4,99 €
Vier Elite-Fae-Krieger. Eine Sterbliche. Eine magische Verbindung, die sie weder zulassen noch ihr widerstehen können. Als Waise wurde sie vor Jahren an einen strengen Meister verkauft. Seitdem besteht Leras Leben darin, Ställe auszumisten, den Annäherungsversuchen ihres Meisters auszuweichen und den mysteriösen Wald zu meiden, der die Welt der Sterblichen von der der Fae trennt. Nur Narren wagen sich in die unsterblichen Lande, und nur dunkle Vorahnungen verlassen ihn wieder … Bis vier mächtige Fae-Krieger in Leras Leben auftauchen. River, Coal, Tye und Shade haben ein Jahrzehnt darauf gewartet, dass ihr neuer Fünfter auserwählt wird, obwohl die Wunden durch den Verlust ihres fünften Bruders noch immer nicht verheilt sind. Aber die Magie hat ihnen einen grausamen Streich gespielt und die vier unsterblichen Krieger mit … einer Frau verbunden. Einer sterblichen Frau. Beeindruckend schön und gefährlich zerbrechlich, kann Lera nur eines sein—ein Fehler. Doch als die Männer Lera in das Land der Fae mitnehmen, um die Verbindung zu lösen, müssen sie feststellen, dass die junge Frau mehr Macht über ihre Seelen hat, als es für irgendjemanden gut ist … besonders für Lera selbst.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Copyright © 2022 by Alex Lidell
Alle Rechte vorbehalten. Abgesehen von den im U. S. Copyright Act von 1976 vorgesehenen Ausnahmen darf diese Publikation weder als Ganzes noch in Auszügen in irgendeiner Form oder auf irgendeine Weise ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Herausgebers vervielfältig, verbreitet, übertragen oder in einer Datenbank oder einem System zur Informationsrückgewinnung (Retrieval-System) gespeichert werden.
Alex Lidell, Massachusetts, United States of America, www.alexlidell.com, [email protected]
Dieses Buch ist ein fiktives Werk. Namen, Personen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Begebenheiten entstammen der Fantasie der Autorin oder werden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen lebenden oder verstorbenen Personen oder tatsächlichen Ereignissen ist rein zufällig.
Kein Teil dieses Werkes darf ohne schriftliche Genehmigung des Herausgebers in irgendeiner Form oder auf irgendeine Weise vervielfältigt oder in einem System zur Informationsrückgewinnung (Retrieval-System) gespeichert werden, sei es elektronisch, mechanisch, durch Fotokopie, Aufzeichnung oder auf andere Weise.
Bitte kaufen Sie nur autorisierte elektronische Exemplare und beteiligen Sie sich nicht an oder fördern Sie nicht die elektronische Piraterie urheberrechtlich geschützter Materialien.
Prolog
1. Leralynn
2. Leralynn
3. Tye
4. Coal
5. Leralynn
6. Leralynn
7. Leralynn
8. Leralynn
9. Coal
10. Leralynn
11. Leralynn
12. Leralynn
13. Leralynn
14. Leralynn
15. Leralynn
16. Leralynn
17. Leralynn
18. Leralynn
19. Leralynn
20. Leralynn
21. Leralynn
22. Leralynn
23. River
24. Leralynn
25. Leralynn
26. Tye
27. Leralynn
28. Leralynn
29. Leralynn
30. Leralynn
31. Leralynn
32. Leralynn
33. Leralynn
Other books NO Links
About the author
River
„Nein“, sagte River zu der Magie, die durch die feuchte Erde unter seiner Handfläche pulsierte. Nicht, dass sich die Magie sonderlich für Rivers Meinung interessierte. „Verdammt, nein. Das kann nicht unser Fünfter sein.“
Rivers Quint-Brüder Tye, Coal und Shade – letzterer in seiner Wolfsgestalt – traten neben ihn und sahen vom Aussichtspunkt des Mystwoods aus zu, wie ein sterbliches Mädchen von etwa zwanzig Jahren eine Schubkarre zu einem Komposthaufen schob. Ihr üppiges Haar hatte einen feurigen Braunton, in dem das Sonnenlicht spielte, während sie eine Ladung Dung auskippte und die Schubkarre zurück zum Stall schob.
Das Anwesen, auf dem das Mädchen arbeitete, erstreckte sich erstaunlich nahe an der Grenze des Mystwood, dem dichten Wald, der das Land der Sterblichen vom Lunos-Gebiet der Fae trennte. Abgesehen von einer Handvoll Gasthöfe und Tavernen am Mystwood, die neugierige Sterbliche – oder Verirrte – beherbergten, lag die nächste Siedlung einen ganzen Tagesritt entfernt. Niemand wollte näher an Mystwood leben, als er musste – niemand, so schien es, außer dem Gutsherrn.
Das Mädchen blieb stehen, führte die Hände zu ihrem Gesicht und versuchte ihre Finger mit ihrem Atem zu wärmen. Bekleidet mit zu kurzen Hosen, übergroßen Stiefeln, die nur dank ein paar alter grauer Strümpfe oben blieben, und einer fadenscheinigen cremefarbenen Tunika, die ihre Kurven zu kaschieren versuchte, allerdings kläglich dabei scheiterte, musste sie im kühlen Wind frieren. Am liebsten hätte River das Mädchen in seine Arme geschlossen und gleichzeitig ihren Aufseher ausgeweidet. Aber nichts von beidem würde passieren.
„Das ist eine Frau“, meinte Tye nach einer Weile.
„Das ist eine Sterbliche“, fügte Coal hinzu.
„Das ist ein Fehler“, erklärte River mit einer Endgültigkeit, die er nicht spürte. Auch wenn das Mädchen ein Fehler war, wollte sein ganzes Wesen trotzdem an ihrer Seite sein. Sein Innerstes kribbelte, selbst als er sich zu seiner vollen Größe aufrichtete und seine Stimme eine Mischung aus Befehl und abweisender Verschlossenheit war. „Einen, den wir so schnell wie möglich korrigieren müssen.“
„Ich glaube, du verstehst nicht ganz, wie Frauen funktionieren“, sagte Tye trocken. Tye stammte aus dem Blaze Court, dem südlichsten der drei Fae-Königreiche, hatte dichtes rotes Haar, eine Vorliebe zur Feuermagie und einen Hang dazu, immer und überall ein Bordell zu finden - selbst wenn es dort vor Tyes Ankunft noch keines gegeben hatte. Er ließ die Schultern hängen und fixierte das Mädchen mit seinem Blick. „Sie verwandeln sich nicht in Männer – geschweige denn in männliche Fae – nur weil man es ihnen befiehlt.“
„Du verstehst, wie Frauen funktionieren, das reicht für uns alle zusammen, Tye.“ Coal verschränkte die Arme vor der Brust. Das Gesicht des Kriegers war angespannt, und River konnte Coals Unmut gut verstehen. Nach einem Jahrzehnt der Suche nach einem fünften Krieger, der ihren gefallenen Quint-Bruder ersetzen sollte, hatte die Magie offenbar beschlossen, ihnen einen verdammten Streich zu spielen und sie mit einem völlig ungeeigneten Wesen zu verbinden. Quints waren Fae-Kriegereinheiten, die auf magische Weise auserwählt, auf ewig aneinander gebunden und am neutralen Zitadellenhof streng ausgebildet wurden, um die Bedrohungen abzuwehren, die immer wieder aus Mors, dem dunklen Reich, auftauchten. „Sie spürt uns nicht einmal.“
Coals Worte hallten in Rivers Kopf wieder. Ja, er lag vollkommen richtig. Jeder gebundene Fae-Krieger würde sofort auf den Quint zustürmen, unfähig, der Anziehungskraft zu widerstehen, selbst wenn das bedeutete, direkt in den Mystwood zu stolpern. Das Mädchen hingegen schaufelte weiterhin Dung.
„Was nun?“, fragte Coal, und River musste sich beherrschen, um nicht zusammenzuzucken.
„Wir bringen die Sterbliche in die Zitadelle von Lunos und bitten den Ältestenrat, die Bindung zu lösen.“ River wandte sich von dem Mädchen ab, dessen Wesen nach ihm rief. „Lasst euch nicht beeinflussen.“
„Lera!“ Mimis Stimme schallt durch den Stall und lässt die Pferde aufblicken.
„Hier drüben“, rufe ich aus der hintersten Box und streiche über den samtenen Hals des Wallachs. Das Pferd schnaubt leise, seine Flanken heben sich, während Dampf aus seinem Fell aufsteigt und sich mit der kühlen Stallluft vermischt. Der Geruch von Heu und Leder, vermischt mit dem grasigen Duft von Pferdemist, hüllt den Stall in eine Vertrautheit, die zu meinem Zufluchtsort vor Meister Zakes Blicken und Schlägen geworden ist.
Ich lehne meine Stirn an das Pferd und atme langsam und tief ein. Ich bin nervös, und das schon seit gestern Abend, obwohl ich nicht genau sagen kann, was mich so aufgewühlt hat. Vielleicht ist es die Art und Weise, wie Zake mich in letzter Zeit betrachtet, als wäre ich Wasser in einer Wüste – das entweder getrunken werden sollte, bevor es weg ist, oder aber für eine ordentliche Summe verkauft werden sollte. Oder vielleicht ist es auch nur der Wolf aus meinem Traum, der mich immer noch nervös macht. Grau mit schwarzer Schnauze, goldenen Augen und einem kräftigen Maul mit großen Zähnen. Es wäre töricht, sich vor so etwas zu fürchten. Der einzige Wald in der Nähe von Zakes Anwesen ist der Mystwood, der das Land der Sterblichen von dem der Fae trennt. Sollte es im Mystwood einen Wolf geben, würde er sich kaum hinauswagen. Tiere wandern nicht gern in diese Wälder hinein und hinaus. Und ich kann es ihnen nicht verdenken. Mich fröstelt es jedes Mal, wenn ich mich dem Waldrand nähere.
Eigentlich mag niemand außer Zake den Mystwood. Und dieser mag den Wald nicht, nein, er betet ihn an. Jemand hat ihm vor langer Zeit erzählt, dass eines Tages eine Gruppe von Fae-Kriegern aus dem Wald auftauchen und einen Menschen mit in die unsterblichen Lande nehmen wird. Zake füllte den Rest der Geschichte mit Bildern von heldenhaften Schlachten, verführerischen Frauen und verheißungsvoller Unsterblichkeit. Die Versuchung war zu groß, als dass er ihr widerstehen konnte, und so baute er sich ein Anwesen am Rande des Mystwoods und wartete zwei Jahrzehnte lang darauf, dass das Schicksal mit einer Einladung auftauchte.
Möglicherweise gehe ich zu hart ins Gericht mit ihm – wir alle brauchen etwas, wovon wir träumen können. Andererseits kehren Sterbliche, die versuchen, das Land der Fae zu betreten, niemals zurück, obwohl ihre Knochen und verstümmelten Körper manchmal am Rande von Mystwood auftauchen. Nicht alle Träume sind sicher.
„Oh, verfluchte Sterne.“ Mimi stemmt die Hände in die Hüften und sieht mich kritisch an. „Komm da raus, bevor Zake dir einen neuen Satz blauer Flecken verpasst. Er bezahlt dich dafür, Scheiße zu karren, nicht dafür, Vieh zu umarmen.“
„Zake bezahlt mich?“, frage ich und hebe eine Augenbraue. Ich verdiene zwar theoretisch Geld, aber nachdem Zake meine Unterkunft, Verpflegung und andere „Unterhaltskosten“, wie es in der Leibeigenschaft heißt, abgeschöpft hat, bekomme ich kaum mehr als ein paar Pennys.
Mimi packt mich am Handgelenk und zerrt mich aus dem Stall. Sie ist noch kleiner als ich, etwa so alt wie meine Mutter, wenn sie noch leben würde, und sie arbeitet in der Küche, sodass ich oft ein Stück Brot oder Käse in einer Tasche finde, zusammen mit dem Geruch von Mehl, den sie immer hinter sich herzieht. Mimi ist so etwas wie eine Familie für mich, seit Zake mich vor zwölf Jahren von einem der Waisensammler gekauft hat. Ich weiß nicht mehr, was davor war, aber ich weiß noch, dass ich in einem Moment fror und im nächsten auf ein warmes Pferd gesetzt wurde.
Das war das erste und einzige Mal, dass ich geritten bin. Ich glaube, Zake hat Angst, dass ich mitten in der Nacht weglaufe, wenn ich reiten könnte, obwohl es keinen Ort gibt, wo ich hingehen könnte.
„Zake wird dir viel mehr als nur Pennys geben, wenn du ihn lässt.“ Mimi zupft mir ein wenig Heu aus der kastanienbraunen Mähne und streicht mir die Strähnen über die Schulter. „Er wartet schon seit Jahren auf dich, Leralynn, und ich glaube nicht, dass er deine Schüchternheit noch lange dulden wird.“
„Wenn die Peitsche von letzter Woche ein Zeichen des Werbens war, dann ist er wohl auf dem Holzweg. Ganz abgesehen davon, dass er doppelt so alt ist wie ich und sich in ein Märchen verliebt hat.“
Mimi schnalzt mit der Zunge. „Du bist vielleicht diejenige, die in Märchen verliebt ist, Liebes. Zake ist nicht ganz doppelt so alt wie du, er arbeitet hart und trinkt nicht, und er hat sich dir nie aufgedrängt. Wie viele Herren würden die Jungfräulichkeit eines Stallmädchens respektieren, hm?“
„Alle, die glauben, dass besagte Jungfräulichkeit ihnen eine ansehnliche Summe einbringen könnte.“
Mimi holt ein warmes Brötchen aus ihrer Tasche und stopft es in meine, wobei mich der Geruch von frischem Brot aufstöhnen lässt. „Ich für meinen Teil würde es begrüßen, dich 'Herrin' nennen zu können. Du würdest in dem Haus leben, hättest Essen, Kleidung und Wärme. Das wäre ein besseres Leben für dich, als Ställe auszumisten.“
„Ich miste gerne Ställe.“ Ich lehne mich zurück und schließe die Tür des Wallachs, die auf geölten Rädern sanft zu gleitet. Zake kümmert sich gut um sein Eigentum – zumindest, wenn er denkt, dass er damit seine Taschen füllen kann.
„Nun denn.“ Mimi klatscht in die Hände. „Pass auf, Mädchen. In den Küchen kursieren Gerüchte über einen Wolf, der sich auf dem Gelände des Anwesens herumtreibt. Meister Zake ist auf dem Weg hierher, um auf die Jagd zu gehen, und ich dachte, es wäre gut, wenn du ein Pferd für ihn bereithalten würdest, wenn er kommt. Sag ihm, er soll vorsichtig sein. Mach ein bisschen Theater. Es kann nicht schaden.“
Ich erstarre, mein Mund wird trocken. „Wolf?“ Ich lecke mir über die Lippen. „Was für ein Wolf, Mimi?“
„Ich weiß es nicht. Die fleischfressende Art, nehme ich an.“ Sie seufzt. „Du konzentrierst dich auf den falschen Teil von dem, was ich gesagt habe. Wenn du dich nicht nützlich machen willst, dann verschwinde lieber, bevor Zake kommt, ja? Du solltest den Mann nicht rundheraus ablehnen. Und du könntest auch deine Meinung ändern.“
Ja. Verschwinden, bevor Zake kommt und zur Jagd aufbricht. Das ist genau das, was ich tun sollte.
Aber ich kann nicht. Ich muss diesen Wolf retten. Und ich habe keine Ahnung, warum.
„Ich kann nicht verschwinden – die Pferde wollen ihr Futter“, sage ich leise. „Was hat der Wolf getan?“
„Noch nichts.“ Mimi winkt abweisend. „Mit etwas Glück können Zakes Männer ihn zur Strecke bringen, bevor er Ärger macht und Rudelkameraden zur Hilfe holt.“
Rudelkameraden. Ja, der Wolf hat wahrscheinlich welche, die um ihn trauern und in ihrer Einsamkeit den Mond anheulen würden. Alles nur, weil das unschuldige Tier Zakes Grenzen überschritten hat.
Draußen vor dem Scheunentor ertönen Männerstimmen und das Klirren von Waffen, und Mimis Gesicht verzieht sich. Im Gegensatz zu mir tut Mimi, was man ihr sagt, und hat fast genug gespart, um ihre Lebenshaltungskosten zu begleichen. „Komm, Mädchen. Entweder du hilfst dem Mann oder du verschwindest von der Bildfläche, ja?“
„Du gehst.“ Ich schiebe Mimi zum hinteren Stalleingang hinaus, gerade als Meister Zake die vordere Schiebetür aufzieht. Als seine schweren Stiefel durch das Stallgebäude hallen, stehe ich schon wieder in der Mitte des Ganges, und meine dichten Locken wehen im plötzlich aufkommenden Wind.
Die eisige Kälte lässt mich frösteln, aber ich halte mich an der mit Heu gefüllten Schubkarre fest und mache einen Knicks. „Mein Herr.“
Zake ist um die vierzig, groß, gesund und muskulös, mit einem Kopf voll drahtigem braunem Haar. Er hat eine Reihe von Narben, die zu seinem scharfen Temperament passen, darunter ein langer Schnitt quer über sein Gesicht, der ihm einen ständig verärgerten Ausdruck verleiht. Stirnrunzelnd betrachtet Zake meine Schubkarre, hebt mit einer Hand einen schweren Sattel und trägt ihn in eine der Boxen. „Damit hättest du schon vor einer halben Stunde fertig sein sollen, Leralynn“, ruft er. „Sobald ich mit diesem verdammten Wolfsfell zurückkomme, werden wir beide über die Bedeutung von Pünktlichkeit sprechen.“
Galle steigt in meiner Kehle auf. „Bitte nicht. Bitte, Meister Zake.“
Zake streckt seinen Kopf aus der Box, sein Blick gleitet über meinen Körper. „Ich soll dich also nicht wegen Faulheit auspeitschen?“, erkundigt er sich mit mehr Interesse, als es die Frage rechtfertigt.
Ich verschränke die Arme vor der Brust. „Jagen Sie den Wolf nicht. Es … es könnte ein Weibchen sein.“ Das ist er nicht. Auch wenn ich nicht weiß, woher ich diese Aussage nehme, oder was ich sonst sagen soll. Alles, was ich tief in mir weiß, ist, dass es sehr, sehr schlimm wäre, diesem Wolf wehzutun. „Vielleicht hat sie Welpen. Kleine, die von ihr gesäugt werden, die sie brauchen und …“
„Shade säugt ganz bestimmt keine Jungen.“ Die unbekannte Stimme, wohlklingend und melodisch, kommt von der offenen Stalltür. Wo eben noch Wind wehte, sehe ich jetzt einen hochgewachsenen Mann mit ausgeprägten Muskeln, rotem Haar und amüsierten smaragdgrünen Augen. Er ist in eine geschmeidige braune Lederrüstung gekleidet, die seine kräftigen Arme entblößt, und er bewegt sich mit einer katzenhaften Anmut, die eigentlich unmöglich zu erreichen sein sollte. In seinem Mund, der in einem ständigen Lächeln gefangen zu sein scheint, blitzen weiße Zähne auf.
Ich habe noch nie einen so schönen Mann gesehen.
Er neigt seinen Kopf zu mir und mir stockt der Atem.
Ohren. Zart gespitzte Ohren, von denen eines mit einem kunstvoll gearbeiteten Silberohrring geschmückt ist. Der Mann ist gar kein Mensch, sondern ein unsterblicher Fae-Mann von jenseits des Mystwoods.
Zake scheint zu der gleichen Erkenntnis zu gelangen wie ich, denn er keucht mit geweiteten Augen. Mein Meister tritt vor mich und verneigt sich tief vor dem Besucher. „Willkommen, Hoher Herr.“ Zakes Stimme zittert ein wenig. „Ich habe Euch erwartet.“
Der Mann schnaubt, seine Augen wandern über Zake und richten sich dann auf mich. Das nagende Gefühl in meinem Inneren pulsiert in Wiedererkennung, aber mein Verstand bleibt leer. Ich habe keine Ahnung, wer dieser Mann ist, obwohl mein Körper ihn zu kennen scheint. Ich trete einen Schritt zurück, meine Hand schließt sich um eine Mistgabel.
Die Augen des Mannes glitzern amüsiert. „Es ist mir ein Vergnügen, auch dich kennenzulernen, Lera“, sagt er. In seiner Stimme schwingt eine Überheblichkeit mit, die ich am liebsten aus ihm herausprügeln würde. Ich weiß, dass ich wahrscheinlich Angst vor dem Mann haben sollte, aber stattdessen denke ich, dass ich ihn mir ohne seine spitzen Ohren und seine ätherische Schönheit nur ein paar Jahre älter vorstellen würde als ich es bin, wobei seine Reife vielleicht hinter der dominierenden Kraft seines Körpers zurückbleibt. Den Blick fest auf meine Mistgabel gerichtet, schreitet der Mann geschickt um Zake herum und verbeugt sich. „Ich bin Tye. Und wenn es möglich ist, Kleine, würde ich es vorziehen, nicht aufgespießt zu werden.“
„Bitte verzeiht die Unverschämtheit meiner Bediensteten, mein Herr“, sagt Zake schnell und verbeugt sich, während er wieder zwischen mich und den Fae-Krieger tritt. Zakes Stimme trieft vor Verlangen, wie die eines speichelleckenden Hundes. „Das ist nur ein Missverständnis. Ich bin es, nicht dieses Frauenzimmer, das hier am Rande des Mystwoods auf Euch gewartet hat. Ich werde natürlich jeden Eurer Wünsche erfüllen, die Ihr an mich und mein Anwesen stellen wollt.“
Tye wirft Zake einen abschätzigen Blick zu und hebt eine Augenbraue, als wolle er sagen: Wer zum Teufel bist Du?
„Entschuldigt uns, bitte.“ Zake packt mich am Arm und zieht mich zur Hintertür des Stalls hinaus, wobei seine großen Finger blaue Flecken oberhalb meines Ellbogens hinterlassen. Die Kälte durchdringt mich von allen Seiten und schneidet brutal durch meine dünne Kleidung, aber mein Blut rast so sehr durch meinen Körper, als dass ich mir Gedanken über die Kälte machen könnte. Zakes Nasenflügel blähen sich auf, eine Ader tickt an seiner Schläfe. „Was zum Teufel soll das?“, zischt er, und sein ranziger Atem dringt mir in die Nase. „Willst du mir mein Glück direkt vor der Nase stehlen?“
Ich versuche erfolglos, meinen Arm aus seinem Griff zu reißen. „Ich stehle gar nichts.“ Mir stockt der Atem, und die Worte kommen schnell, als ich sehe, wie er mit der freien Hand seinen schweren Gürtel öffnet. „Ich habe noch nie zuvor einen männlichen Fae gesehen, mein Herr. Ich schwöre es bei den verdammten Sternen.“
„Hast du deshalb versucht, meine Jagd zu verhindern?“, knurrt Zake. „Wolltest du den Unsterblichen abfangen, bevor er mich erreicht?“ Seine fleischige Hand dreht mich herum und drückt meinen Kopf gegen die Scheunenwand, während sich der Gürtel hinter mir abrollt. „Was hast du ihm angeboten, Frauenzimmer? Deine Jungfräulichkeit? Sag mir die Wahrheit, Mädchen. Es wird nur noch mehr wehtun, wenn du lügst.“
„Ich lüge nicht“, sage ich, während sich mein Körper bereits auf die kommenden Schläge vorbereitet. „Mein Herr …“ Ich halte mir den Mund zu, als der Gürtel durch die Luft pfeift. Jetzt gibt es kein Zurück mehr, und es gibt wenig Grund, Atem zu verschwenden, den ich bald brauchen werde.
Ein wütendes Knurren durchdringt die Luft. Gerade als mein Rücken in Flammen aufgehen soll, stürzt eine dunkle Gestalt aus dem Nichts heran. Bevor ich blinzeln kann, liegt Zake im Dreck, ein großer Wolf hockt über ihm. Die Lefzen des Tieres sind zurückgezogen und geben den Blick auf lange Eckzähne frei, die in der Sonne schimmern. Das dichte graue Fell und die schwarze Schnauze erinnern mich an den Traum der letzten Nacht.
Ich schnappe nach Luft, trete einen Schritt zurück – und stoße direkt gegen eine Wand aus Muskeln. Tye, der lächelnde rothaarige Fae-Mann, ist nicht mehr amüsiert. Der Blick, den er Zake zuwirft, ist voller Gewaltversprechen. Nicht dass von Zake viel übrig bleiben würde, wenn der Wolf seinen Willen bekommt.
„Was ist denn hier los?“, meldet sich eine leise Stimme. Ein weiterer Fae-Mann schreitet aus dem Stall, gekleidet im Schwarz eines Kriegers und mit einem Blick, der verrät, dass er kurz davor ist, das gesamte Anwesen dem Erdboden gleichzumachen. Wenn Tye ein übergroßer Kämpfer ist, dann ist der Neuankömmling ein tödlicher Killer, mit langem blondem Haar, das zu einem Dutt zusammengebunden ist, einem markanten Kiefer und stechend blauen Augen, die mich mit einem Blick zu entkleiden und zu begehren scheinen. Die gefährlich aussehenden Schwerter, die an seiner Taille und auf seinem Rücken befestigt sind, vervollständigen den Effekt.
„Nur ein kleines Missverständnis“, meint Tye. „Ich habe es im Griff.“
Der Krieger schnaubt. „Das wäre das erste Mal.“
Tye seufzt auf. „Lera, das ist Coal. Versuch, ihn so gut es geht zu ignorieren.“
Coal verschränkt die Arme vor der Brust, seine Augen mustern den bald toten Zake und den Wolf, bevor sie auf meinem Gesicht landen.
Wie bei Tye durchfährt mich ein Gefühl des Wiedererkennens, obwohl ich mir sicher bin, dass ich diesen Mann noch nie gesehen habe. Meine Instinkte schreien mich an, wegzulaufen, obwohl der Blick des Mannes mich fesselt. Die angespannten Muskeln seiner Unterarme und Schultern lassen meinen Atem schneller werden.
„Zeit zu gehen, Mädchen“, murmelt Tye hinter mir. Ein Befehl. Eine Aufforderung. Eine Herausforderung.
Mörderische Fae. Mystwood. Zerschmetterte Knochen.
Mein Herz rast, auch wenn mein Körper die Richtigkeit von Tyes Worten spürt und sich danach sehnt, sie anzunehmen. Ich schlucke schwer, weil ich das Gefühl habe, dass der Mann mich bereits erobert hat. Und nicht nur er. Fünf, scheint meine Seele zu flüstern.
Fünf was?
Fünf. Es sollten fünf sein. Es müssen fünf sein.
Zake, der immer noch am Boden liegt, wimmert, seine heisere Stimme drängt sich zwischen die Männer und mich. „Ruft eure Bestie zurück. Bitte! Ihr könnt die Hure haben, wenn Ihr sie wollt. Ein Geschenk. Ein Zeichen des guten Willens …“
„Genug gespielt.“ Coal zieht sein Schwert heraus. Der Stahl singt als das Schwert aus der Scheide gezogen wird. „Ich werde dem ein Ende setzen.“
Er meint damit nicht den Wolf.
Ich erschaudere. „Tut es nicht.“ Meine Worte sind ein hoffnungsloses Flüstern, aber beide Männer und sogar der Wolf reißen ihre Köpfe sofort zu mir herum, mit fragenden Blicken. Als ob das, was ich sage, von Bedeutung wäre – als ob das, was ich will, von Bedeutung wäre. Ich atme zögernd ein und frage mich, wie weit ich gehen kann. „Zake verdient es nicht zu sterben.“
„Doch, das tut er“, sagt Coal, seine Worte sind eisig. Der Wolf knurrt seine Zustimmung.
„Er hat es verdient“, sagt Tye hinter mir. „Aber es ist deine Entscheidung, Kleine. Wir werden ihn nicht anrühren, wenn du es so wünschst.“
Mein Herz hämmert gegen meine Brust. Heute Morgen hatte ich noch nichts zu sagen, und jetzt legen diese Unsterblichen, diese Fae-Männer, die die gesamte Welt der Sterblichen verwüsten oder beherrschen könnten, wenn sie wollten, Zakes Leben in meine Hände. Sie wollen ihm wehtun. Aber sie werden es nicht tun. Wegen mir. „Lasst ihn gehen.“ Meine Stimme ist dünn, als wolle sie sich verstecken, falls das Ganze ein einziger großer Scherz sein sollte. „Bitte.“
Coal wirft Zake einen finsteren Blick zu, schiebt aber sein Schwert wieder zurück in die Scheide. Tyes warmer Atem streift meinen Nacken. Der Wolf ist der letzte, der gehorcht. Er fletscht seine Zähne noch einmal, nur wenige Zentimeter vor Zakes Augen, bevor er von dem am Boden liegenden Mann ablässt, sein Bein anhebt und uriniert.
Ich halte mir die Hand vor den Mund, um mir ein sehr unangebrachtes Kichern zu verkneifen.
„Du hast also doch einen Sinn für Humor“, sagt Tye anerkennend von hinten und legt mir seinen Mantel um die Schulter. Ich weiß nicht, woraus der Mantel besteht, aber er ist das Wärmste, was ich je getragen habe, mit einem dicken grünen Wollstoff und einem Pelzfutter, das meine Haut streichelt. Der Duft von Kiefern und Zitrusfrüchten steigt mir in die Nase, genau wie der Duft des Mannes hinter mir.
„Verschwinde von hier, Verräterin“, brüllt Zake mich vom Boden aus an. „Ich wusste schon immer, dass du nichts weiter bist als ein verwünschtes Frauenzimmer, eine verfluchte Hu…“
Der Wolf beugt sich wieder mit einem wütenden Knurren über ihn und Zake verstummt, aber die Worte können nicht zurückgenommen werden.
Ich kann nicht länger auf Zakes Anwesen bleiben, und es gibt keinen anderen Ort, wohin ich gehen kann, als dorthin, wo diese Unsterblichen mich hinbringen.
Lera hielt sich die Hand vor den Mund und unterdrückte ein Kichern, als Shades Pisse das Stück Scheiße, das sich Zake nannte, durchnässte. Die sanfte Vibration ihres Lachens hallte in Tyes Körper wider, und zum ersten Mal, seit Leras Hand die Mistgabel fest umklammert hatte, spürte Tye Hoffnung in seiner Brust aufsteigen. Sie könnte mit ihnen kommen. Diese wilde, tapfere, zerbrechliche, schöne Frau könnte mit ihnen nach Lunos kommen. Bei Faes, die einem Quint angehörten, gab es nie eine Frage – wenn die Magie erst einmal ihr Ziel gewählt hatte, gab es keinen physischen Widerstand, den man gegen das Bedürfnis, sich mit dem Quint zu verbinden, leisten konnte. Aber bei dem sterblichen Mädchen schien die Magie anders zu wirken.
Lera konnte nein sagen.
Und Tyes Herz raste vor Angst vor diesem einen Wort. Das war nichts, was die anderen zu wissen brauchten. Er zwang sich zu einem Grinsen. „Du hast also doch einen Sinn für Humor.“
Shade beendete sein Werk und benutzte seine Hinterpfoten, um ein wenig Erde auf die Nässe zu werfen. Zake hatte wahrlich Schlimmeres verdient, aber Tye und seine Quint-Brüder würden Leras Wort achten. Dies war ihr Territorium, ihr Konflikt, ihre Entscheidung.
Tye öffnete seinen Mantel, löste den sattgrünen Stoff von seinem Rücken und legte ihn Lera um die schmalen Schultern, ohne Coals harten Blick zu beachten. Tye markierte das Mädchen nicht mit seinem Geruch – sie war eiskalt, und es ärgerte Tye, sie so zu sehen. Coal mochte das Frieren als charakterbildende Übung betrachten, aber andere empfindungsfähige Wesen waren da sicher anderer Meinung.
Und ob Lera den Mantel annahm oder nicht, war ebenfalls ihre Entscheidung.
Tye verbarg ein Lächeln, als Lera den Stoff fest um sich zog und tief einatmete. Ihr Körper entspannte sich, ihre Schultern lockerten sich. Tyes Nasenlöcher blähten sich auf, als er den subtilen Duft ihres Wohlbefindens wahrnahm. Ihre anderen, dominanteren Düfte waren ihm bereits vertraut. Süßes Heu und Fliederblüten, mit einem Hauch von etwas Frischem und Kräftigem, wie reife Beeren. Leras Haar, ein warmes Rotbraun, fiel zur Seite und gab den Blick auf ihren Hals frei, der durch ihren schnellen Herzschlag pochte. Tyes Schwanz zuckte, sein Mund sehnte sich danach, über den Puls der Frau zu streichen.
„Verschwinde von hier, Verräterin“, brüllte der Abschaum am Boden, ohne zu bemerken, wie nahe er daran war, niedergeschlagen zu werden. „Ich wusste schon immer, dass du nichts weiter bist als ein verwünschtes Frauenzimmer, eine verfluchte Hu…“
Shade knurrte. Shades Wolf war intelligent, aber mit Instinkten konnte er zuerst zuschlagen und sich später darüber aufregen. Glücklicherweise erwies sich Zake als klug genug, die Klappe zu halten, und Coal war bereits dabei, sich zwischen Shade und den unglücklichen Menschen zu stellen.
So blieben Tye und Lera übrig. „Komm, Kleine“, flüsterte Tye sanft in ihr Ohr, als er sich ihr näherte, so dass sie sein Gesicht sehen konnte. „River wartet mit den Pferden.“
„Wie viele von euch sind hier?“, fragte Lera und blickte zu Coal. Zu Coal, verdammt nochmal! Das war einfach nur demütigend.
Tye runzelte die Stirn.
„Vier“, sagte Coal unwirsch.
Tye streckte seine Hand aus, um Leras Aufmerksamkeit zurückzugewinnen. „Fünf, einschließlich dir. Es wäre gut, wenn wir uns auf den Weg machen könnten, bevor River wütend wird.“
Lera bewegte sich nicht, aber sie wich auch nicht zurück. Tye konnte spüren, wie ihr Herz raste. Natürlich raste es. Eine Gruppe verdammter Unsterblicher war gerade in ihr Leben getreten, hatte sie vertrieben und wollte sie nun an einen Ort verschleppen, an dem Sterbliche nicht willkommen waren. Wären Zake, Shade und Coal nicht gewesen, hätte Tye es leichter gehabt, das Mädchen zu beruhigen.
Er schritt langsam auf sie zu und achtete darauf, dass Lera jede seiner Bewegungen sehen konnte, als er einen Arm unter ihre Knie legte und sie leicht an seine Brust hob.
Die Augen des Mädchens weiteten sich.
„Deine Beine sind kurz“, erklärte Tye und richtete sie so aus, dass sie perfekt gegen seine Schulter gelehnt saß, während er zu River ging, der bereits aufgesessen war, während Coal und Shade hinter ihnen folgten. „So geht es schneller, als wenn ich auf dich warten würde.“
Leras Augen verengten sich. „Ich kann seit zwanzig Jahren ganz gut zu Fuß gehen.“
„Gut zu wissen.“ Tye schenkte ihr ein freches Grinsen. „Hör zu, das ist der einzig wahre River, nach dem du gefragt hast. Er ist der Quint-Kommandant, und wenn du glaubst, du siehst einen Stock so weit in seinem Arsch, dass er aus seiner Nase kommt, dann hast du recht.“
Rivers graue Augen blickten auf Tye herab. Der Mann saß auf seinem Hengst und hielt zwei weitere große Hengste am Zügel. Er trug einen maßgeschneiderten dunkelblauen Mantel, schwarze Hosen und spiegelblanke schwarze Stiefel. Sein dunkelbraunes, kurz geschnittenes Haar betonte seine markanten Züge. Ja, River trug einen Hauch von Befehlsgewalt wie eine zweite Haut – und was Tye betraf, so war ihm das nur recht.
„Beeilt euch.“ River richtete seinen Blick auf die Straße vor ihnen, als wäre er in Gedanken schon auf halbem Weg und würde auf Hindernisse stoßen, die Tye noch gar nicht kannte. „Die Sterbliche reitet mit Coal.“
„Den Teufel tut sie.“ Tyes Schultern strafften sich und er blickte River an, während er Lera näher an sich heranzog. Das Mädchen hatte sich gerade von Tye anfassen lassen, und er wollte den Moment nicht so schnell enden lassen. „Wir …“
„Sie reitet mit Coal“, wiederholte River und drehte sich schließlich um, um seine Eckzähne zu zeigen. Ihr Kommandant war selten so dominant, und wenn er es tat, hatte das ein unangenehmes Ausmaß. River konnte manchmal ein richtiges Arschloch sein.
„Ja, Sir“, sagte Tye. Das einzige Zeichen dafür, dass River seinen trotzigen Tonfall hörte, war ein leichtes Zucken seines Kiefers.
Tye warf Coal einen warnenden Blick zu, bevor er ihm das Mädchen übergab. Er schluckte einen Anflug von unangebrachter Eifersucht hinunter, als der Krieger Lera ordentlich vor sich in den Sattel setzte und seine Arme sicher um ihre Taille legte, als er die Zügel wieder aufnahm. Wenigstens würde Coal sie nicht fallen lassen. Das war das Wichtigste.
Tye ließ sich zurückfallen, um sich neben River einzureihen. „Was zum Teufel sollte das?“, fragte er so leise, dass Lera sie nicht hören konnte. „Oder hast du vor, jetzt Befehle für alles zu erteilen? Wenn ja, hätte ich gern die Erlaubnis, in etwa zwei Stunden scheißen zu gehen.“
River schnaubte. „Tu nicht so, als hättest du nicht bemerkt, dass unser Fünfter eine Frau ist.“ Er warf Tye einen strengen Blick zu. „In den drei Jahrhunderten, die ich dich kenne, bist du noch nie an einer Frau vorbeigegangen, ohne für ein Gespräch stehen zu bleiben.“
„Du hast schon genauso lange nicht mehr mit einer gesprochen“, sagte Tye. „Jemand muss diesen Quint …“
Rivers Hand schoss hervor und griff nach Tyes Handgelenk. Fest. „Nicht. Sie. Sie ist eine Sterbliche, Tye, eine weibliche Sterbliche. Der Ruf der Magie an sie war ein Fehler. Unsere Priorität ist es, die Verbindung zu trennen, bevor sie getötet wird. Verstehst du?“
„Ich werde nicht mit ihr fliehen, River.“ Tye löste seine Hand aus Rivers Griff. „Aber du hast auch kein Recht, ihr gegenüber ein Arschloch zu sein. Lera ist jetzt eine von uns. Eine des Quints. Erzähl mir nicht, dass du das nicht spürst, dass sich deine Seele nicht windet, wenn sie dir nahe kommt.“
Rivers Nasenlöcher blähten sich. „Das tut sie nicht.“
„Lügner.“
„Es ist nicht real“, presste River schließlich hervor, und sein Kiefer spannte sich an. Das Pferd unter ihm tänzelte, weil es seine Unruhe spürte. River seufzte und tätschelte den Hals des Pferdes, bis es sich beruhigte. „Das Gefühl … das Bedürfnis, es ist nichts anderes als das Werk der Magie. Die Sterbliche ist nichts für mich, nichts für uns. Sobald die Verbindung getrennt ist …“
„Nicht real?“, fragte Tye barsch. „Diese Gefühle entspringen der gleichen Magie, die uns nach dem Verlust von Kai erschüttert hat. Oder ist das auch nicht real?“ Das war ein Tiefschlag, selbst für Tye.
Rivers Faust traf Tyes Kiefer, aber Tye machte sich nicht die Mühe, den Angriff abzuwehren. Es ärgerte River gewaltig, wenn sich jemand nicht wehrte, und im Moment verdiente River ein bisschen Ärger. Vielleicht würde das den Kopf des Mannes aus seinem Arsch zwingen, aber das war vielleicht zu optimistisch gedacht.
River gab sich selbst die Schuld am Tod von Shades Zwilling, an dem Schmerz, der Shade dazu brachte, sich für ein Jahrzehnt in seinen Wolf zurückzuziehen. Keiner von ihnen konnte den Kopf heben, nachdem es passiert war, aber Tye dachte, dass River und Shade am meisten gelitten hatten. Bei Coal war das schwer zu sagen, denn er verbarg alles so tief, dass man ihn aufschlitzen müsste, um ein Gefühl zu finden. Quints waren Brüder in allem, außer in ihrem Blut, und davon hatten sie schon so viel zusammen vergossen, dass es inzwischen wahrscheinlich auch vermischt war.
Tye hob sein Kinn an und ließ das Blut von seiner aufgeplatzten Lippe auf sein Kinn tropfen. „Fühlst du dich besser?“
„Das ist nur der Zauber, Tye“, sagte River hartnäckig und trieb sein Pferd in den Galopp. „Wenn die Bindung erst einmal gelöst ist, wird es keine Wirkung auf dich haben, sie loszulassen … auf uns … auf dieselbe Weise. Es wird nicht so sein, als würden wir Kai noch einmal verlieren.“
Nein, Lera zu verlieren, wäre nicht wie Kai zu verlieren, dachte Tye. Es wäre schlimmer.
Coal würde River töten, beschloss er, während sich Leralynn in seinem Sattel wand, ihren Körper gegen seinen drückte und jeden Nerv in ihm in Flammen setzte. Die Sterbliche war noch nicht einmal eine Minute in seiner Obhut, und schon machte ihr süßer Heu- und Fliederduft ihm zu schaffen. Tye hätte es vielleicht gerade genossen, in Coals Haut zu stecken, aber Coal war anders als sein Quint-Bruder.
Tye genoss Frauen, wie er exquisite Desserts genoss, die er unverbindlich probierte und die bei allen Beteiligten einen angenehmen – wenn auch flüchtigen – Nachgeschmack hinterließen. River, der immer noch um die Frau trauerte, die er geliebt hatte, bevor ihn der Ruf des Quints ereilt hatte, hielt sich zurück. Dem Quint-Kommandanten mangelte es nie an Einladungen, aber er nahm selten, wenn überhaupt, eine Frau mit in sein Bett. Shade, der sich einst mit seinem Zwilling Kai eine Frau teilte, hatte sich vor einem Jahrzehnt in seinen Wolf zurückgezogen, weil er nicht bereit war, eine Frau ohne seinen Zwilling zu berühren.
Was Coal betraf, so war er für weibliche Gesellschaft ungeeignet. Zu viele Ecken und Kanten, eine zu tiefe Dunkelheit. Dreihundert Jahre waren vergangen, seit der Quint-Ruf ihn gerettet hatte, aber die Zeit konnte die Vergangenheit nicht auslöschen.
Was Coal jetzt brauchte, war etwas Wind, ein bisschen frische Luft, um den Geruch des Mädchens aus seiner Nase zu bekommen. Das Reich der Sterblichen dämpfte die Magie der Fae, aber es gab altmodische Methoden, den Wind zu rufen. Coal berührte einmal die Flanke seines Hengstes und trieb ihn zum Galopp an.
Leralynn keuchte auf und hüpfte so heftig im Sattel, dass das Pferd verwirrt bockte. Die Fingernägel des Mädchens gruben sich in Coals Unterarme, als würde ihnen die ganze verdammte Welt um die Ohren fliegen, und sie rutschte weiter zur Seite, als Coal es angesichts ihrer Position für möglich gehalten hätte. Coal fluchte, zerrte das Mädchen wieder an ihren Platz und hielt sie mit seinen Armen noch fester an ihrer Taille fest, als sie abermals fast vom Pferd kippte.
Das Pferd schnaubte missmutig.
„Du weißt wohl nicht, wie man reitet, Sterbliche.“ Er hatte es als Frage gemeint, aber es hörte sich eher wie ein Mordvorwurf an.
„Der Name der Sterblichen ist Lera“, schnauzte sie über die Schulter und klammerte sich an den Hals des Pferdes. „Und wir sind nicht wie unsterbliche Fae, die Pferde besitzen. Hast du noch nie jemanden getroffen, der nicht reiten konnte?“
„In über dreihundert Jahren nicht, nein.“ Coal drehte den Kopf und holte tief Luft. Leralynns – Leras auf und ab wippender Hintern befand sich zufällig genau auf einer Linie mit seinem Schwanz.