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Die übernatürlichen Gefahren, die Midkemia bedrohen, scheinen nach langem Kampf besiegt zu sein. Doch noch immer ziehen Söldnertrupps plündernd und brandschatzend durch das Königreich. Zwar gelingt es Prinz Patrick, die Hauptstadt Krondor zu befreien. Doch auch damit ist der Krieg in Midkemia noch lange nicht zu Ende. Der selbst ernannte König des Bitteren Meeres, General Fadawah, sammelt seine Kräfte. Er will Krondor um jeden Preis zurückerobern …
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Seitenzahl: 843
Buch
Die übernatürlichen Gefahren, die Midkemia bedrohen, scheinen nach langem Kampf besiegt zu sein. Doch noch immer ziehen Söldnertrupps plündernd und brandschatzend durch das Königreich. Zwar gelingt es Prinz Patrick, die Hauptstadt Krondor zu befreien. Doch auch damit ist der Krieg in Midkemia noch lange nicht zu Ende. Der selbst ernannte König des Bitteren Meeres, General Fadawah, sammelt seine Kräfte. Er will Krondor um jeden Preis zurückerobern …
Autor
Raymond Feist wurde 1945 in Los Angeles geboren und lebt in San Diego im Süden Kaliforniens. Viele Jahre lang hat er Rollenspiele und Computerspiele entwickelt. Aus dieser Tätigkeit entstand auch die fantastische Welt seiner Romane: Midkemia. Die in den Achtzigerjahren begonnene Saga ist bereits ein Klassiker des Fantasy-Genres, und Feist gilt als einer der wichtigsten Vertreter der Fantasy in der Tradition Tolkiens.
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Raymond Feist
Die
Schlangenkrieg-
Saga 4
Die zersplitterte Krone
Deutsch von Andreas Helweg
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Die Originalausgabe erschien 1998 unter dem Titel »Shards of a Broken Crown (The Serpentwar Saga, Book 4)« bei Avon Books, New York.
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1. Auflage
Copyright der Originalausgabe © 1998 by Raymond Elias Feist
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2019 by Blanvalet
in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Deutsche Erstveröffentlichung © 1999 by
Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
unter den Titeln »Die zersprungene Krone« und »Der Schatten der schwarzen Königin«
Redaktion: Peter Thannisch
Umschlaggestaltung und -illustration: Isabelle Hirtz, Inkcraft
JB · Herstellung: sam
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN 978-3-641-23300-6V002
www.blanvalet.de
Prolog
Der General klopfte.
»Herein!«, rief der selbst ernannte König des Bitteren Meeres und sah von einer hastig gekritzelten Nachricht auf. Die hatte ihm Kahil, der Hauptmann seiner Spione, der noch immer vor ihm saß, gerade überbracht.
General Nordan trat ein und schüttelte sich den Schnee vom Mantel. »Ihr habt ein kaltes Land für uns ausgesucht, Majestät«, grüßte er und lächelte. Kahil nickte er lediglich knapp zu.
Fadawah, der frühere kommandierende General der Armee der Smaragdkönigin und heutige Herrscher der Stadt Ylith und des Umlandes, entgegnete: »Nun, wenigstens gibt es in diesem kalten Land genug Feuerholz und genug zu essen.« Mit einer vagen Handbewegung deutete er nach Süden. »Noch immer treffen Nachzügler ein, sogar noch aus Düstermoor, und sie zeichnen ein finsteres Bild von der Lage im Westlichen Reich.«
Nordan zeigte auf einen Stuhl neben Kahil, und der König nickte. Obwohl sie alte Kameraden waren, beachteten sie die Gesetze der Höflichkeit. Fadawah bereitete gerade seinen Frühlingsfeldzug vor. Der vormalige General trug weiterhin die rituellen Narben auf den Wangen, die er erhalten hatte, als er den Pantathianern die Treue geschworen hatte. Gelegentlich hatte er darüber nachgedacht, ob er nicht eine Hexe oder einen Heilpriester aufsuchen sollte, der diese Male entfernte, denn nachdem er festgestellt hatte, dass die Pantathianer sich genauso hatten betrügen lassen wie er selbst, hatte er ihren letzten Hohepriester getötet. So wie er die Dinge betrachtete, war er niemandem mehr zu etwas verpflichtet. Er war sein eigener Herr, und er befand sich in einem reichen Land und hatte eine Armee an seiner Seite. Kahil hatte ihm gesagt, die Narben würden einschüchternd auf die Männer wirken und Respekt hervorrufen. Bevor die Smaragdkönigin durch den Dämon vernichtet worden war, hatte der Hauptmann der Spione ihr gedient, seit dem Wechsel in der Führerschaft der Invasionsarmee jedoch hatte er sich für Fadawah als wertvoller und verlässlicher Berater erwiesen.
Den letzten Zählungen zufolge hatten dreißigtausend Mann den Weg zur südlichen Grenze der Provinz Yabon gefunden. Fadawah hatte ihnen ihre Stellungen zugeteilt, und jetzt herrschte er über das Land von Ylith bis nach Süden zu Questors Sicht, nach Norden hin bis zum Umland der Stadt Zün und in westlicher Richtung bis nach Natal, wo nun mehr seiner eigenen Männer als Verteidiger standen. Zudem hatte er Falkenhöhle erobert, zwar nur eine kleine Stadt, die ihm aber die Kontrolle über einen wichtigen Pass durch das Gebirge im Osten gab.
»Manchen der Männer gefällt der Gedanke nicht, hierzubleiben«, berichtete Nordan. Der stämmige Soldat rieb sich das bärtige Kinn und räusperte sich. »Sie reden darüber, ein Schiff zu suchen und übers Meer nach Hause zu fahren.«
»Und wohin?«, fragte Fadawah. »In ein verwüstetes Land, das von den Barbaren aus den Steppen überrannt wurde? Was ist dort an Zivilisation geblieben, außer der Festung der Zwerge im Ratn’gary-Gebirge und den wenigen Jeshandi im Norden? Haben wir auch nur eine einzige Stadt übrig gelassen? Gibt es da noch irgendetwas, das ein Überleben ermöglichen würde?« Fadawah kratzte sich am Kopf. Den größten Teil seines Schädels hatte er kahl geschoren, und lediglich eine dicke Strähne hing auf die Schultern herab. Auch dies war ein Symbol für die Hingabe an die dunklen Mächte der Smaragdkönigin gewesen. »Sagt den Männern, die solche Worte im Mund führen, falls sie im Frühjahr ein Schiff auftreiben können, stehe es ihnen frei, uns zu verlassen.« Er starrte ins Leere, als würde er in der Luft etwas erkennen können. »Ich möchte niemanden unter uns wissen, der nicht willig ist, mir zu dienen. Auf uns kommt eine schwierige Auseinandersetzung zu.«
»Das Königreich?«
»Ihr glaubt doch nicht etwa, die würden brav herumsitzen und nicht den Versuch unternehmen, sich ihr Land zurückzuholen, oder?«
»Nein«, antwortete Nordan, »aber die Kämpfe in Krondor und Düstermoor haben ihnen arg zugesetzt. Wie die Gefangenen uns berichten, vermögen sie nicht mehr viele Truppen ins Feld zu schicken.«
»Solange sie nicht die Armee des Ostens herbeiholen, stimmt das«, erwiderte Fadawah. »Sollten sie das allerdings tun, müssen wir vorbereitet sein.«
»Nun«, stellte Nordan fest, »bis zum Frühjahr werden wir das nicht erfahren.«
»Bis dahin bleiben nur noch drei Monate. Die müssen wir nutzen.«
»Habt Ihr schon einen Plan?«
»Wie immer«, antwortete der listige alte General. »Wenn es möglich ist, möchte ich einen Zweifrontenkrieg vermeiden. Denn falls ich mich dumm anstelle, könnten wir sogar auf vier Fronten kämpfen müssen.« Er deutete auf eine Karte, die an der Wand des Zimmers hing. Gegenwärtig hielten sie sich im Landhaus des Grafen von Ylith auf, der allen Berichten zufolge – wie auch der Herzog von Yabon und der Graf von LaMut – den Tod gefunden hatte. »Wenn unsere Informationen stimmen, haben wir es in LaMut mit einem Kind zu tun.« Er rieb sich das Kinn. »Die Stadt müssen wir einnehmen, sobald das Tauwetter einsetzt, und Yabon möchte ich bis zum Mittsommer in unserer Hand wissen.« Er lächelte. »Sendet eine Nachricht an den Anführer in Natal …« Nun wandte er sich an Kahil. »Welchen Titel trägt der noch?«
»Erster Berater«, half ihm sein Hauptmann der Spione aus.
»Lasst dem Ersten Berater unseren Dank für seine Gastfreundschaft überbringen – und für die Unterkünfte, die er unseren Männern in diesem Winter zur Verfügung gestellt hat. Schickt ihm etwas Gold. Tausend Münzen sollten genügen.«
»Tausend?«, vergewisserte sich Nordan.
»Wir haben ausreichend. Und wir werden bald mehr bekommen. Dann zieht unsere Truppen ab, und führt sie hierher.« Er blickte seinen alten Freund an. »Auf diese Weise wird uns wenigstens der Erste Berater freundlich gesonnen sein, bis wir nach Natal marschieren und die Stadt erobern.« Er zeigte erneut auf die Karte. »Bis zu dem Zeitpunkt sollen Duko und seine Männer in Krondor sein.«
Neugierig zog Nordan die Augenbrauen hoch.
»Duko beunruhigt mich«, fügte Fadawah hinzu. »Er ist ausgesprochen ehrgeizig.« Stirnrunzelnd fuhr er fort: »Nur durch Zufall haben uns die Pantathianer zu ihrem Ersten und Zweiten Feldherrn ernannt, sonst würden wir jetzt Befehle von Duko entgegennehmen.«
Nordan nickte. »Dennoch ist er ein guter Anführer, und bisher hat er stets ohne Widerspruch jeden Befehl akzeptiert.«
»Das ist wahr, und genau aus diesem Grund will ich ihn an der Front wissen. Und Ihr werdet hinter ihm Aufstellung nehmen, in Sarth.«
»Aber warum Krondor?« Nordan schüttelte den Kopf. »Dort gibt es nichts mehr, um das es sich zu kämpfen lohnte.«
»Das wird sich bald ändern. Es ist ihre Hauptstadt des Westens, die Stadt ihres Prinzen, und sie werden sich dort wieder einfinden, sobald sie Gelegenheit dazu haben.« Fadawah nickte vor sich hin. »Wenn Duko sie hinhalten kann, bis wir ganz Yabon in unsere Hand gebracht haben, können wir uns in Ruhe den Freien Städten und der Fernen Küste zuwenden.« Sein Finger zeigte dabei auf die Westküste des Königreichs und fuhr dann in den Osten. »Wir erobern Krondor zurück und ziehen bis zur alten Frontlinie vor. Wie hieß der Ort gleich?«
»Albtraumgebirge.«
»Sehr passend gewählter Name.« Fadawah seufzte. »Ich bin kein gieriger Mann. Für mein Reich genügt mir das Bittere Meer. Mag das Königreich der Inseln ruhig Düstermoor und die Länder im Osten behalten.« Er grinste. »Vorläufig.«
»Aber zuerst müssen wir Krondor wieder einnehmen.«
»Nein, wir machen sie glauben, wir wollten Krondor zurück. Diese Adligen des Königreichs sind nicht dumm und vor allem nicht so selbstverliebt wie die unserer Heimat.« Zu gut erinnerte er sich an den Schock, der sich auf dem Gesicht des Priesterkönigs von Lanada gezeigt hatte, als Fadawah seinem Befehl, die Stadt zu verlassen, nicht Folge geleistet hatte. »Diese Kerle sind klug und dazu pflichtbewusst. Sie werden sich auf uns stürzen, und zwar mit ganzer Macht. Darauf müssen wir gefasst sein. Nein, sollen sie denken, es ginge um Krondor, und wenn sie bemerken, dass wir Yabon fest im Griff haben, werden sie vielleicht verhandeln, vielleicht auch nicht. Doch egal, dann werden wir Yabon beherrschen, und niemand kann uns mehr vertreiben. Und Duko soll bestraft werden, damit er nicht zu ehrgeizig wird.«
Nordan erhob sich. »Mit Eurer Erlaubnis werde ich jetzt jenen Männern, die uns im Frühjahr verlassen wollen, Eure Entscheidung mitteilen.«
Fadawah gewährte sie ihm mit einer knappen Handbewegung.
»Majestät«, grüßte Nordan und ließ den König mit Kahil allein.
Daraufhin wandte sich Fadawah an den Hauptmann der Spione. »Wartet noch kurz und folgt Nordan dann, um zu sehen, mit wem er spricht. Merkt Euch die Anführer der Abtrünnigen. Ehe das Tauwetter anbricht, möchte ich, dass den betreffenden Männern ein Unglück zustößt, damit wir ein für alle Mal Ruhe vor diesem Geschwätz von einer Rückkehr nach Novindus haben.«
»Natürlich, Majestät«, antwortete Kahil. »Und ich möchte Euch meine Bewunderung für diesen schlauen Zug aussprechen, Nordan nach Sarth zu schicken.«
»Schlauer Zug?«
Kahil beugte sich vor und flüsterte: »Setzt Eure untreuen Kommandanten im Süden ein. Wenn der Feind seinen Preis für unsere Eroberungen fordert, sollen ihn jene bezahlen, die wir am besten entbehren können.«
Fadawahs Blick ging abermals ins Leere, als würde er auf eine Stimme aus weiter Ferne lauschen. »Ja, das klingt weise.«
»Ihr müsst Euch mit jenen umgeben, denen Ihr vertrauen könnt, die Euch ohne jeden Zweifel loyal ergeben sind. Dazu müsst Ihr den Unsterblichen wieder Rang und Namen verleihen.«
»Nein!«, fuhr der König auf. »Diese Wahnsinnigen dienen dunklen Mächten und …«
Kahil unterbrach ihn. »Nicht dunklen Mächten, sondern unermesslichen. Mächten, die Euch nicht nur die Herrschaft in Yabon, sondern auch die in Krondor sichern können.«
»Krondor?«, fragte Fadawah.
Kahil erhob sich, verließ den Raum und schloss die Tür hinter sich. Ein schwaches Lächeln umspielte seine Lippen, ehe er sich seiner nächsten Aufgabe widmete: Nordan zu verfolgen und jene Männer für den Tod auszuwählen, die nur das geringste Anzeichen von Untreue an den Tag legten.
Fadawah sah die beiden Soldaten in seinem Zimmer an und ließ sie abtreten. Die Narben auf ihren Gesichtern erinnerten ihn an die düstere, ferne Zeit, in der er der Magie der Smaragdkönigin unterworfen gewesen war, und an die verlorenen Monate, in denen der Dämon die Armee geführt hatte. Das Gefühl, benutzt worden zu sein, war ihm zuwider, und er würde jeden töten, der es abermals versuchte.
Damit trat er an die Wandkarte und widmete sich den Plänen für den Feldzug im Frühjahr.
Winter
Dash wartete. Die eisige Kälte ließ seine Augen tränen, während er den Blick nicht von der Straße wandte. Der Wiederaufbau von Düstermoor gestaltete sich langwierig, da Schnee und Regen die Arbeiten behinderten, und der Winter zeigte sich zudem von seiner unberechenbaren Seite. Wenn nicht gerade Eis für die Handwerker, die mit der Erneuerung der Mauern beschäftigt waren, jeden Schritt zu einem Risiko machte, dann blieben die Wagen mit den dringend benötigten Baumaterialien im knietiefen Schlamm stecken.
Es war wieder kalt geworden, aber Dash begrüßte es, dass wenigstens kein Schnee fiel. Der Himmel war klar, und die Nachmittagssonne spiegelte eine Wärme vor, die nicht zu spüren war. Dash wusste, dass dies nicht nur am Wetter lag, sondern auch an seiner Stimmung, denn dieser Winter hatte länger gedauert als jeder andere in seinem jungen Leben.
Der Lärm der Stadt wurde durch die stille, frostige Luft herangetragen, während der Tag seinem Ende zuging. Mit ein bisschen Glück würde das neue Tor noch vor Sonnenuntergang fertig sein, und damit wäre die Stadt auch wieder ein wenig sicherer.
Er war müde, so erschöpft, wie er es in seinen zwanzig Jahren noch nie gewesen war. Zum Teil musste er dies der scheinbar endlosen Liste von Aufgaben zuschreiben, die erledigt sein wollten, und dazu gesellte sich Sorge, denn sein Bruder Jimmy war überfällig.
Jimmy spielte zurzeit die Rolle eines Kundschafters hinter den feindlichen Linien. Prinz Patrick von Krondor hatte sich entschlossen, im Frühjahr rasch und mit ganzer Härte gegen die Bedrohung durch die keshianischen Streitkräfte vorzugehen, die an der Südflanke des Königreichs einmarschiert waren. Damit würde die Wiedereroberung jener Gebiete, die während der Invasion im vergangenen Sommer verloren gegangen waren, Owen Greylock, dem Feldmarschall von Krondor, Erik von Düstermoor, Hauptmann der Blutroten Adler, sowie einer kleinen Zahl auserlesener Männer zufallen.
Aus diesem Grund musste der Prinz erfahren, auf welche Weise der Feind zwischen Düstermoor und Krondor agierte. Und Jimmy hatte sich für diese Aufgabe freiwillig gemeldet.
Inzwischen hätte er seit drei Tagen zurück sein sollen.
Also hatte sich Dash zum Rand des bewachten Gebiets begeben, einer Reihe niedergebrannter Mauern am Westende von Düstermoor. Die Armee des Prinzen sorgte im Umkreis eines Tagesritts um die Stadt für eine gewisse Sicherheit, diese Mauerruinen und Schutthaufen boten allerdings reichlich Gelegenheit für einen Hinterhalt, und hier hatte mehr als eine Bande von Plünderern und Ausgestoßenen Zuflucht gefunden.
Er suchte den Horizont nach seinem Bruder ab. Aus dem winterlichen Wald vor ihm war nur selten ein Laut zu hören. Gelegentlich vernahm Dash ein dumpfes Rauschen, wenn Schnee von den Bäumen rutschte, oder ein lautes Knacken, wo einige Meilen entfernt das Eis zu schmelzen begann. Ein Vogel rief, und manchmal raschelte ein Tier im Gebüsch. In der kalten Luft trugen die Geräusche über Meilen hinweg.
Schließlich drang noch etwas aus weiter Ferne an sein Ohr. Es handelte sich leider nicht um den erhofften Hufschlag. Stattdessen knirschte es, als würde jemand über eine verharschte Schneeschicht laufen. Wer immer dieses Geräusch verursachte, er kam gleichmäßigen, gelassenen Schritts und ohne Eile auf ihn zu.
Dash schloss die Finger, die in Handschuhen steckten, zur Faust, öffnete sie wieder und zog das Schwert. Wenn der Krieg ihn etwas gelehrt hatte, dann, stets auf der Hut zu sein. Außerhalb der Festungsmauern der Stadt Düstermoor gab es keine wirklich sicheren Gebiete.
In einiger Distanz bemerkte er eine Bewegung und sah genauer hin. Eine einsame Gestalt marschierte die Straße entlang. Der Mann ging zunächst langsam, aber während Dash ihn beobachtete, beschleunigte er zu einem leichten Trab. Dann nahm er wieder hundert Schritt langsam und erneut hundert schneller, so wie es Dash und sein Bruder in der Kindheit von ihren Waffenmeistern gelernt hatten. Ein Mann ohne Reittier konnte auf diese Weise an einem Tag fast die gleiche Strecke wie ein Pferd zurücklegen, über Wochen hinweg kam er vielleicht sogar weiter.
Dash ließ ihn nicht mehr aus den Augen. Wie bald zu erkennen war, trug der Mann einen schweren grauen Mantel. Im Dämmerlicht des Winters konnte man ihn wegen der Farbe aus der Ferne leicht übersehen. An hellen Tagen, wenn der Himmel heiter war, konnte man den Träger jedoch leicht entdecken.
Während sich der Mann näherte, bemerkte Dash, dass er keinen Hut trug, sondern den Kopf mit einer Schärpe oder einem Fetzen von einem anderen Kleidungsstück umwickelt hatte. An der Seite baumelte ein Schwert. Seine Handschuhe waren aus zwei verschiedenen Paaren zusammengestellt. Die Stiefel waren mit Schlamm und Eis überzogen.
Das Knirschen unter seinen Füßen wurde lauter und lauter, und schließlich hatte der Wanderer Dash erreicht. Er hielt direkt vor dem jungen Wartenden an. »Du stehst mir im Weg.«
Daraufhin drängte Dash sein Pferd zur Seite und drehte es in Richtung Düstermoor. Er steckte das Schwert in die Scheide und ließ das Tier neben dem Mann gehen. »Hast du dein Pferd verloren?«, fragte er.
Jimmy, Dashs Bruder, deutete mit dem Daumen über die Schulter. »Weit hinter mir.«
»Ganz schön unvorsichtig«, erwiderte der jüngere Bruder. »Außerdem war das Tier nicht ganz billig.«
»Das weiß ich auch. Bloß wollte ich es nicht unbedingt tragen. Es war tot.«
»Zu schade. War wirklich ein gutes Tier.«
»Du vermisst es mit Gewissheit nicht halb so sehr wie ich«, erwiderte Jimmy.
»Möchtest du ein bisschen reiten?«, fragte Dash.
Jimmy blieb stehen, drehte sich um und blickte seinen Bruder an. Die beiden Söhne von Lord Arutha, Herzog von Krondor, ähnelten sich nicht. James kam nach seiner Großmutter, schlank, blond und mit gewinnenden Gesichtszügen, die man nicht anders als feingeschnitten und vornehm bezeichnen konnte. Dash hingegen erinnerte eher an seinen Großvater, der die gleichen lockigen braunen Haare, die gleichen dunklen Augen und die gleiche spöttische Miene gehabt hatte. Doch was den Charakter betraf, waren die zwei wie Zwillinge. »Wurde auch Zeit, dass du mir das anbietest«, beschwerte sich Jimmy und hielt Dash die Hand hin.
Er schwang sich hinter seinen Bruder, und gemächlich ritten die beiden auf die Stadt zu. »Wie schlimm war es?«, fragte Dash.
»Schlimmer.«
»Schlimmer, als wir angenommen haben?«
»Schlimmer als alles, was du dir vorstellen kannst.«
Daraufhin sagte Dash nichts mehr, weil er wusste, dass sein Bruder dem Prinzen sofort nach ihrer Ankunft Bericht erstatten würde, und dann erfuhr auch er die Einzelheiten.
Jimmy nahm den heißen Becher mit Kaffee, in den er Honig und Sahne rührte, und nickte zum Dank. Der Diener eilte hinaus und schloss die Tür hinter sich.
Der Sohn des Herzogs saß im privaten Arbeitszimmer des Prinzen, der ebenso wie Feldmarschall Owen Greylock, Herzog Arutha und Erik von Düstermoor auf seinen Bericht wartete.
Patrick, Prinz von Krondor und Herrscher des Westlichen Reiches des Königreichs der Inseln, erkundigte sich: »Nun denn. Was habt Ihr herausgefunden?«
Zunächst nippte Jimmy an seinem heißen Kaffee, bevor er verkündete: »Die Sache stellt sich viel schlimmer dar, als wir befürchtet hatten.«
Patrick hatte fünf Männer in den Westen nach Krondor, seiner Hauptstadt, geschickt, und von denen waren bislang nur drei zurückgekehrt. Das Bild, das sie ihm vermittelt hatten, musste man als äußerst düster bezeichnen. »Fahrt fort.«
Jimmy stellte den Becher auf dem Tisch ab und zog sich den schweren Mantel aus, während er erzählte. »Ich habe es bis Krondor geschafft. Das war zwar nicht ganz einfach, aber die meisten Soldaten zwischen hier und der Stadt sind Banditen. Nach zwei Monaten Schnee und Regen haben sie sich verkrochen, hocken um ihre Feuer und wollen nur noch überleben.«
»Und Krondor?«, fragte Patrick.
»So gut wie verlassen. Ich bin auf ein paar Menschen gestoßen, aber keiner wollte sich mit mir unterhalten, und, offen gesagt, war ich selbst auch nicht gerade auf Gespräche versessen. Die meisten, die ich beobachtet habe, waren Soldaten, die im Schutt nach allem stöbern, was zu gebrauchen ist.« Jimmy richtete sich müde auf. Erneut trank er einen Schluck Kaffee. »Obwohl ich nicht recht weiß, was sie dort noch zu finden hoffen.«
Er sah Patrick an. »Hoheit, den Anblick, den Krondor bietet, hätte ich mir in meinen schlimmsten Albträumen nicht vorstellen können. Jeder Stein ist vom Feuer geschwärzt, kein Stück Holz wurde nicht verkohlt. In der Luft liegt der Geruch von Asche, und dabei sind die Brände schon vor Monaten erloschen. Regen und Schnee müssen die Stadt erst reinwaschen. Der Palast …«
»Was ist mit dem Palast?«, wollte Patrick beunruhigt wissen.
»Verschwunden. Die Außenmauern stehen, aber mit großen Löchern. Vom Inneren ist lediglich ein Schutthaufen geblieben. Das Feuer war so heiß, dass selbst die dicksten Balken verbrannt und einige der Innenwände eingestürzt sind. Allein der alte Bergfried steht noch, wenn man den Ausdruck ›stehen‹ großzügig auslegt. Er ist eine verkohlte Steinhülle. Ich bin die Steinstufen hinaufgestiegen – kein Stück Holz hat die Katastrophe unversehrt überstanden – bis zum Dach. Von dort aus konnte ich die gesamte Stadt und das Gebiet im Norden und Westen überblicken. Im Hafen liegt eine Flotte gesunkener Schiffe, deren verbrannte Masten vor sich hin rotten. Die Anleger sind verschwunden. Die Straßen am Hafen sind eingeebnet. Die Gebäude im Westviertel sind alle entweder ausgebrannt oder eingestürzt, da das Feuer dort am schlimmsten gewütet hat.«
Arutha, Herzog von Krondor, nickte. Sein Vater, Lord James, sein Vorgänger in diesem Amt, hatte die Stadt in Brand gesetzt, um die Invasoren in den Flammen einzuschließen. Bei diesem Unternehmen hatte er mitsamt seiner Frau den Tod gefunden. Wie Arutha wusste, war über die Abwasserkanäle unter der Stadt queganisches Feueröl dorthin geleitet worden, wo es am zerstörerischsten eingesetzt werden konnte: zuerst im Hafenviertel, dann in dem Straßenlabyrinth, in dem die Ärmsten der Stadt gewohnt hatten, und schließlich im Händlerviertel.
»Das mittlere Drittel der Stadt ist übel beschädigt, doch es gibt in jeder Straße ein oder zwei Gebäude, die vielleicht zu retten sind. Den Rest muss man zunächst abbrechen, bevor der Wiederaufbau beginnen kann. Das östliche Viertel hat ebenfalls sehr gelitten, doch hier können die meisten Gebäude wieder instand gesetzt werden.«
»Was ist mit den Anwesen vor der Stadt?«, fragte Erik und dachte dabei an das große Haus seines Freundes Rupert, das einen Tagesritt östlich von Krondor lag.
»Viele von ihnen sind niedergebrannt«, antwortete Jimmy, »andere wurden geplündert und leer zurückgelassen. Einige dienen als Quartiere, wie es schien, für Kompanien der Invasoren, aber ich habe mich nicht nah genug herangewagt, um dies mit Bestimmtheit behaupten zu können.« Erneut nippte er an seinem Kaffee. »Ich wollte gerade aufbrechen, da wurde es interessant.«
Patrick und Arutha blickten ihn erwartungsvoll an.
Jimmy trank jedoch erst einen Schluck Kaffee, ehe er fortfuhr: »Ein Trupp von wenigstens hundert Mann ritt an meinem Lager vorbei, an dem kleinen Gasthaus an der Weberstraße. Das Haus steht auf einem kleinen Hügel, und das Dach war heil, was mir sehr entgegenkam, und vor allem hat man von dort einen ungehinderten Blick über die Hohe Straße und die Palaststraße, außerdem auf mehrere Nebenstraßen, die zum Nordtor führen.«
»Und die Männer?«, drängte ihn Owen Greylock.
»Wenn ich die Abzeichen dieser Söldnerkompanien richtig erkannt habe, befindet sich General Duko auf dem Weg nach Krondor. Möglicherweise ist er bereits dort eingetroffen.«
Erik fluchte. Dann sah er Patrick an und bat: »Entschuldigt, Hoheit.«
»Ich verstehe«, sagte Patrick. »Den Berichten zufolge muss es sich bei Duko um einen ernst zu nehmenden Gegner handeln.«
»Mehr noch«, führte Erik aus. »Der Mann hat unsere nördliche Flanke entlang des Albtraumgebirges ständig unter Druck gesetzt, ohne dabei Soldaten zu verschwenden. Was seine Kenntnisse der Strategie anbelangt, so kann man ihn von allen Offizieren der Invasoren am ehesten mit einem königlichen General vergleichen.«
Owen nickte. »Wenn er in Krondor ist und Befehl hat, die Stadt zu halten, ist unsere Aufgabe gerade wesentlich schwerer geworden.«
Patrick wirkte weiterhin beunruhigt, schwieg jedoch für einen Moment. Schließlich fragte er: »Warum sollten sie in großer Zahl nach Krondor marschieren? Dort ist nichts übrig geblieben, und sie brauchen ihre Südflanke nicht zu schützen. Haben sie etwa von unserem neuen Stützpunkt in Port Vykor erfahren?«
»Vielleicht«, antwortete Owen. »Andererseits wollen sie unter Umständen nur verhindern, dass wir Krondor als vorgeschobenen Stützpunkt nutzen.«
Plötzlich schien Jimmy müde und besorgt. Nach abermaligem langem Schweigen stellte der Prinz fest: »Wir müssen mehr über die Lage in Erfahrung bringen.«
Die Brüder wechselten einen Blick, denn beiden war klar, was das bedeutete: Wahrscheinlich würden sie losgeschickt werden, um die benötigten Informationen zu sammeln.
Patrick fragte James: »Wie lange seid Ihr geblieben?«
»So lange, bis sie anfingen, das Gebiet abzusichern. Dann bin ich zum Osttor aufgebrochen, bevor sie mich erwischten. Zwar habe ich es unbehelligt aus der Stadt geschafft, doch zwischen Krondor und Ravensburg bin ich auf eine Patrouille gestoßen. Der bin ich ebenfalls entkommen, dabei habe ich allerdings mein Pferd eingebüßt.«
Patrick fuhr auf: »Patrouille? So weit im Osten?«
Owen nickte. »Erik?«
Die Miene des Hauptmanns verriet, wie sehr auch ihn diese Nachricht bestürzte. »Wir haben von Flüchtlingen Berichte erhalten, denen zufolge General Fadawah nach Süden ziehen könnte – oder zumindest dort Flagge zeigt. Falls Duko in Krondor sitzt, stimmen diese Gerüchte. Wenn sie jedoch ihre Patrouillen so weit in den Osten schicken, bereiten sie sich offensichtlich darauf vor, uns ein herzliches Willkommen zu bereiten, sollten wir uns auf den Marsch nach Hause begeben.«
»Dort draußen herrscht eine eisige Hölle«, wandte Patrick ein. »Was hat er vor?«
»Wenn wir das wüssten«, antwortete Dash trocken, »bräuchten wir nicht durch die Kälte zu schleichen.«
Owen lächelte. Herzog Arutha versuchte seine Belustigung zu verbergen, was ihm nicht gelang.
»Natürlich.« Patrick ging stillschweigend über den Bruch des Protokolls hinweg. Im Laufe des Winters hatten sich innerhalb der Gruppe freundschaftliche Beziehungen gebildet, soweit sie nicht schon bestanden hatten, da man gezwungen war, auf engem Raum miteinander zu leben.
Die Invasoren waren in der Schlacht am Albtraumgebirge geschlagen worden, doch die Zerstörung, die das Westliche Reich des Königreichs der Inseln hatte hinnehmen müssen, vermochte man sich kaum vorzustellen. Während sich der Frühling näherte und die Truppen wieder an Beweglichkeit gewannen, versuchte Patrick verzweifelt, sich ein Bild von den Schäden zu machen.
Er wandte sich an Greylock. »Wie bald seid Ihr in der Lage loszumarschieren?«
»Hoheit?«, fragte Owen.
»Wann werdet Ihr aufbrechen, um die Stadt zurückzuerobern?«
»Innerhalb einer Woche können die Männer marschbereit sein. Zwar stehen noch einige Abteilungen am Albtraumgebirge und in der Nähe des Tals der Träume, aber die meisten davon können wir heranziehen. Allerdings brauchen wir meiner Meinung nach weitere Informationen, damit wir wissen, was für einer Streitmacht wir gegenübertreten.«
Patrick lehnte sich zurück. »Ich hatte auf umfassendere Nachrichten gehofft.«
Jimmy warf seinem Vater einen Blick zu. Der schüttelte leicht den Kopf und warnte ihn so vor einer vorlauten Erwiderung. Dash teilte seinem Bruder durch ein Stirnrunzeln mit, dass das, was der Prinz gerade gesagt hatte, ausgesprochen gedankenlos war.
»Wir haben eine massive Front im Süden gegen uns«, sagte Patrick, »und die Haupteinheiten der Armee des Ostens warten darauf, dass Kesh einen Vormarsch wagt, um dann einzuschreiten, doch uns bleiben nicht viele Kräfte, um das Westliche Reich wiederzuerobern.«
Jimmy schwieg.
Schließlich bemerkte der Prinz Jimmys Gebaren, nickte und winkte mit der Hand. »Ihr seid entlassen. Genehmigt Euch ein Bad und frische Kleidung. Wir werden die Besprechung nach dem Abendessen fortsetzen.«
Der Sohn des Herzogs ging hinaus, und sein Vater wie sein Bruder folgten ihm. Vor der Tür blieben sie stehen. »Ich muss gleich wieder rein«, entschuldigte sich Arutha, »aber ich wollte wissen, ob es dir gut geht.«
»Alles bestens«, antwortete Jimmy und lächelte, weil er sich über die Zuwendung seines Vaters freute. Seit dem Tod der Großeltern hatte sich auf dem Gesicht seines Vaters ein erschöpfter, ausgezehrter Zug breitgemacht, der von zu vielen Sorgen und zu wenig Schlaf herrührte. »Nur meine Zehen sind ein bisschen kalt.«
Arutha nickte und klopfte seinem Sohn auf die Schulter. »Iss etwas und ruh dich aus. Diese Angelegenheit ist noch nicht vorüber, und während Patrick bereit ist, auf den Feind loszustürmen, brauchen wir eigentlich viel mehr Informationen.« Er öffnete die Tür und kehrte zum Rat des Prinzen zurück.
»Ich begleite dich in die Küche«, bot Dash an.
»Schön.«
Die beiden Brüder schlenderten den langen Gang hinunter.
Erik betrat die Küche. Quer durch den großen Raum winkte er Milo zu.
Der Gastwirt aus seiner Heimatstadt Ravensburg hatte hier in der Burgküche Arbeit gefunden und ebenso seine Frau, damit sie sich stets in der Nähe ihrer Tochter Rosalyn aufhalten konnten, der Mutter des nächsten Barons von Düstermoor. Rosalyn und Rudolph, der Bäcker, lebten in der Burg, wo sie den kleinen Baron aufzogen.
Eriks Mutter wohnte in einem der Häuser nahe der Burg. Die lange Geschichte der Feindseligkeiten zwischen ihr und der Baronin hatte es ratsam erscheinen lassen, ein wenig Abstand zwischen die beiden Frauen zu bringen. Die Baronin hatte sich jahrelang durch Friedas Behauptungen gedemütigt gefühlt, dass Erik der illegitime Sohn des alten Barons Otto war.
Eriks Stiefvater Nathan arbeitete in der Schmiede des Barons und stellte Waffen und andere Eisenwaren für den bevorstehenden Feldzug her. Zuweilen war die Situation wegen dieser komplizierten gesellschaftlichen Verhältnisse ein wenig unangenehm. Dennoch genoss es Erik, seine Familie in der Nähe zu haben.
»Geht es dir gut?«, fragte er Jimmy.
»Bin nur ein wenig müde. Einmal hätte es mich fast erwischt, aber das war keine große Affäre. Ich habe nur mein Pferd verloren und musste mich eine Weile vor einer Patrouille verstecken, und dabei habe ich unter einem Baumstamm verdammt lange gefroren. Glücklicherweise schneite es, daher konnten sie meine Spuren nicht verfolgen, nachdem ich ein paar Felsen überquert hatte, doch als sie endlich verschwunden waren, konnte ich mich kaum noch rühren.«
»Erfrierungen?«, fragte Erik.
»Weiß nicht«, erwiderte Jimmy. »Ich habe mir die Stiefel noch nicht ausgezogen. Meinen Fingern geht es gut.« Er bewegte sie.
»Wir haben einen Heilpriester hier. Der Tempel von Dala in Rillanon hat ihn geschickt, damit er den Prinzen beraten soll.«
Dash grinste. »Du meinst, der König hat ihn gezwungen hierherzukommen, damit er Patrick behandeln kann, falls der verwundet wird.«
»So in etwa«, räumte Erik ein und erwiderte das Lächeln. »Er soll sich deine Füße mal ansehen. Wäre doch nicht schön, wenn du in Zukunft ohne Zehen laufen müsstest.«
Jimmy kaute und schluckte. »Warum schleicht sich mir der Verdacht auf, dich würde meine Gesundheit lediglich deshalb interessieren, Hauptmann, weil ich sonst nicht zum Dienst antreten kann?«
Erik zuckte theatralisch mit den Schultern. »Weil du durchaus verstehst, wie der Hase am Hofe läuft.«
Plötzlich wirkte Jimmy sehr müde. »Wie bald?«
Eriks Miene strahlte Mitgefühl aus. »Ende der Woche. In drei oder vier Tagen.«
Jimmy nickte und erhob sich. »Dann sollte ich besser gleich den Priester aufsuchen.«
»Er hat sein Zimmer in dem Gang, an dem auch die Gemächer des Prinzen liegen, gleich neben meinem. Sein Name ist Herbert. Sag ihm aber, wer du bist. Du siehst aus wie ein Lumpensammler.«
Dash blickte seinem Bruder hinterher. »Während seine Füße auftauten, konnte er kaum noch laufen. Ich glaube, dieser Priester wird sich eine goldene Nase verdienen.«
Erik nahm einen Becher Kaffee von Milo entgegen, bedankte sich und wandte sich wieder Dash zu. »Hat er bereits. Er hat zwanzig meiner Männer behandelt, die ohne seine Hilfe noch längst nicht wieder auf den Beinen wären. Von Nakors Männern ganz zu schweigen.«
»Wo treibt sich dieser hagere Verrückte eigentlich herum?«, erkundigte sich Dash. »Seit einer Woche habe ich ihn nicht mehr gesehen.«
»Er hat die Stadt verlassen und sucht nach neuen Anhängern für seinen Glauben.«
»Und wie geht die Berufung der Gesegneten voran, die das Wort des Guten verbreiten sollen?«
Erik lachte. »Inmitten dieses Winters, nachdem Krieg und Hunger dem Volk so hart zugesetzt haben, fällt es selbst Nakor nicht leicht, die Menschen von der Sache des Guten zu überzeugen.«
»Hat er denn jemanden gewonnen?«
»Ein paar. Darunter sind vielleicht zwei ernst zu nehmende Jünger, die anderen sind lediglich auf eine warme Mahlzeit aus.«
Dash nickte. »Diese nächste Mission, die ansteht, könnte ich die nicht erledigen? Jimmy benötigt etwas Ruhe.«
»Die könnten wir alle gebrauchen«, erwiderte Erik und schüttelte den Kopf. »Auch dir wird nichts erspart bleiben, mein Freund, denn wir werden alle gehen.«
»Wohin?«
»Nach Krondor. Patrick kann hier nicht auf ewig bleiben. Und falls sich das, was dein Bruder erkundet hat, mit den anderen Berichten deckt, werden Fadawahs Truppen in Krondor nur umso stärker, je später wir dort eintreffen. Wir müssen sie so bald wie möglich mit jedem verfügbaren Soldaten angreifen. Da Kesh die Südgrenze bedroht, weigert sich Patrick, die Armeen des Ostens abzuziehen. Nun, trotzdem hat der König ein paar Truppenteile bereits zurückverlangt. Scheinbar werden die östlichen Nachbarn aufsässig, da weder eine Armee noch eine Flotte sie im Zaum hält. Daher hat Patrick es eilig, Krondor wieder einzunehmen, bevor König Borric weitere Soldaten nach Hause in den Osten abkommandiert.«
»Also, wie viele von uns werden nach Krondor marschieren?«, fragte Dash.
»Die Adler«, antwortete Erik und benannte damit das Spezialkommando von Soldaten, die von Dashs und Jimmys Großvater Lord James, Aruthas Vorgänger im Amt des Herzogs von Krondor, rekrutiert worden waren. »Dazu haben wir einige Hilfstruppen, Dugas Mannschaft«, dieser frühere Söldner war während der Invasion auf die Seite des Königreichs übergetreten, »und wir werden auch Hauptmann Subais Späher mitnehmen.«
»Mehr nicht?«, fuhr Dash auf.
»Für den Anfang nicht«, beschwichtigte ihn Erik. »Wir wollen das Fürstentum schließlich nicht gleich in der ersten Woche vollständig zurückerobern.« Er nippte an seinem Kaffee. »Zunächst brauchen wir nur einen Stützpunkt, den wir halten können und von dem aus wir Krondor sichern.«
»Klingt ja kinderleicht«, meinte Dash ironisch. »Wenn dort nicht gerade eine andere Armee herumlungern würde.« Er betrachtete Eriks Gesicht. »Da geht doch etwas vor sich. Warum hat Patrick solche Eile, die Stadt wieder in die Hand zu bekommen? Ich kann mir ein Dutzend Orte vorstellen, die eine bessere Ausgangsposition bieten würden, um den Westen zu erobern, solange ich Krondor außen vor ließe. Wir könnten die Stadt vom Nachschub abschneiden und diejenigen, die sich dort aufhalten, aushungern und unser Lager im Osten aufschlagen.«
»Ich weiß«, gestand Erik ein, »aber zum Teil hat das wohl mit seinem Stolz zu tun. Es ist seine Stadt, die Hauptstadt seines Reiches. Er war erst kurze Zeit Prinz, bevor wir sie verloren haben. Und er trat die Nachfolge eines Mannes an, der in diesem Amt zur Legende geworden ist.«
Dash nickte. »Während wir in Rillanon aufgewachsen sind, haben wir Prinz Arutha ein paarmal getroffen. Als ich alt genug war, um seine Vorzüge schätzen zu können, hatte er schon ein hohes Alter erreicht. Dennoch hat mich beeindruckt, was mein Vater und die anderen über ihn erzählt haben.« Er blickte Erik kurz an und fuhr dann fort: »Glaubst du, Patrick ist der Meinung, Arutha hätte die Stadt irgendwie halten können?«
»Womöglich«, antwortete Erik. »Verletzter Stolz ist hingegen nicht alles. Es geht auch um strategische Gesichtspunkte. Der Hafen wird über Jahre hinweg nicht benutzt werden können. Falls wir all die Arbeitskräfte und die Ausrüstung wie vor dem Krieg hätten, all die Handwerker und die wenigen Magier, die uns geholfen haben, würde es trotzdem ein ganzes Jahr dauern, bis der Hafen geräumt wäre. So wie es jetzt aussieht, habe ich keine Ahnung, wann Krondor wieder zu dem Schifffahrtsknotenpunkt werden wird, der es einst war. Aber südlich der Stadt haben wir in der Shandonbucht diesen neuen Hafen, Port Vykor, und damit der uns von Nutzen sein kann, muss die Handelsstraße zwischen dort und dem Westen frei sein. Deshalb spielt Krondor eine so große Rolle. Die Stadt selbst brauchen wir nicht, doch wir können Fadawah nicht an einem Ort lassen, von dem er uns jederzeit attackieren kann.« Er senkte die Stimme. »Sollten wir von Port Vykor abgeschnitten werden, könnte es passieren, dass wir das Östliche und das Westliche Reich niemals wieder vereinen können.«
»Das ergibt durchaus Sinn.« Dash nickte.
Erik stellte seinen leeren Becher ab. »Mehr allerdings auch nicht.«
Dash stimmte ihm zu, während sich Erik erhob. Er betrachtete den großen, kräftig gebauten Hauptmann und erkundigte sich: »Meinen früheren Arbeitgeber habe ich schon etliche Zeit nicht mehr gesehen. Wie geht es deinem Freund Rupert?«
Erik lächelte. »Roo schleppt gerade eine unglaubliche Menge von Waren durch Schlamm und Eis, um der Erste zu sein, der mit den benötigten Gütern in Düstermoor eintrifft.« Dann lachte er. »Er hat mir erzählt, seinen Schuldscheinen nach wäre er der reichste Mann der Welt, aber er hat kaum noch Gold, daher besteht seine ganze Hoffnung darin, das Königreich lange genug überleben zu lassen, damit es seine Schulden an ihn zurückzahlen kann.«
»Eine eigentümliche Art von Patriotismus«, befand Dash.
Erik grinste. Er zögerte einen Augenblick, dann fügte er hinzu: »Am besten gehe ich mal zu Owen und erkundige mich, was zu tun ist.«
Er ging, und Dash grübelte in der betriebsamen Küche noch eine Weile darüber, was sie gerade besprochen hatten. Dann stand er auf und machte sich auf die Suche nach Jimmy.
Der Priester verließ gerade Jimmys Quartier, als Dash eintraf.
Er setzte sich aufs Bett zu seinem Bruder, der unter einer schweren Wolldecke lag. »Das ging aber schnell.«
»Zuerst hat er mir einen Trunk eingeflößt, dann meine Füße mit einer Salbe eingerieben und mir aufgetragen, ich solle viel schlafen.«
»Wie schlimm sieht es aus?«
»Ich hätte wenigstens einige Zehen verloren«, sagte Jimmy, »wäre er nicht hier gewesen.« Mit dem Kopf deutete er zur Tür, durch die der Priester hinausgegangen war.
»Du hast ein ziemlich düsteres Bild über die Lage dort draußen gezeichnet.«
Jimmy seufzte. »Ich habe Orte gesehen, wo Männer die Rinde von Bäumen rissen, um daraus Suppe zu kochen.«
Dash lehnte sich zurück. »Patrick scheint nicht sehr begeistert zu sein.«
»Was ist hier passiert, während ich fort war?«, fragte Jimmy und unterdrückte ein Gähnen.
»Den Berichten zufolge ist die Lage im Norden stabil, obwohl in letzter Zeit niemand mehr eine Spur von diesem Bastard Duko gesehen hat«, erklärte Dash.
»Wenn Fadawah Duko nach Süden schickt, könnte es ausgesprochen schwierig werden, Krondor zurückzuerobern«, meinte Jimmy.
»Ja«, stimmte Dash zu. »Kesh zeigt sich nicht besonders erfreut über die Vorgänge in Stardock, und wir haben Abteilungen der Garnison von Ran und die Hälfte der Truppen des Königs in der Nähe von Landreth stehen. Die warten nur auf einen Anlass, nach Süden zu marschieren. Kesh hat sich aus Shamata zurückgezogen, aber für Patricks Geschmack nicht weit genug, und erneut ist das Tal der Träume zum Niemandsland geworden. Während wir uns unterhalten, wird dort unten verhandelt.«
»Und im Osten?«, erkundigte sich Jimmy, der diesmal das Gähnen nicht zurückhalten konnte.
»Bis zum Frühjahr werden wir nichts Genaueres wissen, aber einige der kleineren Königreiche könnten uns Ärger bereiten. Patrick und der König haben Botschaften ausgetauscht, und ich habe den Eindruck, dass Borric einen Teil seiner Armee des Ostens zurückwill, sobald das Tauwetter einsetzt.«
»Was sagt Vater?«
»Zu mir?«, fragte Dash. Jimmy nickte. »Nicht besonders viel.« Dash setzte ein Lächeln auf, das seinen Bruder an ihren Großvater erinnerte. »Über diese Dinge bewahrt er Stillschweigen.«
»Und Mutter?«, wollte Jimmy wissen.
»Mir scheint, als würde es noch lange dauern, bis sie uns besucht. Das Leben am Hofe in Rillanon ist vermutlich dem in einem Zelt in den ausgebrannten Ruinen von Krondor vorzuziehen, auch wenn sie die Herzogin dieser Stadt ist.«
Jimmy schloss die Augen. »Sie und Tante Polina gehen bestimmt gerade einkaufen oder probieren bei einem Schneider Kleider für einen Ball oder ein Bankett an.«
»Wahrscheinlich«, stimmte Dash zu. »Für Vater ist es allerdings schwer. Du warst den größten Teil des Winters fort, und bei den wenigen Gelegenheiten, da du hier warst, hatte er viel zu tun.«
»Großvater und Großmutter?«, fragte Jimmy
»Das auch«, antwortete Dash. »Sobald er allein ist oder glaubt, ich würde nicht auf ihn achten, brütet er vor sich hin. Natürlich ist ihm klar, dass er nichts hat tun können, trotzdem kann er ihren Tod einfach nicht verwinden. Hoffentlich wird er im Frühjahr, wenn der Feldzug losgeht, darüber hinwegkommen. Im Augenblick jedoch trinkt er mehr als früher und zieht sich sehr zurück.«
Daraufhin schwieg Jimmy, und Dash blickte seinen Bruder an.
Diesem war das Kinn auf die Brust gesunken, und er hatte die Augen halb geschlossen, während er wach zu bleiben versuchte.
Leise stand Dash auf und trat zur Tür. Er betrachtete das Gesicht seines Bruders und fühlte sich an die Züge seiner Großmutter erinnert, an die blasse Haut und das nahezu blonde Haar.
Tränen traten ihm in die Augen, und er ging rasch hinaus und schloss behutsam die Tür hinter sich. Er schickte ein stilles Gebet des Dankes an Ruthia, die Göttin des Schicksals, weil sie seinen Bruder gesund hatte zurückkehren lassen.
»Erik!«
Dash drehte sich um, sah Rosalyn durch den Gang eilen, und wich zur Seite aus, um sie vorbeizulassen. Er wusste, bisweilen war das Mädchen mit der Aufgabe überfordert, die Mutter des nächsten Barons zu sein – sie hatte Gerd nach der Vergewaltigung durch Eriks Halbbruder zur Welt gebracht – , und Erik war ihr bester Freund. In der Kindheit waren sie wie Bruder und Schwester gewesen, und wenn sie Schwierigkeiten hatte, wandte sie sich als Erstes an ihn.
Dash beobachtete sie, wie sie vor der Tür des Hauptmanns stehen blieb und klopfte.
Erik öffnete die Tür. »Ja?«
Dash zögerte einen Augenblick, ging dann jedoch weiter und kam an Rosalyn vorbei, als diese sich gerade beschwerte: »Die Baronin! Sie weigert sich, mich meinen eigenen Sohn baden zu lassen! Jetzt nimmt sie mir das auch noch weg! Tu doch etwas dagegen!«
Dash gesellte sich zu den beiden. »Entschuldigt meine Einmischung.«
Sowohl Erik als auch Rosalyn drehten sich zu ihm um. »Ja?«, fragte Erik.
»Ich möchte mich nicht aufdrängen, weil ich zufällig euer Gespräch mitgehört habe, aber um größere Verlegenheit zu vermeiden, würde ich mir gern eine Bemerkung erlauben.«
»Und?«, erwiderte Rosalyn.
»Bedenkt man die … eher energische Persönlichkeit der Baronin, so muss man ihr zugestehen, dass sie deinen Sohn bisher eher behutsam in sein neues Amt eingeführt hat.«
Rosalyn schüttelte den Kopf. Sie war ein hübsches Mädchen gewesen, damals in Ravensburg, wo sie mit Erik aufgewachsen war, aber die Geburt zweier Kinder und die Flucht vor dem Krieg hatten ihr Haar vorzeitig ergrauen lassen und ihr Gesicht jener Sanftheit beraubt, die den Hauptmann der Blutroten Adler früher so angezogen hatte. Der Blick ihrer Augen war hart geworden, und misstrauisch begegnete sie jeder Äußerung von Dash, die sie möglicherweise wieder ein Stück von ihrem Kind trennen würde.
»Gerd ist jetzt Baron von Düstermoor«, erklärte Dash, wobei er sich Mühe gab, nicht herablassend zu klingen. Rosalyn war vielleicht eine einfache Frau, aber dumm war sie ganz gewiss nicht. »Für den Rest seines Lebens werden viele Dinge, die bislang du für ihn erledigt hast, von Dienern übernommen. Wärest du die Baronin, hättest du ihn niemals selbst gebadet oder seine Windeln gewechselt. Möglicherweise hättest du ihn nicht einmal gesäugt. Seine Erziehung zum Baron muss beginnen.« Dash umfasste mit einer Handbewegung die Burg. »Düstermoor liegt nun an der Außengrenze des Königreichs, so lange jedenfalls, bis der Westen wieder uns gehört, und die Stadt könnte für lange Jahre ein wichtiges Bollwerk darstellen. Gerd ist schon fünf, und bald wird er den größten Teil seines Tages mit Lehrern verbringen. Er muss Lesen und Schreiben lernen, die Geschichte seines Volkes, Reiten, Fechten und Bogenschießen, das Hofprotokoll.«
Erik nickte und legte Rosalyn die Hand auf die Schulter. »Dash hat recht.« Die junge Frau wirkte trotzig, und der Hauptmann spürte, wie sich ihre Schulter unter seiner Hand verspannte. Er lächelte. »Aber es gibt keinen Grund, warum du nicht dabei sein solltest, während sich die Diener um ihn kümmern.«
Nach einem langen Moment nickte Rosalyn und begab sich auf den Rückweg zu den Gemächern des zukünftigen Barons, wo ihr Sohn wohnte.
Erik schaute ihr hinterher. »Danke, dass du ihr die Sache erklärt hast.«
»Ich wollte mich eigentlich nicht einmischen«, entschuldigte sich Dash nochmals, »aber so sieht die Wahrheit nun einmal aus.«
Erik blickte den Gang hinunter, an dessen Ende Rosalyn gerade um die Ecke gebogen war. »So viel Neues. Wir müssen uns alle anpassen.«
»Wieder möchte ich mir nichts anmaßen, Hauptmann, aber falls du irgendwelche Hilfe brauchst …«
»Vermutlich werde ich die benötigen.« Erik lächelte. »Und ich verlasse mich auf dich und deinen Bruder. Für den Fall, dass ihr es noch nicht erfahren habt: Ihr wurdet beide meinem Befehl unterstellt.«
»Ach?«, erwiderte Dash.
»Die Idee stammt von deinem Vater. Er will bei dem bevorstehenden Feldzug selbst die Fäden ziehen.«
Dash nickte. »Da kommt er ja ganz nach seinem Vater.«
»Ich kannte deinen Großvater nicht besonders gut, aber ich kann das nur als Kompliment auffassen.«
Dash grinste. »Falls du ihn näher kennengelernt hättest, würdest du das kaum denken. Frag meine Mutter, falls sie sich jemals entscheidet, in den Westen zurückzukehren.«
»Jedenfalls«, fuhr Erik fort, »hat der König alle Hände voll im Osten zu tun, da der größte Teil seiner Armee abwesend und der größte Teil seiner Flotte versenkt ist und er die Königreiche im Osten davon abhalten will, Streitigkeiten anzuzetteln. Der Prinz muss sich im Süden mit Kesh beschäftigen, und daher bleibt nur unser fröhlicher kleiner Haufen, um den Westen zurückzuerobern.«
»Warum fange ich bei dieser Aussicht nicht an zu jubeln?«, fragte Dash ironisch.
»Ich glaube, dann würdest du auch einen Heilpriester benötigen wie dein Bruder. Denn dann hättest du offensichtlich den Verstand verloren.«
»Wann geht es mit dem Feldzug los?«, erkundigte sich Dash.
»Sobald du im Westen das erste Eis brechen hörst, pack deine Sachen.«
»Das habe ich heute Morgen gehört«, erwiderte der Sohn des Herzogs.
»Nun, worauf wartest du noch? In einer Woche brechen wir nach Krondor auf.«
»Sehr wohl, Hauptmann.«
Als Dash sich abwandte, rief Erik ihn zurück: »Eine Sache wäre da noch.«
»Ja?«
»Dein Amt eines Barons am Hofe hilft dir in der Armee nicht weiter, daher wurdet ihr, du und James, zu Leutnants ernannt.«
»Na, dann besten Dank«, meinte Dash nur.
»Morgen gehen wir zusammen zum Quartiermeister und besorgen Uniformen für dich und James.«
»Zu Befehl.« Dash salutierte knapp und verschwand dann in Richtung seines Quartiers. Dabei murmelte er in sich hinein: »Verdammt! Jetzt bin ich in der Armee gelandet.«
Jimmy zupfte an seinem schlecht sitzenden Hemd herum. »Verdammt! Jetzt bin ich in der Armee gelandet.«
Dash lachte. Er stieß seinen Bruder leicht mit dem Ellenbogen an und machte ihn darauf aufmerksam, dass der Prinz zu sprechen beginnen wollte.
»Mylords, meine Herren«, eröffnete er die Versammlung in seinem Audienzsaal, der vormals der des Barons von Düstermoor gewesen war. »Der König benötigt den größten Teil jener Truppen der Armee des Ostens, die entlang der Grenze zu Kesh stationiert sind. Damit bleiben uns lediglich die Reste der Armee des Westens, um die Invasoren von unserer Küste zu vertreiben.«
»Vielleicht hätten wir nicht all ihre Schiffe versenken sollen«, flüsterte Dash seinem Bruder zu. »Das hätte ihnen die Rückkehr nach Hause ungemein erleichtert.«
Arutha, der Herzog von Krondor, warf seinem Sohn einen bösen Blick zu, und Dash verstummte, während Jimmy sich zusammenreißen musste, um nicht laut loszulachen. Die Fähigkeit, jeder Situation, wie düster sie auch erscheinen mochte, eine lustige Seite abzugewinnen, gefiel James an seinem jüngeren Bruder.
Prinz Patrick blickte Dash direkt an. »Natürlich hätte es das.«
Dash hatte wenigstens den Anstand, vor seinem Prinzen rot zu werden.
Patrick fuhr fort: »Wie unsere Spione berichten, will dieser General Fadawah die Gelegenheit, die sich ihm durch den Tod der Smaragdkönigin bietet, beim Schopfe packen und ein kleines Königreich für sich selbst gründen.«
Er ging zu einer Karte, nahm einen Zeigestock und richtete ihn auf das Gebiet zwischen Krondor und Ylith.
»Von Sarth bis Ylith kontrollieren Fadawahs Truppen das ganze Land.« Der Zeigestock wanderte in Richtung Osten. »Zudem befinden sich die Wälder bis hoch in die Berge und die meisten der Pässe durch das Albtraumgebirge in seiner Hand. Entlang des Gebirges verläuft eine stabile Front. Im Norden«, der Zeigestock folgte seinen Worten über Ylith hinaus, »ist er in LaMut auf erbitterten Widerstand gestoßen. Graf Takari hält die Stadt, doch nur unter Aufbietung aller Mittel. Allein der harte Winter hat unseren Gegner bisher davon abgehalten, LaMut einzunehmen.« Er sah Arutha an. »Was wisst Ihr über Herzog Carl?«
»Der Herzog ist noch ein Junge, kaum siebzehn«, berichtete Arutha. »Graf Takari ist lediglich drei Jahre älter.«
Die versammelten Männer wussten, dass die Väter der beiden während der Invasion gefallen waren.
»Aber Takari stammt von den Tsurani ab«, setzte der Herzog von Krondor seine Ausführungen fort, »und wurde von seinem Schwertmeister unterrichtet, seit er laufen kann. Er will LaMut bis zum letzten Mann halten, sollte das notwendig sein. Carl mag noch ein Junge sein, doch die Armee, die ihm zur Seite steht, ist stark, wenn auch klein.« Er nickte einem Mann zu, der hinter Erik von Düstermoor stand, ein hochgewachsener, dunkelhaariger Kerl, der einen Kilt und ein Schwert auf dem Rücken trug. Dash und Jimmy kannten ihn als den Anführer der Hadatikrieger aus Yabon, und sein Name war Akee.
»Die meisten Angehörigen meines Volkes dienen in Yabon«, erläuterte Akee. »Fadawah wird die Stadt nicht erobern.«
Fast nur zu sich selbst murmelte Patrick: »Doch beginnt erst das Frühjahr, wird er innerhalb der Mauern und LaMut sein, und alle Ehre der Tsurani wird die Stadt nicht davor bewahren.« Er schwieg einen Augenblick und fügte dann hinzu: »Können Herzog Carls Truppen der Stadt zu Hilfe kommen?«
»Ja«, antwortete Owen. »Solange die Bruderschaft des Dunklen Pfads ihnen nicht zusätzliche Schwierigkeiten bereitet«, er benutzte den gebräuchlichen Begriff für die Moredhel, die Dunkelelben, die weit im Norden lebten, »und er auf die Elben und Zwerge zählen darf und solange die Freien Städte im Westen die Stellung halten, kann Carl seine Garnison verlassen, nur die notwendigsten Truppen an der östlichen Flanke stationieren und den Großteil seiner Armee nach LaMut führen. Unter diesen Umständen müsste er sich gegen Fadawah durchsetzen können.«
»Und falls ihm dies gelingt, kann er dann Ylith wieder in unsere Hände bringen?«, wollte Patrick wissen.
Akee blickte zu Erik und Arutha, die ihm beide zunickten. Nun wandte er sich Patrick zu. »Nein, das vermag er nicht. Dazu bräuchte er die dreifache Anzahl Schwerter, als gegenwärtig unter seinem Befehl stehen. Er kann lediglich die momentane Stellung halten, und das auch nur, solange Fadawah nicht seine gesamte Armee nach Norden wirft – was er nicht tun wird, da er ja Soldaten nach Krondor in den Süden abkommandiert hat – , aber Ylith wird Herzog Carl nicht einnehmen.«
»Mylords, meine Herren«, verkündete der Prinz, »also wird LaMut notwendigerweise unser Amboss.« Er blickte Owen Greylock an. »Lord Marschall, Eure Armee stellt somit den Hammer dar.«
»Dieser Hammer ist sehr klein«, entgegnete Owen.
»Wohl wahr, aber Kesh hat große Truppen an unsere Südgrenze aufziehen lassen, die Reste unserer Flotte müssen die Piraten aus Queg und Durbin im Zaum halten, und einige der Könige im Osten entwickeln plötzlich einen großen Ehrgeiz. Ihr müsst es mit den Männern schaffen, die Ihr im Augenblick zur Verfügung habt.«
»Das sind kaum zwanzigtausend gegen … gegen wie viele? Hunderttausend?«
»Wir können Fadawah nicht einfach überlassen, was er sich genommen hat, bis wir diese anderen Angelegenheiten erledigt haben, oder?«
Patricks Frage löste bedrücktes Schweigen aus.
Er blickte in die Runde, von einem Gesicht zum anderen. »Ich bin mir der … nun, sagen wir, Vorgehensweisen meiner eigenen Vorfahren sehr wohl bewusst. Wir haben jeden Zoll Boden jemand anderem abgenommen, um das Königreich des Westens zu gründen. Nur Yabon hat sich uns freiwillig angeschlossen, und das vor allem deshalb, weil wir das Land vor der Bruderschaft des Dunklen Pfads geschützt haben. Der eigentliche Grund, warum es einen Baron von Düstermoor gibt, liegt darin, dass der Bandit, von dem unser Hauptmann Erik abstammt, eine harte Nuss war, die niemand knacken konnte. Von daher war es leichter, ihn zu einem Adligen des Königreichs zu machen und ihm das Land zu schenken, das er bereits erobert hatte, als ihn zu töten und einen dummen Neffen des Königs an seine Stelle zu setzen.« Patrick hob die Stimme. »Bei allen Landgewinnen, die wir über die Jahre erzielen konnten, erlaubten wir früheren Feinden, sich als Vasallen dem König zu unterwerfen.« Nun schrie der Prinz fast. »Aber ich will verdammt sein, wenn ich diesen mörderischen Bastard eines selbst ernannten Königs des Bitteren Meeres über mein Fürstentum herrschen lasse. Nur über meine Leiche!«
Dash und James wechselten einen Blick. Ohne ein Wort wussten sie, was der andere dachte. Die Botschaft war eindeutig. Owen Greylock und Erik von Düstermoor würden mit den Resten der Armee des Westens und ohne weitere Unterstützung das Fürstentum zurückerobern müssen.
Owen räusperte sich. Patrick sah seinen Marschall an. »Ja?«
»Sonst noch etwas, Hoheit?«
Patrick schwieg kurz und antwortete dann: »Nein.« An die Männer im Saal gewandt, fügte er hinzu: »Lords und Herren, von diesem Augenblick an steht Ihr unter dem Befehl von Marschall Greylock. Befolgt seine Befehle, als stammten sie von mir.« Er senkte die Stimme. »Und mögen die Götter uns gnädig gesonnen sein.« Damit verließ er den Raum.
Die Adligen begannen das Gehörte miteinander zu besprechen, bis Owen rief: »Mylords!«
Stille kehrte im Saal ein.
»Wir marschieren am Morgen los«, verkündete Greylock. »Ich erwarte, dass die Vorhut bei Einbruch der Nacht in Ravensburg eintrifft. Am Ende der Woche sollten unsere ersten Kundschafter Krondor erreicht haben.« Er blickte von Gesicht zu Gesicht. »Ihr wisst, was zu tun ist.«
Die Männer strömten hinaus, und Erik trat zu Dash und James. »Ihr kommt mit mir«, befahl er und ging zu einer kleinen Seitentür.
In dem Zimmer dahinter fanden die Brüder ihren Vater vor, und kurz darauf trat Greylock ein und schloss die Tür hinter sich.
»Ich wollte Euch nur wissen lassen«, wandte sich Owen an die beiden jungen Männer, »dass Ihr die schmutzigste und undankbarste Aufgabe erhaltet, die wir zu vergeben haben.«
Dash grinste. »Wunderbar!«
Jimmy warf seinem Bruder einen finsteren Blick zu. »Und worin besteht die?«
»Jimmy, du übernimmst den Befehl über die außerordentliche Vorhut.«
»Außerordentliche Vorhut?« Jimmy runzelte fragend die Stirn.
Arutha nickte und zeigte auf Dash. »Er.«
Dash verdrehte die Augen, schwieg jedoch. Schon vor Langem hatte er sich daran gewöhnt, sich stets seinem Bruder unterordnen zu müssen, wann immer sie zusammen etwas taten.
»Owen braucht ein paar hinterhältige Bastarde, die sich für ihn hinter die feindlichen Linien schleichen.« Arutha lächelte seine Söhne an. »Ich habe ihm gestanden, dass die Umstände eurer Herkunft nicht zweifelsfrei geklärt sind und ihr hinterhältig genug für diese Aufgabe seid.«
»Wann müssen wir aufbrechen?«, wollte Jimmy wissen.
»Sofort«, antwortete Erik. »Am Tor warten bereits zwei Pferde mit Vorräten für eine Woche auf euch.«
»Eine Woche?«, fragte James. »Demnach sollen wir schon in der Stadt sein, wenn die Kundschafter dort eintreffen?«
Owen nickte. »Oder in der Nähe. Lasst die Uniformen hier und kleidet Euch wie zwei freie Schwerter. Falls man Euch erwischt, behauptet, Ihr würdet aus dem Tal der Träume kommen und nach Arbeit suchen.«
Dash grinste und spöttelte: »Was für ein Vergnügen! Wir spielen wieder einmal Spione.«
Jimmy sah seinen Bruder erneut an, als wäre der übergeschnappt. »Du findest wirklich die seltsamsten Dinge amüsant.«
Arutha sah seine beiden Söhne ernst an. »Wir haben gerade einen Bericht erhalten, demzufolge Duko nach Süden gezogen ist.«
»Damit stochert Fadawah im Ameisenhaufen herum«, bemerkte Dash.
Arutha nickte. »Ja. Falls sich Duko vor uns in Krondor einnistet, bedroht er Port Vykor. Ist der Hafen erst einmal von uns abgeschnitten, haben wir keine Verbindung mehr zur Flotte, und dann können uns keine Nachschublieferungen von der Fernen Küste oder den Sonnenuntergangsinseln mehr erreichen.«
»Vielleicht ist es nur ein Täuschungsmanöver«, spekulierte Owen, »und Sarth ist ihr eigentliches Ziel. Aber einem anderen Bericht zufolge zieht eine zweite Armee die Straße von Falkenhöhle aus nach Süden, und zwar unter dem Befehl von Nordan, Fadawahs zweitem Mann.«
»Da schleppen sich ja eine Menge Soldaten durch Eis und Schlamm«, höhnte Jimmy.
»Der Hafen von Krondor ist nutzlos, und Fadawah weiß das«, sagte Arutha. »Ob er unseren Hafen in der Shandonbucht kennt, können wir nicht mit Sicherheit sagen, aber wenn, dann handelt es sich nicht um eine Finte.«
»Also sollen wir herausfinden, was wirklich vor sich geht«, erwiderte Jimmy.
»Falls euch das gelingt. Möglicherweise will er nur unseren Vormarsch verlangsamen, damit er Verstärkung in Sarth stationieren kann. Das müssen wir unbedingt erfahren.«
Dash sah in die Runde. »Sonst noch etwas?«
»Lasst euch nicht umbringen«, bat Arutha.
Jimmy lächelte. »Das hatten wir eigentlich nicht vor, Vater.«
Der Herzog trat zu seinen beiden Söhnen und umarmte sie.
»Komm jetzt, wir müssen heute Nacht noch ein gutes Stück Weges schaffen«, forderte Dash seinen Bruder auf.
In Jimmys Gesicht stand weiterhin dieser misstrauische Ausdruck, während die zwei den Raum verließen.
Die Wildnis
Dash gab ein Zeichen.
Jimmy zog das Schwert und duckte sich hinter dem Felsen. Dash sprang an der Südseite der Königsstraße in den Graben, der sich parallel dazu einige Hundert Mseter erstreckte.
Die Brüder waren seit zwei Tagen unterwegs. Das Tauwetter hatte eingesetzt, und in der Sonne, die gelegentlich durch die geschlossene Wolkendecke spähte, wurde es schon angenehm warm. Die Temperaturen fielen nicht mehr unter den Gefrierpunkt, und der Regen beschleunigte die Schneeschmelze.
Doch während Dash im kalten Schlamm lag, wünschte er sich das Eis zurück. Der Matsch verlangsamte ihr Vorwärtskommen, und selbst wenn er abends dicht am Feuer hockte, wollten seine Kleider nicht richtig trocknen.
Kurz zuvor hatten sie Stimmen im Wald vor sich gehört, waren abgestiegen, hatten die Pferde angebunden und waren zu Fuß weitergeschlichen. Währenddessen nahmen die Fußtritte, die sich ihnen näherten, an Lautstärke zu.
Dash wagte einen Blick über den Rand des Grabens und entdeckte einen zerlumpten Haufen Reisender, die sich ängstlich umsahen, während sie auf der Königsstraße nach Osten zogen. Ein Mann, eine Frau und drei Kinder, von denen eins – Dash konnte nicht erkennen, ob es ein Mädchen oder ein Junge war, da es die Kapuze tief ins Gesicht gezogen hatte – der Körpergröße nach fast das Erwachsenenalter erreicht hatte.
Da Jimmy nun hinter dem Felsen hervortrat, erhob sich auch Dash.
Der Mann, der vor der kleinen Flüchtlingsgruppe ging, zog eine schaurige Sense unter seinem verschlissenen Mantel hervor und richtete sie bedrohlich gegen die beiden Spione des Prinzen, während sich die anderen zur Flucht wandten.
»Halt!«, rief Jimmy. »Wir wollen Euch nichts tun.«
Der Mann wirkte misstrauisch, die anderen verängstigt, und dennoch verharrten sie. Jimmy und Dash steckten ihre Waffen weg und traten langsam näher.
Aber der Fremde senkte die Sensenklinge nicht. »Wer seid Ihr?«, verlangte er mit starkem Akzent zu wissen.
Jimmy und Dash wechselten einen Blick, da der Tonfall des Mannes so klang, als stamme er aus Novindus. Der Kerl hatte sicherlich irgendwann der Smaragdkönigin als Soldat gedient.
Dash hob die Hände und versicherte seinem Gegenüber so, dass er keine Waffe darin hielt, und Jimmy blieb stehen. »Wir sind Reisende. Und Ihr?«
Die Frau wagte sich einen Schritt aus dem Schutz des Mannes hervor. Sie war ausgemergelt und wirkte schwach. Die Kinder waren, wie Jimmy mit einem Blick feststellte, ähnlich ausgehungert. Bei dem größten handelte es sich um ein Mädchen, das vielleicht fünfzehn Jahre alt war, obwohl es wegen der dunklen Ringe unter den Augen älter wirkte.
Jimmy wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Frau zu, die ihn ansah und ihm mitteilte: »Wir sind Bauern.« Sie zeigte nach Osten. »Wir sind unterwegs nach Düstermoor. Man hat uns gesagt, dort gäbe es zu essen.«
Jimmy nickte. »Das stimmt, wenn auch nicht viel. Woher stammt Ihr?«
»Tannerus«, antwortete die Frau.
Dash deutete auf den Mann. »Der kommt nicht aus Tannerus.«
Der Angesprochene nickte. Mit der freien Hand zeigte er auf sich. »Markin. Aus der Stadt am Schlangenfluss.« Er blickte in Richtung Süden. »Weit von hier entfernt.«
»Demnach wart Ihr Soldat unter der Smaragdkönigin?«, erkundigte sich Jimmy.
Der Mann spie aus, was ihn seine ganze Kraft zu kosten schien. »Ich spucke auf sie!« Er wankte, und die Frau legte die Arme um ihn.
»Er ist Bauer«, erklärte sie. »Als er zu uns kam, hat er uns seine Geschichte erzählt.«
Jimmy sah Dash an und deutete sodann mit dem Kopf in Richtung der Pferde. Dem Jüngeren der beiden brauchte man nicht erst zu sagen, was der Ältere im Sinn hatte. Dash drehte sich um und ging, während Jimmy wissen wollte: »Warum erzählt Ihr uns seine Geschichte nicht ebenfalls?«
»Mein Mann zog für seinen König in den Krieg«, begann die Frau. »Vor zwei Jahren.« Sie betrachtete ihre drei Kinder und fuhr fort: »Meine Mädchen können schon arbeiten. Hildi ist fast erwachsen. Im ersten Jahr lief alles sehr gut. Dann trafen die Soldaten ein und eroberten die Stadt. Unser Hof war jedoch weit entfernt, und so machten wir uns nicht allzu viele Sorgen. Für eine Weile jedenfalls.«
Dash kehrte mit den Pferden zurück. Er reichte Jimmy die Zügel und öffnete eine der Satteltaschen. Einen Augenblick später holte er ein Bündel hervor und schlug es auf. Darin befanden sich Brot, das für die Reise mit Honig, Nüssen und Trockenfrüchten gebacken war, und gedörrtes Rindfleisch. Sofort liefen die Kinder herbei und schnappten sich, so viel sie nur halten konnten.
Dash warf Jimmy einen Blick zu und nickte kaum merklich. Den Rest des Bündels reichte er dem Mann, der es an die Frau weitergab. »Danke.«