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Die Schönen und Reichen zücken die begehrtesten Credit Cards. Aber haben sie die besseren Karten auch, wenn sie krank sind? Das V. I. P.-Syndrom wurde nicht von der Klatschpresse erfunden. Das hätte aber durchaus der Fall sein können. Denn Promis, die ein Problem haben, interessieren die Medien und uns ja noch viel stärker. Seit 1967 untersuchen Wissenschaftler jedoch ernsthaft, was alles anders sein kann, wenn eine außerordentlich wichtige Person und Ärztinnen und Ärzte aufeinandertreffen und wie es sich auf das Ergebnis auswirkt. Wird der namhafte Arzt am Krankenbett immer auch der beste sein? Behalten die bewährten Regeln zum Schutz der Patienten ihre Gültigkeit auch bei jenen, die immer eigene aufstellen? Kann sich ein 5-Sterne-Krankenhaus mit einer Patientenzufriedenheit von unter 100 Prozent zufrieden geben? Leidet die Versorgung normaler Kassenpatienten, wenn Krankenschwestern begehrte Konzertkarten oder Ärzten eine goldene Uhr winkt? Unterm Strich ist der Umgang mit einer Person, die anders ist, vermutlich selbst ein bisschen anders. Mehr Rücksicht auf die Privatsphäre? Weniger Diagnose oder vielleicht sogar mehr? Auch die Behandlung kann variieren - modern nach Zeitgeist, traditionell auf Nummer sicher oder mutig auf der Grundlage jüngster Erkenntnisse. Kein V. I. P. hat eine Garantie auf die richtige Entscheidung. Und überhaupt die Frage: Wie suchen solche Menschen ihr Krankenhaus aus? Das Urteil der medizinischen Forschung ist nüchtern: Das V. I. P.-Syndrom ist gefährlich für beide, für Patienten und Ärzte. Wenn die Krankheit einer berühmten Person zum Medien-Star wird, bieten sich auch Chancen. Die Berichterstattung kann helfen, über Diagnosen und Therapien mehr zu erfahren und sie gerechter zu beurteilen, sie beeinflusst die Politik, die Forschung und die Spendenbereitschaft. Inspirierende Krankenberichte werden Mut machen. Auch der V. I. P.
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Seitenzahl: 146
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Die andere Medizin der Schönen und Reichen
Das gefährliche V. I. P.-Syndrom
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IGK-Verlag
7100 Neusiedl am See, Österreich
Wann immer eine vom Schicksal eigentlich mega-begünstigte Persönlichkeit wie etwa der FIAT-Boss Gianni Agnelli, der Lebenskünstler Gunter Sachs oder das Apple-Genie Steve Jobs durch ihren unzeitgemäßen Tod die Schlagzeilen beherrscht, vereint Abermillionen Zeitgenossen der gleiche Gedanke: „Schon wieder hat das viele Geld nichts bewirkt.“
Dann bleiben zum Beispiel Verehrer von Udo Jürgens mit der Frage zurück, ob nicht doch irgendein Arzt nach den immensen Strapazen rund um den 80. Geburtstag dieser Unterhaltungs-Legende und wegen der Aufzeichnungen zur Helene Fischer-Show kurz danach am 12. Dezember ein Risiko für das Herz des Künstlers hätte vorausahnen können. Am 21. Dezember kam jedes Nachdenken zu spät.
Es ist nicht der Reichtum, der gefährlich ist. Es ist das Berühmtsein, das sehr viel ändert.
Die Unterschiede einer medizinischen Betreuung können winzig sein. Die Ärzte üben ein bisschen mehr Rücksicht, und auch die Patienten sind ein bisschen anders.
Menschen ganz oben verdanken ihren Aufstieg an die Spitze häufig bestimmten und unverrückbaren Verhaltensweisen. Typisch ist, dass sie nein nicht als Antwort akzeptieren. Die Super-Wichtigen und Super-Erfolgreichen unter ihnen können geprägt sein von Selbstüberschätzung, dominant und beratungsresistent. Sie vertrauen meistens ihrem Bauchgefühl mehr als den Fakten anderer und halten wenig von Regeln, die sie nicht selbst erlassen haben. Unter dem Stress einer Erkrankung werden solche Eigenschaften noch verschärft. Insgesamt wirken sie eher nicht lebensverlängernd.
Steve Jobs zum Beispiel bestimmte jahrelang die Therapien gegen den Krebsbefall der Bauchspeicheldrüse selbst. Er zeigte als sein eigener Arzt die gleiche Unbeirrtheit, mit der er das Silicon Valley beherrschte. Das von ihm propagierte heimliche Abwerbeverbot von Software-Talenten der fünf größten Wettbewerber untereinander kann noch Jahre nach seinem Tod dem Apple-Konzern Hunderte Millionen Dollar an Strafzahlungen kosten, weil Tausende Hochbegabte um ihre Chancen auf Aufstieg oder Gehaltserhöhungen betrogen wurden und heute Schadensersatz einklagen.
Sobald sture Verhaltensweisen eines extrem Erfolgreichen mit dem Gesundheitswesen kollidieren, stehen die Chancen nicht zum Besten.
Kritischere Köpfe führen den Gedanken weiter, bis zu einer fast ketzerischen Zuspitzung. Dass nämlich eine wie auch immer begründete Sonderstellung während der schmalen Gratwanderung zwischen Gesundheit und Krankheit möglicherweise nicht nur wenig hilfreich sind, sondern unter Umständen sogar hinderlich.
Der amerikanische Schriftsteller F. Scott Fitzgerald schrieb in einer Kurzgeschichte mit dem Titel „The Rich Boy“: „Lass mich dir von den sehr, sehr Reichen erzählen. Sie unterscheiden sich von uns.“ Besonders groß wird diese Kluft, wenn eine Krankheit im Spiel ist. Und nur ganz selten zum Vorteil dieser berühmten Zeitgenossen.
Wie?
Privat Versicherte mit einem großen Namen, für die in der Regel die Kosten keine große Rolle spielen, sollen am Ende schlechter dran sein als ein stinknormaler Kassenpatient?
Seit Jahrzehnten ist diese Sorge Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen und Erörterungen. Viele Antworten liegen auf dem Tisch.
Für Ärzte kann es beispielsweise ungewohnt schwer sein, einem inneren Drang zu widerstehen, die üblichen Prozeduren zu vereinfachen oder abzukürzen, um dem besonderen Patienten Unbehagen möglichst zu ersparen.
Ärzte können besonders rücksichtsvoll agieren oder sie können ihr klares Urteilsvermögen einschränken, wenn sie es mit einem ungewöhnlich wichtigen Patienten zu tun haben. Für die damit verbundenen Risiken besteht seit 1964 der Begriff V. I. P.-Syndrom, zum ersten Mal publiziert von einem Psychiatrieprofessor namens Dr. Walter Weintraub. V. I. P. steht für englisch: very important person, sehr wichtige Person, und Syndrom für das gleichzeitige Vorliegen verschiedener Risiken und Krankheitszeichen.
Im „The Journal of Nervous and Mental Disease“ schrieb Dr. Weintraub: „Die Behandlung einer einflussreichen Person kann extrem gefährlich sein für beide, Patient und Arzt.“
Die Gefahr, dass eine als wichtig anerkannte Person ihren Status benutzt, um durch ihre Anwesenheit einen auf seinem Gebiet verantwortlichen Fachmann mächtig unter Druck zu setzen, ist nicht auf die Medizin beschränkt. Unter den Theorien über die Gründe des Absturzes einer polnischen Regierungsmaschine vom Typ Tupolew 154 im April 2010 bei Smolensk wurde auch über ein V. I. P.-Passagier-Syndrom spekuliert: Neben 94 anderen Fluggästen befand sich der Präsident Polens, Lech Kaczynski, mit seiner Frau. Der Staatschef hatte schon im August 2008 einen Luftwaffen-Piloten kritisiert, der aus Sicherheitsgründen wegen der Kriegshandlungen zwischen Russland und Georgien eine Landung in Tbilisi verweigern wollte. Luftfahrtexperten schließen nicht aus, dass sich in Smolensk etwas Ähnliches abspielte. Die russische Luftfahrtbehörde hatte der polnischen Besuchergruppe wegen schlechter Wetterverhältnisse einen Ausweichflughafen vorgeschlagen. Das berichtete der Pilot dem Präsidenten offensichtlich, dessen Entscheidung nicht bekannt wurde. Jedoch bei einem vierten Landungsversuch zerschellte die Maschine auf dem Boden.
Von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet, wurden die speziellen Umstände eines V. I. P.-Syndroms im Medizinbetrieb bereits in zahlreichen Studien wissenschaftlich analysiert und präzisiert (hier eine Auswahl, zur Autorisierung und besseren Auffindbarkeit mit ihrem Originaltitel: „Beware the V. I. P. Syndrome”, Block A.Jay, 1993; „Ethical considerations in clinical care of the ‘V. I. P.’ ”,Schenkenberg T., 2007;„Celebrities in the ED: managers often face both ethical and operational challenges”, ED Manag, 2006.; „The V. I. P. with illness”, Strange RE, 1980; „V. I. P.patients should be treated differently”,Mellick L. ED, 2000; „TheV. I. P. syndrome“,Weintraub W, 1964).
Alle teilen eine Auffassung. Die gängige Standardbehandlung von Patienten ohne besonderen gesellschaftlichen Rang hat sich in Millionen Anwendungen herauskristallisiert, um mit dem sinnvollsten Aufwand das bestmögliche Ergebnis zu erzielen, ohne Ansehen der Person. Jedes mehr, jedes Weniger stellt eine Abweichung vom bewährten Prinzip dar.
Manches Mal sind die Änderungen von der Norm für jeden ersichtlich. So empfiehlt eine Fachzeitschrift für Management-Ausbildung konkret, für Berühmtheiten abseits gelegene Räume vorzuhalten, in denen sie unbemerkt von anderen Patienten empfangen und untersucht werden können. Auch die Registrierung unter falschem Namen wird angeregt. Die Absicht ist klar: „Die angenehme Erfahrung einer reichen V. I. P. oder eines Förderers kann für die Einrichtung Millionen wert sein.“
Das wird in der Konsequenz bedeuten, dass aus Gründen der Diskretion oder des Komforts ein prominenter Kranker nicht in die Intensivstation mit den am besten geeigneten Geräten zur Diagnose und Überwachung eingewiesen wird, sondern weitab in die luxuriöseste Patientensuite.
Andere Kriterien sind rein psychologischer Art und erinnern an die Diskussion, ob ein Arzt seine eigenen Familienangehörigen behandeln soll. Da besteht allgemeiner Konsens, dass das eine schlechte Idee wäre, die eine Reihe von Problemen geradezu anzieht. Ein Arzt in einer solchen Rolle ist möglicherweise nicht so objektiv, wie er sein sollte. Er hat eine emotionale Bindung zu seinen Angehörigen und umgekehrt. So mancher kranker Verwandter wird diesem Arzt auf seinen Vorschlag vielleicht antworten: „Das bitte nicht!“
Ein Konflikt von Interessen führt eventuell dazu, dass nicht die beste Behandlung garantiert ist.
Es gibt eine Reihe von Umschwärmten, Berühmten, Mächtigen, Erfolgreichen und Wunderschönen, die auch in einer Notlage liebenswert sind. Aber einige V. I. P.s wurden erfolgreich, weil sie ihren Kopf durchsetzen, und anerkennen nicht bewährte Prozeduren, die entwickelt wurden, um Schaden abzuwenden. Mit solchen Zeitgenossen kann der Arzt erleben, dass sie eine Narkose oder einen kleinen Eingriff für nicht riskanter halten als einen Termin in einer Wellness-Oase, und für Aufklärung und Warnung haben sie prinzipiell keine Antennen. Aber gewisse Informationen mit Bezug auf eine bevorstehende medizinische Handlung sind unumgänglich. Wehe, einer nimmt sie nicht ernst! Oft kann dem Patienten geraten werden, etwa Aspirin oder blutverdünnende Medikamente abzusetzen. Gleichzeitig muss ihm dann bewusst sein, dass diese Maßnahme geringfügig die Wahrscheinlichkeit eines Schlaganfalls durch einen Blutklumpen im Gehirn erhöht. Oder er muss die Einnahme einer Substanz zur Blutdrucksenkung unterbrechen, und der daraus resultierende Blutdruckanstieg kann zu Gehirnblutungen und ebenfalls zu Gehirnschlag führen. Diese Gefahren muss der Patient für sich abwägen. Aber nicht wenige sind es tagtäglich gewohnt, selbst minimalste Einzelheiten vorzugeben und diktieren am liebsten auch ihre medizinische Behandlung.
* In diesem Buch wird für Patienten und Ärzte beiderlei Geschlechts, aber auch für die Mächtigen, Reichen und Schönen meistens vereinfacht die männliche Form verwendet.
Jeder Allgemeinmediziner wird täglich daran erinnert, dass seine Arbeit im Internet bewertet wird. Versicherungsgesellschaften, Krankenhausbetreiber und Gesundheitspolitiker geben ein Vermögen aus, um regelmäßig so etwas wie die generelle Patientenzufriedenheit zu ermitteln. Wer bei diesen Umfragen schlecht abschneidet, dem drohen wirtschaftliche Einbußen. Politiker entscheiden auf dieser Basis sogar über die Schließung von Versorgungseinrichtungen. Die Konsequenzen sind längst auch beim Hausarzt in seiner eigenen Praxis angekommen: Lehne niemals die Bitte eines Patienten um ein Antibiotikum, um ein schweres Schmerzmittel oder um einen kostspieligen Scan ab!
Ärzte berichten in internen Blogs: Sobald sie für jeden Husten, entzündeten Hals oder Kopfschmerz schwere Medikamente verschreiben, verbessert sich die Zufriedenheit ihrer Kunden um sieben Prozent. Unangenehme Aufklärungsgespräche etwa darüber, dass Knieschmerzen mit Übergewicht oder das Asthma eines Kleinkindes mit dem Zigarettenkonsum der Eltern zu tun haben können, sind eindeutig kontraproduktiv.
Die zwei wichtigsten Vorgaben machen es dem Arzt fast unmöglich, ein verantwortungsvoller Gesprächspartner für Gesundheit zu sein. Die erste: Die Tür-zu-Tür-Zeit des Patienten soll 45 Minuten nicht überschreiten. Die zweite: Er soll abschließend ein gutes Gefühl haben.
Langzeit-Statistiken zeigen eindeutig: Zufriedene Patienten sind keineswegs gesunde Patienten. Forscher der University of California in Davis fanden heraus: Unter den 52.000 Untersuchten verursachten die zufriedensten die höchsten Kosten und verbrauchten die meisten Medikamente. Sie veranlassen im Durchschnitt zwölf Prozent mehr Krankenhauseinweisungen als der Durchschnitt. Die Schlussfolgerung der Wissenschaftler lässt wenig Spielraum: Eine Überbehandlung ist ein stilles Todesrisiko (wörtlich: silent killer). Wir können überbehandeln und überverschreiben, der Patient ist glücklich, gibt uns gute Noten und ist schlechter dran.
Ein wichtiger Beitrag zur Patientenzufriedenheit leistet ein gutes Arbeitsklima zwischen Krankenhausleitung, Ärzteschaft und dem übrigen medizinischen Personal. Eine hohe Punktezahl auf der Arbeits-Beziehungs-Skala, Work Relation Scale, kommt auch bei den Kunden sehr gut an. Besonders wichtig ist die Bereitschaft einer Klinik, Verbesserungsvorschläge aus der Praxis umzusetzen.
Sobald jedoch eine V. I. P. ins Spiel kommt, kann angesichts eines Außerkraftsetzens bewährter Spielregeln der eine oder andere am Rande Beteiligte der Meinung sein, dass sein logischer Beitrag unerwünscht ist und der normale Hausverstand ausgeschaltet wird. Wiederholt sich das, ist es schlecht für das Arbeitsklima.
Patienten-Zufriedenheit ist ein gefährliches Ziel.
Jüngste Studien belegen, dass Ärzte drastisch ihr Verhalten geändert haben, um negative Beurteilungen zu vermeiden. Dazu gibt es aus den U. S. A. exakte Zahlen. Bei einer Umfrage unter mehr als 800 Ärzten in Notaufnahmen von Krankenhäusern bekannte mehr als die Hälfte, regelmäßig überflüssige Untersuchungen durchzuführen, nicht notwendige Medikamente zu verschreiben und sogar Einweisungen ins Krankenhaus vorzunehmen, die nicht begründet sind. Die Tageszeitung „USA Today“ erklärte im September 2014: Die ärztliche Sucht nach besserer Benotung kann die medizinischen Entscheidungen beeinflussen, weil die Patientenzufriedenheit das Einkommen mitbestimmt. Tatsächlich glauben auch zwei Drittel der Patienten, dass mehr Behandlung die bessere Behandlung ist.
Es ist eine Art Selbstschutz der Ärzte, und den größten Schaden können sie erleiden, wenn ein mega-wichtiger Kunde seinen Ärger in die Öffentlichkeit trägt.
Das Intellektuellen-Magazin „New Yorker“ schreibt dazu in einem Beitrag über Betäubungsmittel gegen Schmerzen unter der Überschrift „Verschreibung zum Desaster“: „Wenn Ärzte zu viele Opiate verordnen, dann nicht, weil sie korrupt sind, viel öfter sind sie unter Zeitdruck, schlecht informiert oder denken zu sehr an die Patientenzufriedenheit.“ In den U. S. A. sterben täglich 46 Personen an einer Überdosis verschreibungspflichtiger Schmerzmedikamente.
Besonders groß sind diese Gefahren auch, wenn es um Antibiotika geht, urteilt die Ärzte-Online-Zeitschrift „Emerging Infectious Diseases”: „Patienten erwarten diese Medikamente und verringern die Bewertungsnoten, wenn sie die Praxis ohne Rezept verlassen.“
Unterm Strich klärt die Investment-Zeitschrift „Forbes“ deshalb auf: „Warum Noten für Ihren Arzt schlecht für Ihre Gesundheit sind.“
Am Ende ist es der Patient, der für diese Politik büßt. Für den Arzt ist die Rechnung simpel: Mehr Untersuchungen garantieren mehr zufriedene Patienten, und mehr zufriedene Patienten bedeuten höheres Einkommen. Verlierer ist der Kranke. Der Arzt konzentriert sich auf dessen Erwartungen. Der Fokus richtet sich nicht auf seine Bedürfnisse.
V. I. P.s bilden da keine Ausnahme.
Ärzte berichten, dass ihnen von der Klinikleitung gelegentlich aufgetragen wird, die Basisuntersuchung einer berühmten Person abzukürzen oder zu unterlassen, um ihre Privatsphäre zu respektieren. Andrerseits kann es passieren, dass sich ein Dutzend Kollegen in ein Untersuchungszimmer drängen und vorgeben, zum Team zu gehören, aus Neugierde.
Für alle Beteiligten kann die V. I. P., ein vermeintlich unbesiegbarer, vom Schicksal begünstigter Über-Mensch, Furcht und Ablehnung erzeugen, wenn dieser besondere Mitmensch allzu fordernd und manipulierend ist.
Was niemals öffentlich ausgesprochen wird, jedoch seit Jahrzehnten in der wissenschaftlichen Literatur zur Arzt-Patient-Beziehung untersucht und diskutiert wird, betrifft ein Gefühl, das sich der Laie in einem medizinischen Umfeld am allerwenigstens vorstellen kann: Hass. Der Psychiater Dr. Abbey Strauss beschrieb 1983 erstmals in der Zeitschrift „Man and Medicine“ den Typus eines extrem schwierigen Patienten, der mit grenzenloser Feindseligkeit eine ebensolche Abneigung beim Personal auslöste. Die zu Grunde liegenden Eigenschaften sind oft: kindisch, unzuverlässig, arrogant, fordernd, unsensibel, egozentrisch, undankbar und unkooperativ. Besonders schlimme Vertreter sind außerdem zum Beispiel drohend, rassistisch, rachsüchtig und häufig gegenüber dem weiblichen Personal anzüglich bis belästigend.
Während die Mächtigen, Reichen und Schönen sehr wohl die besten Umgangsformen kennen und sich niemals so dramatisch daneben benehmen wie etwa gewalttätige Menschen, erleben doch speziell junge Krankenschwestern und Ärztinnen auch in der Betreuung einer V. I. P. gelegentlich schwer zu kontrollierende Situationen, in denen gegrapscht oder ein anderer körperlicher Kontakt angestrebt wird. Oft fühlen sich die verängstigten, eingeschüchterten Opfer eines Fehlverhaltens von ihren Vorgesetzten alleingelassen, wenn das Wohlergehen und die Zufriedenheit einer berühmten Person sehr viel mehr bedeuten.
Jeden extrem Erfolgreichen verbinden spezielle Kontakte mit ausgewählten Journalisten. Auch das beeinflusst den V. I. P.-Kontakt. Während das für das ausgewählte Krankenhaus oder für den Arzt im Scheinwerferlicht eine besondere Chance der positiven Aufmerksamkeit darstellt, droht gleichzeitig wegen der Aufmerksamkeit durch die Medien enormer Schaden, sobald an der Behandlung der umworbenen Person Kritik aufkommt. Im Umgang mit Medieninteresse ungewohntes medizinisches Personal kann sich - da seine Berufswelt plötzlich im Fokus steht - auch ermuntert fühlen, das eine oder andere verbesserungswürdige Detail im Zusammenhang mit den vorherrschenden Arbeitsumständen nach draußen zu tragen. Enormer Kostendruck führt zu extremer Beanspruchung der Beschäftigten, während Weiterbildung vielleicht auf der Strecke bleibt. In jedem Krankenhaus passiert der eine oder andere kleine Fehler. Ein aktuelles Beispiel, was dann fast in der Luft liegt: Einige amerikanische Kliniken wurden während der Ebola-Hysterie von unzufriedenen Krankenschwestern mit dem Vorwurf konfrontiert, ihre Menschenrechte seien verletzt oder eingeschränkt worden.
Auch solche Überlegungen können einfließen in die besondere Vorsicht, die der herausragenden Person entgegengebracht wird.
Das V. I. P.-Syndrom entfaltet sich zwischen Extremen.
Eine ungeplante plötzliche Einlieferung aus einem Notfall erfordert weniger Vorbereitung und die betreffende Person erreicht das Krankenhaus in der Regel ohne Gefolge. Ansonsten sind Reservierungswünsche von weiteren Zimmern für Familie, Security und Stab keine Seltenheit. Oft muss eine Flut von Blumengrüßen und Genesungswünschen organisiert werden. Zur Ablenkung des Personals und der Klinikverwaltung tragen auch die vielen Besucher bei. Einige sind ebenfalls wichtige Zeitgenossen oder sogar Vorgesetzte der behandelnden Ärzte und sprechen Empfehlungen aus, die nicht immer zu überhören sind.
Wird jemand in ein Krankenhaus eingeliefert, bilden meistens akute Beschwerden und chronische Probleme gemeinsam die Aufgaben, die zu lösen sind, und mit deren Diagnose und Behandlung in der Regel Experten verschiedener Fachrichtungen beschäftigt sein werden. Die Medizin liefert die besten Ergebnisse nicht in Isolation, sondern in einem klugen Mix von Denkanstößen und Empfehlungen. Spezielle Teams bewältigen die einzelnen Aspekte der Gesundheitsversorgung. Im normalen Alltagsbetrieb haben auch angehende Ärzte in einem bestimmten Abschnitt ihrer Ausbildung in solchen Zusammensetzungen ihre Rolle und melden sich nicht selten zu Wort oder wollen sich auf andere Weise einbringen, denn sie müssen sich für die Versorgung der Patienten von morgen präparieren.
Diese verschiedenen Erfahrungsebenen und Dienstgrade sind für den Patienten schwer zu durchschauen und führen nicht selten zu Verunsicherung und unnötiger Angst. Prominente Kranke werden in der Regel noch von ihren persönlichen Ärzten begleitet, vom Kardiologen, vom Endokrinologen, vom Nephrologen, vom Diätarzt. Deren Empfehlungen sollten von den Krankenhaus-Kollegen durchaus - so lauten alle Regeln - mit echtem Interesse gehört und angemessen gewichtet werden.
Was aber, wenn in diesem Biotop unterschiedliche Ansichten entstehen?
Während auf der einen Seite die Anstrengung jedes Spezialisten im Interesse der berühmten Person erfolgen wird, ist das nicht ohne Risiko. Jedes abgegrenzte medizinische Fachgebiet fördert bei seinen Vertretern die wichtige Fähigkeit, aus einer besonderen Sicht Ergebnisse zu interpretieren und Schlussfolgerungen zu ziehen. Möglicherweise werden auch unterschiedliche Diagnoseverfahren gewünscht. Unterm Strich können sich alle diese gebündelten Bemühungen in Verzögerungen einer Entscheidung, in Kompromissen, also in Nachteilen auswirken.
Das Sprichwort „Zu viele Köche verderben den Brei“ gilt nicht nur in der Küche.