Besuch aus London - Catherine St.John - E-Book

Besuch aus London E-Book

Catherine St.John

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Beschreibung

Das Landleben im idyllischen Buckinghamshire, in der Nähe von Aylesbury und Long Marsden, ist für die Familien des Landadels recht beschaulich – bis Miss Barrett von ihrer Londoner Saison zurückkehrt und eine Bekannte mitbringt, Virginia Lacey, ein reizendes Geschöpf mit großen grünen Augen, goldenen Locken und lebhaftem Interesse an den vorhandenen jungen Herren. Daisy Barrett, ihre Freundin Rose Tillmouth, ihre jüngeren Schwestern und zunehmend auch die Brüder sind zunächst durchaus von der Besucherin und ihrem Bruder angetan, aber das ändert sich schnell, denn Miss Lacey entpuppt sich als anspruchsvoll, anstrengend und auf eine merkwürdige Weise prüde; Mr. Lacey wirkt sehr interessiert am Kartenspiel und schätzt seine Schwester offenbar gar nicht. Daisy und Rose rätseln, was diese Besucher eigentlich vorhaben - eigentlich gefällt es ihnen auf dem Land gar nicht -, und müssen ihre ländliche Idylle (und ihre guten Freunde) zunehmend gegen die Londoner verteidigen, vor allem gegen die heiratswütige Miss Lacey…

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Besuch aus London. Historischer Roman

Catherine St.John

Kapitel 1

„Ich finde, es sollte endlich wieder einmal im Blue Bear ein Tanzvergnügen geben“, stellte Tamsin fest und warf sich recht burschikos auf das hellgrüne Sofa im grünen Salon.

Ihre Schwester Rose, die auf dem dunkelgrünen Sofa gegenüber saß und ihre Aufmerksamkeit zwischen ihrem Stickrahmen und den Gesellschaftsnachrichten in der Morning Post teilte, seufzte zustimmend. „Das wäre nett, da hast du recht.“

„In Aylesbury müsste es doch auch Veranstaltungen geben, oder? Steht davon nichts in der Zeitung?“

„Nicht in der Morning Post. Wo ist denn unser lokales Blättchen hingeraten?“

Tamsin zog es unter einem Sofakissen hervor und reichte es ihrer Schwester, die grinste. „Du hast doch auch lesen gelernt? Sieh selbst nach!“

Tamsin streckte ihrer Schwester kurz die Zunge heraus und begann zu blättern, soweit dies bei der Bierton Gazette überhaupt notwendig war. „Nächsten Samstag, tatsächlich. Was wirst du tragen?“

„Nichts Grünes, auf jeden Fall!“ Rose sah sich beziehungsreich im Salon um, der wirklich sehr grün ausgeschmückt war. „Vielleicht das blaue mit dem silbernen Band um die Taille.“

„Hast du das nicht schon letztes Mal getragen?“

„Tammy, wir sind hier doch nicht in London! Niemand hat hier einen Schrank voller Ballkleider. Ich habe das blaue und das weiße mit den grünen Bändern, das ich nicht mag, und du hast das rosa und das weiße mit der lavendelblauen Stickerei – fertig.“

„Mein Weißes mag ich auch nicht. Wollen wir tauschen? Ich finde dein grün verziertes Kleid eigentlich ganz hübsch.“

„Das ist eine gute Idee, weil du ja auch grüne Augen hast. Lass uns später probieren, ob die Kleider richtig passen.“

Tamsin nickte, zog ihr Stickzeug unter einem weiteren Sofakissen hervor, betrachtete es unlustig und stopfte es wieder zurück.

„Ich hasse Sticken“, murmelte sie dann. „Daisy ist übrigens wieder zu Hause, hat Primmie erzählt.“

„Oh, gut!“ Rose zog die Nadel durch den feinen Batist. „Und wie hat es ihr in London gefallen? Hatte sie viel zu erzählen?“

„Ich habe nur kurz mit Primmie gesprochen, sie hat gesagt, dass Daisy unbedingt zur Schneiderin wollte. Sie hat viele Leute in London kennengelernt, sagt sie.“

„Mhm. Wieso braucht sie nach London neue Kleider?“

„Das weiß ich auch nicht. Ihre Londoner Roben sind vielleicht für unsere bescheidenen Vergnügungen zu elegant?“

„Möglich. Aber wir würden sie doch ausgiebig bewundern – und das müsste Daisy doch gut gefallen?“

„Magst du Daisy nicht mehr?“

„Doch, natürlich, sie ist doch meine beste Freundin, aber du kannst nicht leugnen, dass sie ein wenig eitel ist. Aber das wären wir wahrscheinlich auch, wenn wir in London eine Saison mitgemacht hätten… Und jetzt wird sie vielleicht unter uns armen Bauerntrampeln die weltgewandte Aristokratin spielen, die London wie den Inhalt ihres Retiküls kennt.“

Tamsin kicherte. „Da könntest du allerdings Recht haben. Ich bin gespannt, was sie am Samstag erzählt und wie erhaben sie über uns Landvolk ist. Notfalls machen wir uns eben über sie lustig. Und du kannst ihr doch bestimmt Contra geben? Schließlich warst du doch auch einmal in London!“

Rose schnitt sorgfältig einen Faden ab und wählte einen neuen aus. „Das ist richtig, aber nicht ganz so beeindruckend, wie es klingt. Vor zwei Jahren durfte ich meine Patentante, Lady Bellington, besuchen, als sie ihren Fünfzigsten feierte. Leider war da aber gerade keine Saison, also weiß ich nicht, wie es auf den vornehmen Bällen zugeht. Und Papa und ich waren auch gerade einmal drei Tage dort. Immerhin hat er mich einmal ins Theater ausgeführt.“

„Das war alles?“

Rose lachte. „Ja, das war alles. Na und?“

„Wie war London?“

„Groß, düster, schmutzig und übelriechend. Sogar im feinen Mayfair hat es unangenehm gerochen, wie muss es da erst in den ärmeren Vierteln sein? Prunkvolle Häuser gibt es, aber so viel schöner als die Besitzungen des hiesigen Landadels sind sie auch wieder nicht.“

„So wie unseres?“

„Ja, zum Beispiel. Unseres ist sogar schöner, finde ich. Tille House ist außerdem seit Jahrhunderten in der Familie, das gilt sicher nicht für jedes Stadtpalais.“

„Das ist ja sicher sehr erfreulich, aber ich wüsste nicht, dass sich vor unserer Tür die Verehrer drängen, weil unser Haus schon so altehrwürdig ist.“

Rose gluckste – Tamsin hatte für ihre jungen Jahre eine köstlich spitze Zunge!

„Hier sagen sich eben doch Fuchs und Hase gute Nacht… da bleibt uns leider  nur, auf das nächste Tanzvergnügen zu hoffen, nicht wahr?“

„Die Männer kennen wir doch auch schon alle! Peter, Freddy, Gus, David, Charlie, Philip, Bill – das sind nur Nachbarsjungen, mit denen wir früher gespielt haben! So einen kann man doch nicht heiraten…“

„Aber Tammy!“, mahnte ihre Mutter im Eintreten, „so schwach im Kopfrechnen? Bis auf Philip und Bill waren sie alle längst in der Schule, als du geboren wurdest, mit ihnen hast du nie gespielt. Nicht einmal Rosie kann das von sich behaupten!“

„Das war doch nicht so wörtlich gemeint, Mama!“

Lady Tillmouth setzte sich auf das dritte, mittelgrüne Sofa und lächelte ihre Töchter an, obwohl Tamsins Klagelied durchaus ihre Sympathie gefunden hatte. Tamsin selbst hatte ja noch etwas Zeit, aber Rosie sollte allmählich wirklich einen Heiratskandidaten finden – nur: woher nehmen?

Sollte man sie doch für die nächste Saison nach London schicken? Aber dann wäre sie einundzwanzig und damit deutlich älter als die übrigen Debütantinnen – und Rosie hatte sich auch nicht gerade begeistert über London geäußert!

Tamsin bat sie um Erlaubnis, dass die Schwestern ihre weißen Ballkleider tauschen dürften und sie stimmte gedankenverloren zu. Der nächste eher ländliche Ball am kommenden Samstag versammelte zwar bestimmt die ganze Jugend aus den umliegenden Besitzungen in dem Saal über der Wirtsstube des Blue Bear, aber woher sollte jemand Neues kommen?

Nachbarssöhne und die eigenen Brüder – mehr war doch nun wirklich nicht zu erwarten!

Kapitel 2

Bis zum Samstag geschah in der Umgebung von Long Marston auch wirklich nichts Aufregendes – alles Interessante musste man der Zeitung entnehmen und es war weit weg in London geschehen. Rose wenigstens gab es auf, nach Sensationen zu gieren und vertiefte sich lieber in ihren neuen Roman, während Tamsin ihr sozusagen neues weißes Ballkleid mit einigen Stichen zu perfektem Sitz brachte. Rose dagegen hatte Tamsins weiß-lavendelblaue Robe kurz anprobiert und festgestellt, dass sie durchaus passte – zu weiteren Feinheiten hatte sie keine Lust.

Wozu auch, überlegte sie, an ihrem Toilettentisch sitzend und verschiedene Halsketten probeweise an ihr bescheidenes Decolleté haltend. Zu weiß und lavendel: die Perlen, beschloss sie endlich. Natürlich war es eigentlich belanglos, wie sie im Blue Bear erscheinen würde, denn interessante Männer gab es ja doch nicht – aber sollten die Damen, von den Müttern bis hinunter zu der in London erfahrenen Daisy und ihrer kleinen Schwester Primrose an ihrem guten Geschmack zweifeln?

Charles, der Erbe Dranburys, war seit kurzem verlobt, mit einer Lady Jane Innings, Tochter des Earl of Ingleham, die stets sehr gut gekleidet ging, ohne protzig aufzutreten. Dieser jungen Dame wollte sie sich auf jeden Fall ebenbürtig erweisen, auch wenn sie heute Abend nicht anwesend sein würde. Hatte sie nicht irgendwo noch einen Fächer in einem passenden Lavendelton? Einiges Kramen in ihren Schubladen förderte ihn tatsächlich zutage und obendrein tauchte noch ein passendes weißes Retikül auf.

Die Drantons, die Tillmouth´ und die Barretts stellten sozusagen die Spitze der Gesellschaft in der Gegend um Long Marston dar. Ansonsten gab es eigentlich nur noch den etwas dandyhaften Lord Ishercombe, dessen Landsitz einige Meilen von Tille House entfernt lag, und einige junge Männer aus dem angeseheneren Bürgertum.

Rose rümpfte bei dem Gedanken unwillkürlich die Nase: Spitze der Gesellschaft - da hatten sie aber auch etwas Rechtes! Zwar lebten sie alle in recht angenehmen Verhältnissen und hatten durchaus gute Verbindungen, aber das änderte eben nichts daran, dass hier überhaupt nichts los war. Warum war denn eigentlich niemand – abgesehen von Daisy Barrett – zur Saison nach London geschickt worden?

Ach, naja, es gab natürlich schon Gründe: Man musste entweder ein Haus für die Saison mieten – keine der Familien besaß ein eigenes Stadthaus, wozu auch? – oder gefällige Verwandte mit guten Verbindungen besitzen. Und meistens gab es die beiden Eigenschaften nicht in einer Person…

Rose dachte an ihre Patentante, die so nett und gastfreundlich war, die auch im fashionablen Mayfair wohnte, die aber den Strapazen einer Saison nie und nimmer gewachsen wäre.

Daisy und Primrose hatten da schon mehr Glück – die Schwester ihres Vaters liebte den Trubel einer Saison und konnte auch sicher sein, überall eingeladen zu werden. Aber auch Charlotte Dranton hatte als einzige Tochter des Earls of Dranbury keine Saison gehabt; sie konnte von Glück sagen, dass Viscount Bede auf dem Weg nach Norden zur Jagd hier vorbeigekommen war und in Charles Dranton einen Schulfreund wiederentdeckt hatte! Und jetzt hatte sie schon drei kleine Kinder…

Kinder – wünschte sie selbst sich Kinder? Rose überlegte ohne großartiges Ergebnis, während sie ein wenig Rouge auftrug, ihre Wangen dann kritisch begutachtete und das Rouge wieder entfernte, weil es doch allzu künstlich wirkte. In die Wangen zu kneifen musste reichen!

Wo war das Döschen mit der parfümierten Creme? Ein Hauch von Veilchenduft konnte nicht schaden, auch wenn Lavendelduft besser zum Kleid gepasst hätte. Aber Lavendel förderte das Einschlafen – und das war nicht die Wirkung, die auf einem Ball - und sei er noch so provinziell - sinnvoll schien.

Sie war fertig, von den ordentlich aufgesteckten dunkelbraunen Haaren über Perlen und weißblaues Gewand bis zu den blassblauen Seidenslippern. Welches Glück, dass es nicht regnete!

In der Halle stand schon Tamsin, zappelnd vor Aufregung und mit funkelnden grünen Augen. Sie hätten die Kleider wirklich schon viel früher tauschen sollen!

„Warum bist du so aufgeregt?“, fragte Rose ihre kleine Schwester. „Glaubst du, heute beehren unbekannte Märchenprinzen unseren Ball?“

„Ach, Unsinn, aber ich freue mich auf Daisy, sie weiß sicher viel zu erzählen! London – die Bälle – die vornehmen Leute…“

Vornehm sind wir auch, dachte Rose nicht ohne leisen Ärger, und in unserer kleinen Welt vielleicht nicht so eingebildet und nutzlos wie manche Londoner Dandys!

Andererseits wäre wenigstens ein unbekannter Mann tatsächlich eine Abwechslung… immer die gleichen Gesichter auf diesen Tanzabenden, das wurde nachgerade tatsächlich etwas langweilig – man hatte sich schon über alles unterhalten und hier geschah ja auch nie etwas Neues!

Ach, woher sollte ein unbekannter Mann herkommen? Er müsste schon direkt vor einem der großen Häuser so vom Pferd stürzen, dass er aufgesammelt und gepflegt werden musste – und dann wäre ein Tanzabend gewiss sein letzter Wunsch…

„Warum lächelst du?“, fragte Tamsin und Rose winkte ab. „Nichts Wichtiges. Ich freue mich doch auch auf Daisys Erzählungen! Schau, da kommt Mama! Dann können wir ja fahren…“

Ihre Brüder pflegten die kurze Strecke zum Blue Bear zu reiten – ohne Sporen, um nicht später die Röcke der Damen zu zerreißen. Gavin schien die bescheidene Auswahl an Damen auch wenig verlockend zu finden, jedenfalls hatte er bei fast jedem Tanzvergnügen eine Ausrede vorzubringen, meistens behauptete er, er müsse  dem Vater bei der Gutsverwaltung helfen, die Bücher prüfen, Briefe schreiben, die Ställe revidieren. Und das konnte natürlich nur am Samstagabend geschehen!

Andererseits war es den Eltern wohl lieber, Gavin arbeitete sich in die Verwaltung des Besitzes ein, als dass er mit mürrischer Miene und trotzig verschränkten Armen am Rande der Tanzfläche stand und keine einzige Dame aufforderte.

Edward, Ned gerufen,  fand die Blue-Bear-Veranstaltungen immerhin besser als gar nichts und nahm regelmäßig daran teil. Rose konnte ihm da nur zustimmen, denn das Nächstaufregende war wohl der sonntägliche Kirchgang in St. George. Immerhin, eine echte Herausforderung war dort, während der Predigt wachzubleiben!

Tamsin nahm sich manchmal ja einen Roman mit und zog ihn während der Predigt aus ihrem Retikül. Die fromm-versunkene Miene während des Lesens hatte sie mittlerweile so perfektioniert, dass sie bei allen Kirchgängern als besonders brav und wahrhaft christlich galt. Rose war leider etwas zu ängstlich für so etwas, aber sie hatte mittlerweile gelernt, mit offenen Augen zu dösen. Ihrem Vater dagegen sank schon manchmal der Kopf auf die Brust…

Schnell kamen sie am Blue Bear an, stiegen aus und kletterten unmittelbar nach der Tür unter dem verwitterten Schild mit einem recht unwahrscheinlich aussehenden blauen Bären die steile Treppe hinauf in den – nun ja – Ballsaal. Er war schon recht gut gefüllt – aber mehr als zwei Reihen Stühle auf jeder Seite und dazwischen einen geräumigen Tanzboden wies er nicht auf, wenn man von einer Nische für ein recht bescheidenes Orchester (Piano, Violine, Flöte) absah.

In London waren die Ballsäle sicherlich prächtiger, dachte Rose. Daisy hätte da gewiss einiges zu erzählen …

Sie eilte auf Lady Barrett und Primrose zu, die trotz ihrer erst fünfzehn Jahre an diesen – ohnehin eher informellen – Bällen teilnehmen durfte, und unterhielt sich eine Zeitlang mit ihnen.

„Und Daisy ist noch zu müde von ihrem London-Aufenthalt? Oder kann ich sie gerade nur nicht sehen?“

„Sie und ihre affige neue Freundin waren noch nicht fertig. Aber der Bruder von der Freundin bringt sie gleich her“, erklärte Primrose mürrisch.

„Aber Kind, formuliere das doch etwas gastfreundlicher!“, mahnte ihre Mutter.

„Ach, Mama, sie ist doch affig! Wie sie schon immer ihre Locken um den Finger dreht!“

Lady Barrett kräuselte einen Mundwinkel, sagte aber nur: „In London herrschen eben andere Sitten.“

Rose zwinkerte Primrose zu, die unmittelbar darauf Tamsin quiekend um den Hals fiel, und plauderte dann ein wenig mit Lady Barrett, die aber leider nichts mehr über die Londoner Besucher erzählte, sondern berichtete, dass Gus, ihr Jüngster, sich jetzt sehr schön in die Verwaltung seines kleinen Gutes einarbeitete und daneben nach einer Pfarrstelle in der Gegend Ausschau hielt.

Rose lobte den braven Sohn und überlegte kurz, ob Lady Barrett sie etwa für die ideale Pfarrersfrau hielt… nicht mit dem Langweiler Augustus! Sie hätte gerne nach Daisy und dem Besuch aus London gefragt, aber vulgäre Neugierde zur Schau tragen wollte sie natürlich auch nicht.

Weiteres Gequieke befreite sie aus der peinlichen Stille zwischen Lady Barrett und ihr, denn nun war Daisy eingetroffen, umarmte und küsste Tamsin und Rose und begann zu erzählen, wurde aber von ihrer Mutter mit sanftem Tadel ermahnt: „Meine Liebe, solltest du nicht erst deinen Besuch vorstellen?“

Daisy zog die Brauen hoch und nickte etwas steif. „Miss Tillmouth und Miss Tamsin Tillmouth – Miss Lacey und Mr. Lacey aus London. Ihr Vater ist Sir Bernard Lacey.”

Miss Lacey neigte anmutig den Kopf und gönnte Rose und Tamsin ein kleines Lächeln, ihr Bruder verbeugte sich höflich und murmelte etwas Verbindliches.

Rose äußerte den Wunsch, es möge den beiden in der Gegend von Long Marston gut gefallen. Mr. Lacey bedankte sich, seine Schwester neigt das reizende Köpfchen etwas zur Seite. „Und Ihr Vater, Miss Tillmouth, ist -?“

„Sir Andrew Tillmouth auf Tille House, hier ganz in der Nähe. Aus welcher Gegend stammen Sie?”

„Aus London? Das hatte Daisy doch gerade gesagt?“

„Miss Tillmouth meint, wo unser Landsitz liegt“, erläuterte Mr. Lacey. „Sei nicht so patzig, Ginny.“

„Nenn mich nicht Ginny, ich bin nicht mehr drei Jahre alt!“

Rose lächelte. Jetzt sagte er bestimmt Dann benimm dich auch nicht so! Das kannte sie – und Tamsin noch besser – von Gavin.

„Dann benimm dich auch nicht so – Virginia!“

„Und warum lächeln Sie jetzt?“ Virginia schien noch nicht wirklich versöhnt.

„Ach, ich dachte nur gerade an meinen ältesten Bruder – diesen Satz haben meine Schwester und ich auch des Öfteren zu hören bekommen.“

„Ihr ältester Bruder? Ist er auch hier irgendwo?“

„Nein, er ist leider verhindert. Der Zweitälteste, Edward, ist da. Er steht dort hinten mit Charlie und David, den Söhnen Dranburys.“ Virginia drehte sich in die angegebene Richtung und begann zu lächeln, dann nickte sie Rose zu und entfernte sich in Richtung der drei Herren. Ihr Bruder verdrehte kurz die Augen und folgte ihr dann.

Daisy sah den beiden etwas perplex nach. „Was will sie jetzt bei den Männern?“, fragte sie dann ihre Mutter, die prompt so tat, als hätte sie auch keine Ahnung.

Rose sah sich um und entdeckte immerhin Peter Barrett, der mit einem Weinglas in der Hand dastand und sich sichtlich langweilte. Also beschloss sie, ihm Gesellschaft zu leisten, ließ sich ein Glas Mandelmilch geben (die sie in Wahrheit nicht mochte, aber für Damen gab es hier nichts anderes) und stellte sich neben ihn. „Überlegst du gerade, was du Schönes machen könntest, wenn du dich nicht hättest überreden lassen, hierher mitzukommen?“

„Wie bitte? Ach, Rosie, du bist es. Du hast ja recht – und ich muss es nicht einmal meinen Schwestern zuliebe machen, schließlich sind wir doch ohnehin viel mehr Herren als Damen. Sogar die Zeitung von letzter Woche wäre mir jetzt lieber…“

Rose seufzte mitfühlend. „Na, vielleicht ist die Musik heute einigermaßen ordentlich und die Tänze machen wenigstens etwas Spaß…“

Die drei Musikanten stimmten misstönend ihre Instrumente und legten dann mit einem Reigentanz los. Peter seufzte schicksalsergeben. „Na komm, Rosie, bringen wir es hinter uns…“

Sie musste lachen. „Wenn du einmal auf einen richtigen Ball gehst, forderst du die jungen Damen doch hoffentlich etwas enthusiastischer auf? Mir macht das ja nichts aus…“

Sie tanzten den Reigen, dann noch einen (mit der gleichen Melodie obendrein) und schließlich einen Galopp, bei dem sich die überfüllte Tanzfläche zügig leerte. Hinterher sahen Peter und Rosie sich lachend und heftig atmend an. „Puh!“, machte Peter schließlich.

„Ja, es reicht vorläufig wieder einmal. Danke dir, Peter.“

Zuschauen war auch recht nett, stellte sie fest, auch wenn es nichts zu trinken gab, wenn man keine Mandelmilch mochte. Konnten die nicht mal Limonade anbieten?

Jetzt gab es eine Quadrille, bei der die Flöte aber etwas unmotivierte hohe Töne ausstieß, die glücklicherweise von der Violine zumeist übertönt wurden. Tamsin tanzte – mit wem? Das war schwer zu eruieren… besser zu sehen waren die goldblonden Ringellöckchen des Gastes aus London. Hübsch war diese Virginia Lacey wirklich, aber vielleicht noch ein bisschen zu jung, jedenfalls nicht allzu gewandt, was das Gesellschaftliche betraf. An verbindlichem Auftreten sollte sie jedenfalls noch etwas arbeiten… mit wem tanzte sie da? Charlie Dranton – nun, warum nicht, sie sollte sich nur keine Hoffnungen machen, Charlie war doch bereits verlobt! Sein Bruder, David sah den beiden zu – und Edward, Rosies eigener Bruder Ned, starrte genauso auf die Zauberfee aus London. Der dritte, der starrte, war Mr. Lacey: War er als Chaperon für seine Schwester dabei? Ja, wahrscheinlich.

Daisy und Primrose starrten wiederum diese drei Herren an, die nur schauten und nicht tanzten. Peter Barrett hatte sich wahrscheinlich nach draußen verzogen, er hatte einen Hang zu Zigarren, die er in der Gegenwart von Damen natürlich keinesfalls rauchen durfte.

Wenigstens tanzten die jüngeren Drantons, Philip und William – Bill freilich mit noch recht wenig Geschick. Rose sah nicht ohne Erheiterung zu, wie ihre eigene Mutter sich bemühte, Bills Gestolpere auszugleichen.

Beim nächsten Tanz – oh, ein Walzer! – forderte der junge Mann, der beim örtlichen Rechtsanwalt in der Lehre war, Rose auf und sie ließ sich gerne herumwirbeln. Leider war es gar nicht so einfach, zugleich zu verfolgen, ob Tamsin tanzte und ob David, Edward und Mr. Lacey immer noch von Virginia Lacey fasziniert waren. Ihr Tanzpartner – Mr. Morley – erkundigte sich nach ihrem Wohlbefinden und  danach, ob sie vorhabe, die Hauptstadt zu besuchen. Danach wollte er wissen, wer diese blonde Schönheit sei, die er noch nie gesehen habe. Roseinformierte ihn, soweit sie konnte, und war gespannt, ob er als nächstes die entzückende Virginia auffordern würde. Die junge Dame sorgte hier doch zumindest für Abwechslung, dafür konnte man ihr eigentlich dankbar sein…

Sie kehrte nach dem Walzer zu ihrer Familie zurück, traf aber zunächst nur ihre Mutter an, deren Blick nachdenklich auf dem Londoner Gast ruhte. „Ein hübsches Kind, nicht wahr?“

„Genau der Mode entsprechend“, stimmte Rose zu, die das atemberaubend schöne Kleid betrachtete – ganz blasses Rosé, mit Bändern in kräftigerem Rosa und in Lindgrün verziert, so dass sich auch Virginias Augenfarbe in dem Kleid spiegelte. Und dieses Decolleté! Das Kleid war tief, aber nicht zu tief ausgeschnitten und Miss Lacey füllte diesen Ausschnitt aufs Perfekteste aus, obwohl sie sonst sehr grazil wirkte. Da konnte jemand wie Rose (oder auch Tamsin), die von der Natur weniger reichlich bedacht worden waren, nur neidisch werden.

Im Moment tanzte Virginia leichtfüßig mit Philip Dranton einen Kontertanz; das andere Paar im Karrée bestand aus David Dranton und Lady Barrett. Sowohl Philip als auch David beäugten, wenn sie die Gelegenheit hatten, sehr interessiert das Decolleté der schönen Londonerin. Rose fand das eher unangebracht und war eigentlich recht froh, dass ihr Kleid zum einen deutlich schicklicher ausgeschnitten und zum anderen weniger prall gefüllt war – ihr gaffte keiner in den Ausschnitt.

Männer waren schon seltsam…

Und Mr. Lacey lehnte neben dem Tisch mit den (bescheidenen) Erfrischungen und war wohl über die ländliche Unterhaltung erhaben? Sie fing seinen müden Blick auf und hob die Augenbrauen.

Er nickte leicht und begann sich einen Weg durch die Gäste zu bahnen, bis er vor ihr stand und ihr den Arm bot. „Darf ich Sie zum nächsten Tanz führen?“

Rose lachte. „So war mein Mienenspiel gar nicht gemeint! Ich dachte nur, dass Sie sich zu langweilen schienen. Aber ich tanze natürlich gerne mit ihnen, Mr. Lacey.“

„Das ist reizend, Miss Tillmouth. Und welches Glück, sie stimmen gerade einen Walzer an!“

Das gefiel Rose auch sehr gut, obwohl man sich ja bei einem so schwungvollen Tanz auf Rhythmus und Schritte anstatt auf die übrigen Gäste konzentrieren musste .

Mr. Lacey tanzte sehr gewandt und plauderte über die üblichen Nichtigkeiten, soweit der Tanz dazu Gelegenheit bot – das Wetter, die reizende Landschaft, die neueste Literatur… Rose antwortete höflich und nicht origineller, als solche Konversationen es erforderten.

Generell, fand sie, musste man Tamsin wohl recht geben – das Leben in der Umgebung von Long Marston war langweilig. Man traf stets nur die gleichen – zumeist wenig interessanten - Menschen, die auch nichts Neues zu erzählen hatten. Sicher, Tamsin, Daisy und die kleine Primrose waren nett, aber mehr als Gespräche über neue oder geschickt geänderte Kleider, gelegentlich einen neuen Roman oder mäßig aufregende Veranstaltungen wie die Tanzvergnügen im Blue Bear oder im Sommer einmal ein Picknick auf einer idyllischen Waldwiese hatten sich doch eigentlich kaum ergeben? Immerhin stand Daisy ihr im Alter am nächsten…

Die jungen Männer gingen hauptsächlich auf die Jagd, soweit das hier möglich war, arbeiteten sich in die Verwaltung ihres Erbes ein, studierten Theologie oder waren in der Ausbildung bei einem Rechtsanwalt, wenn sie sich als jüngere Söhne nicht einfach der Armee anschlossen. In den momentan friedlichen Zeiten war dort aber auch nicht gerade viel geboten…

Rose kam zu dem Schluss, dass der interessanteste Aspekt ihres Alltags wohl darin bestand, ihrer Mutter bei der Führung des Hauswesens zur Hand zu gehen. Marmelade einzukochen, Gewürze auszuprobieren, kleine Kniffe von der Köchin zu lernen, den Gemüsegarten zu pflegen – so etwas machte ihr auch Vergnügen. Davon abgesehen verlief aber nahezu jeder Tag wie der andere…

Gegen elf endete der Tanzabend, wie üblich. Rose warf schnell einen Blick auf Daisy und Virginia, die doch wohl an Londoner Zeiten gewöhnt sein mussten – rümpften sie etwa die Nase über diese ländlichen Gepflogenheiten?

Nein, diese Virginia verabschiedete sich ausgesprochen charmant, allerdings vor allem bei sämtlichen anwesenden Herren; ihr Bruder beobachtete das mit leicht gereizter Miene. Daisy dagegen  äußerte hörbar ihren Unmut: „In London wäre ein Ball jetzt noch kaum auf dem Höhepunkt! Das ist doch wirklich provinziell!“

„Daisy, hüte deine Zunge!“, fuhr ihr Bruder Peter sie mit unterdrückter Stimme an und Daisy verstummte schmollend; Virginia legte ihr begütigend eine schmale Hand auf den Arm und flüsterte etwas.

Leider konnte man nicht verstehen, was sie sagte, bedauerte Rose. Jedenfalls nickte Daisy, noch etwas mürrisch, und lächelte Verzeihung heischend in die Runde. Sehr überzeugend war das nicht, aber die allenthalben gerunzelten Stirnen glätteten sich wieder.

Virginias schmelzendes Lächeln tat sein Übriges; außerdem bedankte sie sich mit wohlgesetzten Worten für den reizenden Abend und dafür, dass sie so freundlich aufgenommen worden sei.

Eigentlich sehr nett und wohlerzogen, fand Rose – und warum runzelte jetzt Mr. Lacey die Stirn? Er konnte doch an seiner Schwester nichts auszusetzen haben?

Und jetzt zog er Virginias Arm durch seine Ellbogenbeuge, verneigte sich lächelnd in die Runde und führte seine Schwester entschlossen nach draußen!

Rose wechselte einen ratlosen Blick mit Tamsin, die ihn genauso ratlos, aber sehr animiert erwiderte und sich dann langsam, aber nachdrücklich durch die Umherstehenden durchschlängelte.

„Warum hat Lacey seine Schwester so energisch abgeführt?“, fragte sie, kaum dass sie neben Rose stand.

„Das frage ich mich auch. Virginia hat sich doch eigentlich ganz korrekt verhalten, lieb und freundlich – Daisy war doch die, die ein klein wenig ungezogen war!“

„Eben. Allerdings fand ich Virginia heute ein wenig allzu freundlich.“

„Ach? Wollen wir zu den tumben Bauern mal nett sein?“

„Nein, so eigentlich nicht. Sie war hauptsächlich zu den jungen Herren besonders freundlich. Und die waren wohl sehr von ihrem kühnen Ausschnitt gefesselt…“

Rose kicherte. „Ja, das ist mir auch aufgefallen. Aber der Ausschnitt ist wohl noch im Rahmen des Schicklichen, nur eben sehr, nun ja, gut ausgefüllt?“

Das ließ Tamsin verlegen kichern.

„Ob diese Laceys ein Gewinn für die Gegend sind?“, überlegte Rose.

„Aber Mädchen, sie bleiben ja sicher nicht allzu lange“, wandte Lady Tillmouth ein. „Auf die Dauer können wir echten Londonern hier doch nicht gerade viel bieten. Es sei denn, der junge Mann müsste zur Erholung eine Zeitlang auf dem Lande bleiben.“

Edward hatte das gehört und grinste Mutter und Schwestern an: „Muss sich hier verstecken, bis die nächste Apanage kommt und er seine Schulden bezahlen kann, meinst du, Mama? In London lässt sich so etwas wohl schlecht vermeiden… das Leben dort ist sehr teuer. Armer Hund. Haben die Laceys von Haus aus ein ordentliches Vermögen? Sonst muss er versuchen, sein süßes Schwesterchen an den Meistbietenden loszuwerden. Die Kleine bemüht sich ja schon nach Kräften.“

„Wie meinst du das?“, erkundigte Rose sich – und gleichzeitig rügte ihre Mutter diese zynische Betrachtung der Situation.

„Diese Miss Virginia scheint auf der Jagd nach einem wohlhabenden Ehemann zu sein“, erklärte Ned seiner Schwester.

„Das ist doch fast immer der Fall? Ich bin sicher, wenn mir irgendein Habenichts einen Antrag machen sollte, wären Papa und Mama auch nicht gerade begeistert.“

„Ja, aber du schätzt nicht alle Männer hier danach ab, ob sie eine gute Partie sind, Rosie!“

„Das könnte auch daran liegen, dass ich das doch ohnehin schon weiß?“, schlug Rose vor, die Neds Abneigung gegen die junge Londonerin nicht so recht teilen mochte. „Und vielleicht sind die Laceys ja auch darauf angewiesen, dass wieder etwas Vermögen in die Familie kommt?“

Tamsin wandte nicht ganz zu Unrecht ein, dass Virginia ein zwar schmales, aber durchaus kostbares Collier getragen hatte und obendrein eine Diamantenagraffe in den weizenblonden Ringellocken. Vollkommen bankrott könne die Familie also nicht sein. Diese Diskussion verkürzte die Heimfahrt beträchtlich, aber die Geschwister konnten sich nicht einigen und mussten also wohl abwarten, wie sich die interessanten Laceys beim nächsten Mal verhalten würden.

Kapitel 3

In den nächsten Tagen machten die Laceys bei den Familien der Nachbarschaft Höflichkeitsbesuche. Rose vermutete, dass dies auch die Barretts etwas entlastete, die sich zumindest zu diesen Zeitpunkten keine Unterhaltung für die Gäste überlegen mussten.

Die Tillmouths standen offenbar nicht ganz oben auf der Liste, aber Tamsin hatte sich mit Daisy getroffen und sie  - wie sie sich schmeichelte, geschickt – ausgehorcht: „Daisy ist immer noch ein wenig übellaunig, weil sie sich dieser Virginia gegenüber so provinziell fühlt.“

„Nun, so geht es ja wohl uns allen, meinst du nicht? Die Gegend hier, so schön sie ist, ist wirklich weit ab vom Schuss. Provinz, das kann wohl niemand bestreiten!“

„Rosie, du hast Recht, aber normalerweise stört uns das doch nicht so sehr, oder?“

„Ich erinnere dich an deine abfälligen Bemerkungen über unser Unterhaltungsangebot vor dem letzten Tanzabend“, spottete Rose.

„Ach, das! Sag nur, du hast dir nicht das Gleiche gedacht? Aber Daisy fühlt sich verantwortlich dafür, dass sich die Laceys hier gut amüsieren. Und immer, wenn sie eine wunderbare Idee hat, sagen entweder ihre Eltern oder ihre Brüder oder alle zusammen nein. Sie wollte zum Beispiel mit ihnen ans Meer fahren.“

„Wie bitte? Das ist aber doch viel zu weit?“

„Du bist auch so eine Spielverderberin, Rose! Wahrscheinlich wirst du langsam alt…“

„Ich bin zwanzig, nicht siebzig. Und ans Meer ist es deutlich weiter als nach London, ich schätze, mindestens hundert Meilen, das schafft man nicht an einem Tag, nicht einmal sechsspännig – wofür im Übrigen die Straßen zu schlecht sein dürften! Was wollte Daisy am Meer denn eigentlich unternehmen? Das Wasser anschauen? Das kann man an jedem Fluss hier in der Gegend doch genauso gut!“

„Was schlägst du also vor?“

„Wieso ich? Bin ich für das Amüsement der Laceys verantwortlich?“ Rose legte einige abgeschnittene Rosen in den Korb, den Tamsin hielt, und inspizierte weitere Blüten.

„Aber du weißt doch alles besser!“

„Der Vorzug des hohen Alters. Hm – ein Ausflug zur Ruine von Hendoin Abbey? Samt der Geistergeschichten darüber? Ned könnte mitfahren, er kann das am besten erzählen.“

Tamsin hüpfte herum. „Eine wunderbare Idee! Er raunt dann immer so verschwörerisch, dass man sich wirklich zu fürchten beginnt! Darf ich das Daisy vorschlagen?“

„Natürlich. Und pass auf, dass die Rosen nicht aus dem Korb fallen!“

Am folgenden Nachmittag kamen tatsächlich Lady Barrett, Daisy und die beiden Laceys zu Besuch und saßen fromm im grünen Salon bei Lady Tillmouth, um höflich Konversation zu machen.

Virginia lächelte liebreizend in die Runde, als sie gefragt wurde, wie es ihr denn in dieser ländlichen Gegend gefalle, und lobte die zauberhafte Natur, die Urwüchsigkeit und die wundervolle Ruhe. Ihr Bruder räusperte sich drohend, aber sie verbreitete sich weiter über die paradiesischen Zustände in der Umgebung von Long Marston.

„Jedenfalls riecht es hier besser als in London“, warf Ned ein, der gerade eben den Salon betreten hatte und von seiner Mutter eine Tasse Tee und ein Küchlein mit drei Nüssen darauf entgegennahm.

„Ach, Ned“, jammerte Tamsin, „ist das das Einzige, was dir dazu einfällt?“

„Na, dass hier vergleichsweise wenig los ist, kann doch wohl keiner bestreiten, Tammy! Aber schön ruhig ist es hier schon…“ Letzteres hatte er etwas spöttisch betont.

„Aber das ist doch gerade das Reizvolle… nach der Hektik in London? Nicht wahr, Daisy, wir waren doch manchmal wirklich erschöpft von all diesen Bällen und Picknicks und Venezianischen Frühstücken?“

„Ich fand es eigentlich recht aufregend“, widersprach Daisy.

„Ach, und jedes Mal musste man sich überlegen, was man am besten trägt, um einen guten Eindruck zu erwecken“, seufzte Miss Lacey, „dabei wäre mir ein einfaches Leben viel lieber!“

Mr. Lacey verdrehte gut sichtbar die Augen und Rose musste ihr Prusten hastig in einen Hustenanfall verwandeln. Die kluge Tamsin klopfte ihr kräftig auf den Rücken, bis Rose das Husten einstellte und sich mit schwacher Stimme bedankte. „Ich muss mich verschluckt haben, bitte verzeihen Sie den Aufruhr!“

Mr. Lacey zwinkerte ihr über seiner Teetasse zu und sie bemühte sich um ein halb steinernes, halb leidendes Gesicht.

„Dann sollten Sie vielleicht einen Landwirt heiraten?“, schlug Roses Mutter vor. Wer sie nicht so gut kannte wie Rose, Ned und Tamsin, überhörte dabei wahrscheinlich den ganz leicht boshaften Unterton.

„Ach ja“, seufzte Virginia, bei dem Gedanken ganz hingerissen, „das wäre natürlich ideal. Immer diese Ruhe, diese erfrischende Luft, diese wundervolle Landschaft…“

„Landwirtschaft macht aber auch viel Arbeit“, wandte ihr Bruder ein.

„Gewiss doch – diese armen Bauern, nicht wahr? Die haben sicher sehr viel zu arbeiten…“

Nur die Bauern? Aber vielleicht sah sie sich schon mit einem Körbchen voller stärkender Lebensmittel zu kranken Pächtern und gerade Mutter gewordenen Pächtersfrauen pilgern und ihre Leiden lindern? Hübsches Bild, dachte Rose, aber vielleicht nicht wirklich realistisch. Diese Virginia war ja ein nettes Mädchen, aber ihr Weltbild schien aus Romanen und Märchenbüchern zu stammen.

Und jetzt sah sie schon wieder so schutzbedürftig drein, weil sie das niedliche Köpfchen zur Seite geneigt hatte - wie ein Vögelchen.

Ned betrachtete sie ganz entrückt, Daisy voller Verehrung, Mr. Lacey wirkte immer noch leicht gereizt; die Mütter begannen sich miteinander zu unterhalten und Tamsin lobte Virginias Kleid, ein zugegebenermaßen sehr hübsches blassgrünes Musselinkleid mit aufgestickten Margeriten, das sich an einem Nachmittag wirklich sehr gut machte. Virginia schmolz dahin und zeigte Tamsin, dass sie ein genau dazu passendes Retikül trug – auch mit einer Margerite verziert.

„Sehr hübsch. Das ist mir noch nie gelungen, ein genau passendes Retikül zu einem Kleid zu finden!“

Virginia lächelte erhaben: „Ich verrate Ihnen meinen kleinen Trick, Tamsin – ich lasse mir bei jedem Kleid gleich ein passendes Beutelchen anfertigen. Man braucht ja nur ein wenig mehr Stoff!“

„Wie viele Kleider haben Sie denn, Virginia?“

Die kicherte verlegen. „Ich muss gestehen, das weiß ich gar nicht so genau. Meine Eltern sind da recht großzügig, wenn ich etwas Neues möchte… man kann doch nicht immer wieder in der gleichen Robe auf Bälle gehen?“

„Die Männer können das doch auch“, warf ihr Bruder ein. „Ich wenigstens komme mit einem Frack für alle Abende sehr gut zurecht.“

„Ja, ich auch“, stimmte Ned zu, „aber wir müssen uns ja auch nicht unbedingt hübsch machen, um einer zukünftigen Gemahlin zu gefallen – bei uns kommt es doch wohl auf andere Dinge an? Abstammung, Vermögen, Erbansprüche…“

„Bei den Frauen ist es also gleichgültig, woher sie stammen und ob sie eine Mitgift haben, solange sie hübsch aufgeputzt sind? Das wäre mir aber neu“, widersprach Rose.

„Mir eigentlich auch“, gab Matthew ihr sofort recht und lächelte.

„Ach, ihr wisst doch, wie ich das meine! Wir müssen eine Frau angemessen unterhalten können – nicht umgekehrt!“

„Jeder Mitgiftjäger würde das wohl anders sehen, es allerdings nicht laut aussprechen“, schmunzelte Neds Mutter.