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Nun gibt es eine Sonderausgabe – Dr. Norden Aktuell Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen. Pfingsten stand vor der Tür. Die große Reisewelle setzte ein. Strahlender Sonnenschein und schon hochsommerliche Wärme lockten viele Städter in die Ferne oder wenigstens ins Grüne. Fee Norden seufzte abgrundtief, als sie den Stadtanzeiger las. »Du hast es schwer, mein Schatz«, scherzte Dr. Daniel Norden. »Was empört dich?« »Man soll es einfach nicht für möglich halten«, sagte Fee unwillig. »Zwölf Ärzte machen Urlaub, und ich sehe schon kommen, dass wir keine gemütliche Stunde über die Feiertage haben.« »Nächstes Jahr machen wir auch Urlaub über Pfingsten«, versprach Daniel. »Es war nicht vorauszusehen, dass das Wetter so schön und beständig bleiben würde. Seit Jahren haben wir das nicht erlebt. Aber Vergnügen würde es uns wohl auch nicht bereiten, uns dieser Völkerwanderung anzuschließen. Wenn alle Welt unterwegs ist, wird es hier wohl nicht gar so viel zu tun geben.« Er gab sich optimistisch, aber insgeheim fürchtete er sich doch auch ein bisschen, dass vor allem Unfälle ihn beanspruchen könnten. Fee Norden war nicht die einzige Frau, der die bevorstehenden Feiertage Sorgen bereiteten. Annette Bauer erging es ebenso, denn sie besaßen eine Tankstelle, und da ging es jetzt schon hoch her.
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Seitenzahl: 155
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Pfingsten stand vor der Tür. Die große Reisewelle setzte ein. Strahlender Sonnenschein und schon hochsommerliche Wärme lockten viele Städter in die Ferne oder wenigstens ins Grüne.
Fee Norden seufzte abgrundtief, als sie den Stadtanzeiger las.
»Du hast es schwer, mein Schatz«, scherzte Dr. Daniel Norden. »Was empört dich?«
»Man soll es einfach nicht für möglich halten«, sagte Fee unwillig. »Zwölf Ärzte machen Urlaub, und ich sehe schon kommen, dass wir keine gemütliche Stunde über die Feiertage haben.«
»Nächstes Jahr machen wir auch Urlaub über Pfingsten«, versprach Daniel. »Es war nicht vorauszusehen, dass das Wetter so schön und beständig bleiben würde. Seit Jahren haben wir das nicht erlebt. Aber Vergnügen würde es uns wohl auch nicht bereiten, uns dieser Völkerwanderung anzuschließen. Wenn alle Welt unterwegs ist, wird es hier wohl nicht gar so viel zu tun geben.«
Er gab sich optimistisch, aber insgeheim fürchtete er sich doch auch ein bisschen, dass vor allem Unfälle ihn beanspruchen könnten.
Fee Norden war nicht die einzige Frau, der die bevorstehenden Feiertage Sorgen bereiteten. Annette Bauer erging es ebenso, denn sie besaßen eine Tankstelle, und da ging es jetzt schon hoch her. Freilich hatte ihnen die außerordentlich günstige Lage im Laufe der Jahre viele Vorteile eingebracht, einen gesunden Wohlstand, aber auch ebenso wenig Freizeit. Zudem ging es der hübschen Frau Bauer schon einige Tage gar nicht gut. Annette ließ es sich nicht anmerken. Es sind die beginnenden Wechseljahre, tröstete sie sich selbst. Wenn der ganze Trubel vorbei ist, werde ich mal wieder zu Dr. Norden gehen.
Annette Bauer war vierundvierzig und seit zweiundzwanzig Jahren mit ihrem Ferdl verheiratet, und so lange gab es auch schon diese Tankstelle. Zuerst war sie freilich nicht so groß und so modern gewesen. Damals hatte der Vorort auch nur ein Drittel seiner jetzigen Einwohnerzahl, und es gab auch entsprechend weniger Autos. Sie hatten bescheiden angefangen.
Dorthe, ein bildhübsches Mädchen, war gerade zwanzig Jahre geworden. Sie studierte schon im zweiten Semester Betriebswirtschaft. Florian war sechzehn, ging aufs Gymnasium und wollte Ingenieur werden, aber am liebsten Autorennen fahren. Annette hoffte, dass ihm das noch vergehen würde.
Ferdinand Bauer sah man es nicht an, dass er in zwei Jahren fünfzig wurde. Er war groß und breitschultrig und konnte heute noch seine zierliche Frau in die Luft stemmen. Sie führten eine glückliche Ehe, obwohl Annette vor vielen Jahren nicht geglaubt hatte, dass sie einmal so glücklich werden würde.
»Nimm dir doch wenigstens zum Essen Zeit, Ferdl«, mahnte Annette fürsorglich.
»Ich kann doch Maxl und Dorthe nicht so lange allein lassen, Netty. Das Dirndl wird zudem dauernd angequatscht.«
»Dorthe kann sich ihrer Haut schon wehren«, meinte Annette, »du isst deinen Teller leer, darauf bestehe ich. Vor zehn Uhr kommst du heute Abend wieder nicht heim. Ich kenne das schon.«
Seine Frau wollte er nicht kränken. In all den Jahren hatte sie nie ein gereiztes Wort von ihm gehört. Er konnte noch so mit Arbeit überlastet sein, und sich über manches noch so sehr ärgern, an Annette ließ er es nie aus.
»Wo steckt der Flori heute nur wieder?«, fragte er nur unwillig. »Er könnte dir ein bisschen zur Hand gehen. Dorthe scheut sich ja auch nicht, anzupacken.«
»Er hat doch noch Schule, Ferdl, und bis er heimkommt aus der Stadt dauert es halt ein bissel.«
Annette wusste genau, dass Flori herumbummelte, jetzt vielleicht in einer Eisdiele hockte, aber sie war eine nachsichtige Mutter, und sie wollte nicht, dass sich Ferdl über den Schlingel aufregte, der jetzt ein wenig in den Flegeljahren steckte.
*
Dorthe und der Mechaniker Maxl Greif versuchten des Ansturmes Herr zu werden. Manche Kunden waren ja geduldig, aber es gab auch andere, bei denen alles blitzgeschwind gehen sollte. Maxl grollte dann schon mal in sich hinein, aber Dorthe blieb geduldig und freundlich. Ihr hatte es immer Spaß gemacht, hier auszuhelfen. Sie studierte gern die Menschen und ihre Reaktionen. Sie befasste sich neben ihrem Studium auch mit Psychologie.
Von der Figur her so zierlich wie ihre Mutter, war sie ein sehr energisches, blitzgescheites Persönchen und dazu wirklich bildhübsch. Da konnte es sich mancher Autofahrer nicht verkneifen, einen Flirt anzufangen.
Bei Dorthe Bauer kam man da nicht an. Wie ihre Mutter es sagte, sie verstand es, sich ihrer Haut zu wehren. Aufsteigenden Ärger schluckte sie herunter.
Über den jungen Mann im blaumetallicfarbigen Sportwagen brauchte sie sich nicht zu ärgern. Sie wunderte sich nur ein bisschen, dass er eine schier übermäßige Geduld an den Tag legte.
Aber Rolf Valentin hatte es nicht eilig, seit er dieses bezaubernde Mädchen gesehen hatte. Ein Blick hatte genügt, und er war völlig fasziniert. Er war rein zufällig an dieser Tankstelle gelandet, auf dem Wege zu einem Höflichkeitsbesuch, zu dem er von seinen Eltern veranlasst worden war. Er wusste, dass ein sehr verwöhntes Mädchen und deren Eltern auf seinen Besuch warteten, aber ihn, war das jetzt völlig gleichgültig. Rolf Valentin hatte sich zum ersten Mal richtig verliebt. Endlich wurde es hier etwas ruhiger. Dorthe blickte zu ihm herüber, der sich nicht in die Schlange eingereiht hatte.
»Jetzt wären Sie aber an der Reihe«, sagte sie freundlich. »Oder fehlt Ihrem Wagen etwas?«
»Nein, mir fehlt etwas«, erwiderte er stockend.
»Ist Ihnen nicht gut?«, fragte sie erschrocken. »Aber das hätten Sie doch sagen können. Was fehlt Ihnen?«
»Sie«, erwiderte er leise.
Es war Dorthe selbst nicht geheuer, aber ihm vermochte sie keine abweisende Antwort zu geben.
»Sie sehen, dass ich viel zu tun habe«, sagte sie verlegen.
Er war ausgestiegen, überragte sie fast um Haupteslänge. Er trug einen eleganten grauen Anzug mit Nadelstreifen von erstklassigem Schnitt. Auch dafür hatte Dorthe einen Blick.
»Möchten Sie tanken?«, fragte sie zögernd.
»Ja, bitte voll. Aber ich kann das allein machen.«
»Sie machen sich schmutzig, ich bin es schon.« Sie blies sich eine kecke Locke aus der Stirn. Die Sonne setzte goldene Lichter in ihr braunes Haar, und in ihren topasfarbenen Augen tanzten ebenfalls goldene Fünkchen. Er betrachtete sie hingerissen, und Dorthe wurde es heiß und kalt unter seinem Blick.
»Ich möchte Sie wiedersehen«, sagte er leise, »bitte.«
»Wir haben über die Feiertage geöffnet«, erwiderte sie mit einem schelmischen Lächeln.
»Keine Freistunde, auch abends nicht? Warum lassen Sie sich so ausnützen?«
»Ich lasse mich nicht ausnützen, die Tankstelle gehört uns, und da kommt auch schon mein Vater. Er hat es nicht gern, wenn ich angesprochen werde.«
»Ich komme wieder«, sagte er, »heute Abend.«
Dann gestattete er sich noch einen kurzen, diskreten Blick zu Ferdinand Bauer und fuhr davon.
»Neuestes Modell, sechzigtausend kostet der«, sagte Ferdinand Bauer. »Lass dich davon nicht bestechen, Häschen.«
Er nannte seine Tochter Häschen. Er liebte sie über alles, aber selbst wenn er sich Gedanken machte, konnte er nicht streng sein. Sie hatte ihn bisher nie enttäuscht. Er war stolz auf seine kluge Tochter.
»Von einem Auto, und wenn es eine Million kosten würde, ließe ich mich bestimmt nicht bestechen, Paps«, lachte Dorthe. Aber sie dachte an seinen zärtlichen Blick, an dieses Lächeln, und ein Kribbeln lief über ihre Haut.
*
Rolf Valentin hatte nicht die geringste Lust, den Besuch zu machen, aber er war ein höflicher junger Mann und rief von der nächsten Telefonzelle bei den Bruckmanns an.
Da meldete sich das Hausmädchen, und als er seinen Namen nannte, konnte er die Ausrede gar nicht mehr hervorbringen, dass er eine Panne hätte.
»Herr Bruckmann hat eben einen Herzanfall bekommen«, stotterte das Hausmädchen und legte wieder auf.
Dr. Daniel Norden war indessen schon auf dem Wege zu Bruckmanns prachtvoller Villa. Bei einem Notruf musste alles andere zurückstehen.
Paul Bruckmann hatte ein krankes Herz, und die Hitze mochte das ihre dazu beigetragen haben, dass es wieder einmal zu einem Anfall gekommen war.
Dr. Norden konnte nicht ahnen, dass es einen anderen Grund hatte, als er die Villa betrat. Margot Bruckmann war kreidebleich.
»Mein Mann stirbt«, stöhnte sie.
Tatsächlich sah es schlimm aus. Das war ein Infarkt. Hier konnte man nicht viel machen. Dr. Norden rief den Sanitätswagen. Mit Blaulicht und Martinshorn wurde der Schwerkranke in die Behnisch-Klinik gefahren. Dr. Norden fuhr mit seinem Wagen voraus.
Margot Bruckmann ging zum Zimmer ihrer Tochter. Sylvia stand am Fenster. Sie rührte sich nicht.
»Das hast du nun davon«, sagte Margot mit bitterem Vorwurf. »Wer weiß, ob dein Vater diesen Infarkt übersteht.«
Margot war die zweite Frau Bruckmann. Seit zehn Jahren mit dem Bankier verheiratet, nur zwölf Jahre älter als Sylvia.
»Vater hat schon lange mit dem Herzen zu tun«, sagte Sylvia tonlos. »Ich konnte nicht ahnen, dass er sich so aufregen würde. Schließlich ist Jörg von Lautern auch wer, und ich lasse mich nicht zu einer Ehe mit Rolf zwingen. Ich verstehe nicht, dass sich heutzutage die Eltern noch einmischen müssen.«
»Verarmter Adel«, stieß Margot gereizt hervor, »und hinter Rolf Valentin stehen Millionen.«
»Haben wir die nötig?«, fragte Sylvia beherrscht. »Bei dir hat Vater doch auch nicht nach Geld gefragt.« Diesen Hieb konnte sie sich nicht verkneifen.
»Ich habe keine Lust, mit dir zu streiten. Wenn es dich unberührt lässt, dass dein Vater mit dem Tode ringt, mich nicht.«
»Er hätte längst eine Kur machen müssen, wie Dr. Norden immer wieder betont hat«, sagte Sylvia. »Aber es musste ja wieder mal eine Weltreise sein. Ich hetze ihn nicht herum.Und ich lasse mir nicht alle Schuld zuschieben.«
»Paul hat sich viel von dieser Verbindung versprochen, Sylvia, und schließlich ist Rolf dir doch nicht unsympathisch.«
»Aber ich liebe ihn nicht, und er liebt mich nicht. Über ihn will man genauso verfügen, wie über mich. Willst du nicht in die Klinik fahren, anstatt mir hier Vorträge zu halten?«
Feindselig sahen sich die beiden an. Sylvia, ein schlankes schwarzhaariges Mädchen mit schmalem Gesicht, das jetzt sehr verschlossen wirkte, und Margot, zurechtgemacht, als hätte sich gerade ein Maskenbildner mit ihr beschäftigt, und sonst so, als würde sie einem Modejournal entstiegen sein. Unzweifelhaft war sie eine attraktive Frau, aber nichts an ihr war natürlich.
»Rolf ist ja gar nicht erschienen«, sagte Sylvia, als das Hausmädchen nach einem kurzen Anklopfen erschien.
»Herr Valentin hat angerufen. Ich habe ihm gesagt, dass Herr Bruckmann einen Herzanfall hatte. Was ist jetzt mit dem Essen, gnädige Frau?«
»Nichts, ich fahre in die Klinik«, sagte Margot barsch.
*
Dr. Dieter Behnisch und seine Frau Jenny machten bedenkliche Gesichter, nachdem sie Herrn Bruckmann untersucht und versorgt hatten. Er lag nun unter dem Sauerstoffzelt.
»Sieht übel aus, Daniel«, sagte Dr. Behnisch zu seinem Freund.
»Ich habe das kommen sehen«, nickte Dr. Norden, »aber sie mussten ja noch diese anstrengende Weltreise machen.«
»Wer nicht hören will, muss büßen«, sagte Dr. Behnisch. »Ich halte dich auf dem Laufenden.«
Dann kam Margot Bruckmann. Dr. Norden warf Dr. Behnisch einen bedeutungsvollen Blick zu. Sie konnten sich wortlos verständigen, aber Dr. Behnisch hätte auch so gewusst, wie er diese Frau einzuschätzen hatte.
Dr. Norden fuhr zu seiner Praxis zurück. Von Rolf Valentin wusste er nichts, und doch war alles, was sich an diesem schwülen Vormittag abgespielt hatte nur das Vorspiel zu einem Geschehen, das auch ihn in der Zukunft beschäftigen sollte. Aber für einige der Beteiligten sollte es auch so scheinen, als wären sie nach vielen Jahren von der Vergangenheit eingeholt worden.
Als Rolf heimkam, wurde er von seiner Mutter mit betroffener Miene empfangen.
»Du bist schon zurück?«, fragte sie vorwurfsvoll. »Wie kommt das?«
»Ja, wie kommt das«, dröhnte die Stimme von Holger Valentin durch den Raum.
Er mochte in früheren Jahren ein gut aussehender Mann gewesen sein, Rolf ähnlich, doch jetzt war er dick und aufgeschwemmt und wie jeder gleich bemerken konnte, ein Choleriker.
»Ich hatte eine Panne«, erklärte Rolf, »und als ich mich telefonisch dafür bei den Bruckmanns entschuldigen wollte, sagte mir das Hausmädchen, dass Herr Bruckmann einen Herzanfall hätte. Da bin ich natürlich nicht mehr hingefahren.«
»Du hättest ihnen beistehen können«, sagte Helga Bruckmann mit schriller Stimme.
»Das kann ein Arzt wohl besser, Mama«, erklärte Rolf ruhig.
»Dir passt es ja in den Kram, wenn du dich nur drücken kannst«, erzürnte sich der Hausherr.
»Ich hatte keine Veranlassung, dort hereinzuplatzen. Man könnte es auch als Taktlosigkeit verstehen. Aber da Mama sich so ausgezeichnet mit Frau Bruckmann versteht, könnte sie sich doch als Seelentrösterin anbieten.«
»Komm mir nicht mit diesem Ton«, stieß Holger Valentin hervor. »Ich verlange von dir, dass du dich meinen Wünschen fügst, sonst kannst du sehen, woher du das Geld für deinen kostspieligen Lebenswandel hernimmst. Noch habe ich hier das Sagen.«
»Pass auf, dass dir nicht so etwas passiert wie Bruckmann«, stellte Rolf fest. »Du hast einen zu hohen Blutdruck.«
»Und ich möchte mein Haus wohlbestellt wissen, wenn ich einmal gehen muss«, sagte Holger Valentin.
»Ich sehe nicht ein, warum ich ein Mädchen heiraten soll, das ich nicht liebe.«
»Liebe, wenn ich das schon höre! Meinst du, unsere Ehe ist auf solchen Sentimentalitäten aufgebaut?«, brauste Holger Valentin auf. »Wir hatten uns auch den Wünschen unserer Eltern zu fügen. Und wir sind ganz gut dabei gefahren, nicht wahr, Helga?«
Sie war blass geworden bei seinen Worten. Sie legte den Kopf in den Nacken. »Du hattest deine Affären hinter dir«, sagte sie gereizt. »Und mein Geld war dir willkommen, deine Pläne zu verwirklichen.«
Ähnliche Worte hatte Rolf schon öfter gehört. Ihn grauste es, dass man nach fünfundzwanzigjähriger Ehe so reden konnte. Richtige Elternliebe hatte auch er nicht kennengelernt. Das meistgebrauchte Wort in diesem Hause war Geld.
Aber er dachte an ein bezauberndes Mädchen, und sein Herz schlug dabei wie ein Hammer.
»Unterhaltet euch allein«, sagte er mit mühsamer Beherrschung. »Mir gefällt es nicht, wenn meine Eltern so reden.«
Seine Mutter wollte ihm folgen, doch Holger Valentin befahl ihr zu bleiben. Sie war diesen Befehlston gewohnt und hatte sich längst abgewöhnt, dagegen aufzubegehren. Doch jetzt sagte sie ruhig und kühl: »Du gehst zu weit, Holger. Rolf ist erwachsen und aus einem anderen Holz geschnitzt als du.«
»Er ist ein Weichling.«
»Das ist er nicht. Er traut sich, seine Meinung zu sagen. Du gibst ihm ja keine Entfaltungsmöglichkeit. Du behandelst ihn wie einen dummen Jungen.«
»Er soll doch mal versuchen, auf eigenen Füßen zu stehen. Dann werden wir ja sehen, was dabei herauskommt.«
Diesmal wich Helga seinem Blick nicht aus. »Du würdest ihm diese Möglichkeit gar nicht lassen«, sagte sie hart. »Warum sagst du es nicht mal deutlich, dass du mich nur wegen meines Geldes geheiratet hast? Ich habe mich nicht den Wünschen meiner Eltern gefügt. Ich hätte einen reicheren Mann heiraten können, wenn ich es gewollt hätte. Aber damals wollte ich dich. Aber du kannst nicht genug kriegen. Du willst auch noch Bruckmanns Geld. Vielleicht solltest du dich erst mal genau informieren, ob er wirklich so viel besitzt, wie er alle Welt glauben machen will. Und wenn du noch einmal, ein einziges Mal, so vor Rolf redest, lasse ich mich scheiden und beanspruche mein Vermögen. Und ich werde zu Vater fahren und ihm sagen, wie du dich aufführst.«
Solche Worte hatte er von ihr noch nicht gehört. Er kniff die Augen zusammen.
»Du leidest unter der Hitze«, sagte er zynisch. »Du siehst sowieso schon aus wie eine vertrocknete Zitrone.«
Darauf verließ Helga wortlos das Zimmer. Sie hatte das Bedürfnis, mit ihrem Sohn zu sprechen, aber Rolf hatte das Haus schon wieder verlassen.
Rolf fuhr zu Hanno Peschke, einem Kommilitonen, mit dem er sich recht gut verstand. Hanno war nicht gut betucht, aber er hatte gleich nach seinem Diplom eine recht annehmbare Stellung gefunden. Dass Hanno daheim war, sah Rolf, weil der alte Volkswagen vor dem Hause stand. Und wegen dieses Wagens war er gekommen.
Hanno staunte über den unerwarteten Besuch. »Du treibst dich bei der Hitze in der Stadt herum, anstatt zu segeln?«, fragte er mit leichtem Spott.
»Ich muss mit dir reden, Hanno«, sagte Rolf. »Kannst du mir deinen Wagen leihen?«
Der andere riss die Augen auf. »Hast du nicht gerade erst einen neuen Schlitten bekommen, so einen von der Sonderklasse?«, fragte er überrascht.
»Den kannst du haben, wenn du mir deinen gibst.«
»Hast du einen Sonnenstich, Rolf?«, fragte Hanno.
»Nein, ich habe einen Grund, mir deinen Wagen auszuleihen.« Er machte eine Pause. »Und deinen Namen auch«, fügte er hinzu.
»Du hast doch einen Sonnenstich«, sagte Hanno. »Ich vertrage die Hitze auch nicht, deshalb sitze ich hier.«
»Es geht um ein Mädchen, um ein ganz zauberhaftes Mädchen«, erklärte Rolf.
»Und der willst du mit meinem alten Karren kommen?«
»Ihr imponieren keine teuren Wagen. Sie arbeitet an einer Tankstelle.«
»Setz dich, Rolf, du bekommst einen kühlen Drink und einen kalten Umschlag«, sagte Hanno. »Du hast nicht mehr alle Tassen im Schrank.«
»Ich war noch nie so normal wie heute.«
»Dein Vater jagt dich zum Teufel.«
»Und wenn schon. So kann es ohnehin nicht mehr weitergehen.«
Hanno mochte Rolf, aber er hatte ihn immer für verwöhnt und anspruchsvoll gehalten, dass er jetzt völlig konsterniert war.
»Wie stellst du dir das eigentlich vor?«, fragte er stockend.
»Zuerst möchte ich mal herausfinden, wie das Mädchen reagiert, wenn ich mit deiner alten Kutsche daherkomme.«
»Und warum willst du auch noch meinen Namen borgen?«
»Weil ihr der Name Valentin doch bekannt sein könnte. Keine Bange, Hanno, wenn ich sie besser kenne, kläre ich sie gleich auf.«
»Und wenn sie dir die Täuschung dann übel nimmt?«
»Wenn ich ein armer Hund wäre und den reichen Knilch spielen würde, wäre es eine arglistige Täuschung. Andersherum kann sie es mir nicht übel nehmen. Aber wenn sie meine Gefühle erwidert, bin ich künftig vielleicht ein armer Hund. Mein Vater läuft Amok, wenn ich ein Mädchen aus dem Volke heirate.« Seine Stimme klang bitter, aber zugleich aggressiv.
»Na, meinetwegen kannst du den Wagen haben, aber mach mir hinterher keine Vorwürfe.«
»Und du kannst mit meinem herumkutschieren«, sagte Rolf erfreut.
»Nein, danke, nachher passiert was, und dann werde ich von deinem Vater gevierteilt. Außerdem passt so ein feudales Gefährt nicht zu mir. Weißt du, Rolf, ich habe mir alles selbst schaffen müssen. Da denkt man anders. Ich beneide dich, weiß Gott, nicht. Bei dir können sie immer den Daumen draufdrücken. Du hast viel, aber was gehört dir schon?«
»Du hast ganz recht, aber es wird bald anders werden« sagte Rolf.
*
Dr. Norden war an diesem Nachmittag dauernd unterwegs. Kreislaufzusammenbrüche am laufenden Band hagelte es.
Loni stöhnt, aber nicht wegen der Hitze, denn in der Praxis war es angenehm kühl.
»Wie das Wetter auch ist, es ist immer verkehrt«, sagte sie. »Ist es kalt, häufen sich die Erkältungen, und die Leute stöhnen, weil sie dauernd heizen müssen. Regnet es, jammern sie, dass es Überschwemmungen gibt. Ist es heiß, klappen sie zusammen und ahnen schon die große Dürre und Hungersnot voraus.«
»Und wie immer gilt das alte Sprichwort: Jedem Menschen recht getan, eine Kunst, die niemand kann, auch der liebe Gott nicht«, meinte Daniel Norden lächelnd.