Die Delfininsel - Arthur C. Clarke - E-Book

Die Delfininsel E-Book

Arthur C. Clarke

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Beschreibung

Ein Abenteuer unter Wasser

In der Zukunft beherrschen riesige Hoverschiffe nicht nur die Meere, sondern auch die Highways der Welt. Auf Luftkissen befördern sie rasend schnell Passagiere und Fracht. Eines Nachts hält eines davon direkt neben Johnnys Haus an, offenbar mit einem Motorschaden. Der neugierige Junge lässt sich die Gelegenheit nicht entgehen, sich einen dieser Giganten aus der Nähe anzusehen – und wird prompt zum blinden Passagier. Als das Hoverschiff auf hoher See erneut Schiffbruch erleidet, flieht die Mannschaft in den Rettungsbooten und lässt Johnny zurück. Doch er hat Glück: Eine Schule Delfine rettet ihn und bringt ihn zu einem unglaublichen Ort: der Delfininsel …

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ARTHUR C. CLARKE

DIE DELFININSEL

Roman

Das Buch

In der Zukunft beherrschen riesige Hoverschiffe nicht nur die Meere, sondern auch die Highways der Welt. Auf Luftkissen befördern sie rasend schnell Passagiere und Fracht. Eines Nachts hält eines davon direkt neben Johnnys Haus an, offenbar mit einem Motorschaden. Der neugierige Junge lässt sich die Gelegenheit nicht entgehen, sich einen dieser Giganten aus der Nähe anzusehen – und wird prompt zum blinden Passagier. Als das Hoverschiff auf hoher See erneut Schiffbruch erleidet, flieht die Mannschaft in den Rettungsbooten und lässt Johnny zurück. Doch er hat Glück: Eine Schule für Delfine rettet ihn und bringt ihn zu einem unglaublichen Ort: der Delfininsel …

Der Autor

Titel der Originalausgabe

DOLPHIN ISLAND

Aus dem Englischen von Hans-Georg Noack

Überarbeitete Neuausgabe

© Copyright 1963 by Arthur C. Clarke

Copyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Covergestaltung: Das Illustrat

Satz: Thomas Menne

1

Johnny Clinton schlief fest, als das Hoverschiff auf seinen Luftkissen über die ehemalige Autobahn gleitend durch das Tal raste. Das pfeifende Geräusch störte seine Nachtruhe nicht, denn er hatte es fast sein ganzes Leben lang gehört. Für jeden Jungen des 21. Jahrhunderts war es ein magisches Geräusch, es erzählte von fernen Ländern und von den geheimnisvollen Frachten der ersten Schiffe, die gleichermaßen mühelos Land und Wasser befahren konnten.

Nein, der vertraute Düsenlärm konnte ihn nicht wecken, wenn er auch in seine Träume drang. Jetzt aber war dieses Geräusch hier mitten am Transkontinentalen Durchgangsweg 21 verstummt. Das genügte, um Johnny im Bett hochfahren zu lassen. Er rieb sich die Augen und lauschte angestrengt in die Nacht. Was konnte geschehen sein? Hatte wirklich eines der großen Landlinienschiffe hier gehalten, vierhundert Meilen von der nächsten Station entfernt?

Es gab eine sichere Möglichkeit, das herauszufinden. Einen Augenblick zögerte Johnny noch, weil es nicht gerade verlockend war, in die Winterkälte hinauszugehen. Dann nahm er seinen ganzen Mut zusammen, legte sich eine Decke um die Schultern, drückte leise das Fenster auf und trat auf den Balkon hinaus.

Eine wunderschöne, knisternd kalte Nacht umgab ihn. Der fast volle Mond beleuchtete alle Einzelheiten der Landschaft. Von der Südseite des Hauses aus konnte Johnny die ehemalige Autobahn nicht sehen, doch der Balkon lief ganz um das altmodische Gebäude herum, und Johnny brauchte nur wenige Sekunden, um auf Zehenspitzen zur Nordseite zu schleichen.

Er gab sich ganz besondere Mühe, keinen Laut zu verursachen, als er an den Schlafzimmern seiner Tante und seiner Vettern vorüberkam, denn er wusste genau, was geschehen würde, wenn er sie weckte.

Doch das ganze Haus schlief fest unter dem Wintermond, und keiner seiner unsympathischen Verwandten rührte sich, als Johnny an ihren Fenstern vorüberhuschte. Dann dachte er nicht mehr an sie, denn nun sah er, dass er tatsächlich nicht geträumt hatte.

Das Hoverschiff hatte das breite Band der Autobahn verlassen und lag jetzt mit blendend hellen Lichtern ein paar hundert Meter entfernt auf dem ebenen Gelände. Johnny vermutete, dass es sich nicht um ein Passagierschiff, sondern um einen Frachter handelte, denn es gab nur ein einziges Freideck, das sich auch nur über ein knappes Drittel der Schiffslänge erstreckte, die insgesamt ungefähr 150 Meter betrug. Johnny schoss der Gedanke durch den Kopf, dass dieses Hoverschiff eigentlich wie ein riesiges Bügeleisen aussah, nur dass der Griff nicht längs darüber verlief, sondern als eine stromlinienförmige Brücke den Schiffskörper überquerte. Sie lag ungefähr am Ende des ersten Schiffsdrittels, vom Bug aus gerechnet. Über der Brücke blinkte ein rotes Signallicht zur Warnung für Fahrzeuge, die etwa des Weges kamen.

Vermutlich war das Schiff in Schwierigkeiten geraten, überlegte Johnny. Wie lange würde es wohl hier liegenbleiben? Ob wohl Zeit genug blieb, an Bord zu gehen und es sich anzusehen? Johnny hatte noch nie ein Hoverschiff aus der Nähe gesehen, wenigstens keines, das still an Land lag. Wenn diese Fahrzeuge mit einer Geschwindigkeit von dreihundert Meilen in der Stunde vorüberrasten, konnte man nicht viel erkennen.

Johnny brauchte nicht lange, um seinen Entschluss zu fassen. Zehn Minuten später hatte er bereits hastig seine wärmsten Kleider angezogen. Lautlos entriegelte er die Hintertür. Als er in die frostkalte Nacht hinaustrat, hätte er sich nicht träumen lassen, dass er das Haus für immer verließ. Doch selbst wenn er es gewusst hätte – leidgetan hätte es ihm bestimmt nicht.

2

Je näher Johnny kam, desto riesiger erschien ihm das Hoverschiff. Dabei gehörte es keineswegs zu den Giganten, wie die Hunderttausendtonner, die Öl oder Getreide befördernd, manchmal durch das Tal heulten. Wahrscheinlich erreichte es nur fünfzehn- oder zwanzigtausend Tonnen. Am Bug stand der Name »Santa Anna, Brasilia«. Die Schrift war schon ein wenig verblasst. Selbst im Mondlicht hatte Johnny deutlich den Eindruck, dass das ganze Schiff einen neuen Anstrich und eine gründliche Überholung gut gebrauchen konnte. Wenn die Maschinen im gleichen Zustand waren wie der schäbige, geflickte Rumpf, ließ sich der unplanmäßige Aufenthalt leicht erklären.

Während Johnny das gestrandete Monstrum umkreiste, konnte er nirgends auch nur das geringste Lebenszeichen entdecken. Aber das überraschte ihn nicht. Frachter wurden weitgehend automatisch betrieben, und ein Schiff dieser Größe hatte vermutlich weniger als ein Dutzend Männer an Bord. Wenn Johnnys Vermutung richtig war, hockten sie jetzt wahrscheinlich alle im Maschinenraum und versuchten, einen Fehler zu entdecken.

Jetzt, da sie nicht mehr von ihren Düsen angehoben wurde, ruhte die »Santa Anna« auf den großen, flachen Kissen, die ihre Schwimmfähigkeit im Meer sicherten. Sie liefen unter dem ganzen Rumpf entlang und türmten sich über Johnny auf wie riesige, überhängende Wände. An mehreren Stellen war es möglich, sie zu ersteigen; es waren Stufen und Griffe in dem Rumpf eingearbeitet. Sie führten zu Einstiegsluken, die sechs bis sieben Meter über dem Boden lagen.

Johnny betrachtete diese Öffnungen sehr nachdenklich. Selbstverständlich waren sie verriegelt. Zumindest war das recht wahrscheinlich.

Aber was würde geschehen, wenn es ihm doch gelänge, an Bord zu kommen? Mit ein bisschen Glück konnte er sich alles gründlich ansehen, ehe die Besatzung ihn erwischte und wieder an die frische Winterluft setzte. Es war die Chance seines Lebens, und er würde es sich nie verzeihen, wenn er sie nicht nutzte.

Er zögerte nicht länger, sondern ging daran, die nächstgelegene Leiter hinaufzusteigen. Ungefähr vier Meter überm Boden dachte er noch einmal nach und zögerte ein Weilchen.

Zu spät. Die Entscheidung war bereits gefallen. Ohne jede Vorwarnung begann die große Wand, an der er lehnte, leise zu vibrieren. Ein brüllendes Aufheulen wie von tausend Stürmen zerriss die friedliche Nachtstille. Johnny blickte abwärts und sah, dass Erde, Steine, Grasbüschel unter dem Rumpf hervorgewirbelt wurden, während die »Santa Anna« sich langsam und mühselig hob. Er musste versuchen, an Bord zu gelangen, ehe das Hoverschiff in Fahrt kam. Was werden sollte, falls die Luke verschlossen war, wagte er sich nicht auszumalen.

Er hatte Glück. Ein in die Tür eingelassener Griff gestattete ihm, die Tür nach innen zu öffnen. Er sah einen schwach erhellten Gang vor sich. Sekunden später war Johnny im Innern der »Santa Anna« in Sicherheit und atmete erleichtert auf. Als er die Tür schloss, wurde das Düsengeheul zu gedämpftem Donner – und im selben Augenblick spürte Johnny, dass sich das Schiff in Bewegung setzte. Er war unterwegs zu einem unbekannten Ziel.

In den ersten Minuten hatte er Angst. Dann wurde ihm klar, dass kein Grund zur Sorge bestand. Er brauchte nur den Weg zur Kommandobrücke zu suchen, dort zu erklären, was sich zugetragen hatte, und man würde ihn beim nächsten Halt wieder von Bord lassen. Die Polizei würde ihn dann innerhalb weniger Stunden nach Hause schaffen.

Nach Hause! Aber er hatte kein Zuhause, keinen Ort, wo er wirklich hingehörte. Vor zwölf Jahren, als Johnny erst vier Jahre alt gewesen war, hatten seine Eltern bei einem Luftunfall den Tod gefunden. Seitdem hatte er bei einer Schwester seiner Mutter gelebt. Tante Martha hatte ihre eigene Familie und war über den Zuwachs nicht sehr erbaut gewesen. Solange der füllige, stets vergnügte Onkel James noch gelebt hatte, war es trotzdem gar nicht so schlecht gewesen, doch seit dem Tod hatte Johnny von Tag zu Tag deutlicher gespürt, dass er in diesem Haus ein Fremder war.

Warum sollte er also dorthin zurück, solange er nicht dazu gezwungen wurde? Hier bot sich eine Chance, wie sie nie wiederkommen würde, und je länger Johnny darüber nachdachte, desto mehr schien es ihm, dass sich das Schicksal seiner angenommen hatte. Die Gelegenheit lockte, und Johnny wollte sich von ihr führen lassen, wohin der Weg auch gehen mochte.

Zunächst kam es darauf an, ein geeignetes Versteck zu finden. Das konnte in einem so großen Fahrzeug nicht allzu schwierig sein, doch unglücklicherweise hatte Johnny keinerlei Vorstellung, wie diese »Santa Anna« gebaut war. Wenn er nicht aufpasste, konnte er unversehens auf ein Mitglied der Besatzung stoßen. Vielleicht war es am besten, erst einmal nach dem Frachtraum zu suchen, denn während der Fahrt würde dort wahrscheinlich kaum jemand hinkommen.

Mit einem Gefühl wie ein Einbrecher begann Johnny seine Forschungsreise, und bald schon hatte er sich gründlich verlaufen. Es kam ihm vor, als sei er meilenweit durch kärglich beleuchtete Gänge gewandert. Er war Wendeltreppen hinauf- und Leitern hinuntergestiegen, war an Luken und Türen vorübergekommen, die geheimnisvolle Aufschriften trugen. Einmal wagte er, eine dieser Türen zu öffnen, weil die Aufschrift »Maschinenzentrale« allzu verlockend gewesen war. Ganz vorsichtig hatte er die schwere Metalltür aufgedrückt und in einen großen Raum gesehen, der fast gänzlich von Turbinen und Kompressoren ausgefüllt war. Große, mehr als mannsdicke Luftrohre führten von der Decke zum Fußboden, und der Lärm von hundert Wirbelstürmen schrillte in Johnnys Ohren. Die Wand an der gegenüberliegenden Seite war mit Instrumenten übersät, und drei Männer beobachteten die Instrumente mit so gespannter Aufmerksamkeit, dass Johnny sich bei seinem Spionieren völlig sicher fühlte. Außerdem waren diese Männer fast zwanzig Meter von ihm entfernt. Sie würden wohl kaum eine Tür bemerken, die um ein paar Zentimeter geöffnet worden war.

Allem Anschein nach hielten die Männer eine Konferenz ab. Sie verständigten sich vor allem durch Zeichen, denn es war unmöglich, in diesem Lärm Worte zu verstehen. Johnny merkte bald, dass es sich eher um einen Streit als um eine Beratung handelte, denn die Bewegungen waren heftig und unwillig. Endlich warf einer der Männer die Arme in die Höhe, als wollte er sagen: »Ich wasche meine Hände in Unschuld!«

Dann verließ er den Maschinenraum. Offenbar war die »Santa Anna« kein besonders glückliches Schiff, dachte Johnny.

Einige Minuten später fand er sein Versteck. Es war ein kleiner Vorratsraum, ungefähr fünf Meter im Quadrat und vollgestopft mit Fracht und Gepäckstücken. Als Johnny feststellte, dass alle an eine australische Adresse gerichtet waren, wusste er, dass er sich hier sicher fühlen konnte, bis er weit, weit von daheim entfernt sein würde. Kein Mensch hatte Grund, hierherzukommen, ehe das Schiff den Pazifischen Ozean überquert und die andere Hälfte der Welt erreicht hatte.

Johnny kramte sich einen kleinen Raum zwischen Paketen und Kisten frei, setzte sich mit einem zufriedenen Seufzer und lehnte den Rücken an eine große Kiste mit der Aufschrift »Bundaberg Chemische Werke«. Allmählich überkam ihn die Müdigkeit, und er schlief auf dem harten Metallfußboden ein.

Als er erwachte, bewegte das Schiff sich nicht mehr. Kein Geräusch und keinerlei Vibrieren des Metallrumpfes war festzustellen. Ein Blick auf die Armbanduhr sagte Johnny, dass er seit fünf Stunden an Bord war. In dieser Zeit konnte die »Santa Anna« – falls sie keine unvorhergesehenen Pausen eingelegt hatte – leicht über tausend Kilometer zurückgelegt haben. Wahrscheinlich hatte sie jetzt einen der großen Binnenhäfen an der pazifischen Küste erreicht und würde aufs Meer hinausfahren, sobald sie neue Fracht an Bord genommen hatte.

Erwischte man ihn jetzt, so dachte Johnny, wäre sein Abenteuer sehr schnell zu Ende. Er musste bleiben, wo er war, bis das Schiff sich wieder bewegte und weit draußen auf dem Meer war. Ganz bestimmt kehrte es dann nicht um, nur um einen sechzehnjährigen blinden Passagier an Land zu bringen.

Aber er hatte Hunger und Durst. Früher oder später musste er sich etwas zu trinken und zu essen beschaffen. Die »Santa Anna« konnte möglicherweise tagelang hier liegen, und in diesem Falle musste Johnny sein Versteck unter allen Umständen verlassen …

Er beschloss, nicht ans Essen zu denken, doch das erwies sich als schwierig, denn es war gerade seine Frühstückszeit. Große Abenteurer und Entdecker, so sagte sich Johnny, hatten weit größere Mängel und Entbehrungen auf sich genommen.

Zum Glück blieb die »Santa Anna« nur eine Stunde in dem unbekannten Hafen. Dann spürte Johnny zu seiner Erleichterung, dass der Boden unter ihm zu beben begann. Gedämpft drang das schrille Geheul der Düsen zu ihm. Deutlich war auch die Aufwärtsbewegung zu spüren, als sich das Schiff hob, dann ein leichter Ruck, als es sich in Bewegung setzte. In zwei Stunden – so dachte Johnny – würde das Schiff weit draußen auf dem Meer sein, wenn seine Überlegungen stimmten und das Hoverschiff tatsächlich den letzten Landaufenthalt hinter sich hatte.

Er wartete zwei Stunden, so geduldig es ging – dann glaubte er, dass er sich nun ruhig der Besatzung stellen könne. Ein wenig nervös brach er auf, um die Männer und – hoffentlich – etwas zu essen zu finden.

Doch es war nicht so einfach, wie er angenommen hatte, sich zu ergeben. War die »Santa Anna« von außen schon groß erschienen, so wirkte sie von innen geradezu riesig. Johnny wurde immer hungriger und hatte noch keinerlei Lebenszeichen entdeckt.

Immerhin fand er etwas, das ihn erheblich heiterer stimmte. Es war ein kleines Bullauge, das ihm einen ersten Blick auf die Außenwelt erlaubte. Man konnte nicht gerade sehr viel erkennen, aber doch genug. So weit er sehen konnte, nur graue Wellen. Nirgends war Land zu entdecken, nur unendliches Wasser, das mit hoher Geschwindigkeit unter ihm dahinschoss.

Nie zuvor hatte Johnny den Ozean gesehen. Sein ganzes Leben hatte er tief im Binnenland verbracht, auf den künstlich fruchtbar gemachten Farmen der Wüste von Arizona oder in den neuen Wäldern von Oklahoma. Jetzt von so viel wildem, grenzenlosem Wasser umgeben zu sein, war ein herrliches, gleichzeitig aber auch leicht beängstigendes Gefühl.

Lange stand Johnny da und starrte durch das Bullauge. Er versuchte zu begreifen, dass er sich tatsächlich unaufhaltsam von seiner Heimat entfernte, Neuland entgegen, von dem er keine Ahnung hatte. Aber jetzt war es ganz bestimmt zu spät, an der einmal getroffenen Entscheidung etwas zu ändern …

Die Lösung seines Ernährungsproblems fand sich unerwartet schnell, als er an eines der Rettungsboote des Schiffes geriet. Es war ein gut sieben Meter langes geschlossenes Motorboot, das unter einem Teil des Rumpfes angebracht war, der sich wie ein Fenster öffnen ließ. Das Boot hing an zwei kleinen Kränen, die ausgeschwungen werden konnten, wenn es zu Wasser gelassen werden sollte.

Johnny konnte der Versuchung nicht widerstehen, in das kleine Boot zu klettern, und das Erste, was er gewahrte, war ein kleines Schränkchen mit der Aufschrift »Notrationen«. Der Kampf mit seinem Gewissen dauerte nicht lange. Wenige Augenblicke später knabberte Johnny Biskuits und gepresstes Trockenfleisch. Ein Kanister mit ziemlich trübem Wasser stillte seinen Durst, und sogleich fühlte Johnny sich viel besser. Die Überfahrt würde nicht gerade wie auf einem Luxusdampfer sein, aber die Entbehrungen schienen nun erträglich.

Diese Entdeckung veranlasste Johnny dazu, sein Vorhaben zu ändern. Es war nicht nötig, dass er sich der Besatzung zeigte. Er konnte sich während der ganzen Reise verborgen halten, und wenn er ein wenig Glück hatte, konnte er vielleicht auch am Ende der Fahrt unentdeckt von Bord gelangen. Noch hatte er keine Vorstellung davon, was er danach anstellen wollte, aber Australien war groß, und irgendeine Möglichkeit würde sich dort sicher bieten.

Wieder in seinem Versteck und mit genügend Lebensmitteln versehen, um die zwanzig Stunden zu überstehen, die seine Reise höchstens dauern konnte, versuchte Johnny sich auszuruhen. Manchmal schlief er ein, hin und wieder sah er auf die Uhr und versuchte zu errechnen, wo sich die »Santa Anna« wohl befand. Er fragte sich, ob das Schiff in Hawaii oder an einer der anderen Inseln einen Halt einlegen würde. Hoffentlich nicht! Johnny wollte sein neues Leben gern so bald wie möglich beginnen.

Ein- oder zweimal dachte er auch an Tante Martha. Ob sie sich Sorgen machte, weil er fortgelaufen war? Er glaubte es nicht, und er war ganz sicher, dass seine Vettern glücklich sein würden, ihn endlich los zu sein. Eines Tages, wenn er erst reich und erfolgreich war, würde er wieder Verbindung mit ihnen aufnehmen, und sei es nur, um ihre verblüfften Gesichter zu sehen. Und das galt auch für seine Klassenkameraden, besonders für jene, die sich über seinen kleinen Wuchs lustig machten und ihn »Mini« nannten. Er würde ihnen schon zeigen, dass Hirn und Entschlossenheit wichtiger waren als Muskeln und Körpergröße … Es war schön, sich in solchen Vorstellungen zu verlieren, und aus diesen Phantasien glitt er in den Schlaf.

Er schlief noch immer, als die Reise endete. Die Explosion riss ihn aus seinen Träumen, und Sekunden später spürte er, wie die »Santa Anna« mit voller Wucht aufs Wasser schlug. Dann erloschen die Lichter, und ringsum war es völlig dunkel.

3

Zum ersten Mal hatte Johnny eine schreckliche, alle Gedanken ausschließende Panik empfunden. Seine Glieder waren ganz schlaff, und er konnte kaum atmen, weil die Angst seine Brust so fest umspannte. Ihm war, als ginge er bereits unter, und das konnte in der Tat bald geschehen, wenn es ihm nicht gelang, aus dieser Falle zu entkommen.

Er musste einen Ausweg finden, doch er war von Kisten und Paketen umgeben und verlor bald jedes Gefühl für die Richtung, während er zwischen ihnen herumtappte. Es war wie in einem Albtraum, in dem man fortlaufen wollte und nicht konnte; doch hier handelte es sich nicht um einen Traum, sondern um beängstigende Wirklichkeit.

Schreck und Schmerz, als er gegen ein unsichtbares Hindernis stieß, rissen ihn aus seiner Panik. Es nützte nichts, den Kopf zu verlieren und ziellos durch die Finsternis zu taumeln. Es kam jetzt darauf an, sich bis zur Wand in immer gleicher Richtung zu bewegen. Dann konnte er sich an der Wand entlang bis zur Tür tasten.

Der Plan schien gut, doch es gab so viele Hindernisse, dass es eine Ewigkeit dauerte, bis Johnny glattes Metall fühlte und wusste, dass er die Wand der kleinen Kammer erreicht hatte. Alles Weitere war nicht schwer, und er schrie fast auf vor Erleichterung, als er die Tür gefunden hatte und sie aufriss. Der Gang davor lag nicht, wie befürchtet, im Dunkeln. Die Hauptbeleuchtung war zwar ausgefallen, doch das blassblaue Notlicht funktionierte, und Johnny konnte ohne Schwierigkeiten sehen.

Erst jetzt fiel ihm ein leichter Rauchgeruch auf, und er begriff, dass die »Santa Anna« brannte. Er bemerkte, dass der Gang nicht mehr waagerecht lag. Das Schiff hing stark zum Heck hin, wo sich die Maschinen befanden. Johnny vermutete, dass die Explosion den Rumpf zerrissen hatte und nun Wasser in das Schiffsinnere eindrang.

Vielleicht war das Schiff außer Gefahr, doch das war nicht sicher. Johnny gefiel die schiefe Lage keineswegs. Das hilflose Schiff rollte und schlingerte auf recht unangenehme Weise, und Johnny verspürte erste Anzeichen einer beginnenden Seekrankheit in der Magengegend. Er versuchte, dieses Gefühl zu ignorieren und sich auf das viel wichtigere Problem des Überlebens zu konzentrieren.

Wenn das Schiff wirklich sank, tat er gut daran, sich so schnell wie möglich zum Rettungsboot durchzuschlagen. Dorthin strebten jetzt vermutlich auch alle anderen Menschen an Bord. Die Besatzung würde sicher überrascht sein über einen zusätzlichen Passagier. Hoffentlich blieb genug Platz für ihn.

Doch wo befand sich das Rettungsboot? Er war nur einmal dort gewesen, und obwohl er nicht zweifelte, dass er den Weg finden würde, wenn er genügend Zeit hatte, fehlte ihm jetzt doch gerade diese Zeit. Weil er in so großer Eile war, schlug er mehrmals einen falschen Weg ein und musste umkehren. Einmal fand er seinen Weg durch eine riesige Stahlplatte versperrt, die vorher seiner festen Überzeugung nach nicht dort gewesen war. Rauch quoll durch schmale Spalten an den Rändern der Platte, und Johnny konnte deutlich ein stetiges Prasseln von der anderen Seite hören. Er machte kehrt und lief, so schnell er konnte, den spärlich erleuchteten Gang zurück.

Er war erschöpft und verzweifelt, als er endlich den richtigen Weg fand. Ja, das war der Gang gewesen. An seinem Ende mussten ein paar Stufen liegen, die dorthin führten, wo das Rettungsboot lag. Jetzt, da er seinem Ziel nahe war und er sich nicht mehr zu schonen brauchte, begann Johnny zu laufen.

Sein Gedächtnis hatte ihn nicht getäuscht. Die Stufen waren da, wie er vermutet hatte – doch das Boot war verschwunden.