es sich eingespielt, dass die gemeinsamen Treffen in der Regel im heimischen Arbeitszimmer des Privathauses Salmer stattfanden.
An diesem Morgen entschied sich Julia dazu, die beiden Aktenordner in einer großen Tasche zu verstauen und zu Fuß zu ihrer Verabredung mit Dr. Salmer zu gehen.
Föckenrath morgens kurz nach zehn. Eine Geisterstadt, die von Pendlern lebte. Böswillig ausgedrückt hätte man die Vorzüge von Föckenrath in einem einzigen Satz zusammenfassen können: Föckenrath – nur fünfzehn Kilometer bis Bonn.
Der Ort hatte ursprünglich mal aus einer alten Kirche, einer Handvoll Häusern rund um einen Dorfplatz und ein paar Bauernhöfen im weiteren Umfeld bestanden. Guter Ackerboden, mildes Klima, ähnlich wie im benachbarten Meckenheim und Rheinbach, ein idealer Standort für Obstbaumplantagen.
Dann aber hatten sich drei Landwirte entschlossen, ihre Äcker zu verkaufen, und so war innerhalb von wenigen Jahren eine ganz neue Ortschaft entstand. Föckenrath 2.0 sozusagen. Eine Stadt, in der so gut wie jede Familie morgens nach Bonn oder Köln pendelte. Günstiges Bauland für gediegene Einfamilienhäuser, keine sozialen Brennpunkte. Größter Aufreger der letzten Jahre: Einige Teenager rauchten einen Joint auf dem Hinterhof des Gasthofs Goldene Linde.
In Julias Augen hatte Föckenrath keine Probleme, war aber mit seinen auf dem Reißbrett geplanten Straßenzügen in etwa so reizvoll wie eine Fertighaus-Ausstellung. Nett anzusehen, aber ohne Seele. Als sie und Hannes damals nach einem Baugrundstück gesucht hatten, war ihnen beiden Föckenrath wie eine gute Wahl erschienen. Hannes, weil er dem Neubau seinen eigenen Stempel als Architekt hatte aufdrücken können, und Julia, weil ihr mit einem Kleinkind der Garten, die ruhigen Straßen, ein guter Kindergarten und eine Grundschule in der Nähe wichtig gewesen waren.
Hier herrschte zweimal am Tag Hektik. Morgens, wenn alle in Richtung Autobahn unterwegs waren, und abends, wenn man den Arbeitsplätzen den Rücken gekehrt hatte. Dazwischen aber lag eine gespenstische Ruhe über den breiten, beängstigend sauberen, schnurgeraden Straßen.
Auf ihrem Weg zu Dr. Salmer begegnete Julia insgesamt nur drei Personen. Alles Frauen, die mit Hunden unterwegs waren. Auch das war vielen Föckenrather Familien gemeinsam: Die Mütter sorgten dafür, dass die Männer Richtung Arbeit und die Kinder zur Schule kamen, dann stand der obligatorische Spaziergang mit dem Familienhund auf der Tagesordnung, bevor schließlich der Haushalt und die Vorbereitungen des Mittagessens an der Reihe waren. Es war diese Routine und das überholte Rollenbild, das Julia zu schaffen machte. Wie hatte es nur dazu kommen können, dass sie selbst in genau dieser Rolle gelandet war? Ich werde mir auf keinen Fall einen Hund anschaffen, so viel steht fest, nahm sie sich vor.
Föckenrath war für Julia nur eine Lösung auf Zeit. Das Haus war geräumig, und Nele hatte eine gute Anbindung zu ihrer Schule. Sobald Nele aber anfängt zu studieren, werden wir nach Köln ziehen, dachte Julia, schließlich haben wir nicht umsonst die große Penthousewohnung mitten in der Kölner Altstadt gekauft. Der Kauf der Wohnung im letzten Herbst war nicht nur eine gute Geldanlage, das hatte Dr. Salmer bestätigt, es war vor allem Julias innerer Rettungsring, wenn ihr das sterile Föckenrath wieder mal aufs Gemüt schlug. Sie freute sich schon auf das quirlige Treiben in der Domstadt, die Abende, in denen sie mit Hannes durch die Gassen, Kneipen und Bars schlendern konnte, ohne sich Gedanken über den Rückweg machen zu müssen.
Was dieser Plan allerdings noch nicht beantwortete, war die Frage, was sie dann in Köln tun wollte. Immerhin gab es dort genügend Unternehmen mit einer eigenen Marketingabteilung, wo sie sich bewerben könnte. Aber darüber denke ich nach, wenn es so weit ist. Entschlossen öffnete Julia das kleine Gartentor zum Grundstück der Salmers. Jetzt ging es erst einmal darum, die Finanzunterlagen auf einen aktuellen Stand zu bringen. Erst das Geld, dann das Leben. Julia musste über ihren eigenen Pragmatismus lächeln.
***
»Ich muss wirklich sagen, Sie haben da ganz hervorragend vorgearbeitet, Frau Schumann.«
Rudolf Salmer schlug den Aktenordner zu und lehnte sich zurück. »So wie ich das beim ersten Überschlag der Zahlen beurteilen kann, geht unsere Strategie der Geldanlagen auf. Die Penthousewohnung in Köln wird eine ordentliche Rendite abwerfen, ganz gleich, ob Sie sie erst einmal selbst nutzen und später wieder verkaufen, oder ob Sie sie dauerhaft vermieten. Und auch sonst sehen Ihre Finanzen sehr solide aus. Ich bin darüber auch wirklich froh ...« Salmer zögerte kurz. Julia schaute ihn aufmerksam an, das Zögern ließ sie aufhorchen. »Stimmt etwas nicht?«
»Nein, ganz im Gegenteil«, der Steuerberater hob beschwichtigend die Hände, »mir ist nur gerade wieder der aktuelle Fall einer anderen Mandantin eingefallen. Das habe ich so oder in ähnlicher Form schon oft gesehen. Sie hat zuerst ihrem Gatten das Studium finanziert und später viele der laufenden Kosten übernommen, dafür besparte er die Lebensversicherung und hat die Raten für die Eigentumswohnung gezahlt. Er hat sich dann in eine andere Frau verliebt und ist ausgezogen. Jetzt steht sie alleine da. Hat alle Kosten am Hals, Raten für eine Eigentumswohnung, die sie sich nicht leisten kann und keine Absicherung. Sie wusste nicht, dass die Lebensversicherung nur auf seinen Namen lief. Hat sich um nichts gekümmert und ihrem Mann vertraut.«
Julia lachte kurz auf. »Und Sie machen sich Sorgen, dass mir das auch passieren könnte? Ganz sicher nicht, Herr Dr. Salmer. Dazu müsste mein Mann erst einmal die Zeit finden, sich überhaupt nach einer anderen Frau umzusehen.«
»Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich wollte nicht andeuten, dass etwas in Ihrer Ehe ... ähm ... schiefläuft. Ich meinte nur, dass wir glücklicherweise bei Ihnen, Frau Schumann, eine ganz andere Situation haben. Die geschlossenen Verträge sind wasserdicht. Sie besitzen genau die Hälfte des Vermögens, das Haus und die Wohnung laufen auch auf Ihren Namen. Ich bin wirklich froh, dass Sie so abgesichert sind.« Salmer klopfte mit der flachen Hand auf den Aktenordner. »Nebenbei bemerkt, mit Ihrer Vorarbeit hier könnten Sie auch jederzeit in meiner Kanzlei anfangen. Ich habe schon gestandene Steuerberater gesehen, die Unterlagen nicht so akkurat zusammenstellen konnten. Eigentlich brauchen Sie und Ihr Gatte gar nicht meine Unterstützung.«
Jetzt musste Julia breit lächeln. »Glauben Sie mir, die brauchen wir ganz sicher, denn ich verrate Ihnen mal ein kleines Geheimnis: Hannes ist ein absoluter Ablagemuffel, und mir macht das Ganze auch nicht wirklich Spaß. Im Gegensatz zu meinem Mann weiß ich aber, wie wichtig es ist, dass alles seine Ordnung hat. Und herzlichen Dank für das Lob, ich bin froh, dass Sie mit den Unterlagen zufrieden sind.«
Salmer seufzte mit einem Grinsen im Gesicht, was ihn auf einen Schlag viel weniger steif und förmlich wirken ließ. »Schade, ich hatte gehofft, Sie für uns gewinnen zu können.«