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Eigentlich könnte Sophie sich auf ihrem Erfolg ausruhen. Die Gäste ihres kleinen Mühlen-Bistros sind voll des Lobes über die einfallsreiche Küche, und die Reservierungsbücher stets gut gefüllt. Aber Sophie hat schon ein neues Ziel vor Augen: einen Gastro-Stern für ihr Restaurant!
Ihren Chefkoch Louis braucht Sophie nicht lange von ihrer Idee zu überzeugen. Schließlich liegt ihm das Kochen im Blut. Auch sein Onkel ist erfolgreicher Spitzenkoch in Frankreich. Mit ganz neuem Schwung entwickelt Louis neue Rezepte und Kreationen. Tatkräftig unterstützt ihn dabei Melanie, die im Bistro eine Ausbildung zur Köchin macht. Voller Begeisterung stürzen sie sich in die Arbeit.
Sophie entgeht nicht, dass die beiden auch außerhalb der Küche ein tolles Paar abgeben. Soll sie dem Liebesglück ein wenig auf die Sprünge helfen? Und wird es ihr tatsächlich gelingen, die unerbittlichen Restaurantkritiker von ihrer kreativen Küche zu überzeugen?
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Seitenzahl: 313
Cover
Weitere Titel der Autorin
Über dieses Buch
Über die Autorin
Titel
Impressum
Widmung
Vorwort: Willkommen in Wümmerscheid-Sollensbach
Prolog
Etwas ist anders
Ich weiß gar nicht, was die anderen haben
Wümmerscheid-Sollensbach voran
Auf einer Waldlichtung
Ein Hoch auf neue Ideen
Louis hat Liebeskummer
Der Ruf des Lattenlurchs
Sophie will zu den Sternen
Kochmütze und Bandana
Kulinarische Experimente
Melanies Küchenbrigade
Meerkind
Acht Gänge
Ausgebucht
Wir brauchen keinen freien Tag
Sie ist woanders
Alles auf Erfolg
Engagierte Servicekraft gesucht
Ja, Chef!
Heimweg unter Sternen
Nicht im Buggy
Sophie rechnet
Mittwoch, 1. April, zwei Uhr morgens
Superwoman
Donnerstag, 2. April, zwei Uhr morgens
Karin
Freitag, 3. April, zwei Uhr morgens
Die Dame an Tisch neun
Adelheid ... isst
Peters Idee
Etepetete-Atmosphäre
Louis denkt nach
Sonderzutat Lurch
Daumen hoch für Elsie
Entscheidung mit Folgen
Diego E. Tonte
Ein richtiges Messer
Ein Koch mit Charakter
Küchenpläne
Drei Gespräche ...
In der Nacht
... und ein Telefonat
Der Rausschmiss
Und es kam schlimmer
Irrtum ist die Mutter der Einsicht
Elsie geht
Es geht vielleicht auch anders
Gute Freunde
Sophie und ihre zwei Projekte
Tschüs, Lattenlurch
Rezepte
Sommerliche Karottensuppe für Das kleine Café an der Mühle
Karins klare Suppe mit Kräutern und Parmesan-Croûtons
Hettis gute Gulaschsuppe
Consommé double von Melanie
Und Erwin? Erwin liebt Kartoffelsuppe
Danksagung
Das kleine Café an der Mühle
Winterzauber im kleinen Café an der Mühle
Frühlingsglück im kleinen Café an der Mühle
Sommerzauber auf der kleinen Insel
Der Sommer hat doch Meer zu bieten
Eigentlich könnte Sophie sich auf ihrem Erfolg ausruhen. Die Gäste ihres kleinen Mühlen-Bistros sind voll des Lobes über die einfallsreiche Küche, und die Reservierungsbücher stets gut gefüllt. Aber Sophie hat schon ein neues Ziel vor Augen: einen Gastro-Stern für ihr Restaurant!
Ihren Chefkoch Louis braucht Sophie nicht lange von ihrer Idee zu überzeugen. Schließlich liegt ihm das Kochen im Blut. Auch sein Onkel ist erfolgreicher Spitzenkoch in Frankreich. Mit ganz neuem Schwung entwickelt Louis neue Rezepte und Kreationen. Tatkräftig unterstützt ihn dabei Melanie, die im Bistro eine Ausbildung zur Köchin macht. Voller Begeisterung stürzen sie sich in die Arbeit.
Sophie entgeht nicht, dass die beiden auch außerhalb der Küche ein tolles Paar abgeben. Soll sie dem Liebesglück ein wenig auf die Sprünge helfen? Und wird es ihr tatsächlich gelingen, die unerbittlichen Restaurantkritiker von ihrer kreativen Küche zu überzeugen?
Andreas J. Schulte ist freier Journalist und Autor. Christine Schulte hat bereits in ihrer Schulzeit zusammen mit einer Freundin ihren ersten Roman verfasst und arbeitet heute als technische Redakteurin. Das Ehepaar lebt mit seinen beiden Söhnen seit 25 Jahren in einer alten Scheune zwischen Andernach und Maria Laach. Unter dem Pseudonym Barbara Erlenkamp schreiben sie zusammen moderne, humorvolle Frauen- und Unterhaltungsromane.
Barbara Erlenkamp
Originalausgabe
»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG
Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Clarissa Czöppan
Lektorat/Projektmanagement: Anna-Lena Meyhöfer
Covergestaltung: Maria Seidel, atelier-seidel.de unter Verwendung von Motiven © iStockphoto: walrusmail; © Shutterstock: Joca de Jong
eBook-Erstellung: 3w+p GmH, Rimapr (www.3wplusp.de)
ISBN 978-3-7517-0178-5
www.be-ebooks.de
www.lesejury.de
Für Matti
In uns selbst liegen die Sterne unseres Glücks.
Heinrich Heine
Wo ist Wümmerscheid-Sollensbach? Das sind wir schon oft gefragt worden. Die Antwort ist: Der kleine Ort liegt irgendwo oberhalb von Cochem, zwischen Mosel und Eifel. Genauer können wir es leider nicht sagen, denn dieses Doppeldorf mit seinen charmanten Bewohnern ist frei erfunden.
Es ist ohne weiteres möglich, den vierten Band Glückssterne über dem kleinen Café an der Mühle zu lesen, ohne die Vorgeschichte zu kennen. Allen, die es etwas genauer wissen wollen, stellen wir hier die wichtigsten Personen kurz vor.
Sophie von Metten ist noch ziemlich neu im Ort. Sie hat das kleine Café an der Mühle von ihrer Tante Dotti geerbt und betreibt es jetzt mit riesigem Erfolg als Tante Dottis Bistro. Mit ihrer freundlichen, zupackenden Art und vielen kreativen Einfällen hat sie in kurzer Zeit die Herzen der Dorfbewohner erobert und ist aus ihrer Mitte nun gar nicht mehr wegzudenken. Vor kurzem haben sie und Peter geheiratet. Ihr erstes Kind, Lisa, ist gerade auf die Welt gekommen.
Peter von Metten (geb. Langen) ist der glückliche, frischgebackene Vater und Sophies Ehemann. In seinem Beruf als Marketingfachmann kann er oft von zu Hause arbeiten. Herrn Württemberg, den süßen, braun gelockten Labradoodle, hat er mit in die Ehe gebracht.
Rita, fröhliche Society-Lady, Heidi, früher eine berühmte Sterneköchin, und Karin, eine ruhige, herzliche Bankerin, treffen sich regelmäßig zur Pokerrunde in Tante Dottis Bistro. Alle drei sind um die sechzig und waren mit Dotti eng befreundet. Nach Dottis Tod sind sie für Sophie wie eine zweite Familie geworden.
Leonie ist Heidis erwachsene Tochter. Sie hat lange in Frankreich gelebt, bis ihre Ehe in die Brüche ging. Vor mehr als einem Jahr ist sie mit ihrer kleinen Tochter Marie nach Wümmerscheid-Sollensbach gezogen. Leonie und Sophie sind längst beste Freundinnen geworden. Leonie hat im Ort eine neue Liebe gefunden: Sie ist glücklich mit Jan, einem sehr guten Freund von Peter, zusammen.
Jean-Pierre Garbon ist ein begnadeter Koch aus Frankreich und ein alter Freund von Heidi. Die Anfangszeit im kleinen Café an der Mühle hat er mit begleitet, Sophie hat er beigebracht, was sie über das Kochen wissen muss, und bei seinem letzten Besuch in Deutschland hat er sich endlich ein Herz gefasst und Heidi seine Liebe gestanden. Chefkoch im Restaurant ist inzwischen sein Neffe Louis Garbon.
Melanie absolviert in Tante Dottis Bistro gerade ihre Ausbildung zur Köchin. Aus der Bistroküche ist sie bald kaum noch wegzubekommen. Ob das nur an den tollen Kochrezepten liegt?
Dann sind da noch die charmanten, wenn auch manchmal etwas schrulligen Dorfbewohner von Wümmerscheid und Sollensbach. Immer wieder begegnen wir Tischlermeister Hermann Weibold und dem Metzger-Ehepaar Hetti und Johannes Braubart. Und natürlich all den anderen, die dieses Doppeldorf so liebenswert machen.
Der Lattenlurch ist eine seltene Amphibienart, deren Entdeckung in Wümmerscheid-Sollensbach den Ort fest auf der Landkarte des Öko-Tourismus verankert hat.
Für Sophie und ihr Bistro stehen alle Zeichen auf Erfolg. Sie ist sich sicher, wohin ihr Weg führt: in die Spitzengastronomie.
Es war Liebe auf den ersten Blick.
»Da bist du ja, kleine Lisa«, flüsterte Sophie. Erst wenige Minuten zuvor hatte ihr Baby das Licht der Welt erblickt. Die Hebamme hatte Mutter und Kind versorgt und wandte sich nun zum Gehen. »Frau von Metten, Herr von Metten, ich lasse Sie beide mal für ein Weilchen alleine. Sie brauchen jetzt ein bisschen Zeit für sich. Zur Ruhe kommen, Ihre kleine Tochter willkommen heißen. In einer Stunde bin ich wieder bei Ihnen. Wenn irgendetwas sein sollte, brauchen Sie nur da drüben auf den Klingelknopf zu drücken.« Leise schloss sich die Tür des Kreißsaals hinter ihr.
»Ich konnte mir nie vorstellen, dass es so kleine Menschen überhaupt gibt.« Peter strich vorsichtig über das Köpfchen seiner Tochter. Unglaublich, er und Sophie waren jetzt Eltern. »Schau nur, diese kleinen Fingerchen. Sogar richtige Fingernägel hat sie schon. Mein Gott, wie winzig. Und diese schönen dunkelbraunen Haare ... bestimmt hat sie später mal genau solche Locken wie du.« Er lächelte seine Frau zärtlich an. »Deine Locken und deine braunen Augen, das wäre herrlich. Dichte lange Wimpern hat sie schon. Genau wie du.«
Sophie lehnte erschöpft in den Kissen. Ganz dicht schmiegte sich das Babyköpfchen in die Kuhle an ihrem Hals. Sie schloss die Augen und schnupperte. »Das riecht so gut. Ich wusste nicht, dass ein Baby so gut riecht.« Immer noch mit geschlossenen Augen murmelte sie: »Ich bin müde. Dieses Kind auf die Welt zu bringen war das Anstrengendste, was ich je gemacht habe.«
»Ruh dich aus, Liebste, ich bin ja da.« Peter schluckte. »Ich passe auf euch auf. Mach du ruhig die Augen zu, ich bin da.«
»Ich glaube, besser kann es einfach nicht mehr werden«, murmelte Sophie im Halbschlaf.
»Ich glaube, es kann einfach nur noch besser werden«, murmelte Sophie schlaftrunken und schlug die Bettdecke zurück, um aufzustehen. Peter drehte sich auf seiner Bettseite mit einem leisen Grunzen um und vergrub den Kopf unter dem Kissen. So zeigte er unbewusst, dass er nicht derjenige war, der aufstehen musste. Auch Sophie wäre am liebsten liegen geblieben, wobei ... heute ging es ihr überraschend gut. Vielleicht gewöhnte sich der Körper ja daran, mitten in der Nacht aufzustehen, um im Halbschlaf Windeln zu wechseln und ein Baby zu stillen. Sie hatte von Frauen gelesen, die danach mühelos wieder einschlafen konnten. Bei ihr dagegen war es leider anders. Sie brauchte gefühlt eine kleine Ewigkeit, um wieder in den Schlaf zu finden.
Warum bin ich überhaupt wach geworden?, ging es Sophie durch den Kopf. Hat Lisa geweint? Jetzt ist alles still, aber etwas hat mich doch geweckt. Sophie blinzelte im Dunkeln in Richtung Digitalanzeige des Weckers, der auf dem Nachttisch stand. Der zeigte zwei Minuten nach sechs. Sie zuckte erschrocken zusammen. Sechs Uhr, unmöglich! Gleich darauf der zweite Schreckensgedanke: Lisa!
Sophie sprang aus dem Bett und tastete sich am Bett entlang zum hinteren Teil des Schlafzimmers. Als das Haus renoviert worden war, hatte Peter vorgesehen, dass hier eine Art Ankleidezimmer, ein begehbarer Kleiderschrank, entstehen sollte. Vorerst stellten sie aber nachts die Wiege in diesen Teil des Schlafzimmers. So war Lisa nah bei ihnen, aber die Kleine wurde nicht vom Licht gestört, wenn sie abends ins Bett gingen oder Peter noch ein, zwei Seiten las. Tagsüber schoben sie die Wiege in Lisas Kinderzimmer. Schon beim Nähertreten hörte Sophie ... nichts. Nur ein leises Schnaufen. Sie trat an die Wiege. Lisa schlief tief und fest. Im matten Schein des Nachtlichts sah Sophie, dass ihre Tochter auf dem Rücken lag, die beiden Arme rechts und links vom Kopf angewinkelt, den Schnuller fest im Mund. Der Inbegriff von tiefer Entspannung und Geborgenheit. Sophie stand einfach nur da und staunte über das kleine Wesen. Wie wunderhübsch Lisa in der alten geschnitzten Wiege mit dem zarten, fast transparenten Stoff als Himmel aussah. Das war ihre Tochter, und sie schlief, obwohl es schon sechs Uhr war. Lisa hatte zum ersten Mal durchgeschlafen. Sophie durchströmte ein Gefühlsmix aus tiefer Dankbarkeit und Glück. Endlich! Sie musste nicht mehr mitten in der Nacht wach werden, ihren eigenen Schlaf in Drei-Stunden-Intervallen unterbrechen. Durchgeschlafen – das Zauberwort, auf das sie so sehnsüchtig gewartet hatte. Kein Wunder, dass ich von alleine aufgewacht bin, so lange habe ich seit Wochen nicht mehr am Stück geschlafen. Sophie überlegte einen Moment, ob sie sich zurück ins Bett legen sollte, aber das würde möglicherweise Peter aufwecken, und er hatte sich seinen Schlaf auch verdient. Sie schaltete das Babyfon an, nahm den Empfänger aus der Ladestation neben der Tür und schlich aus dem Schlafzimmer durch den Flur die Wendeltreppe hinunter.
Als sie das Haus von ihrer Tante Dotti geerbt hatte, hatte es im Obergeschoss nur wenige Zimmer gegeben. Im Untergeschoss lagen die große Küche, Toiletten und natürlich der Gastraum des Cafés, das Dotti mehr als Hobby ins Leben gerufen hatte. Ein eigenes Wohnzimmer? Fehlanzeige! Dotti, du hast dir das nicht nur mit dem Café leicht gemacht, hatte Sophie gedacht. Dotti war zeit ihres Lebens eine genügsame Frau gewesen, die sich offenbar mit einem Ohrensessel im Arbeitszimmer als Rückzugsort zufriedengegeben hatte.
Wie anders dagegen sah jetzt der Mühlenhof aus. Nach ihrer Hochzeitsreise hatte Peter sie damit überrascht, dass der ehemalige Anbau, der seit Jahrzehnten kein Mühlenrad mehr enthielt, komplett umgebaut worden war. In kürzester Zeit waren hier ein herrlich großes Wohnzimmer und ein angebauter Wintergarten entstanden, dazu im ersten Stock ein größeres Schlafzimmer, Kinderzimmer und zwei Gästezimmer. Möglich war das alles nur geworden, weil sich halb Wümmerscheid-Sollensbach an dieser außergewöhnlichen Überraschung beteiligt und unzählige Helfer und Handwerker mit angepackt hatten.
Sophie ging ins Wohnzimmer. Herr Württemberg, der braun gelockte Labradoodle der Familie, hob den Kopf und verfolgte aus seinem Hundekorb heraus ihre Schritte. Als er sicher war, dass sie sich auf das Sofa mit Blick in den Garten setzen würde, sprang er schnell aus seinem Korb und suchte ihre Nähe. Sophie klopfte mit der flachen Hand auf das Polster, das vereinbarte Kommando, dass der Hund sich neben sie legen durfte. Mit einem leisen Winseln genoss er, dass Sophie ihm den Kopf kraulte.
Neben dem Sofa auf dem Beistelltisch lag ein kleines dunkelblaues Album. Das Album war gestern mit der Post gekommen, und Sophie hatte es nur flüchtig durchblättern können. Jetzt nahm sie es vom Tisch und schlug es auf. Miri, ihre alte Freundin aus Hamburger Tagen, hatte ihr dieses Fotoalbum überraschend geschickt. Sophie nahm den kurzen Brief heraus, der vorne im Album lag.
Liebe Sophie, dieses Fotoalbum ist deshalb entstanden, weil ich meinen alten Computer ausmustern musste und vorher den Foto-Ordner durchgeschaut und kopiert habe. Dabei ist mir aufgefallen, dass es viele Fotos gibt, die dich bestimmt auch interessieren. Deshalb bekommst du heute mal ganz klassische Abzüge. Viel Spaß beim Durchblättern. Ich freue mich schon auf unser nächstes Treffen. Gib Lisa und Peter einen dicken Kuss von mir. Deine Miri.
Sophie legte den Brief auf den Tisch und begann sich die Fotos anzusehen. Gleich auf den ersten Seiten gab es Aufnahmen von ihren ersten Wochen im Mühlenhof. Sie hatte das Café damals gerade erst übernommen und, um Geld zu sparen, die meisten Renovierungsarbeiten selbst gemacht. Ihre beste Freundin Miri hatte es sich nicht nehmen lassen, extra aus Hamburg anzureisen und ihr zu helfen. Auf einem Bild lächelte Sophie farbverschmiert in die Kamera, während sie den Gastraum neu strich, ein anderes Foto zeigte sie beim Zusammenbau der Bistrotische. Damals war Peter für sie nur ein Nachbar gewesen, der sie und Miri zum Essen eingeladen hatte. Es fühlte sich an, als wäre das alles schon Lichtjahre her. Miri hatte auch noch ein paar ältere Schnappschüsse aus Hamburg eingeklebt. An einen Abend erinnerte sich Sophie noch gut, sie hatte damals während des Studiums für ein Szenemagazin geschrieben und für sich und Miri Backstage-Ausweise für ein Konzert ergattert. Irgendjemand hatte dann von der Hamburger Lokalband, Sophie und Miri ein Gruppenbild gemacht. Himmel, ich sehe ziemlich angetrunken aus. Wir hatten viel Spaß in Hamburg, so viel steht mal fest, dachte Sophie. Als sie die letzte Seite aufschlug, musste sie unwillkürlich schlucken. Da saß eine zufrieden lächelnde Tante Dotti auf einer Parkbank an der Alster. Stimmt, bei einem von Dottis Besuchen in Hamburg sind wir zu dritt Eis essen gegangen. Das Foto zeigte Dotti, wie Sophie sie immer in Erinnerung behalten würde: knapp einen Meter siebzig groß, schlank, ohne auffallend dünn zu sein. Die grauen Haare zu Dauerwellenlöckchen frisiert. Eine Frau, die genau wusste, was sie wollte, und die es genoss, in der Sonne zu sitzen. Eine hübsche Frau, die eine ungeheure Natürlichkeit und Lebenslust ausstrahlte.
»Du siehst Dotti unglaublich ähnlich, weißt du das?«, sagte eine Stimme hinter ihr. Sophie drehte sich um, sie hatte Peter gar nicht gehört. Der beugte sich vor und küsste sie sanft.
»Guten Morgen, mein Schatz. Ich habe mich kurz gewundert, wo du sein könntest.«
»Lisa hat durchgeschlafen, ist das nicht toll?«
»Halleluja. Kein Wunder, dass ich so ausgeruht und munter bin. Ich dachte zuerst, ich hätte heute Nacht nichts gehört und du hättest dich alleine um alles gekümmert.«
»Nein, musste ich gar nicht.« Sophie strahlte ihren Mann an. »Ich denke, wir haben es geschafft, Peter.«
»Hoffen wir das Beste. Ich würde sagen, wir sind erst dann durch, wenn mir Lisa den ersten Becher Kaffee ans Bett bringt. Bis es so weit ist, freue ich mich aber über jeden Fortschritt. Apropos Becher Kaffee ans Bett: Wie sieht es mit einem großen Milchkaffee aus, Prinzessin?«
»Für einen Kaffee würde ich morden.«
»Gut, so weit will ich es nicht kommen lassen. Ich geh rasch in die Küche und mach uns zwei Becher fertig. Soll ich das Babyfon mitnehmen, damit du ins Bad gehen kannst?«
»Wenn du nichts dagegen hast, würde ich hier einfach noch etwas sitzen bleiben und zuschauen, wie der Tag draußen anfängt.«
Peter küsste sie noch mal und sagte dann: »Das wird der erste von vielen tollen Tagen, ich verspreche es dir.«
Die Räder des Kinderwagens rumpelten den geschotterten Feldweg entlang. Ich bin so froh, dass wir das Modell mit der Extra-Federung genommen haben, dachte Sophie nicht zum ersten Mal. Das schüttelt einem ja schon beim Schieben fast die Plomben aus den Zähnen.
Sie war auf ihrer liebsten Runde unterwegs, die in einem weiten Bogen auf den Hügeln rund ums Dorf verlief. Wie immer am späten Vormittag hatte sie Lisa gestillt, gewickelt und war dann losgelaufen. Und wie immer war Lisa verlässlich eingeschlafen, sobald der Kinderwagen auf dem rauen Weg durchgeschüttelt wurde. Sophie war das ganz recht. Sie hatte sich vorgenommen, die Kilos abzuspecken, die sie während der Schwangerschaft zugenommen hatte. Und zwar bis aufs letzte Gramm. Was war besser dafür geeignet, als jeden Tag in schnellem Tempo lange Spaziergänge zu machen?
Jetzt den Berg hoch. Auf der einen Seite des Wegs befand sich ein kleines Eichenwäldchen, das einen willkommenen Schatten auf den Weg warf. Sie blieb kurz stehen, um zu verschnaufen. Plötzlich war es ganz still. Erst jetzt fiel Sophie auf, wie viel Lärm der Kinderwagen beim Fahren auf dem steinigen Boden machte. Es war ein perfekter Sommertag. Hoch oben am blauen Himmel zwitscherte eine Lerche. Ein leichter, angenehmer Wind sorgte dafür, dass es trotz der strahlenden Sonne nicht allzu heiß war. Von hier oben hatte man einen guten Blick auf Wümmerscheid-Sollensbach, das Doppeldorf, in dem sie nun schon seit mehreren Jahren zu Hause war. Auf der einen Seite lag Wümmerscheid mit seinen hübschen Bruchsteinhäusern, vereinzelten Geschäften und verwinkelten kleinen Gässchen. Auf der anderen Seite sah man Sollensbach, mit seinen ebenso schönen Bruchstein- und Fachwerkhäusern und einem kleinen Einkaufszentrum. Und mittendrin im Niemandsland zwischen den beiden Ortsteilen, auch das konnte sie deutlich von hier aus erkennen, befand sich der Grund, warum sie überhaupt an der Mosel gelandet war: ihr kleines Café, dem sie unter dem Namen Tante Dottis Bistro zu ungeahnten Erfolgen verholfen hatte.
Die Bruchsteinmauern auf der Rückseite des alten Mühlengebäudes lagen um die Mittagszeit im Schatten. So wurde es auch im Wintergarten, der seit letztem Jahr ihren privaten Wohnraum erweiterte, während der heißesten Stunden des Tages nicht zu warm. Glücklich seufzte Sophie, während sie den Blick über die kleine Gebäudegruppe schweifen ließ. Alle im Dorf nannten das Ganze immer noch den Mühlenhof, obwohl es schon viele Jahrzehnte her war, dass hier zuletzt eine Wassermühle gelaufen war. In ihrem kleinen privaten Garten leuchteten die Sonnenblumen, die sie im Frühjahr ausgesät hatte. Im Außenbereich hinter dem Bistro war ihre Auszubildende Melanie zusammen mit einer der neuen Kellnerinnen schon dabei, für die Mittagsgäste die karierten Tischtücher auf den Gartentischen auszubreiten, die Kissen aufzuschütteln und die gelben Sonnenschirme aufzuspannen.
Ein neues Geräusch durchbrach die Stille. Schnaufen, Knirschen und schnelle Schritte: Da war hinter ihr jemand zum Joggen unterwegs. Neugierig drehte sich Sophie um.
»Na, kleine Verschnaufpause?«, rief ihr die Joggerin zu. Ihr rosa Laufshirt war, das konnte Sophie im Näherkommen sehen, schon ganz durchgeschwitzt.
»Oh, hallo, Jennifer!«
Die war inzwischen bei Sophie angekommen und blieb stehen. »Hach, ist das schön hier im Schatten.« Jennifer pustete eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Ich hab vor zwei Wochen mit dem Training angefangen, ich will unbedingt ein bisschen abnehmen. Aber ehrlich – Spaß geht anders. Gehst du schon weiter? Dann können wir ein Stück zusammen laufen. Ist nicht so langweilig.«
Bereitwillig setzte sich Sophie in Bewegung, sie war froh, dass sie ihre Freundin hier getroffen hatte. Sophie hatte Jennifer kennengelernt, als diese verzweifelt auf der Suche nach einem Lokal für ihre Hochzeitsfeier gewesen war. Sophie hatte das Café gerade erst neu eröffnet und war froh über diese Gelegenheit gewesen. Sie hatte die Feier für Jennifer ausgerichtet, es wurde ein riesiger Erfolg, und diese Veranstaltung hatte den Grundstein für die Entwicklung von Tante Dottis Bistro und ihrer Freundschaft gelegt.
»Wie geht's dir denn so mit Baby? Ist eine ganz schön stressige Zeit, was?«, fragte Jennifer.
Sophie runzelte die Stirn und überlegte ein Weilchen, bevor sie antwortete: »Nö, eigentlich nicht ... Wenn ich so darüber nachdenke, würde ich fast sagen, ich habe so viel Zeit für mich wie schon lange nicht mehr.«
»Weil du nicht mehr so viel in deinem Bistro arbeitest?«
»Ja, genau. Wann hatte ich denn sonst jemals Gelegenheit, so schöne lange Spaziergänge mitten am Tag zu machen?«
Schweigend gingen die beiden nebeneinanderher, Jennifer immer noch schnaufend und außer Atem, Sophie dagegen mit dem Kinderwagen beschäftigt. Wie vorhin hörte man nichts mehr außer dem rumpelnden Geräusch der Wagenräder.
»Aber du bist bestimmt immer sehr müde.« Jennifer lächelte verständnisvoll. »Unser Christopher ist jetzt vierzehn Monate alt, und ich weiß noch, wie es mir mit ihm am Anfang ging. Die ersten drei Monate hat er praktisch am Stück durchgebrüllt, Tag und Nacht. Eigentlich hat er nur während des Stillens Ruhe gegeben. O Mann, ich war vielleicht fertig.«
»Nee, da ist Lisa ganz anders. Seit einer Woche schläft sie jede Nacht durch. Uns geht's super. Vielleicht, weil ich immer so viel mit ihr rausgehe.« Sophie überlegte kurz und sagte dann mit Überzeugung: »Ich glaube, das Gröbste haben wir hinter uns. Das ist alles eine Frage der Organisation.«
Jennifer reagierte nur mit einem unbestimmten »Mmmmmh«.
»Aber erzähl doch mal, Jenny, wieso kannst du jetzt alleine Sport machen? Wo ist Christopher?«
»Der ist gerade bei seiner Oma. Das klappt inzwischen schon ganz gut, ungefähr anderthalb Stunden kann er da bleiben. Meine Mutter findet es auch toll, wobei ich echt aufpassen muss, dass sie ihm nicht zu viele Leberwurstbrote macht.«
»Ja«, sagte Sophie und lachte. »Braubarts feine Leberwurst mit Kräutern, die schmeckt ihm bestimmt. So ist das eben, du kommst aus einer Metzgerfamilie, und deinem Sohn wird natürlich nur das Beste angeboten.«
»Jedenfalls finde ich es gut, dass ich jetzt manchmal etwas Zeit für mich habe. Ich muss dringend was für meine Figur tun.« Jennifer zog das eng sitzende rosa Laufshirt zurecht, das die kleinen Speckröllchen über dem Bund der Jogginghose nur knapp bedeckte, und lächelte schief. »Du siehst es ja selbst – zu viel feine Leberwurst hat hier ihre Spuren hinterlassen. Ich geb jetzt besser mal wieder Gas, sonst schaffe ich meine Runde nicht mehr, bevor ich Christopher wieder abholen muss.«
»Ja, mach das, und grüß deine Mutter von mir.«
»Tschü-hüs«, rief Jennifer fröhlich, während sie schnaufend davontrabte.
Tja, dachte Sophie zufrieden, ich glaube, das habe ich alles etwas besser im Griff als Jennifer. Ich habe schon fast mein altes Gewicht wieder, und ich habe Lisa beigebracht, nachts durchzuschlafen. Ich mache mir besser mal Gedanken, wie es mit meinem Leben jetzt weitergehen soll.
Metzgermeister Johannes Braubart griff nach seinem Messer und klopfte damit gegen sein Bierglas. »Darf ich mal kurz um Ruhe bitten?«
Die Gespräche verstummten. Wie immer hatte man sich in Sophies zweitem Gastraum in dem ehemaligen Stallgebäude versammelt. Dieser war für die Dorfvereine zu einem beliebten Treffpunkt geworden. Die Männer hatten die einzelnen Tische zu einer langen Tafel zusammengeschoben. Mehr als ein Dutzend Köpfe wandten sich nun interessiert Braubart zu.
»Es ist ja nun schon eine ganze Weile her, dass wir uns in der großen Runde hier im Bistro getroffen haben. Sowohl unser Dorfverein, die Wahren Freunde Wümmerscheids, als auch die Sollensbacher Kollegen mit ihrem Verein Mein Herz für Sollensbach haben in den letzten Einzeltreffen eine Entscheidung gefällt: Die Dorfvereine werden mit sofortiger Wirkung in den neuen gemeinsamen Verein Wümmerscheid-Sollensbach voran überführt.«
Braubarts Ankündigung wurde mit begeistertem Klopfen auf die Tischplatten honoriert. »Danke, danke. Das ist ja für uns alle nichts Neues mehr. Wir hatten bereits Gelegenheit, bei Einzelprojekten eng miteinander zu arbeiten, und ich muss sagen, das lief doch überraschend gut.« Der Metzgermeister grinste über das ganze Gesicht, als er nachschob: »Sofern man als Wümmerscheider eine Arbeit Seite an Seite mit einem Sollensbacher gut finden kann. Nee, war nur ein Scherz. Im Grunde können wir nur so unser Dorf voranbringen. Und konkret heißt das ... Stefan, kannst du mal den offiziellen Teil machen?«
Der Angesprochene, ein gedrungener Mittvierziger, stand auf, rückte seine Brille zurecht und räusperte sich, während er hektisch versuchte, die richtige Stelle in einem Aktenordner zu finden. »Also, ... ähm ... ja, genau hier. Der Dorfverein Die wahren Freunde Wümmerscheids hat einstimmig dem Zusammenschluss zugestimmt und Johannes Braubart für den Vorsitz des neuen Dorfvereins nominiert. Der Dorfverein Mein Herz für Sollensbach hat, mit einer Enthaltung, ebenfalls dem Zusammenschluss zugestimmt und nominiert Hermann Weibold für den Vorsitz. Karl-Friedrich Serghein, unser Ortsvorsteher, lag am Tag der Abstimmung mit Grippe im Bett, seine Stimme musste deshalb als Enthaltung gezählt werden.«
Stefan Winter wurde von lauten »Hört, hört«-Rufen unterbrochen. Johannes Braubart hob beide Hände. »Herrschaften, gebt bitte kurz Ruhe. Ja, es wurden zwei Vorsitzende nominiert. Wir haben das geklärt. Hermann, der alte Hobelkasper, und ich werden den neuen Dorfverein als Doppelspitze leiten.«
Tischlermeister Hermann Weibold stand nun ebenfalls auf und hob sein Bierglas. »Ich lass unserem Johannes, dem alten Wurstkocher, das mal durchgehen. Letztlich hat er die Unterstützung von mir auch nötig, es ist ja allgemein bekannt, dass diese Dämpfe in der Wurstküche aufs Hirn schlagen können. Besser also, dass Sollensbacher Verstand auch in der neuen Dorfvereinsführung vertreten ist. Nicht wahr, Johannes?«
»Eins zu null für dich, Hermann, altes Haus.«
Alle Anwesenden nahmen das Wortgefecht zwischen den beiden Vorsitzenden nicht ernst, weil jeder im Gastraum wusste, dass die Familien Braubart und Weibold seit der Heirat der Kinder Jennifer und Klaus-Jürgen nicht nur befreundet, sondern auch verschwägert waren. Hermann Weibold stieß mit Johannes Braubart an. »Ich sage nur, möge unser großes Dorf blühen. Darauf ein dreifaches Wümmerscheid-Sollensbach voran, voran, voran.«
Das donnernde »Voran« erfüllte den Gastraum und war, trotz der dicken Buchsteinmauern, sogar noch in der Küche des Bistros zu hören.
»Hoppla, da draußen geht es aber hoch her«, bemerkte Koch Louis Garbon gegenüber Sophie, die gerade ein paar Kräutersaitlinge in dünne Scheiben schnitt, um sie auf einem Pilz-Flammkuchen zu verteilen.
»Nach dem, was die Herren drüben im Gastraum schon an Getränken geordert haben, wird es nicht bei einem einzigen ›voran‹ bleiben. Aber was soll's, es ist gut fürs Geschäft. Hier, die Pilze sind fertig. Wenn Melanie gleich aus dem Weinkeller kommt, kann sie übernehmen, ich schaue noch einmal nach den Herren draußen im Gastraum.«
»Alles klar, Sophie. Du kannst auch ausspannen, wenn du willst. Heute Abend haben wir nicht so viele Gäste, das kriegen Melanie und ich gut hin.«
»Das ist lieb von dir, Louis. Aber Lisa schläft, Peter ist drüben und arbeitet ein paar Akten durch. Die Kleine ist ja so was von pflegeleicht. Ganz anders als in all den Horrorgeschichten, die ich in den letzten Monaten gelesen habe. Von wegen keine Möglichkeit, Arbeit und Kind unter einen Hut zu bringen.«
»Ich klopf auf Holz, dass es so bleibt.«
»Warum sollte sich das ändern?« Sophie zwinkerte Louis zu und verließ leise summend die Küche.
Als Sophie die Tür des Gastraums öffnete, schlug ihr lautes Gelächter und Gläserklirren entgegen. Die Stimmung in dem ehemaligen Stallgebäude strafte jede Vorstellung von einer drögen Vereinssitzung Lügen.
»Ah, Sophie, du kommst gerade rechtzeitig. Als Ehrenmitglied unserer beiden Vereine wird es dich freuen zu erfahren, dass wir gerade vor ein paar Minuten fusioniert haben. Du bist jetzt Ehrenmitglied von Wümmerscheid-Sollensbach voran«, verkündete Johannes Braubart.
»Na, herzlichen Dank, die Herren, ich sag nur voran, voran, voran.«
»Jawohl, so ist das richtig«, rief Hermann Weibold und klatschte Beifall, in den die ganze Runde einfiel.
»Ich wollte auch nur fragen, ob ich noch etwas zu trinken bringen darf.« Sophie schaute erwartungsvoll die Männer an.
»Das darfst du auf jeden Fall«, sagte Braubart, »aber bleib doch einen Augenblick. Ich habe nämlich noch etwas, das dich auch interessieren wird.«
Sophie zog sich einen freien Stuhl heran und setzte sich. Johannes Braubart griff in die Tasche seiner Jacke, die hinter ihm über der Stuhllehne hing, und zog ein gefaltetes Papier heraus. »Nachdem wir die Formalien geklärt haben und bevor unsere liebe Sophie hier eure durstigen Kehlen mit neuen Getränken erfreut ...«
»Johannes, du bist ja ein Poet.«
»Schon gut, schon gut, Rainer. Also, jedenfalls, ich möchte euch eine aktuelle Meldung vorlesen, die ich von einem Bekannten in Cochem bekommen habe. Der arbeitet in der Kreisverwaltung. Im neuen Gästeführermagazin Moseltal wird folgender Artikel erscheinen. Ich lese nur den Einstieg, den Rest könnte ihr selber lesen. Ich gebe gleich den Artikel herum. Überschrift: Lattenlurch bringt die Wende. Kann man ein ganzes Dorf neu erfinden? Ja, wenn die Dorfgemeinschaft so aktiv und voller Leben ist wie in Wümmerscheid-Sollensbach. Hier haben die rührigen Dorfvereine und die Verwaltung an einem Strang gezogen. Die Entdeckung des sogenannten Lattenlurchs im Sollensbacher Bruch und die konsequente Ausrichtung auf Öko-Tourismus haben für ungeahnten Aufschwung gesorgt. Mit der größten Lattenlurch-Population nördlich der Alpen hat sich Wümmerscheid-Sollensbach innerhalb kürzester Zeit zu einem der attraktivsten Reiseziele oberhalb des Moseltals etabliert. Und so weiter und so weiter. Männer, ich denke, die Idee, die damals Sophie von Metten genau in diesem Raum hier formuliert hat, diese Idee hat eingeschlagen wie eine Bombe. Wir werden in den kommenden Wochen noch staunen.«
Johannes Braubart konnte nicht ahnen, wie recht er mit dieser Vorhersage behalten sollte.
Sophie liebte diese Momente am Vormittag. Sofort nach dem Frühstück war sie mit Lisa nach oben gegangen. Das Kinderzimmer war komplett mit einem flauschigen cremefarbenen Teppichboden ausgelegt. Auf dem Boden gab es für Sophie einen bequemen Sitzsack und für Lisa ein dickes Schaffell. So machten es sich die beiden auch heute gemütlich. Die Sonne schien durchs Fenster.
»Guck mal, Lisa, jetzt hole ich dir dein Spieltrapez.« Sophie hatte sich vorgenommen, ganz viel mit ihrer Tochter zu sprechen, auch wenn diese natürlich noch nicht antworten konnte. Sie stellte das kleine Holzgestell so auf, dass Lisa genau darunter lag. An dem Trapez waren mehrere Spielsachen befestigt. Es war schwer zu sagen, welches davon Lisa am besten gefiel, das wechselte eigentlich ständig. Auf jeden Fall war das Baby völlig fasziniert von allem, was sich drehte oder sonst wie bewegte. Sophie stupste den blau-roten Filzball an, sodass er ein wenig hin und her schwang. Begeistert verfolgte Lisa die Bewegung mit den Augen. Als Nächstes kam der Holzring mit dem Glöckchen an die Reihe. Der hing etwas tiefer als der Ball. Lisa versuchte sofort, danach zu greifen.
Jetzt hatte Sophie Zeit, in Ruhe auf ihrem Handy nach neuen Nachrichten zu schauen. Währenddessen stupste sie immer wieder eins der Spielzeuge an, was Lisa jedes Mal mit großer Freude und wedelnden Armen zur Kenntnis nahm.
»Hier kommt der Ball! Und der Ring! Und jetzt beide!« Manchmal waren es zehn oder sogar fünfzehn Minuten, die so vergingen.
Schließlich verlor Lisa das Interesse an dem Vormittagsspiel, und Sophie stand auf. Zeit für einen Spaziergang.
***
Heute war das Laufshirt blassgrün. Wieder schob Sophie in der heißen Augustsonne vormittags den Kinderwagen bergauf. Mehr spürte sie, dass Jennifer näher kam, als dass sie sie gehört hätte.
»Na, wieder unterwegs mit deinem schlafenden Strahlekind?«, schnaufte Jennifer, als sie neben Sophie angekommen war.
»Sie ist gerade eben eingenickt. Das liegt bestimmt auch an dem tollen Kinderwagen. Das war ein super Tipp von dir, ich bin froh, dass wir den gekauft haben.«
Jennifer blieb nicht stehen wie neulich, sondern trippelte neben Sophie weiter auf der Stelle. »Die Farbe ist auch sehr edel. Fandest du es auch so schwer, dich zu entscheiden?«
»Nö, eigentlich nicht«, erwiderte Sophie. »Für mich sahen die alle gleich aus. Wir hatten unter anderem die Wahl zwischen Nebelgrau, Seidengrau, Klassisch Grau und Leuchtend Grau. Am Ende haben wir uns für Fabelhaftes Grau entschieden. Wer hat eigentlich gesagt, dass ein Kinderwagen grau sein muss?«
»Ging uns genauso«, prustete Jennifer. »Bloß, dass vor einem Jahr alles in Hellbeige war. Du weißt schon, Saharabeige, Kittbeige, Schilfbeige, Leinenbeige. Die Babys haben schließlich so ihre Ansprüche.« Sie holte tief Luft und wischte sich die Schweißtropfen von der Stirn.
»Willst du wieder ein Stück mit mir gehen?«, schlug Sophie ihrer Freundin vor. »Du bist ja schon ganz schön außer Atem.«
»Auf keinen Fall! Gestern hat Mama Schnitzel gemacht, und du weißt, was das bedeutet.«
O ja, das wusste Sophie. Die Schnitzel aus der Metzgerei Braubart waren weit über die Grenzen von Wümmerscheid-Sollensbach hinaus berühmt. Sie lachte und sagte: »Dann war das wohl nichts mit dem Abnehmen diese Woche? Denn: Die Spatzen pfeifen's von den Ästen ...«
»... Braubarts Schnitzel sind die besten«, fiel Jennifer ein. Das war der Werbespruch ihrer elterlichen Metzgerei, der sogar auf dem Metzgerei-Transporter stand. Jennifer stöhnte. »Drei Stück habe ich gegessen. Ich konnte einfach nicht aufhören. Und dazu Kartoffelsalat. Deswegen muss ich jetzt auch weiter, ich will versuchen, das irgendwie abzutrainieren.« Sie trabte an und winkte noch einmal kurz. »Man sieht sich!«
»Tschüs ...«, sagte Sophie leise zu der davonlaufenden Gestalt. Diese hörte es schon nicht mehr.
Sophie beschloss, heute zur Abwechslung ein Stück durch den Wald zu gehen. Schön war es hier. In der Luft lag der erdige Geruch von Waldboden und altem Holz. Spontan nahm sie sich vor, diesen Weg öfter zu gehen. Ich muss mal mit Peter herkommen, dachte sie, man fühlt sich gleich ganz anders im Wald. Wie still es hier ist. Plötzlich wurde ihr auch klar, woher diese wohltuende Stille kam: Das allgegenwärtige Rumpeln der Kinderwagenräder hatte aufgehört. Der Waldweg war von einer federnden Schicht aus Tannennadeln, Moos und altem Laub bedeckt, gerade dick genug, dass man darauf weich gehen konnte, aber nicht so dick, dass man darin versank. Tagsüber war es noch heiß, doch hier im Schatten unter den Bäumen lag eine deutliche Kühle in der Luft. Unterwegs hatte sie schon vereinzelte gelbe und rote Blätter gesehen. Es würde ein schöner Herbst werden.
Vergnügt schob Sophie den Wagen, die Melodie des alten Lieds Bunt sind schon die Wälder ging ihr durch den Kopf. Leise summte sie die ersten Takte. Vor ihr gabelte sich der Weg, und sie verlangsamte ihren Schritt, während sie überlegte, welche Richtung sie einschlagen sollte. Plötzlich schallte von der linken Seite ein vielstimmiges »Hü-hü-hüüüüüü-ahhh« durch den Wald. Sophie zuckte zusammen und blieb abrupt stehen.
Was zum Teufel war das? Da – schon wieder. »Hü-hü-hüüüüüü-ahhh!«
Damit war entschieden, welchen Weg sie nehmen würde. Sie musste unbedingt herausfinden, was dort los war. Langsam schob Sophie den Wagen vorwärts und sah dann, dass auf einer Lichtung ein gutes Dutzend Menschen im Kreis standen. Sie alle trugen Sportkleidung, ansonsten hatten sie auf den ersten Blick nicht viel miteinander gemeinsam. Altersmäßig war es eine bunte Mischung, eine der Frauen schien etwa Mitte zwanzig zu sein, ein Mann Anfang sechzig. Die Gruppe bildete einen Kreis um einen Mann, der mit seinen abgeschnittenen Jeanshosen und einem langärmeligen weißen Leinenhemd der Einzige war, der keine Sportkleidung trug. Offenbar hatte er hier das Sagen.
»Wir kommen jetzt zum Abschluss unserer heutigen Körper-und-Geist-Einheit. Wir sind hier ganz in der Nähe des Sollensbacher Bruchs. In der Nähe von seinem Heimatort, da, wo sich Lebensenergie bündelt.« Der Mann legte eine bedeutungsschwangere Pause ein, bevor er weitersprach: »Die Atemübung habt ihr alle schon gut verinnerlicht. Wir wiederholen sie jetzt noch einmal: Wir heben die Arme und stoßen mit einem lauten ›Hü‹ unseren Atem aus. Aber es ist nicht nur unser Atem, der unseren Körper verlässt, wir legen in ihn das, was uns belastet. Und mit dem letzten ›Ahhh‹ befreien wir uns von diesem Ballast. Also, bitte alle: Hü-hü-hüüüüüü-ahhh.«
Sophie zuckte zusammen und hatte Mühe, nicht laut loszulachen, das alles klang in ihren Ohren ziemlich verrückt. Diese wiehernden Atemgeräusche waren Teil einer Körper-und-Geist-Einheit? Und wessen Heimat war der Sollensbacher Bruch?
»Und nun schließen wir die Augen«, fuhr der Mann in der Mitte des Kreises fort. »Wir konzentrieren uns noch einmal auf unseren Atem. Wir werden jetzt hier im Wald unseren Körper mit neuem Atem füllen, mit reiner Luft, mit guter Luft. Jeder von euch kann das in seinem eigenen Rhythmus tun. Denkt immer beim Einatmen ›Latten‹ und beim Ausatmen ›Luuurch‹. Ja, so ist es gut. Wir machen diese Übung jetzt alle gemeinsam, wie gesagt, jeder in seinem Tempo. Danach gibt's dann noch Glas Lurchwasser für jeden.«
Sophie trat den Rückzug an. Was bitte war das denn gewesen? Der Lattenlurch als eine Art mystische Gestalt? Sophie gelang es, sich fast geräuschlos zu entfernen. Den Kinderwagen zog sie mit einer Hand, die andere Hand hielt sie mit dem Handrücken vor den Mund, um nicht laut loszukichern.
Als sie außer Hörweite war, holte sie schnell ihr Handy aus der Tasche. Sie zögerte. Wen konnte sie zu dieser Tageszeit anrufen? Alle, die sie kannte, waren vormittags bei der Arbeit. In ihrem neuen Alltag mit Baby hatte sie tagsüber viel Zeit. Was ihr aber fehlte, war das Gespräch mit Erwachsenen. Bis vor kurzem hatte sie mindestens einmal in der Woche mit ihrer Studienfreundin Miri aus Hamburg telefoniert, dazu kam sie jetzt überhaupt nicht mehr. Plötzlich hatte sie eine Idee. Wenn Miri nicht selber ans Telefon gehen konnte, ihre Mailbox war bestimmt aktiviert.