Die Frau  aus dem Spiegel - Judith Parker - E-Book

Die Frau aus dem Spiegel E-Book

Judith Parker

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Beschreibung

Der Liebesroman mit Gänsehauteffekt begeistert alle, die ein Herz für Spannung, Spuk und Liebe haben. Mystik der Extraklasse – das ist das Markenzeichen der beliebten Romanreihe Irrlicht – Neue Edition: Werwölfe, Geisterladies, Spukschlösser, Hexen und andere unfassbare Gestalten und Erscheinungen erzeugen wohlige Schaudergefühle. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Mystik Romanen interessiert. Debra schluckte und trat vor den Spiegel. Sie starrte auf das Glas, ein unsichtbares Tuch wischte den Staub weg. Fassungslos sah sie hinein. Nicht ihr Spiegelbild blickte sie an. Bläulicher Nebel wallte, wurde zu tanzenden, leuchtenden Punkten. Sie bildeten eine Frauengestalt. Ein trauriges Lächeln verzog ihren Mund, Tränen glänzten in den Augen. Eingehüllt in bläuliches Licht, bewegte sie nun die Lippen. Sie formten sich zu einem Wort. Doch kein Ton war zu hören. Wieder und wieder. Endlich konnte Debra das Wort von den Lippen ablesen. »Dolores?« wiederholte sie leise. Die Frau im Spiegel nickte. Die Gestalt zerfloß, tanzende Punkte entfernten sich, tauchten in wallende Nebel – dann war nichts mehr zu sehen, nur noch das verstaubte Glas des Spiegels. Debra sah sich wie eine Erwachende um. Das alles habe ich geträumt, versuchte sie sich einzureden. Ich liege bestimmt in meinem Bett, ich werde gleich aufwachen. Aber es war kein Traum.

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Irrlicht - Neue Edition – 11 –

Die Frau aus dem Spiegel

Gefahren aus der Vergangenheit

Judith Parker

Debra schluckte und trat vor den Spiegel. Sie starrte auf das Glas, ein unsichtbares Tuch wischte den Staub weg. Fassungslos sah sie hinein. Nicht ihr Spiegelbild blickte sie an. Bläulicher Nebel wallte, wurde zu tanzenden, leuchtenden Punkten. Sie bildeten eine Frauengestalt. Ein trauriges Lächeln verzog ihren Mund, Tränen glänzten in den Augen. Eingehüllt in bläuliches Licht, bewegte sie nun die Lippen. Sie formten sich zu einem Wort. Doch kein Ton war zu hören. Wieder und wieder. Endlich konnte Debra das Wort von den Lippen ablesen. »Dolores?« wiederholte sie leise. Die Frau im Spiegel nickte. Die Gestalt zerfloß, tanzende Punkte entfernten sich, tauchten in wallende Nebel – dann war nichts mehr zu sehen, nur noch das verstaubte Glas des Spiegels. Debra sah sich wie eine Erwachende um. Das alles habe ich geträumt, versuchte sie sich einzureden. Ich liege bestimmt in meinem Bett, ich werde gleich aufwachen. Aber es war kein Traum. Sie stand wirklich hier oben auf dem Dachboden der Villa. Und dort an einer Truhe lehnte der Spiegel mit dem staubbedeckten Glas und dem kitschigen Rahmen.

Der Blick der dunklen Männeraugen richtete sich mit unverhohlener Bewunderung auf die blonde Frau, deren schmales Gesicht noch Spuren von den Aufregungen der letzten Wochen zeigte. Sie wirkte erschöpft und verängstigt. Debra Collins lächelte gequält. »Alec, sei mir bitte nicht böse, aber ich möchte mich gleich niederlegen.«

Mit einem verständnisvollen Lächeln drückte er ihre Hand und vermittelte ihr ein Gefühl unendlicher Geborgenheit. »Morgen bist du wieder daheim«, vernahm sie wie aus weiter Ferne.

Es summte in ihren Ohren, und ihr Pulsschlag wurde schneller. Alles ringsum verschwamm vor ihren Augen. »Ja, morgen«, wiederholte sie leise.

»Schlaf gut!« Fast widerwillig ließ er ihre Hand wieder los. Am liebsten hätte er Debra ganz fest in seine Arme genommen und ihr über das glänzende Haar gestreichelt. Aber er hielt sich zurück.

»Du auch.« Sie stieg die Stufen zu den Kabinen der Hochseejacht hinunter, hörte Alecs Schritte, die auf dem Deck verklangen, und wäre beinahe die Treppe wieder hinaufgelaufen, um ihm zu folgen. Doch dann ging sie den schmalen Korridor mit den Mahagoniwänden entlang. Das schimmernde Licht der indirekten Beleuchtung verlieh dem Holz die Farbe von dunklem Honig.

Debra atmete schneller und schluckte gewaltsam den Kloß, der plötzlich in ihrem Hals zu stecken schien, hinunter. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie die Tür zu ihrer Kabine öffnete. Zögernd betrat sie den luxuriös eingerichteten Raum mit den Bullaugen. Die Decke auf dem französischen Bett war zurückgeschlagen. Wie ein Schleier hob sich das zarte Blau ihres Nachthemdes von dem seidenen weißen Kissenbezug ab.

»Guter Sam«, flüsterte sie und dachte an einen der Stewards auf dieser Jacht, der für ihren Daddy durchs Feuer gegangen wäre. Nicht nur er. Das gesamte Personal von Larry Collins trauerte um seinen Boß. Die Hiobsbotschaft seines tödlichen Unfalls hatte wie eine Bombe eingeschlagen.

Debra setzte sich auf das Fußende des Bettes, Tränen brannten wie Feuer unter ihren Lidern und lösten sich von den langen dunklen Wimpern.

Ihr Blick fiel auf den alten Spiegel, der an der Mahagoniwand lehnte – ein auffallend häßlicher Spiegel, der in keiner Weise hierherpaßte. Man könnte ihn fast als Schandfleck bezeichnen.

Und doch spielte dieser Spiegel eine seltsame Rolle in ihrem Leben. Seltsam…? Das war kaum das passende Wort für das durch ihn heraufbeschworene Geschehen, für die Ereignisse, die hinter Debra lagen.

Grauenvolle und auch aufschlußreiche Wahrheiten, die sich unter einem Schleier von Geheimnissen verbargen. Dinge, von denen Debra keine Ahnung hatte, Dinge, die eine Tür zur Vergangenheit brutal aufrissen.

Das alles ging der jungen Frau durch den Kopf, als sie tränenblind auf die kleinen vergoldeten Flügel zu beiden Seiten an den oberen Rundungen des Rahmens blickte. Wie sie leuchteten, goldene Funken versprühten, als ob sie lebten, wegfliegen wollten.

Sie bekam eine Gänsehaut, spürte eisige Kälte, während das Glas des Spiegels stumpfer wurde, als würde jemand ihn anhauchen.

Der Atem des Todes? Fröstelnd zog Debra die Schultern hoch. Hätte sie Alecs Rat nicht doch befolgen sollen? Er hatte ihr vorgeschlagen, den Spiegel ins Meer zu werfen, um sich von dem Spuk zu befreien.

Sie aber spürte, daß noch etwas geschehen würde, etwas, das einen Schlußstrich unter das tragische Geschehen ziehen und die Ängste von ihr nehmen würde.

Langsam erhob sich Debra vom Bett und trat vor den Spiegel. Aus der Tasche ihrer Wolljacke zog sie ein Taschentuch und wischte über das Glas. Kleine elektrische Schläge trafen ihre Fingerspitzen.

Das Glas blieb beschlagen. Ihr Herzschlag verlangsamte sich, pochte dumpf und schwer.

Da ist noch etwas, das ich wissen müßte, es ist noch nicht vorbei, schoß es ihr durch den Kopf. Angst breitete sich in ihr aus.

Ein Gedanke, der sich fest in ihr verankerte und ihr wieder dieses bereits bekannte Gefühl von Unwirklichkeit verlieh.

Sie wandte sich um und ging zur Tür des Badezimmers. Ihre Hand, die sich auf den Türknauf legte, war eiskalt und erschreckend kraftlos.

Die indirekte Beleuchtung im Bad schuf ein bläuliches, geisterhaftes Licht. Ihr Gesicht, das ihr aus dem Spiegel über dem Waschbecken entgegenblickte, war leichenblaß.

Debra riß sich zusammen, versuchte, klar zu denken, was ihr auch gelang. Hastig entkleidete sie sich und schlüpfte in den rosa Bademantel. Er war kuschelig weich, erwärmte ihren Körper und half ihr, die Angst zu bewältigen.

Sie machte Abendtoilette und bürstete ihr volles Haar. Dabei dachte sie an Alec Sheeman, an den Mann, den sie liebte.

Ohne ihn hätte sie das alles nicht durchstehen können. Alec war sofort für sie dagewesen, als sie eine seelische Unterstützung gebraucht hatte. Mein Gott, Alec, ohne dich wäre ich verloren gewesen, sagte sie sich und betrat wieder die Kabine. Sie ignorierte den Spiegel und zog den Bademantel aus, um in ihr hauchdünnes Nachthemd zu schlüpfen. Dann legte sie sich nieder und zog die Bettdecke bis zum Kinn herauf.

Sie lauschte auf das leise Plätschern der Wellen, die gegen die Jacht schlugen, und hörte das Summen des Motors. Geräusche, die wie ein Schlafmittel wirkten. Schwerer und schwerer wurden ihre Lider. Sie war todmüde, sehnte sich nach Schlaf.

Ihr Körper wurde schlaffer, dafür begannen ihre Gedanken fieberhaft zu arbeiten. Sie drängten sich mehr und mehr in den Vordergrund.

Die hinter ihr liegenden Ereignisse überschwemmten sie wie eine alles mit sich reißende Woge.

*

Sie ließ das Nachtlicht brennen. Das grüne Tagebuch auf dem Mahagonitischchen neben dem Bett zog ihren Blick magnetisch an.

Jahrelang hatte es auf dem Dachboden der Villa in Miami gelegen. Wäre Daddy nicht tödlich verunglückt, wäre es dort sicherlich vermodert. Niemand hätte sich für dieses kleine Buch interessiert und wohl auch kaum für den häßlichen Spiegel. Wahrscheinlich wären diese Sachen eines Tages bei einer Entrümpelung mitgenommen worden. Daddy hatte beabsichtigt, den Speicher ausbauen zu lassen – für Alice, für seine Verlobte, die zusammen mit ihm den Tod gefunden hatte.

Ein kalter Schauer jagte durch Debras Körper. Warum hatte das Schicksal so hart zugeschlagen? Warum mußten Menschen sterben, die nur Gutes getan hatten?

Fragen, die nie beantwortet wurden. Jedem war sein Schicksal von der Geburt an bestimmt.

Sie starrte mit tränennassen Augen auf die Holzdecke der Kabine. Ja, ihr Leben hatte sich von einer Stunde auf die andere schlagartig verändert. Wie hilflos sie plötzlich war…

Bevor sie die Hiobsbotschaft erhalten hatte, war das Leben ein heiteres Spiel gewesen, voller Vergnügungen. Daddy hatte sie maßlos verwöhnt, ihr jeden noch so verrückten Wunsch erfüllt. Mein Gott, Daddy…

Debra setzte sich im Bett auf, sah sich in der Kabine um. Ihre Blicke hetzten umher und wurden von dem Spiegel festgehalten. Er war noch immer beschlagen. Sie schluckte, weil ihr Mund plötzlich trocken wurde.

Gewaltsam riß sie die Augen von dem Spiegel los, warf sich nach hinten und streckte ihren Körper aus.

Wie ein Film liefen die Geschehnisse vor ihrem geistigen Auge ab. Mit schmerzlicher Deutlichkeit erlebte sie alles noch einmal.

Da war Mabel, die junge Mulattin, die als Hausmädchen in der Villa des Multimillionärs Larry Collins ihren Lebensunterhalt verdiente. Ein stets fröhliches Mädchen, das mit Freuden seine Arbeit verrichtete. Sie hatte eine hübsche Stimme und trällerte wie eine Lerche. An dem Morgen des schicksalhaften Tages sah Debra das hübsche Gesicht des Mädchens als erstes. Mabel rüttelte sie sanft am Arm, und Debra sah sie an, wunderte sich über den Ausdruck in den großen, fast schwarzen Augen.

»Guten Morgen, Miß Debra!« murmelte die Mulattin.

Debra runzelte unwirsch die Stirn. Sie war erst gegen Morgen ins Bett gekommen und dementsprechend unausgeschlafen.

»Was ist los?« fragte sie ungnädig. »Wie spät ist es denn? Warum läßt du mich nicht in Ruhe?«

»Es – es tut mir leid, Miß Debra«, stotterte das Mädchen. »Aber…«

»Aber?« hakte Debra nach. »Ist was geschehen?«

»Miß Debra, es ist…« Mabels Augen füllten sich mit Tränen.

»Mabel, sag was!« Der jungen Frau im Bett wurde es abwechselnd heiß und kalt. Bereits als kleines Mädchen hatte sie das Zweite Gesicht gehabt, hatte Dinge gesehen, die andere nicht sahen. Ihr Mund wurde trocken, und ihr Herzschlag hämmerte so schnell, daß ihr das Atmen schwerfiel. Sie setzte sich im Bett auf. »Was soll das?« herrschte sie das Hausmädchen an. »So sprich doch endlich!«

»Miß Debra, ich…« Die Mulattin warf die Hände vors Gesicht. »Es ist schrecklich! Ganz schrecklich!« Tränen liefen zwischen ihren Fingern hindurch.

»Daddy? Ist etwas mit Daddy geschehen?« Angst schnürte Debras Kehle zu. »Daddy ist mit Alice in den Everglades. Sie sind mit dem Motorboot unterwegs und…«

»Ja, Miß Debra. Es…« Die Mulattin stockte wieder mitten im Satz.

»Verdammt noch mal! Laß dir nicht jedes Wort aus der Nase ziehen!« schrie Debra unbeherrscht. Nun wußte sie, daß ein Unglück geschehen war. Nein, das durfte nicht, konnte nicht sein.

Mabel verließ fluchtartig das Schlafzimmer, als der englische Butler Howard erschien. Der ungefähr sechzigjährige Mann mit dem hageren Gesicht und der langen Nase schien die Zusammenhänge sofort zu erraten. »Das dumme Ding! Sie ist einfach weggelaufen, um Ihnen die Nachricht zu überbringen. Maud hat es als erste bemerkt. Ich bin Mabel gleich nach und… Miß Debra, ein Unglück ist geschehen«, begann er leise. Auch ihm, schien es schwerzufallen weiterzusprechen.

Er wirkte irgendwie eingeschrumpft, schien seiner Würde beraubt. Der Würde, die wohl das Markenzeichen aller englischer Butler ist. Ein Mann in seiner Stellung durfte keine Gefühle zeigen, mußte stets Haltung bewahren. Seltsame Gedanken, die Debra durch den Kopf schossen, obwohl sie sich durchaus des Ernstes der Lage bewußt war. »Howard, was ist geschehen?« fragte sie mit bebender Stimme.

»Soeben rief die Polizei an. Das Motorboot, das Ihr Vater steuerte, ist frontal mit einem größeren Boot zusammengestoßen. Der Zusammenprall muß schlimm gewesen sein.« Die leicht vorstehenden Augen des Mannes glänzten verdächtig.

»Und Daddy? Ist er schwer verletzt? Und Alice?«

»Für Mister Collins und Miß Alice Powdell kam jede Hilfe zu spät, Miß Debra. Mein herzliches Beileid!« Er hatte schnell und monoton gesprochen.

Entgeistert und ungläubig sah Debra ihn an. Zunächst brachte sie keinen Ton heraus, endlich kam es heiser über ihre Lippen: »Howard, sagen Sie, daß das nicht wahr ist. Daddy tot? Niemals! Und Alice! Sie ist das Leben selbst. Die beiden sind nicht tot. Ich weiß das. Ich müßte es doch spüren, wenn sie tot sind.« Sie erkannte, daß ihre Worte Selbstbetrug waren, daß sie nach Ausflüchten suchte und den entsetzlichen Augenblick, wo sich Howards Behauptungen als wahr erwies, hinausschieben wollte. Jede Faser ihres Körpers wehrte sich gegen die Vorstellung, ihr geliebter Daddy und Alice wären gestorben!

Howard stand mit hängenden Schultern da. Schlaff hingen seine Arme herab, und seine Hände öffneten und schlossen sich, ohne daß es ihm bewußt wurde.

Ihre Blicke trafen sich. Debra las in seinen Augen die Wahrheit und wußte, daß sie sich nichts mehr vormachen konnte. Das Schicksal hatte zugeschlagen, die Würfel waren gefallen, Sieger blieb der Tod.

»Es stimmt also«, flüsterte sie. Eisige Kälte umgab ihr Herz.

Dann entdeckte sie Maud Colbert. Sie stand unter dem Türrahmen. Die dicke Schwarze mit den dunklen Augen warf dem Butler einen vielsagenden Blick zu. Howard murmelte einige für Debra unverständliche Worte und verließ das Schlafzimmer.

»Maud! Ach Maud!« Debra streckte der dunkelhäutigen Haushälterin schluchzend die Hände entgegen. »Das kann nur ein böser Traum sein. Weck mich auf! Tu etwas! Bitte, bitte!«

Maud Colbert, eine Nachfahrin der früheren Mammies in den Südstaaten, ging mit ihrem watschelnden Gang auf das Bett zu. »Debra, du mußt sehr tapfer sein. Es ist wahr.« Tränen rollten über die runden Wangen der Schwarzen und tropften auf den weißen Leinenkragen ihrer roten Bluse.

»Beide sind tot? Sie waren so glücklich, Maud.«

»Ich weiß, Sweety.« Lange hatte Maud sie nicht mehr so genannt. Debra warf sich an den dicken Busen der Frau, als diese sich auf dem Bettrand niederließ. »Wein nur, Sweety. Tränen sind gut. Sie helfen über den schlimmsten Schmerz hinweg.«

Debra schmiegte sich noch fester an Maud. Dabei dachte sie an ihren Daddy, der sie nach dem Tod ihrer geliebten Mummy maßlos verwöhnt und ihr jeden Wunsch von den Augen abgelesen hatte. Schon mit vier Jahren war sie Halbwaise geworden. Ihre Mutter hatte irgendwo in Europa ihr Leben beendet.