Der Urriese Ymir - Harry Eilenstein - E-Book

Der Urriese Ymir E-Book

Harry Eilenstein

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Beschreibung

Die Reihe Die achtzigbändige Reihe „Die Götter der Germanen“ stellt die Gottheiten und jeden Aspekt der Religion der Germanen anhand der schriftlichen Überlieferung und der archäologischen Funde detailliert dar. Dabei werden zu jeder Gottheit und zu jedem Thema außer den germanischen Quellen auch die Zusammenhänge zu den anderen indogermanischen Religionen dargestellt und, wenn möglich, deren Wurzeln in der Jungsteinzeit und Altsteinzeit. Daneben werden auch jeweils Möglichkeiten gezeigt, was eine solche alte Religion für die heutige Zeit bedeuten kann – schließlich ist eine Religion zu einem großen Teil stets der Versuch, die Welt und die Möglichkeit der Menschen in ihr zu beschreiben. Das Buch Der Urriese ist neben der Großen Mutter, der Seele und dem Totempfahl eines der wenigen Symbole, die sich bis weit in die Altsteinzeit hinein zurückverfolgen lassen. Er ist die Welt selber, die als Mensch aufgefasst wird. Die Parallelen zu Ymir lassen sich in den Religionen der Indogermanen über die der Ägypter, Sumerer und Chinesen bis hin zu der Religion der Quechuas („Inkas“) finden. Er spielt in den Mythen der Germanen naturgemäß nur in der Schöpfungsgeschichte eine prägende Rolle, aber die Vorstellungen über ihn strahlen auch bis in die späteren Mythen hinein und bilden deren Grundlage.

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Die Themen der einzelnen Bände der Reihe „Die Götter der Germanen“

Die Entwicklung der germanischen ReligionLexikon der germanischen ReligionDer ursprüngliche Göttervater TyrTyr in der Unterwelt: der Schmied WielandTyr in der Unterwelt: der Riesenkönig Teil 1Tyr in der Unterwelt: der Riesenkönig Teil 2Tyr in der Unterwelt: der ZwergenkönigDer Himmelswächter HeimdallDer Sommergott: Baldur, Phol und MeiliDer Meeresgott: Ägir, Hler und NjördDer Eibengott UllrDie Zwillingsgötter AlcisDer neue Göttervater Odin Teil 1Der neue Göttervater Odin Teil 2Der Fruchtbarkeitsgott FreyrDer Chaos-Gott LokiDer Donnergott ThorDer Priestergott HönirDie GöttersöhneDie unbekannteren GötterDie Göttermutter FriggDie Liebesgöttin: Freya und MenglödDie ErdgöttinnenDie Korngöttin SifDie Apfel-Göttin IdunDie Hügelgrab-Jenseitsgöttin HelDie Meeres-Jenseitsgöttin RanDie unbekannteren JenseitsgöttinnenDie unbekannteren GöttinnenDie NornenDie WalkürenDie ZwergeDer Urriese YmirDie RiesenDie RiesinnenMythologische WesenMythologische Priester und PriesterinnenSigurd/SiegfriedHelden und GöttersöhneDie Symbolik der Vögel und InsektenDie Symbolik der Schlangen, Drachen und UngeheuerDie Symbolik der HerdentiereDie Symbolik der RaubtiereDie Symbolik der Wassertiere und sonstigen TiereDie Symbolik der PflanzenDie Symbolik der FarbenDie Symbolik der ZahlenDie Symbolik von Sonne, Mond und SternenDas JenseitsSeelenvogel, Utiseta und EinweihungWiederzeugung und WiedergeburtElemente der KosmologieDer WeltenbaumDie Symbolik der Himmelsrichtungen und der JahreszeitenMythologische MotiveDer TempelDie Einrichtung des TempelsPriesterin – Seherin – Zauberin – HexePriester – Seher – ZaubererRituelle Kleidung und SchmuckSkalden und SkaldinnenKriegerinnen und Ekstase-KriegerDie Symbolik der KörperteileMagie und RitualGestaltwandlungenMagische WaffenMagische Werkzeuge und GegenständeZaubersprücheGöttermetZaubertränkeTräume, Omen und OrakelRunenSozial-religiöse RitualeWeisheiten und SprichworteKenningarRätselDie vollständige Edda des Snorri SturlusonFrühe SkaldenliederMythologische SagasHymnen an die germanischen Götter

Inhaltsverzeichnis

Ymir

Ymir in den Texten der Edda

Die Vision der Seherin

Grimnir-Lied

Wafthrudnir-Lied

Hyndla-Lied

Gylfis Vision

Skaldskaparmal (1)

Fiölswin-Lied (1)

Fiölswin-Lied (2)

Skaldskaparmal (2)

Sigdrifa-Lied

Gyma in der germanischen Überlieferung

Hymir-Lied

Edda-Prolog

Ymir in den Isländersagas und frühen Skaldenliedern

Hervor-Saga

Thorsdrapa (1)

Thorsdrapa (2)

Sonatorrek

Der Riese Vid-Gymir in der germanischen Überlieferung

Jakob Grimm: Deutsche Mythologie

Zusammenfassung: Ymir in der germanischen Überlieferung

Der Name „Ymir“

Ymirs Brüder

Der Urriese bei den Indogermanen

Germanen

Hethiter

Inder

Perser

Finnen

Jakob Grimm: Deutsche Mythologie

Indogermanen allgemein

Die Gleichsetzung von Ymir und Tyr bei den Indogermanen

Die indogermanische Ymir-Mythe

Der Urriese bei den nostratischen Völkern

Ägypter

Sumerer

Babylonier

Juden

Elam

Harappa

Kreta

Jakob Grimm: Deutsche Mythologie

Die nostratische Ymir-Mythe

Der Urriese bei den borealischen Völkern

China

Indianer

Jakob Grimm: Deutsche Mythologie

Zusammenfassung

α) Die borealische Ymir-Mythe

β) Vergleich der Urriesen-Zwillinge

γ) Die Tierhelfer des Urriesen

Archäologische Funde

Göbekli Tepe

Nevali Cori

Die Zahlensymbolik der Steinzeit

Dakota (Indianer)

China

Yoruba (Afrika)

Vergleich

Das Mittelpfeiler-Mandala

Der Mensch als Erde – die Erde als Mensch

Die Erde als Große Mutter

Die Erde als Wassertier

Die Entstehung der Erde aus einem Menschen

Die Erde als Mensch

Die Himmelssäule als Mensch

Die Himmelssäule im Menschen

Die Menschen-Himmelssäule als vollkommener Mensch

Die strukturelle Gleichheit von Mensch und Welt

Das Getreide als Mensch

Der Himmel als Mensch

Zusammenfassung

Altsteinzeit

Die fünf Epochen

Die Biographie des Ymir

Das Aussehen des Ymir

Meditationen und Rituale

Traumreise zu Ymir

Hymnen an Ymir

Ymir der Urriese

An Ymir

Gebet an Ymir

Die fünf Gesichter des Ymir

An Audhumbla

Das Landschaftsbewußtsein

Leabhar Gabhála, das Lied des Barden-Druiden Amairgen

Aus dem Lied des Barden-Druiden Taliesin

Ymir heute

Ymsi

Ymsi in der germanischen Überlieferung

Brimir

Brimir in der germanischen Überlieferung

Der Name „Brimir“

Die Vision der Seherin (1)

Die Vision der Seherin (2)

Sigdrifa-Lied

Blain

Blain in der germanischen Überlieferung

Gangr

Gangr in der germanischen Überlieferung

Der Name „Gangr“

Skaldskaparmal

Thorsdrapa

Tuisto

Tuisto in der römischen Überlieferung

Themen-Verzeichnis

I Ymir in den Texten der Edda

Die Edda ist eine Sammlung von Liedern und Erzählungen über die germanischen Götter und z.T. auch über die germanischen Helden.

Das Wort „Edda“ ist vermutlich eine Umbildung des lateinischen Wortes „editio“, das „Herausgabe“, „Textsammlung“, „Zusammenfassung“ u.ä. bedeutet und von dem sich auch das heutige „Edition“ ableitet. Man kann Edda etwas freier auch mit „Erzählungen“ übersetzen.

Der Name dessen, der die Lieder-Edda zusammengestellt hat, ist unbekannt. Die Prosa-Edda wurde um ca. 1220 n.Chr. von dem isländischen Skalden (Dichter) und Politiker Snorri Sturluson (1179-1241) aus alten isländischen Liedern und Erzählungen, die wahrscheinlich schon mehrere Jahrhunderte mündlich weitergegeben worden waren, zusammengetragen. Auf dieses Alter weisen u.a. deutlich ältere Bildsteine hin, auf denen Szenen aus der Edda dargestellt worden sind.

Ein Skalde war nicht nur jemand, der Mythen und Lieder vortrug, sondern vor allem auch ein Bewahrer dieser auswendig gelernten Texte – auch dies spricht dafür, daß die Texte der Edda deutlich älter als 1220 n.Chr. sind. Ein dritter Grund für diese Annahme sind die Übereinstimmungen der dargestellten Mythen mit denen von anderen indogermanischen Völkern.

Snorri Sturluson hat diese Texte in seiner Edda niedergeschrieben, um sie dem norwegischen König Hákon Hákonarson und seinem Freund, dem norwegischen Jarl Skule Bårdson, zusenden zu können. Ein Jarl ist ein germanischer Fürst – der Titel entspricht dem englischen Earl und dem deutschen Graf.

I 1. Die Vision der Seherin

In diesem „Völuspa“, also „Ausspruch der Seherin“ genannten Lied beschreibt eine Seherin ihre Vision über die wesentlichsten Elemente der germanischen Weltanschauung im Zusammenhang mit der Götterdämmerung. Dieses Lied ist vermutlich das älteste in der Lieder-Edda.

In älteren Ausgaben der Edda wird „Völuspa“ oft mit „Der Seherin Gesicht“ übersetzt, wobei mit „Gesicht“ das „Zweite Gesicht“, also eigentlich die „Zweite Form des Sehens“, d.h. eine Vision gemeint ist.

Einst war das Alter, da Ymir lebte:

Da war nicht Sand, nicht See, nicht salzige Wellen,

Nicht Erde fand sich noch Überhimmel,

Gähnender Abgrund und Gras nirgends.

In der „Vision der Seherin“ wird Ymir noch ein zweites Mal erwähnt – allerdings nicht mit seinem Namen – er ist nur daran zu erkennen, daß aus seinen Gliedern die Zwerge erschaffen werden sollen.

Der umschreibende Name „Brimir“ für den Urriesen Ymir in dieser Strophe bedeutet „Brandung“, womit Yymirs Blut gemeint ist, aus dem das meer entstanden ist.

Der Name „Blain“ hat die Bedeutung „der Blaue“. Er bezieht sich wahrscheinlich auf die blau-schwarze Farbe der Leichen, da Ymir tot ist.

Die „Berater“ oder „Rater“ sind die Asen. Das altnordische Wort „Ragnar“ hat sowohl die Bedeutung „Ratgeber“ als auch „Macht“. Mit ihm ist das deutsche Wort „(König-)Reich“ verwandt, das sich auch in dem keltischen Wort „Reg“ für König, dem lateinischen „rex“ für „König“ oder in dem indischen „Radscha“ für „Fürst, König“ findet. Ein Ragnar ist also ein mächtiger Herr, der alles weiß und der über alles nachdenkt und alles entscheidet.

Da gingen die Berater zu den Richterstühlen,

Hochheilige Götter hielten Rat,

Wer schaffen sollte der Zwerge Geschlecht

Aus Brimirs Blut, aus Blains Gliedern.

Später heißt es in der „Vision der Seherin“, daß an dem Ort Okolnir („niemals kalt“) die Bierhalle eines Riesen stand, die „Brimir“ genannt wurde – sie ist vermutlich nach dem Namen dieses Riesen benannt worden. Hier wird Brimir der ehemalige Sonnengott-Göttervater Tyr als Riese im nächtlichen bzw. winterlichen Jenseits sein – Ymir als der zeitlich gesehen erste Riese und Tyr als der rangmäßig erste Riese sind mehrfach einander gleichgesetzt worden. Dies lag auch deshalb nahe, weil beide von den Asen getötet worden sind.

Der Name „Nidawellir“ in derselben Strophe bedeutet „die dunklen Felder“, was vermutlich eine Anspielung auf die Gräber der Toten ist, da der Saal, der an diesem Ort steht, der Sippe des Zwerges Sindri („Funken“) gehört und die Zwerge in der Erde die Ahnengeister in der Unterwelt sind – „Zwerg“ bedeutet wörtlich „Ahnengeist“. Sindri hat einige wichtige magische Gegenstände hergestellt.

Sindri ist einer der beiden Zwillings-Söhne des Tyr (der hier „Brimir“ genannt wird), die die Gestalt von zwei Jünglingen, zwei Schimmeln, zwei Wölfen, zwei Raben und zwei Zwergen annehmen konnten (siehe „Alcis“ in Band 12).

Die beiden Hallen in der folgenden Strophe werden ursprünglich vermutlich derselbe Saal des Tyr in der Unterwelt gewesen sein: die Grabkammer in seinem Hügelgrab.

Im Norden stand in Nidawellir

Ein Saal aus Gold, von Sindris Geschlecht;

Ein anderer stand auf Okolnir,

der Biersaal eines Riesen, und der heißt Brimir.

Auf diesen Saal bezieht sich auch ein Satz über die Skaldenkunst aus der Prosa-Edda (Skaldskarpamal). Dort erscheint diese Halle erst nach der Götterdämmerung. Dies Motiv stammt aus der Gleichsetzung des Ymir mit Tyr, der als Sonnengott jeden Morgen bzw. jedes Frühjahr wiedergeboren wird.

Der „reichliche Trank“, den es dort gibt, könnte sich auf den Met beziehen, der im Bestattungsritual getrunken wurde und der in den Mythen als Göttermet erscheint.

Überaus reichlich gibt es guten Trank für die, denen es Vergnügen bereitet, in dem Saal, der Brimir heißt. Er steht in Okolnir.

I 2. Das Grimnir-Lied

Das Grimnir-Lied ist eines der vielen Lieder, die Wissensgedichte sind, die in eine kleine Rahmenhandlung eingefügt wurden, die den Grund für die Darstellung dieses Wissens liefern. Diese Wissensgedichte wurden sehr wahrscheinlich von den Skalden (Dichtern) benutzt worden, um die Überlieferungen über die Götter auswendig zu lernen. Sie haben häufig die Frage-Antwort-Form eines Rätsels, die sich sehr gut zum Abfragen des Wissens des Skalden-Schülers durch den Skalden-Lehrer eignete.

Aus Ymirs Fleisch ward die Erde geschaffen,

Aus dem Schweiße die See,

Aus dem Gebein die Berge, die Bäume aus dem Haar,

Aus der Hirnschale der Himmel.

Aus den Augenbrauen schufen gütige Asen

Midgard den Menschensöhnen;

Aber aus seinem Hirn sind alle hartgemuten

Wolken erschaffen worden.

I 3. Das Wafthrudnir-Lied

Auch dieses Lied ist ein Wissens-Rätsel-Gedicht. Der „Lehrer“, der die Fragen stellt, ist in diesem Lied Gangrad (Odin) und der „Schüler“, der ihm die richtigen Antworten geben muß, ist der Riese Wafthrudnir (Tyr). Hier ist der Rätsel-Wettstreit von den Skalden dazu benutzt worden, um die Überlegenheit des Odin über den von ihm abgesetzten ehemaligen Göttervater Tyr (Wafthrudnir) zu „beweisen“.

Der Name Wafthrudnir bedeutet „der im Verwickeln Starke“ – dieser Name bezieht sich möglicherweise nicht nur darauf, daß Wafthrudnir geschickt im Fesseln und Binden ist, sondern auch darauf, daß er mit seinen Worten Unachtsame binden und fesseln kann, denn dieser Riese galt als besonders weise. Seine Weisheit besaß Wafthrudnir vermutlich deshalb, weil er der Sohn des Urriesen Ymir und zudem, was hier jedoch nicht ausgesprochen wird, der ehemalige Göttervater Tyr gewesen ist.

Im Wafthrudnir-Lied gibt es neben der direkten Erwähnung des Ymir auch eine indirekte Erwähnung über den Urriesen, der dabei Aurgelmir genannt wird. Snorri erzählt in der Prosa-Edda, daß Ymir von den Eisriesen Aurgelmir genannt wird.

Die Bedeutung dieses Namens ist „Licht-Rufer-Riese“, womit der Priester, der des morgens die Sonne (Tyr) anruft gemeint ist. Der Name ist jedoch auch für Tyr selber benutzt worden – ähnlich wie die Priester des Tyr „Diar“ genannt wurden, was nur eine ältere Variante von „Tyr“ ist.

Der Name des Bergelmir Aurgelmir-Sohn bedeutet „Bär-Rufer-Riese“ und der Name des Drudgelmir Bergelmir-Sohn bedeutet „Kraft-Rufer-Riese“. Der Priester scheint des morgens den hell leuchtenden („aur“) Sonnengott-Göttervater Tyr, der stark („drud“) wie ein Bär („ber“) bzw. wie ein Berserker (Bären-Kampfekstase-Krieger) ist, angerufen zu haben.

Gangrad (Odin):

„Sage zum ersten, wenn der Sinn Dir ausreicht

Und Du es weißt, Wafthrudnir:

Erde und Überhimmel, von wo zuerst sie

Kamen, kluger Riese?“

Wafthrudnir (Tyr):

„Aus Ymirs Fleisch ward die Erde erschaffen,

Aus dem Gebein die Berge,

Der Himmel aus der Hirnschale des eiskalten Hünen,

Aus seinem Schweiße die See.“

Gangrad (Odin):

„Sag mir zum fünften, wenn Du's erforscht hast

Und Du es weißt, Wafthrudnir:

Wer von den Asen der erste, oder von Ymirs Geschlecht

Im Anfang aufwuchs?“

Wafthrudnir (Tyr):

„Im Urbeginn der Zeiten vor der Erde Schöpfung

Ward Bergelmir geboren.

Drudgelmir war dessen Vater,

Aurgelmir sein Ahn.“

Gangrad (Odin):

„Sag mir zum sechsten, wenn Du sinnig dünkst

Und Du es weißt, Wafthrudnir:

Woher Aurgelmir kam den Kindern der Riesen

Zuerst, allkluger Riese?“

Wafthrudnir (Tyr):

„Aus den Eliwagar fuhren Eitertropfen

Und wuchsen bis ein Riese ward.

Dann stoben Funken aus der südlichen Welt

Und Lohe gab Leben dem Eis.“

Eliwagar bedeutet „Eiswogen“ und bezeichnet die Gletscher im Norden. Ein anderer Name für sie war „Nebelheim“. Ein Teil des Eises von Eliwagar begann am Anfang der Welt zu schmelzen, als Funken von dem heißen Muspelheim („Feuerheim“) im Süden zu dem Eis im Norden hinüberflogen.

Gangrad (Odin):

„Sag mir zum siebenten, wenn Du sinnig dünkst

Und Du es weißt, Wafthrudnir:

Wie zeugte Kinder der kühne Jötun,

Da ihm die Frau fehlte?“

Wafthrudnir (Tyr):

„Unter des Reifriesen Arm wuchs, rühmt die Sage,

Dem Thursen Sohn und Tochter.

Fuß mit Fuß gewann dem furchtbaren Riesen

Sechsgehäupteten Sohn.“

„Jötun“ ist eine allgemeine Bezeichnung für „Riese“, die wörtlich „Fresser“ bedeutet. „Thurse“ bedeutet ebenfalls „Riese“ – der Name bezeichnet sie als „Wesen, die sich schnell bewegen“.

Gangrad (Odin):

„Sag mir zum achten, da man Dich so weise achtet,

Daß Du es weißt, Wafthrudnir:

Wer war zuerst, was weißt Du als das Älteste?

Du bist ein allkluger Jötun.“

Wafthrudnir (Tyr):

„Im Urbeginn der Zeiten, vor der Erde Schöpfung

Ward Bergelmir geboren.

Zuerst denk ich daran, daß der allkluge Jötun

Im Boot geborgen ward.“

Diese Szene bezieht sich darauf, daß alle Riesen außer Bergelmir und seiner Frau in der germanischen „Sintflut“ ertranken, als die Asen Ymir töteten und aus seinem Blut das Meer entstand.

I 4. Das Hyndla-Lied

Hyndla („Hündchen“) ist ein Beiname der Unterweltsgöttin Hel. In dem nach ihr benannten Lied gibt sie einen Teil ihres Wissens an Freya und deren Schützling Ottar weiter. Die Riesin und die Göttin geraten jedoch in Streit, woraufhin Freya der Riesin durch einen Fluch ein nie endendes und unerfülltes sexuelles Verlangen wünscht und Hyndla im Gegenzug den Ottar verflucht. Freya kann den Fluch der Riesin jedoch wieder aufheben.

Ursprünglich sind Freya und Hel dieselbe Jenseitsgöttin gewesen. Da ihre Mythen jedoch Motive enthielten (Tod und Sex), die sehr entgegengesetzte Gefühle hervorriefen, hat sie sich in zwei Gestalten aufgespalten: in die gefürchtete Totengöttin Hel und in die Wiederzeugungs-Geliebte Freya. Der sich auf die Sexualität beziehende Fluch ist eine Umdeutung der Wiederzeugung, die der Wiedergeburt im Jenseits voranging.

In diesem Gedicht kommen auch einige „Lehrstrophen“ vor, die vermutlich aus den Texten stammen, die die Skalden auswendig lernen mußten.

Von Widolf kommen die Walen alle,

Alle Zauberer sind Wilmeidis Erzeugte.

Die Sudkünstler stammen von Swarthöfdi,

Aber von Ymir alle die Riesen.

Die Urahnin der Walen ist Widolf. Ihr Name bedeutet „Waldwölfin“ oder „Weise Wölfin“. Da der Wolf der Jenseitsführer ist und der Wald manchmal eine Umschreibung für das Jenseits ist, paßt dieser Name gut zu der Ahnherrin aller Seherinnen.

Der Name „Wilmeidis“ des Zauberer-Urahns setzt sich vermutlich aus „wil“ für „Kunst, Fertigkeit und „maidjan“ für „schädigen, verwandeln“ zusammen. Diese „Kunst, anderen zu schaden“, also diese „Schwarze Magie“ ist ursprünglich möglicherweise eine Bezeichnung für die „Gestaltwandler“ gewesen, also für die Krieger, die sich während eines Kampfes magisch in einen Bären oder in einen Wolf verwandelten. Die Krieger, die diese Form der Kampfekstase beherrschten, wurden von den Germanen „Berserker“ („Bärenfell-Leute“) bzw. „Ulfhedinn“ („Wolfshaut-Leute“) genannt. Diese Deutung des Namens „Wilmeidis“ ist aber unsicher.

Swarthöfdi, also „Schwarzkopf“ ist der Urahn aller Sudkundigen, also aller Menschen, die den rituellen Trank („Göttermet“) herstellen können.

I 5. Gylfis Vision

In der Prosa-Edda wird beschrieben, wie der skandinavische König Gylfi zu den Göttern reist und ihnen Fragen über die Mythologie stellt, die diese ihm beantworten. Um nicht erkannt zu werden, benutzt Gylfi für sich den Namen „Gangleri“, der „der vom Gehen müde“ bedeutet. Dieser Name wurde des öfteren auch von Odin, der viel durch die Welt wandert, benutzt. Vielleicht war „Gangleri“ allgemein ein Name, den ein Reisender benutzen konnte, wenn er seinen Namen nicht nennen wollte.

Auch die Götter, die ihm antworten, tragen Decknamen: Har („Hoher“), Jafnhar („Gleichhoher“) und Tridi („Dritte“). Diese Dreiheit entspricht vermutlich den drei ersten Asen Odin, Wili und We.

Gangleri frug: „Wie ward die Welt, wie entstand sie, und was war zuvor?“

Har antwortete: „So heißt es in der Völuspa:

Einst war das Alter, da alles nicht war,

Nicht Sand, noch See, noch salzige Wellen,

Nicht Erde fand sich noch Überhimmel,

Gähnender Abgrund und Gras nirgends.“

Da sprach Jafnhar: „Manches Zeitalter vor der Erde Schöpfung war Niflheim entstanden; in dessen Mitte liegt der Brunnen, Hwergelmir genannt. Daraus entspringen die Flüsse mit den Namen Swöl, Gunnthra, Fiorm, Fimbul, Thul, Slid und Hrid, Sylg und Ylg, Wid, Leiptr; Giöll ist der nächste beim Höllentor.“

Da sprach Thridi: „Vorher aber war im Süden eine Welt, Muspel geheißen: Die ist hell und heiß, sodaß sie flammt und brennt und allen unzugänglich ist, die da nicht heimisch sind und keine Wohnung da haben. Surtur (Tyr als Jenseits-Riese) heißt der, der an der Grenze des Landes sitzt und es beschützt: Er hat ein flammendes Schwert und am Ende der Welt wird er kommen und heeren und alle Götter besiegen und die ganze Welt in Flammen verbrennen. So heißt es in der Völuspa:

Surt fährt von Süden mit flammendem Schwert,

Von seiner Klinge scheint die Sonne der Götter.

Steinberge stürzen, Riesinnen straucheln,

Zu Hel fahren Helden, der Himmel klafft.“

Gangleri frug: „Was geschah, bevor die Völker entstanden und die Menschen sich ausbreiteten?“

Har antwortete: „Als die Fluten, die Eliwagar heißen, so weit von ihrem Ursprung fortgeflossen waren, daß der Giftstrom in ihnen erstarrte wie der Sinter, der aus dem Feuer fällt, verwandelte er sich in Eis. Und als dieses Eis stillstand und stockte, da fiel der Dunst darüber, der von dem Gift kam und gefror zu Eis, und so legte sich eine Eislage über die andere bis hinein in Ginnungagap.“

Da sprach Jafnhar: „Die Seite von Ginnungagap, welche nach Norden gerichtet ist, füllte sich an mit einem schweren Haufen Eis und Schnee und darin herrschte Sturm und Ungewitter; aber der südliche Teil von Ginnungagap war milde von den Feuerfunken, die aus Muspelheim herüberflogen.“

Da sprach Thridi: „So wie die Kälte von Niflheim kam und alles Ungestüm, so war die Seite, die nach Muspelheim sah, warm und licht, und Ginnungagap dort so lau wie windlose Luft, und als die Glut dem Reif begegnete, wodurch er schmolz und sich in Tropfen auflöste, da erhielten die Tropfen Leben durch die Kraft dessen, der die Hitze sandte. Da entstand ein Menschengebild, das Ymir genannt ward; aber die Hrimthursen (Frostriesen) nennen ihn Aurgelmir, und von ihm kommt das Geschlecht der Hrimthursen, wie es in der kleinen Völuspa heißt:

Von Widolf stammen die Walen alle,

Alle Zauberer sind Wilmeidis Erzeugte,

Die Sudkünstler stammen von Swarthöfdi,

Aber von Ymir alle die Riesen.

Und der Riese Wafthrudnir sagt auf die Frage

Woher Aurgelmir kam den Kindern der Riesen

Zuerst, allwissender Jote?

als Antwort:

Aus den Eliwagar fuhren Eitertropfen

Und wuchsen bis ein Riese ward.

Unsre Geschlechter kamen alle daher:

Drum sind sie unhold immer.“

Da frug Gangleri: „Wie wurden die Geschlechter von ihm ausgebreitet? Oder wie geschah's, daß mehr geschaffen wurden? Oder hältst Du ihn für einen Gott, von dem Du gesprochen hast?“

Da antwortete Har: „Wir halten ihn mitnichten für einen Gott: Er war böse wie alle von seinem Geschlecht, die wir Hrimthursen nennen. Es wird erzählt, daß er, als er schlief, zu schwitzen begann: Da wuchs ihm unter seinem linken Arm Mann und Weib und sein einer Fuß zeugte einen Sohn mit dem anderen. Und von diesen kommt das Geschlecht der Hrimthursen; den alten Hrimthurs aber nennen wir Ymir.“

Da frug Gangleri: „Wo wohnte Ymir? Oder wovon lebte er?“

Har antwortete: „Als das Eis auftaute und schmolz, entstand die Kuh, die Audhumla hieß, und vier Milchströme rannen aus ihrem Euter; davon ernährte sich Ymir.“

Da frug Gangleri: „Wovon ernährte sich die Kuh?“

Har antwortete: „Sie beleckte die Eisblöcke, die salzig waren, und den ersten Tag, als sie die Steine beleckte, kam aus den Steinen am Abend Menschenhaar hervor, den nächsten Tag eines Mannes Haupt, und am dritten Tag war es ein ganzer Mann, der hieß Buri. Er war schön von Angesicht, groß und stark und gewann einen Sohn, der Bor hieß. Der vermählte sich mit Bestla, der Tochter des Riesen Bölthorn; da gewannen sie drei Söhne: der eine hieß Odin, der andere Wili, der dritte We. Und das ist mein Glaube, daß dieser Odin und seine Brüder Himmel und Erde beherrschen.“

Da frug Gangleri: „Wie vertrugen sich diese mit Ymir, und welcher war der Stärkere?“

Har antwortete: „Bors Söhne töteten den Riesen Ymir, und als er fiel, da lief so viel Blut aus seinen Wunden, daß sie darin das ganze Geschlecht der Hrimthursen ertränkten bis auf einen, der mit den Seinen davon kam: Den nennen die Riesen Bergelmir. Er bestieg mit seinem Weib ein Boot und rettete sich so, und von ihm kommt das (neue) Hrimthursengeschlecht, wie hier gesagt ist:

Im Anfang der Zeiten vor der Erde Schöpfung

Ward Bergelmir geboren.

Des gedenk ich zuerst, daß der altkluge Riese

Im Boot geborgen ward.“

Da frug Gangleri: „Was richteten die Söhne Bors aus, daß Du sie für Götter hältst?“

Har antwortete: „Davon ist nicht wenig zu sagen. Sie nahmen Ymir und warfen ihn mitten in Ginnungagap und bildeten aus ihm die Welt: aus seinem Blut Meer und Wasser, aus seinem Fleisch die Erde, aus seinen Knochen die Berge, und die Steine aus seinen Zähnen, seinen Kinnbacken und aus zerbrochenem Gebein.“

Da sprach Jafnhar: „Aus dem Blut, das aus seinen Wunden geflossen war, machten sie das Weltmeer, festigten die Erde darin und legten es im Kreis um sie her, sodaß es den meisten unmöglich erscheint, hinüber zu kommen.“

Da sprach Thridi: „Sie nahmen auch seinen Schädel und bildeten den Himmel daraus, und erhoben ihn über die Erde mit vier Ecken oder Hörnern, und unter jedes Horn setzten sie einen Zwerg; die heißen Austri, Westri, Nordri, Sudri. Dann nahmen sie die Feuerfunken, die von Muspelheim ausgeworfen umherflogen, und setzten sie an den Himmel, oben sowohl als unten, um Himmel und Erde zu erhellen. Sie gaben auch allen Lichtern ihre Stelle, einigen am Himmel (Fixsterne), andere lose unter dem Himmel (Planeten) und setzten einem jeden seinen bestimmten Gang fest, wonach Tage und Jahre berechnet werden. So wird in alten Sagen erzählt und so heißt es in der Völuspa:

Die Sonne wußte nicht, wo sie Sitz hätte,

Der Mond wußte nicht, was er Macht hätte,

Die Sterne wußten nicht, wo sie Stätte hatten.“

Da sagte Gangleri: „Das sind merkwürdige Dinge, die ich da höre; ein großes Gebäude ist das und sehr kunstvoll gebildet. Wie war die Erde beschaffen?“

Har antwortete: „Sie ist außen kreisrund und rings umher liegt das tiefe Weltmeer. Und längs den Seeküsten jenseits gaben sie den Riesengeschlechtern Wohnplätze, und nach innen rund um die Erde machten sie eine Burg gegen die Überfälle der Riesen, und zu dieser Burg verwendeten sie die Augenbrauen des Riesen Ymir und nannten die Burg Midgard. Sie nahmen auch sein Gehirn und warfen es in die Luft und machten die Wolken daraus, wie hier gesagt ist:

Aus Ymirs Fleisch ward die Erde geschaffen,

Aus dem Schweiße die See,

Aus dem Gebein die Berge, die Bäume aus dem Haar,

Aus der Hirnschale der Himmel.

Aus den Augenbrauen schufen gütge Asen

Midgard den Menschensöhnen;

Aber aus seinem Hirn sind alle hartgemuten

Wolken erschaffen worden.“

Später heißt es dann noch in Gylfis Vision über die Entstehung der Zwerge:

Die Zwerge waren zuerst erschaffen worden und hatten Leben erhalten in Ymirs Fleisch und waren da Maden.

I 6. Skaldskaparmal (1)

Es wird gesagt, daß Odin zur Buße noch Thiassis Augen nahm, sie an den Himmel warf und zwei Sterne daraus bildete.

Tyr-Thiazis Augen sind Sonne und Mond. Dadurch, daß Odin diese an den Himmel hinaufwirft, wird Tyr dem Ymir gleichgesetzt, was auch aus anderen Textquellen bekannt ist. Es hat offenbar nahegelegen, den Sieg der Asen über Ymir und den Sieg des Odin über Tyr gleichzusetzen. Ymir wurd auch ansonsten oft dem Tyr gleichgesetzt – Ymir war der „Erste (zeitlich gesehen) der Riesen“ und Tyr der „Erste (rangmäßig gesehen) der Asen“.

Sonne und Mond werden daher ursprünglich die Augen des Urriesen Ymir gewesen sein.

Es ist denkbar, daß Sonne und Mond auch als die Augen des ehemaligen Göttervaters Tyr angesehen worden sind.

I 7. Fiölswin-Lied (1)

Im Fiölswin-Lied kommt Svipdag („Schneller Tag“), der die Verkörperung der Frühlingssonne (wiedergeborener Tyr) ist, zum Tor der Unterwelt. Dort vor dem Heim der Jenseitsgöttin Menglöd („Halsband-Frohe“) steht jedoch Odin, der sich „Fiölswin“ („Viel-Wissender“) nennt, und will Svipdag zunächst nicht einlassen. Beide berichten sich gegenseitig über die Details des Heimes der Jenseitsgöttin Freya-Menglöd.

Der von einer Waberlohe (Flammenwand) umgebene Saal der Menglöd wird in diesem Lied als die Himmelskuppel, also als Ymirs Schädel angesehen.

Dieses Lied ist eine der vielen Varianten des Rätsel-Wettstreites zwischen dem alten Göttervater (Tyr) und dem neuen Göttervater (Odin).

Windkald (Tyr):

„Sage mir, Fiölswin, was ich Dich fragen will

Und zu wissen wünsche:

Wie heißt der Saal, der umschlungen ist

Weise mit der Waberlohe?“

Fiölswin (Odin):

„Glut wird er genannt, der kreisend sich dreht

Wie auf des Schwertes Spitze.

Von dem seligen Hause soll man immerdar

Nur von Hörensagen hören.“

Das Heim („Saal“) der Freya-Menglöd ist nicht nur von einer Waberlohe umgeben, sondern heißt auch noch selber „Glut“. „Menglöds Halle“ ist offensichtlich die mit dem Bestattungsfeuer assoziierte Unterwelt.

Der Saal der Menglöd, also die Himmelkuppel, wird genau in seiner Mitte von dem Wipfel des Weltenbaumes berührt, der am Nordpol steht. Yggdrasil berührt die Himmelskuppel also genau dort, wo der Polarstern steht. Das „Schwert“, auf dessen Spitze sich Ymirs Schädel, aus dem der Himmel von den Asen erschaffen wurde, dreht, ist demnach der Weltenbaum.

Aus diesem Bild könnte man schließen, daß der Polarstern das Scheitelchakra des (toten) Ymir ist.

Vermutlich ist der Weltenbaum nicht als Schwert aufgefaßt worden, sondern das Kreisen der Himmelskuppel soll nur mit dem Bild eines Schwertes, das man in einen Totenschädel gesteckt hat, den man dann auf der Schwertspitze kreisen läßt, illustriert werden – für heutige Verhältnisse ein eher drastisches Bild …

Dieses Jenseitsbild bezieht sich offenbar auf das Himmelsjenseits, also Odins Saal Walhalla in Asgard. In der Edda stehen die beiden Motiv „Halle der Hel“ unter der Erde und „Walhalla“ im Himmel nebeneinander. Walhalla ist für die im Kampf gefallenen Krieger reserviert, während alle anderen zur Hel fahren.

I 8. Fiölswin-Lied (2)

In demselben Gespräch zwishen Svipdag (Frühlingssonne/Tyr) und Fiölswin (Schamane/Odin) berichtet Odin, daß er den Wall rings um den Saal der Menglöd aus den Gliedern des Lehmriesen Mökkurkalfi errichtet hat. Da dieser Wall die Unterwelt umgibt, die ein wesentlicher Bestandteil der gesamten Welt ist, kann man davon ausgehen, daß Odin, Willi und We diesen Wall zusammen mit dem Rest der Welt am Beginn der Zeit erschaffen haben. Das bedeutet, daß Mökkurkalfi und Ymir dieselben Wesen sind. Das wird u.a. dadurch bestätigt, daß Thor und sein Priester-Begleiter Thialfi im Hrungnir-Lied gemeinsam den Tyr-Riesen Hrungnir und seinen Begleiter Mökkurkjalfi töten, was am plausibelsten ist, wenn man davon ausgeht, daß die beiden Riesen Tyr-Hrungnir und Mökkurjkalfi ursprünglich derselbe gewesen sind.

Der Wall rings um das Heim der Menglöd wird vermutlich derselbe Wall wie der Udgard-Wall sein, der jenseits des Weltmeeres die Welt an ihrem Rand kreisförmig umgibt. Diese Schlußfolgerung wird dadurch bestätigt, daß sowohl Menglöd als auch die Unterweltsgöttin Hel wie alle Bewohner Udgards Riesen sind.

Windkald (Tyr):

„Sage mir, Fiölswin, was ich Dich fragen will

Und zu wissen wünsche:

Wie heißt die Gürtung? Nie sahn bei den Göttern

So üble List die Leute.“

Fiölswin (Odin):

„Gastropner heißt sie, ich habe sie selber

Aus des Lehmriesen Gliedern erbaut

Und so stark gestützt, daß sie stehen wird

So lange Leute leben.“

Die „Gürtung“ ist die Schutzanlage rings um Menglöds Heim, die aus dem Erdwall (aus Mökkurkalfis Gliedern) und einer Waberlohe besteht. Der Name „Gastropner“ dieses Walles bedeutet „Gäste laut herbeirufen“ – ein für einen Schutzwall eigentlich recht seltsamer Name. Er ergibt jedoch Sinn, wenn man bedenkt, daß dieser Wall die Unterwelt ist, in die alle Menschen früher oder später gerufen werden.

Auch der Name „Mökkurkalfi“ („Nebelkalb“) des Lehmriesen in der Hrungnir-My-the würde gut zu dieser Deutung passen, da Ymir von der Kuh Audhumbla begleitet wurde. Das „Nebelkalb“ scheint in diesem Bild ein Kind der Urkuh Audhumbla zu sein, die die Fruchtbarkeit der Großen Mutter verkörpert. Der „Nebel“, in dem sich dieses „Kalb“ befindet, wird Niflheim („Nebelheim“), also das Jenseits im eisigen Norden sein.

Mökkurkjalfi ist somit der ehemalige Götterkönig Tyr, der im Jenseits („Nebelheim“) von der Unterweltsgöttin in der Gestalt einer Kuh (Audhumbla) wiedergeboren wird und daher selber die Gestalt eines Kälbchens („kjalfi“) hat.

Das Fiölswin-Lied scheint an dieser Stelle eine ursprüngliche Version des Verhältnisses zwischen dem Urriesen Ymir bzw. dem ehemaligen Göttervater Tyr und der Urkuh Audhumbla bewahrt zu haben.

I 9. Skaldskaparmal (2)

In der Skaldenkunst-Lehre in der Edda wird der Riese Mökkurkjalfi genauer beschrieben:

Da fuhr (der Tyr-Riese) Hrungnir seines Weges und sputete sich aus aller Macht bis er gen Jötunheim kam. Da machte seine Fahrt großes Aufsehen bei den Jötunen, ebenso, daß es zwischen ihm und Thor zur Verabredung des Zweikampfs gekommen war. Die Jötune hielten es für überaus wichtig, wer den Sieg erhielte, denn sie fürchteten das Schlimmste von Thor, wenn Hrungnir (auf der Strecke) bliebe, denn er war der Stärkste unter ihnen.

Da machten sie auf Griotunagardar einen Mann von Lehm, der neun Rasten hoch war und drei breit unter den Armen. Sie fanden aber kein Herz, das so groß war, als sich für ihn ziemte, bis sie das einer Stute nahmen, welches sich ihm jedoch nicht als haltbar erwies, als Thor kam.

Hrungnir selbst hatte bekanntlich ein Herz von hartem Stein, scharfkantig und dreiseitig, wie man seitdem das Runenzeichen zu schneiden pflegt, das man 'Hrungnirs Herz' nennt. Auch sein Haupt war von Stein, von Stein auch sein breiter, dicker Schild, und diesen Schild hielt er vor sich, als er auf Griotunagardar stand und auf Thor wartete. Seine Waffe war ein Schleifstein, den er über die Achsel nahm, und nicht mild war er anzuschauen.

Ihm zur Seite stand der Lehmriese, der Möckurkalfi hieß. Er war aber sehr furchtsam, und man sagt, daß er Wasser ließ, als er Thor sah.

Thor fuhr zum Holmgang und mit ihm Thialfi.

Da lief Thialfi voraus, dahin, wo Hrungnir stand, und sprach zu ihm: „Du stehst übel behütet, Jötun, zwar hast Du den Schild vor Dir, aber Thor hat Dich gesehen – er fährt nieder in die Erde und wird von unten an Dich kommen. Darauf warf sich Hrungnir den Schild unter die Füße und stand darauf; die Steinwaffe aber faßte er mit beiden Händen.“

Darauf vernahm er Blitze und hörte starke Donnerschläge und sah nun Thor im Asenzorn, der gewaltig heranfuhr, den Hammer schwang und ihn aus der Ferne nach Hrungnir warf. Hrungnir hob die Steinwaffe mit beiden Händen und hielt sie entgegen: Da traf sie der Hammer im Fluge und der Schleifstein brach entzwei – der eine Teil fiel zur Erde, und davon sind alle Wetzsteinfelsen gekommen, der andere fuhr in Thors Haupt, so daß er vor sich auf die Erde stürzte.

Der Hammer Miölnir aber traf den Hrungnir mitten auf das Haupt und zerschmetterte ihm den Schädel in kleine Stücke. Er selbst fiel vorwärts über Thor, so daß sein Fuß auf Thors Hals lag. Thialfi aber griff Möckurkalfi an, der mit geringem Ruhm fiel.

Darauf ging Thialfi zu Thor und wollte Hrungnirs Fuß von ihm nehmen, hatte aber nicht die Macht dazu. Da gingen die Asen alle hinzu, als sie von Thors Fall hörten, und wollten den Fuß von ihm nehmen, brachten es aber auch nicht zuwege. Da kam Magni herbei, der Sohn Thors und Jarnsaxas, der erst drei Winter alt war, der warf Hrungnirs Fuß von Thor.

Der Ort, an dem die Riesen den Riesen Mökkurkalfi aus Lehm erschufen, hieß „Griotunagardar“. Dieser Name bedeutet entweder „Burgmauer der Steinfelder“ oder „Bereich der Steinfelder“. Die Riesen wohnten allgemein in felsigen Gegenden – damit sind letztlich die Steinplatten gemeint, aus denen die Grabkammer in den Hügelgräbern errichtet worden sind, da die Riesen ursprünglich die Toten gewesen sind.

Eine Raste ist ein altes Längenmaß, das eine Meile, also 1.609m entspricht. Mökkurkalfi war demnach 14.481m hoch und hatte eine Schulterbreite von ca. 5km. Damit war er ca. eineinhalbmal so hoch wie der Mount Everest. Das ist zwar nicht ganz die Größe von Ymir, aber es kommt dem doch schon recht nahe. Da verwundert es auch nicht, daß die Asen Schwierigkeiten bekamen, Mökkurkalfis Bein von Thor zu heben, da dessen Bein eine Dicke von ca. 2km gehabt haben dürfte.

Mökkurkalfi ist in diesem Lied zwar nicht Ymir selber, aber doch ein beherzter Versuch der Riesen, Ymir noch einmal auferstehen zu lassen.

I 10. Sigdrifa-Lied

Auch in diesem Lied werden der Urriese und Tyr als Riese gleichgesetzt.

Geistrunen schneide, willst du klüger scheinen

als ein anderer Mann.

Die ersann und sprach, die schnitt zuerst

Odin, der sie auserdacht

aus der Flut, die geflossen war

aus dem Hirn Heid-Draupnirs;

aus dem Horn Hod-Draupnirs.

Auf dem Berge stand er mit blankem Schwert,

den Helm auf dem Haupte.

Da sprach Mimirs Haupt weise das erste Wort

und sagte wahre Stäbe.

„Heid-Draupnir“ bedeutet „herrlicher Tröpfler“; Hod-Draupnir bedeutet „kostbarer Tröpfler“. Mit beidem ist Odins Ring Draupnir gemeint, der einst ein Symbol der Sonne und somit auch des Tyr gewesen ist.

Mit den „Stäben“ sind auf Holzstöcke geschnitzte Runen gemeint – sie bezeichnen hier im übertragenden Sinne „weise Zauberworte“.

Diese Szene scheint sich direkt an die Mumifizierung des Hauptes des Mimir durch Odin anzuschließen: Das Ritual ist gelungen und Mimirs Kopf spricht zu Odin.