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Die größte Gaunerei, seit es Diamanten gibt
Mit einer Nudelfirma sind sie reich geworden, der bärbeißige Signor Castellaci und seine gutmütig-matronenhafte Frau. Doch ihre feinen Klunker sind sie los. In dem Wandsafe hinter dem unvermeidlichen Ölgemälde waren sie vielleicht eine Spur zu klassisch aufbewahrt. Fußspuren, Fingerabdrücke: Fehlanzeige. Das Hauspersonal, vom Koch bis zum Dienstmädchen, ist mit betonfesten Alibis gewappnet. Klar, dass der Verdacht bald auf die Eigentümer selbst, auf die Castellacis fällt, die jetzt an die Versicherung eine Schadensersatzforderung in Millionenhöhe stellen. Die Versicherung schickt die bewährte Mitarbeiterin Elena Morales los, sich den Tycoon und seine Frau genauer anzusehen – mit überschaubarem Erfolg. Die beiden haben immer pünktlich bezahlt, und außer schlechten Manieren ist ihnen nichts nachzuweisen.
Endlich kommt auch Elenas Freund, Sam Levitt, der gerade einem Freund beim illegalen Zigarrenhandel geholfen hat, nach Frankreich. Sein Sportsgeist und eine überraschende moralische, zivilrechtliche Aufwallung machen es ihm unmöglich, sich mit der Provokation eines perfekten Verbrechens abzufinden. Anstelle der bereits in sanften Dienstschlaf gesunkenen Polizei führt Sam die Ermittlungen mit Feuereifer fort. Schon bald entdeckt er eine ganz neue Spur – die obendrein einen gewissen Charmefaktor aufweist.
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Seitenzahl: 361
Zum Buch
In der Villa des Ehepaars Castellaci in Nizza sind Diamanten im Wert von mehreren Millionen aus dem Safe gestohlen worden. Da die Polizei keinerlei Einbruchsspuren findet, weigert sich die Versicherung, den Schaden sofort zu begleichen, und beauftragt Elena Morales damit, sich dieses Anwesen einmal genauer anzuschauen. Tatsächlich macht Elena überrachende Entdeckungen: Das Haus verfügt über einen großen Weinkeller, von dem die Polizei nichts wusste. Auch haben die Castellacis nicht nur das übliche Dienstpersonal, sondern im ersten Stock der Villa wohnt auch noch ein großer schnauzbärtiger Mann, der als Sommelier und Doorman ausgewiesen wird. Die Signora Castallaci scheint zu ihm ein ungewöhnliches Vertrauensverhältnis zu haben. Doch so sonderbar das alles anmutet, der Verdacht, dass die Castellacis den Diebstahl fingiert haben, um die Versicherungsgelder abzukassieren, bestätigt sich vorläufig nicht.
Da trifft es sich gut, dass Elenas Lebensgefährte Sam Levitt endlich aus seinem Urlaub nachkommt und sich ebenfalls für diesen Fall interessiert. Doch seine Recherchen laufen in eine ganz andere Richtung, die Elena überhaupt nicht passt …
Zum Autor
Peter Mayle wurde 1939 in Brighton geboren. Er war Kellner, Busfahrer und erfolgreicher Werbetexter, bevor er 1975 dauerhaft in die Provence zog und Schriftsteller wurde. Seine Bücher wie »Ein guter Jahrgang« (Blessing, 2004) wurden internationale Bestseller. Mit dem Romn »Ein diebisches Vergnügen« (Blessing, 2010) begann Peter Mayle eine neue Serie um den mit detektivischen Fähigkeiten ausgestatteten Anwalt Sam Levitt und seine Freundin Elena Morales.
Lieferbare Titel
978-3-89667-550-7 – Eine korsische Gaunerei
P E T E R M A Y L E
Die Diamanten
von Nizza
ROMAN
Aus dem Französischen
von Ursula Bischoff
BLESSING
Titel der Originalausgabe: The Diamond Caper
Originalverlag: Alfred A. Knopf, New York
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1. Auflage 2016
Copyright: Escargot Productions, 2015
Copyright der Übersetzung Karl Blessing Verlag, München,
2016 in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: Geviert Grafik & Typografie, München
Satz: Leingärtner, Nabburg
e-ISBN: 978-3-641-18985-3V001
www.blessing-verlag.de
Zur Erinnerung an meine liebe alte Fanny
1. KAPITEL
Warum werden so viele Hiobsbotschaften auf dieser Welt ausgerechnet am Montagmorgen überbracht?
Es war sechs Uhr morgens Ortszeit, als das unbarmherzige Läuten des Telefons Elena Morales aus herrlichem Tiefschlaf riss. Benommen tastete sie nach dem Hörer und brachte ihn unter mehrfachen Verrenkungen an ihr Ohr. »Sam?«, fragte sie halb hoffnungsvoll, halb ärgerlich.
»Ganz und gar nicht«. Am Apparat war Frank Knox, Gründer und Vorsitzender von Knox Insurance, und in seiner Stimme schwang ein gestresster Unterton mit. »Wir haben da ein Problem«, erklärte er, und er brauchte nur zwei Sätze, um seiner Angestellten klarzumachen, dass es sich um eine der höchsten Dringlichkeitsstufen handelte.
Trotz des frühmorgendlichen Verkehrsstaus in Los Angeles schaffte Elena es, um Punkt halb acht sein Büro zu betreten – und zwar ohne dass es zu feindlichen Berührungen mit anderen Fahrzeugen gekommen wäre.
Von dem jovialen Verhalten, das Frank Knox normalerweise zur Schau trug, war keine Spur mehr zu entdecken. »Ich schätze, Sie haben eine Ahnung, worum es geht«, sagte er, winkte sie näher heran und klickte auf seinem Laptop eine Datei mit Zeitungsausschnitten an. »Diese Juwelendiebstähle in Südfrankreich werden mit jedem Jahr schlimmer. Und nun greifen sie auch noch auf unser Terrain über. Vor ein paar Stunden erhielt ich einen Anruf von unserer Niederlassung in Paris; in dem Anwesen einer unserer Klientinnen in Nizza wurde ein Raubüberfall verübt, die Täter haben etliche Juwelen erbeutet. Mehrere Colliers mit Diamanten von 5,06 Karat an aufwärts bis 287 Karat, von sehr gutem Brillantschliff und weißer Farbe, keinerlei oder wenig Fluoreszenz.«
»Welchen Reinheitsgrad hatten sie?«
»Die meisten waren als flawless, lupenrein, ausgewiesen, auch bei zehnfacher Vergrößerung sind also keine inneren oder äußeren Fehler zu erkennen. Einige wurden als VVS1 und VVS2 eingestuft, also minimale Einschüsse, die selbst bei zehnfacher Lupenvergrößerung nur schwer auszumachen sind.«
»Keine Piqué darunter. Gute Wahl«, meint Elena.
»Die Bestohlene heißt Madame Castellaci. Sie ist völlig aufgelöst. Und ihr Mann scheint von der forschen Art zu sein: In unserer Pariser Niederlassung ist bereits eine Schadensersatzforderung eingegangen, in einer Höhe, die ähnlich gigantisch ist wie die gegenwärtige Staatsverschuldung.« Er hielt inne, um sich mit einem Schluck Kaffee zu stärken.
»Und wie hoch ist die vertraglich zugesicherte Deckungssumme?«, hakte Elena nach.
Knox schüttelte stirnrunzelnd den Kopf. »Wir haben das Risiko so weit wie möglich gestreut, aber die Summe, die wir berappen müssen, stellt trotzdem einen schmerzhaften Verlust dar. Wir reden von einer siebenstelligen Zahl. Zwei Millionen, vielleicht auch drei.«
»Gehen Sie denn davon aus, dass ein berechtigter Anspruch besteht? Was hat die Polizei herausgefunden?«
Frank Knox fuhr sich durch sein schütteres und ergrautes Haar und seufzte. »Nicht viel. Nach allem, was ich höre, scheinen Profis am Werk gewesen zu sein – keinerlei Spuren, keine Finger- oder Fußabdrücke, rein gar nichts.«
»Und was sagen unsere Leute in Paris?«
»Nur eines: Hilfe!«
Der Vorstandsvorsitzende fiel wie ein Häufchen Elend in seinem Chefsessel zusammen. So niedergeschlagen hatte Elena ihn noch nie gesehen. Frank Knox hatte geplant, in ein paar Monaten in den Ruhestand zu gehen, seinen Wohlstand zu genießen, nicht unverdient, nach 35 Jahren gewissenhafter Arbeit mit gefühlten zwei Fehltagen. Und nun das! Trotz des Geldes, das er im Laufe der Jahre auf die hohe Kante gelegt hatte, war dieser Verlust ein schmerzhafter Tiefschlag.
Mitgefühl stieg in Elena auf. »Frank, was kann ich für Sie tun?«
»Ich möchte, dass Sie nach Paris fliegen, um unseren Mitarbeitern dort seelischen Beistand zu leisten und sich mit allem vertraut zu machen, was dort über den Fall bekannt ist.« Frank stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus. »Und dann hätte ich gerne, dass Sie sich nach Nizza begeben und die Klienten, das Ehepaar Castellaci, in die Mangel nehmen.« Er hob die Hand. »Ich weiß, ich weiß. Das wird die Polizei bereits gemacht haben, aber manchmal übersehen Kriminalbeamte die eine oder andere Kleinigkeit. Zugegeben, die Erfolgsaussichten sind gering, aber das ist alles, was uns bleibt.« Er schob den Aktenordner über den Tisch. »Bitte sehr – Lektüre für den Flug. Und viel Glück!«
Sein Smartphone läutete, er hatte eine Nachricht empfangen, die er öffnete und entgeistert anstarrte. Er schüttelte mehrmals den Kopf und hielt dann Elena das Gerät unter die Augen. Sie blickte auf einen grell leuchtenden Ball.
»Sieht aus wie ein Ausschnitt aus einem Science-Fiction-Streifen über das Implodieren der Sonne in fünf Milliarden Jahren, wenn der Wasserstoff im Zentrum des Sternes verbraucht ist«, sagte Elena.
»Sollte man meinen, aber unsere Leute in Paris schreiben, dies sei das einzige Bild von dem potenziellen Einbrecher, das sie haben. Sonderbar. Na, ihren Humor scheinen die noch nicht verloren zu haben.«
Elena hatte gemischte Gefühle, als sie ihren Koffer für die bevorstehende Reise packte. Normalerweise wäre sie überglücklich gewesen, wieder einmal nach Frankreich zu fliegen. Doch dass sich dieser Besuch als Vergnügen erweisen würde, war unwahrscheinlich. Ihre Kollegen in der Pariser Niederlassung waren vermutlich nervös und gereizt, und falls die Castellacis in Nizza auch nur annähernd den üblichen Knox-Klienten glichen, würden sie ihr mit Hochmut und Misstrauen begegnen. Nicht zum ersten Mal wurde Elena an die Ironie des Schicksals erinnert, die im Versicherungswesen herrschte. Rein theoretisch handelte es sich bei Versicherungen um eine für beide Seiten vorteilhafte Vereinbarung; in der Praxis beruhte sie gleichwohl auf einer Beziehung, in der beide Seiten einander zutiefst misstrauten. Betrug, fehlerhafte Darstellung des Sachverhalts und unverblümte Unehrlichkeit waren an der Tagesordnung.
Sie versuchte, ihren Koffer zuzumachen. Wie immer hatte sie zu viel eingepackt, und wie immer musste sie sich auf den Deckel setzen, um ihn schließen zu können. Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und sah, dass ihr noch zehn Minuten blieben, bevor der Firmenwagen eintraf, der sie zum Flughafen bringen würde. Zeit genug, um Sam Levitt anzurufen, seit einigen Jahren ihr Partner, was die Liebe und andere Abenteuer betraf. Gegenwärtig hielt er sich in Jamaika auf, als »Berater« seines alten Freundes Nathan, dessen Handelsunternehmen – Export kubanischer Zigarren aus der Karibik in die USA, auf nicht ganz unverdächtigen Wegen – sich mächtigen Ärger mit einem lokalen Schutzgeldring eingehandelt hatte.
»Sam? Kannst du reden?«
»Im Grunde schon seit meinem vierten Lebensjahr. Nein, im Ernst: mit dir immer, Liebes.« Selbst seine Stimme klang sonnig, wie Elena fand.
»Hör mal – in der Firma gibt es Ärger. Ich muss heute Nachmittag nach Paris fliegen und dann weiter nach Nizza. Zu einer Klientin, die Schadenersatz für ihre gestohlenen Diamanten fordert, und Frank verlangt, dass ich der Sache auf den Grund gehe.«
»Soll ich nachkommen? Ich bin hier so gut wie fertig. Ein oder zwei weitere Tage mit Daumenschrauben und Stiefellecken sollten ausreichen. Warum treffen wir uns nicht in Marseille? Ich rufe Francis an und sage ihm, dass er uns einplanen soll.«
Ihr gemeinsamer Freund Francis Reboul war stets ein großzügiger Gastgeber gewesen und freute sich immer auf ein Wiedersehen.
»Das wäre fantastisch. Mein Gott, ich habe die Nase gestrichen voll von der Versicherungsbranche.«
Sam blieb einen Moment stumm, bevor er antwortete. »Dann gib deinen Job auf! Du könntest mich zur Arbeit schicken und auf Luxus-Lady umsatteln.«
Das Klingeln an der Tür, das die Ankunft des Fahrers bezeugte, hinderte Elena daran, den ebenso altmodischen wie verführerischen Vorschlag ernsthaft zu überdenken. »Ich muss los. Ich melde mich wieder, wenn ich in Paris bin.«
Im Auto ließ sie die kurze Unterhaltung noch einmal Revue passieren. War Sams Angebot ernst gemeint? Sie war sich dessen nicht ganz sicher. Ursprünglich hatte er Elena gebeten, ihn nach Jamaika zu begleiten, aber sie hatte noch die sich auf ihrem Schreibtisch türmenden langweiligen Bagatellfälle abarbeiten müssen. Dass sie die Reise nicht mitmachen konnte, war für sie beide eine große Enttäuschung gewesen. Aber eines nicht allzu fernen Tages wirst du ein Leben nach deinen eigenen Vorstellungen führen, gelobte sie sich. Ein neues Leben. Laut Air France hatte sie bis zur Ankunft in Paris zehn Stunden und fünfundvierzig Minuten Zeit, um darüber nachzudenken.
Sie flog, ein kleiner Trost, Business Class. Die komfortable Umgebung und ein großzügig bemessenes Glas mit eisgekühltem Chablis munterten sie soweit auf, dass sie sich imstande sah, den Aktenordner zu öffnen, den Frank Knox ihr mitgegeben hatte, und ihre Hausaufgaben zu machen, ohne psychischen Schaden zu erleiden.
Die Raubüberfälle waren in chronologischer Reihenfolge aufgelistet. Alles hatte im Jahre 2002 mit einer relativ bescheidenen Beute begonnen, auf drei Millionen Euro geschätzt; der Geschädigte war immerhin ein Mann vom Fach, ein Juwelier in Cannes. 2005 wurden Diamanten im Wert von zwei Millionen Euro bei einem Juwelier in Saint-Tropez gestohlen. 2009 waren es bereits Diamanten im Wert von fünfzehn Millionen Euro, die aus dem Traditionshaus Cartier in Cannes stammten. 2010 wurde ein Juwelengroßhändler in der Nähe von Marseille um Diamanten in Höhe von sieben Millionen Euro erleichtert. Und 2013 verschwanden Diamanten im Wert von einer Million Euro aus dem Safe eines Hotelzimmers in Cannes, ein Diamantcollier bei einer Celebrity-Party während der Filmfestspiele in Cannes im Wert von zwei Millionen Euro und, um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, Juwelen mit einem Schätzwert von 103 Millionen Euro, die in der – offenkundig etwas zu leichtsinnig angesetzten – Ausstellung »Außergewöhnliche Diamanten« gezeigt wurden, abermals in Cannes. Die Diebe legten offenbar Wert auf eine stilvolle Umgebung mit hohem Freizeitwert. Elena schüttelte fassungslos den Kopf, als sie den Aktenordner beiseitelegte. So viel Geld für Bruchstücke eines Minerals, das in einem Zeitungsartikel als »metastabile allotrope Kohlenstoffmodifikation« beschrieben wurde.
Was Elena selbst betraf, so beschränkte sich ihre Liebe zum Schmuck auf mexikanisches Silber und altes Gold. Sie hatte viel zu viele Diamantketten an den faltigen Truthahnhälsen weiblicher Prominenter in fortgeschrittenem Alter gesehen, ein mitunter erschütternder Anblick, der ihr den Diamantenneid gründlich ausgetrieben hatte. Wie sie Sam, der ihre Zurückhaltung in diesem Punkt aufrichtig zu schätzen wusste, einmal anvertraute, würde sie ein solches Vermögen eher in etwas von paktischem Nutzen investieren, beispielsweise in ein kleines Stadtpalais in Paris und in einen Bentley. Oder in das idyllische Feriendomizil, das sie bei ihrem letzten Besuch in Marseille in Augenschein genommen hatten. Ein Freund von Francis Reboul hatte sie darauf aufmerksam gemacht: Ein kleines Haus, Anfang der 1920er-Jahre erbaut, auf einem Felssporn thronend. Sie und Sam hatten sich auf Anhieb darin verliebt. Schon allein der Blick auf das Mittelmeer war von großem Reiz. Es war nur einen Katzensprung von Rebouls Anwesen Le Pharo entfernt, zu Fuß über einen malerischen Pfad zu erreichen, und noch kürzer war der Weg zu den kulinarischen Köstlichkeiten von Le Petit Nice, dem mit drei Michelin-Sternen höchst dekorierten Gourmettempel in Marseille.
Die Preisvorstellung für das Haus belief sich, wie Sam herausgefunden hatte, auf eine Summe, die einem Milliardär die Tränen in die Augen getrieben hätte. Aber sie mussten es haben, koste es, was es wolle. Sam hatte seine sogenannte schwarze Kasse geplündert, Elena hatte ihre Wertpapiere verkauft, und dann konnten die Langstreckenverhandlungen zwischen L. A. und dem Anwalt der Besitzerin in Marseille beginnen. Die sich jedoch als Verhandlungsmarathon erwiesen. Und endlos fortgesetzt wurden. Das Problem war, dass die Besitzerin, eine 75-jährige Witwe aus Paris, es für nötig erachtet hatte, das Einverständnis ihrer weitläufigen Familie bezüglich des Verkaufs einzuholen. Die Kinder mussten zu Rate gezogen und die Interessen der Enkel berücksichtigt werden. Selbst Cousins, die nach französischem Recht nur einen entfernten Anspruch auf den Verkaufserlös hatten, ließen sich nicht gänzlich ignorieren. Die Vorschläge und Gegenvorschläge wechselten zwischen den Familienmitgliedern so lange hin und her, bis Elena und Sam kurz davor waren, das Handtuch zu werfen.
In der vergangenen Woche war schließlich ein Hoffnungsschimmer am Horizont aufgetaucht. Der Anwalt der Eigentümerin hatte geschrieben: Es sei möglich, die Transaktion endlich abzuwickeln, sobald die erwartete schriftliche Zusicherung der Familie vorlag, dass der Verkauf keine juristischen Komplikationen nach sich ziehen würde. Sam hatte Reboul angerufen, um ihm die Neuigkeit mitzuteilen, und dieser war einverstanden, sich mit dem Anwalt in Verbindung zu setzen, um die leidige Angelegenheit doch noch über die Bühne zu bringen. Das war der augenblickliche Stand der Dinge, vielversprechend, aber ungelöst.
Elenas Gedanken wanderten von dem Haus auf dem Felsensporn zu ihrer beruflichen Zukunft. Ein eigenes Haus in Marseille, wie idyllisch es sein mochte, war für jemanden, der an ein Versicherungsbüro in Los Angeles gebunden war, um sein täglich Brot zu verdienen, kaum von Nutzen. Sie hatte sich schon oft gefragt, wie lange sie ihre Tätigkeit noch ausüben wollte, auch wenn sie hervorragend bezahlt wurde. In den letzten beiden Jahren war sie mehrmals drauf und dran gewesen, eine Kündigung einzureichen, doch die Loyalität Frank Knox gegenüber hatte sie davon abgehalten. Er war ein anständiger Chef, also ein Unikum. Nun aber, da er in den Ruhestand gehen würde, konnte sie ihre Zelte im Unternehmen mit gutem Gewissen abbrechen. Ja, dachte sie, Franks Rückzug ins Privatleben war eindeutig ein Zeichen, die Initiative zu ergreifen. Sie schloss die Augen und lehnte sich in ihrem Sitz zurück, um sich ihren Träumen von einem Leben mit Blick auf das azurblaue Mittelmeer hinzugeben.
2. KAPITEL
Ariane Duplessis, Leiterin der Pariser Niederlassung von Knox, stand im Empfangsbereich des Bürokomplexes und begrüßte Elena mit zwei routinierten Luftküssen und einer angemessen ernsten Miene.
»Gut, dass Sie so schnell herkommen konnten. Dann wollen wir mal – die anderen sind bereits im Konferenzraum.«
Während sie Madame Duplessis den Gang entlang folgte, musterte Elena die schlanke Gestalt vor ihr: dichtes, modisch geschnittenes graues Haar, ein langer, cremefarbener Seidenschal, lässig über der Schulter drapiert, dunkelgraues Flanellkostüm, High Heels. Das Geschäft mochte den Bach hinuntergehen, dachte Elena, aber der Erhalt eines hohen Maßes an Schick und Eleganz blieb in Frankreich oberstes Gebot. Die Besprechung drohte lang und bedrückend zu werden.
Am Konferenztisch hatten drei Männer Platz genommen, die mit gewichtiger Miene ihre Laptops vor sich aufbauten.
»Schießen Sie los«, eröffnete Elena das Gespräch. Es reizte sie, die Staatsbegräbnisstimmung mit burschikosem Auftreten zu durchbrechen. »Das Schlimmste zuerst.«
Die Herrschaften rümpften kurz die Nase, bevor sie in nicht ganz akzentfreiem Englisch Bericht erstatteten. Allem Anschein nach hatten die Castellacis ihren Versicherungsbeitrag immer pünktlich bezahlt, was jedwede Hoffnung zunichtemachte, ihre Police für ungültig zu erklären. Laut ihrer eidesstattlichen Versicherung hatten sie überdies die erforderlichen Vorkehrungen getroffen, bevor sie ihr Haus am Abend des Einbruchs verließen: Die vordere Eingangstür war zwei Mal zugesperrt worden, die Fensterläden waren verriegelt. Es gab keinerlei Hinweis darauf, dass der Wandsafe mit Gewalt geöffnet worden war, und das Ölgemälde, das ihn verdeckte, hing an seinem angestammten Platz.
»Verfügen die Hauseigentümer über keinen Bewegungsmelder, der Signale direkt an die Polizei weiterleitet?«
»Sie hatten einen solchen, zwei Jahre lang«, sagte einer der drei Herren. »Aber das Anwesen der Castellacis befindet sich direkt an der Promenade des Anglais, nur etwas rückversetzt von dem Gehweg. Da draußen ist jeden Abend die Hölle los. Es gab ständig Störungen, alle zwei Tage stand die Polizei abends vor der Tür, wegen irgendwelcher Fehlmeldungen. Sie haben einen neuen, moderneren Bewegungsmelder ausprobiert, aber das Problem blieb bestehen, und sie schafften ihn ab. Ich habe das überprüft, die Angaben sind korrekt. Allein für den Sommer des Jahres 2013 sind elf Fehlermeldungen bei der Polizei eingegangen. Das würde jeden Kunden entnerven.«
»Aber dann hätten sie wenigstens eine Überwachungskamera installieren müssen«, sagte Elena ärgerlich.
»Natürlich, das haben sie auch getan. Einen Wansview 1080 P wetterfest, für den Außenbereich mit hoher Auflösung, guter Nachtsicht, bis zu zwanzig Metern«, sagte Madame Duplessis.
»Das ist Standard, mehr nicht«, entgegnete Elena kühl, »es gibt mittlerweile bessere Geräte, dreißig Meter Nachtsicht sollten sich solch betuchte Herrschaften eigentlich gönnen. Nun gut, was haben die Aufzeichnungen ergeben?«
»Wir haben uns die Micro-SD-Speicherkarte geben lassen und den Film kopiert. Sehen Sie selbst.« Madame Duplessis nickte zu dem mittleren der drei Herren hinüber, der sich sofort erhob, den Raum etwas verdunkelte und die Aufnahmen ablaufen ließ.«
Auf der Leinwand war ein gestochen scharfes Bild des Vorplatzes eines Hauses inklusive der Eingangstreppe zu sehen. Oben am Bildrand leuchtete die Zeit auf: 4. Mai 2015, 15.45 Uhr. Man sah eine junge Frau, klein gewachsen, in zu großer Jacke hinauseilen. »Das ist die Köchin«, erläuterte Madame Duplessis, »sie geht immer um diese Zeit, die Kameraaufzeichnung deckt sich mit ihren Angaben gegenüber der Polizei.« Der Film wurde eine halbe Stunde vorgespult, zwei weitere Frauen, eine so etwa um die 45 Jahre alt, die andere deutlich jünger, verließen lachend das Haus.«
»Die Wäscherin und die Putzfrau gehen in den Feierabend. Damit ist das ganze Dienstpersonal aus dem Haus, so wie es die Castellacis und die Dienstboten selbst auch zu Protokoll gaben«
»Für wie viele Personen wird denn da gekocht, geputzt und gewaschen?«, fragte Elena.
»Nur für das Ehepaar.«
»Keine Kinder«?, hakte Elena erstaunt nach.
»Nein, nicht einmal Haustiere.«
Die Aufnahme wurde weiter vorgespult und zeigte 17.45 Uhr. Jetzt kommentiere der Mann am Laptop das Geschehen: »Das Ehepaar Castellaci verlässt das Haus: Sie gehen zur Garage, setzen sich in den Mercedes und fahren nach Marseille in die Oper. Eine alte Gewohnheit von ihnen, wenn eine italienische Oper gespielt wird, sind sie am Start. An diesem Abend war es La forza del destino von Verdi.«
»Wenn man so viele Dienstboten für einen so kleinen Haushalt hat, kann man auch etwa kulturelles Engagement erwarten«, sagte Elena trocken und erntete beifälliges Lachen.
Die Aufnahme wurde weiter vorgespult auf 20.45 Uhr, mittlerweile war der Platz im Dunkeln, aber die in bronzenen und silbernen Kübeln steckenden Pflanzen, die akkurat verlegten Steinfliesen, konnte man noch genau erkennen, man hätte sogar zeigen können, zwischen welchen Fliesen mal wieder Unkraut gezupft werden müsste, so gestochen scharf war das Bild.
»Und nun gut aufgepasst: der Täter – gehen wir mal von einem Mann aus – erscheint«, verkündete der Mann am Laptop.
Elena starrte auf die Leinwand. 21.28 Uhr. Das hohe gusseiserne Tor, das auf den Vorplatz des Hauses führte, öffnete sich nach innen, man meinte auf eine Person zu schauen, einen Umriss, einen Schatten, doch schon im gleichen Moment explodierte förmlich ein Licht. Elena starrte wieder auf das Science-Fiction-Bild eines zerberstenden Sonnenballs, das Frank Knox ihr schon auf seinem Handy gezeigt hatte. Es war nichts mehr zu erkennen, wohl aber hörte man, wie ein Türschloss geöffnet wurde.
»Der oder die Täter arbeiten also mit Roland Emmerich zusammen, sie stammen aus seinem Team, nicht wahr«, sagte Elena und hatte wieder die Lacher auf ihrer Seite.
»Ich fürchte, das haben die wohl nicht nötig«, sagte Madame Duplessis betont ernst und leicht indigniert. »Ich habe diese Sequenz von drei unterschiedlichen Experten überprüfen lassen, und sie stimmen unabhängig voneinander überein, was hier vor sich gegangen ist. Die verdächtige Person benutzt ein sogenanntes I-R. A. S. C-Gerät. Dieses sendet infrarotes Licht in einem Bereich aus, der für das menschliche Auge unsichtbar ist. Damit stört man Kameras, die nun statt eines Gesichtes nur noch einen Lichtball zeigen. Das Gerät wurde von – insofern ist der Hinweis auf Filmschaffende gar nicht mal so abwegig – deutschen Kunstaktivisten entwickelt, die es 2008 in Stuttgart vorstellten: ein Instrument, um gegen die Aufrüstung des Staates mit Überwachungskameras im öffentlichen Bereich zu protestieren und vorzugehen. Natürlich gab es sofort billigere Geräte, die auf dem gleichen Verfahren basierten.«
»Und auf dem gleichen Ungeist«, ergänzte der ältere Herr, der sich bisher noch gar nicht geäußert hatte. »Dem Staat den Schutz der Bürger vor Verbrechen zu verwehren und die Versicherungskonzerne zu schädigen. Das Ganze nennt sich dann auch noch lustvoller Widerstand gegen Bevormundung.« So ernst, wie er sprach, befürchtete Elena beinahe, dass er den Schaden aus seinem eigenen Portefeuille begleichen musste.
»Wie ging es weiter? Sieht man die Castellacis zurückkommen?«
»Nein, der Einbrecher hat, einmal drinnen im Hause, die Überwachungskamera sofort ausgeschaltet«, erwiderte Ariane Duplessis. »Das lässt drei mögliche Schlussfolgerungen zu. Die erste: Der oder die Täter waren Bekannte der Castellacis, die sich genau im Haus auskannten und auch wussten, dass sie an diesem Abend ausgehen würden. In dieser Richtung gestalten sich die Recherchen extrem schwierig, weil besonderes Ettore Castellaci sich weigert, seine Geschäftspartner und Freunde polizeilichen Nachforschungen auszusetzen, was begreiflich ist. Die zweite: Die Castellacis haben sich selbst ausgeraubt. Das nachzuweisen, bräuchte es handfeste Beweise, denn jedermann fragt sich sofort: Warum sollen Menschen, die sich eine solche Villa und solche Schmuckstücke leisten können, sich in Gefahr begeben, bei einem Verbrechen erwischt zu werden. Castellaci gilt als knallharter, aber vorsichtiger und aufrechter Geschäftsmann, keine Steuertrickserei, nichts. Und die dritte Möglichkeit: Es waren Profis am Werk, die sich auskennen, ein Gespür haben, wo die Überwachungskameras installiert sind, wo sie ausgeschaltet werden können. Natürlich ist dies bisher die plausibelste Erklärung.«
»Die Castellacis sind also mehr oder weniger aus dem Schneider. Was ist mit dem Polizeibericht?«, erkundigte sich Elena.
Madame Duplessis zuckte die Achseln. »Nichts. Keine Finger- oder Fußabdrücke, keinerlei Anhaltspunkte. Hélas, der Dieb hat es versäumt, seine Adresse zu hinterlassen.«
Den Rest des Nachmittags verbrachten sie damit, die Versicherungspolice zu durchforsten, Zeile für Zeile, auf der Suche nach einer Ausnahmeklausel, die sich vor Gericht aufrechterhalten ließe. Doch am Ende musste Elena zugeben, dass sie nichts dergleichen gefunden hatte.
Madame Duplessis begleitete sie zum Fahrstuhl. »Es sieht nicht besonders rosig für uns aus, oder?«
Elena nickte zögernd. »Sieht so aus. Ich fürchte, wir müssen zahlen, es sei denn, ich stoße auf irgendwelche Ungereimtheiten, wenn ich den Castellacis in Nizza einen Besuch abstatte.«
Auf dem Rückweg ins Hotel stellte Elena fest, dass es in Paris schon fast sechs Uhr abends war – und ungefähr zwölf Uhr mittags auf Jamaika. Sie würde Sam anrufen und sich danach ein Glas Wein genehmigen. Oder besser in umgekehrter Reihenfolge: zuerst etwas trinken nach dem grauenvollen Tag und danach anrufen.
Immer, wenn sie im Montalembert abstieg, einem typischen Haussmann-Gebäude im Herzen des alten Künstlerviertels Saint-Germain-des-Prés, knappe zehn Gehminuten vom Louvre entfernt, fühlte sie sich entspannt, sobald sie auch nur einen Fuß in die Lobby setzte. Das Personal war zuvorkommend, die Bar einladend und das unverzüglich eintreffende Glas Champagner Balsam für die Seele. In ihrem Hotelzimmer lehnte sie sich auf einem weichen Fauteuil zurück, starrte auf das Fenster, an dem Regentropfen perlten, und rief Sam in Jamaika an.
»Ich könnte eine Aufmunterung brauchen.«
»So schlimm, Elena?«
»Ich hatte schon Tage, die besser anfingen. Die Klienten rufen jeden Tag an, machen ein Mordstheater wegen ihres Schadenersatzes, und die Polizei hat nichts, worauf sie sich bei ihren Ermittlungen stützen könnte – keine Finger- oder Fußabdrücke, keine Einbruchspuren, keine Indizien. Im Augenblick habe ich das Gefühl, die Reise hierher war reine Zeitverschwendung.«
»Kennst du die Klienten?«
»Nein. Warum fragst du?«
»Nun, wenn es keinerlei Hinweise auf einen Einbruch gibt, wenn alles so astrein ist, wie sie behaupten, könnte es sich um das Werk von Insidern handeln, sprich: um einen vorgetäuschten Einbruch. Dergleichen soll schon vorgekommen sein. Du solltest dich als Erstes mit deinen Klienten treffen und dir selbst ein Bild machen, was von diesen Leuten zu halten ist.«
»Das hat mir Frank Knox auch schon gesagt. Deswegen fliege ich jetzt ja weiter nach Marseille; und von dort geht’s nach Nizza.«
»Ach, bevor ich es vergesse, ich habe mit Francis gesprochen, er erwartet dich in Marseille. Ruf ihn einfach an und sag ihm, wann du eintriffst. Ich komme in ein paar Tagen. Übrigens, wo bist du gerade?«
»In der Bar des Montalembert«, log sie. Ein bisschen Sorgen machen sollte er sich ruhig.
»Sag ihnen, sie sollen Musik auflegen. Und sprich nicht mit fremden Männern, ja? Man hört nur Schlechtes über diese Herrschaften, die sich allein in Bars herumtreiben. Und versuch, dir keine Sorgen zu machen. Ich vermisse dich.«
Am nächsten Morgen, als sie ihren Jetlag durch Schlaf weitgehend wettgemacht und sich ein üppiges Frühstück im Bett mit Croissants und café crème gegönnt hatte, bestieg Elena das Flugzeug, das sie in einer Dreiviertelstunde nach Marseille brachte. Nach der trübselig grauen Wolkendecke in Paris wirkte der Himmel über der Provence beinahe erschreckend blau. Als sie in der Ankunftshalle des Flughafens Marignane stand und in ihrer Handtasche nach der Sonnenbrille kramte, hörte sie, wie jemand ihren Namen rief.
Und da war er auch schon, ihr Gastgeber Francis Reboul, unaufdringlich gebräunt und elegant in seinem hellen Leinenanzug, Seite an Seite mit seinem Chauffeur Olivier. Nach dem Austausch stürmischer Umarmungen warteten Elena und Reboul draußen in der Sonne, während Olivier den Wagen holte.
»Ich habe hervorragende Neuigkeiten für Sie, meine Liebe.« Reboul zog einen Umschlag aus der Tasche und reichte ihn Elena. »Von meinem neuen besten Freund, dem Notar, der mit der Erledigung der Formalitäten bezüglich Ihres Hauses beauftragt wurde. Alles ist in trockenen Tüchern, der Verkauf kann jetzt über die Bühne gehen. Herzlichen Glückwunsch!«
»Francis, das ist ja wunderbar! Ich wusste gar nicht, dass Sie sich mit dem Notar angefreundet haben. Wie kam denn das?«
»Ich habe ihn zu einer Lagebesprechung ins Le Pharo gebeten, ihm einen pastis für Erwachsene vorgesetzt, etvoilà! Dann habe ich ihm nahegelegt, seinen Mandanten in Paris mitzuteilen, dass Sam und Sie mit ihrer Geduld am Ende sind und andere Immobilien in Betracht ziehen. Die versteckte Drohung und ein weiterer pastis scheinen ihren Zweck erfüllt zu haben.«
Elena beugte sich vor und küsste ihn auf die Wange. »Sie sind der Größte – ich bin total begeistert. Ich kann es kaum erwarten, Sam die Neuigkeit zu erzählen.«
Sie fuhren an dem Turm des alten Stadttors von Marignane und an einer romanischen Kirche vorbei und passierten das malerische La Penne-sur-Huveaune. Während der Fahrt ins Le Pharo war Reboul ein paar Minuten lang so schweigsam und nachdenklich, als müsste er eine folgenschwere Entscheidung treffen. Als er schließlich das Wort ergriff, war seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern.
»Ich habe eine Einladung von meinen alten Freund Tommy Van Buren erhalten«, sagte er. »Ich kenne ihn aus Harvard, wo wir zusammen studiert haben. Vor ein paar Jahren hat er ein Anwesen außerhalb von Cannes gekauft, und nun findet dort zum Abschluss der Renovierungsarbeiten eine Einweihungsparty statt. Und genau das ist der Punkt, an dem ich moralischen Beistand brauche.« Er blickte Elena mit einem Stirnrunzeln an.
»Jederzeit gerne. Ich bin geradezu darauf spezialisiert, moralischen Beistand zu leisten. Fragen Sie Sam.«
Reboul tätschelte lächelnd ihre Hand. »Mein Problem ist, dass die Architektin, die auch für die Inneneinrichtung zuständig war, daran teilnehmen wird – eine Frau namens Coco Dumas. Wir hatten mal vor einigen Jahren eine Art Beziehung, äh, eine Affäre, die bedauerlicherweise ein unseliges Ende nahm. Ehrlich gesagt, würde ich es vorziehen, auf den Besuch dieser Festivität zu verzichten.« Er hielt inne und zuckte die Achseln. »Aber ich möchte meinen alten Freund nicht enttäuschen. Und deshalb wüsste ich gerne, ob Sie mich vielleicht begleiten würden, als – wie soll ich es ausdrücken – als gesellschaftliche Tarnung.«
Nun war es an Elena, ihm die Hand zu tätscheln. »Keine Sorge. Von gesellschaftlicher Tarnung verstehe ich auch eine Menge. Wann findet die Party statt?«
»Morgen.«
Sie waren am Ziel und stiegen aus. Der Anblick des Palais du Pharo, der einstigen Sommerresidenz Napoleons III., hoch oben über der Bucht, war immer wieder atemberaubend.
Während des Abendessens wurde Reboul mitteilsamer, was die Gründe für seine Abneigung betraf, bei der Einweihungsfeier aufzukreuzen. Einen Teil der Geschichte kannte oder ahnte Elena bereits. Er war mit einer Frau namens Mireille verheiratet gewesen, der großen Liebe seines Lebens. Sie starb in jungen Jahren an Krebs, und Reboul – reich und plötzlich alleinstehend – war unwillentlich zu einem heiß begehrten Junggesellen geworden. Im Laufe der Jahre hatte er mehrere Affären gehabt, von denen die meisten in aller Freundschaft endeten, bis er auf einer Cocktailparty Coco begegnet war. Sie war attraktiv und amüsant, er vor allem einsam, und eines führte zum anderen. Doch wie Coco zu ihrer Enttäuschung feststellen musste, hatte es nicht den Anschein, als würde die Verbindung zum Traualtar und zur gesellschaftlich angesehenen Stellung einer Madame Reboul Nummer zwei führen. Ungeachtet der vielen eindeutigen Hinweise, die sie fallen ließ, zog Reboul es vor, Single zu bleiben; Cocos Enttäuschung verwandelte sich in blanke Wut, und nach einem letzten, hochexplosiven verbalen Schlagabtausch war die Beziehung zerbrochen.
»Sie sehen also, warum ich mich nicht gerade auf den morgigen Abend freue«, erklärte Reboul. Er lächelte verlegen, als wollte er sich entschuldigen. »Obwohl Tommy meinte, dass Coco mit der Renovierung des Hauses erstklassige Arbeit geleistet hat.« Er warf einen Blick auf seine Uhr. »Meine Liebe, ich denke, es würde uns beiden guttun, zeitig schlafen zu gehen. Der Flug von Los Angeles war gewiss anstrengend, und es braucht seine Zeit, sich davon zu erholen.«