Die Erben von Midkemia 2 - König der Füchse - Raymond Feist - E-Book

Die Erben von Midkemia 2 - König der Füchse E-Book

Raymond Feist

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Beschreibung

Der Klassiker der heroischen Fantasy in überarbeiteter Neuausgabe!

Talon, der letzte Überlebende des Orosini-Stamms, brennt nach seiner Ausbildung durch das Konklave der Schatten darauf, Rache an denen zu nehmen, die einst seine Familie und Freunde bei einem brutalen Massaker niedermetzelten. Zwei Schuldige hat Talon bereits getötet, doch er kann nicht ruhen, bis er den Drahtzieher des Überfalls, Herzog Olasko, zur Rechenschaft gezogen hat. Dazu muss er sich jedoch das Vertrauen des skrupellosen Adeligen erschleichen …

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Buch

Talon, der letzte Überlebende des Orosini-Stamms, brennt nach seiner Ausbildung durch das Konklave der Schatten darauf, Rache an denen zu nehmen, die einst seine Familie und Freunde bei einem brutalen Massaker niedermetzelten. Zwei Schuldige hat Talon bereits getötet, doch er kann nicht ruhen, bis er den Drahtzieher des Überfalls, Herzog Olasko, zur Rechenschaft gezogen hat. Dazu muss er sich jedoch das Vertrauen des skrupellosen Adligen erschleichen …

Autor

Raymond Feist wurde 1945 in Los Angeles geboren und lebt in San Diego im Süden Kaliforniens. Viele Jahre lang hat er Rollenspiele und Computerspiele entwickelt. Aus dieser Tätigkeit entstand auch die fantastische Welt seiner Romane: Midkemia. Die in den 80er Jahren begonnene Saga ist bereits ein Klassiker des Fantasy-Genres, und Feist gilt als einer der wichtigsten Vertreter der Fantasy in der Tradition Tolkiens.

Von Raymond Feist bereits erschienen

Die Midkemia-Saga

Die Kelewan-Saga

Die Midkemia-Chronik

Die Schlangenkrieg-Saga

Die Erben von Midkemia

Die Krondor-Saga

Die Legenden von Midkemia

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Raymond Feist

Die Erben von Midkemia 2

König der Füchse

Roman

Deutsch von Regina Winter

Die Originalausgabe erschien 2003 unter dem Titel »King of Foxes. Conclave of Shadows (Vol 2)« bei Harper Collins Publishers, London.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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1. Auflage

Copyright der Originalausgabe © 2003 by Raymond E. Feist

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2005 by

Blanvalet in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Peter Thannisch

Umschlaggestaltung und -illustration: © Isabelle Hirtz, InkcraftKarten: © Melanie Korte, Inkcraft

DN · Herstellung: sam

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-24519-1V002

www.blanvalet.de

Für Jessica,

mit aller Liebe, die ein Vater geben kann

Im Dienste Cäsars ist alles erlaubt

PIERRE CORNEILLE,LA MORT DE POMPÉE

Die Rückkehr

Ein Vogel kreiste über der Stadt.

Sein Blick galt einer Gestalt in dem Durcheinander unter ihm, einem einzelnen Mann in dem Gewimmel von Menschen, die sich zur geschäftigsten Tageszeit hier im Hafen aufhielten. Der Hafen von Roldem, der Hauptstadt des Inselkönigreichs gleichen Namens, gehörte zu den lebhaftesten am Meer des Königreichs. Schiffe mit Waren und Reisenden aus Groß-Kesh, dem Königreich der Inseln und einem halben Dutzend kleinerer Nationen in der Nähe liefen täglich ein oder aus.

Der Mann, den der Vogel beobachtete, trug praktische Reisekleidung aus festen, leicht zu säubernden Stoffen und mit praktischen Verschlüssen. So konnte er seine Jacke auch einfach nur auf der linken Schulter hängend tragen, sodass sie den Schwertarm nicht behinderte. Auf dem Kopf trug er ein schwarzes Barett mit einer Silbernadel und einer einzelnen grauen Feder, und seine Füße steckten in festen Stiefeln. Sein Gepäck wurde gerade abgeladen und würde zu der Adresse geliefert werden, die er angegeben hatte. Er reiste ohne Diener, was für einen Adligen zwar ungewöhnlich war, aber hin und wieder vorkam; schließlich waren nicht alle Adligen wohlhabend.

Für einen Moment hielt er inne, um sich umzusehen. Rings um ihn eilten die Menschen weiter: Lastenträger, Seeleute, Hafenarbeiter und Fuhrleute. Wagen, so hoch beladen, dass ihre Räder beinahe brachen, rollten langsam an ihm vorbei, Fracht wurde in die Stadt oder zu den Fährbarken gebracht, die sie zu den größeren Handelsschiffen transportieren würden. Roldem war wirklich ein geschäftiger Hafen; hier wurden nicht nur Waren abgeliefert, sondern auch umgeladen, denn Roldem war die Handelshauptstadt am Meer des Königreichs.

Wohin der junge Mann auch schaute, überall wurde Handel getrieben. Männer feilschten über den Preis von Waren, die auf weit entfernten Märkten verkauft werden sollten, andere verhandelten über die Kosten für das Abladen von Fracht oder versicherten eine Ladung gegen Piraten oder Schiffskatastrophen. Andere wiederum waren Agenten von Handelshäusern, die angespannt nach allem Ausschau hielten, was ihren Geldgebern einen Vorteil versprach – Männer, die ebenso gut in einem Kaffeehaus im weit entfernten Krondor hätten sitzen können wie in der Händlerbörse nur eine Straße von dort entfernt, wo der junge Mann jetzt stand. Sie schickten Jungen mit Botschaften über eintreffende Waren zu Männern in der Börse, die wiederum versuchten, anhand dieser Informationen Veränderungen auf einem weit entfernten Markt vorauszusagen, bevor sie kauften oder verkauften.

Der junge Mann ging weiter und wich einer Bande von Jungen aus, die mit kindlicher Entschlossenheit vorbeistürmten. Er zwang sich, nicht nach seinem Geldbeutel zu tasten, denn er wusste, dass der Beutel noch dort war, wo er sein sollte. Es bestand allerdings immer die Möglichkeit, dass die Jungen von einer Bande von Taschendieben ausgeschickt worden waren, um wohlhabende Opfer auszuspähen. Der junge Mann sah sich weiter um und versuchte, jede mögliche Gefahr zu erfassen. Aber er konnte nur Bäcker und Straßenhändler, Reisende und zwei Wachsoldaten entdecken. Es war genau das, was er hier im Hafen von Roldem erwartet hatte.

Der Vogel, der von oben herabblickte, bemerkte, dass ein anderer Mann im Gedränge parallel zu dem jungen Adligen unterwegs war, im gleichen Tempo wie dieser. Der Vogel kreiste und beobachtete den zweiten Mann, einen hochgewachsenen Reisenden mit dunklem Haar, der sich bewegte wie ein Raubtier und den anderen Mann problemlos im Auge behielt, sich aber hinter Passanten verbarg und ohne jede Anstrengung durch die Menge glitt, wobei er nie zurückfiel, sich aber auch nicht weit genug näherte, um entdeckt zu werden.

Der junge Adlige hatte eigentlich helle Haut, die nun aber von der Sonne gebräunt war, und er kniff die blauen Augen gegen das helle Tageslicht zusammen. Es war Spätsommer in Roldem, und die Morgensonne hatte den Nebel bereits weggebrannt. Nun war der Himmel blau, und ein leichter Wind, der vom Meer wehte, machte die Hitze erträglich. Ein Liedchen vor sich hin pfeifend, ging der junge Adlige den Hügel hinauf, unterwegs zu seinem alten Domizil, einer Dreizimmerwohnung im Haus eines Geldverleihers. Er wusste, dass er verfolgt wurde, denn er war ein hervorragender Jäger.

Talon Silberfalke, der Letzte der Orosini, Diener des Konklaves der Schatten, war nach Roldem zurückgekehrt. Hier gab er sich als Talwin Falkner aus, ein entfernter Verwandter von Lord Seljan Falkner, Baron am Hof des Prinzen von Krondor. Sein Titel lautete Junker von Wildenhag und Klingenburg, Erbbaron von Silbersee – Ländereien, die so gut wie kein Einkommen erbrachten. Er war ein Vasall des Barons von Ylith und hatte als Leutnant unter dem Befehl des Herzogs von Yabon gedient, war also ein junger Mann von einigem Rang und geringem Einkommen.

Seit beinahe zwei Jahren war er nicht mehr hier gewesen, an der Stätte seines bedeutendsten Triumphs, des Sieges im Turnier am Hof der Meister. Dort hatte er sich den Titel des besten Schwertkämpfers der Welt erworben, doch trotz seiner jungen Jahre war er bemüht, die Illusion von Überlegenheit nicht überhandnehmen zu lassen. Er war der beste unter mehreren Hundert Teilnehmern gewesen, die zum Wettbewerb in Roldem erschienen waren, aber das hieß nicht zwangsläufig, dass er tatsächlich der Beste der Welt war. Er war sicher, dass auf irgendeinem weit entfernten Schlachtfeld ein Söldner kämpfte oder irgendwo ein Soldat Patrouille ritt, der ihn jederzeit zu Fischköder verarbeiten konnte, zum Glück aber nicht an dem Wettbewerb teilgenommen hatte.

Einen Augenblick lang fragte sich Talon, ob es das Schicksal wohl zulassen würde, dass er in drei Jahren wieder nach Roldem kam, um seinen Titel zu verteidigen. Er war erst dreiundzwanzig Jahre, und er schätzte, dass ihn nur sehr widrige Umstände davon abhalten würden, nach Roldem zurückzukehren. Er hoffte jedoch, dass sich das Turnier dann als weniger ereignisreich erweisen würde als das letzte. Denn beim Wettkampf waren zwei Männer durch Tals Schwert gestorben – was nur sehr selten vorkam und überaus betrüblich war. Tal hatte jedoch kein Bedauern verspürt, denn einer der Männer hatte zu denen gehört, die für die Ausrottung seines Volkes verantwortlich waren, und der andere war ein gedungener Mörder gewesen, der ihn hatte umbringen sollen.

Die Erinnerung an den Attentäter lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf den Mann, der ihm folgte. Der war ebenso wie Tal in Salador an Bord gegangen, war aber auf der gesamten Reise auf dem kleinen Schiff jeglichem Kontakt ausgewichen, obwohl sie beinahe zwei Wochen auf See gewesen waren.

Der Vogel zog noch einmal einen Bogen, dann verharrte er mit flatternden Flügeln in der Luft, die Klauen nach unten gestreckt und den Schwanz aufgefächert, als hätte er Beute erspäht. Mit seinem charakteristischen Schrei tat der Raubvogel seine Anwesenheit kund.

Tal hörte das vertraute Kreischen, blickte auf und zögerte einen Moment, denn der Vogel dort oben war ein Silberfalke. Das Tier war sein spiritueller Führer, dem er seinen Namen verdankte. Einen Augenblick lang war es Tal, als würde ihn der Vogel grüßen, dann flog er davon.

»Habt Ihr das gesehen?«, fragte ein Lastenträger in der Nähe. »So einen Vogel kenne ich gar nicht.«

»Es war ein Falke«, sagte Tal.

»Ein Falke von dieser Farbe? Die gibt es in dieser Gegend nicht«, erwiderte der Lastenträger. Er warf noch einen Blick in den Himmel, wo der Vogel zuvor gekreist hatte, und kümmerte sich dann wieder um sein Bündel.

Tal nickte und ging weiter. Der Silberfalke war in seiner Heimat weit im Norden auf der anderen Seite des Meers des Königreichs nicht selten, aber soweit Tal wusste, gab es auf der Insel Roldem keine dieser Vögel. Dass er hier nun trotzdem einen gesehen hatte, verstörte ihn viel mehr als jener Mann, der ihm aus Salador gefolgt war. Er spielte seine Rolle als Tal Falkner schon so lange, dass er seine wahre Identität beinahe vergessen hatte. Vielleicht hatte der Vogel ihn daran erinnern wollen.

Aber dann kam er zu dem Schluss, dass das Auftauchen des Vogels wahrscheinlich nur ein Zufall gewesen war. Tal war zwar im Herzen immer noch Orosini, aber gezwungen gewesen, die Bräuche und den Glauben seines Volkes hinter sich zu lassen. Tief in seinem Inneren war er zwar noch immer Talon Silberfalke, ein Junge, der in der Esse der Geschichte und der Kultur seines Volkes geschmiedet worden war, aber das Schicksal und all die Dinge, die Fremde ihn gelehrt hatten, hatten ihn neu geformt, sodass der Orosini-Junge manchmal nur noch eine ferne Erinnerung war.

Er drängte sich durch die überfüllte Innenstadt. Als er in ein besseres Stadtviertel kam, war in den Schaufenstern bunte, modische Kleidung zu sehen. Er selbst trat als Edelmann mit bescheidenen Mitteln auf. Tal Falkner war Sieger des Turniers der Meister und charmant und erfolgreich genug, um in die besten Kreise eingeladen zu werden, hatte aber seinerseits noch keine Gala gegeben.

Als er nun vor der Tür zum Haus des Geldverleihers stand, dachte er daran, dass er vielleicht ein halbes Dutzend enge Freunde in seine bescheidene Wohnung hätte zwängen können, aber kaum all jene Einladungen in die bessere Gesellschaft erwidern konnte, die ihm bisher schon zuteilgeworden waren.

Er klopfte leise an die Tür und trat dann ein …

Das Büro von Kostas Zenvanose bestand beinahe nur aus einer winzigen Theke, und es gab kaum genug Raum, um davor zu stehen. Ein geschickt angebrachtes Scharnier gestattete, die Theke über Nacht beiseitezuklappen, und drei Fuß hinter der Theke teilte ein Vorhang den Raum. Tal wusste, dass hinter dem Vorhang die Wohnstube der Familie Zenvanose lag, und noch weiter hinten gab es eine Küche, Schlafzimmer und einen Hinterausgang.

Ein hübsches Mädchen erschien, und sie strahlte, als sie ihn sah. »Herr Junker! Wie schön, dass Ihr wieder da seid!«

Sveta Zenvanose war eine reizende Siebzehnjährige gewesen, als Tal sie zum letzten Mal gesehen hatte. Die vergangenen beiden Jahre hatten aus dem hübschen Mädchen eine aufblühende Schönheit gemacht. Ihre Augen waren kornblumenblau, die Haut war lilienweiß mit einem Hauch von Rosa auf den hohen Wangenknochen, und ihr Haar so schwarz, dass es bläulich und violett schimmerte, wenn die Sonne darauf fiel. Auch ihre einstmals eher knabenhafte Figur war gereift, wie Tal sehr wohl bemerkte, während er ihr Lächeln erwiderte.

»Mylady«, sagte er mit einer leichten Verbeugung.

Sie errötete, wie sie es immer getan hatte, wenn sie dem berüchtigten Tal Falkner gegenüberstand. Dabei flirtete Tal so wenig wie möglich mit ihr, nur gerade genug, um das Mädchen zu amüsieren, denn er wollte keinen Ärger mit dem Vater. Der Geldverleiher stellte zwar keine direkte Gefahr dar, aber er hatte Geld, und Geld konnte viele Gefahren kaufen.

Kostas Zenvanose erschien einen Augenblick später, und Tal fragte sich wie jedes Mal bei seinem Anblick, wie ein Mann wie er ein so hübsches Mädchen wie Sveta hatte zeugen können. Kostas war so hager, dass er regelrecht ungesund wirkte, aber Tal wusste, wie irreführend dieser Eindruck war, denn der Mann strotzte vor Gesundheit und war ausgesprochen behände. Und selbstverständlich hatte er ein hervorragendes Auge fürs Geschäft.

Rasch schob er sich zwischen seine Tochter und seinen Mieter und lächelte. »Seid gegrüßt, Herr Junker. Wir haben Eure Zimmer vorbereitet, wie Ihr mir habt ausrichten lassen, und ich glaube, es ist alles in Ordnung.«

»Danke.« Tal lächelte. »Befindet sich mein Diener bereits hier?«

»Ich denke schon, denn ansonsten muss es ein Einbrecher sein, der gestern und heute früh dort oben gelärmt hat. Aber ich nehme an, es handelt sich um Pasko, der die Möbel hin und her schiebt, um zu putzen und abzustauben, und nicht um einen Dieb.«

Tal nickte. »Ist die Miete bezahlt?«

Wie durch Magie hatte der Geldverleiher plötzlich ein Buch in der Hand und konsultierte es, indem er mit einem knochigen Finger über die Seiten fuhr. Nach einem Nicken und einem »Ah« verkündete er: »Selbstverständlich. Eure Miete ist noch für drei weitere Monate im Voraus bezahlt.«

Tal hatte die Insel vor beinahe zwei Jahren verlassen und einen bestimmten Betrag in Gold bei dem Geldverleiher deponiert, um sich die Wohnung bis zu seiner Rückkehr zu sichern. Er war davon ausgegangen, dass er, wenn er innerhalb von zwei Jahren nicht zurückkehrte, wohl tot war, und dann hätte Kostas die Räume an einen anderen vermieten können.

»Gut«, sagte Tal. »Dann überlasse ich Euch Eurer Arbeit und ziehe mich zurück. Ich werde wohl eine Weile bleiben, also erinnert mich an die Miete, wenn die drei Monate um sind, und ich werde für weitere Monate bezahlen.«

»Sehr wohl, Herr Junker.«

Sveta klimperte mit den Wimpern. »Schön, dass Ihr wieder zu Hause seid, Herr Junker.«

Tal reagierte mit einer leichten Verbeugung und einem Lächeln, unterdrückte aber das plötzliche Bedürfnis zu lachen. Die Zimmer dort oben waren ebenso wenig sein Zuhause wie der Palast des Königs. Er hatte kein Zuhause mehr, seit der Herzog von Olasko Söldner ausgeschickt hatte, um sämtliche Orosini zu töten. Soweit Tal wusste, war er der einzige überlebende Angehörige seines Volkes.

Tal verließ das Büro. Ein rascher Blick, als er wieder auf der Straße stand, sagte ihm, dass der Mann, der ihn verfolgt hatte, nicht in der Nähe war, also eilte er die Treppe neben der Tür hinauf und zum Eingang seiner Wohnung.

Die Tür war nicht verschlossen. Drinnen stieß er auf einen säuerlich dreinblickenden Mann mit hängendem Schnurrbart und großen braunen Augen.

»Herr! Da seid Ihr ja!«, rief Pasko. »Seid Ihr mit der Morgenflut gekommen?«

»Ja, bin ich«, erwiderte Tal und reichte seinem Diener die Jacke und die Reisetasche. »Aber wie es nun einmal so ist, wurde die Reihenfolge, in der die Schiffe anlegen durften, von mir unbekannten Faktoren bestimmt.«

»Mit anderen Worten, der Schiffseigner hat dem Hafenmeister nicht genug gezahlt, um Euch früher reinzubringen.«

»Sehr wahrscheinlich.« Tal setzte sich auf ein Sofa. »Das Gepäck trifft sicher auch bald ein.«

Pasko nickte. »Die Wohnung ist sicher, Mylord.« Selbst wenn sie unter sich waren, hielt sich Pasko an ihre Rollen: Er war der Diener, Tal der Herr, obwohl er im Lauf der Jahre auch schon zu Tals Lehrern gehört hatte.

»Gut.« Tal wusste, dass Pasko diverse Schutzzauber gegen Magie angebracht hatte, ebenso wie er die Wohnung gegen gewöhnlichere Formen der Beobachtung schützte. Es war sehr unwahrscheinlich, dass irgendjemand in Roldem von Tals Beziehung zum Konklave der Schatten wusste, aber eben nicht vollkommen ausgeschlossen. Und die Mittel ihrer Feinde, die diese gegen ihre Feinde einsetzten, konnten sich durchaus mit denen des Konklaves messen.

Seit dem Sieg über Raven und seine Söldner, mit dem er den Mord an seinem Volk rächte, hatte Tal auf der Insel des Zauberers gelebt, sich von Wunden geistiger und körperlicher Art erholt, mehr über die Politik der östlichen Königreiche erfahren und sich schlicht und ergreifend ausgeruht. Darüber hinaus hatten ihn Pug und seine Frau Miranda hin und wieder über jene Bereiche der Magie aufgeklärt, mit denen er es vielleicht zu tun bekommen würde. Der Isalani Nakor, angeblich ein Spieler, aber in Wahrheit viel mehr als das, hatte ihn in einem nicht minder bemerkenswerten Handwerk unterrichtet: Er hatte ihm beigebracht, wie man beim Kartenspiel betrog und andere beim Betrug erwischte, wie man Schlösser knackte und Börsen stahl, und er hatte ihn noch diverse andere zweifelhafte Dinge gelehrt. Ferner war Tal mit seinem alten Freund Caleb auf die Jagd gegangen. Es war die beste Zeit gewesen, die er seit der Auslöschung seines Volkes erlebt hatte.

Er hatte außerdem einen gewissen Einblick in Angelegenheiten des Konklaves erhalten, die sich weit oberhalb seines Rangs abspielten. Offenbar verfügte das Konklave über Hunderte von Agenten, vielleicht sogar über Tausende, oder man unterhielt zumindest Kontakte zu Tausenden von Personen in nützlichen Positionen. Er wusste, dass der Einfluss der Organisation nicht nur bis tief nach Groß-Kesh und über das Meer nach Novindus reichte, sondern auch durch den Spalt nach Kelewan, der Heimat der Tsurani. Den Anführern des Konklaves mussten gewaltige Reichtümer zur Verfügung stehen, denn was immer sie brauchten, tauchte plötzlich irgendwie auf. Das falsche Adelspatent, das Tal bei sich trug, hatte sicher ein kleines Vermögen gekostet, denn es gab sogar »Originale« dazu im königlichen Archiv in Rillanon. Selbst sein »entfernter Verwandter« Lord Seljan Falkner hatte sich laut Nakor entzückt über diesen bisher unbekannten Vetter geäußert, als Tal das Turnier am Hof der Meister gewonnen hatte.

Tal traute sich trotzdem nicht, die Hauptstadt des Königreichs der Inseln aufzusuchen, denn der ältere Baron mochte vielleicht glauben, dass dieser junge Mann, der so gut mit dem Schwert umzugehen vermochte, tatsächlich ein entfernter Verwandter war, aber Tal fürchtete, sich zu verraten, wenn es zu einem Gespräch über dieses oder jenes Familienmitglied kam, und hielt einen solchen Besuch daher für zu riskant.

Es war beruhigend zu wissen, dass ihm die Mittel des Konklaves zur Verfügung standen, für den Fall, dass er sie brauchen würde. Denn nun stand er kurz vor dem schwierigsten und gefährlichsten Teil seiner persönlichen Mission, sein Volk zu rächen: Er musste eine Möglichkeit finden, Herzog Kaspar von Olasko zu töten, den Mann, der letzten Endes für die Vernichtung der Orosini verantwortlich war. Und Herzog Kaspar war, wenn man den Quellen glauben wollte, der gefährlichste Mann der Welt.

»Was gibt es Neues?«, fragte Pasko.

»Eigentlich nichts. Nur Berichte aus dem Norden, dass das Herzogtum Olasko im Grenzland wieder Ärger macht und vielleicht noch einmal versuchen wird, die Orodon zu isolieren. Die Orodon schicken immer noch Patrouillen durch meine ehemalige Heimat, um jeden abzuschrecken, der daran denkt, sich das Land der Orosini anzueignen.« Dann fragte Tal: »Und was gibt es Neues in Roldem?«

»Die üblichen Hofintrigen, Mylord, und ein paar Gerüchte über diese oder jene Dame und diesen oder jenen Herrn und ihre Affären. Kurz gesagt, da es nichts Wichtiges gibt, worüber sie sprechen könnten, konzentrieren sich die Adligen und die reichen Bürger auf Klatsch und Tratsch.«

»Richten wir unsere Aufmerksamkeit lieber auf die wesentlichen Dinge. Gibt es irgendwelche Hinweise auf Aktivitäten des Herzogtums Olasko hier in Roldem?«

»Immer. Aber nichts Außergewöhnliches. Oder zumindest haben wir nichts Außergewöhnliches herausfinden können. Herzog Kaspar von Olasko knüpft Kontakte, versucht, allen möglichen Leuten einen Gefallen zu tun, damit sie in seiner Schuld stehen, verleiht Geld und schmeichelt sich bei jedermann ein.«

Tal schwieg einen Augenblick, dann fragte er: »Zu welchem Zweck?«

»Wie bitte?«

Tal beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf die Knie. »Er ist der mächtigste Mann in den östlichen Reichen. Er ist ein Verwandter der königlichen Familie von Roldem und hat den … den siebten Platz in der Thronfolge inne?«

»Den achten«, korrigierte ihn Pasko.

»Warum muss er sich also noch beim roldemischen Adel einschmeicheln?«

»Gute Frage.«

»Er braucht es nicht«, sagte Tal. »Was bedeutet, dass er es tut, weil er es will. Aber warum?«

»Herzog Kaspar hat viele Eisen im Feuer, Mylord. Vielleicht hat er Interessen hier in Roldem, für die er eine Abstimmung im Oberhaus gewinnen muss.«

»Mag sein. Das Oberhaus ratifiziert Verträge, die von der Krone abgeschlossen werden, und muss auch der Thronfolge zustimmen. Was machen sie sonst noch?«

»Nicht viel mehr, wenn man von Streitereien über Steuern und Land absieht. Da Roldem eine Insel ist, ist Land ausgesprochen wichtig.« Pasko grinste. »Jedenfalls, solange niemand herausfindet, wie man mehr Land herstellen kann.«

Tal erwiderte das Grinsen. »Ich bin sicher, wir kennen ein paar Leute, die die Größe der Insel verändern könnten, wenn sie es für notwendig hielten.«

»Was machen wir also wieder hier in Roldem?«, fragte Pasko.

Tal lehnte sich zurück und seufzte. »Ich spiele die Rolle eines gelangweilten Adligen, der versucht, zu Wohlstand zu gelangen. Kurz gesagt, ich muss Kaspar von Olasko überzeugen, dass ich gezwungen bin, in seine Dienste zu treten, indem ich mich hier in einen Schlamassel bringe, aus dem nur er mich herausholen kann.«

»Und wie sähe dieser Schlamassel aus?«

»Ein Streit mit einem Angehörigen des Königshauses wäre eine gute Idee.«

»Wie denn? Wollt Ihr Prinz Konstantin ohrfeigen und ein Duell mit ihm provozieren? Der Junge ist erst fünfzehn!«

»Ich dachte an seinen Verwandten Prinz Matthew.«

Pasko nickte. Matthew war der Neffe des Königs, Sohn seiner älteren Schwester. Man hielt ihn allgemein für das schwarze Schaf im Königshaus; er war arroganter, fordernder und herablassender als all seine Verwandten, und darüber hinaus war er auch noch ein Weiberheld und Trunkenbold und betrog beim Glücksspiel. Es hieß, der König hätte ihm schon häufig aus der Patsche helfen müssen. »Eine gute Wahl. Wenn Ihr ihn tötet, wird der König Euch insgeheim dankbar sein … während sein Scharfrichter Euch den Kopf abhackt.«

»Ich dachte nicht daran, ihn zu töten. Ich werde nur für genug Ärger sorgen, dass mich König Carol nicht mehr in seinem Land haben will.«

»Ihr werdet ihn töten müssen«, sagte Pasko trocken. »Als Sieger des Turniers der Meister könntet Ihr wahrscheinlich sogar mit der Königin schlafen, und der König würde es Euch immer noch als jungenhaften Streich durchgehen lassen. Aber wozu das Theater? Herzog Kaspar von Olasko hat Euch doch bereits eine Position angeboten, als Ihr das Turnier gewonnen habt.«

»Weil ich wie ein widerstrebender Bittsteller aussehen will. Er hätte über mich sehr genaue Nachforschungen anstellen lassen, hätte ich sein Angebot direkt nach dem Wettbewerb vor zwei Jahren angenommen. Und würde ich auf einmal heute bei ihm auftauchen, um nachzufragen, würde er mich sogar noch genauer überprüfen. Aber wenn mich die Umstände zwingen, mich in seinen Schutz zu begeben, sind meine Motive offensichtlich – das hoffe ich zumindest. Als ich auf der Insel des Zauberers war, hat man mich … darauf vorbereitet, wie ich Nachforschungen zu meiner Person standhalten kann.«

Pasko nickte, denn er hatte verstanden. Tal war von Pug und den anderen Magiern darauf vorbereitet worden, Magie zu widerstehen, mit der man seine wahren Motive erkunden wollte.

»Aber die Umstände, unter denen ich schließlich in Kaspars Dienst trete, müssen glaubwürdig sein«, fuhr Tal fort. »Ihm mein Leben zu verdanken kommt mir da recht nützlich vor.«

»Immer vorausgesetzt, es gelingt ihm, Euch rechtzeitig vom Richtblock zu holen.« Pasko rieb sich die Kehle. »Ich habe Köpfen immer für einen barbarischen Akt gehalten. Im Königreich hängt man Verbrecher. Ein kurzer Fall«, er schnippte mit den Fingern, »der Hals bricht, und es ist vorbei. Ich habe gehört, dass man in Groß-Kesh verschiedene Arten der Hinrichtung pflegt, je nach Ort und Art des Verbrechens: Enthaupten, Verbrennen auf dem Scheiterhaufen, lebendig Begraben direkt neben einem Ameisenhügel, Ertränken, Erfrieren, Vierteilen, Fenstersturz …«

»Was?«

»Sie werfen jemanden aus einem Fenster in einem hohen Stockwerk auf das Pflaster der Straße. Aber besonders fasziniert bin ich von der Hinrichtungsart, bei der sie einen Mann erst kastrieren und ihn dann den Krokodilen im Tiefen See zum Fraß vorwerfen – nachdem er zusehen musste, wie die Viecher seine abgeschnittene Männlichkeit verschlingen.«

Tal stand auf. »Habe ich dir je gesagt, dass du wirklich eine sehr morbide Ader hast? Statt darüber nachzudenken, wie man mich hinrichten könnte, werde ich meine Energie lieber darauf konzentrieren, am Leben zu bleiben.«

»Auch dazu hätte ich ein paar Anmerkungen zu machen.«

Tal nickte.

»Ich gehe zwar davon aus, dass sich Herzog Kaspar unter solchen Umständen – ich spreche von der Demütigung von Prinz Matthew und nicht von der Krokodilgeschichte …«

Tal lächelte.

»… für Euch einsetzen würde, aber kann er das aus so weiter Entfernung überhaupt?«

Tals Lächeln wurde breiter. »Kurz bevor ich Salador verließ, erhielt Nakor eine Nachricht aus dem Norden: Herzog Kaspar wird in einer Woche zu einem Staatsbesuch in Roldem eintreffen.«

Pasko hob die Brauen. »Zu welchem Zweck?«

»Ich denke, er möchte sich bei seinem entfernten Verwandten ein bisschen lieb Kind machen, bevor er etwas tut, was ihm ansonsten die Missbilligung des Königs einbringen würde.«

»Und das wäre?«

»Ich habe keine Ahnung, aber im Norden brodelt es ununterbrochen, und Kaspar braucht nur an einer einzigen Stelle das Feuer ein wenig mehr zu schüren, damit der Kessel irgendwo überkocht. Die Einzelheiten gehören zu den vielen Dingen, die ich noch herausfinden muss.«

Pasko nickte. »Soll ich Euch ein Bad vorbereiten?«

»Ich denke, ich gehe lieber zu Remarga und genieße dort eine lange Massage und hinterher ein Bad. Bring mir passende Kleidung für einen Abend in der Stadt dorthin.«

»Wo werdet Ihr dinieren, Mylord?«

»Ich weiß nicht. So öffentlich wie möglich.«

»Bei Dawson?«

Das ehemalige Gasthaus war nun ein nobles Restaurant für die Adligen und Reichen und hatte ein Dutzend Nachahmer gefunden. »Auswärts essen« war in der Hauptstadt zu einem beliebten Freizeitvergnügen geworden.

»Vielleicht in diesem neuen Restaurant, dem Metropol. Es heißt, es sei ein Ort, an dem man unbedingt gesehen werden muss.«

»Es ist ein Privatklub, Mylord.«

»Dann verschaff mir eine Einladung, während ich bade, Pasko.«

»Ich werde sehen, was ich tun kann«, sagte Pasko.

»Ich muss mich in der Öffentlichkeit sehen lassen, damit jeder so schnell wie möglich erfährt, dass ich wieder in der Stadt bin. Aber wenn ich nach dem Abendessen hierher zurückkehre, muss ich das allein tun.«

»Warum, Mylord?«

»Damit ich herausfinden kann, wer mir folgt, seit ich Salador verlassen habe, und was er vorhat.«

»Ein Spion?«

Tal reckte sich gähnend. »Eher ein Attentäter.«

Pasko seufzte. »Es geht also los.«

Tal, der bereits in der Tür stand, nickte und erwiderte: »Ja, es geht los.«

Nebel hing über der Stadt. Er war so dicht, dass man keine drei Fuß weit sehen konnte. Die hellen Lampen an jeder Ecke des Kaufmannsviertels waren nur noch als trübe gelbe Flecke zu erkennen, und auch die Laternen neben den Gasthaustüren wirkten schon von der anderen Straßenseite her wie weit entfernte Lichtpfützen. An langen Straßen gab es Stellen, wo überhaupt kein Licht mehr zu sehen war. Die Sinne waren verwirrt, Entfernungen bedeutungslos, und das gesamte Universum schien in Trübheit versunken.

Selbst die Geräusche klangen gedämpft. Aus den Gasthäusern, an denen Tal vorbeikam, war statt der üblichen rauen Kakofonie nur leises Stimmengemurmel zu vernehmen. Schritte waren ein Knirschen von Absätzen auf getrocknetem Schlamm und nicht länger ein Klappern von Leder auf Stein.

Dennoch wusste Tal Falkner, dass man ihn verfolgte, seit er Lady Gavorkins Haus verlassen hatte. Er hatte in Ruhe im Metropol zu Abend gegessen – Pasko hatte nur Minuten gebraucht, um vom Besitzer eine Einladung für den Sieger des Turniers der Meister zu erhalten – und den Klub mit einer kostenlosen Mitgliedschaft in der Tasche verlassen. Die Inneneinrichtung, die Atmosphäre und der Service hatten ihn beeindruckt. Das Essen hingegen war gerade noch akzeptabel gewesen, und er nahm sich vor, darüber einmal mit dem Küchenchef zu reden. Aber er begriff, dass ein solcher Klub ein recht gutes Geschäft sein konnte.

Roldem lebte mehr vom Handel als jedes andere Land im Osten, und dieser Klub bot eine Umgebung, in der Adlige und wohlhabende Bürger in einer entspannten Atmosphäre zusammenkommen konnten, wie es anderswo in der Stadt undenkbar war. Tal nahm an, dass in den kommenden Jahren in den stillen Räumen des Metropol einige Vermögen verloren und Titel gewonnen, Eheschließungen arrangiert und Bündnisse geschlossen werden würden.

Noch bevor er mit dem Essen fertig gewesen war, hatte man ihm eine Botschaft von Lady Gavorkin gereicht, und Tal war der Gedanke gekommen, dass er seinen Verfolger ebenso auf dem Weg zu ihrem Haus erwischen konnte wie unterwegs zu seinem eigenen. Wer immer ihm folgte, hatte ihn jedoch nicht ein einziges Mal angesprochen, und er hatte zwei angenehme Stunden verbracht, während derer ihn Lady Gavorkin zunächst für seine lange Abwesenheit getadelt und ihm dann leidenschaftlich verziehen hatte.

Die Dame war seit Kurzem Witwe; ihr Gatte war bei einer Vergeltungsaktion gegen ein Nest von cerisischen Piraten ums Leben gekommen, die in einer verborgenen Bucht an der Küste von Kesh hausten. Der Tod ihres Mannes im Dienst der Krone von Roldem hatte Lady Gavorkin viel Mitgefühl eingebracht und darüber hinaus eine bescheidene Pension zusätzlich zu ihren ausgedehnten Ländereien. Doch da sie keine Kinder hatte, waren ihre Ländereien gefährdet, falls die Krone zu dem Schluss kam, dass ein anderer Adliger sie besser verwalten könnte als sie selbst. Aus Sicht des Königshauses wäre es ideal gewesen, hätte Lady Gavorkin, Gräfin von Dravinko, einen Adligen geheiratet, der in der Gunst der Krone stand, denn so hätte man zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.

Tal wusste, dass er den Kontakt zu der Dame bald würde abbrechen müssen, denn seine vorgetäuschte Identität würde nie den ausführlichen Nachforschungen standhalten, die unternommen wurden, wenn jemand in den roldemischen Adel einheiratete. Ein Junker aus einem abgelegenen Provinznest mochte als Begleiter zu Galas und Festivitäten akzeptabel sein, aber die Witwe eines Kriegshelden zu heiraten war eine ganz andere Sache. Außerdem war eine Bindung, selbst an eine so attraktive Frau wie Lady Margaret Gavorkin, für Tal wenig reizvoll, so beträchtlich der Reichtum und die Energie der Dame im Bett auch sein mochten.

Tal lauschte, während er weiterging, und setzte seine Jägerinstinkte ein. Er hatte schon vor Jahren gelernt, dass eine Stadt nichts weiter war als eine andere Art von Wildnis und dass die Fertigkeiten, die er als Junge in den Bergen weit im Norden auf der anderen Seite des Meeres erlernt hatte, ihn auch in einer Stadt am Leben erhalten konnten. Jeder Ort hatte seinen eigenen Rhythmus, sein eigenes Tempo, seine eigene Dynamik, und sobald Tal mit der Umgebung vertraut war, erkannte er Gefahren und Beute in einer Stadt genauso wie im Wald.

Wer immer ihm folgte, strengte sich sehr an, Abstand zu halten, und jemand, der sich seiner Umgebung nicht so genau bewusst gewesen wäre wie Tal, hätte den Verfolger wahrscheinlich nicht bemerkt. Doch Tal kannte diesen Teil der Stadt so gut, als wäre er hier aufgewachsen. Er hätte den Verfolger leicht abschütteln können, aber er war neugierig, um wen es sich handelte und – was noch wichtiger war – aus welchem Grund der Mann ihm folgte.

Er hielt einen halben Schritt lang inne, gerade genug, um den Rhythmus seiner Schritte so weit zu unterbrechen, dass der Verfolger sich verriet, dann ging er weiter. An der nächsten Kreuzung wandte er sich nach rechts und verbarg sich im Torweg einer Schneiderei, in der er Kunde war. Dann zog er den Dolch aus dem Gürtel und wartete.

Genau zu dem Zeitpunkt, zu dem Tal ihn erwartete, bog der Verfolger um die Ecke und kam an dem Torweg vorbei.

Tal streckte die Hand aus, packte den Mann an der rechten Schulter, drückte ihn nach unten und drehte ihn gleichzeitig herum. Der Mann reagierte, aber Tal war schneller. Außerdem tat der Verfolger genau das, was Tal erwartet hatte, und zögerte einen Augenblick, bevor er sich instinktiv dem Griff zu entziehen versuchte.

Tal riss den Arm seines Gegners nach oben und nutzte die Bewegung, um den Mann vollkommen herumzudrehen. Plötzlich fand sich der Verfolger fest gegen die Tür gedrückt, mit Tals Dolch an der Kehle.

»Warum folgt Ihr mir?« Tals Stimme war nur ein Zischen, um die Hausbewohner, die im Stockwerk über dem Laden schliefen, nicht zu wecken.

Die Hand des Mannes zuckte zu seinem eigenen Dolch, noch bevor die letzte Silbe gesprochen war. Er war allerdings nicht dumm und erkannte die Hoffnungslosigkeit seiner Situation einen Augenblick, bevor Talon gezwungen gewesen wäre, ihm die Kehle durchzuschneiden. Er hob die Hände, um zu zeigen, dass sie leer waren.

»Euer Wohlgeboren«, antwortete er ebenfalls im Flüsterton, »ich wollte Euch nichts tun! Mein Schwert und der Dolch sind noch im Gürtel!« Er benutzte die Sprache des Königreichs der Inseln.

»Wer seid Ihr?«

»Ich heiße Petro Amafi.«

»Amafi? Das ist ein queganischer Name. Aber Ihr sprecht die Sprache der Inseln.«

»Ich habe viele Jahre in Salador gelebt, und um ehrlich zu sein, ist mein Roldemisch nicht besonders gut, also benutze ich die Sprache des Königreichs.«

»Dann sagt mir, Amafi, warum Ihr mir folgt«, forderte Tal erneut.

»Ich bin ein Berufsattentäter. Man hat mich bezahlt, um Euch zu töten.«

Tal trat einen Schritt zurück, wobei er die Klinge immer noch an Petro Amafis Kehle ließ, und sah sich den Mann genauer an.

Der Attentäter war einen halben Kopf kleiner als der gut sechs Fuß große Tal, und er hatte breite Schultern und eine breite Brust. Schon seiner Kleidung sah man an, dass er nicht aus Roldem kam; sein Hemd war lang und mit einem schwarzen Lederriemen gegürtet, und statt der langen weiten Hosen, die derzeit in Roldem modern waren, trug er Kniehosen und Schnallenschuhe. Er hatte einen dünnen Kinnbart, und auf seinem Kopf saß ein Filzbarett mit einer Brosche und einer Feder auf der linken Seite. Sein Gesicht war schmal, und er hatte tief liegende Augen, die seine Gefährlichkeit ebenso deutlich machten wie sein irgendwie fuchsartiges Aussehen.

»Ihr wollt mir nichts tun, aber Ihr seid ein Attentäter, der mich umbringen soll«, resümierte Tal. »Das ist irgendwie widersprüchlich, denkt Ihr nicht auch?«

»Es hilft mir nichts, die Wahrheit leugnen zu wollen, Euer Wohlgeboren. Doch ich bleibe nur so lange am Leben, wie Ihr nichts wisst, denn wenn Ihr mich jetzt umbringt, werdet Ihr nicht erfahren, wer mich bezahlt hat.«

Tal lachte. »Das stimmt. Also nutzt es Euch, mir nichts zu sagen. Aber ich kann nicht den Rest meines Lebens darauf warten, dass Ihr mir enthüllt, wer Euch geschickt hat, also gewinne ich nichts, wenn ich Euch am Leben lasse.«

»Wartet!« Amafi hob beschwichtigend die Hände. »Ich bin nicht gekommen, um Euch zu töten. Ja, man hat mich dafür bezahlt, aber ich habe Euch schon in Salador eine Woche lang beobachtet, und ich möchte einen Handel mit Euch schließen.«

»Um Euer Leben?«

»Mehr, Euer Wohlgeboren. Ich will Euer Diener sein.«

»Ihr wollt in meine Dienste treten?«, fragte Tal misstrauisch.

»Mit dem größten Vergnügen, Euer Wohlgeboren. Ein Mann mit Euren Fähigkeiten wäre ein sehr erstrebenswerter Herr. Ich habe Euch im Haus der Klingen in Salador beim Training beobachtet, ich habe gesehen, wie Ihr in den Bierhäusern Karten spielt: Ihr gewinnt gerade genug, um niemanden misstrauisch zu machen, und dennoch seid Ihr ein meisterhafter Betrüger. Ihr seid willkommen in den Häusern der Großen und Beinahe-Großen. Männer bewundern Euch, Frauen begehren Euch. Und was noch wichtiger ist, noch niemand hat je geschafft, was Euch gerade gelungen ist, nämlich mich vom Jäger zum Gejagten zu machen. Das Wichtigste jedoch ist, Ihr seid der Sieger des Turniers der Meister, der beste Schwertkämpfer der Welt, und es gibt Gerüchte, dass Ihr insgeheim im Dienst von Herzog Kaspar von Olasko steht. Einer, der Kaspar dient, kann nur zu größerem Wohlstand gelangen, und ich möchte gern zusammen mit Euch reich werden.«

Vorsichtig und nur mit einem Finger schob er die Spitze von Tals Klinge von seiner Kehle weg, und Tal ließ ihn gewähren.

»Wie Ihr sehen könnt, Euer Wohlgeboren, bin ich beinahe sechzig. Das Handwerk eines Attentäters verlangt Geschick, und die lässt mit dem Alter nach. Ich muss an meine Zukunft denken. Ich habe zwar einen Teil des Geldes, das ich im Lauf der Jahre verdient habe, beiseitegelegt, aber es reicht nicht. Ich hatte in letzter Zeit Pech.«

Tal lachte. »Habt Ihr schlecht investiert?«

Amafi nickte. »Ein Handelshaus aus Salador. Erst vor Kurzem. Nun möchte ich meine Fertigkeiten zu einem dauerhafteren Nutzen einsetzen. Als Euer Diener würde ich mit Euch aufsteigen. Versteht Ihr?«

Tal steckte den Dolch weg. »Warum sollte ich Euch vertrauen?«

»Ich werde in jedem Tempel Eurer Wahl einen Schwur ablegen.«

Tal dachte darüber nach. Nur wenige Männer brachen bewusst einen Schwur, selbst wenn ihnen ihre Ehre nicht so viel bedeutete wie einem Orosini.

»Wer hat Euch gesagt, dass ich im Dienst von Kaspar stehe?«

»Wie gesagt, es gibt Gerüchte. Angeblich hat man Euch in der Nähe von Latagore gesehen, wo Herzog Kaspar gewisse Interessen verfolgt, und jeder weiß, dass er nach Eurem Sieg am Hof der Meister vor zwei Jahren mit Euch gesprochen hat. Herzog Kaspar beschäftigt nur die begabtesten und ehrgeizigsten jungen Männer, also nimmt man allgemein an, dass auch Ihr in seinem Dienst steht.«

»Das tue ich nicht«, erwiderte Tal und drehte Amafi bewusst den Rücken zu. Er wusste, dass er ein Risiko einging, denn der Attentäter behauptete zwar, mit dem Alter langsamer geworden zu sein, aber Tal hielt ihn immer noch für fähig, einen raschen Angriff auszuführen, wenn er die Möglichkeit dazu erhielt.

Aber nichts dergleichen geschah.

Stattdessen ging Amafi nun neben Tal her. »Wollt Ihr wissen, wer mich geschickt hat?«

»Ja«, erwiderte Tal.

»Lord Piotre Miskovas, obwohl ich das eigentlich nicht wissen dürfte.«

»Der ist aber wirklich nachtragend«, stellte Tal fest. »Ich habe seit mehr als zwei Jahren nicht mehr mit seiner Frau geschlafen.«

»Wenn ich es richtig verstanden habe, hat sie sich ein paar Monate, nachdem Ihr die Stadt verlassen hattet, bei einer Gala bei Lady Amsha Detois betrunken und ihrem Mann beim Abendessen die Einzelheiten Eurer … äh, Freundschaft an den Kopf geworfen. Das Paar hat sich noch nicht wieder versöhnt, und sie wohnt nun hier in der Stadt, während er sich auf seinem Landsitz aufhält. Er gibt Euch die Schuld daran.«

»Er sollte lieber an seine eigenen Affären denken«, meinte Tal, »denn wenn er nicht so darauf versessen gewesen wäre, mit jedem hübschen Mädchen ins Bett zu springen, hätte seine Frau meine Aufmerksamkeit nicht so bereitwillig aufgenommen.«

»Mag sein, Euer Wohlgeboren, aber es braucht einen Mann von ungewöhnlichem Charakter, sich so offen zu seinen Fehlern zu bekennen. Es ist viel bequemer, anderen die Schuld zu geben. Als er hörte, dass Ihr nach Roldem zurückkehren wolltet, hat er nach einem Attentäter gesucht – viel weniger diskret, als ratsam gewesen wäre –, und man hat mich bezahlt, diesen ›Fleck von seiner Ehre zu entfernen‹.« Während er dies sagte, richtete er den Zeigefinger auf Tal. »Er hatte zumindest genug Verstand, sich an einen … nun, Makler in Salador zu wenden, damit man ihn hier in Roldem nicht anzeigen kann. Nun habe ich ›versagt‹, also verlangt die Ehre, dass ich ihm sein Geld zurückgebe und versuche, dieses Versagen in einen Triumph zu verwandeln. Ich werde Euch ein hervorragender Diener sein, Euer Wohlgeboren, das schwöre ich!«

Tal überlegte, was er tun sollte. Er war kaum einen Tag wieder in Roldem und brauchte zuverlässige Augen und Ohren. »Ein hervorragender Diener …«, murrte er. »Bis Ihr mich gefahrlos verraten könnt, was?«

Amafi grinste. »Mylord, ich war nie ein beständiger Mann. Aber einen Schwur zu brechen fällt selbst einem wie mir nicht leicht, und so talentiert, wie Ihr seid, müsste sich erst eine Gelegenheit ergeben, noch reicher zu werden, als ich in Eurem Dienst werden könnte.«

Tal lachte. Amafi war von erfrischender Offenheit, sodass er dem Attentäter tatsächlich traute – zumindest bis zu einem gewissen Punkt. Und solange er von Amafi nichts verlangte, was über diesen Punkt hinausging, könnte sich der Mann tatsächlich als verlässlicher Diener erweisen. »Also gut, gehen wir zum Tempel von Lims-Kragma, und dann könnt Ihr schwören.«

Amafi verzog das Gesicht. »Ich hatte an Ruthia oder Astalon gedacht.« Das waren die Göttin des Glücks und der Gott der Gerechtigkeit.

»Ich finde, die Aussicht, bei einem Verrat die Möglichkeit zu verlieren, in einen höheren Stand wiedergeboren zu werden, ist ein wesentlich besserer Schutz für mich«, meinte Talon. »Kommt mit. Und wir müssen an Eurem Roldemisch arbeiten. Wir werden vielleicht noch eine Weile hierbleiben.«

Falls Amafi daran dachte, doch noch die Waffe zu ziehen und zuzustechen, gelang es ihm, diesen Impuls vollkommen zu verbergen. Rasch ging er neben seinem neuen Herrn in den Nebel hinein.

Der Magier stand im Schatten, seine Züge beinahe vollkommen verborgen. Tal kannte jedoch sein Gesicht, auch wenn er es jetzt nicht sehen konnte. Eine einzelne Kerze brannte in der Wohnung, und die stand auf dem Tisch im Nachbarzimmer und warf nur ein schwaches Licht durch die offene Tür.

»Wo ist dein neuer Diener?«, fragte der Magier.

»Ich habe ihn auf einen Botengang geschickt«, antwortete Tal. »Was hast du herausgefunden?«

Der Magier trat aus dem Schatten, und nun konnte man sehen, dass er ein hagerer Mann mit einer langen, geraden Nase, ausgeprägten Wangenknochen und strahlend blauen Augen war. Sein Haar war so hell, dass es beinahe weiß wirkte. »Informanten in Queg haben ihm einen guten Ruf bescheinigt«, sagte er, »zumindest einen guten Ruf als Attentäter.«

»Ein ehrbarer Attentäter«, sagte Tal. »Eine seltsame Vorstellung.«

»Man hält ihn im Rahmen seines Handwerks tatsächlich für so etwas wie einen ehrenhaften Mann«, erklärte Magnus, Sohn des Zauberers Pug und einer von Tals vielen Lehrern.

»Es geht los«, sagte Tal. »Lady Gavorkin hat mir letzte Nacht bestätigt, dass Herzog Kaspar am Wochenende hier eintreffen wird, um sich mit seinem Vetter, dem König, zu beraten. Pasko, wie viele Einladungen sind heute eingetroffen?«

»Siebzehn, Herr«, antwortete dieser.

»Ich gehe davon aus, dass ich bis Ende des Monats dem Herzog bei der einen oder anderen Gala begegnen werde.«

»Was hast du vor?«, fragte Magnus.

»Ich muss Kontakt zu Kaspar herstellen und dann einen Grund finden, mich mit Prinz Matthew anzulegen.«

»Ist das nötig?«

»Ich denke schon«, erwiderte Tal. »Ich kenne zwar die Einzelheiten noch nicht, aber ich ahne inzwischen, was Herzog Kaspars größeres Ziel bei seinen Aktionen der vergangenen Jahre war und ist.«

»Das hast du nicht erwähnt, als du noch auf der Insel warst«, rügte ihn Magnus.

Tal nickte. »Weil mir das Muster erst vor ein paar Stunden klar geworden ist. Ich könnte mich natürlich auch irren, aber ich glaube, alles, was er im Norden anstellt, ist nichts weiter als ein blutiges, mörderisches Ablenkungsmanöver und seine geplante Eroberung von Farinda eine Finte.«

»Und was hat er wirklich vor?«

»Er will dafür sorgen, dass sich aller Augen nach Norden richten, während er im Süden auf sein wahres Ziel hinarbeitet.«

»Und das wäre?«, fragte Magnus ungeduldig.

»Das weiß ich noch nicht. Aber es könnte mit Roldem oder mit Kesh zu tun haben, und das Königreich entlang einer langen, leeren Grenze zu beschäftigen wäre zu Kaspars Vorteil. Ich bin kein Militärexperte, aber ich denke, wenn er eine Streitmacht ins Königreich der Inseln entsendet, werden sie mit großem Nachdruck reagieren. Wenn Kaspar jedoch kleine Kompanien ausschickt, kann jede von denen eine viel größere Streitmacht beschäftigen, wenn sie sich auf der Ebene verteilen. Von den Bergausläufern an der Grenze bis zum Dunkelhain nördlich von Dolth gibt es beinahe tausend Meilen Grasland. König Ryan von den Inseln wäre gezwungen, eine große Armee einzusetzen, um eine relativ kleine Streitmacht zu jagen. Die Frage ist also, wenn Kaspar diese Armee oben im Grasland haben will, wo wird er wirklich zuschlagen?«

»Ich werde Vater von deiner Theorie berichten«, sagte Magnus, setzte einen breitkrempigen Filzhut auf und zog etwas aus seinem dunkelgrauen Gewand: eine Kugel, die im Kerzenlicht kupferfarben schimmerte. Er drückte mit dem Daumen auf eine bestimmte Stelle auf der Kugel, und plötzlich war er nicht mehr da. Nur eine leichte Bewegung der Luft kündete noch kurze Zeit von seinem Verschwinden.

»Aber warum?«, fragte Pasko.

»Warum?«, wiederholte Tal. »Warum was?«

»Warum all diese Intrigen? Kaspar ist selbst beinahe so mächtig wie der König von Roldem. Er ist praktisch Herr über Aranor – der Fürst dort tut, was er will. Er beherrscht auch die anderen Länder rings um Olasko oder kann sie zumindest einschüchtern, und der König von Roldem hört auf ihn. Warum will er sich mit den Inseln anlegen?«

Tal lehnte sich zurück. »Das ist doch offensichtlich. Indem er die Region in Unruhe versetzt, kann sich Kaspar aneignen, was er mehr als alles andere will.« Tal verschränkte die Finger ineinander und starrte darüber hinweg zur Kerze. Dann stützte er das Kinn auf die Hände und murmelte: »Mächtige Männer wollen nur eins: mehr Macht.«

Der Empfang

Tal lächelte.

Er war zum ersten Mal seit seinem Sieg am Hof der Meister vor zwei Jahren wieder im Palast. Der König hatte Junker Talwin Falkner zur Willkommensgala für den Herzog von Olasko eingeladen.

Tal hatte geduldig in der Reihe gewartet, denn er wurde erst nach allen Adligen aus Roldem, den meisten Adligen aus anderen Ländern und kurz vor den wohlhabendsten Bürgern vorgestellt. Ein Junker aus dem Königreich der Inseln stand in den Augen des Hofes von Roldem im Rang nur ein kleines Stück über einem reichen Bänderfabrikanten.

Er trug eine weite Hose, die der neuesten Mode entsprach und seine Stiefel bis zu den Schnallen bedeckte, und einen breiten schwarzen Ledergürtel, aber er hatte sich entschieden, ein derzeit eher unmodisches gelbes Oberteil zu tragen, das mit Süßwasserperlen bestickt war. Während die anderen Adligen, wie es die Mode diktierte, eine Art Uniformjacke trugen, die auf nur einer Schulter hing, hatte Talon die Jacke angezogen, die ihm der König vor zwei Jahren geschenkt hatte.

Als Tal dem König zum letzten Mal gegenübergestanden hatte, war er der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gewesen, der Sieger im Turnier der Meister, der Empfänger des Goldenen Schwerts als Zeichen dafür, dass er der beste Schwertkämpfer der Welt war.

Nun konzentrierte sich alles auf Kaspar von Olasko, und Tal war nur einer der unwichtigeren Gäste. Als sein Name endlich aufgerufen wurde, stiefelte er rasch nach vorn. An der Stelle angekommen, wo er sich vor der Krone zu verbeugen hatte, betrachtete er die Szene vor sich. König Carol saß auf seinem Thron, seine Frau, Königin Gertrude, rechts neben ihm, und links saß Kronprinz Konstantin. Tal hatte den Prinzen als schweigsamen Jungen mit neugierigem Blick in Erinnerung, der nur selten lächelte und die meiste Zeit angestrengt den Gesprächen der Erwachsenen lauschte, und er hatte ihn damals für ein intelligentes Kind gehalten.

Die jüngeren Mitglieder der königlichen Familie waren nicht anwesend; die beiden anderen Prinzen und die Prinzessin wurden wahrscheinlich gerade von den Dienern und Kinderfrauen zu Bett gebracht.

Links von Konstantin stand ein Mann in burgunderroter Samtjacke mit diamantenbesetzten Knebelverschlüssen. Er trug eine unmodisch enge schwarze Hose, und seine Füße steckten in auf Hochglanz polierten, aber eher praktischen Stiefeln. Auf dem Kopf trug er den schwarzen Hut, mit dem Tal ihn schon vor zwei Jahren gesehen hatte, ein großes Samtding, das ihm über das rechte Ohr bis beinahe zur Schulter hing und links mit einer goldenen Brosche verziert war. Das war der Herzog von Olasko.

Kaspar von Olasko betrachtete den Junker forschend, während er sich weiterhin mit dem Prinzen unterhielt. Tal hielt Kaspar für einen jener Menschen, die sich mühelos auf zwei Dinge gleichzeitig konzentrieren konnten. Selbst unter den Magiern auf der Insel des Zauberers war dieses Talent selten.

Während er sich vor dem König verbeugte, betrachtete Tal aus den Augenwinkeln weiterhin Kaspar. Der Herzog war ein großer, kräftiger Mann mit breiter Brust und mächtigen Schultern, und die Beinmuskeln, die sich unter der engen Hose abzeichneten, legten den Schluss nahe, dass er sich auch schnell bewegen konnte.

Es war für Tal nicht zu übersehen, dass der Herzog seinen musternden Blick bemerkt hatte. Kaspars Gesicht war rund, aber das Kinn sprang ein wenig vor, sodass er nicht unbedingt heiter wirkte wie so viele rundgesichtige Menschen. Er hatte einen schmalen schwarzen Bart, aber seine Oberlippe war rasiert, was sein Kinn noch herausfordernder wirken ließ. Sein Haar war immer noch überwiegend schwarz, obwohl ein paar graue Strähnen darauf hinwiesen, dass er die vierzig überschritten hatte. Seine Augen waren die eines Raubtiers, schwarz und lauernd, und sein Mund war voll und sinnlich und nun zu einem beinahe höhnischen Lächeln verzogen, das Tal schon mehrmals an ihm bemerkt hatte.

Tal richtete sich aus seiner Verbeugung auf, und der König sagte: »Junker Falkner, wie schön, Euch wieder bei Hofe zu sehen.«

»Ich freue mich auch, in Roldem zu sein, Majestät.«

Die Königin strahlte, als sie sagte: »Und ich sehe, Ihr kehrt in der Kleidung zu Uns zurück, die wir Euch bei Eurem Sieg geschenkt haben.«

Tal bedachte Gertrude mit seinem liebenswertesten Lächeln. »Majestät, ich habe dieses Geschenk zuvor nur ein Mal getragen, am Abend meines Triumphs, und habe geschworen, dass ich es nur in Eurer erhabenen Gegenwart erneut tragen werde.«

Der König nickte erfreut. »Das ist sehr aufmerksam von Euch. Ich danke Euch für Euer Erscheinen.«

Tal wusste, dass er damit entlassen war, also gesellte er sich zu der Gruppe links vom König, um sich jene anzusehen, die nach ihm vorgestellt wurden. Dabei warf er noch einen kurzen Blick auf Kaspar, aber der Herzog schien sich nun vollkommen auf sein Gespräch mit dem Prinzen zu konzentrieren.

Schließlich war der letzte Gast vorgestellt, und der Zeremonienmeister trat vor den Thron. »Mit Euer Majestät Erlaubnis?«, sagte er mit einer Verbeugung.

Der König machte eine zustimmende Geste, und der Zeremonienmeister drehte sich um und verkündete: »Die Damen und Herren werden gebeten, sich in die Banketthalle zu begeben und dort auf Ihre Majestäten zu warten.«

Tal sah zu, wie die königliche Familie den Saal verließ, gefolgt vom Herzog von Olasko. Er wusste, sie würden sich in andere Gemächer im Palast begeben, wo sie warten würden, bis alle Gäste Platz genommen hatten, bevor sie selbst den Bankettsaal betraten.

Tal reihte sich geduldig in der Schlange ein, aber die bewegte sich schnell, denn mehr als zwei Dutzend Pagen und Knappen unterstützten den Zeremonienmeister, der dafür Sorge trug, dass die Sitzordnung eingehalten wurde. Sobald ein Page seine Anweisungen erhalten hatte, brauchte ein Gast nur einen Augenblick zu warten, bevor er zu seinem Platz in der Halle geführt wurde.

Tal war angenehm überrascht, als er erkannte, dass man ihn an den Tisch des Königs setzte. Als er rasch die Stühle zählte, erkannte er, dass zwischen ihm und dem Herzog von Olasko nur zwei oder drei andere Gäste sitzen würden. Er nahm an, dass dies eher auf Kaspars Wunsch zurückzuführen war, ihn in der Nähe zu wissen, als auf sein Prestige als Sieger des Turniers der Meister.

Die königliche Familie trat ein, und alle erhoben und verbeugten sich, dann blieben sie stehen, bis der König saß und der Zeremonienmeister mit seinem eisenbeschlagenen Amtsstab auf den Boden stieß. Daraufhin setzten sich wieder alle, und die Diener begannen, den Wein auszuschenken und das Essen aufzutragen.

Tal saß neben einem Baron aus der Stadt und seiner Gemahlin, mit der Kaspar sich eine Weile unterhielt. Der Baron wandte sich schließlich Tal zu, und sie stellten sich vor. Dann begann der Baron begeistert, Tals Siege aufzuzählen, als wäre Tal selbst nicht dabei gewesen.

Zu Tals Linker saß eine hübsche Frau mittleren Alters mit ihrem Mann, reiche Bürger der Stadt, die sich damit zufriedengaben, einfach am Tisch des Königs zu sitzen, und nicht auch noch unbedingt mit jemandem reden wollten. Sie senkten leicht die Köpfe und unterhielten sich im Flüsterton, während sie sich umsahen und offenbar versuchten, Leute zu entdecken, die sie vielleicht kannten und die von ihrer Platzierung am wichtigsten Tisch beeindruckt sein würden.

Während des Essens ignorierte der Herzog Tal, wenn man von einem leichten Nicken und Lächeln beim ersten Gang einmal absah. Um die Gäste zu unterhalten, waren an mehreren Stellen in der großen Halle Künstler platziert. Es gab geschickte Jongleure, Akrobaten und Taschenspieler. Ein besonders begnadeter Poet trug auf Zuruf Verse vor, schmeichelte den Damen und verspottete die Herren auf freundliche Weise. Er hatte einen trockenen Humor, und seine Reime waren gekonnt. Auf der anderen Seite des Raums sang ein Barde aus Bas-Tyra Liebeslieder und Balladen über heldenhaften Opfermut. Tal schnappte genug davon auf, um zu erkennen, dass der Mann wirklich gut war.

Ebenso wie das Essen und jeder andere Aspekt dieser Gala. Immerhin galt Roldem als Zentrum der Kultur, zumindest in diesem Teil der Welt. Mode, Literatur, Musik, all das hatte am Hof von Roldem seinen Ursprung. Tal, der weit herumgekommen war, wusste, dass sich dieser Einfluss verlor, je weiter man sich von der Insel entfernte; im Westen des Königreichs schien man sich überhaupt nicht für Mode zu interessieren, und nur in Salador und Rillanon bemühte man sich auf ähnliche Weise um Kultur wie hier.

Er sah sich im Saal um. Viele mochten eine solche Pracht vielleicht für eitel halten, aber sie wirkte durchaus großzügig und königlich. Die Frauen in ihren kunstvollen Kleidern waren wunderschön, und die Männer machten eine gute Figur – zumindest einige von ihnen.

Als sich die Mahlzeit dem Ende neigte, wandte der Hof seine Aufmerksamkeit der Mitte des königlichen Tisches zu. Niemand durfte gehen, bevor der König und seine Familie den Tisch verlassen hatten. Jene, die schon mit dem Essen fertig waren, tranken Wein oder Bier, beobachteten die in der Nähe Sitzenden oder führten leise Gespräche mit ihren Nachbarn.

Plötzlich hörte Tal Kaspar sagen: »Ihr seid also zu uns zurückgekehrt, Junker.«

Tal wandte sich dem Herzog so lässig wie möglich zu. »Für einige Zeit, Mylord.«

Kaspar nahm einen Schluck aus dem Weinkelch und fragte: »Habt Ihr diese ›Familienangelegenheit‹ regeln können, die Ihr erwähntet, als wir uns zum letzten Mal begegnet sind?«

»In der Tat, Euer Gnaden. Es dauerte nur länger, als ich erwartet hatte.«

»Ihr seid nun also frei, Euer Glück zu suchen?« Der Blick des Herzogs war trotz seines unbeschwerten Tonfalls forschend und abschätzend.

Tal lachte ein wenig gekünstelt. »Wenn man meine letzten Verluste beim Kartenspiel bedenkt, sollte ich mich damit lieber beeilen.«

Der König erhob sich, und einen Augenblick später tat Kaspar es ihm gleich. Er hatte sich schon umgedreht, um seinem Vetter zu folgen, aber er schaute noch einmal über die Schulter und sagte zu Tal: »Ich gehe im ersten Morgenlicht auf die Jagd. Trefft mich am Südtor und schließt Euch mir an. Ich werde ein Pferd für Euch bereithalten. Habt Ihr einen Bogen?«

»Ja, Mylord«, sagte Tal zu Kaspars Rücken.

Der Hofbaron neben ihm sah ihn an. »Gut für Euch, junger Falkner.«

»Herr?«

»Die Herzöge von Olasko sind seit Generationen Jäger. Es heißt, der Großvater des derzeitigen Herzogs habe einmal im Westen des Königreichs der Inseln Drachen gejagt. Es ist eine Auszeichnung, von ihm zur Jagd eingeladen zu werden.«

Tal lächelte, nickte und bemühte sich, angemessen geschmeichelt dreinzublicken. Der Baron und seine Frau verabschiedeten sich und gingen.

Tal hielt es für angebracht, einmal rund um den Saal zu gehen, dann beschloss er, sich in der Nähe des Ausgangs aufzuhalten und zu warten, bis auch ein paar andere die Veranstaltung verließen. Er wollte nicht derjenige sein, der als Erster ging, aber er wollte den Palast dennoch so schnell wie möglich verlassen.

Während er sich durch die Menge drängte, wurde er hier und da von einem Bekannten und auch mehrmals von Fremden angesprochen, die sich dem Sieger des letzten Turniers der Meister vorstellen wollten. Als er sich der Gruppe um den König näherte, staunte er darüber, wie geschickt die Diener die Menschenmenge dirigierten und dabei gleichzeitig die Königsfamilie bewachten und Naschwerk und Getränke auf Tabletts anboten – er fragte sich allerdings, wer nach einer solchen Mahlzeit noch essen oder trinken konnte.

Ohne es zu wollen, erregte Tal die Aufmerksamkeit des Königs, der ihn zu sich winkte. Tal reagierte sofort, und als er sich auf den König zubewegte, ließen die Diener ihn umgehend durch. Tal verbeugte sich. »Euer Majestät.«

König Carol lächelte. »Falkner, wie schön, Euch wieder hierzuhaben. Wäre es vielleicht möglich, demnächst eine Demonstration Eurer Fähigkeiten hier im Palast zu arrangieren?«

»Ich stehe Euer Majestät stets zu Diensten«, erwiderte Tal.

»Das ist gut. Prinz Konstantin ist im richtigen Alter, um die Schwertkunst zu erlernen. Seine Lehrer halten ihn für vielversprechend, und ich denke, die Gelegenheit, einen Experten zu beobachten, wird dem Jungen ein gutes Vorbild geben. Findet Ihr nicht auch?«

Tal konnte nicht widersprechen, und dies zu tun wäre ohnehin unhöflich gewesen. »So gut wie jedes Lernen beginnt mit Nachahmung, Majestät.«

»Richtig. Was haltet Ihr von heute in einer Woche?«

»Wann immer Ihr wünscht, Majestät.«

»Sagen wir am Vormittag. Ich bin der Ansicht, dass man am Vormittag aufgeweckter ist als am Nachmittag.« Damit wandte er sich seiner Frau zu und sagte: »Immer vorausgesetzt, dass ich überhaupt irgendwann aufgeweckt bin.«

Die Königin lächelte und tätschelte ihrem Mann den Arm. »Ihr seid ein sehr aufgeweckter Mann, Mylord … manchmal.«

Der König lachte laut, und Tal musste lächeln. König Carol von Roldem war der einzige Monarch, dem Tal auf seinen Reisen begegnet war, aber er bezweifelte, dass die anderen solche Bemerkungen über sich selbst machten.

»Soll ich einen Kontrahenten mitbringen, Majestät?« Tal wusste, dass jeder Schüler am Hof der Meister und die meisten Lehrer die Gelegenheit begrüßt hätten, an den Hof zu kommen. Wann hatte man schon eine solche Möglichkeit, sich die Gunst des Königs zu erwerben?

»Wir haben genug Schwertkämpfer im Palast, Junker«, antwortete der König. »Seid einfach nur zum vereinbarten Zeitpunkt hier.«

»Ja, Euer Majestät.« Tal verbeugte sich, da er sich entlassen wähnte.

Er bemerkte, dass sich ein paar andere Gäste verabschiedeten, und kam zu dem Schluss, dass er jetzt ebenfalls gehen konnte. Aber auf halbem Weg zur Tür hörte er eine vertraute Stimme. »Junker, einen Augenblick bitte.«

Ohne sich umzudrehen, sagte Tal: »Hauptmann, was für eine unerwartete Überraschung.«

Hauptmann Dennis Drogan kam auf Tal zu und sagte mit einem Lächeln: »Schön, Euch wiederzusehen, Junker.«

»Was führt Euch hierher?«, fragte Tal.

Dennis, ein breitschultriger Mann mittleren Alters, hatte einen beinahe vollkommen runden Kopf, trug sein Haar sehr kurz und schien sich nicht daran zu stören, dass dadurch noch mehr auffiel, dass ihm jemand das linke Ohr bei einer Rauferei in seiner Jugend halb abgebissen hatte. Seine Nase sah aus, als sei sie im Lauf der Jahre mehrmals gebrochen worden. Tal hatte schon bald erkannt, was für eine Art Mensch Drogan war: ein zäher Kämpfer, gnadenlos und gefährlich. Und dass er in der Stadt das Gesetz der Krone repräsentierte, machte ihn noch gefährlicher.

Drogan lächelte. »Mein Onkel ist immer noch Kämmerer hier im Palast, darum bin ich streng genommen ein Angehöriger des königlichen Hofes.«

»Ja, selbstverständlich, aber was führt Euch wirklich her?«

Drogan legte Tal die Hand auf die Schulter und schob ihn auf die Tür zu. »Ihr, Junker.«

»Ich?« Tal ging neben dem kleineren Mann her. »Warum?«

»Wenn Ihr in der Stadt seid, entwickeln die Leute die ärgerliche Angewohnheit, tot umzufallen. Ich dachte, ich sollte lieber gleich mit Euch sprechen, bevor sich wieder ein paar Leichen ansammeln.«

Tal versuchte nicht, den Unschuldigen zu spielen, sondern setzte eine bekümmerte Miene auf. »Dennis, Ihr und ich, wir waren nie enge Freunde, aber Ihr wisst, dass diese Personen nur deshalb gestorben sind, weil sie mein Leben bedroht haben. Was soll ich tun? Die Waffen strecken und sagen: ›Oh, wenn ich mich verteidige, wird das den Hauptmann der Stadtwache ärgern, also lasse ich mich lieber umbringen‹?«

Der Griff an Tals Schulter wurde fester. »Nein, auf keinen Fall. Wenn Euer Leben in Gefahr ist, verteidigt Euch. Ich schlage nur vor, dass Ihr in der nächsten Zeit Euer Leben nicht in Gefahr bringen solltet.«

Hin- und hergerissen zwischen Zorn und Heiterkeit sagte Tal: »Ich werde mein Bestes tun.«

»Mehr kann ich nicht verlangen.«

Tal entzog sich der fleischigen Hand des Hauptmanns und verließ den Palast.

Draußen, wo andere Gäste auf ihre Kutschen warteten, drängte sich Tal durch die Menge und verließ das Schloss durch ein Fußgängertor. Er hatte jedoch erst ein paar Schritte hügelabwärts zurückgelegt, auf einer breiten Straße, die von den Häusern reicher Leute gesäumt war, als jemand ihn einholte und dann neben ihm herging.

»Guten Abend, Tal«, sagte eine vertraute Stimme.

»Guten Abend, Quincy«, antwortete Tal, ohne sich nach dem Mann umzudrehen. Er hatte den Kaufmann aus Bas-Tyra schon unter den Gästen im Palast entdeckt.

»Schöner Abend, nicht wahr?«

Tal blieb stehen und lachte. »Mein Freund, Ihr habt mir doch bestimmt nicht vor dem Palast aufgelauert, um mit mir über das Wetter zu reden.«