Die Ehefalle. Historischer Roman - Catherine St.John - E-Book

Die Ehefalle. Historischer Roman E-Book

Catherine St.John

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Beschreibung

Emma Whitehurst ist ganz zufrieden damit, im elterlichen White Park zu leben und dort im Park Rosen zu züchten. Heiraten? Muss nicht unbedingt sein... Ihre schöne Schwester Evelina verlobt sich bei einem festlichen Essen mit Arthur Connery, der eines Tages ein Earldom erben wird, brennt aber wenig später mit einem attraktiveren Kandidaten nach Gretna Green durch. Die Eltern strafen Emma, die davon doch gar nichts gewusst hatte, mehr oder weniger mit Nichtachtung und zwingen sie schließlich, den verschmähten Arthur zu heiraten, der sie nur ein kleines bisschen kompromittiert hatte. Emma ist so wütend auf ihre Eltern - und auf Arthur - dass sie achselzuckend einwilligt; eine mürrischere Braut hat die Welt wohl selten gesehen. Warum die Eltern so sehr auf dieser Ehe beharrten und was sie an ihr selbst eigentlich auszusetzen hatten, beschäftigt Emma aber doch - und Bruder Edmund, der diese Vorgänge ebenfalls eher dubios findet, unterstützt Emma und Arthur bei ihren Untersuchungen. Emma und Arthur kommen sich dabei durchaus näher - und dann wird Emma plötzlich entführt: von wem nur?

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Kapitel I

„Am Freitag ist das festliche Dinner“, verkündete Evelina Whitehurst, Miss Whitehurst auf White Park in Essex, Tochter des Barons Whitehurst, und sah erhaben drein.

Emma kicherte. „So wie du dreinsiehst, kommt der König zum Dinner?“

„Da sei Gott vor!“, entsetzte ihre ältere Schwester sich, musst dann aber auch lachen. „Mama hat die Gästeliste, da kannst du schauen, ob du jemandem aus dem Königshaus darauf entdeckst.“

„Ich kümmere mich auf jeden Fall um den Blumenschmuck“, versprach Emma und klappte ihr Buch zu.

„Schon wieder ein Blumenhandbuch?“

„Natürlich. Hier steht auch, warum sich manche Blumen nicht miteinander vertragen und zusammen in der gleichen Vase schneller welken.“

„Tatsächlich? Woher kommt das wohl?“

„Das weiß man wohl noch nicht, vielleicht dünsten sie etwas aus, was die jeweils andere stört. Ach, ich würde so gerne Pflanzenkunde studieren…!“

„Als Mädchen? Ich glaube nicht, dass das geht.“

„Ich doch auch nicht. Aber vielleicht kann ich hier im Park Pflanzen züchten und sogar etwas Neues entwickeln. Das wäre so schön…“

„Es gibt doch die London Horticultural Society, nicht wahr? Können die nicht einmal eine Ausstellung machen und zeigen, was es Neues gibt? Ich meine, England ist doch berühmt für seine Gärten, da müsste es doch viel Interesse geben?“

„Wunderbare Idee! Das würde mir sehr gefallen. Aber noch hätte ich ja gar nichts vorzuweisen…“

„Dann fang mal an, kleine Schwester.“

„Kommt eigentlich Arthur Connery zum Dinner?“

„Ich denke schon“, antwortete Evelina, ohne sich zu ihrer Schwester umzudrehen. Offenbar musste sie dringend die kleine Tabatièrensammlung auf dem Beistelltischchen neu arrangieren. Vermutlich würde Evelina sich mit Connery, dem Enkel von Lord Connings, bald verloben, überlegte Emma. Die Eltern wären froh darum, denn damit hätten die Whitehursts bessere Verbindungen. Und Evelina war ja auch so hübsch – diese tiefblauen Augen, diese rötlichgoldenen Locken, dieses Stupsnäschen und die vollendete Figur! Da konnte Emma nicht mithalten, denn bei ihr war alles etwas blasser, dafür war ihre Nase größer, das Erbe ihres Vaters, nicht der französischen Mutter, die ebenfalls ein niedliches Gesicht hatte, auch jetzt noch mit deutlich über vierzig Jahren.

Jedenfalls war Evelina auch hier auf dem Land, soweit möglich, durchaus umschwärmt – aber Lord Arthur war wohl der beste Fang…

Nun, ihr war das recht gleichgültig, sie wollte am liebsten immer auf White Park leben, Edmund bei der Verwaltung helfen und daneben den Garten immer wieder umgestalten und dabei neue Pflanzen entwickeln. Ja, und so lange es noch möglich war, so oft wie möglich mit Tante Rosalie plaudern, die manchmal etwas verwirrt wirkte, aber viel häufiger blitzgescheit war. Und witzig!

Hier war es definitiv viel schöner und angenehmer als an einem unbekannten Ort, zu dem sie ja mit einem eventuellen Ehemann ziehen müsste… besser nicht! Wenn es Evelina natürlich nichts ausmachte, mit diesem Lord Arthur nach wohin-auch-immer zu gehen, dann war das ihre Sache.

„Es soll ein sehr vornehmes Dinner werden“, überlegte Evelina weiter. „Hast du in deinem Gewächshaus etwas Passendes, was meinst du?“

„Wären weiße Rosen, die im Inneren der Blüte einen Hauch von Rosa aufweisen, in Ordnung?“

„Kannst du sie mit anderen Blumen in einem kräftigeren Rosa kombinieren? Das müsste dann ganz besonders hübsch aussehen…“

„Ja, ich denke, da habe ich etwas Passendes. Und dazu etwas helles Grün, mit weißen Schleifchen gebunden.“

„Blassrosa Tischkarten“, ergänzte Evelina träumerisch.

„Richtig. Und du schreibst die Tischkarten, du hast die schönere Handschrift. Dann sehen wir ja, ob jemand aus dem Königshaus zum Dinner kommt!“

o

Lord Arthur trabte in den Stallhof, sprang aus dem Sattel und übergab seinen Hotspur dem Stallmeister, der dem roten Hengst die Nüstern tätschelte. „Na komm, abreiben, tränken und ein bisschen Hafer, einverstanden?“

Lord Arthur lachte. „Redding, ich glaube, Hotspur liebt Sie mehr als mich. Sehr materialistisch!“

Er eilte durch einen Seiteneingang ins Haus und sah sich wie immer zufrieden in der Halle um. Wirklich schön, das konnte er nicht leugnen! Er hatte den kleinen Landsitz von seinem Vater geerbt, der Haus und Land allerdings betrüblich vernachlässigt hatte, aber nun hatte er dem Schlösschen den alten Glanz zurückgegeben und in der Landwirtschaft mit neuen, ertragreicheren Methoden höhere Erträge und höhere Zufriedenheit der Pächter erzielt. Doch, er konnte mit Little Connings und auch mit sich selbst sehr zufrieden sein. Darüber hatte sich sein Großvater sehr gefreut und schon angemerkt, dass der gute Arthur eines Tages ein würdiger Nachfolger sein werde.

Sein natürlicher Nachfolger wäre natürlich Arthurs Vater. Armer Papa…

Nun, bis dahin konnte er seine Fähigkeiten, ein Earldom zu verwalten, an Little Connings hinreichend üben, denn Großpapa – den man nur in seiner Abwesenheit so nennen durfte – gab mit seinen fast achtzig Jahren die Zügel immer noch nicht aus der Hand, auch wenn er sich zunehmend mit seiner schwindenden Gesundheit beschäftigte.

Arthur versuchte, ungesehen in sein Arbeitszimmer zu gelangen, aber Belling, sein Kammerdiener, hatte ihn schon erspäht und er ergab sich in sein Schicksal.

„Euer Lordschaft, die Stiefel?“

„Soll ich denn auf Strümpfen im Arbeitszimmer sitzen?“ Diese Antwort hatte noch nie funktioniert – und Bellings Antwort war auch immer die gleiche: Stumm hielt er paar saubere Stiefel hoch.

„Nun gut…“ Arthur setzte sich und ließ sich die schmutzigen Stiefel aus- und die sauberen anziehen. Belling inspizierte die lehmverklebten Stiefel, erlaubte sich ein leises, aber eindeutig tadelndes Schnalzen mit der Zunge und entfernte sich, um das misshandelte Leder wieder in perfekten Zustand zu versetzen.

Arthur überlegte kurz, was Belling wohl bei einem Herrn täte, der nur über ein Paar Stiefel verfügte. Dieser Herr müsste dann wohl wirklich auf Strümpfen herumlaufen. Oder seine Stiefel heimlich säubern, bevor er es wagte, damit vor seinen  strengen Diener zu treten…

Auf das Dinner bei den Whitehursts freute er sich schon – nicht nur gab es dort sehr gutes Essen (sie mussten einen exzellenten Koch haben), sondern er würde auch die wunderschöne Evelina treffen. Vielleicht konnte er seinem Ziel, ihre Hand zu erringen, wieder einen Schritt näher kommen. Die Göttin war schwer zu erobern, sie hatte ja auch die freie Auswahl unter dem heiratswilligen Adel der Umgebung.

Evelina war schön, reizend, klug, freundlich – aber etwas launenhaft. Das sei einer schönen Lady doch wohl zugestanden? Frauen hatten nun einmal ihre Capricen, dafür waren sie eben das schöne Geschlecht.

Aber er hatte Evelina doch auch viel zu bieten – Little Connings war zwar ein eher übersichtlicher Besitz, aber wohl gepflegt und mit allem neuzeitlichen Komfort versehen; sie würde ein sehr reichliches Nadelgeld erhalten, man würde auf dem Land leben, aber die Saison in London verbringen, wo sein Großvater ein repräsentatives Stadthaus unterhielt.

Ja, und eines Tages würde er ja den Titel erben – und damit mehrere Besitzungen und obendrein ein sehr stattliches Vermögen. Evelina wäre dann eine Countess, das reizte sie doch bestimmt? Reizte das nicht alle jungen Ladys?

Außerdem wäre sie eine sehr schöne Countess, der Mittelpunkt jeder Gesellschaft. Klug war sie auch, sie könnte der Mittelpunkt jeden Balls während der Saison werden – schön, klug, reich gekleidet und am Arm eines verliebten Ehemanns: Träumte sie davon etwa nicht?

Bestimmt würde sie am Ende ja sagen!

Mit Mühe verbannte er diese Phantasien aus seinem Kopf und konzentrierte sich auf die Angelegenheiten seines Besitzes, da gab es schließlich auch allerhand zu tun.

Abends aber, als er nach dem Dinner und einem Brandy vor dem Kamin in sein Schlafzimmer kam, wartete dort Belling auf ihn: „Euer Lordschaft, was werden Sie bei dem Dinner auf White Park tragen? Es sind kaum noch zwei Tage bis dorthin!“

Arthur zuckte die Achseln. „Das Übliche, denke ich. Abendgarderobe – was denn sonst?“

„Euer Lordschaft haben verschiedenste Abendausstattungen. Ich nehme an, schwarzer Rock und schwarze Pantalons – aber welche Weste? Welche Krawatte – und wie gebunden? Welchen Hut werden Sie wählen?“

„Belling, bitte!“ Er seufzte. „Gut, die weiß-silberne Weste, eine weiße Krawatte – überraschend, nicht wahr? Einen Zylinder, obwohl ich den auf White Park doch beim Butler lassen werde. Und schwarze Stiefel!“

Belling lächelte etwas säuerlich. An braune Stiefel hatte er ja wohl nicht gedacht, was glaubte seine Lordschaft denn! „Was haben Eure Lordschaft denn an Schmuck ins Auge gefasst?“

Arthur verdrehte die Augen. „Als ob ich eine Debütantin auf dem Weg zum allerersten Ball wäre!“

Belling verneigte sich. „In diesem Fall hätte ich zu einer schlichten Perlenkette geraten.“

Arthur lachte anerkennend. „Trotzdem, Belling – es handelt sich um ein ganz gewöhnliches Dinner, also müssen wir wohl nicht übertreiben!“

„Sehr wohl, Eure Lordschaft. Allerdings dachte ich – und wenn ich das sagen darf, ist diese Meinung auch beim übrigen Personal vorherrschend – dass Eure Lordschaft ein Interesse an Miss Whitehurst gefasst hätten?“

„Klatsch und Tratsch!“, seufzte der geplagte Lord.

„Wir wünschen uns eben eine Herrin für Little Connings, Mylord“, entgegnete Belling ernst.

„Schon recht, Belling. Ich werde sicherlich bald heiraten, denke ich, also können Sie vielleicht die übrigen  - äh – Angestellten beruhigen?“

Belling verneigte sich. „Lady Fairhaven sollten Sie aber, möchte ich ergebenst anmerken, selbst beruhigen.“

„Ich möchte wirklich wissen, was es meine Schwester angeht, ob und wann ich heirate! Little Connings hat mit ihr nichts zu tun, ob ich einen Erben für das Earldom zeuge, hat mit ihr nichts zu tun, mein ganzes Privatleben hat mit ihr nichts zu tun! Sie hat einen Gemahl und zwei kleine Kinder, ist sie damit nicht hinreichend beschäftigt?“

Belling schwieg unbehaglich; schließlich murmelte er: „Wenn das dann alles wäre, Euer Lordschaft?“

Arthur entließ ihn mit einer Handbewegung.

Dann ließ er sich in einen der Sessel vor dem (kalten) Kamin fallen und starrte vor sich hin. Heiraten? Ja, heiraten wollte er tatsächlich und es stimmte auch, dass ihm Miss Whitehurst – Evelina – sehr gut gefallen würde. Sie war wirklich schön, klug, persönlich sehr nett, nur manchmal etwas zu – wie sollte man es ausdrücken? Zu leidenschaftlich? Vielleicht erwartete sie in der Ehe tägliche feurige Liebeserklärungen? Dazu war er wohl nicht die richtige Sorte Mann…

Evelina Whitehurst war immerhin einundzwanzig, sollte man da nicht über derlei romanhafte Vorstellungen hinaus sein? Ehe, das war Freundschaft, Zusammenarbeit, Kindererziehung, hoffentlich interessante Gespräche – und passendes Auftreten in der Gesellschaft.

Natürlich gehörten auch Zärtlichkeiten dazu, wer war er, dies zu leugnen? Aber Romeo und Julia wollte er nicht nachspielen!

Nun, man würde sehen, wie sich das Dinner am Freitag anließ. Immerhin wusste er dank Belling ja schon, was er tragen würde…

Ohne Perlenkette.

o

Die Gäste wurden für acht Uhr des Abends erwartet, und eine halbe Stunde zuvor inspizierte Emma kritisch den Tisch. Die Platzkarten waren  sehr hübsch geworden, Evelina hatte sich wirklich Mühe gegeben! Vielleicht ergab sich ja heute etwas für sie? Mit Lord Arthur möglicherweise? Nach all den Blumengebinden und Pralinenschächtelchen, die er ihr schon geschickt hatte, konnte man ja wohl Vermutungen hegen, was seine Absichten betraf, nicht wahr?

Emma arrangierte den Blumenschmuck vorsichtig noch etwas hübscher und nickte dann zufrieden: Besser konnte es nicht werden!

Welche Herren waren denn überhaupt geladen? Lord Arthur, natürlich. Dann ein Marquess von Hanbury, ihr unbekannt - wahrscheinlich ein Tattergreis. Ach ja, Lord und Lady Griswold mit ihrem jüngsten Sohn Lancelot, neben dem sie selbst saß. Auf dem rangniedrigsten Platz.

Das störte sie aber nicht, sie wusste ja schließlich, dass sie nichts Wichtigeres als die jüngere Tochter der Gastgeber war. Und Lancelot Griswold war etwas schüchtern, also musste sie vor ihm keine Angst haben – und er liebte Pflanzen, das wusste sie, da hatten sie doch gleich ein Thema?

Lord und Lady Berwood von Wood House, bei dem man sich immer fragte, warum rund um das kleine, aber immerhin elisabethanische Herrenhaus kein einziger Baum stand, wenn sie das Anwesen schon so genannt hatten…

Ach ja, der alte Lord Penford. Der kam bestimmt nicht, um zu heiraten, sondern nur, um gut und reichlich zu essen, was man ihm auch deutlich ansah. Und Tante Rosalie, natürlich, sie war Penfords Tischdame. Der Marquess saß natürlich neben Mama ganz oben, Lord Arthur neben Evelina, der kleine Griswold neben ihr selbst, Berwood und Griswold hatten die Tischdamen einfach getauscht… Na, ob das angeregte Gespräche garantierte? Apropos - wo saß eigentlich Edmund? Ach, ziemlich in der Mitte, neben Miss Griswold, der manchmal etwas albernen Griselda, die sich vor allen Tieren fürchtete. Sie sollte besser keinen Landwirt heiraten, aber hier, in dieser Ecke von Essex, gab es doch niemand anderen. Und dort war ja auch die alte Lady Griswold, die verwitwete Mutter von Lord Griswold. Eine böse Zunge, aber nicht ohne Witz – und in der Gegend durchaus gefürchtet!

„Hübsches Kleid“, lobte Evelina hinter ihr und inspizierte nun ihrerseits die Tischordnung. „Hm, da hatte Mama gewiss einige Mühe, aber mir scheint, dass alles – nein!“

„Was ist dir?“

„Hier sitzt Tante Rosalie?“

Emma spähte auf die Karte. „Ja, du hast Recht. Sollte sie deiner Ansicht nach anderswo sitzen? Aber vermutlich dachte Mama, der alte Penford interessiere sich ohnehin nur für das Essen, da falle es am wenigsten auf, wenn Tante Rosalie wenig bis gar nichts spricht.“

„Ich finde, Tante Rosalie sollte bei solchen Anlässen in ihren Räumen bleiben. Man kann ihr ja das Essen hinauf bringen.“

„Warum?“ Emma verstand die Aufregung nicht.

„Tante Rosalie ist peinlich! Was sollen unsere Gäste denken, wenn sie etwas Verrücktes sagt?“

Emma schüttelte den Kopf. „Glaubst du, die anderen Familien haben keine alten Verwandten, die nicht immer ganz klar im Kopf sind? Und Tante Rosalie kann durchaus Kluges und Unterhaltsames äußern.“

„Sie leidet an Altersschwachsinn!“

„Das ist Unsinn. Es kann aber sein, dass sie deine Abneigung spürt und dann sozusagen deine Erwartungen erfüllt.“

„Wie bitte? Warum sollte sie etwas so Albernes denn tun?“

„Aus Trotz vielleicht?“

„Da seid ihr ja schon!“ Lady Whitehurst lächelte ihre Töchter an und lobte zuerst den Blumenschmuck auf der Tafel, bis Emma glücklich strahlte, dann wandte sie sich Evelinas Abendrobe zu und nickte billigend: „So perfekt, wie ich es erwartet ´abe. Genau der richtige Farbton – so blaugrün wie deine Augen. Sehr schön! Du hast deinen Platz schon gefunden? Und Emma, du auch?“

„Aber ja. Ich werde mich bemühen, Lance Griswold die Befangenheit zu nehmen.“

„Das wäre sehr lieb von dir, mein Kind – aber du sollst den Abend auch selbst genießen!“

„Keine Sorge, Mama, das werde ich, bestimmt.“

Kapitel II

Kurz vor acht saßen sie, auch mit Edmund und Lord Whitehurst, im großen Salon und warteten auf die Gäste. Durch eine offene Verbindungstür konnte Emma die geschmückte Tafel sehen. Sie ließ den Blick schweifen und stellte fest, dass von den drei üppigen Blumenarrangements eins bereits leicht zu welken begann. Wahrscheinlich brannte das Kaminfeuer seit Stunden, damit die Gäste sich in der Wärme wohlfühlten – aber die Rosen hatten das offenbar übel genommen.

Sie ging hinüber und rückte die Vase so zurecht, dass man diese eine etwas bräunliche Rose nicht mehr sehen konnte. In diesem Moment meldete Runcorn feierlich: „Lord und Lady Griswold, Mr. Lancelot Griswold, Miss Griswold.“

Die vier rauschten in den Salon, Lady Griswold mit empathisch ausgestreckten Armen: „Meine liebe Isabelle, wie haben wir uns über die Einladung gefreut!“ Sie und Lady Whitehurst umarmten sich vorsichtig und lächelten sich an; Emma sah, dass ihr Vater schon dabei war, Lord Griswold auf die Schulter zu klopfen; Runcorn kam mit einem Tablett voller wohlgefüllter Sherrygläser und bot sie den Herren diskret an. Die Damen akzeptierten ebenfalls, Evelina nahm sich auch eins auf ein Nicken ihrer Mutter hin, aber: „Miss Emma möchte lieber etwas Limonade – und Miss Griswold sicher auch, nicht wahr?“ Emma und Griselda stimmten ohne Begeisterung zu.

„Süßes labbriges Zeug“, murmelte Griselda und zwinkerte Emma zu. Lady Griswold räusperte sich streng, aber da wurden Lord Penford, Lord Arthur Connery und der Marquess von Hanbury gemeldet. Emmas Eltern eilten sofort dem Marquess entgegen, der sich artig für die Einladung bedankte, während Emma wie eine liebe Enkelin den alten Penford umsorgte, der bereits voller Vorfreude die Tafel musterte: „Das lässt ja auf wundervolle Genüsse schließen! Ich habe sogar meinen Patensohn Gregory mitgebracht. Ein netter Junge, wir hoffen alle, dass er bald heiratet, nicht wahr?“

Alles Welt wollte oder sollte heiraten, dachte Emma. Sie hatte darauf eigentlich noch gar keine Lust, so schön wie auf White Park konnte es doch anderswo gar nicht sein?

Also lächelte sie Lord Penford freundlich an und kommentierte diese Hoffnungen nicht weiter; stattdessen wünschte sie ihm einen vergnüglichen Abend, aber nicht guten Appetit, denn das hieße, seine Interessen doch sehr auf das Eine zu reduzieren. Der Marquess sah hübsch und romantisch aus, eher wie ein Romanheld als wie ein junger Mann, den seine Familie in eine Ehe zu drängen versuchte. Sie lächelte ihn flüchtig an und wandte sich Lord Arthur zu, ihrem vermutlich künftigen Schwager, der ihr freundlich zunickte und sichweiter auf die zauberhafte Evelina konzentrierte. Papa beobachtete das zufrieden, stellte Emma fest und ging auf ein diskretes Winken ihrer Mutter auf die Berwoods zu, die gerade gemeldet worden waren. Sie begrüßte sie, gab ihrer Freude Ausdruck, sie auf White Park zu sehen, und zeigte ihnen ihre Plätze, bevor sie sie zu ihren Eltern führte.

Damit waren alle Gäste eingetroffen, standen mit ihren Sherrygläsern herum und plauderten mehr oder weniger angeregt, also konnte Emma sich zuGriselda gesellen und mit ihr die Toiletten der Damen begutachten; Griselda hatte da einen unbestechlichen Blick und eine scharfe Zunge. Die hoch modische Aufmachung der verwitweten Lady Griswold – ihrer eigenen Großmutter! – gefiel Emma eigentlich recht gut, der dunkelgrüne Samt mit silbernen Akzenten sah ausgesprochen elegant aus.

„Naja, das ist annehmbar“, fand Griselda, „aber ich hatte Großmama dringend geraten, den grünen Samt mit Gold aufzuputzen. Und schau hin, sie trägt ja auch Goldschmuck – zu silbernen Borten! Nein, ich bin nicht recht zufrieden. Deine Schwester hat aber perfekt gewählt! Diese abgestuften Blautöne, ideal zu den goldrotbraunen Locken und diesen hellblauen Kulleraugen!“

„Du hast Recht“, seufzte Emma, „sie ist wirklich die weitaus schönere von uns beiden.“

„Ach, Unsinn!“, erwiderte Griselda herzlich, „du hast die etwas zarteren Farben, aber du hast auch die feineren Gesichtszüge und du bist obendrein die herzlichere und zugleich auch die klügere von euch beiden.“

„Evelina ist sehr klug!“, empörte sich Emma sofort. „Sie interessiert sich für so vieles, während ich am liebsten in der Erde wühle und versuche, Rosen zu veredeln.“

„Mag sein, meine Liebe, aber du hast jetzt alle Gäste freundlich begrüßt und dich um sie gekümmert, während Evelina hauptsächlich dekorativ herumsteht und sich von Lord Arthur angaffen lässt.“

„Ts, ts“, spöttelte Emma, „angaffen? Sagt das eine Dame etwa?“

„Du weißt schon, wie ich das meine! Evelina ist recht eitel – oder irre ich mich da?“

„Ach, so arg ist es gar nicht – und ich finde sie wirklich schön. Vermutlich heiratet sie ja ohnehin bald.“

„Arthur Connery?“

„Ja, gewiss.“

„Nicht übel – dann wird sie eines Tages die Gemahlin eines Earls sein…“, kommentierte Griselda gedankenvoll.

„Ja, das gefällt ihr bestimmt. Sie kann auch sicher dazu passend auftreten. Und unseren Eltern ist das bestimmt auch wichtig, es erhöht den Glanz der Familie und vielleicht wird Edmund dann sogar eine Grafentochter heiraten können?“

„Und du?“

„Was meinst du? Ob ich mich über eine gräfliche Schwägerin freuen würde? Warum auch nicht, wenn sie nett und vernünftig ist?“

„Das versteht sich von selbst. Ich meinte: Wen wirst du heiraten?“

„Woher soll ich das jetzt schon wissen? Ich bin neunzehn, ich habe doch noch ein, zwei Jahre Zeit, meinst du nicht?“

„Sicher – aber wen gibt es hier denn noch?“ Griselda ließ ihren Blick durch den Raum schweifen, als sei das alles, was Essex zu bieten hatte.

„Vielleicht finde ich auch jemanden, der heute nicht hier zum Dinner geladen ist?“

Emmas Mutter schlug mit einem winzigen Metallhämmerchen – extra für diesen Zweck bereit gelegt – gegen ihr Sherryglas und verkündete, das Dinner sei nun bereit.

Emma beobachtete innerlich feixend, wie alle die Gäste, denen sie doch vorhin erst ihre Plätze gezeigt hatte, wie aufgescheuchte Hühner herumirrten. Nun, viele waren eben doch schon älter…

Schließlich hatten sich alle gesetzt und die Diener begannen damit, die Schüsseln des ersten Gangs aufzutragen und den Gästen zu servieren.Emma, die ja neben Lance Griswold saß, beobachtete mit ihm zusammen leise schmunzelnd, wie Lord Penford nahezu alles zu sich umleitete und sich dann auffallend üppig servieren ließ, bis auf seinem – wirklich nicht kleinen – Teller überhaupt kein Platz mehr war.

Emma selbst hatte sich ein Fleischküchlein, etwas Salat und ein kleines Stück Kabeljau in feiner Senfsauce geben lassen und konnte nur hoffen, danach noch Appetit auf die weiteren Gänge zu haben – aber Penford hatte sich gut das Dreifache auftun lassen!

Während sie den ersten Bissen Salat zierlich verspeiste (und Penford die Speisen regelrecht in sich hineinschaufelte), sah sie sich diskret um: Allen schien es zu schmecken, alle aßen manierlich und lächelten zufrieden, auch dieser Marquess, der wie ein malerischer Pirat wirkte, speiste auf tadellose Art. Nur Penford eben, aber das war man ja gewohnt.

Sie konzentrierte sich auf Lance, der berichtete, dass er versuchte, gelbe und rote Rosen zu kreuzen, um einen Pfirsichton zu erzielen. Das klang interessant!

Sie waren immer noch beim Thema, als die Teller ausgetauscht wurden und der zweite Gang serviert wurde.

Nun gut, etwas Rinderbraten, ein Löffelchen geschmorte Pilze und ein Häppchen Pastete, das schaffte sie wohl schon noch. Lance hatte sich mehr servieren lassen, aber er war ja wohl noch im Wachstum.

Sie beschrieb ihm zwei neue Sträucher, die Papa auf ihren Wunsch hin angeschafft hatte und die leuchtend blau beziehungsweise in Goldgelb blühen sollten. „Ich fürchte nur, dass sie giftig sind – aber Kinder und Hunde werden sich in diesen Teil des Parks wohl nicht verlieren.“

Lance nickte. „Ich glaube, Tiere merken so etwas auch rechtzeitig. Man hört doch eher selten, dass Tiere etwas Giftiges fressen – etwas, das von Natur aus giftig ist, meine ich!“, fügte er rasch hinzu, als er bemerkte, dass Emma etwas einwenden wollte.

„Richtig“, stimmte Emma zu. „Bei Dingen, die ein Mensch absichtlich vergiftet hat, verhält es sich wohl anders.“

„Aber Miss Emma, ist das ein erfreuliches Thema bei einem so delikaten Dinner?“, mahnte Lances Vater, der zu ihrer Linken saß.

Sie lächelte reuig. „Ich wollte wirklich niemandem den Appetit verderben – und eigentlich ging es auch nur um schöne Sträucher, die aber leider giftig sind.“

„Goldregen und Blauregen“, erläuterte Lance und sein Vater nickte.

Emma warf einen Blick auf Lord Arthur, der Evelina immer wieder von der Seite musterte, während diese mit Griselda zu ihrer Linken plauderte und nur gelegentlich den unbekannten Marquess mit einem halben Blick streifte.

Ansonsten unterhielten sich alle mehr oder weniger angeregt und aßen nebenbei, lobten die Speisen, ließen sich nachlegen, fanden auch die Weine delikat und schienen ganz allgemein zufrieden. Mama konnte das Dinner wohl als gelungen betrachten, dachte Emma, wenn mit dem nächsten Gang und den Desserts kein Unglück passierte. Dass die Gäste sich in die Haare gerieten, war wohl unwahrscheinlich: Gesetzte ältere Herrschaften mit ihren harmlosen Kindern, Evelinas Verehrer und der unbekannte Patensohn von Lord Penford, der artig speiste und mit Mama plauderte, wie es sich gehörte. Ein Konflikt? Lächerliche Vorstellung.

Papa war ebenfalls ins Gespräch vertieft. Beruhigt wandte sich Emma wieder ihrem Tischherrn zu und brachte das Thema auf Pferde und dann auf bekannte Gartenarchitekten, was Lance sehr interessierte, so dass das Thema vorhielt, bis der gebratene Fasan mit feinen Gemüsen, das Kalbsragout mit gewürztem Reis, die Fischpastete und sogar noch die Desserts (Schokoladencreme, Erdbeer-Sorbet, Obstsalat aus Äpfeln, Erdbeeren, Birnen und Mandeln und eine Apfeltorte mit geschlagener Sahne) vorbeigezogen waren.

Emma bemerkte das eigentlich erst so recht, als sich Mama erhob und murmelte: „Ladys…“

Im großen Salon bat sie dann Emma, etwas auf dem Klavier zum Besten zugeben, während die Damen sich verteilten und kleine Gläschen mit süßem Mandellikör bekamen. Den mochte Emma ohnehin nicht, also hatte sie gar nichts dagegen, eine halbe Stunde lang einige der bekannteren Stückchen von Mozart, Haydn und Beethoven zu spielen.

Sie klimperte einigermaßen routiniert vor sich hin, während die Damen recht oberflächlich plauderten. Worüber unterhielten sich wohl die Gentlemen, die noch beim Portwein im Speisezimmer saßen? Über die gleichen Trivialitäten wie die Ladys hier im Salon?

Vielleicht auch über die Landwirtschaft, Erinnerungen an vergangene Kriege und die entsprechenden Heldentaten, Erfolge in der Pferdezucht… oder sie schlossen alberne Wetten ab?

Nein, dafür waren die meisten Herren schon zu gereift und behäbig. Höchstens Lance, Lord Arthur und dieser piratenhafte Marquess waren im richtigen Alter für derartige Dummheiten.

Sie kramte in den Noten auf dem Flügel und griff zur Mondschein-Sonate. Ob sie den Damen wohl gefiel? Oder hörten sie ohnehin nicht zu und die Sonate war nur ein angenehmes Hintergrundgeräusch?

Sie schlug die ersten Töne an und registrierte aus dem Augenwinkel Mamas billigendes Nicken.

o

Im Speisezimmer ging es tatsächlich um moderne Methoden in der Landwirtschaft und um Modefragen; Lord Penford freilich war schon mit einem Verdauungsschläfchen beschäftigt.

Schließlich löste sich Lord Arthur von der Frage, welche Art, die Krawatte zu binden, im Moment die modischste war, und bat Lord Whitehurst um eine kurze Unterredung unter vier Augen. Lord Whitehurst, der auf das richtige Anliegen des jungen Mannes hoffte, bat ihn ins Arbeitszimmer, wo Lord Arthur ihn ohne große Umschweife um Evelinas Hand bat.

Lord Whitehurst gewährte ihm diese Hand gerne und erkundigte sich nach Vermögen und Erbaussichten. Die Antworten stellten ihn zufrieden, also wies er einen Lakaien an, Miss Whitehurst ins Arbeitszimmer zu bitten.

„Ja, Papa?“

Evelina stand in der Tür, entdeckte Lord Arthur und schien die Lage schon erfasst zu haben, denn sie lächelte ihm vorsichtig zu, was er sofort – und weniger vorsichtig – erwiderte.

Als ihr Vater ihr von Lord Arthurs Antrag berichtete, nickte sie. „Ja, natürlich bin ich einverstanden, Lord Arthur!“ Sie reichte ihm freundlich die Hand; Lord Arthur zog sie an sich und küsste sie flüchtig auf die Lippen.

„Oh!“ Evelina blinzelte verblüfft.

„Wir sind jetzt doch verlobt? Ein Kuss gehört unbedingt dazu, meine Liebe!“

„Gewiss doch, Mylord.“ Glücklich klang das nicht, fand Arthur, aber immerhin gelassen. Gegen ihren Willen hatte sie also nicht zugestimmt.

„Ich heiße Arthur, Evelina.“

„Gewiss, Arthur. Wenn Sie das möchten?“

„Warum sollten wir nicht etwas vertrauter miteinander umgehen?“

„Aber gerne…“

Lord Whitehurst wusste nicht recht, ob er zufrieden sein sollte: Evelina wirkte doch sehr – nun – wohltemperiert? Andererseits war sie natürlich eine sehr wohlerzogene Lady, da wäre Überschwang vielleicht auch nicht das Richtige gewesen. Und Arthur Connery sollte seine Tochter ruhig etwas umwerben, eine Gemahlin wie Evelina bekam man schließlich nicht alle Tage!

Er brachte die beiden in den Salon und stellte sie als Verlobte vor; dem allgemeinen Jubel schlossen sich auch die rasch herbeigeholten übrigen Gentlemen an.

Emma ließ das Klavier in Ruhe und drehte sich auf dem Schemel dem Raum zu, schließlich wollte sie ja auch sehen, wie sich alle freuten. Evelina lächelte freundlich, aber ein wenig gezwungen, was Emma erstaunte – sie wollte Lord Arthur doch heiraten? Jetzt hatte er sich endlich zu seinem Antrag aufgerafft und sie war nicht glücklich? Sehr eigenartig…

Emma ließ ihren Blick weiter wandern. Die Griswolds gratulierten herzlich, das war nun keine Überraschung. Lord Penford fehlte; sie wandte sich Lance zu und fragte ihn leise. Er grinste: „Der schläft selig im Speisezimmer.“

„Genügend gegessen hat er dafür bestimmt“, tuschelte sie zurück.

Aber der Patensohn war im Salon und betrachtete ganz selbstvergessen Evelina, die artig eine Hand auf Lord Arthurs Arm gelegt hatte und immer noch lächelte; aber dieses Lächeln erreichte ihre großen blauen Augen nicht. Eigenartig.

Die Berwoods gratulierten ebenfalls freundlich und Mama strahlte. Sah sie nicht, wie gezwungen Evelina lächelte? Störte sie das nicht?

Die Eltern hatten sich für die reizende Evelina natürlich eine gute Partie gewünscht; Emma war nur froh, dass die Pläne für sie selbst nicht so hochfliegend waren, sie war ja auch nicht ganz so entzückend, auch wenn sie keine Erde unter den Fingernägeln hatte.

Nach Evelina sollte außerdem erst einmal Edmund heiraten, schließlich musste er ja für die Erbfolge sorgen!

Evelina sah mittlerweile den Marquess an, der ihren Blick erwiderte und auf eine seltsame Art lächelte, so, als wollte er sagen Schade. Evelina nickte leicht und wandte sich Lady Berwood zu, die fragte, wann denn die Hochzeit sein sollte.

„Möglichst bald!“, mischte Lord Arthur sich ein. „ich freue mich schon auf unser gemeinsames Leben auf Little Connings. Dort wird es dir gefallen, meine Liebe!“

„Ja, da bin ich sicher“, antwortete Evelina und lächelte Lady Berwood an.

Kapitel III

„Warum warst du gestern nach dem Dinner so seltsam?“, fragte Emma am nächsten Vormittag ihre Schwester, die etwas unruhig durch den Salon strich, die Kaminuhr zurechtrückte, einen Kerzenleuchter zur Seite schob und Sofakissen aufschüttelte.

„Was meinst du nur?“

„Lass die Kissen in Ruhe, das können auch die Hausmädchen machen. Willst du Lord Arthur gar nicht heiraten? Ich meine, das war gestern doch keine so große Überraschung, oder?“

„Nein, ich wusste es doch schon vorher. Nur eben nicht, dass er genau an diesem Abend Papa um meine Hand bittet.“

„Und jetzt ist dir mulmig? Er ist doch ganz nett?“

„Ganz nett, ja… meinst du, das reicht als Basis für eine Ehe?“

„Muss es nicht bei den meisten Ehen genügen?“

„Ich weiß nicht… ich habe mir für mein Leben schon etwas mehr vorgestellt. Lord Arthur braucht eine Frau, sicher – aber brauche ich Lord Arthur?“

„Das sind aber keine guten Vorzeichen für eine Ehe… warst du so verblüfft, als Papa dich in sein Arbeitszimmer gebeten hat? Aber ich dachte, du hast damit eigentlich schon gerechnet?“

„Du bringst mich ganz durcheinander“, klagte Evelina. „Sicher habe ich damit gerechnet, aber jetzt, da es sozusagen festgeschrieben ist, bin ich plötzlich unsicher geworden… eigentlich ist das natürlich albern, Arthur ist ja ein sympathischer Mann…“

„Hat er dich eigentlich geküsst, als du ja gesagt hast?“

„Emma!“

„Ich möchte doch nur wissen, wie so etwas ist!“

Evelina konnte ein herablassendes Lächeln nicht ganz unterdrücken. „Nun ja, es war etwas überraschend, aber nicht unangenehm.“

Das hörte sich ja wenig vielversprechend an – aber hatte Mama nicht schon einmal angedeutet, in der Ehe gebe es für eine Frau Pflichten, die man eben ertragen müsse? Waren alle Ehen so – so – nur voller Pflichten, gar nicht wie in den Romanen voller klopfender Herzen und Seelen im Gleichklang? Sie hatte doch immer gewusst, dass diese Geschichten nur Unfug waren!

Die arme Evelina, sie hatte sich sicher etwas mehr – äh – Leidenschaft gewünscht. Aufregung, Abenteuer, Umarmungen, Küsse, die mehr als nur nicht unangenehm waren…

Eine allzu romantische Auffassung von der Ehe – das würde ihre Mutter jedenfalls behaupten. Ehen dienten anderen Zwecken: guter Versorgung, mehr Glanz oder Schuldenabbau für die beteiligten Familien, Verbindung von Ländereien, Knüpfen von Beziehungen…

Evelina als Tochter eines Barons würde als Lady Arthur Connery eines Tages die Countess of Connings sein, das war eindeutig mehr Glanz. Und viel Mitgift erwartete Lord Arthur wohl auch nicht, also blieb mehr, um Edmund als nächstem Lord Whitehurst auf White Park ein größeres finanzielles Polster zu sichern.

Damit waren dann beide Seiten zufrieden – nur nicht unbedingt die beiden Menschen, die man verbunden hatte und die es nun ein Leben lang miteinander aushalten mussten.

Ketzerische Gedanken, überlegte sie, aber mittlerweile wohl durchaus verbreitet. Romanheldinnen heirateten schließlich nie den Mann, den ihre Eltern ausgesucht hatten.

Stattdessen verliebten sie sich in Abenteurer, Piraten, dämonische Schlossherren oder verkleidete Prinzen: War das wohl besser?

Evelina wäre mit einem Abenteurer vielleicht wirklich besser bedient. Und sie selbst? Nein, ihr wäre das zu anstrengend. Ein freundlicher Mann, ein kleiner Besitz, ein Garten, den man pflegen konnte – das genügte doch wohl? Oder einfach hier bleiben und Edmund die Sorge um den Garten abnehmen… auch eine nette Idee!

„Du sprichst ja gar nicht mehr, kleine Schwester?“

„Ach, ich habe nur nachgedacht. Unser Heiratssystem ist schon etwas merkwürdig, nicht wahr?“

Evelina seufzte. „Wie fandest du diesen Neffen von Lord Penford?“

„Etwas piratenhaft“, antwortete Emma nicht sehr wohlüberlegt, aber ehrlich.

Evelina seufzte wieder.

„Er gefällt dir wohl?“

„Nun ja, er wirkt etwas romantisch. Aber ich werde ihn ohnehin nie wiedersehen, er wohnt doch nicht hier in der Gegend!“

„Ist er nicht ein Herzogssohn? Das ist natürlich schon etwas… oder hat er schon geerbt und wird immer ein Marquess bleiben?“

„Nein, er ist der Sohn von Blair. Der älteste, also wird er eines Tages den Titel wohl erben.“

„Hat er dir das erzählt? Oder hast du in diesem Adelshandbuch nachgeschlagen?“

„Er hat es mir erzählt“, antwortete Evelina ärgerlich. „Warum willst du heute alles gar so genau wissen?“

„Ich möchte eben Bescheid wissen. Hanford gefällt dir, stimmt´s?“

„Na, wenn schon“, blaffte Evelina. „Wahrscheinlich ist er schon wieder unterwegs nach Hause. Und nein, ich habe keine Ahnung, wo dieses Zuhause ist. Das kannst du ja selbst nachschlagen, wenn du präzise informiert sein willst! Blair ist das Herzogtum, möchtest du es dir aufschreiben?“

„Sei nicht so ärgerlich – ich kann doch nichts dafür, dass du voreilig einen Antrag angenommen hast. Du dürftest die Verlobung aber lösen, dein Lord Arthur darf das natürlich nicht – gar nicht gentlemanlike!“

Evelina fauchte und verließ den Salon.

Emma griff nach ihrem neuen Gartenbuch und vertiefte sich in eine reich bebilderte Anleitung, wie man Büsche durch Aufpropfen veredeln konnte. Das sah ja genauso aus wie das Aufpropfen bei Rosen? Sie wollte gerade überlegen, ob weiße und gelbe Rosen zu einem besonders zarten Hellgelb verbunden werden konnten… nein, vermutlich nicht, da musste man noch etwas anderes tun. Ihre weißen Rosen mit dem rosa Herzen waren wohl doch ein Produkt des Zufalls…

Ihre Mutter betrat den Salon, etwas müde, aber zufrieden wirkend.

„Das Dinner gestern war wirklich schön“, lobte Emma also sofort, denn ihre Mutter hörte gerne etwas Anerkennung – wer schließlich nicht? Tatsächlich lächelte ihre Mutter erfreut und setzte sich mit einem wohligen Seufzer. „Es war anstrengend, aber es hat sich doch gelohnt, nicht wahr? Allen hat es geschmeckt, allen hat dein Blumenschmuck gefallen – Lady Berwood und Lady Griswold haben das extra erwähnt! Nun, und als Höhepunkt Evelinas Verlobung mit Lord Arthur! Genau das, worauf wir so gehofft haben!“

„Ja, die Verlobung ist wirklich erfreulich“, antwortete Emma nachdenklich, „aber warum habt ihr gar so sehr darauf gehofft? Evelina ist so hübsch und so beliebt, sie hätte doch auf jeden Fall bald einen  Antrag bekommen?“

„Wer weiß das schon? So viele vornehme Bewerber kann sie hier in der Gegend auch wieder nicht erwarten. Und wir möchten doch, dass sie eine wirklich gute Partie macht, einen Gemahl findet, der mehr ist als ein Baron…“

„Ich weiß nicht, ob das so wichtig ist – wäre ein Mann, der sie wirklich schätzt und liebt, nicht viel besser, auch wenn er vielleicht nur ein Baronet ist?“

„Das wäre ein Abstieg! Dein Vater ist ein Baron aus einer alten Familie – nun, und ich stamme immerhin aus einer gräflichen Familie. Die Comtes de Valmarais waren eine der einflussreichsten Familien Frankreichs!“

„Aber das hat deinen Großvater den Kopf gekostet, nicht wahr? Und hierzulande kann man viel Macht und Ansehen auch erwerben, wenn man nicht bei Hofe verkehrt, sondern sein Vermögen klug vermehrt und sich für den Fortschritt des Landes einsetzt.“

„Das kann man auch tun, wenn man einen hohen Titel hat!“

„Das bestreite ich ja gar nicht“, murmelte Emma resigniert. Immer das Gleiche…

Sie konnte nur hoffen, dass sich nie ein hochrangiger Mann um ihre Hand bewarb, Mama in ihrer Begeisterung für hohe Titel würde sie zwingen, diesen Antrag zu akzeptieren! Aber in einem hatte Mama natürlich recht – die Gegend um White Park herum war nicht gerade reich gesegnet mit guten Partien. Mit etwas Glück konnte sie drei, vier Jahre durchhalten, dann wäre sie zwei- oder dreiundzwanzig und für den Heiratsmarkt nicht mehr interessant. Warum eigentlich?

Aber das spielte jetzt keine Rolle, die Hauptsache war doch, dass sie hier bleiben konnte. Edmund hätte gewiss nichts dagegen!

Kapitel IV

Die folgenden Wochen vergingen in einer merkwürdig bedrückten Stimmung, die gar nicht zur Vorbereitung einer Hochzeit passen wollte – aber es war ja auch keine gewöhnliche Hochzeit, überlegte Emma, die sich schon einen zauberhaften Blumenschmuck überlegt hatte. Mama fertigte Listen von Hausrat und Wäsche an, die dann überall herumlagen, bestellte Laken, Handtücher und Nachtwäsche in der nächsten Stadt und plante mit Evelina den Besuch bei der Modistin Mrs. LaValle, die angeblich aus Frankreich stammte und folglich die Geheimnisse der Eleganz von Geburt an erfahren hatte. Emma hatte sich über den recht wenig französischen Akzent von Madame gewundert und einmal probeweise mit ihr französisch gesprochen, was sich als Fiasko entpuppt hatte. Mama hatte danach ihren mangelnden Takt getadelt…

Nur gut, dass sie dorthin nicht mitfahren musste, sie hatte noch ein sehr hübsches, kaum getragenes blassblaues Kleid mit silbernen Stickereien und einem sehr schmeichelnden, aber dezenten Ausschnitt. Und einen  passen den Hut dazu, war das nicht ideal für ihre Rolle als jüngere Schwester der Braut? Auf sie achtete ja hoffentlich ohnehin niemand besonders.

Evelinas Kleid sollte weißgolden werden; passend zu den Stickereien könnte man vielleicht hellgelbe Rosen – sie wusste da eine wundervoll gefüllte Sorte, die in der Nähe der Jasminsträucher wuchs. Schade, dass die noch nicht in voller Blüte standen, der Duft hätte doch wunderbar gepasst? Dazu ein, zwei lange grüne Ranken und einige Zweige mit kleinen weißen Blüten, sie wusste schon, was ihr vorschwebte. Und natürlich Myrte, wie es einer Braut zukam. Evelina würde das bestimmt gefallen, wenn es erst einmal soweit war…

Vielleicht sollte sie erst einmal kontrollieren, ob alles wirklich so blühte, wie sie es sich vorgestellt hatte – sie war heute noch gar nicht im Park gewesen!

Draußen schien eine frühsommerliche Sonne, allerdings durch zahlreiche Wölkchen immer wieder verdeckt, so dass sie um ihren Schal doch recht froh war.

Der Jasmin zeigte immerhin schon Knospen und die frühen Rosen standen in voller Blüte. Von den hellgelben war leider noch nicht viel zu sehen, nur einige Knospen. Hoffentlich heiratete Evelina nicht, bevor diese Rosen aufblühten!

In dem Körbchen, das sie immer bei sich trug, wenn sie in den Park ging, befand sich auch eine scharfe Rosenschere, nach der sie nun griff, um von kaltrosa Rosen einige halberblühte abzuschneiden und einige Ranken mit weißen Blüten hinzuzufügen. Das sah auch sehr hübsch aus, wenn man sie sorgfältig arrangierte. Auch eine Möglichkeit für den Brautstrauß?

In beträchtlicher Entfernung schnitt einer der Gärtner den Rasen, weiter rechts war ein anderer damit beschäftigt, bei einer Gruppe von blühenden Sträuchern die verwelkten Blüten zu entfernen. Sehr lobenswert! Sie winkte ihm lächelnd zu.

Auf dem weiteren Weg inspizierte sie Blüten und Blätter verschiedener Sträucher und näherte sich einer Gruppe von Birken, die sich wundervoll von dem tiefblauen Himmel abhoben. Ach, war es hier schön! So schön konnte es anderswo unmöglich sein…

Zwischen den Rhododendren linkerhand begann es zu rascheln und Emma entdeckte zu ihrem Erstaunen Evelina, die sich vorsichtig einen Weg zwischen den Büschen bahnte und erschrocken innehielt, als sie ihre Schwester entdeckte. „Was machst du denn hier?“, fragte sie mürrisch.

„Das gleiche wie jeden Tag“, antwortete Emma und hob zur Erklärung die Hand, in der sie den Korb mit den Rosen und den Blütenzweigen. „Und woher kommst du jetzt?“

„Von einem Spaziergang. Du bist nicht die Einzige, die gerne durch den Park flaniert!“

„Schön, dass du die Freuden der Natur entdeckt hast. Das Wetter ist ja auch herrlich, nicht wahr?“

„Ich gehe ins Haus. Kommst du mit?“

„Das sollte ich wohl, die Rosen müssen ins Wasser. Und etwas Tee können wir wohl auch vertragen?“

Einträchtig spazierten sie durch den Park zurück und ließen sich im Salon nieder, nachdem Emma die Blumen zu ihrer Zufriedenheit arrangiert und an der idealen Stelle platziert hatte.

„Sieht hübsch aus“, lobte Evelina ohne große Begeisterung.

„Fühlst du dich nicht wohl? Du wirkst so niedergeschlagen.“

„Ach - !“ Mehr sagte Evelina nicht, aber den Tee, den ein Hausmädchen brachte, trank sie durstig.

„Du musst ja einen regelrechten Gewaltmarsch unternommen haben“, spöttelte Emma, aber sie erhielt keine Antwort, also verließ sie ärgerlich den Salon und zog sich in ihr Zimmer zurück.