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Die Bergpredigt Christi, eine gewaltige Vorarbeit für das, was der heilige Geist seit dem Pfingstfest tut, hat die Absicht, die Gebote Gottes in uns zur Wahrheit und Wirklichkeit werden lassen. Die Zeit, in der sie gehalten wurde, hat große Ähnlichkeit mit der Zeit des Verfassers in den sittlichen Zuständen des Volkslebens, in den Forderungen des Gottesreiches, darin zumal, dass, wie damals die erste Ankunft Christi erfolgte, seine Wiederkunft nahe sein sollte. Der Leser soll daraus lernen, wie ein Christ und Gemeinschaft von Christen wandeln soll, um vor seinem Tag zu bestehen. Es wird eine fortlaufende erbauliche Erklärung der Bergpredigt gegeben, in 17 Abschnitten, deren jedem einige passende Liederverse beigefügt sind. Die Bedeutung für die damalige Zeit wird dabei teils durch Rücksichtnahme auf besonders brennende Fragen, wie die Eidesleistung und Ehescheidung, hervorgehoben; den bürgerlichen Eid hält der Verfasser für erlaubt, die Wiederverehelichung Geschiedener dagegen auch im Fall des Ehebruchs für den unschuldigen Teil für unstatthaft. Teils wendet er sich gegen Heidentum und Pharisäertum in der Gemeinde, teils wird im Licht des bekannten Standpunktes des Verfassers die Zeit betrachtet und die Schrift ausgelegt, in Beziehung auf die nahe Wiederkunft des Herrn, die Verfassung der Kirche mit ihren Ämtern aus der apostolischen Zeit, das neuerwachte Prophetentum.
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Seitenzahl: 201
Die Bergpredigt
und ihre Bedeutung für die Gegenwart
HEINRICH J. W. THIERSCH
Die Bergpredigt, Heinrich J. W. Thiersch
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN: 9783849680358
Textquelle: "Edition Albury - Sammlung Peter Sgotzai des Netzwerks Apostolische Geschichte e.V.", bei der wir uns sehr für die freundliche Genehmigung der Nutzung des Textes bedanken.
www.jazzybee-verlag.de
VORWORT.. 1
EINLEITUNG.. 4
DIE SELIGPREISUNGEN... 8
DIE HOHE BESTIMMUNG DER JÜNGER.. 26
CHRISTUS, DER ERFÜLLER DES GESETZES. 34
DAS VERBOT DES TÖTENS UND DAS GEBOT DER VERSÖHNLICHKEIT44
DAS GEBOT DER KEUSCHHEIT UND DIE UNAUFLÖSLICHKEIT DER EHE51
DAS GEBOT DER WAHRHAFTIGKEIT UND LAUTERKEIT DER REDE60
DAS GEBOT DER VOLLKOMMENEN LIEBE.. 65
DIE ALMOSEN... 71
DAS GEBET IM KÄMMERLEIN... 74
DAS VATERUNSER.. 77
DAS FASTEN... 91
DIE HIMMLISCHEN SCHÄTZE.. 95
DAS VERBOT DES MAMMONSDIENSTES. 99
DAS VERBOT DES RICHTENS. 107
DIE GROSSE VERHEIßUNG UND DAS GROSSE GEBOT.. 112
WARNUNG VOR DEM BREITEN WEG UND VOR DEN FALSCHEN PROPHETEN117
VOM TUN DES GÖTTLICHEN WILLENS. 124
Es ist eine große Aufgabe, die Worte des Herrn in der Bergpredigt dem christlichen Volk auszulegen und einzuschärfen. Es sind schwere Stellen in diesem Abschnitt des göttlichen Wortes enthalten. Es kommen Gewissensfragen, die aufs tiefste eingreifen, zur Sprache. Möge es mir gelungen sein, sie nach dem Sinne Christi und im Einklang mit der echten apostolischen Tradition zu behandeln!
Man wird mir zutrauen, dass mir die Kommentare der Gelehrten nicht unbekannt geblieben sind, obwohl ich sie nicht zitiere, sondern mich darauf beschränke, die für die christliche Erkenntnis und das christliche Leben bedeutsamen Ergebnisse darzulegen. Insbesondere wünsche ich die hier gegebene Erklärung des Vaterunsers der Aufmerksamkeit der Leser zu empfehlen. Einige köstliche Winke verdanke ich dem Bibelwerk von Wilhelm Reischl (d.h. Schriften des N.T. Regensburg 1866), das in möglichst bündiger Fassung eine Art von Catena Patrum enthält.
Es ist mir willkommen und dankenswert, dass mir Gelegenheit gegeben ist, dies Schriftchen, das vor zehn Jahren erschien, noch einmal und zwar in vervollkommeneter Gestalt (wie ich hoffe) ans Licht treten zu lassen. Der Abschnitt über den Eid („das Gebot der Wahrhaftigkeit und der Lauterkeit der Rede”) musste neu ausgearbeitet werden, weil ich in der ersten Ausgabe etwas zu weit gegangen war. Ich hoffe, klar dargetan zu haben, dass der Herr bei den Worten:
„Ihr sollt allerdinge nicht schwören”, den von der Obrigkeit auferlegten feierlichen Eid überhaupt nicht im Auge gehabt hat, sondern nur die Beteuerungen des gewöhnlichen Lebens, und dass der Christ den Eid, welchen die Obrigkeit zu fordern ein Recht hat, mit gutem Gewissen leisten darf, obwohl die Anforderung an sich, und mehr noch die Häufigkeit derselben, ein Zeichen des in der Christenheit eingetretenen Verfalls ist und bleibt. Ich ersuche die Besitzer der ersten Ausgabe, von dieser Berichtigung (die übrigens auch schon in der Schrift „über den christlichen Staat” Basel 1875 erschienen ist) Kenntnis zu nehmen und die frühere Fassung als abgetan zu betrachten.
Ein Gegenstand, der in unserer Zeit gründliche Bearbeitung dringend erfordert, ist die Lehre Christi und Seiner Apostel von der Ehe und ihrer Unauflöslichkeit. Was ich hierüber gesagt habe, bedarf allerdings der weiteren Ausführung und Begründung. Indessen ist eine solche schon gegeben, und zwar in dem Buch von Döllinger, welches ich für das bedeutendste und wertvollste seiner Werke halte: „Christentum und Kirche in der Zeit der Grundlegung” (2. Ausg. Regensburg 1868).
Die protestantische Kirche hat durch die Einführung der Zivilehe in Deutschland und der Schweiz freie Hand bekommen, um ihre Eheordnung zu revidieren und nach Gottes Wort zu gestalten. Dieser Aufgabe sollten gläubige Theologen sich widmen und die hier auftauchenden Fragen treulich nach der Schrift, nicht nach einer von der Schrift abweichenden und verderbten Praxis, zu beantworten suchen. Eine solche Arbeit müsste mit sorgfältiger Berücksichtigung dessen, was Döllinger schon geleistet hat, ausgeführt werden.
Die alten protestantischen Kirchenordnungen schlossen sich, wie ich an einem anderen Ort zu zeigen gesucht habe (,‚das Verbot der Ehe innerhalb der nahen Verwandtschaft” Augsburg, R. Preyß), in Hinsicht auf die verbotenen Grade genau an das Wort Gottes an. In Beziehung auf Ehescheidung und Wiederverheiratung sind sie von dem christlichen Prinzip abgewichen. Jener erste Schritt hat weitergeführt, die Durchbrechung des Grundsatzes von der Unauflöslichkeit des Bandes hat sich gerächt, indem unaufhaltsam und mit logischer Notwendigkeit jene Versetzung der Ehe von dem heiligen Gebiet auf das profane erfolgte, die in dem preußischen Landrecht und dem Reichsgesetz vom 6. Februar 1875 zum Abschluss gekommen ist. Leider ging dem Verfall der Gesetzgebung der Verfall der Theologie zur Seite. Wie weit auch die Theologen sich in ihren Ansichten über die Ehe von der Heiligen Schrift entfernt haben, dies ist auf eine erschreckende Art ans Licht getreten bei einer Gelegenheit, da man es nicht erwarten sollte, nämlich in den Verhandlungen der evangelischen Synode Württembergs im November 1875 über das Reichszivilehegesetz und über die Stellung, welche die evangelische Kirche gegen dasselbe einzunehmen hat. Stadtpfarrer Rieger von Stuttgart hatte den richtigen Antrag gestellt, zu beschließen: „Zulässig (zur kirchlichen Verkündigung und Trauung) sind diejenigen nach dem Reichsgesetz statthaften Ehen, welche nicht mit dem Wort Gottes in Widerspruch stehen und der evangelischen Gemeinde kein Ärgernis geben. Das Nähere darüber festzustellen bleibt einer besonderen kirchlichen Eheordnung vorbehalten.” Es genügt hier anzuführen, dass dieser Antrag, und mit demselben jede Hinweisung auf Gottes Wort, verworfen wurde.
Der Abfall von der Heiligen Schrift und den Grundsätzen der Reformatoren, der hier zum Vorschein kommt, greift noch tiefer und verbreitet sich noch weiter als nur über das Gebiet des Eherechtes. Wie wird in der modernen Theologie, wenn es sich um Feststellung der Glaubens- und Sittenlehre handelt, die Bibel betrachtet? Nicht als die unverbrüchliche, von Gott gegebene Richtschnur, der wir uns zu unterwerfen haben; sie gilt nur noch als ein Magazin von „Ideen” zur beliebigen Auswahl und Verwendung.
Die theologische Tätigkeit besteht darin, dass jeder sich von diesen Ideen aneignet, was ihm zusagt, mit Hintansetzung alles dessen, das ihm nicht gefällt, und sich wie aus einem gefügigen Ton ein System zurechtknetet. Man nennt allenfalls die Bibel noch eine „Direktive” die aber nichts dirigiert; eine „Norm” nach der sich niemand zu richten braucht. Solche Verwüstungen hat auf dem heiligen Boden der Christenheit eine Weltanschauung angerichtet, die nichts mehr wissen will von unverbrüchlichen Geboten Gottes, nichts von der Rechenschaft, die ein jeder vor dem Richterstuhl Christi wird ablegen müssen. Gegen diese falsche Theologie will ich mit der Hilfe Gottes protestieren bis zum letzten Atemzug. Solches war und ist mein Verlangen auch bei der Herausgabe dieser Schrift. Sie sei eine Mahnung an die Gebote des Herrn, nach denen wir alle, die einzelnen wie die Kirchenverwaltungen, unser Urteil empfangen werden, wenn Er kommt.
Basel, den 14. Dezember 1877
Der Verfasser
Johannes der Täufer war in das Gefängnis geworfen und sein Ruf zur Buße war verstummt. Da trat Jesus Christus auf, und was Er verkündigte, war anfangs die Fortsetzung der Predigt Seines Vorläufers:
„Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen” (Mt. 4,17), wie denn auch Seine Jünger anfangs in die Fußstapfen des Johannes traten und die Johannestaufe erteilten (Joh. 3, 22.23; 4, 1.2.). Durch Empfang dieser Taufe erkannten die Israeliten an, dass sie, ähnlich wie die Heiden, einer Reinigung bedurften, dass mannigfaltige Schuld auf ihnen lag, dass sie so, wie sie waren, vor Gott nicht bestehen konnten. Indem sie sich jener sinnbildlichen Reinigung unterzogen, damit die Änderung ihres Sinnes bezeugten, und sich zu einem neuen Wandel verpflichteten, taten sie den entscheidenden Schritt zur Vorbereitung auf den Eintritt in das herannahende Reich des Messias.
Man muss in der Wirksamkeit Jesu verschiedene Stufen unterscheiden. Jene Reden des Herrn, die der ersten Stufe angehörten, werden sich nach Inhalt und Absicht an die des Vorläufers angeschlossen haben. Er konnte den Jüngern, die von Johannes zu Ihm übergegangen waren, nicht alles auf einmal mitteilen. Zunächst galt es, sie in Erneuerung des Sinnes und Wandels, zu der Johannes aufgefordert hatte, tiefer zu begründen, und dies ist Seine Absicht in der Bergpredigt. Hier werden die eigentlichen Geheimnisse des Himmelreichs, wie die göttliche Würde des Sohnes, Sein Versöhnungstod, Sein Hingang zum Vater und die Sendung des Trösters noch nicht enthüllt, doch ist die Tür des Himmelreichs schon aufgetan, es wird ein Blick in dasselbe eröffnet, die Bedingungen für die Aufnahme in dieses neue Reich und für das Bleiben in demselben werden gezeigt. Hier also sind die Reden der ersten Stufe zusammengefasst; einer zweiten, höheren Stufe gehören die Gleichnisse an; die Reden der letzten und höchsten Stufe finden sich bei Johannes (14.-17. Kapitel).
Christus fand das Volk Israel in einer falschen Richtung begriffen. Es fehlte nicht an Ernst und Eifer für die Religion, aber seit mehreren Menschenaltern waren die Vorsteher und durch sie das Volk auf den Weg geraten, dass sie meinten, durch ein Übermaß von Strenge in äußerlicher Erfüllung der Gebote Gottes und der von den Schriftweisen hinzugefügten Satzungen, den Messias und Sein Reich herbeiziehen zu können. Christus will sie in der Bergpredigt von den hiermit verbundenen Täuschungen völlig befreien, sie in ihr Inneres und zum wahren Sinne des Gesetzes zurückführen. So erscheint die Rede, welche Jesus auf dem Gebirge von Galiläa an ein zahlreich versammeltes Volk aus allen Teilen des jüdischen Landes hielt (Luk. 6,17), als ein Gegenstück zur Verkündigung des alten Gesetzes vom Berge Sinai an die in der Wüste versammelten Stämme Israels. Darin jedoch besteht der Unterschied: Auf Sinai wurden die Gebote in steinerne Tafeln gegraben, jetzt aber ist der erschienen, der sie durch den Geist Gottes in das Herz der Menschen schreiben soll. Dies wäre in den Zeiten des Alten Bundes nicht gelungen. Die wiederholten Empörungen und Versündigungen des Volkes Israel in der Wüste waren der traurige Beweis davon, wie wenig das Gesetz Gottes ihnen innerlich und lebendig geworden war. Im Wesentlichen wurde es auch nachher nicht anders. Das Gesetz konnte, wie Paulus aus Erfahrung lehrt, nicht lebendig machen (Galat. 3,21), seine Wirkung auf den Menschen scheiterte an dem Widerstand des Fleisches (Röm. 8,3), d.h. an der noch unbesiegten, tiefgewurzelten, durch die Länge der Zeit und Gewohnheit noch mehr erstarkten Verkehrtheit und Verderbnis des menschlichen Herzens. In solchen Herzen konnte der göttliche Geist noch nicht Wohnung machen. Die menschliche Natur war noch nicht von dem alten Fluch entledigt und gereinigt. Der Herr schaute vom Himmel auf der Menschen Kinder, ob jemand da sei, der nach Gott frage; aber sie waren allesamt abgewichen und untüchtig geworden (Psalm 14,2.3.). Endlich ist der geliebte Sohn erschienen. Von der frühesten Kindheit an hat Er Glauben gehalten, Gehorsam bewiesen, den Versuchungen widerstanden, der Leitung des guten Geistes Folge geleistet und die Reinheit des Herzens bewahrt. Er hat Sich aufgemacht, um Sich ganz in den Willen Seines Vaters hinzugeben; in dieser Gesinnung kam Er zum Empfang der Johannestaufe. Nun ist Er gefunden, an welchem Gott der Vater Wohlgefallen haben und in dem der Heilige Geist Wohnung machen kann. Über Ihm hat sich der bis dahin den Menschen verschlossene Himmel aufgetan. In Ihm ist die Liebe zu Gott und den Menschen vollkommen. Das Gesetz Gottes ist zum ersten Mal durch den lebendig machenden Geist in ein menschliches Herz, in das Herz Jesu Christi geschrieben.
Aber auch in unsere Herzen soll die Liebe Gottes ausgegossen werden. Im Neuen Bund soll nach der großen Verheißung bei Jeremia (31,33) das Gesetz des Herrn in unser Inneres eingeschrieben sein. Damit es dahin komme, musste der Menschensohn erst leiden, sterben und auferstehen. Nur dadurch konnte der Fluch von uns genommen, der Sünde in unserm Fleisch der Tod angetan und ein neues Leben uns mitgeteilt werden. Doch schon vor Seinem Leiden und vor dem durch Tod und Auferstehung zu erringenden großen Siege konnte der Herr durch die Worte des Geistes, die Er redete, Seine Jünger hierauf vorbereiten. Die Bergpredigt ist nichts anderes als eine gewaltige Vorarbeit für das, was der Heilige Geist seit Seiner Sendung am Pfingstfest in den Gläubigen und Getauften zur vollen Wahrheit gemacht hat.
Dies also ist die Bedeutung, welche die Bergpredigt auch für uns hat. Auch an uns ergeht diese Verkündigung in der Absicht, damit durch den Geist Christi Gottes Gebote in uns zur vollen Wahrheit und Wirklichkeit werden. Es ruht ein besonderer Segen darauf, wenn wir diese Rede Jesu mit willigem Herzen hören und mit Ernst unseren Charakter danach zu bilden suchen. Ohne diese Willigkeit, ohne diesen Ernst würde alle tiefergehende Unterweisung über göttliche Dinge an uns vergeblich sein; wir würden nie etwas Rechtes von den Wegen Gottes lernen und am Ende ferne vom Reich der Himmel bleiben.
Die Zeit, in der wir leben, hat große Ähnlichkeit mit den Tagen, in welche uns die Bergpredigt zurückversetzt. Denn mit dem Volk der Christen im Ganzen steht es wahrlich in religiöser und sittlicher Hinsicht nicht besser, als es damals mit den Juden stand, und wie das Volk Israel eine Buße nötig hatte, um in das Reich Gottes eintreten zu können, so wird von uns Christen eine durchgreifende Sinnesänderung erfordert. Und diese Forderung ergeht in der Gegenwart ernster und dringender als je, denn die Zeit ist gekommen, wo der alte Ruf in neuer Bedeutung ertönt:
„Das Reich der Himmel ist nahe herbeigekommen.” Damals trat das Reich Gottes in Christus Selbst und in der Kirche auf eine noch verhüllte und geheimnisvolle Weise ins Dasein. Aber bei der Wiederkunft Jesu Christi soll es in Macht und Herrlichkeit ans Licht treten. Diese große Wendung der Dinge ist uns nahe gerückt, und nun gilt es für uns Christen, so gesinnt zu werden und so zu wandeln, dass uns die zweite Erscheinung Christi zum Heil und nicht zum Gericht gereichen möge. Der Wille des Herrn an uns ist aber heutzutage kein anderer als vor alters, und Seine heiligen Gebote sind noch dieselben. Auch wir also, für welche die letzten Zeiten dieses Weltalters gekommen sind, sollen aus dieser Rede Jesu lernen, wie ein Christ gesinnt sein und wandeln muss, um, wenn Christus erscheint und wir vor Ihm offenbar werden müssen, als Seine rechtens Jünger anerkannt zu werden. Indem Gott in unseren Tagen das Licht Seines Geistes in erhöhtem Maße leuchten lässt und uns auf den Weg der ursprünglichen Ordnung in der Kirche zurückführt, ist Seine Absicht keine andere als diese, dass Sein Gesetz wirklich in unser Herz geschrieben und unser Wandel damit in Übereinstimmung gebracht werde; denn eine Gemeinschaft, in der dies nicht der Fall ist, wird gewisslich vor dem Herrn, wenn Er kommt, nicht bestehen.
Mt. 5, 3-12.
„Selig sind, die da geistlich arm sind; denn das Himmelreich ist ihr. Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen. Selig, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden. Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. Selig sind, die reines Herzens sind; denn sie werden Gott schauen. Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen. Selig sind, die um Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn das Himmelreich ist ihr. Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um Meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles wider euch, so sie daran lügen. Seid fröhlich und getrost, es wird euch im Himmel wohl belohnt werden. Denn also haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind.”
Moses erhielt den Befehl, dass nach der Einnahme des heiligen Landes auf den Bergen Garizim und Ebal der Segen und der Fluch feierlich ausgerufen werden sollte (5. Mose 27,1 1-13). Zwar die Worte des Fluches, welche die Leviten auszusprechen hatten, stehen dort geschrieben (V. 15-26), wo aber sind die Sprüche des Segens verzeichnet? Im Gesetzbuch fehlen sie, und hierin hat gewiss nicht der Zufall gewaltet. In dem Schweigen der Schrift sind mitunter Geheimnisse angedeutet. So ist es hier. Der Grund jener Verschweigung ist wohl kein anderer als der, dass der Segen durch das Gesetz nicht kommen konnte. Denn das Gesetz richtet Zorn an, und die mit des Gesetzes Werken umgehen, die sind unter dem Fluch (Röm. 4,15. Gal. 3,10). Aber nun ist eine andere Zeit angebrochen: der Sohn Gottes ist erschienen, und als Er vor Seinen versammelten Jüngern in Galiläa Seinen Mund auftat, waren das erste, das man hörte, die bis dahin verschwiegenen Segenssprüche, nämlich die Seligpreisungen. Jetzt beim Aufbruch des neuen Reiches wird dem versammelten Volk verkündigt, was damals bei dem Eintritt Israels in das irdische Kanaan noch zurückbehalten werden musste.
Die Seligpreisungen gelten denen, an welchen die Arbeit des Vorläufers Christi nicht vergeblich war, und ihr Hauptinhalt ist in den ersten Worten zusammengefasst: ,,Selig sind, die da geistlich arm sind; denn das Himmelreich ist ihr.” Das Wort, dessen der Herr sich hier bedient, (lrtcoxot) bedeutet eine bittere, tiefempfundene Armut, aus welcher der Ruf um Hilfe hervorgeht. Es ist nicht die leibliche Armut gemeint, sondern das Gefühl einer inneren Not, das Bewusstsein geistlichen Mangels, die Empfindung, dass man im geistlichen Leben noch weit zurück sei, dass man arm sei an Gebet und Gottvertrauen, an Heiligkeit und an Werken der Gerechtigkeit. Die Seelen, die von diesem Gefühl überwältigt waren, hatten keinen Trost am Gesetz; sie fanden keine Erquickung in der Unterweisung der Schriftgelehrten, ja auch bei Johannes dem Täufer fanden sie nicht die wahre Stillung ihrer Not. Sie mochten meinen, sie seien am allerweitesten vom Reich der Himmel entfernt, und allen andern stünde es eher offen, als ihnen. Aber Er, der die Mühseligen und Beladenen zu Sich ruft, folgt diesen Armen am Geist: euch gehört das Reich der Himmel.
Wir sind durch die heilige Taufe unter die Kinder Gottes aufgenommen worden, aber wir haben dabei auch dem Teufel und seinen Werken den Abschied gegeben und die Gebote des Herrn zu halten versprochen. Wir sind mit dem weißen Kleid der Unschuld und Gerechtigkeit Christi angetan worden, und die Verpflichtung ruht auf uns, ein fleckenloses Leben zu führen. In dem Gewand der Unschuld sollen wir vor dem Herrn erscheinen; denn, weil Er uns Christen viel gegeben hat, wird Er auch viel von uns fordern. Jetzt, da Er wieder das Wort in der Kirche genommen hat, lässt Er uns diese Wahrheit verkündigen. Es ist niemand zu finden, der den Taufbund vollkommen gehalten hätte, und der Zustand der Christen insgemein steht in einem schrecklichen Widerspruch gegen die in der Taufe empfangene Gnade und die bei der Taufe übernommene Verpflichtung. Wer nun, dessen ungeachtet, dabei bleibt zu sagen: „Ich bin reich und habe gar satt und bedarf nichts”, der ist so ferne wie möglich von dem Reich Gottes. Wer aber seine Taufe zu Herzen nimmt und erkennt, wie wenig er die Taufgnade geachtet und bewahrt hat und wie weit sein Herzenszustand und Lebenswandel von dem, was den Kindern Gottes geziemt, entfernt ist, der wird arm an Geist; und ist es ihm ernst mit solcher Erkenntnis und Bekenntnis, so ist er glückselig zu preisen, denn der wichtigste Schritt zur Vorbereitung auf das Reich der Himmel ist mit ihm geschehen. Es gehört denen, die von dem Gefühl ihrer geistlichen Verarmung durchdrungen sind, und keinen anderen - ‚ mag ihr Lehrbegriff noch so rein und ihre kirchliche Benennung noch so ehrenvoll und wohllautend sein. Oder wer wagt es zu behaupten, wer ist wohl so verblendet, sich darauf zu verlassen, dass beim Eintritt in das Himmelreich oder der Ausschließung aus demselben der Name der Konfession, der jemand angehört, entscheiden werde? Keiner von uns steht mit seinem geistlichen Leben allein; wir befinden uns in einer Gemeinschaft, deren Güter uns zum Segen gereichen und unter deren Mängeln wir leiden. Nun gibt es Christen, die für ihre eigene Person ihre Armut anerkennen, aber auf die besondere kirchliche Gemeinschaft, zu der sie sich zählen, nichts kommen lassen wollen. Sie suchen ihre Kirchenpartei zu preisen, wie wenn deren Vorzüge den Mangel und das Elend der einzelnen Glieder zudecken könnten. Aber der Herr findet Ursache, auch zu jeder der bestehenden kirchlichen Körperschaften zu sagen: Ich habe etwas wider dich. Er erinnert uns an die ursprüngliche Ausstattung Seiner Kirche und an ihre Verpflichtung, ein heiliges Volk zu sein. Im Licht der Wahrheit müssen wir bekennen, dass keine von allen Kirchenparteien auf Erden sich in dem Stand befindet, in welchem der Herr Sein Volk finden will, wenn Er kommt und Rechenschaft für die anvertrauten Güter fordert.
Darum müssen wir nicht nur jeder für sich dem Gefühl der geistlichen Armut Raum geben, sondern auch die Verarmung und Not der christlichen Kirche im Ganzen, und namentlich unserer besonderen Kirchengemeinschaft, zu Herzen nehmen und bekennen. Dieses Bekenntnis fällt manchem so schwer, als sollte es ihm sein Leben kosten; denn er meint, damit ginge ihm aller Halt und Trost verloren. Er klammert sich an eine vermeintliche Fehlerlosigkeit oder Untrüglichkeit seiner Kirchenabteilung an; sei nun diese eine der großen Kirchen oder eine winzige Sekte, in beiden Fällen stellt der gleiche Wahn sich ein. Aber nur der falsche Trost und der betrügliche Halt wird dahinfallen, wenn wir uns in die rechte geistliche Armut einführen lassen. Fühlen wir unsere und unserer Kirchengemeinschaft tiefe Not, so leuchtet uns der wahre Trost. Gerade dies Gefühl und dies Bekenntnis dient zur Vorbereitung für das kommende, bessere Reich: „Selig sind, die da geistlich arm sind, denn ihnen gehört das Königreich der Himmel.”
„Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden”. Das Wort „Leidtragen” bedeutet ein tiefes Weh, eine Klage wie um einen Todesfall. Welche Ursachen haben denn die Jünger Jesu zu solchem Schmerz und zu solcher Klage? Auch sie werden durch zeitliche Verluste, durch den Tod der Ihrigen und durch öffentliches Unglück betrübt; doch ist es nicht das Leid dieser Art, worauf die große Verheißung ruht: „Sie sollen getröstet werden”. Wie es die geistlich Armen sind, welche seliggepriesen werden, so ist hier ein geistliches Leid und eine göttliche Traurigkeit gemeint. Die Ursache hierzu finden wir in uns selbst und um uns her. Wir finden sie in uns; denn haben wir die Gelübde unserer Taufe gebrochen und den Geist des Herrn betrübt, so ist dies wahrlich große und gerechte Ursache zum Leidtragen. Denn was ist der Inhalt der Entsagung und der Gelübde, die bei der heiligen Taufe ausgesprochen werden und die zu diesem Sakrament gehören? Völlige Lossagung von dem Argen, völlige Hingebung an Ihn, der uns geliebt und Sich Selbst für uns dahingegeben hat. Wir haben dem Herrn versprochen, lieber zu sterben, als in eine Sünde zu willigen. Solch ein Ernst ist es mit den Pflichten der Getauften. Meinen wir es aufrichtig hiermit, so wird eine begangene Hauptsünde ein größeres Leid bei uns hervorrufen, als wenn wir leiblich sterben müssten. Aber auch außer uns finden wir Ursache zum Leidtragen, wenn wir das geistliche Elend in der Heidenwelt, und noch mehr, wenn wir das geistliche Elend in der Christenheit ansehen. Einen Getauften zu sehen, der in groben Sünden lebt oder in Unglauben und Gotteslästerung, ist für solche, die den Sinn Christi haben, ein schrecklicher und höchst schmerzlicher Anblick. Am Karfreitag besonders werden wir aufgefordert, die Sünden, die unter den Christen geschehen, zu Herzen zu nehmen. In den Tagen der Karwoche stimmen wir in die Klagelieder des Jeremia ein. „Ach dass ich Wasser genug hätte in meinem Haupt und meine Augen Tränenquellen wären, dass ich Tag und Nacht beweinen möchte die Erschlagenen in meinem Volk! Es sind eitel Ehebrecher und ein frecher Haufe” (Jeremia 9,1 .2.) „Ach du Tochter Jerusalem, wem soll ich dich vergleichen? Denn dein Schaden ist groß wie ein Meer, wer kann dich heilen!” (Klagel. 2,13). Die Gerichte Gottes kommen über die christlichen Völker wie damals über Jerusalem. Jetzt schon sieht, wer erleuchtete Augen hat, die geistlich Erschlagenen umherliegen; er kennt keinen größeren Jammer als den, die Verführung der Jugend und das wachsende Verderben wahrnehmen zu müssen und nicht ändern zu können. Das ist die große Totenklage, die aus unseren Herzen zum Himmel aufsteigen soll. Das ist die Teilnahme an den Leiden Christi, zu der wir berufen sind. Das ist es, was der Herr Selbst empfunden hat, als Er das Volk Israel ansah und Ihn desselben jammerte.
Er fand solche, die ähnliches empfanden und die von Johannes dem Täufer gelernt hatten, über den Zustand ihres Volkes zu trauern. Diese sind es, die Er seligpreist, „denn sie sollen getröstet werden.” Dieses Leiden wird Er stillen; die mit solchen Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Er wird den neuen Himmel und die neue Erde schaffen, dann soll unter seinem Volke die Stimme des Weinens nicht mehr gehört werden (Jes. 65,17-19). Unterdessen will Er an vielen Seelen, um welche wir aufrichtig Leid tragen, Barmherzigkeit erweisen. Der Schmerz und die Klage der Kinder Gottes über das Verderben der letzten Zeit trägt dazu bei, dass der Herr Selbst bald komme und die Tränen Seines Volkes trockne. (Offenb. 7,17;21,4). Wer aber für dieses Leid kein Herz hat, wird auch den zukünftigen Trost nicht sehen; einem solchen gelten die Verheißungen des Herrn in der Bergpredigt nicht.