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Ausnahmsweise dachte ich, als verwaiste Sklavin sei ich sicher. Doch als die Drachenprinzen kommen, um ihre versprochene Braut, Lady Cordelia, zu holen, nehmen sie auch mich mit. Und warum? Weil sie unsterbliche Arschlöcher sind, die gerne horten. Aber als Cordelia getötet wird, stehen die Drachen vor einem großen Problem: Wenn sie ohne eine menschliche Gefährtin zurückkehren, verlieren sie ihren Thron. Also schließen wir einen Pakt. Ich spiele die Braut und bekomme im Gegenzug meine Freiheit. Alles, was ich tun muss, ist, die Brautprüfungen zu überleben, die Paarung zu meistern und daran zu denken, dass Drachenprinzen Killer und keine Freunde sind. Alles, was ich tun muss, ist, mich nicht zu verlieben. „Die Gefangene der Drachen“ spielt in Lunos, der Welt von Alex Lidells Bestseller-Romanen „Macht der Fünf“. Hier erwarten Sie knisternde Szenen, mächtige Fae-Magie, Schicksalsbande, mächtige Drachenwandler und eine Scheinbeziehung, die sich als allzu real erweist. Sind Sie bereit, sich mit Kit auf eine abenteuerliche Reise zu begeben?
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IHR KÖNIGLICHES DRACHENRUDEL
Ohne Titel
1. Kit
2. Tavias
3. Hauck
4. Kit
5. Quinton
6. Cyril
7. Kit
8. Kit
9. Kit
10. Kit
11. Kit
12. Tavias
13. Kit
14. Kit
15. Kit
16. Kit
17. Tavias
18. Kit
19. Tavias
20. Cyril
21. Kit
22. Quinton
23. Kit
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Über den Autor
Aus fernen Landen kommt eine Sterbliche, mit weißen Locken und Wind, der sie umspielt.
So erhebt sich eine, die stark und wahrhaftig ist, die das Leben beschwören wird, das ihre Seele durchdrungen hat.
Ihr Geist ist ungezähmt, ihre Macht unermesslich, ihr Schicksal verwoben mit der Geschichte der Drachen.
Ihre Zahl ist gering, ihre Hoffnungen sind vergebens, seit Generationen trauern die Jungen.
Bis die Drachen ein Band knüpfen, eine Einheit, die über alles hinausgeht.
Nur durch sie werden die Drachen eine blühende und miteinander verwobene Zukunft finden.
Massa'eve Prophezeiung. Ursprung Unbekannt.
Am heutigen Tag bin ich froh, einfach nur eine Sklavin zu sein.
Eine unsichtbare, unbedeutende Sklavin.
Am heutigen Tag laufen die Vorbereitungen auf Lord Agams Anwesen. Alle warten auf die Ankunft der vier Drachenprinzen aus Massa'eve, die heute kommen werden, um ihre nun bereits fünfzehn Jahre alte Abmachung einzulösen. Die inzwischen zwanzigjährige Lady Cordelia wäscht sich, kleidet sich ein und bereitet sich für ihre Hoheiten vor.
Massa'eve liegt in Lunos, dem Reich der Unsterblichen. Niemand, den wir kennen, ist jemals dort gewesen.
Die Köche sind seit drei Tagen mit den Vorbereitungen für das Festmahl beschäftigt, die Lakaien polieren jeden Messingknauf, die Stallknechte untersuchen jedes einzelne Pferd und jedes einzelne Gerät im Stall. Alle tun so, als wüssten sie, was die Drachenprinzen von Massa'eve beeindrucken wird. Aber die Wahrheit sieht eher so aus, dass niemand eine verdammte Ahnung hat, ob sie unseren makellosen Stall als Zeichen von Reichtum und Macht ansehen werden – oder eher als gut gefüllte Vorratskammer.
Und letzteres gilt nicht nur für die Pferde. Gerüchten zufolge fressen Drachen auch Menschen – in diesem Fall werden Sklaven wie ich als Erste auf der Speisekarte landen. Aber dazu müssen sie uns erst einmal erwischen, und nach über fünfzehn Jahren, in denen ich unter Lady Cordelias grausamen Launen leben musste, bin ich zur Meisterin darin geworden, mich rar zu machen.
Daher sind Petra und ich mehr als froh, heute am Herd zu stehen, zu fegen, zu putzen und Feuerholz zu schleppen. Selbst in unseren besten Kleidern sehen wir aus wie ein paar Köhler. Die Schmutzflecken könnten uns eine Tracht Prügel vom Aufseher der Dienerschaft einbringen. Allerdings ist es für uns von größerer Bedeutung, für die Prinzen weniger appetitlich auszusehen – was ein gutes Gleichgewicht zwischen Vor- und Nachteilen zu sein scheint.
„Tut sie dir leid?“, frage ich Petra, während wir den großen Kamin im Foyer des Hintereingangs ausfegen. Wie fast überall auf dem Anwesen bestehen die Wände des Foyers aus dickem Stein, und die gewölbte Decke wird von stabilen Holzbalken getragen. Es ist ein schöner Raum, aber sein größter Vorteil ist im Moment, dass er so weit vom Geschehen entfernt ist, wie es nur möglich ist. „Stell dir das vor. Du bist fünf Jahre alt, und irgendein Wesir von einem Ort, von dem noch nie jemand zurückgekehrt ist, taucht auf und sagt, dass du möglicherweise Teil einer Prophezeiung bist. Und alles, was du von da an, für die nächsten fünfzehn Jahre, tust, läuft darauf hinaus, dass du einem Haufen Drachen ausgeliefert wirst.“
Petra wischt sich den Schweiß aus dem Gesicht und starrt mich ungläubig an. „Kit, du willst ernsthaft, dass ich Mitleid mit einer verzogenen Göre habe, deren größte Freude im Leben darin besteht, andere leiden zu sehen?“
Petra hat nicht Unrecht. Cordelias primäre Definition von Unterhaltung ist es, sich beliebige Sklaven zum Auspeitschen auszusuchen oder ein Paar von ihnen zu zwingen, sich auf einem Podest zu paaren wie Tiere. Ich hatte bisher nur die Auspeitschung erfahren müssen, aber Petra hatte das andere erwischt. Sie war noch Jungfrau gewesen.
Petra schiebt ein Stück Brennholz mit mehr Kraft als nötig an seinen Platz. „Ehrlich gesagt, hoffe ich, dass es einen zweiten Teil dieser Prophezeiung gibt. Irgendwas mit einer blonden Frau mit Luftmagie, die in Stücke gerissen wird, damit ihr Blut die Drachenländer tränken kann.“
Ich zucke bei dem grotesken Gedanken zusammen, sage aber nichts. Wahrscheinlich geht es vielen Menschen auf Lord Agams Anwesen wie Petra. Ich bezweifle, dass selbst diejenigen, die von Cordelias Wutausbrüche verschont geblieben sind, sich sonderlich dafür interessieren, was mit ihr geschehen wird, nachdem sie ausgeliefert wurde. Solange das Geld gezahlt wird, wird sich niemand Gedanken darüber machen, ob sie geopfert oder angebetet wird.
Cordelia ist nicht einmal die richtige Tochter von Lord Agam – sie ist eine entfernte Cousine dritten Grades, die plötzlich zu seinem Mündel wurde, nachdem der Wesir von Massa'eve auf sie aufmerksam wurde. Ein Mündel und ein Schrecken des Anwesens.
„Was passiert, wenn sie sie nicht wollen?“, flüstere ich. „Ich meine, irgendein Wesir hat sie ausgewählt als sie gerade mal fünf Jahre alt war. Was ist, wenn diese Prinzen auftauchen, die ihnen zugewiesene Braut ansehen und sagen: ‚Zur Hölle, die nehmen wir nicht‘?“
Petras Augen weiten sich. „Halt die Klappe. Willst du eine Tracht Prügel beziehen?“
Da hat sie recht. Wenn Lord Agam hört, dass ich so etwas sage, lässt er mich bestenfalls an einen Pfahl binden und schlimmstenfalls in den Kerker werfen. Er hat das kleine Vermögen, das er für Cordelia bekommen soll, bereits verprasst, und jedes Wort, das etwas davon in irgendeiner Form in Frage stellt, gilt als Blasphemie. Aber nur weil ich nicht darüber reden kann, heißt das nicht, dass ich nicht darüber nachdenke. Wenn Agam sein Geld nicht bekommt, wird er Dinge verkaufen müssen. Und ich gehöre zu den Dingen, die auf dem Auktionsblock landen würden. Das Brandzeichen an der Innenseite meines Unterarms, das mich als Sklavin markiert, würde ihm jedes Recht geben, mich einfach zu verkaufen.
Auf Agams Landgut habe ich wenigstens ein Bett, Essen und eine Arbeit, die erträglich ist. Trotz meines Sklavenstatus, weiß ich, wie gut ich es hier habe. Ich weiß, wie viel schlimmer es sein kann. Wenn Cordelia erst einmal weg ist, werde ich mich kaum noch beschweren können.
„Was meinst du, wie sie aussehen?“, frage ich Petra. „Die Drachenwandler meine ich.“
Niemand hatte je einen Drachenwandler zu Gesicht bekommen, aber der Wesir aus Massa'eve, der Cordelia vor fünfzehn Jahren begutachtet hatte, hatte eine Liste mit genauen Anweisungen hinterlassen, wie sie auf ihre Ankunft vorbereitet werden sollte. Eine Demonstration ihrer Luftmagie stand natürlich ganz oben auf der Liste, aber es gab auch noch andere Erwartungen. Alles, vom blondem Haar, das bis zur Taille reichen sollte, über Schwertkünste bis hin zu Dingen, die hinter verschlossenen Schlafzimmertüren geübt wurden. Drachen mochten ihre Frauen genau so.
„Hoffentlich so hässlich wie Cordelias Seele“, sagt Petra.
„Wer soll jetzt lieber still sein?“, sage ich.
„Ihr beide.“ Die hölzerne Doppeltür wird gewaltsam aufgestoßen und schickt einen kalten Luftzug in den Raum. Ich zucke bei dem Geräusch zusammen, stolpere über die Holzscheite und lande mit dem Hinterteil in der Feuerstelle, die ich gerade gefegt hatte. Den Sternen sei Dank hatte ich noch kein Feuer entfacht.
In der offenen Tür stehen vier der größten, prächtigsten und grausam aussehenden Männer, die ich je gesehen habe. Nein, keine Männer. Sie haben längere, spitzzulaufende Ohren und eine Reihe glänzender Schuppen, die sich von der Schläfe bis zum Hals erstrecken. Das sind männliche Fae. Drachenwandler. Sie kommen durch den Hintereingang, während der ganze Palast vorne auf sie wartet.
„Das war unsere Braut, von der du gerade gesprochen hast.“ Der Mann, der am weitesten vorn steht, dessen amethystfarbene Schuppen zu seinen Augen passen, starrt Petra an.
Petra öffnet den Mund, um etwas zu erwidern, aber sie bekommt kein einziges Wort heraus. Ich weiß, dass ihr Herz genauso laut hämmert wie meines. Ihr Gesicht hat jegliche Farbe verloren.
Töte sie, Quinton, höre ich eine Stimme in meinem Kopf befehlen.
„Nein, nicht!“ Ich rapple mich auf und werfe mich vor sie. „Sie hat es nicht so gemeint. Bitte tut ihr nicht weh.“
Der Drachenprinz mit den violetten Schuppen wendet seine Aufmerksamkeit mir zu. Er ist der größte der vier und umgibt sich mit einer Aura der Autorität. Ein Mann, der es gewohnt ist, Befehle zu erteilen und dass alle sie befolgen. In dem Moment, in dem sich unsere Blicke treffen, durchströmt mich eine Energie, als würde seine Magie Besitz von mir ergreifen. Ich möchte am liebsten verschwinden und kann doch nicht einmal wegsehen. Genauso wenig wie der Mann.
„Kit?“, ruft Petra und unterbricht damit die seltsame Verbindung zwischen mir und dem Prinzen.
Ich drehe mich zu ihr um. Verwirrung zeichnet sich auf ihrem rußverschmierten Gesicht ab. Sie blickt immer noch verwirrt drein, als einer der anderen Männer, diesmal mit Silberschuppen, ein Schwert aus seiner Scheide zieht und Petras direkt vor meinen Augen enthauptet.
Ich schreie auf, meine Beine geben nach.
Bevor ich zu Boden gehen kann, packt mich der Amethystprinz am Kragen meines Hemdes. Er hält mich wie eine Stoffpuppe, sodass meine Zehen kaum den Boden berühren. „Du kommst mit uns in die Große Halle“, befiehlt er.
Die menschliche Sklavin zog Tavias’ Aufmerksamkeit mit aller Macht auf sich – und das nicht nur, weil das, was er von ihren Kurven sehen konnte, zu verlockend war, um einfach wegzuschauen. Die Frau hatte etwas an sich, das Tavias’ Brustkorb unangenehm zusammenziehen ließ. Und dann war da noch die Art und Weise, wie sie sich verhalten hatte, als er den telepathischen Befehl gegeben hatte.
Als ob sie ihn gehört hätte.
Was natürlich unmöglich war. Tavias hatte seit seiner Jugend nicht mehr versehentlich mit jemanden telepathisch kommuniziert. Und selbst wenn er irgendwie die Kontrolle verloren hätte, hätte ihn ein Mensch niemals hören können. So funktionierte Magie nicht. Wahrscheinlich war alles viel einfacher: Die Sklavin war klug genug gewesen, um zu erkennen, was passieren würde, und hatte reagiert. Allerdings war sie nicht klug genug gewesen, um aus dem Weg zu gehen.
Die anderen Menschen auf dem Anwesen waren jedoch eindeutig klüger. Sie wichen eiligst aus, als sie Tavias’ erblickten, während er seine Brüder den Flur hinunterführte. Tavias war schlecht gelaunt, obwohl er seine Gefühle hinter einer steinernen Fassade verbarg. Er war der General der Massa'eve-Armee. Er sollte jetzt mit seinen Soldaten unterwegs sein und die Seuche bekämpfen. Stattdessen war er hier in Windor, einem abgelegenen Königreich in der Welt der Sterblichen, und holte eine menschliche ‚Zuchtstute‘ ab. Tavias’ Brüder Cyril, Quinton und Hauck – letzterer nur nüchtern, weil er keine Zeit gehabt hatte, sich zu betrinken – waren genauso erfreut wie er über die ganze Sache.
Noch schlimmer war, dass die vier die nächsten Monate damit verbringen würden, ihre Braut auf die Äquinoktium-Prüfungen vorzubereiten. Zu Zeiten seines Großvaters konnte jeder magiebegabte Mensch Drachenjunge zur Welt bringen. Dann kamen die Fehlgeburten, die Totgeburten. Schließlich wurde eine Schwangerschaft unter Drachen ohne ein seltenes Elixier, das so knapp war, dass die einzelnen Klans darum konkurrieren mussten, so gut wie unmöglich.
Wenn es so weiterging, würden die Drachen auf Lunos vielleicht irgendwann ganz aussterben. Das war möglich. Es war auf dem fernen Kontinent vor einem Jahrtausend geschehen. Slait, Blaze und Flurry, die Elementarhöfe auf der anderen Seite der Welt, hatten überhaupt keine Drachen mehr. Massa'eves einzige Hoffnung, dieses Schicksal zu umgehen, lag in einer Prophezeiung – ein blonder, mit Luftmagie gesegneter Mensch, der das Land heilen würde. Deshalb musste jede potenzielle Braut für den Klan blond sein und Luftmagie beherrschen.
Tavias verstand das. Aber das machte ihn noch lange nicht glücklicher darüber.
„Warum haben wir nicht einfach die Vordertür benutzt?“, fragte Hauck.
Tavias antwortete nicht. Er wusste nur, dass ein Bauchgefühl ihn dazu gedrängt hatte, in letzter Sekunde den Weg zu ändern und das Anwesen von der Rückseite aus zu betreten.
Der zitternde Mensch in Tavias’ Griff lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf sich. Kit. So hatte der andere Mensch sie genannt. Kit war klein, schmächtig, braunhaarig und hatte überhaupt keine Ähnlichkeit mit der versprochenen blonden Schöhnheit, die sie in der Großen Halle erwartete. Und doch, als sich ihre Blicke getroffen hatten, war etwas Seltsames über Tavias gekommen. Eine Art von Energie. Eine Anziehungskraft. Selbst jetzt konnte er nicht aufhören, die Wärme ihres Körpers und den Duft von Zitrusfrüchten und Zimt wahrzunehmen, der von ihr ausging und sich mit dem kupfernen Geruch ihrer Angst vermischte. Es war eine Menge Angst. Sie war so stark, dass Tavias von ihr berauscht war.
Tavias genoss und hasste den Duft an ihr gleichermaßen.
Als sie die Große Halle betraten, hatte sich ihre Ankunft bereits herumgesprochen. Mindestens hundert Gäste füllten den großen Saal, dessen Wände mit üppigen, farbefrohen Wandteppichen geschmückt waren, die Jagdszenen und Schlachtsiege darstellten. Von der Decke hingen mehrere kunstvolle Kandelaber, die den Raum in ein warmes, flackerndes Licht tauchten.
In der Mitte der Halle stand ein langer Holztisch, der mit silbernen Tellern und Kelchen gedeckt war, und Tavias konnte den Duft von gebratenem Fleisch, Wurzelgemüse und knusprigem Brot wahrnehmen, das in den Küchen zubereitet wurde. Diener eilten mit Schalen voller gewürzter Nüsse und Süßigkeiten umher, damit die Adligen sich bedienen konnten.
Hauck grinste, als er die Musiker und Tänzer betrachtete, die an der gegenüberliegenden Wand standen und ihre Harfen, Lauten und Kostüme bereithielten.
Quinton runzelte die Stirn.
Tavias verzog keine Miene und wusste, dass Cyril, der knapp hinter ihm stand, dasselbe tat. Die Menschen planten eine Feier, aber für die Drachen war dies nur ein Geschäft. Er wollte es so schnell wie möglich hinter sich bringen. Das bedeutete, dass er sich darum kümmern musste, dass diese Cordelia ihre Anforderungen erfüllte, sonst wäre die ganze Reise umsonst gewesen. Außerdem würde es nicht gut ausgehen, wenn sie zu viel Zeit mit Menschen verbrachten. Ihre Präsenz lockte ihre Drachen hervor – und die Bestien würden sich nicht mit den zubereiteten Speisen zufriedengeben.
„Wer von ihnen ist Lady Cordelia?“, fragte Tavias an Kit gewandt, die er noch immer festhielt. Er wusste, dass er das Mädchen loslassen sollte, aber er wollte es nicht.
„Sie … sie scheint noch nicht hier zu sein“, sagte Kit.
Tavias nickte und blickte in den Raum, der nun still wurde. Die an der Wand postierten Wachen beobachteten ihn, machten aber keine Anstalten, einzugreifen. Wären sie Wachen unter seinem Kommando gewesen, wären sie bereits entlassen.
„Ich bin Tavias“, verkündete er, und seine Stimme hallte von den Mauern wider. „Ein Fae aus Lunos, dem Reich der Unsterblichen. Der Drachenprinz und Thronfolger von Massa'eve, dem Drachenhof. Meine Brüder und ich sind gekommen, um unsere Braut in Erfüllung des vor fünfzehn Jahren unterzeichneten Vertrages zu holen. Seid ihr bereit, euren Teil der Abmachung einzuhalten?“
Alle im Saal sanken auf die Knie, bis auf das Paar, das Tavias für Lord und Lady Agam hielt. Die beiden und natürlich Kit. Tavias wurde klar, dass er angefangen hatte, das Dienstmädchen mehr als Eigentum seines Rudels als des Anwesens zu betrachten. Zu seiner Verteidigung sei gesagt, dass Kit trotz des Schmutzes wunderschön war, und ihr Duft kam ihm gerade recht. Er verspürte den Drang, sie für sich zu behalten. Aber mit der langen Reise die vor ihnen lag, wäre das nur schwierig umzusetzen. Nicht nur schwierig, sondern auch dumm und unverantwortlich.
Bis sie die Äquinoktium-Prüfungen gewonnen und sich erfolgreich mit Cordelia vereint hatten, mussten sie sich gänzlich auf ihre Braut konzentrieren. Tavias vertraute auf seine eigene Selbstbeherrschung, auf die von Quinton und auch auf die von Cyril. Aber Hauck? Nein.
Nicht in einer Million Jahren.
„Eure Hoheiten, das Haus Agam heißt Euch willkommen.“ Mit seinem grauen Haar passte Lord Agam schlecht auf die Beschreibung des Wesirs – aber fünfzehn Jahre waren für Menschen eine lange Zeit. „Wir haben ein Festmahl vorbereitet, um …“
„Wir sind wegen unserer Braut gekommen, nicht wegen eures Essens“, unterbrach ihn Tavias.
Ein Knirschen ertönte hinter und links von Tavias. Hauck hatte sich eine Schale mit Nüssen geschnappt und aß munter. Tavias’ Kiefer spannte sich an.
Der Lord lächelte Tavias an, und der Duft der Erleichterung, der von dem Menschen ausging, war fast mit Händen zu greifen. Dann nickte Agam den Wachen zu, die sich umwandten, um die Doppeltüren an der Ostseite der Großen Halle zu öffnen.
Eine Frau betrat die Halle.
Lady Cordelia war ganz in Weiß gekleidet. Weiße Stiefel, eng anliegende Hosen und ein langer, weißer Mantel, der ihre geschwungenen Hüften und Brüste bedeckte. Sie schritt hocherhobenen Hauptes in die Halle. Ihre perfekten, blonden Locken, fielen in einer stufigen Kaskade über ihre Schultern. Sie betrachtete den Raum mit königlichem Blick, entdeckte die Drachenprinzen und ging direkt auf sie zu.
Als sie vor der Gruppe stehen blieb, sank Cordelia mit gesenktem Kopf auf die Knie. Ihre Nase rümpfte sich leicht als sie Kit erblickte, die noch immer in Tavias’ Griff gefangen war.
In Kits Geruch mischte sich frische Angst, aber nicht auf eine gute Art.
Tavias konnte Cordelia bereits nicht leiden, aber das war irrelevant. Sie zu mögen, war nicht Teil der Abmachung. Niemandes Gefühle zählten, weder ihre noch die des Rudels. Tavias und seine Brüder hatten ihre Chance, ihre Seelenverwandten zu finden, um ihrer Pflicht willen verwirkt, genau wie Cordelia es tun würde.
„Zeigt uns, was Ihr könnt“, befahl Tavias.
Hauck, der sich offenbar schon gelangweilt hatte, zückte einen Dolch und drehte ihn in der Hand. Tavias ignorierte ihn. Zum Glück tat Cordelia es ebenfalls.
Ohne ihre Aufmerksamkeit von Tavias abzuwenden, richtete sie sich auf und hob ihre Hände zum Himmel. Ein Wind zog durch die Große Halle und wirbelte weiße Rosenblätter auf, die die Menschen strategisch im Raum verteilt hatten. Der Wind gewann an Kraft, bis er zu einem Sturm wurde, der um die Prinzen herumwirbelte.
Cordelia ließ ihre Hände sinken, und der Sturm legte sich so schnell, wie er begonnen hatte. Tavias konnte sehen, wie ihre Hände vor Anstrengung leicht zitterten, als sie den Zauber losließ, und wie sich ihre Brüste unter ihrem Mantel heftig hoben und senkten. Die zehn Sekunden der Magieanwendung hatten sie angestrengt. Natürlich hatte sie das. Nur wenige Fae konnten elementare Magie anwenden. Menschen wie sie waren noch seltener.
Als Cordelia wieder auf ihren Platz zurückkehrte und auf die Knie sank, wurde Tavias einer weiteren Brust gewahr, die sich in schnellem Rhythmus hob und senkte. Kit. Das Mädchen schien mehr Angst vor Lady Cordelia zu haben als vor ihm. Und das war interessant.
Cordelias Blick wanderte zu ihr. „Wie ich sehe, ist unterwegs etwas Abfall an Euch hängen geblieben, Eure Hoheit. Soll ich ihn wegräumen lassen?“
Nein. Sie ist mein.
Tavias blinzelte, verblüfft über seine eigenen Gedanken. Zumal Cordelia nicht ganz unrecht hatte. Wenn ein Mann an ihrem Arm gehangen hätte, hätte er ihn wortlos geköpft. Tavias musste Cordelia nicht mögen, aber er schuldete ihr ein Mindestmaß an Respekt.
„Oder, wenn Ihr es vorzieht, kann sie uns beide unterhalten“, schlug Cordelia sanft vor. Ein diplomatischer Ausweg aus dem Schlamassel, den Tavias angerichtet hatte, indem er sich immer noch an Kit klammerte, als wäre die Sklavin von Bedeutung.
Nein. Bitte. Eine Stimme, die nicht die von Tavias war, durchdrang seine Gedanken.
Vor Schreck schwankte er leicht, was mehr war, als er sich normalerweise erlaubte. Er wusste, dass seine Brüder es bemerkt hatten. Ihre Hände wanderten leicht zu den Griffen ihrer Waffen, während sie nach der Gefahr suchten, die Tavias’ aus der Fassung gebracht hatte.
Kit erstarrte, wie ein verängstigtes Tier.
Tavias wusste, dass es ihm egal sein sollte. Aber es war ihm nicht egal. Außerdem war er derjenige, der Kit in diese Situation gebracht hatte.
„Ich habe keine Zeit für Unterhaltung.“ Er stieß Kit in Richtung der Gäste, die ihm am nächsten standen, aber anstatt sie aufzufangen, traten sie einfach zurück und ließen zu, dass Kit auf dem Boden aufschlug. Tavias unterdrückte ein Knurren, wandte sich dann aber wieder Cordelia zu. „Lasst uns fortfahren. Ich würde gerne sehen, wie Ihr das Schwert zu führen vermögt.“
Tavias hätte sich jede beliebige Fähigkeit ansehen können, aber das Spiel mit den Waffen war eine der effizientesten. Die Äquinoktium-Prüfungen dienten dazu, unter den verfügbaren Frauen, jene zu finden, die für die Paarung geeignet war. Diejenige, die am besten dafür geeignet war, starke Krieger hervorzubringen. Und natürlich hofften alle, dass ihr blonder, luftmagiebegabter Mensch derjenige war, von dem die Prophezeiungen sprach, aber es gab keine Möglichkeit, das sicherzustellen.
Cordelia schien nicht überrascht über seine Forderung, als sie ihren Mantel auszog und ihren durchtrainierten Körper in einer ärmellosen Tunika darunter zur Schau stellte. Jeder Zentimeter von Cordelia schien wie geschaffen für prickelndes Vergnügen, und doch … Tavias empfand Kit als unendlich viel faszinierender. Während er seine Augen auf die Braut gerichtet hielt, bewegte Tavias sich zu Quinton.
Quinton, der tödlichste der vier Drachenprinzen, trat vor und zog sein Schwert, dessen Klinge noch feucht vom Blut der toten Sklavin war. Die Gäste zuckten zusammen. Cordelia zuckte nicht einmal mit der Wimper. Cordelia nahm die Waffe ihres Waffenmeisters entgegen, reckte das Kinn und ging in Kampfposition ein.
Quinton griff ohne Vorwarnung an und prüfte das Mädchen auf Herz und Nieren, wobei das Klirren der Schwerter den Saal beherrschte. Tavias überließ diesen Teil der Bewertung Quinton und wandte seine Aufmerksamkeit wieder der versammelten Menge zu. Die Gäste gafften, einige flüsterten miteinander, andere beteten zu den Sternen, die sie wahrscheinlich nicht hören würden. Ein paar Schritte entfernt kauerte Kit immer noch auf dem Boden, wo sie gelandet war.
Steh auf, befahl Tavias in seinen Gedanken und richtete seine Aufmerksamkeit auf den Menschen, wie er es mit einem seiner Brüder tun würde.
Kit rührte sich nicht.
Komm hierher, versuchte Tavias es erneut. Jetzt.
Keine Antwort.
Kit konnte ihn also doch nicht hören. Natürlich konnte sie das nicht. Sie müsste über Gedankenmagie verfügen, um den Befehl zu vernehmen. Tavias wusste nicht, ob er über diese Bestätigung erleichtert oder enttäuscht sein sollte.
In der Mitte des Saals zog Quinton Cordelia die Beine unter den Füßen weg und reichte ihr dann die Hand. Zu einem Lob würde sich Quinton niemals herablassen. Für jemanden, der erst zwei Jahrzehnte alt war, waren Cordelias Fähigkeiten beeindruckend.
Quinton kehrte an seine Seite zurück, und Cyril trat vor, um das Mädchen ebenfalls auf die Probe zu stellen. Hauck … Hauck hatte es irgendwie geschafft, einem der Diener einen Krug Wein zu entreißen. Tavias sollte eigentlich dankbar sein, dass der Idiot wenigstens den Mund hielt. Cyril drehte sich um und zog fragend eine Augenbraue hoch.
Nun gut. Ein weiterer Test. Tavias war bereit, den Anspruch der Menschen auf Cordelias Jungfräulichkeit zu akzeptieren, dennoch musste sichergestellt werden, dass sie körperlich in der Lage war, sich mit den Drachen zu vereinen. Die Drachenwandler waren nicht nur besser bestückt als jeder menschliche Mann, sondern selbst für eine Fae wäre es eine Herausforderung, sie alle gleichzeitig in sich aufzunehmen. Die Prinzessin sollte auch dafür ausgebildet worden sein, aber das musste überprüft werden.
Einer der Diener brachte ein abgedecktes Tablett, das Tavias begutachten sollte. Er hob den Deckel an, um sich von der Größe des ‚Trainingsstücks‘ zu überzeugen, und gab dann Cyril ein Zeichen, Cordelia in eine andere Kammer zu führen. Der Wesir hatte gewarnt, dass die Menschen in solchen Dingen verschwiegen waren. Tavias würde das um der Gäste willen respektieren, aber sobald sie in Massa'eve waren, würde Cordelia sich an eine andere Realität gewöhnen müssen.
Cordelias Wangen röteten sich, als Cyril sie wegführte, und die Gäste warfen sich wissende Blicke zu. Tavias könnte schwören, dass sie sich nur deshalb ruhig verhielten, weil sie hofften, zu hören, was passierte. Aber Cordelia gab keinen Laut von sich, nachdem sie verschwunden waren. Cyril war der sanfteste – weshalb er auch nicht mehr der Anführer dieser Gruppe oder der Thronfolger war. Die Prinzessin war so knallrot, als sie herauskam, wie sie gegangen war.
„Akzeptabel?“, fragte Tavias Cyril.
„Ja.“
Gut. Tavias wandte sich an Lord Agam und holte einen Schlüssel zu den Schatztruhen hervor, die im Voraus geschickt worden waren. „Wir akzeptieren die Vereinbarung.“
Agam strahlte. „Das war der Wille der Sterne. Darf ich der Erste sein, der euch ein Geschenk zur Feier eurer Zukunft macht?“
„Ich will nichts weiter, als dass wir wieder von hier verschwinden“, sagte Tavias zu dem Lord.
„Ich will ein Geschenk“, sagte Hauck von hinten. Natürlich tat er das. Bevor Hauck eine formelle Angelegenheit ohne eine Art von Spektakel durchhielt, würde ein Drache zum Vegetarier werden.
„Und was genau?“, fragten der Lord und Tavias gleichzeitig.
Hauck deutete auf Kit. „Sie.“
Bist du verrück geworden? Tavias’ Stimme erklang in Haucks Kopf mit so viel Kraft, dass ihm die Ohren klingelten – und Hauck wusste, dass der Arsch das absichtlich tat. Zugegeben, dieses Mal hatte Tavias einen Punkt, dem sogar Hauck selbst zustimmte. Das Letzte, was diese dämliche Angelegenheit benötigte, war einen zweiten Menschen. Hauck wollte sich nicht einmal mit dem ersten befassen. Nein, was er wollte, war, dass ihr Vater – Ettienne – ihn in Ruhe ließ, verdammt. Das war es, was sie alle wollten. Die Ironie der Situation war ihm nicht entgangen. Zum ersten Mal in ihrem Leben waren sich alle vier Brüder in einer Sache einig: Sie wollten alle etwas anderes tun als das hier. Aber wie immer hatte Ettienne andere Prioritäten. Sein Bruder, der Onkel der vier, hatte es wieder auf den Thron abgesehen, und Ettienne musste seine Position festigen, indem seine vier Söhne erfolgreich zukünftige Erben zeugten. Er musste dem Drachenhof zeigen, dass die richtige Familie auf dem Thron saß.
Also waren sie alle hier, um einen Menschen für die Äquinoktium-Prüfungen zu holen. Das Allerletzte, was sie brauchten, waren zwei Menschen.
Aber Hauck hatte nicht mit seinem Verstand gesprochen, als er die Sklavin einforderte. Er hatte nach seinem Instinkt gehandelt – und jeder wusste, dass die Kontrolle seiner Instinkte noch nie eine seiner Stärken war. Hauck hatte mindestens die Hälfte der Schätze aus dem Hort der Prinzen erbeutet, dennoch hatten seine Brüder ihm noch immer nicht der Erwerb der seltenen Giftechse verziehen. Das Tier entpuppte sich als wahrer Meister der Flucht, der die Gitter seines Geheges zum Schmelzen brachte und fortan durch den Palast streifte und die Bediensteten terrorisierte. Und heute? Heute rief sein Instinkt danach, die Sklavin einzufordern. Also tat er es.
Hast du deinen verdammten Verstand verloren? ertönte Tavias’ Stimme erneut in seinem Kopf.
„Wahrscheinlich“, murmelte Hauck und folgte den anderen in Richtung Stall. Sie hatten geplant, mit Cordelia allein von hier fortzureiten und hatten ein zusätzliches Pferd mitgebracht, aber jetzt brauchten sie auch ein Reittier für den anderen Menschen. Zwei von Agams Wachen flankierten nun die zitternde Kit und sorgten dafür, dass das Drachengeschenk nicht weglief. Hauck trat neben Tavias. „Ich finde, ihr solltet mich gänzlich von diesem Abenteuer ausschließen.“
„Es tut mir leid, dass dich deine Verantwortung für den Thron vom Trinken und Huren abhält“, knurrte Tavias. Er klang wütend, also drängte Hauck ihn nicht weiter. Außerdem machte er die Sache für alle nur noch schwieriger. Von jetzt an, bis die Vereinigung mit Cordelia ihren Lauf genommen hatte, musste ihre gesamte Aufmerksamkeit auf ihr liegen. Sie für die Prüfungen trainieren. Sie beschützen. Sie schwängern. Es durfte keine Ablenkungen geben.
Und dieser andere Mensch war ganz klar eine Ablenkung. Hauck verstand die Anziehungskraft, die sie auf ihn ausübte, immer noch nicht, aber er wusste, dass er nicht der Einzige war, der sie gespürt hatte. Die Art, wie Tavias sie festgehalten hatte, war deutlich genug gewesen. Kurz gesagt, dies war eine dieser instinktiven Entscheidungen, die Hauck manchmal traf und die mit unheimlicher Effizienz alle unglücklich machte.
Aber trotz Tavias’ Wut hatte dieser nichts dagegen unternommen. Hauck erwog, ihn darauf hinzuweisen, entschied sich dann aber dagegen. Tavias war der perfekte Prinz, der perfekte General, der perfekte Sohn. Er gönnte sich nie etwas für sich selbst. Aber in Wirklichkeit wollte Tavias Kit genauso sehr wie Hauck. Und wenn Tavias jemandem die Schuld an der Anwesenheit des Menschen geben musste, um sich besser zu fühlen, nahm Hauck das gerne auf sich. Es war ihm egal. Seit Lolas Tod war Hauck so ziemlich alles egal.
Hauck sah zu, wie Lady Cordelia sich bemühte, ihre perfekte Haltung zu bewahren. Sie hatte mit Verwunderung festgestellt, dass keine der Mägde, die sie eigentlich mitbringen wollte, willkommen war, und versuchte nun, sich mit Kits Anwesenheit zu arrangieren.
Der Stallmeister brachte einen ausgezeichneten Wallach für Kit, und ein Diener eilte mit einer Reihe von Satteltaschen und Proviant herbei.
Kit, die bis dahin in stiller Angst gezittert hatte, fand endlich den Mut, sich den Prinzen zu stellen.