Die Krondor-Saga 1 - Raymond Feist - E-Book

Die Krondor-Saga 1 E-Book

Raymond Feist

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Beschreibung

Die friedlichen Jahre im Königreich der Inseln scheinen gezählt. Gerüchte von einer dunklen Bedrohung versetzten die Bevölkerung in Angst und Schrecken. Und mit den gefürchteten Nachtfalken kehrt der Tod bald auf die Inseln zurück. Doch sie sind erst der Anfang, denn politische Unruhen, eine mysteriöse Vereinigung und der Überfall gefährlicher Kreaturen drohen das Reich ins Verderben zu stürzen …

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Raymond Feist

Die Krondor-Saga 1

Die Verschwörung der Magier

Roman

Aus dem Englischen von Susanne Gerold

Das Buch

Die friedlichen Jahre im Königreich der Inseln scheinen gezählt. Gerüchte von einer dunklen Bedrohung versetzten die Bevölkerung in Angst und Schrecken. Und mit den gefürchteten Nachtfalken kehrt der Tod bald auf die Inseln zurück. Doch sie sind erst der Anfang, denn politische Unruhen, eine mysteriöse Vereinigung und der Überfall gefährlicher Kreaturen drohen das Reich ins Verderben zu stürzen …

Der Autor

Raymond Feist wurde 1945 in Los Angeles geboren und lebt in San Diego im Süden Kaliforniens. Viele Jahre lang hat er Rollenspiele und Computerspiele entwickelt. Aus dieser Tätigkeit entstand auch die fantastische Welt Midkemia seiner Romane. Die in den 80er Jahren begonnene Saga ist bereits ein Klassiker des Fantasy-Genres, und Feist gilt als einer der wichtigsten Vertreter der Fantasy in der Tradition Tolkiens.

Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel »Krondor the Betrayal. Book One of the Riftwar Legacy« bei Avon Books, New York.

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1. Auflage Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe Juni 2016 bei Blanvalet,

einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, 

Neumarkter Straße 28, 81673 München Deutsche Erstveröffentlichung © 2000 bei Verlagsgruppe Random House GmbH, München Copyright © der Originalausgabe 1998 by Raymond Elias Feist Umschlaggestaltung und -illustration: © Isabelle Hirtz, Inkcraft Herstellung: AT

Für John Cutter und Neal Hallford,

Inhaltsverzeichnis

Buch und AutorCopyrightWidmungProlog - WarnungEins - BegegnungZwei - Täuschung Drei - Enthüllung Vier - Reise Fünf - Mission Sechs - Die Reise Sieben - Morde Acht - Geheimnisse Neun - Verdacht Zehn - Die Nachtgreifer Elf - Flucht Zwölf - Vorbereitungen Dreizehn - Verrat Vierzehn - Anweisungen Fünfzehn - Die Suche Sechzehn - Aufgaben Siebzehn - Täuschung Achtzehn - Neugruppierung Neunzehn - Begegnung Zwanzig - Vergeltung Epilog - Würdigung

Prolog

Warnung

Der Wind heulte.

Locklear, Junker am Hof des Prinzen von Krondor, saß in eine schwere Decke gehüllt auf seinem Pferd. Der Sommer verschwand früh aus den Nordlanden und den Pässen jener Berge, die die Zähne der Welt genannt wurden. Während die Nächte im Süden noch immer mild und warm waren, hatte es hier im Norden nur einen kurzen Herbst gegeben, und rasch hatte der Winter Einzug gehalten – ein Winter, der lange anhalten würde. Locklear verfluchte seine eigene Dummheit, die ihn an diesen verlassenen Ort verschlagen hatte.

»Verdammt kalt, was?«, meinte Sergeant Bales. Der Sergeant kannte die Gerüchte, die sich um das plötzliche Auftauchen des jungen Edlen in Tyr-Sog rankten; es hatte etwas mit einer jungen Frau zu tun, die mit einem bekannten Kaufmann in Krondor verheiratet war. Locklear war nicht der erste junge Geck, den man an die Grenze geschickt hatte, um ihn außer Reichweite eines wütenden Ehemannes zu schaffen. »Wohl nicht ganz so mild wie in Krondor.«

»Tatsächlich?«, erwiderte der junge Mann trocken.

Die Patrouille folgte einem schmalen Pfad über den Grat eines Gebirgsausläufers, der die nördliche Grenze des Königreichs der Inseln bildete. Locklear war kaum eine Woche am Hof von Tyr-Sog gewesen, da hatte Baron Moyiet dem Junker nahegelegt, mit einer außerordentlichen Patrouille das Gebiet östlich der Stadt auszukundschaften. Es kursierten Gerüchte, dass Abtrünnige und Moredhel – Dunkelelben, die als die Bruderschaft des Dunklen Pfades bekannt waren – im Schutz von heftigen Schnee- und Regenschauern in den Süden vordrangen. Die Spurenleser fanden zwar nur wenige Hinweise, die dies bestätigen konnten, doch das Gerede und die hartnäckigen Behauptungen der Bauern, die angeblich Kompanien von dunkel gekleideten Kriegern auf dem Weg in den Süden gesehen hatten, hatten den Baron zu dieser Patrouille veranlasst.

Locklear wusste so gut wie die dort in der Garnison stationierten Männer, dass sie nur eine geringe Chance hatten, im späten Herbst oder frühen Winter irgendwelche Bewegungen auf den kleinen Bergpässen zu entdecken. Wenn der Frost auch gerade erst die Ausläufer erreicht hatte, so lag doch auf den höher gelegenen Pässen bereits reichlich Schnee, der bei vorübergehendem Tauwetter zusätzlich von Matsch bedeckt sein würde.

Doch seit Murmandamus, der charismatische Anführer der Dunkelelben, vor zehn Jahren seine Armee ins Königreich geführt und einen Krieg begonnen hatte, der als die Große Erhebung bekannt geworden war, mussten alle diesbezüglichen Hinweise genauestens untersucht werden. Außerdem war der Befehl direkt von König Lyam gekommen.

»Ja, das ist wohl eine ordentliche Abwechslung zum Leben am Hof des Prinzen, Junker«, stichelte der Sergeant. Als Locklear in Tyr-Sog eingetroffen war, hatte er ganz das Gehabe eines krondorianischen Gecken an den Tag gelegt – er war ein großer, schlanker, gut gekleideter junger Mann Mitte zwanzig mit einer Vorliebe für einen Schnauzbart und lange Ringellöckchen. Locklear glaubte, der Schnauzbart und die schönen Kleider würden ihn nicht so jung erscheinen lassen, aber wenn überhaupt, bewirkten sie genau das Gegenteil von dem, was er sich wünschte.

Langsam wurde Locklear der – wenn auch spielerischen – Neckerei des Sergeanten überdrüssig. »Aber hier ist es immer noch wärmer als auf der anderen Seite der Berge, wenn ich mich recht entsinne.«

»Auf der anderen Seite?«, fragte der Sergeant.

»In den Nordlanden«, sagte Locklear. »Dort sind die Nächte sogar im Frühling und Sommer kalt.«

Der Sergeant warf dem jungen Mann einen misstrauischen Blick zu. »Ihr seid dort gewesen, Junker?« Außer Abtrünnigen und Waffenschmugglern waren nur wenige Männer lebend aus den Nordlanden ins Königreich zurückgekehrt.

»Zusammen mit dem Prinzen«, erwiderte Locklear. »Ich bin mit ihm bei Armengar und Hohe Burg gewesen.«

Der Sergeant schwieg und schaute nach vorn. Die Soldaten neben Locklear tauschten bedeutungsvolle Blicke und nickten. Einer flüsterte dem Mann hinter sich etwas zu. Es gab wohl keinen Soldaten im Norden, der nicht von Armengars Fall zehn Jahre zuvor gehört hätte, von Murmandamus, dem mächtigen Moredhel-Anführer, der mit seinen Horden die Stadt der Menschen in den Nordlanden zerstört hatte und dann ins Königreich eingedrungen war. Nur durch seine Niederlage bei Sethanon hatte man verhindern können, dass seine Armee aus Dunkelelben, Trollen, Goblins und Riesen das Königreich vernichtete.

Die Überlebenden von Armengar hatten sich in Yabon angesiedelt, nicht weit entfernt von Tyr-Sog, und mit jeder Erzählung wuchsen die Darstellungen des großen Kampfes und der Flucht der Überlebenden wie auch die Rolle, die Prinz Arutha und seine Kameraden dabei gespielt hatten. Jeder, der unter Prinz Arutha und Guy du Bas-Tyra gedient hatte, musste als Held betrachtet werden. Der Sergeant warf dem jungen Mann einen neugierig musternden Blick zu und hielt den Mund.

Locklears Belustigung darüber, wie er den redegewandten Sergeanten zum Schweigen gebracht hatte, erfuhr ein jähes Ende, als es wieder zu schneien begann und von Minute zu Minute stürmischer wurde. Innerhalb der Garnison mochte er seinen Stand durchaus verbessert haben, und man würde ihm in Zukunft mehr Respekt entgegenbringen, doch noch immer war er weit entfernt vom Hof in Krondor mit seinen guten Weinen und den hübschen Mädchen. Es war schon ein Wunder nötig, wenn er sich im nächsten Winter nicht noch immer hier, an diesem Hof voller Dummköpfe aufhalten, sondern bereits wieder in Aruthas Gunst stehen wollte.

Nachdem sie zehn Minuten stumm geritten waren, sagte der Sergeant: »Noch zwei Meilen, und wir können den Rückweg antreten.«

Locklear enthielt sich einer Antwort. Wenn sie die Garnison wieder erreichten, würde es dunkel sein – und noch kälter als jetzt schon. Er würde das warme Feuer in den Unterkünften der Soldaten willkommen heißen und sich möglicherweise mit einem Mahl bei den Truppen begnügen, es sei denn, der Baron forderte ihn auf, zusammen mit dem Haushalt zu speisen. Das hielt Locklear jedoch für unwahrscheinlich, denn der Baron besaß eine kokette junge Tochter, die den jungen Edlen seit der ersten Nacht, da er in Tyr-Sog eingetroffen war, zu umgarnen versuchte; zudem wusste der Baron nur zu gut, was Locklear an seinen Hof verschlagen hatte. Und so war es kein Zufall, dass die Tochter die zwei einzigen Male, die er mit dem Baron gespeist hatte, nicht da gewesen war.

Es gab ein Wirtshaus nicht allzuweit entfernt von der Burg, doch Locklear wusste, wenn er erst einmal wieder in der Burg wäre, würde er genug von der Kälte und dem Schnee haben und sich beidem nicht noch einmal aussetzen wollen – auch nicht für eine so kurze Wegstrecke. Und außerdem waren die beiden Kellnerinnen dick und dumm.

Mit einem unhörbaren, ergebenen Seufzer dachte Locklear, dass sie ihm bei Anbruch des Frühlings im nächsten Jahr möglicherweise gar nicht mehr dick und dumm, sondern hübsch und charmant erscheinen würden.

Er hoffte inständig, rechtzeitig zum Mittsommernachtsfest von Banapis wieder in Krondor zu sein. Er würde seinem besten Freund, Junker James, schreiben und ihn bitten, seinen Einfluss geltend zu machen, damit Arutha ihn vorzeitig zurückrief. Ein halbes Jahr an diesem Ort war Strafe genug.

»Junker Locklear«, unterbrach Sergeant Bales seine Gedanken. »Was ist das?« Er deutete auf den felsigen Pfad. Eine Bewegung zwischen den Felsblöcken hatte seine Aufmerksamkeit erregt.

»Ich weiß nicht«, entgegnete Locklear. »Wir sollten es uns mal näher ansehen.«

Bales machte ein Zeichen, und die Patrouille wandte sich nach links, den Pfad hinauf. Sofort erkannten sie, was da geschah. Eine einsame Gestalt eilte zu Fuß den Felspfad entlang, und eindeutige Geräusche kündeten davon, dass sie verfolgt wurde.

»Es sieht aus, als hätte ein Abtrünniger Streit mit einigen Brüdern des Dunklen Pfades«, meinte Sergeant Bales.

Locklear zog sein Schwert. »Abtrünniger oder nicht, wir können nicht zulassen, dass die Dunkelelben ihn kriegen. Sie glauben sonst noch, sie könnten einfach gen Süden marschieren und hier nach Lust und Laune die gewöhnlichen Leute belästigen.«

»Los!«, rief der Sergeant, und die kampferprobten Männer der Patrouille zogen die Schwerter.

Die einsame Gestalt erblickte die Soldaten, zögerte einen Moment und rannte dann weiter. Locklear konnte sehen, dass es sich um einen großen Mann handelte, dessen Gesicht im Schatten der Kapuze eines dunkelgrauen Umhangs lag, so dass es nicht zu erkennen war. Ihm folgte ein Dutzend Dunkelelben zu Fuß.

»Wir müssen sie aufhalten«, sagte der Sergeant ruhig.

Offiziell war Locklear der Befehl über die Patrouille übertragen worden, aber der Junker besaß genug Erfahrung, um sich zurückzuhalten, wenn ein Veteran wie Sergeant Bales Befehle gab.

Die Reiter drängten den Pass hoch, vorbei an der einsamen Gestalt, und warfen sich den Moredhel entgegen. Die Brüder des Dunklen Pfades mochten alles Mögliche sein – keinesfalls jedoch feige und unfähig, wenn es um kriegerische Auseinandersetzungen ging. Es war ein heftiger Kampf, doch die Soldaten des Königreichs waren deutlich im Vorteil: Sie besaßen Pferde, und das Wetter hatte die Bögen der Dunkelelben nutzlos gemacht. Die Moredhel machten sich nicht einmal die Mühe, nach ihren nassen Bögen zu greifen, denn sie wussten, dass kaum einer ihrer Pfeile die Feinde erreichen, geschweige denn die Kraft haben würde, eine Rüstung zu durchbohren.

Ein einzelner Dunkelelb, größer noch als die anderen, sprang auf einen Felsblock und blickte der fliehenden Gestalt nach. Locklear wendete sein Pferd und stellte sich dem Dunkelelb in den Weg, der aufmerksam auf den jungen Edlen sah.

Ihre Blicke trafen sich einen Augenblick, und Locklear spürte den Hass des Elben förmlich wie eine schwere Last. Er schien Locklear stumm zu zeichnen, als versuchte er, sich dessen Äußeres für eine zukünftige Konfrontation einzuprägen. Dann gab er einen Befehl, und die Moredhel zogen sich über den Pass zurück.

Sergeant Bales war zu klug, um jemandem über einen Pass zu folgen, auf dem man gerade einmal zehn Meter weit sehen konnte. Und das Wetter wurde zunehmends schlechter.

Locklear wandte sich um und sah die einsame Gestalt ein kleines Stück neben dem Pfad an einem Felsblock lehnen. Er lenkte sein Pferd neben den Mann. »Ich bin Junker Locklear vom Hof des Prinzen. Du hast hoffentlich eine gute Geschichte für uns, Abtrünniger.«

Der Mann, dessen Antlitz noch immer von der tiefen Kapuze seines schweren Umhangs verhüllt war, antwortete nicht. Die Kampfgeräusche verklangen, als die Moredhel zurück über den Pass flohen und sich in Felsspalten verkrochen, wohin die Reiter ihnen nicht folgen konnten.

Die Gestalt schaute Locklear einen Augenblick an, hob dann langsam die Hand und schob die Kapuze zurück. Dunkle, fremde Augen betrachteten den jungen Edlen. Locklear kannte solche Gesichtszüge, die hohe Stirn, das kurz geschnittene Haar, die gewölbten Augenbrauen und die großen, nach oben gebogenen Ohren, die keine Ohrläppchen besaßen. Aber es war kein Elb, der vor ihm stand; Locklear spürte es in seinen Knochen. Die dunklen Augen, die auf ihn gerichtet waren, konnten ihre Verachtung kaum verbergen.

»Ich bin kein Abtrünniger, Mensch«, erklärte die Gestalt in der Sprache des Königreichs, jedoch mit deutlichem Akzent.

Sergeant Bales kam zu ihnen geritten. »Verflucht! Ein Bruder des Dunklen Pfades. Wahrscheinlich wollten die anderen ihn wegen einer Stammesangelegenheit töten.«

Der Moredhel bannte Locklear mit seinem Blick und musterte ihn eine Zeit lang. »Wenn Ihr vom Hof des Prinzen seid, könnt Ihr mir vielleicht helfen.«

»Dir helfen?«, fragte der Sergeant. »Viel eher werden wir dich hängen, Mörder.«

Locklear hob die Hand, und der Sergeant schwieg. »Wieso sollten wir dir helfen, Moredhel?«

»Weil ich Eurem Prinzen eine Warnung überbringen möchte.«

»Was für eine Warnung?«

»Sie ist nur für ihn bestimmt. Könnt Ihr mich zu ihm bringen?«

Locklear blickte den Sergeanten an. »Wir sollten ihn zum Baron bringen«, sagte dieser.

»Nein«, sagte der Moredhel. »Ich spreche nur mit Prinz Arutha.«

»Du tust genau das, was wir sagen, Meuchler!« Deutlich war der Hass aus Bales’ Stimme herauszuhören. Er hatte sein ganzes Leben lang gegen die Bruderschaft des Dunklen Pfades gekämpft und war viele Male Zeuge ihrer einfallsreichen Grausamkeiten geworden.

»Ich kenne solche wie ihn«, sagte Locklear. »Ihr könnt seine Füße anzünden und ihn bis zum Hals in Brand setzen. Trotzdem wird er nicht reden, wenn er nicht will.«

»Genau«, antwortete der Moredhel. Er musterte Locklear erneut. »Ihr seid meinem Volk begegnet?«

»Armengar«, sagte Locklear. »Dann Hohe Burg. Und schließlich Sethanon.«

»Es ist Sethanon, über das ich mit Eurem Prinzen sprechen will«, erklärte der Moredhel.

Locklear wandte sich an Bales. »Lasst uns einen Augenblick allein, Sergeant.«

Bales zögerte, aber in der Stimme des jungen Edlen lag eine Bestimmtheit, die frei von jeder Ehrfurcht vor dem Veteranen war; dies war ein Befehl. Der Sergeant wandte sich ab und schickte seine Patrouille weg.

»Fahre fort«, sagte Locklear.

»Ich bin Gorath, Anführer der Ardanier.«

Locklear musterte den Dunkelelben. Nach menschlichen Maßstäben wirkte er jung, aber Locklear hatte genug Elben und Moredhel gesehen, um zu wissen, dass dieser Eindruck täuschte. Der hier hatte einen Bart mit grauen und weißen Streifen und auch ein paar Linien um die Augen; Locklear schätzte, dass er mehr als zweihundert Jahre alt sein musste, nach allem, was er über die Elben wusste. Gorath trug eine gut gearbeitete Rüstung und einen Umhang aus äußerst schönem Stoff; Locklear hielt es für möglich, dass er wirklich war, was er zu sein behauptete. »Worüber möchte ein Moredhel-Anführer mit einem Prinzen des Königreichs sprechen?«

»Meine Worte sind allein für Prinz Arutha bestimmt.«

»Wenn du nicht den Rest deines Lebens im Kerker des Barons von Tyr-Sog verbringen willst, solltest du allmählich mit etwas herausrücken, das mich davon überzeugt, dass es Sinn macht, dich nach Krondor zu bringen.«

Der Moredhel betrachtete Locklear eine ganze Weile, dann winkte er ihn näher zu sich heran. Der Junker griff zum Dolch an seinem Gürtel – für den Fall, dass der Dunkelelb etwas vorhatte – und beugte sich zum Hals seines Pferdes hinab, so dass sein Gesicht auf gleicher Höhe mit dem von Gorath war.

Der Dunkelelb flüsterte ihm zu. »Murmandamus lebt.«

Locklear wich zurück und schwieg einen Augenblick, dann wendete er sein Pferd. »Sergeant Bales!«

»Junker!«, antwortete der alte Kämpfer; angesichts von Locklears befehlendem Ton klang seine Stimme nun respektvoll.

»Legt den Gefangenen in Ketten. Wir kehren sofort nach Tyr-Sog zurück. Niemand darf ohne meine Erlaubnis mit dem Dunkelelben sprechen.«

»Jawohl!«, antwortete der Sergeant, während er zwei seiner Männer zu sich heranwinkte, damit sie den Befehl ausführten.

Locklear beugte sich wieder zu dem Moredhel hinab. »Möglicherweise lügst du, um dein Leben zu retten, oder du hast wirklich eine schreckliche Nachricht für Prinz Arutha. Für mich spielt das keine Rolle, denn was es auch ist – ich werde gleich morgen früh nach Krondor aufbrechen.«

Der Dunkelelb sagte nichts; er hatte sich damit abgefunden, reglos dazustehen, während er von den zwei Soldaten entwaffnet wurde. Er rührte sich auch nicht, als ihm Handschellen angelegt wurden, die durch eine kurze Kette miteinander verbunden waren. Nachdem die stählernen Fesseln geschlossen worden waren, hielt er die Hände einen Moment vor sich, bevor er sie langsam senkte. Dann warf er Locklear einen Blick zu, drehte sich um und begann, ohne auf die Erlaubnis seiner Wächter zu warten, in Richtung Tyr-Sog zu marschieren.

Locklear bedeutete dem Sergeanten, ihm zu folgen, dann lenkte er sein Pferd neben Gorath und trabte neben dem Gefangenen durch das immer schlechter werdende Wetter.

Eins

Begegnung

Das Feuer knisterte.

Es war Nacht, und Owyn Belefote saß allein vor den Flammen und suhlte sich in seinem persönlichen Unglück. Er war der jüngste Sohn des Barons von Timons, und obwohl er bereits ein gutes Stück von zu Hause entfernt war, wünschte er sich noch viel weiter weg. In seinen jungen Gesichtszügen spiegelte sich Niedergeschlagenheit.

Die Nacht war kalt und das Essen spärlich, ein gewaltiger Unterschied zu all dem Überfluss im Haus seiner Tante in Yabon, das er gerade hinter sich gelassen hatte. Er hatte Verwandte besucht, die von dem Streit zwischen ihm und seinem Vater nichts gewusst hatten, und in der einen Woche, die er bei ihnen gewesen war, hatten sie ihn wieder mit jenen Aspekten seines Zuhauses vertraut gemacht, die er bereits vergessen hatte: der Kameradschaft unter Brüdern und Schwestern, der Wärme einer vor dem Feuer verbrachten Nacht, den Unterhaltungen mit seiner Mutter, selbst den Auseinandersetzungen mit seinem Vater.

»Vater«, murmelte Owyn. Es war beinahe zwei Jahre her, seit der junge Mann sich seinem Vater widersetzt hatte und nach Stardock gegangen war, zur Insel der Magier im südlichen Teil des Königreichs. Sein Vater hatte seine Entscheidung, Magie zu studieren, missbilligt; er hatte von Owyn verlangt, wenigstens Geistlicher eines der gesellschaftlich anerkannteren Priesterorden zu werden. Auch dort konnte man Magie lernen, hatte er behauptet.

Owyn seufzte und zog den Umhang fester um sich. Er war so sicher gewesen, dass er eines Tages als großer Magier zu seiner Familie zurückkehren würde, vielleicht gar als Vertrauter des legendären Pug, der die Akademie in Stardock gegründet hatte. Stattdessen hatte sich herausgestellt, dass er für das Studium dort nur schlecht gerüstet gewesen war. Er hatte auch kein Interesse an einer der Gruppen von Studenten gezeigt, die sich um den einen oder anderen Lehrer scharten und versuchten, das Studium der Magie in eine andere Art von Religion zu verwandeln. Er wusste jetzt, dass er bestenfalls ein mittelmäßiger Magier war und auch niemals mehr sein würde; wie sehr er es sich auch wünschen mochte, Magie zu studieren – es fehlte ihm einfach an Talent.

Nachdem Owyn etwas mehr als ein Jahr in Stardock studiert hatte, war er gegangen; er hatte sich schlicht eingestanden, dass er einen Fehler gemacht hatte. Dies auch seinem Vater gegenüber zuzugeben war eine Aufgabe, die ihm Furcht einflößte; so hatte er zunächst Angehörige seiner Familie in der entfernten Provinz Yabon besucht, um dann den Mut zu fassen, nach Osten zurückzukehren und sich seinem Erzeuger zu stellen.

Ein Rascheln in den Büschen veranlasste Owyn, nach einem schweren Holzstab zu greifen und aufzuspringen. Er hatte wenig Übung mit Waffen, da dieser Teil der Erziehung vernachlässigt worden war, doch besaß er genug Fähigkeiten, sich mit diesem Stab zu verteidigen.

»Wer ist da?«, wollte er wissen.

Eine Stimme kam aus der Düsternis. »Hallo, ihr da. Wir kommen jetzt.«

Owyn entspannte sich etwas; Banditen pflegten sich kaum anzukündigen. Abgesehen davon war, wie man leicht sehen konnte, ein Angriff auf ihn auch nicht besonders lohnenswert; er sah inzwischen nicht viel besser aus als ein heruntergekommener Bettler. Dennoch schadete es niemals, vorsichtig zu sein.

Zwei Gestalten schälten sich aus dem Dunkel, einer hatte etwa Owyns Größe, der andere war einen Kopf größer. Beide waren in schwere Umhänge gehüllt, und der Kleinere hinkte deutlich.

Der hinkende Mann blickte über die Schulter, als wäre jemand hinter ihm her. »Wer seid Ihr?«, fragte er dann.

»Wieso ich? Wer seid denn Ihr?«, erwiderte Owyn.

Der kleinere Mann schob seine Kapuze zurück. »Locklear, Junker von Prinz Arutha.«

Owyn nickte. »Ich bin Owyn, Sohn von Baron Belefote.«

»Von Timons, ja, ich weiß, wer Euer Vater ist«, erwiderte Locklear, während er sich vor dem Feuer niederließ und die Hände ausstreckte, um sie zu wärmen. Er warf einen Blick auf Owyn. »Ihr seid ganz schön weit weg von zu Hause, nicht?«

»Ich habe meine Tante in Yabon besucht«, sagte Owyn. »Ich bin jetzt auf dem Rückweg.«

»Ein langer Weg«, kam es von der noch immer in Umhang und Kapuze gehüllten Gestalt.

»Ich werde mich nach Krondor durchschlagen und dann versuchen, mit einer Karawane nach Salador zu reisen. Von dort werde ich ein Boot nach Timons nehmen.«

»Nun, da wir uns einmal getroffen haben, sollten wir vielleicht zusammen bleiben, bis wir in LaMut sind«, erklärte Locklear, der die Wärme sichtlich genoss. Sein Umhang öffnete sich etwas, und Owyn sah Blut auf der Kleidung des jungen Mannes.

»Ihr seid verletzt«, sagte er.

»Nur ein bisschen«, erwiderte Locklear.

»Was ist geschehen?«

»Wir sind angegriffen worden, ein paar Meilen nördlich von hier«, sagte Locklear.

Owyn begann, in seinem Reisebeutel zu kramen. »Ich habe etwas gegen Verletzungen«, sagte er. »Zieht Eure Tunika aus.« Locklear legte Umhang und Tunika ab, während Owyn Bandagen und Puder aus seiner Tasche nahm. »Meine Tante hat darauf bestanden, mir das hier mitzugeben – nur für den Fall. Ich habe es für die Marotte einer alten Frau gehalten, aber anscheinend war es das nicht.«

Locklear ließ den Jungen die Wunde waschen – eine Schwertwunde, die bis zu den Rippen reichte – und zuckte zusammen, als er Puder darauf streute. »Euer Freund redet nicht viel, nicht wahr?«, sagte Owyn, während er sich an den Rippen zu schaffen machte.

»Ich bin nicht sein Freund«, antwortete Gorath. Wie zum Beweis hielt er seine Handschellen ins Licht. »Ich bin sein Gefangener.«

Owyn versuchte, einen Blick auf das im Dunkel der Kapuze liegende Gesicht des Gefangenen zu erhaschen. »Was hat er getan?«, wandte er sich an Locklear.

»Nichts – wenn man davon absieht, dass er auf der falschen Seite der Berge geboren wurde«, erklärte Locklear.

Gorath schob seine Kapuze zurück und bedachte Owyn mit dem Hauch eines Lächelns.

»Bei den Zähnen der Götter!«, rief Owyn. »Er ist ein Bruder des Dunklen Pfades!«

»Moredhel«, korrigierte Gorath mit einer Spur ironischer Bitterkeit. »›Dunkelelb‹ in Eurer Sprache, Mensch. Beziehungsweise das, was unsere Verwandten in Elbenheim Euch glauben machen wollen.«

Locklear zuckte zusammen, als Owyn Salbe auf die verletzten Rippen strich. »Herzlichen Dank, Gorath, aber nach etwa zweihundert Jahren Krieg sind wir durchaus in der Lage, uns unsere eigene Meinung zu bilden.«

»Ihr Menschen versteht so wenig«, entgegnete Gorath.

»Nun«, meinte Locklear, »ich habe im Augenblick ohnehin nichts Besseres vor, also klär mich auf.«

Gorath musterte den Junker einen Augenblick, als suchte er nach etwas Bestimmtem, und schwieg eine Zeit lang. »Was das Blut betrifft, sind die, die Ihr ›Elben‹ nennt, und die Angehörigen meines Volkes eins«, sagte er schließlich. »Aber wir leben unterschiedlich. Wir waren die erste sterbliche Rasse nach den Großen Drachen und den Uralten.«

Owyn blickte Gorath neugierig an, während Locklear damit beschäftigt war, die Zähne zusammenzubeißen. »Geht es vielleicht auch etwas schneller, bitte?«

»Wer sind die Uralten?«, fragte Owyn flüsternd.

»Die Drachenlords«, sagte Locklear.

»Die Lords der Macht, die Valheru«, vervollständigte Gorath. »Als sie diese Welt verließen, legten sie unser Schicksal in unsere Hände und erklärten uns zu einem freien Volk.«

»Ich habe davon gehört«, sagte Locklear.

»Es ist mehr als nur eine Geschichte, Mensch, denn es war mein Volk, dem sie diese Welt übergeben haben. Doch dann seid ihr Menschen gekommen, und nach euch die Zwerge, und danach noch andere. Jetzt ist dies eure Welt, ihr habt sie uns genommen.«

»Na ja, ich bin zwar kein Student der Theologie, und meine Kenntnisse der Geschichte sind mehr als kläglich«, erklärte Locklear, »aber es scheint mir doch, dass unabhängig davon, welchen Grund unsere Anwesenheit auf dieser Welt auch haben mag, wir nun einmal hier sind und es keinen anderen Ort gibt, an den wir gehen könnten. Wenn also deine Verwandten, die Elben, damit leben können – wieso dann ihr nicht auch?«

Gorath musterte den jungen Mann, sagte aber nichts. Dann stand er auf und schritt mit tödlicher Entschlossenheit auf Locklear zu.

Owyn hatte gerade die Bandagen befestigt; er schlug hart auf dem Boden auf, als Locklear ihn in dem Bemühen, aufzustehen und das Schwert zu ziehen, rüde beiseite stieß.

Doch statt Locklear anzugreifen, sprang Gorath an den beiden vorbei, fuchtelte über Locklears Kopf mit der Kette herum, die seine Handschellen verband. Beim Klang des klirrenden Metalls fuhr Locklear zusammen. »Attentäter!«, rief Gorath, dann versetzte er Owyn einen Tritt und schrie: »Steht endlich auf!«

Owyn wusste nicht, von wo der Attentäter gekommen war; eben waren sie noch zu dritt auf der kleinen Lichtung gewesen, und jetzt war Gorath in einen tödlichen Kampf mit einem anderen Dunkelelb verstrickt.

Die zwei Gestalten rangen im Schein des Feuers miteinander, und ihre Gesichtszüge wirkten im Kontrast zu den hellen Flammen und der Dunkelheit des Waldes vollkommen starr. Gorath hatte dem anderen Moredhel das Schwert aus der Hand geschlagen, und als dieser stattdessen einen Dolch zu ziehen versuchte, schlüpfte Gorath hinter ihn und legte ihm die Kette um den Hals. Er riss kräftig daran, und die Augen des Angreifers traten vor Entsetzen hervor. »Kämpfe nicht dagegen an, Haseth. Um der alten Zeiten willen werde ich es kurz machen.« Mit einem kräftigen Ruck drückte er dem anderen die Luftröhre ein, und der Dunkelelb erschlaffte.

Gorath ließ ihn zu Boden sinken. »Möge die Göttin der Dunkelheit dir Gnade erweisen.«

Locklear stand auf. »Ich dachte, wir hätten sie abgehängt.«

»Ich wusste, dass es nicht so war«, sagte Gorath.

»Warum hast du es mir dann nicht gesagt?« Locklear zog seine Tunika wieder an.

»Es war klar, dass wir uns ihm früher oder später stellen mussten«, erklärte Gorath und nahm seinen Platz wieder ein. »Entweder jetzt oder in ein oder zwei Tagen, wenn Ihr vom Blutverlust und Hunger noch mehr geschwächt gewesen wärt.« Gorath blickte in die Dunkelheit, dorthin, wo sich der Attentäter versteckt gehalten hatte. »Wäre er nicht allein gewesen, hättet Ihr dem Prinzen nur noch meine Leiche zeigen können.«

»So leicht kommst du mir nicht davon, Moredhel. Ich habe dir noch nicht die Erlaubnis gegeben zu sterben, nach all dem Ärger, den ich bisher damit hatte, dich am Leben zu halten«, schimpfte Locklear. »Ist er der Letzte?«

»Das ist ziemlich unwahrscheinlich«, sagte der Dunkelelb. »Er ist nur der Letzte von dieser Gruppe. Andere werden folgen.« Er warf einen Blick in die andere Richtung. »Und wieder andere sind möglicherweise bereits vor uns.«

Locklear griff in einen kleinen Beutel neben sich und brachte einen Schlüssel zum Vorschein. »Dann halte ich es für besser, wenn ich dir die Fesseln abnehme«, sagte er. Er schloss die Handschellen auf, und Gorath blickte ihnen mit gelassener Miene hinterher, als sie klirrend zu Boden fielen. »Du kannst dir das Schwert des Attentäters nehmen.«

»Vielleicht sollten wir ihn begraben?«, schlug Owyn vor.

Gorath schüttelte den Kopf. »Das ist bei uns nicht üblich. Sein Körper ist nur eine Hülle. Die Aasfresser sollen ihn sich holen und der Erde zurückgeben, damit die Pflanzen sich davon ernähren können und die Welt auf diese Weise erneuert wird. Sein Geist hat die Reise durch die Dunkelheit angetreten, und mit dem Wohlgefallen der Göttin der Dunkelheit wird er den Weg zu den Gesegneten Inseln finden.« Gorath schaute nach Norden, als suchte er etwas Bestimmtes. »Er war mein Verwandter, wenn auch keiner, den ich besonders gern gemocht habe. Aber die Blutbande zählen viel bei meinem Volk. Die Tatsache, dass er mich gejagt hat, ist daher ein eindeutiges Zeichen, dass ich bei meiner Rasse als Ausgestoßener und Verräter gelte.« Er blickte Locklear an. »Wir haben also ein gemeinsames Ziel, Mensch. Denn wenn ich die Mission, für die mein Volk mich verflucht, ausführen will, muss ich überleben. Wir müssen uns also gegenseitig helfen.« Er nahm das Schwert von Haseth und wandte sich an Owyn. »Begrabt ihn nicht, Mensch, aber schafft ihn uns aus den Augen. Morgen früh wird er noch unansehnlicher sein.«

Owyn blickte unsicher drein bei dem Gedanken, eine Leiche anfassen zu müssen. Er enthielt sich jedoch einer Bemerkung, beugte sich vor und packte den toten Moredhel an den Handgelenken. Er war überraschend schwer. Während Owyn begann, Haseth von der Lichtung zu ziehen, rief Gorath hinterher: »Und seht nach, ob sein Reisebeutel im Wald liegt. Möglicherweise ist was zu essen drin.«

Owyn nickte; er wunderte sich im Stillen, welch seltsames Schicksal ihn dazu gebracht hatte, eine Leiche durch das dichte Unterholz zu schleifen und auszuplündern.

Am nächsten Morgen kämpfte sich ein müdes Trio durch den Wald, immer in Sichtweite der Straße, aber stets darauf bedacht, nicht direkt auf ihr zu gehen.

»Ich begreife nicht, wieso wir nicht nach Yabon zurückkehren und uns ein paar Pferde besorgen«, klagte Owyn.

»Wir sind bereits dreimal angegriffen worden, seit wir Tyr-Sog verlassen haben«, erklärte Locklear. »Wenn es noch weitere Moredhel auf uns abgesehen haben, möchte ich nur ungern direkt in sie hineinlaufen. Außerdem finden wir ja vielleicht auf dem Weg nach LaMut ein Dorf, in dem wir Pferde bekommen können.«

»Und womit sollen wir die bezahlen?«, fragte Owyn. »Ihr habt gesagt, dass die Pferde bei dem Kampf, der Euch diese Verletzung eingebracht hat, weggelaufen sind. Ich nehme doch wohl an, dass bei dem Pferd auch Eure Sachen waren? Und Euer Geld? Ich habe jedenfalls nicht genug bei mir, um drei Reittiere zu erwerben.«

Locklear lächelte. »Ich bin nicht ganz ohne Mittel.«

»Wir könnten sie uns einfach so nehmen«, schlug Gorath vor.

»Schon möglich«, stimmte Locklear zu. »Aber ohne ein offensichtliches Rangabzeichen oder eine Erklärung des Prinzen, die auf meine Person ausgeschrieben ist, wird es schwierig sein, den Wachtmeister von meinem ehrlichen Anliegen zu überzeugen. Und ich glaube kaum, dass wir in einem Dorfgefängnis sicher vor den Mördern sind, die nach uns suchen.«

Owyn schwieg. Sie waren seit Sonnenaufgang unterwegs, und er war müde. »Wie sieht es mit einer Pause aus?«, fragte er vorsichtig.

»Nicht sehr gut«, sagte Gorath; seine Stimme versiegte zu einem Flüstern. »Hört.«

Einen Augenblick sprach keiner der beiden Menschen, doch dann meinte Owyn: »Was ist denn? Ich höre nichts.«

»Das ist es ja«, erklärte Gorath. »Die Vögel in den Bäumen da vorn haben plötzlich aufgehört zu singen.«

»Eine Falle?«, fragte Locklear.

»Davon gehe ich aus«, antwortete Gorath und zog das Schwert, das er seinem toten Verwandten abgenommen hatte.

»Meine Seite brennt zwar noch, aber ich kann kämpfen.« Locklear wandte sich an Owyn. »Was ist mit Euch?«

Owyn hob seinen Stock. Er bestand aus harter Eiche, deren Enden mit Eisenkappen versehen waren. »Wenn es nötig ist, kann ich diesen Stock schwingen. Und ich beherrsche etwas Magie.«

»Könnt Ihr sie dazu bringen, sich zurückzuziehen?«

»Nein«, sagte Owyn. »Das kann ich nicht.«

»Schade«, meinte Locklear. »Dann versucht, Euch aus dem größten Getümmel herauszuhalten.«

Sie gingen vorsichtig weiter, und als sie sich der Stelle näherten, von der Gorath gesprochen hatte, gelang es Locklear, eine schattenhafte Gestalt zwischen den Bäumen auszumachen. Der Mann oder Moredhel – Locklear konnte es nicht erkennen – hatte sich ganz leicht bewegt und so seine Position verraten. Wäre er reglos geblieben, hätte Locklear ihn niemals entdeckt.

Gorath machte Locklear und Owyn ein Zeichen, sich mehr rechts zu halten, während er sich hinter die Wache schlich. Da sie nicht wussten, mit wie vielen Männern sie es zu tun hatten, war es nur sinnvoll, den Vorteil der Überraschung zu nutzen.

Gorath bewegte sich, kaum dass er Owyn und Locklear verlassen hatte, wie ein Geist durch den Wald, lautlos und unsichtbar. Locklear bedeutete Owyn, sich rechts hinter ihm zu halten; er musste genau wissen, wo sich der Junge befand, während sie sich dem Hinterhalt immer weiter näherten.

Der Klang flüsternder Stimmen drang an ihre Ohren, und Locklear begriff, dass es keine Elben sein konnten – Elben, die jemandem auflauerten, pflegten mucksmäuschenstill zu sein. Die Frage war nur, ob es sich lediglich um Banditen handelte oder um Männer, beauftragt, Goraths Reise zu beenden.

Ein Ächzen von weiter vorn kündete von Goraths erstem Kontakt mit den im Hinterhalt liegenden Männern. Ein Schrei folgte, und Locklear und Owyn rannten los.

Vier Männer waren auf einer kleinen Lichtung zwischen zwei Baumreihen zu erkennen, einer lag bereits sterbend am Boden.

Die Position war für einen Hinterhalt wie geschaffen. Locklear spürte ein seltsames Flackern hinter sich, und irgendetwas sauste an seinen Augen vorbei, als hätte hinter ihm jemand einen Pfeil abgeschossen. Doch diese Empfindung war auch schon alles, zu sehen war nichts.

Einer der drei verbliebenen Angreifer schrie vor Entsetzen gellend auf und hielt schützend die Hand vor die Augen, die ins Leere zu starren schienen. »Ich bin blind!«, kreischte er voller Panik.

Locklear begriff, dass das Owyns Werk war, und er dankte der Göttin des Glücks dafür, dass der Junge soviel Magie beherrschte.

Gorath war mit einem Angreifer beschäftigt, während Locklear sich jetzt dem anderen näherte. Plötzlich erkannte er die Kleidung der Männer. »Es sind Queganer!«

Die Männer trugen kurze Tuniken und Beinkleider sowie mit Kreuzbändern versehene Sandalen. Der Mann, der Locklear gegenüberstand, hatte sich ein rotes Tuch um den Kopf geschlungen, und über seiner Schulter hing ein Gehenk, in dem noch kurz zuvor ein Entersäbel gesteckt hatte. Jetzt fuhr die Klinge zischend durch die Luft und sauste auf Locklears Kopf nieder.

Der Junker parierte, und der Hieb schickte eine Woge aus flammendem Schmerz durch seine verwundete Seite. Locklear versuchte, ihn zu ignorieren, und konterte, und der Pirat wich zurück. Ein unterdrückter Schrei teilte Locklear mit, dass auch der zweite Pirat zu Boden gegangen war.

Wieder schoss die seltsame Empfindung an ihm vorbei, und auch der Mann vor Locklear kauerte sich zusammen, die Hände vor das Gesicht haltend, als wollte er die Augen schützen.

Ohne zu zögern, erstach Locklear ihn.

Gorath tötete den Letzten, und dann war es plötzlich wieder still im Wald.

Locklears Seite brannte fürchterlich, aber er hatte nicht den Eindruck, dass neue Wunden hinzugekommen waren. Er hob sein Schwert. »Verflucht.«

»Seid Ihr verletzt?«, fragte Owyn.

»Nein«, antwortete Locklear.

»Was ist dann das Problem?«, wollte Owyn wissen.

Locklear blickte sich auf der Lichtung um. »Die da sind das Problem. Jemand muss gewusst haben, dass wir hier vorbeikommen würden. Daran besteht kein Zweifel.«

»Aber wie sollen sie es erfahren haben?«, fragte Gorath.

»Es sind queganische Piraten«, erklärte Locklear. »Schaut Euch nur ihre Waffen an.«

»Ich würde niemals einen Queganer erkennen, auch dann nicht, wenn ich über einen stolpere«, sagte Owyn. »Ich glaube also Euren Worten, Junker.«

»Betreiben Piraten ihr Handwerk denn nicht gewöhnlich auf See?«, fragte Gorath.

»Ja, das tun sie«, antwortete Locklear, »zumindest, solange sie niemand dafür bezahlt, dass sie sich an irgendeiner Straße auf die Lauer legen und auf drei Männer warten, die zu Fuß unterwegs sind.« Er kniete sich neben dem Mann hin, der zu seinen Füßen gestorben war. »Seht Euch nur seine Hände an. Es sind die Hände eines Mannes, der an die Arbeit mit Seilen gewohnt ist. Die queganischen Entersäbel sind der entscheidende Beweis.« Er untersuchte den Mann, suchte nach einem Beutel oder einer Börse. »Sucht nach etwas, das wie eine Nachricht aussieht«, forderte er die anderen auf.

Das taten sie, und sie fanden etwas Gold und zwei Dolche, zusätzlich zu den vier Entersäbeln. Aber sie fanden keinerlei Nachrichten oder Botschaften, nichts, was darauf hingedeutet hätte, in wessen Auftrag sich die Piraten auf die Lauer gelegt hatten. »Wir sind nicht nahe genug an Ylith, dass eine Bande von Piraten in der gleichen Zeit, die wir von Yabon bis hierher gebraucht haben, unbemerkt so weit nach Norden gelangt sein könnte.«

»Also muss jemand sofort, als ich die Nordlande verließ, eine Nachricht nach Süden geschickt haben«, sagte Gorath.

»Aber wie?«, fragte Owyn. »Nach allem, was Ihr beide gesagt habt, seid Ihr nur zwei Tage in Tyr-Sog gewesen, und bis gestern seid Ihr auch noch geritten.«

»Für einen Studenten der Magie ist das eine ziemlich seltsame Frage«, befand Gorath.

Owyn errötete leicht. »Oh.«

»Ihr habt Zauberwirker, die so etwas können?«, wandte sich Locklear an Gorath.

»Nicht solche, die die Eledhel – ›Elben‹ in Euren Worten – Zauberwirker nennen. Aber wir haben Magier, die so etwas beherrschen, und Leute Eurer Art, die ihre Künste verkaufen.«

»Ich habe es niemals selbst erlebt«, erklärte Owyn, »aber ich habe von dieser Fähigkeit gehört. Sie nennt sich ›Gedankensprache‹ und ermöglicht es einem Zauberwirker, über größere Entfernungen mit einem anderen zu reden. Und es gibt auch etwas, das ›Traumsprache‹ genannt wird. Beide –«

»Irgendjemand will unbedingt deinen Tod, nicht wahr?«, unterbrach Locklear den Wortschwall des Jungen.

»Delekhan«, erklärte Gorath. »Er hat alle um sich geschart, die solche Fähigkeiten besitzen. Ich kenne seine Ziele, aber ich weiß nicht genau, was er für einen Plan hat. Doch wenn Magie ein Teil davon ist, fürchte ich das Schlimmste.«

»Das kann ich gut verstehen«, sagte Locklear. »Ich hatte genügend Auseinandersetzungen mit Leuten, die Magie angewandt haben, es aber besser nicht getan hätten.« Er sah Owyn an. »Dieses Blenden war sehr gut, Junge.«

Owyn wirkte beschämt wegen des Lobs. »Ich dachte, es könnte vielleicht helfen. Ich kenne ein paar solcher Zaubersprüche, aber nichts, was einen Gegner wirklich überwältigen könnte. Dennoch werde ich immer versuchen zu helfen, so gut es geht.«

»Das weiß ich«, meinte Locklear. »Machen wir uns also wieder auf den Weg nach LaMut.«

LaMut schien mitten auf der Straße emporzuwachsen; wer von Yabon nach Ylith unterwegs war, musste entweder die Stadttore passieren oder die Mühe eines langen Umwegs nach Osten über gefährliche Gebirgsausläufer auf sich nehmen.

Die Stadt wucherte in alle Richtungen, und die alten Stadtmauern waren inzwischen beinahe nutzlos geworden; zu leicht wäre es für einen Angreifer, das Dach eines der angrenzenden Gebäude zu erklimmen und von dort aus auf die Brustwehr zu gelangen.

Es war beinahe Sonnenuntergang, und die drei Reisenden waren erschöpft; ihre Füße fühlten sich müde an, und sie hatten Hunger. »Wir können Graf Kasumi morgen aufsuchen«, meinte Locklear.

»Wieso nicht jetzt?«, wollte Owyn wissen. »Ich könnte eine Mahlzeit und ein Bett gebrauchen.«

»Aber die Garnison ist da oben«, erklärte Locklear und deutete auf eine Festung, die sich in einiger Entfernung auf einem Hügel hoch über der Stadt abzeichnete. »Und das bedeutet noch mal zwei Stunden marschieren, während es hier ganz in der Nähe eine billige Schenke gibt.« Er deutete auf das Tor.

»Werden sich Eure Landsleute nicht an meiner Anwesenheit stören?«, fragte Gorath.

»Das würden sie, wenn sie von deiner wahren Herkunft wüssten. Doch sie werden dich für einen Elben aus Elbenheim halten und dich nur ein wenig anstarren. Gehen wir. Wir haben jetzt genug Gold, um eine halbwegs angenehme Nacht verbringen zu können. Morgen suchen wir den Grafen auf; vielleicht kann er uns ja dabei helfen, sicher nach Krondor zu gelangen.«

Sie marschierten unter den aufmerksamen Blicken der ansonsten gelangweilt dreinblickenden Soldaten in die Stadt. Einer von ihnen löste sich von seinen Kameraden; er war etwas kleiner und hatte etwas Geschäftsmäßiges an sich. Locklear lächelte und nickte den anderen Wachen zu, aber keiner der drei hielt an oder sagte etwas. Ein kurzes Stück hinter dem Stadttor lag eine Schenke, vor der ein leuchtend blau bemaltes Wagenrad hing. »Da vorn«, sagte Locklear.

Sie betraten die Schenke, die zwar gut besucht, aber nicht überfüllt war, und schritten zu einem Tisch an der Wand, die dem Eingang gegenüberlag. Nachdem sie Platz genommen hatten, kam eine junge, kräftige Kellnerin zu ihnen und nahm ihre Bestellung auf. Während sie warteten, bemerkte Locklear, dass jemand sie vom anderen Ende des Raums unentwegt anstarrte.

Es dauerte einen Augenblick, bis der Junker begriff, dass es kein Mensch, sondern ein Zwerg war. Er kam jetzt auf sie zu. Eine auffällige lange Narbe zog sich vom linken Auge ausgehend über sein Gesicht. Der Zwerg baute sich vor den dreien auf. »Erkennt Ihr mich etwa nicht mehr, Locky?«

Die Stimme half Locklear, sich allmählich daran zu erinnern, dass er den Zwerg tatsächlich kannte; damals hatte er allerdings noch keine Narbe im Gesicht gehabt, sondern stattdessen eine Augenbinde getragen. »Dubal! Ohne Augenbinde hätte ich Euch beinahe nicht erkannt.«

Der Zwerg nahm neben Owyn Platz und saß somit Gorath genau gegenüber. »Das ist eine Erinnerung an einen Kampf mit einem von seinem Volk«, – er deutete auf Gorath –, »aber ich will eher die Mutter eines Drachen sein, als dass ich diese Narbe verstecke.«

»Dubal hat mich nach der Schlacht von Sethanon in einem Keller gefunden, in dem ich mich versteckt hielt«, erklärte Locklear.

»Zusammen mit einem hübschen Mädchen, wenn ich mich nicht täusche.« Der Zwerg lachte.

Locklear zuckte mit den Achseln. »Na ja, das war nur Zufall.«

»Aber jetzt sagt mir, was verschlägt einen Junker vom Hof des Prinzen nach LaMut, noch dazu in Begleitung eines Moredhel-Anführers?« Er sprach leise, aber trotzdem blickte Owyn sich verstohlen um; er wollte wissen, ob womöglich irgendjemand diese Worte gehört hatte.

»Ihr kennt mich?«, fragte Gorath.

»Ich kenne Eure Rasse, denn Ihr seid der Feind meines Volkes, und ich erkenne Eure Rüstung. Ein Mensch würde den Unterschied möglicherweise nicht bemerken, aber wir von den Grauen Türmen haben lange genug gegen Euer Volk gekämpft, um Euch nicht mit einem aus Elbenheim zu verwechseln. Ihr habt es nur Euren gegenwärtigen Begleitern zu verdanken, dass ich Euch nicht gleich hier und jetzt töte.«

Locklear hob beschwichtigend die Hand. »Ich – und ich spreche jetzt auch für Prinz Arutha – würde es als Freundlichkeit und persönlichen Gefallen werten, wenn Ihr diese Person weiterhin für einen Elben halten könntet.«

»Ich denke, das geht in Ordnung. Aber Ihr werdet zu den Grauen Türmen kommen und mir den Grund für diese Maskerade erklären müssen.«

»Das werde ich tun, sobald ich kann«, versprach Locklear. »Und nun sagt mir, was führt Euch ganz allein nach LaMut?«

»Wir haben Probleme mit unseren Minen; es hat einen Einsturz gegeben. Jetzt sind einige von uns auf dieser Seite der Grauen Türme gefangen, und ich bin in die Stadt gekommen, um ein paar Vorräte zu kaufen. Morgen werde ich einen Wagen mieten und dann wieder zurückfahren. Doch im Augenblick genieße ich es, hier zu sitzen und zu trinken und ein bisschen mit den Tsuranis zu quatschen, die hier in LaMut sind. Ich habe im Krieg gegen sie gekämpft und festgestellt, dass sie sich als ganz schön harte Burschen entpuppen, wenn man sie näher kennenlernt.« Er deutete auf die Theke. »Der große Bursche da« – Locklear musste lachen, dass jemand einen Tsurani »groß« nannte – »ist Sumani, der Besitzer dieser Schenke. Er hat eine ganze Reihe Geschichten über die Zeit, die er auf seiner Heimatwelt verbracht hat, auf Lager, und ich will verdammt sein, wenn das Meiste nicht so klingt, als wäre es die Wahrheit.«

Locklear lachte. »Die meisten Tsuranis, die ich kenne, neigen nicht gerade zu prahlerischen Geschichten, Dubal.«

»Scheint so, aber man weiß ja nie. Ich habe auch gegen diese großen Käfer, die Cho-ja, gekämpft, aber wenn ich daran denke, was er sonst noch so erzählt … nun ja, ich neige doch sehr dazu, es zu glauben.«

Die Kellnerin kam mit dem Essen und dem Bier, und sie griffen tüchtig zu. »Jetzt seid Ihr an der Reihe«, meinte Dubal. »Was hat Euch hierher geführt?«

»Darüber kann ich im Augenblick leider nicht sprechen«, wehrte Locklear ab, »aber wir wüssten gerne von Euch, ob sich hier Queganer rumgetrieben haben.«

»Vor zwei Tagen ist eine Bande von ihnen hier gewesen, jedenfalls ging so das Gerücht«, sagte Dubal. »Ich war gerade erst angekommen und habe mich um das Material gekümmert, das wir benötigen. Sind Queganer hier nicht ein bisschen weit weg von ihrer Heimat?«

»Das könnte man sagen«, meinte Locklear. »Wir sind auf einige gestoßen und haben uns gefragt, ob sie wohl Freunde hatten.«

»Nun, dem Klatsch nach zu urteilen haben sich alle nach Norden aufgemacht. Wenn Ihr also nicht auf eine sehr große Gruppe gestoßen seid, müssen sie hier wohl tatsächlich Freunde gehabt haben.«

»Das habe ich mir gedacht.«

Sie aßen eine Weile schweigend weiter, während Dubal sich an seinem Becher Bier zu schaffen machte. »Ihr seid nicht zufällig auf einen armengarischen Monster-Jäger gestoßen?«

»Was für ein Monster-Jäger?«, fragte Owyn.

»Er meint einen Bestien-Jäger«, erklärte Locklear. »Ich bin mal einem begegnet.« Die Erinnerung ließ ihn lächeln. Sie waren mit Prinz Arutha vor einer Bande Moredhel geflüchtet und auf einen Bestien-Jäger aus Armengar und seinen Jagdhund gestoßen. Sie waren in eine Falle geraten, aber sie hatte sie vor den Moredhel bewahrt, die hinter ihnen her gewesen waren. »Nein, ich glaube, diejenigen, die noch übrig sind, halten sich in den Bergen nördlich von Yabon auf. Wieso?«

»Oh, wir haben einen Brak Nurr in der Mine verloren und brauchen jemanden, der ihn wieder für uns einfängt. Wir können entweder die Mine neu aufbauen oder ihn jagen, denn auf dieser Seite des Gebirges sind nicht genug von uns, um beides zu tun.«

»Was ist ein Brak Nurr?«, wollte Owyn wissen. »Ich habe von einem solchen Wesen noch niemals gehört.«

»Es handelt sich mehr um ein Übel als um eine Bedrohung«, sagte Dubal. »Es ist ein ziemlich dummes Geschöpf, und die meisten von ihnen halten sich nur in den unteren Minen und Tunneln auf. Der Brak Nurr hat menschenähnliche Gestalt, sieht aber aus wie ein wandelnder Stapel aus Felsklötzen. Das macht diese Wesen auch so gefährlich, Junge«, sagte Dubal zu Owyn. »Man sieht sie erst, wenn man auf ihre Zehen getreten ist, und das geschieht sehr häufig. Sie sind langsam und schwerfällig, aber auch stark, und sie können einem Menschen mit einem Schlag den Schädel zertrümmern. Der, den wir suchen, kam wohl wegen des Felsrutsches nach oben, jedenfalls nehme ich das an, aber was auch immer der Grund dafür war – er hat zwei von unseren Kameraden verletzt. Wir haben ihn verjagt, hatten aber nicht die Zeit, ihn wieder einzufangen. Wenn Ihr ein bisschen Spaß haben wollt, kann ich Euch hinbringen, und wenn Ihr die Minen von ihm befreit, erhaltet Ihr eine großzügige Belohnung.«

»Belohnung?«, fragte Locky. »Dieses Wort liebe ich, aber leider haben wir nicht die Zeit dazu. Wenn uns die Umstände in der nächsten Zeit zu den Minen führen sollten, helfen wir Euch sicher gern, aber im Augenblick müssen wir dringend nach Süden.«

Dubal stand auf. »Ich verstehe. Sobald wir den Tunnel fertig haben, machen wir uns auf die Suche nach der Bestie. Aber jetzt gehe ich schlafen, denn ich muss morgen schon früh aufbrechen. Es hat gut getan, Euch wiederzusehen, Junker« – er deutete auf Gorath –, »selbst in solcher Gesellschaft. Möge Euch das Glück gewogen sein.«

»Und Euch ebenso, Dubal.«

Locklear beendete seine Mahlzeit und stand dann auf, um zum Besitzer der Schenke zu gehen.

Der Mann trug eine Tunika im Stil des Königreichs sowie Hosen, die in hohen Kalbslederstiefeln steckten. Zusätzlich hing noch ein schwerer, pelzgesäumter Wollumhang – wenn auch lose – um seine Schultern, ganz so, als wäre es ihm selbst in diesem warmen Gasthaus noch zu kalt.

»Bitte?«, fragte der Wirt; sein deutlicher Akzent klang seltsam in Locklears Ohren.

»Ehre Eurem Haus«, sagte Locklear auf Tsuranisch.

Der Mann lächelte und erwiderte etwas. Locklear lächelte ebenfalls und zuckte mit den Achseln. »Es tut mir leid, das war alles Tsuranisch, das ich kann.«

Das Lächeln des Mannes verstärkte sich. »Es ist immer noch mehr als das, was die meisten anderen können«, sagte er. »Ihr seid nicht aus LaMut«, fügte er dann hinzu.

»Das stimmt. Ich habe Eure Sprache ein bisschen bei Sethanon gelernt.«

»Ah«, meinte der Wirt und nickte verstehend. Nur wenige, die bei Sethanon gewesen waren, sprachen von dem, was dort geschehen war, hauptsächlich deshalb, weil nur die wenigsten es verstanden. Auf dem Höhepunkt der Schlacht hatten merkwürdige Ereignisse die Armeen dazu gebracht, aus der Stadt zu fliehen – sowohl die der Angreifer als auch die der Verteidiger. Ein grünes Licht und eine seltsame Erscheinung am Himmel, gefolgt von der Zerstörung des Stadtkerns, hatten die meisten Männer vollkommen gelähmt, einige sogar über die Zeit nach dem Kampf hinaus taub gemacht. Niemand konnte genau sagen, was geschehen war, auch wenn die meisten sich darin einig waren, dass große magische Kräfte entfesselt worden waren. Die meisten spekulierten, dass der Magier Pug, ein Freund des Prinzen, seine Hand im Spiel gehabt hatte, aber niemand konnte das mit Sicherheit sagen.

Locklear hatte das Ende der Schlacht zum größten Teil verpasst, weil er in einem Keller eingeschlossen gewesen war, aber er hatte genug von anderen gehört, um sich ein eigenes, klares Bild zu machen. Seit damals bestand ein besonderes Band zwischen denen, die die Schlacht bei Sethanon überlebt hatten, ungeachtet ihrer Geburt, denn es waren Tsuranis gewesen, Männer des Königreichs und sogar keshianische Soldaten, die die Moredhel und die mit ihnen verbündeten Goblins zurück in die Nordlande getrieben hatten.

»Ich habe gesagt«, erklärte der Wirt, »›Ehre Euren Häusern, und willkommen in der Schenke zum Blauen Rad‹.«

»Blaues Rad? Ist das nicht eine Eurer politischen Parteien?«

Jetzt strahlte der Wirt über das ganze Gesicht und enthüllte dabei gleichmäßige, weiße Zähne. Seine dunklen Augen schienen im Licht der Laterne regelrecht zu glitzern. »Ihr kennt uns!« Er streckte Locklear nach Art des Königreichs die Hand entgegen. »Ich bin Sumani. Wenn es irgendetwas gibt, das meine Bediensteten oder ich für Euch tun können, lasst es mich wissen.«

Locklear schüttelte die Hand des Mannes. »Ein Zimmer für die Nacht, sobald wir mit unserem Mahl fertig sind, würde genügen. Wir müssen morgen bei Sonnenaufgang zur Festung.«

Der kräftige, ehemalige Kämpfer nickte. »Ihr habt Glück, mein Freund. Letzte Nacht hätte ich nur mein Bedauern äußern können und die Scham ertragen müssen, weil ich nicht in der Lage gewesen wäre, Eurer Bitte nachzukommen. Wir waren vollständig belegt, aber da heute Morgen eine große Gruppe abgereist ist, haben wir wieder einige freie Zimmer.« Er griff unter die Theke und zog einen schweren Eisenschlüssel hervor. »Auf meiner Heimatwelt wäre dies soviel wert wie das Leben eines Mannes, hier ist es nichts weiter als ein Werkzeug.«

Locklear nickte; er wusste, dass Metalle auf Kelewan sehr rar waren. Er nahm den Schlüssel an sich. »Eine große Gruppe, habt Ihr gesagt?«

»Ja«, erklärte Sumani. »Fremde. Queganer, schätze ich. Ihre Sprache klang merkwürdig.«

Locklear blickte sich in dem offensichtlich wohlhabenden Gasthaus um. »Wie kommt ein tsuranischer Soldat dazu, in LaMut ein Wirtshaus zu führen?«

»Nach dem Krieg hat Graf Kasumi denjenigen Tsuranis, die auf dieser Seite des Spalts gefangen waren, die Möglichkeit gegeben, hier als Untertanen des Königreichs zu leben. Als der Spalt wieder geöffnet wurde, haben wir die Erlaubnis erhalten, den Dienst zu quittieren und auf die Güter der Shinzawai zurückzukehren. Einige sind zurück nach Kelewan gegangen, um dort wieder unter Kasumis Vater Lord Kamatsu zu dienen, doch die meisten sind hier geblieben. Ein paar von uns haben sich hier in LaMut niedergelassen. Ich selbst habe keine Familie auf Kelewan.« Er blickte sich um. »Und um die Wahrheit zu sagen, ich lebe hier besser, als es mir zu Hause je möglich gewesen wäre. Dort wäre ich vermutlich Bauer geworden – oder Arbeiter auf den Gütern der Shinzawai.« Er deutete auf die offene Tür zur Küche, wo eine große, kräftige Frau damit beschäftigt war, Essen zuzubereiten. »Ich habe eine Frau aus dem Königreich. Wir haben zwei Kinder. Das Leben ist gut. Und ich bin Mitglied der Stadtwache, also übe ich mich noch immer in der Schwertkunst. Die Götter beider Welten lächeln auf mich herab, und ich bin erfolgreich. Ich finde das geschäftliche Leben genauso spannend wie die Kriegskunst.«

Locklear lächelte. »Ich habe keinen Sinn für das Geschäft, aber man hat mir oft gesagt, dass es der Kriegskunst sehr ähnlich wäre. Gibt es irgendwelche Gerüchte?«

»Viele. Im letzten Monat sind viele Reisende nach LaMut gekommen, und es hat auch viele Vermutungen gegeben. Eine große Gruppe von Erhabenen war letzte Woche hier. Und es heißt, dass auch einige Graue Krieger, Banditen aus meiner Heimatwelt, in der Nähe der Stadt gesehen worden sind.«

»Graue Krieger?«, fragte Locklear. »Männer ohne Haus und ohne Ehre? Was hätten die wohl hier in LaMut zu schaffen?«

Sumani zuckte mit den Achseln. »Möglicherweise haben sie gehört, dass ein Mann sich hier mit Hilfe seines eigenen Verstandes und seiner Fähigkeiten emporarbeiten kann, dass er nicht durch seine Geburt unwiderruflich an einen bestimmten Stand gebunden ist. Oder sie suchen hier nach irgendwelchen Reichtümern. Wer kann das bei einem Grauen Krieger schon sagen?« Ein Stirnrunzeln überzog Sumanis Gesicht.

»Was ist?«, fragte Locklear.

»Nun, der Spalt wird von jenen kontrolliert, die den Erhabenen auf Kelewan dienen, und auf dieser Seite bewachen ihn die Soldaten des Königreichs. Um überhaupt hindurchzugelangen, müssen die Grauen Krieger also Dokumente besitzen oder Verbündete unter denen haben, die den Spalt bewachen.«

»Bestechung?«

»Auf dieser Seite vielleicht. Ich habe herausgefunden, dass das Konzept der Ehre im Königreich ein ganz anderes ist als bei uns zu Hause. Aber sich vorzustellen, dass die Diener der Erhabenen einen Verrat begangen hätten …« Er schüttelte den Kopf. »Das ist unmöglich.«

»Danke«, sagte Locklear. Er spürte, dass sich da ein Rätsel auftat. »lch halte Augen und Ohren offen.«

Der Tsurani lachte. »Das ist ein witziger Spruch«, erklärte er. »Lasst es mich wissen, wenn ich Euch noch irgendwie helfen kann.«

Locklear nickte. Er erhielt vom Wirt noch eine Laterne und kehrte dann an seinen Tisch zurück. Gorath und Owyn erhoben sich, und Locklear führte seine Begleiter die Treppen empor zu einem einfachen Raum mit vier Betten. Er forderte Owyn auf, ihm dabei zu helfen, eines der Betten vor die Tür zu schieben, um sie vor einem überraschenden Angriff zu schützen, dann schob er noch ein zweites davor. Er deutete auf das Bett unterhalb des Fensters. »Owyn, Ihr schlaft in dem da.«

»Wieso? Dort zieht es ziemlich.«

Gorath blickte ihn an, die Mundwinkel spöttisch hochgezogen, als wäre er amüsiert. »Weil Eure Schreie uns warnen werden, denn falls jemand durch das Fenster klettern sollte, wird er auf Euch treten«, erklärte Locklear.

Grummelnd zog sich Owyn den Umhang fester um die Schultern und legte sich hin. Locklear deutete auf eines der anderen Betten, und Gorath folgte der Aufforderung ohne Kommentar. Dann setzte sich der Junker auf sein eigenes Bett und löschte die Laterne. Dunkelheit erfüllte den Raum. Von unten aus der Gaststube drangen Stimmen herauf, und Locklear ließ seine Gedanken schweifen. Die Anwesenheit von Fremden und der Angriff der Queganer beunruhigten ihn, und die Gerüchte, dass in dieser Gegend tsuranische Graue Krieger aufgetaucht waren, bereiteten ihm zusätzliches Unbehagen. Doch die Müdigkeit und seine Verletzung ließen ihn rasch einschlafen.

Zwei

Täuschung

Der Soldat winkte sie herein.

»Ihr dürft eintreten«, sagte er zu Locklear.

Locklear führte seine Begleiter in den Raum, der den Wachen der Burg vorbehalten war.

Sie waren früh am Morgen aufgebrochen und hatten die Festung zu Fuß über eine sich schier endlos windende Straße erreicht. Er war froh, dass sie die Nacht in der Stadt verbracht hatten. Seine Rippen schmerzten zwar noch immer, aber nach einer Nacht in einem verhältnismäßig warmen Bett und zwei Mahlzeiten fühlte er sich doppelt so gut wie am Tag zuvor.