Die Zukunft der Drachen - Alex Lidell - E-Book

Die Zukunft der Drachen E-Book

Alex Lidell

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Beschreibung

Unsere Verbindung ist alles, was wir haben. Jetzt hängt die Welt davon ab. Es sollte ganz einfach sein. Die Wahrheit aufdecken, die Drachen retten. Das war, bevor wir erfuhren, aus welch perverser Quelle die Macht der Priester stammt. Und was unsere Feinde alles tun würden, um sie zu bewahren. Unsere Feinde wollen uns nicht nur töten, sie wollen uns kontrollieren. Um das zu erreichen, sind sie bereit, unsere Körper, unseren Verstand und unsere Herzen zu zerstören. Die Liebe ist unser Band. Unsere Rettung. Unsere Macht. Aber wird sie ausreichen? Das Leben aller Drachen hängt davon ab.

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DIE ZUKUNFT DER DRACHEN

IHR KÖNIGLICHES DRACHENRUDEL

BUCH VIER

ALEX LIDELL

Übersetzt vonSOPHIE HARTMANN

INHALT

1. 1. Kit

2. 2. Kit

3. 3. Quinton

4. 4. Quinton

5. 5. Kit

6. 6. Kit

7. 7. Kit

8. 8. Kit

9. 9. Autumn

10. 10. Kit

11. 11. Cyril

12. 12. Kit

13. 13. Kit

14. 14. Cyril

15. 15. Kit

16. 16. Cyril

17. 17. Kit

18. 18. Kit

19. 19. Cyril

20. 20. Cyril

21. 21. Kit

22. 22. Cyril

23. 23. Kit

24. 24. Cyril

25. 25. Cyril

26. 26. Kit

27. 27. Cyril

28. 28. Kit

29. 29. Kit

30. 30. Hauck

31. 31. Autumn

32. 32. Kit

33. 33. Kit

34. 34. Kit

35. 35. Kit

36. 36. Kit

37. 37. Kit

38. 38. Epilog

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Über den Autor

Ohne Titel

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1. KIT

Splitter und Trümmer fliegen durch die Luft. Riesige Krallen und rote Schuppen durchbrechen den kleinen Unterstand, der uns vor dem Schneesturm geschützt hat. Einer meiner Gefährten packt mich und schleudert mich aus dem Unterstand, als das Dach und die Wände, alles, was uns Sicherheit geboten hat, zusammenbrechen.

Ich segele kurz durch die Luft und lande dann im Schnee. Kleine Eissplitter prasseln auf mein Gesicht heran, und der kalte Wind sticht mir sofort in die Haut und meine empfindlichen Schuppen. Ich bin zwar kein Mensch mehr, aber meine Drachennatur bietet mir auch keinen wirklichen Schutz – sie führt eher dazu, dass ich jede Empfindung hundertfach verstärkt spüre.

Ich stemme mich auf die Beine und meine Stiefel versinken im Schnee. Ich halte meinen Arm vors Gesicht, um es wenigstens ein wenig vor dem eisigen Wind zu schützen.

Tavias, Cyril und Hauck bilden mit gezückten Schwertern einen schützenden Kreis um mich. Von meinem Standort aus, kann ich deutlich sehen, wie die Magie über ihre Haut tanzt. Hinter ihnen kann ich Quinton ausmachen, der jemanden vor sich herführt.

Der Drache, der unseren Unterschlupf zerstört hat, brüllt und breitet seine Schwingen aus. Oder er versucht es zumindest. Als sich meine Sinne endlich an die rauen Elemente gewöhnen und mein Verstand beginnt, die Szene zu verarbeiten, stelle ich fest, dass die Schuppen des Drachens nicht wirklich rot sind. Zumindest waren sie es vor dem Angriff nicht.

„Er ist verletzt“, rufe ich durch den Wind. Er schreit und windet sich, während Blut von seinen Wunden in den Schnee tropft. Einer seiner Flügel ist eindeutig gebrochen. Der andere ist zerrissen. Er hat uns gar nicht angegriffen, er ist vom Himmel gefallen. Ich versuche zu ihm zu gelangen. „Wir müssen ihm helfen.“

„Bleib fern von ihm!“, höre ich sofort eine Vielzahl von Stimmen.

Es sind zu viele, als dass sie allein zu meinen Männern gehören könnten, und ich drehe mich um.

Quinton zerrt Leesandra vorwärts, wobei er ihr sein Messer an die Kehle drückt. Sie ist unglaublich blass, der einzige Kontrast bildet ihr flammenrotes Haar und ihre vor Kälte geröteten Wangen. Als sie näherkommen, sehe ich drei der vier Drachen aus Lees Rudel, die den beiden folgen. Sie tragen keine Waffen bei sich und halten die Hände hoch erhoben. Zwei der Brüder beobachten jede von Quintons Bewegungen, ihre Schuppen erzittern jedes Mal, wenn sich Lees Kehle Quintons Klinge nähert, sobald sie einatmen. Aber der dritte, der Anführer des Rudels, der, wie ich glaube, Darren heißt, kommt direkt auf mich zu, wobei er seine Hände in die Luft erhoben hält.

„Komm ja nicht in Sethis Nähe!“, ruft Darren mir über den Wind hinweg zu. „Er ist schwer verletzt. Er wird angreifen.“

Ich zögere.

„Siehst du, sogar die Gefangenen haben mehr Verstand als du“, sagt Cyril in mein Ohr. Er hat von irgendwoher einen Mantel aufgetrieben und legt ihn mir über die Schultern.

Ich wende mich für den Moment von dem verletzten Drachen ab und konzentriere mich auf die andere sich anbahnende Katastrophe – den Versuch meines Gefährten, meine Freundin zu töten. Cyrils Hand legt sich auf meine Hüfte und zieht mich an sich. Ich bin mir nicht sicher, ob er mich vor Lees Rudel oder vor mir selbst schützen will.

„Quinton“, rufe ich und ziehe die Kapuze hoch, um mein Gesicht zu verbergen, bevor die anderen die Schuppen bemerken, die sich nun an meinen Schläfen entlangziehen, oder meine verlängerten Ohrenspitzen. „Das ist Lee. Lass sie los.“

Quinton hält sein Messer weiterhin an Lees Kehle gedrückt und dreht sich zusammen mit ihr zu Darren um. „Warum seid ihr hier?“

„Wir führen nichts Böses im Schilde.“ Darren hält weiterhin die Hände erhoben und deutet eine beschwichtigende Geste an. „Wir …“ Die Spitzen seiner Schuppen färben sich vor Scham, aber er hält seinen Kopf hocherhoben. „Wir sind gekommen, weil wir Hilfe benötigen.“

„Welche Art von Hilfe?“, fragt Quinton. Lee zittert vor Kälte, dennoch lockert sich sein Griff um sie in keinster Weise.

„Wir wurden angegriffen“, ruft Darren, damit wir ihn über den Wind hinweg hören. „Sethis war zu schwer verletzt, um sich in der Luft zu halten. Wir … wir konnten nirgendwo anders hin.“

„Ich habe Lee gesagt, dass sie bei uns willkommen sind“, sage ich schnell und befreie mich aus Cyrils Griff. Durch das neu geknüpfte Paarungsband kann ich deutlich den Beschützerinstinkt meiner Gefährten spüren. Ein Instinkt, der an Mordlust grenzt. Nein, nicht grenzt. Wir sind weit über die Grenzen hinaus. Darren und die anderen könnten mein Geheimnis in Erfahrung bringen, und das erweckt jeden gewaltvollen Trieb, den meine Gefährten in sich haben. „Ich habe ihr gesagt, wie sie unser Lager finden kann.“

„Und sie hat es gefunden“, knurrt Quinton. „Mission erfüllt. Jetzt stirbt sie.“

„Nein, tut sie nicht“, entgegne ich und gehe auf Quinton und Lee zu. Ihre Augen sind weit aufgerissen und der Geruch ihrer Angst hinterlässt einen unangenehmen Beigeschmack auf meiner Zunge. „Lee ist meine Freundin, Quinton. Und ihr Rudel hat uns bei der letzten Prüfung geholfen. Atme tief durch und denke über das hinaus, was der beschützende Drache in dir sagt.“

Quintons Lippen verziehen sich zu einem Knurren.

Ich verschränke die Arme vor der Brust.

Meine Gefährten erinnern sich. Ich weiß, dass sie es tun. Es ist ihnen nur im Moment egal. Bei der Rohheit der Verbindung interessieren sie solche Dinge reichlich wenig.

„Niemand wird irgendjemanden ausweiden“, sage ich mit all der Autorität, die ich aufbringen kann. „Oder köpfen. Oder irgendetwas in der Art. Ganz im Ernst. Quinton. Lass Lee frei.“

Ich trete noch näher an sie heran.

„Kit“, ruft Cyril. „Hör auf. Du weißt …“

Ich weiß es tatsächlich. Wenn ich mich noch paar Schritte nähere, können selbst Lees menschliche Augen sehen, was ich jetzt bin. Aber wie sieht die Alternative aus? Wenn wir Lees Rudel unsere Hilfe verweigern, werden sie sterben. Ich will sie nicht verlieren. Nicht Lee und auch nicht ihre Männer.

Ich strecke Lee meine Hände entgegen. „Hallo.“

Lees sommersprossiges Gesicht wendet sich mir zu, Erleichterung blitzt in ihren Zügen auf. Dann sieht sie es. Ihre Augen weiten sich, ein erstickter Laut entweicht ihren Lippen.

Ich trete zurück, lasse aber zu, dass der Wind mir die Kapuze vom Kopf streicht.

„Du …“ Lee stockt. Sie weicht einen Schritt zurück. Und damit näher zu Quinton hin. Demjenigen, der ihr ein Messer an die Kehle drückt.

Ich erstarre, meine Schuppen pressen sich fest an meine Haut, als wollten sie verschwinden. Ich … Nun, das hatte ich nicht erwartet. Schmerz breitet sich in meiner Brust aus. Ich fahre mit den Fingern über meine verlängerten Ohrspitzen, die ich so schön fand. Vielleicht habe ich mich geirrt. Ich lag falsch, als ich mir die Reaktion der anderen vorstellte.

„Ich bin noch immer dieselbe Person, die du kennengelernt hast“, sage ich zu Lee.

Sie schluckt hart.

Darren dreht sich langsam zu mir um. Er versteift sich, als er mich ansieht, sein Blick triff einen Augenblick lang den meinen. Dann, ohne Vorwarnung, sinkt Darren im Schnee auf die Knie.

„Meine Königin“, sagt er, seine Stimme klingt stark und klar, während er den Kopf neigt und eine Handfläche flach vor sich in den Schnee drückt.

Ich zucke zusammen. „Was?“

„Meine Königin.“ Darrens Rudelbruder Rand, ein gut aussehender Mann mit langem kastanienbraunem Haar und dunklen Augen, fällt genauso wie Darren auf die Knie. Es vergeht nur ein Augenblick, bevor der dritte Drache dasselbe tut.

„Meine Königin.“

Was zur Hölle? „Ihr seid nicht … Ich bin nicht.“ Ich weiß nicht, was ich sagen soll. „Ich bin niemandes Königin.“

Cyrils Hand legt sich auf meine Schulter, als er neben mich tritt. Hauck stellt sich zu meiner anderen Seite. Tavias bleibt, wo er ist, zwischen mir und Sethis, aber ich kann seine Zustimmung durch unsere Verbindung spüren. „Technisch gesehen bist du es“, murmelt Cyril in mein Ohr. „Du bist die einzig lebende Drachendame. Per Definition bist du eine Königin.“

„So funktioniert es aber nicht. Ich bin genauso wenig eine Drachenkönigin, wie du ein Menschenprinz bist.“

Darren presst seine Lippen zu einer dünnen Linie zusammen. Obwohl er immer noch mit gesenktem Kopf im Schnee kniet, kann ich erkennen, dass er ein Lachen unterdrückt. Verfluchte Drachen und ihr verdammtes Gehör. Nicht ihr, korrigiere ich mich mit einem unterdrücktem Stöhnen, unser.

„Wie wäre es, wenn ihr alle aufsteht und wir wie intelligente Wesen über all das reden?“, sage ich.

Keiner bewegt sich. Wahrscheinlich, weil Quinton Lee noch immer gepackt hält und ihr sein Messer an die Kehle drückt.

„Oh, um Himmels willen, Quinton.“

„Sie sind leichter zu töten, wenn sie knien“, sagt er. Er meint es ernst. Es ist ihm verdammt ernst.

„Du tötest weder meine Freundin noch ihr Rudel.“

Er zieht eine Augenbraue hoch.

Ich drehe mich zu den anderen Mitgliedern meines Rudels um. Wut, ursprünglich und uralt, steigt in mir auf und pulsiert durch meinen Körper. Ich habe genug vom Tod. Genug davon, nach irgendjemandes Pfeife zu tanzen, vor allem die der Priester. Jetzt, wo meine Erinnerungen zurückgekehrt sind, spüre ich, wie das Opfer meiner Mutter meine Seele schmerzen lässt. Sie gab alles auf, um mir eine Chance zu geben. Um den Drachen eine Chance zu geben. Und wir werden diesen Tag nicht damit beginnen, dass wir den Priestern ihren Willen lassen.

„Du wirst sie nicht töten.“ Die Worte, die mir über die Lippen kommen, sind von der Kraft eines Unsterblichen erfüllt. Über uns kracht der Donner inmitten des grollenden Hagels und Blitze zucken über den grauen Himmel. „Wir sind zu den Prüfungen gekommen, um den Thron zu verteidigen. Um Massa’eve und menschlichen Lande zu schützen. Das Töten von Verbündeten wird uns diesem Ziel keinen Schritt näherbringen.“

Tavias kommt auf mich zu. Magie tanzt über seine Schuppen und auf seiner Haut. Genauso wie sie auf meiner tanzt, wie ich mit Schrecken feststellen muss.

„Wir werden keine Verbündeten töten, Wildkatze“, sagt er. Im Gegensatz zu mir ist seine Stimme ruhig und selbstbewusst. Er klingt wie ein General auf einem Schlachtfeld. „Wenn sie wirklich Verbündete sind. Wenn ihre Worte und ihr Salut keine Täuschung sind.“ Er wendet sich Darren. „Was sagst du dazu, Darren von Gwayn? Schwörst du, dass deine Absichten ehrlich sind?“

„Das werde ich“, entgegnet Darren, ohne zu zögern. Oder Überraschung.

Tavias geht auf ihn zu und hält Darren sein Schwert an die Kehle.

Darren weicht nicht zurück. Stattdessen fährt er mit der Handfläche über die scharfe Klinge und lässt sein Blut auf den Schnee tropfen. „Ich schwöre bei meinem Blut, dass ich dir, deinem Rudel und deiner Gefährtin nichts Böses will, Prinz Tavias“, sagt Darren feierlich.

Tavias nickt und zieht sein Schwert zurück.

„Warte“, sagt Darren. „Ich war noch nicht fertig.“ Er dreht sich zu mir um und drückt auf die Fläche um dem Schnitt in seiner Hand, bis ein dünner Rinnsal Blut auf den Schnee fällt. Sein Kinn hebt sich und Magie rührt sich um seine Handfläche. „Vom Rand des Horizonts bis zum Ende der Welt“, sagt er, „bei meinem Atem und meinen Knochen, werde ich hinter dir stehen.“

Ein Flüstern, wie eine Ranke aus lebendigem Nebel, steigt aus Darrens vergossenem Blut auf und erfüllt die Luft. Es streicht mit der Sanftheit eines Schmetterlingsflügels über mich hinweg, doch ich spüre, wie es sich tief in meinen Knochen festsetzt.

Cyril atmet scharf ein, und Tavias wendet seinen Blick wieder Darren zu, wobei sich seine Brauen heben. Selbst Quinton tritt zurück und lässt sein Schwert sinken.

Hauck sieht genauso verwirrt aus wie ich.

„Das sind uralte Worte“, meint Cyril. „Und uralte Magie.“

„Meine Familie stammt aus einem alten Geschlecht“, entgegnet Darren, bevor er sich wieder mir zuwendet. „Das ist der Treueschwur eines Drachen, meine Königin“, erklärt er. „Einmal abgelegt, kann er nicht gebrochen werden.“

Oh Sterne. „Das hättest du wirklich nicht tun müssen“, stottere ich. „Ich bin nicht die, für die du mich hältst – das kann nicht sein, denn ich weiß nicht einmal selbst, wer ich bin. Ich wusste bis heute nicht einmal, dass ich ein Drache bin.“ Ich schweife ab. Mir ist bewusst, dass ich es tue.

„Aber ich weiß, wer du bist“, sagt Darren. Er scheint in diesem Chaos, sehr viel zuversichtlicher zu sein als ich. „Aus fernen Landen kommt eine Sterbliche“, sagt er und rezitiert die Prophezeiung, an die sich die Drachen so lange geklammert haben.

„Mit weißen Locken und Wind, der sie umspielt.

So erhebt sich eine, die stark und wahrhaftig ist, die das Leben beschwören wird, das ihre Seele durchdrungen hat.

Ihr Geist ist ungezähmt, ihre Macht unermesslich, ihr Schicksal verwoben mit der Geschichte der Drachen.

Ihre Zahl ist gering, ihre Hoffnungen sind vergebens, seit Generationen trauern die Jungen.

Bis die Drachen ein Band knüpfen, eine Einheit, die über alles hinausgeht.

Nur durch sie werden die Drachen eine blühende und miteinander verwobene Zukunft finden.“

Als Darren fertig ist, knien seine beiden Brüder neben ihm nieder und legen ihre Handflächen auf Tavias’ Klinge. Sie leisten denselben Schwur wie Darren und mir beginnt der Kopf zu schwirren. Doch bevor ich Worte finden kann, ertönt ein Geräusch hinter mir. Eine Mischung aus schmerzhaftem Brüllen und Wimmern.

Sethis, der verletzte Drache, reckt mir seinen Kopf entgegen, aus seinen Nasenlöchern strömt warme Luft, die in der Kälte Dampf aufsteigen lässt.

Meine Königin. Eine Stimme, von der ich weiß, dass sie dem verletzten Drachen gehört, ertönt in meinem Kopf, bevor die Kraft des Drachen nachlässt und sein Kopf in den Schnee sackt. Meine … Königin.

2. KIT

„Als sie uns fanden, haben sich bereits zwei Rudel Geoffrey angeschlossen“, erklärt Darren, während wir uns durch den Schneesturm den Berg hinunterbewegen. „Ihr Angebot war einfach. Entweder wir helfen Geoffrey bis zum Ende der Prüfungen oder wir sterben.“

„Warum sollte jemand zustimmen?“, frage ich. Die Kälte lässt meine Lippen und Zähne so sehr schmerzen, dass ich kaum sprechen kann. Ich muss fast schreien, um über das Heulen des Windes hinweg gehört zu werden. Laut Hauck hätte uns das schlechter werdende Wetter auch ohne Sethis, der unseren Unterschlupf zerstört hat, zum Aufbruch gezwungen, aber es ist trotzdem ein miserabler Marsch. „Niemand nimmt an den Prüfungen teil, nur um dann vor Geoffrey zu katzbuckeln. Haben sie den kein Interesse an dem Elixier?“

Lee gibt ein wimmerndes Geräusch von sich, als sie stolpert und fast in den Schnee fällt.

„Seit Beginn der Prüfungen hat sich vieles verändert.“ Darren zieht sie in seine Arme. Meine Freundin gibt ein Geräusch von sich, das eine Mischung aus Dankbarkeit und Protest ist, und vergräbt ihr Gesicht an der Brust des Drachen. Die Sorge, die von ihr ausgeht, ist deutlich zu spüren.

Ich folge ihrem Blick zu Sethis.

Es hat länger gedauert, als allen lieb war, den verletzten Drachen davon zu überzeugen, wieder seine Fae-Gestalt anzunehmen. Rand trägt ihn, während Quinton die Nachhut bildet und Hauck uns durch den Wald führt. Jedes Mal, wenn ein rauer Windstoß Rand dazu bringt, seinen Körper neu auszurichten, knirscht Sethis mit den Zähnen.

„Viel weiter können wir nicht gehen“, sage ich zu Tavias. „Sethis …“

„Sethis braucht einen sicheren Ort, an dem er heilen kann.“ Seine Stimme ist hart, die eines Generals, seine Aufmerksamkeit richtet sich nacheinander auf die Mitglieder unserer kleinen Gruppe. „Wir halten an, wenn wir etwas passendes gefunden haben, und nicht vorher.“

Ich nicke tapfer, aber es ist nur gespielt. Jeder Schritt ist ein Kampf gegen den Wind. Eiswasser sickert in unsere Stiefel und winzige Hagelkörner stechen uns wie Nadeln ins Gesicht. Stechen meine Schuppen. Sterne! Wie schaffen es die Männer mit dem Ansturm von Empfindungen umzugehen, der von allen Seiten auf einen einschlägt?

Tavias setzt seine Feuermagie in präzisen Stößen ein, um einen Teil des Schnees zu beseitigen, aber die Sorge der Männer, eine Lawine auszulösen, lässt jeden seine Magie zurückhalten.

Da ich etwas brauche, um mich von der Misere abzulenken, gehe ich zu Darren, der Lee trägt. „Ich verstehe immer noch nicht, warum sich die anderen Rudel mit Geoffrey verbündet haben“, sage ich mit klappernden Zähnen. „Wenn es ihnen nicht mehr um die Sicherung des Elixiers, sondern ums Überleben geht, warum gehen sie dann nicht einfach? Die Barriere, die das Prüfungsgelände umgibt, kann von Drachen überwunden werden.“

Für die Menschenfrauen ist das keine Option, aber ich glaube nicht, dass das für die meisten Rudel eine Rolle spielt.

Darrens Kiefer spannt sich an, und er tauscht einen grimmigen Blick mit seinem Bruder Broker aus.

„Geoffrey verspricht ihnen einen Platz am Hofe der Massa“, antwortet Cyril grimmig.

Darren nickt, und trotz seiner geschmeidigen Bewegungen ist an seinem Gang deutlich zu erkennen, was er davon hält. „Geoffrey verbreitet das Gerücht, dass Ettienne und seine Linie – eure Linie – sich nicht mehr lange auf dem Thron wird halten können.“

„Das klingt nach einem guten Angebot“, ruft Quinton von hinten und spricht damit seit Stunden das erste Mal. Er macht sich nicht einmal die Mühe, Freundlichkeit vorzutäuschen. Im Gegensatz zu mir entweicht sein Atem in kontrollierten, gemessenen Zügen, die sich fast unsichtbar in den wirbelnden weißen Schnee einfügen. „Warum habt ihr es nicht angenommen?“

„Ich würde eher sterben, als diesem fliegenden Schwein zu folgen“, knurrt Darren.

„Und?“, fragt Quinton. Er hat sein Schwert gezückt und bewegt sich mit einer Leichtigkeit und Anmut, die ihn wie einen Teil des Sturms selbst erscheinen lässt. Jeder Schritt ist kalkuliert und wohlüberlegt, und auf dem rutschigen und tückischen Weg nach unten gerät er kein einziges Mal aus dem Gleichgewicht. Es ist, als würden sich Hagel und Kälte seinem Willen beugen und das Raubtier in ihrer Mitte anerkennen.

Darren antwortet nicht, aber seine Hände legen sich fester um Lee.

„Weil Geoffrey von seinen Anhängern erwarten würde, dass sie ihre Menschen umbringen“, vermutet Cyril. „Habe ich recht?“

„Nicht ganz umbringen, aber …“ Darrens Kiefer spannt sich wieder an. „Aber ein Rudel ohne Mensch würde automatisch disqualifiziert werden. Geoffrey will sie. Er verlangt von seinen Verbündeten, dass sie ihm ihre Menschen ausliefern. Während der Prüfungen. Und danach.“

Ich fluche und fluche noch einmal, als ich auf einem Stein ausrutsche, den ich unter dem Schnee nicht gesehen habe.

Cyril schlingt seine Arme um mich, und verhindert so, dass ich vollends das Gleichgewicht verliere. Ich öffne den Mund, um ihn aufzufordern, mich wieder loszulassen, aber er schüttelt den Kopf, bevor ich auch nur ein Wort sagen kann. „Ein Ratschlag, Hoheit“, sagt er, „gib keine Befehle, von denen du genau weißt, dass sie niemand befolgen wird.“

Es dauert weitere zwei Stunden, bis wir einen Ort finden, den Tavias als Unterschlupf für akzeptabel hält – eine tiefe, halbkreisförmige Aushöhlung in der Bergwand, die eine natürliche Barriere gegen den eisigen Wind bietet. Der steinerne Überhang ist groß und stabil und bietet sowohl Schutz vor fallendem Schnee als auch vor neugierigen Blicken.

Während Cyril und Hauck mehrere schneebedeckte Felsbrocken zum Höhleneingang schaffen, um eine zusätzliche Schutzbarriere zu errichten, machen sich Darren und Broker daran, die Felsen weiter zu bearbeiten. Ich wurde damit beauftragt, Farnzweige zu sammeln, um eine Art Bett aufzubauen.

Ich versuche gerade, ein besonders hartnäckiges Stück aus dem Schnee zu ziehen, als ich Lee auf mich zukommen sehe. Ihre erste direkte Anerkennung meiner Existenz, seit sie von meiner wahren Natur erfahren hat. Lee tritt neben mich und ergreift den Farn.

Er löst sich ruckartig und lässt uns beide in eine Schneewehe stürzen. Eiskalter Schnee dringt unter meine Tunika ein.

Wir quieken beide erschrocken auf.

„Welch Drache du doch bist“, keucht sie und streicht sich etwas Schnee aus dem Gesicht. Ein Lächeln bildet sich auf meinem Gesicht, als ich sie ansehe.

Ich versuche aufzustehen, rutsche aus und lande wieder auf dem Hintern. Das ist mehr peinlich als schmerzhaft. Meine Schuppen flackern, als wollten sie mir helfen, das Gleichgewicht zu halten.

„Und auch sehr königlich“, fügt Lee hinzu.

Mit einem Knurren werfe ich einen Schneeball auf sie.

Er geht daneben und trifft stattdessen Quinton am Hinterkopf.

Der Attentäter wirbelt herum und greift nach seinem Messer, bevor sein Blick auf mich fällt.

„Für einen Kupferpfennig bin ich dabei“, murmle ich, nehme eine weitere Handvoll Schnee und werfe sie auf Quintons Brust. Diesmal treffe ich mein Ziel. Einen Augenblick später trifft ein zweiter Schneeball den Mann an der gleichen Stelle.

Ich sehe Lee an, die mich angrinst.

Quinton, der zu gleichen Teilen verwirrt und wütend aussieht, zieht diesmal tatsächlich eines seiner Messer aus der Scheide.

„Was glaubt er denn, was er mit einem Messer gegen Schnee ausrichten kann?“, fragt Lee.

Ich schaue sie an und plötzlich entweicht mir ein unkontrolliertes Lachen. „Den … Schnee … umbringen?“, stoße ich hervor und auch Lee beginnt lauthals zu lachen.

„Den Schnee aufschlitzen“, krächzt sie, ihr Gesicht errötet in einer Mischung aus Kälte und Heiterkeit, während sie mit der Hand schneidende Bewegungen macht.

Ich weiß nicht genau, was wir so lustig finden, dennoch lachen wir unkontrolliert weiter.

„Sind die verrückt geworden?“, erkundigt sich Quinton. „Werden Frauen verrückt, wenn sie zu zweit sind?“

„Im Allgemeinen ja“, entgegnet Hauck. „Das ist zumindest meine Erfahrung.“

Ich werfe ihm einen Schneeball in den Schritt.

„Ich an deiner Stelle, würde mir lieber überlegen, wem ich den Krieg erkläre“, sagt Hauck. Bevor ich reagieren kann, erhebt sich eine Schneewand in die Luft und bewegt sich auf Lee und mich zu, eine Ladung aus weißem Pulver, die von der Magie des Drachen erfüllt ist. Sie lässt Lee und mich auf den Hintern sacken, bevor wir darunter begraben werden.

Über unserer neuen Schneedecke lacht Hauck.

Tavias schreit, wir sollen aufhören, herumzualbern.

Gerade als mir die Kälte in die Knochen zu kriechen beginnt, ziehen mich starke Hände aus dem Schnee. Hauck grinst, als er mich in die Luft hebt. „Seht mal, ich habe eine Rübe aus dem Schnee gezogen.“

Ich trete ihm gegen das Schienbein, aber meine Beine sind vor Kälte zu angespannt, um viel Kraft aufzubringen. „Weißt du, Lees Rudel nennt mich Königin.“

„Das liegt daran, dass sie dich noch nie auf einem Pferd haben reiten gesehen.“ Hauck streicht mir mit dem Daumen über die Wange und die Schläfe, streicht den Schnee weg und fährt zufällig über meine Schuppen. Über eine, nach der anderen.

Hitze flammt zwischen meinen Schenkeln auf, mein Körper wird von plötzlichem Verlangen verzehrt. Plötzlich ist es mir egal, ob es einen Sturm oder ein Publikum gibt oder ob uns das Ende der Welt erwartet. Alles, was ich will, ist ihn. Jetzt.

Hauck gluckst und tritt zurück. Der dunkle Schimmer in seinen Augen verrät, dass das gewollt war.

„Du bist ein Arschloch“, grummle ich und bewege mich von einem Fuß auf den anderen, diesmal nicht wegen der Kälte.

„Oh, du hast ja keine Ahnung“, säuselt Hauck.

„Was ist denn los?“, fragt Lee.

Darren flüstert ihr etwas ins Ohr und deutet auf die Schuppen. An der Farbe, die Lees Wangen annehmen und ihr Blick, der zwischen mir und meinem Gefährten hin und her springt, kann ich mir ziemlich gut vorstellen, was er ihr gerade erklärt hat.

Hauck fährt sich mit der Zunge über die Lippen und fängt dann eine Schneeflocke auf seiner Zungenspitze auf.

Hitze schießt durch mich hindurch. Arschloch.

Doch bevor Hauck antworten kann, durchdringt ein fernes Grollen die Luft. Ich weiß nicht, was es ist, aber es hat etwas Unheimliches an sich. Die Luft scheint zu vibrieren, der ganze Berg erzittert. Meine Schuppen flackern. Die Heiterkeit verschwindet. Die Temperatur sinkt.

„Lawine!“, ruft Darren.

„Alle rein, sofort“, befiehlt Tavias.

Hauck treibt Lee und mich in die Sicherheit des höhlenartigen Unterstandes, während der Boden unter unseren Füßen bereits bedrohlich bebt. Gerade als wir den Unterschlupf erreichen, verwandeln Schnee und Eis die Welt in ein undurchdringbares, weißes Etwas. Das Geräusch ist ohrenbetäubend, fast so, als stünden wir unter einem Wasserfall. Nur dass es sich bei dieser Kakophonie um das Krachen von Schnee und Eis handelt. In wenigen Augenblicken wird das Tageslicht vollkommen verschluckt. Meine Ohren schmerzen unter der Veränderung des Drucks.

Der höhlenartige Unterschlupf mit seinen zerklüfteten Wänden und dem unebenen Boden ist gleichzeitig klaustrophobisch und weitläufig. Schatten tanzen über den Felsen und bilden unheimliche Formen, die sich von selbst zu bewegen scheinen und zum dröhnenden Rhythmus des fallenden Schnees tanzen. Es ist so viel davon, dass sogar der Stein unter dem Gewicht ächzt.

Ich erwarte fast, dass der Fels, der unseren Unterschlupf bildet, zusammenbricht. Hauck zieht mich an sich und bedeckt meinen Körper mit dem seinen. Doch dann richtet sich Cyril mit ausgetreckten Armen auf, um mit seiner Magie ein Schild zu bilden, dass den Berg selbst verstärkt. Der Stein ächzt, aber er hält stand.

Darren starrt Cyril an und flucht leise.

Es scheint eine Ewigkeit zu vergehen, bis das ohrenbetäubende Tosen des herabstürzenden Schnees verstummt. Dann ist es still. Die Atmosphäre ist schwer und beklemmend. Minuten ziehen sich hin, niemand wagt es, sich zu bewegen. Keiner ist sich sicher, ob der Berg mit uns fertig ist. Der ehemalige Eingang, ist nun vollständig durch Schichten von Schnee und Eis versiegelt.

Es ist Quinton, der endlich die Stille durchbricht, wobei seine Stimme hart wie immer ist. „Wie es aussieht, sitzen für hier fest.“

3. QUINTON

Quinton lehnte mit dem Rücken an der Wand ihres eisigen Gefängnisses und musterte die anderen. Er besaß weder Cyrils noch Tavias’ Kraft, einen Schutzschild zu halten, noch eine Affinität für Holz und Stein, wie Hauck und Darren. Er teilte auch nicht Kits und Lees Wunsch, ihren Unterschlupf durch das Deponieren von Farnzweigen und anderen Dingen gemütlich zu gestalten. Was er jedoch hatte – zum ersten Mal in seinem Leben – war eine Gefährtin, die er beschützen musste. Ein Rudel, das es zu beschützen galt.

Seine früheren Ausbilder würden einen Schlaganfall bekommen, wenn sie das wüssten. Ein Schatten sollte nur eine einzige Bindung eingehen, und zwar zu seinem König. Quinton war Ettiennes Attentäter. Sein Spionagemeister. Er war mit Stahl und Brutalität geschmiedet worden, um nichts anderes zu sein.

Aber seine Vereinigung mir Kitterny hatte alles verändert. Die allgegenwärtige Verbindung zu Kit und seinen Brüdern, die jetzt in ihm pulsierte … Quinton hatte keine Ahnung, was er damit anfangen sollte. Das Einzige, was er mit Sicherheit wusste, war, dass er alles tun würde, um seine Gefährtin und sein Rudel zu beschützen. Selbst wenn er damit ihren Zorn auf sich zog.

Quinton hielt sich vorerst zurück und beobachtete. Cyrils Atmung hatte sich beschleunigt, seit der Schnee sie eingeschlossen hatte. Der Mann bemühte sich, sein Unbehagen zu verbergen, aber es war da. Wenn Quinton raten müsste, würde er sagen, dass er Folge der Zeit war, die er in den Kerkern des Schlangenhofs verbracht hatte. Tavias hingegen integrierte das neue Rudel mit geübter Leichtigkeit in sein Kommando. Ein General auf dem Schlachtfeld, der froh war, mehr Truppen zu haben. Hauck flirtete mit Kit, die versuchte, ihre Kleider an dem von Tavias entfachten Feuer zu trocknen. Für den Moment waren sie zufrieden. Im Gegensatz zu Sethis, dem verletzten Drachen, dessen Haar von Kits Freundin Lee gestreichelt wurde, als ob ein bisschen Trost dem Drachen irgendetwas bringen würde.

Das würde es nicht. Quinton wusste es – er hatte vorhin geholfen, Sethis’ gebrochene Knochen zu richten. Und obwohl Quinton die Versuche des Wandlers, seine Schreie während der Arbeit zu unterdrücken, mit Beifall bedacht hatte, hatten die Verletzungen und Schmerzen des Mannes die Grenzen der stillen Toleranz überschritten.

Quinton hatte es niemandem gesagt, als er eine dünne Magieranke in Sethis’ Blut schlängelte und so einen Teil des Blutflusses umleitete. Gerade genug, um den Drachen in das Vergessen einer Bewusstlosigkeit zu versetzen. Das war der Grund, warum Sethis jetzt ruhig war. Quinton schätzte, dass Sethis’ Chancen bei fünfzig zu fünfzig standen.

Allerdings war es hundertprozentig sicher, dass er für die anderen ein Hindernis sein würde.

Niemand würde es Quinton danken, wenn er es laut aussprach, aber das änderte nichts an der Realität. Sethis war eine Belastung für beide Rudel. Für Quintons Gefährtin. Und das … das war ein Problem.

„Die Priester sind also Menschen, die die Drachen vernichten wollen?“, fragte Darren und nahm damit den Gesprächsfaden wieder auf, dem Quinton nur teilweise Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Cyril hatte ihnen erzählt, wer die Priester in Wirklichkeit waren, aber Darren, Rand, Broker und Leesandra waren noch dabei, die Neuigkeiten zu verarbeiten.

„Sie haben alle weiblichen Drachen gejagt“, erklärte Kit. „Meine Mutter war die Letzte. Sie hat mich mit Magie in menschliche Form gebracht, damit ich in Sicherheit war. Sie nahm an, dass sie nicht mehr lange leben würde.“

Damit hatte sie wahrscheinlich richtig gelegen. Auch diesen Gedanken behielt Quinton für sich.

Hauck zog Kit auf seinen Schoß. Das war gut. Trost spenden stand auf der langen Liste der Fähigkeiten, die Quinton nicht beherrschte.

„Die Priester sind mehr als nur rachsüchtige Menschen“, fuhr Cyril fort. „Sie sind Menschen mit Zugang zu alter Magie. Und nicht nur das, sie haben auch die Überlieferung auf ihrer Seite. Die Drachen beugen seit Jahrhunderten vor ihnen die Knie. Wir haben unser Leben gelassen und den Bastarden dafür gedankt.“

„Der einzige Weg, den Lügen der Priester ein Ende zu setzen, ist, die Wahrheit vor dem gesamten Gericht von Massa’eve zu enthüllen“, sagte Kit. „Wir müssen es vor der nächsten Prüfung tun. Wenn alle versammelt sind.“

Cyril und Tavias warfen ihr einen langen Blick zu, dann nickten sie zustimmend.

„Was auch immer wir tun, wir müssen auch die Dracheneier retten“, fügte Kit hinzu. „Aber wie sollen wir das angehen? Und was sollte die Priester davon abhalten, alle Beweise zu vernichten, während wir in der Arena sind?“

Das Gespräch ging in ähnlicher Weise weiter, Strategien und Meinungen wurden ausgetauscht und bewertet. Das Problem bei allem war jedoch ein entscheidender Faktor: der Mangel an Informationen. Wie viele Priester beherbergte die Zitadelle? Wie sah der Grundriss der Zitadelle aus? Wie groß war die Macht der Gegner? Wie machten sich die Menschen die uralte Magie zunutze, zu der sie eigentlich keine Zugang haben sollten? Trotz all seiner Erfahrung im Kampf gegen die Monster der Seuche hatte Tavias eine blinde Seite, wenn es um Manipulation ging. Er wollte mit Rechtschaffenheit und Güte gegen einen Gegner kämpfen, keines von beidem respektierte. Cyril war noch schlimmer.

Zum Glück war das eine Schwäche, unter der Ettienne nie gelitten hatte – und Quinton war unter der Faust seines Vaters geschmiedet worden. Er wusste, was getan werden musste.

Am nächsten Morgen fühlten sie sich alle erholter, nachdem sie den dringend benötigten Schlaf bekommen hatten. Ein Fluchtweg aus der Höhle war geschaffen und verstärkt worden, und auf einer behelfsmäßigen Flamme wurde inmitten von zu vielen Personen und Gesprächen Tee gekocht. Selbst Sethis war wach und schlurfte schwach wie ein neugeborenes Rehkitz umher. Als Hauck von der morgendlichen Jagd mit zwei Kaninchen zurückkehrte, stand Quinton auf und schob sein Schwert in die Scheide, die er auf seinen Rücken geschnallt hatte.

„Wir müssen die Wache wieder aufnehmen“, sagte Quinton und schob Sethis zur Seite, um zum Ausgang zu gelangen. „Ich fange an.“

Draußen angekommen, musste Quinton den Unterarm heben, um sein Gesicht vor dem grellen Sonnenlicht zu schützen, das sich im Schnee widerspiegelte. Es war eiskalt, wie schon während der letzten Tage, und die Sichtweite betrug höchstens drei Meter. Quinton überblickte das Gelände so gut er konnte und blieb in der Nähe der Höhle, bis eine halbe Stunde später das Knirschen von Schritte im Schnee zu hören war.

Quinton hob den Kopf, als er Sethis’ Annäherung vernahm, machte sich aber nicht die Mühe, sich umzudrehen. „Freut mich, dass du deinen Kindermädchen entkommen konntest. Ich war mir nicht sicher, ob du es schaffen würdest.“

„Du wolltest mich hier draußen sehen, Schatten?“ Sethis’ Stimme war kräftiger, als Quinton erwartet hatte. Nicht, weil es dem Mann gut ging – Quinton hatte es gespürt, als er vorhin seine Magie durch Sethis hatte fließen lassen –, sondern weil Sethis gut darin war, den Schmerz zu verbergen. „Warum?“

Quinton drehte sich um und betrachtete Sethis durch den wehenden Schnee. Wie seine Stimme war auch Sethis’ Silhouette die eines Kriegers, sein rotes Haar hob sich feurig von dem weißen Hintergrund ab. Sämtliche Schneeflocken, die das Pech hatten, auf Sethis’ Haut zu landen, schmolzen sofort unter dem Fieber dahin, das in Sethis’ Körper tobte. „Ich will dir einen Vorschlag machen“, sagte Quinton.

„Einen, über den du vor den anderen nicht sprechen wolltest?“

Offensichtlich. Quinton machte sich nicht die Mühe, dies mit einer Antwort zu würdigen.

Sethis’ rostfarbene Augen, verengten sich misstrauisch. „Was willst du?“

„Ich will, dass du gehst. Du bist eine Belastung. Eine Gefahr für meine Gefährtin.“

„Ich kann immer noch ein Schwert halten“, gab Sethis zurück.

„Nicht, wenn du bewusstlos bist.“

„Willst du etwa behaupten, dass du nichts damit zu tun hattest?“

Quinton zuckte mit den Schultern. Na gut.

Sethis schüttelte sich. „Ich kann immer noch mein Leben geben, um die Meinen zu schützen. Das schließt meine Liebe und meine Königin ein.“

„Ja, ja, ich weiß, dass du einen Treueeid geleistet hast“, sagte Quinton. „Leider wird dein edler Tod auf dem Prüfungsgelände Kitterny wenig nützen. Oder deinem Menschen. Ich habe bessere Pläne für dich.“

Sethis’ Augen verengten sich vor Misstrauen. „Was willst du?“

„Ich möchte, dass du gehst. Und zwar jetzt. Überwinde die Barriere des Prüfungsgeländes. Sobald du auf der anderen Seite bist, wirst du eine Nachricht für mich überbringen.“

„Interessant. Lass uns reingehen und dies mit der gesamten Gruppe besprechen.“

„Nicht alles muss von einem Ausschuss entschieden werden.“ Quinton verschränkte die Arme vor der Brust.

„Du hast Geheimnisse vor deinem eigenen Rudel? Und vor deiner neuen Gefährtin? Das ist sehr … schattenhaft.“ Sethis seufzte und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Einen Moment lang flackerte das Echo seiner wahren Erschöpfung über sein Gesicht, bevor der Krieger seine Maske wieder aufsetzte. Er betrachtete den Himmel. „Das da oben ist nicht nur Nebel, sondern ein Fallwind, der einen gesunden Drachen abstürzen lassen kann. Ich werde es nicht über die Barriere schaffen. Vielleicht in ein paar Tagen.“

„Ich habe nicht so viel Zeit.“ Quinton zog ein Fläschchen aus seiner Tasche. „Drachentränen. Der stärkste Heiltrank, der den Drachen bekannt ist.“ Ettienne hatte ihn Kitterny zugesteckt, um Quinton wieder in Kampfform zu bringen, nachdem er ihn fast zu Tode geprügelt hatte. Es war noch eine Dosis übrig. „Sag mir, dass du jetzt gehst, und er gehört dir.“

Sethis öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber Quinton packte den Arm des Mannes, bevor er es tun konnte.

„Du blutest innerlich“, sagte Quinton, wobei seine Magie unerbittlich in Sethis Blut eindrang. „Aber wenn du dich vom Kampf fernhältst, wirst du wohl überleben. Dein Rudel wird dich beschützen, wenn es sein muss, auch auf eigene Kosten. Tu was ich sage, sonst könnte es passieren, dass du stirbst, bevor du die Barriere erreichst. Geoffreys Rudel und seine Verbündeten sind immer noch da draußen und du wirst eine Begegnung mit ihnen nicht überleben. Dein größter Verbündeter wird der Schneesturm sein, der Wind selbst, der versucht, deine Flügel zu zerreißen. Es ist ein schlechter Handel, den ich dir anbiete. Frag dein Rudel. Frag meins. Sie werden dir dasselbe sagen.“

Sethis’ Kiefer spannte sich an. „Diese Nachricht, die du überbringen willst, ist sie wichtig?“

„Ja.“

„Wir es etwas Positives für meine Königin sein? Für sie beide?“

„Ja.“

„Dann sag mir, wohin ich deine Nachricht bringen soll“, sagte Sethis.

„In ein Bordell.“

4. QUINTON

„Verzeih, sagtest du Bordell?“, fragte Sethis.

„Du bist also mit dem Konzept vertraut? Gut.“ Quinton zog ein kleines Stück Stoff aus seiner Tasche. Er hatte keine Tinte, aber Blut reichte aus, um die wenigen Zeichen zu machen, von denen er wusste, dass Autumn sie würde lesen können. Er wusste nicht, was es über ihn aussagte, dass die Person, der er außerhalb seines Rudels am meisten vertraute, eine Agentin eines fremden Hofes war, aber Autumn war die Einzige in Massa’eve, die ihn noch nie im Stich gelassen hatte. Wäre Quinton der Typ Mann, der Freunde hatte, dann würde er sie als eine betrachten. Quinton beendete die chiffrierte Nachricht und gab Sethis Anweisungen, wie er die Prinzessin finden konnte, und ließ den Mann diese zweimal wiederholen, bevor er ihn gehen ließ.

Sethis entfernte sich weit genug vom Lager, bevor er sich verwandelte, um zu vermeiden, dass der verräterische Lichtblitz von den anderen gesehen wurde. Quinton nickte zustimmend und wünschte ihm alles Gute. Dann wandte auch er dem Lager den Rücken zu. Im Gegensatz zu Sethis, der sich mit dem Wind von der Zitadelle wegbewegte, befand sich Quintons Ziel in der anderen Richtung, und zwar gegen den Wind.

Winzige Eiskörner schlugen Quinton bei jedem Schritt ins Gesicht, und der Schmerz, wenn sie seine Augen trafen, war fast so blendend wie der Nebel selbst. Jeder Schritt auf die Festung der Priester zu war ein Kampf, jeder Windstoß versuchte, Quinton den Mantel und die Waffen aus der Hand zu reißen. Falls Quinton noch Zweifel daran gehabt hatte, dass dieser Sturm keine natürliche Ursache hatte, so waren sie jetzt verflogen. Nichts an diesem Schneesturm war natürlich.

Zähneknirschend kämpfte Quinton sich vorwärts. Er hatte das schon einmal gemacht. Er war kaum älter als ein Jungtier gewesen, als seine Ausbilder ihn das erste Mal nackt im Schnee ausgesetzt hatten, damit er sich durchkämpfte oder starb. Er hatte damals überlebt, und jetzt hatte er ein viel größeres Ziel als seinen eigenen Untergang vor Augen.

Auf halbem Weg zur Zitadelle veränderte der Weg seine Beschaffenheit, eine riesige Eisschicht hatte sich auf dem Schnee ausgebreitet. Quintons Stiefel rutschten immer wieder aus – und wenn sie nicht ausrutschten, dann nur, weil das Eis komplett nachgab und er sich durch hüfthohen Schnee kämpfen musste, der seine Glieder betäubte. Der Drache in ihm schrie ihm zu, er solle sich verwandeln, aber Quinton wusste es besser. In der Luft wäre er zu leicht zu entdecken, und sein Schatten, der über den Boden glitt, wäre für Geoffrey und die Priester wie das Läuten einer Glocke.

Quinton zitterte, als er die Zitadelle erreichte. Die Schatten im Innern der Festung waren eine willkommene Umarmung. Als er wieder Gefühl in seinen Händen hatte, tauchte Quinton in die Dunkelheit ein und zog eine seiner Waffen. Wenn man den Priestern Glauben schenken durfte, sollte das Zeichen der Orion, das nun auf Quintons Rücken eingebrannt war, dafür sorgen, dass er sein eigenes Todesurteil unterschrieb, wenn er Gewalt gegen einen anderen Mitstreiter innerhalb der Zitadelle anwandte. Ob das auch für die Priester galt, würde sich noch herausstellen.

Quintons Füße glitten lautlos über die Steine, während er sich durch die mit Wandteppichen geschmückten Korridore bewegte. Schon bald nahmen seine Sinne das schwache Echo eines Gesangs aus einer der Kammern wahr. Eine Stimme sang. Das war gut. Quintons Herzschlag beruhigte sich auf einen sanften Rhythmus, der sich mit dem angeborenen Puls der Festung synchronisierte. Jeder Ort hatte einen Puls. Für einen Attentäter war das Finden dieses Pulses und sich im anzupassen, so natürlich wie das Atmen. Quinton bewegte sich vorwärts in Richtung des Gesangs.

Quinton blieb am Eingang der Kammer stehen und spähte durch den Schlitz zwischen Tür und Wand. Der Priester war tatsächlich allein, in ein feierliches Gewand gehüllt, während er eine Ode an Orion anstimmte. Die brennenden Kerzen funkelten wie Sterne um ihn herum. Als der Priester für eine weitere Runde des tiefen Gesangs einatmete, bewegte sich Quinton. Einen Augenblick später lag die Klinge seines Messer an der Kehle des Priesters, der Stahl spiegelte den Schein des Kerzenlichts wider.

„Still“, sagte Quinton, wobei sein Messer einen kleinen Schnitt verursachte, der leicht blutete.

---ENDE DER LESEPROBE---