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Das Schicksal der menschlichen Welt hängt von einer letzten Prüfung ab … Eine Prüfung, bei der wir vielleicht scheitern. Da die Schutzwälle versagen, ist dies der denkbar schlechteste Zeitpunkt, um alle Könige des Kontinents an einem Ort zu versammeln. Doch die Akademie tut genau das und lädt sie alle zu den Prowess Trials ein. Die einzige Möglichkeit, die Menschen zu schützen, besteht darin, selbst an dem Wettbewerb teilzunehmen. Damit Tye denkt, ich hätte ihn verraten. Wir haben keine andere Wahl. Die Schutzwälle versagen, die Schrecken der Vergangenheit treten wieder in Erscheinung … Aber eine verblüffende neue Entdeckung verändert alles, was wir zu wissen glaubten. Im Krieg um die Welt der Sterblichen werden Allianzen und Liebe auf die Probe gestellt. Jedes Leben – und jedes Herz – wird auf dem Spiel stehen, bevor die letzte Glocke ertönt.
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Copyright © 2022 by Alex Lidell
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Alex Lidell, Massachusetts, United States of America, www.alexlidell.com, [email protected]
Dieses Buch ist ein fiktives Werk. Namen, Personen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Begebenheiten entstammen der Fantasie der Autorin oder werden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen lebenden oder verstorbenen Personen oder tatsächlichen Ereignissen ist rein zufällig.
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Prolog
1. Lera
2. Lera
3. Tye
4. Lera
5. Lera
6. Lera
7. Lera
8. River
9. Lera
10. River
11. Lera
12. Lera
13. Lera
14. Zake
15. Lera
16. Lera
17. Tye
18. Lera
19. Lera
20. Lera
21. Lera
22. Lera
23. Lera
24. River
25. Lera
26. River
27. Lera
28. Lera
29. River
30. Lera
31. Lera
32. Lera
33. Lera
34. Lera
35. Lera
36. Lera
37. Lera
38. Lera
39. River
40. Lera
41. Lera
42. Lera
43. Lera
44. Lera
45. Owalin
46. Lera
47. River
48. River
49. Lera
50. Lera
51. Lera
52. Lera
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About the author
Owalin
Als er aus der Zwischenwelt in die Räumlichkeiten trat, was Owalin gerne als sein Kriegszimmer bezeichnete, streckte er seinen Rücken durch und atmete die heiße, leicht feuchte Luft ein. So gut das Kriegszimmer auch eingerichtet war, mit dicken Teppichen und vergoldeten Porzellankrügen mit den besten Weinen, war es immer noch eine Höhle in einem Felsen. Statt Fenstern und einer schönen Aussicht gab es Ohrenkneifer und rauchiges Fackellicht.
Aber das würde sich bald ändern. Um genau zu sein, in neun Tagen. Owalin nahm am Kopfende des polierten Tisches Platz und betrachtete seine versammelten Leutnants, wobei er sich zwang, selbst dem dümmlichen Menschenfürsten am Ende des Tisches höflich zuzunicken.
„Status?“, fragte Owalin.
„Die Prowess Trials beginnen in sechs Tagen“, sagte Han und ging hinüber zu einer Karte der Akademie, die für alle sichtbar an der Wand hing. Der Wandler war immer noch in seiner Tiergestalt, und seine stumpfen menschlichen Züge irritierten Owalin auf irrationale Weise. „Die meisten Aktivitäten werden in der neu errichteten Arena stattfinden, die praktischerweise aus der Luft erreicht werden kann und daher kaum Probleme bereiten dürfte, was die Sicherung anbetrifft. Da es sich jedoch um eine fortlaufende Veranstaltung handelt, ist es nicht vorhersehbar, welche Monarchen sich welchen Wettkampf wann ansehen werden. Glücklicherweise werden alle Wettkämpfe mit einer Siegerehrung enden, bei der alle Könige in der Arena anwesend sein werden, um die Medaillen zu überreichen.“
Owalin nickte. Es passte fast zu sehr zu Hans persönlichem Bestreben, dass der beste Zeitpunkt für den Angriff nach den Spielen seiner ‚Haustiere‘ lag, aber es gab wenig Grund, über diesen Punkt zu streiten. Han machte nie einen Hehl daraus, dass ihm die Wettkämpfe seiner ‚Haustiere‘ wichtig waren, und Owalin hielt nichts davon, Privilegien zu nehmen, wenn es keinen triftigen Grund dafür gab.
„Meister Zake.“ Owalin wandte sich an den griesgrämigen Lord am Ende des Tisches, der sich mit Owalins feinsten Speisen vollstopfte. „Verfügt Ihr Leute, die sich eine Position inmitten des Personals sichern können?“
„Die Gilde der Dienerschaft, die mit der Unterstützung beauftragt wurde, weiß, wo sie ihre Loyalität unter Beweis stellen kann“, sagte Zake und rümpfte die Nase, als wäre es unter seiner Würde, Fragen zu beantworten.
„Ihr werdet sie gewiss persönlich beaufsichtigen.“ Owalin brauchte nicht hinzuzufügen, dass dies bedeuten würde, selbst die Rolle des Dieners zu spielen.
Zakes Augen blitzten auf, der Ansatz eines Protests zeichnete sich auf seinen pockennarbigen Zügen ab, aber ein Blick in die harten Gesichter am Tisch ließ ihn den Kopf senken. „Gewiss. Obwohl ich nicht verstehe, warum wir uns diese Mühe machen. Führt einfach Eure Armee aus der Dunkelheit, wie Ihr es vor wenigen Minuten selbst getan habt.“
Owalin holte tief Luft und versuchte, die Kontrolle zu bewahren, bevor er sprach. „Der Zugang zur Zwischenwelt, Lord Zake, ist in der Welt der Sterblichen versperrt. Der kleine Riss im Schutzwall, der es mir erlaubt, die Schwelle zu überschreiten, reicht nicht weit über diese Höhlen hinaus.“ Das ist der Grund, warum wir uns hier niedergelassen haben, du Dummkopf.
„Die Position des Mondes während Ostara gab uns für kurze Zeit eine größere Reichweite, aber selbst das war nur auf gewisse Teile des Waldes beschränkt“, sagte Krum, Owalins oberster Waffenschmied und der Älteste der Nachtwache, mit langsamer, gemessener Stimme. Der silberhaarige Mann drehte ein Paar Steinkugeln in seiner Handfläche und schien ganz in sein Spiel vertieft zu sein. „Wir werden den Weg durch die Zwischenwelt nur nutzen, um die eingesperrten Sclices freizulassen, damit sie die Wachen außerhalb der Akademiemauern unterhalten können. Wenn es an der Zeit ist.“
Krums hypnotische Stimme erfüllte den Raum und jagte selbst Owalin eine Gänsehaut über den Rücken. „Im Gegensatz zu dem winzigen Riss im Schutzwall, der das Licht und die Zwischenwelt von der Welt der Sterblichen trennt, sind die Mauern, die unsere Magie fesseln, glücklicherweise ganz anderer Natur. Eines, das gefangen und ausgeblutet werden kann.“
„Kannst du die Schutzwälle auf mein Kommando hin niederzureißen?“, fragte Owalin Krum.
Krums Mundwinkel hob sich, seine Aufmerksamkeit war immer noch auf seine Steine gerichtet. „Willst du eine kleine Kostprobe?“
„Gerne.“
Krums Lächeln wurde breiter, dann erstarrte es. „Konntest du jemals diese wilden Fae ausfindig machen, Han?“, fragte er. „Die, die in der Nacht von Ostara vor unserer Patrouille Amok gelaufen sind?“
Hans Kiefer spannte sich an. „Nein.“
„Hmm.“ Krum zuckte mit den Schultern. „Nun, ich hoffe, sie machen jetzt keine Dummheiten. Haltet euch fest.“ Damit hörten die Kugeln in Krums Hand auf, sich zu bewegen.
„Coal!“ Ich umklammere den Ellbogen des Mannes und drücke mich schamlos an ihn, als eine plötzliche Energiewelle mein Inneres erschüttert. Die Fesseln der sterblichen Lande, die meine Magie zügeln, springen gewaltsam auf, und die Stränge der Macht entweichen mit solcher Wucht, dass ich nichts anderes tun kann, als den Wald um uns herum in einem wütenden Lauffeuer zu entzünden.
Der Sternenhimmel scheint sich über mir zu drehen, die Düfte von Farn, Kiefer und klebrigem Saft erfüllen meine Sinne. In meinen Muskeln vibriert die Kraft, und mit jedem Herzschlag pulsiert das Leben durch mich hindurch. Meine Finger bohren sich immer noch in Coals Unterarm und ich atme voller Leben ein.
Und ersticke beinahe am nächsten Atemzug, als die Phantomfesseln meine Magie erneut zu erdrücken scheinen. Galle steigt mir in die Kehle. Alles in mir krallt sich an die Fesseln, egal, was mir die Vernunft sagt. Es ist mir egal, was im Moment richtig und falsch ist. Ich kümmere mich um nichts anderes als um den Teil von mir, den ich gerade gespürt und sofort wieder verloren habe. Ich greife nach der Magie in mir und werfe meinen Willen blindlings gegen die Fesseln. Und wieder. Und wieder. Und immer wieder.
„Ruhig, Sterbliche.“ Ein Arm legt sich um mich, und Coal schiebt mich vor sich her, sein schönes Gesicht ist nur wenige Zentimeter von meinem entfernt, sein metallischer Duft überdeckt die Gerüche der Nacht. Der Krieger nimmt mein Gesicht in seine schwieligen Hände und neigt meinen Kopf nach hinten, wobei er mich mit seinen stechenden blauen Augen intensiv mustert. „Ich habe es auch gespürt, die plötzliche Freisetzung von Magie. Aber jetzt spüre ich es nicht mehr. Jetzt ist alles wieder normal.“
Normal. Ich zwinge mich einzuatmen, und die Sicherheit von Coals Griff um mein Gesicht bringt mich wieder zur Vernunft. Das hätte nicht passieren dürfen. So gut sich die Magie auch anfühlt, sie hat keinen Platz in der menschlichen Welt. Sterne, wir sind hierher gekommen, um genau diese Katastrophe zu verhindern.
„Heißt das, wir haben versagt?“, flüstere ich. „Haben die Schutzwälle endgültig versagt?“
„Noch nicht.“ Coal streicht mit seinen Händen über meine Arme, legt dann seine Handfläche in meinen Rücken und führt uns zurück zur Akademie. „Aber ich kann mir vorstellen, dass wir nicht die Einzigen in der Welt der Sterblichen sind, die die verdammten Dinger manipulieren wollen.“
Ich blicke von der Anhöhe hinunter, auf der Coal und ich es gewagt haben, die Ansammlung von Campingplätzen zu überblicken, die auf den ehemaligen Schafweiden entstanden sind, und schüttle den Kopf angesichts der ordentlichen Zeltreihen. Fackeln und Laternen flackern, ferne Rufe und Lachsalven hallen zu uns hinauf. Jetzt, weniger als eine Woche bis die Prowess Trials beginnen, hat sich der ganze Ort von einer isolierten, verschlafenen Stadt in die provisorische Hauptstadt einer neuen Welt verwandelt.
Alle sind in Hochstimmung. Warten ungeduldig auf die bevorstehenden Spiele – und sind völlig ahnungslos über die Gefahr, die auf sie lauert.
„Weißt du“, ich schiebe einen dornenbesetzten Ast beiseite, bevor er mich ins Gesicht trifft, „da sich in den Wäldern von Great Falls seit fast zwei Monaten nicht mehr viel getan hat, dachte ich eigentlich, dass sich die Dinge zu unseren Gunsten ändern könnten.“
„Ich nicht.“
„Ja, aber du magst es einfach, Dinge zu töten.“
Coal wirft mir einen bedrohlichen Blick zu und beschleunigt sein Tempo, sodass ich fast rennen muss, um mit ihm Schritt zu halten. Sein hochgewachsener Körper bewegt sich so leicht durch die Nacht, dass es scheint, als würde sich die Luft für ihn zur Seite bewegen, und jeder Muskel seiner Oberschenkel und seines Hinterns zeichnet sich unter seiner engen schwarzen Hose ab. Wenn er mich schon dazu zwingt, den Rückweg rennend zu bewältigen, kann ich wenigstens die Aussicht genießen.
Ohne die Möglichkeit, Sclices und andere Bestien zu töten, hat der Krieger seine aufgestaute Frustration dazu genutzt, das zu korrigieren, was er als Mangel in meiner Ausbildung bezeichnete. „Jetzt, wo ich weiß, was du bist, gibt es keinen Grund mehr, dich im Ring zu verhätscheln“, hatte er mir vor zwei Monaten gesagt, bevor er mit einer neuen morgendlichen Quälerei begann, die die anderen Kadetten dazu brachte, sich von mir fernzuhalten, damit nicht etwas von Coals Erfindungsreichtum auf sie überspringt. „Und je mehr Zeit du in Shades Gesellschaft verbringst, desto besser. Also tue ich uns allen einen Gefallen.“
Sogar diese nächtlichen Patrouillen, bei denen wir kaum etwas tun, sind zu Trainingsgelegenheiten geworden, bei denen Coal uns auf zufälligen, mondbeschienenen Lichtungen zu fast lautlosen Sparringssitzungen anhält. Normalerweise beginnen sie damit, dass ich ohne Vorwarnung auf den Boden gedrückt werde und wütend versuche, mich zu befreien. Und manchmal enden sie damit, dass ich mit dem Rücken auf den Boden oder gegen einem Baum gedrückt werde und ebenso atemlos versuche, meine Beine um Coals nackte Taille zu schlingen und ihn in mich hineinzudrängen.
Die Magie des Bandes mag hier in der Welt der Sterblichen abgeschwächt sein, aber der Drang mit meinem Gefährten zusammen zu sein, fühlt sich genauso stark an. Manchmal sogar überwältigend, jetzt, da Coal seine Erinnerungen zurückhat.
Als Coal und ich in die Bibliothek zurückkehren, haben Arisha und Gavriel den Raum bereits mit Büchern, Karten und Notizen übersät. Bis jetzt haben wir alle Hunderte von temporären Personallagern auf einer Karte markiert, zusammen mit den Zeitplänen der bald ankommenden Mitglieder der königlichen Familien. Das Töpfchen mit roter Tinte, das wir vorbereitet haben, um die Orte zu markieren, an denen in letzter Zeit Brandstiftung stattgefunden hat, ist noch unberührt, und das schon seit Monaten.
„Sagt mir, dass ihr heute etwas getötet habt“, sagt Arisha, während sie in der einen Hand ein Tagebuch und in der anderen Minion – das winzige Kätzchen, das sie letzte Woche in der Bühne der neu gebauten Arena gefunden hat – hält.
Ich schüttle den Kopf. „Nein.“
Minion streckt seinen pelzigen, kleinen, orangefarbenen Kopf über Arishas Schulter und faucht Coal und mich an, wobei er ein winziges Maul voller nadelspitzer Zähne zeigt.
„Die Nacht ist noch jung“, erklärt Coal dem Kater düster.
Arisha dreht sich um und streichelt das bösartige kleine Biest, während sie Coal mit zusammengekniffenen blauen Augen misstrauisch anschaut. Ihre Sommersprossen heben sich jetzt noch deutlicher von ihrem blassen Gesicht ab, nachdem sie zu viele Stunden drinnen verbracht hat, vertieft in die Forschung – das Morgentraining ist der einzige Zeitpunkt, an dem sie diesen Ort verlässt. Arisha hatte vielleicht erwartet, dass Coal, nachdem er die Wahrheit erfahren hatte, nachsichtig sein würde, wenn sie beschloss, dass körperliches Training nicht die beste Verwendung für ihre Zeit war. Allerdings hatte er sie mit einer hochgezogenen Augenbraue und einer Menge Lauferei von diesem Gedanken abgebracht.
Der Krieger verschränkt seine Arme vor der Brust, und die schiere Kraft, die von ihm ausgeht, erfüllt den Raum. Selbst wenn mein Amulett meine Sinne trübt, lässt sein metallischer Duft meine Haut kribbeln, und mein Körper sehnt sich danach, ihn zu spüren – wie es anscheinend alle paar Stunden geschieht.
„Ich mochte ihn lieber, als er noch nicht wusste, dass er ein legendärer Fae-Krieger ist“, sagt Arisha zu mir. „Und das war schon nicht viel.“
„Gut. Da gibt es nämlich auch wenig zu mögen.“ Coal packt sie an einem ihrer Zöpfe und schiebt sie aus dem Weg, während er sich gegenüber von Gavriel hinsetzt. „Wenn Mauern auf natürliche Weise erodieren, sieht das dann wie ein stetiger Rückgang aus oder wie ein stoßweises Auf und Ab?“
Gavriel nimmt seine Brille ab und putzt sie am Revers seines Gewandes. „Es ist stetig. Das Aktivieren oder Deaktivieren der Wälle ist eine zielgerichtete Aktivität.“ Trotz des völligen Mangels an Fortschritten bei der Suche nach einer Möglichkeit, die schwächelnden Schutzwälle zu reparieren, weiß der Mann immer noch mehr darüber, wie sie funktionieren, als jeder andere von uns. „Darf ich hoffen, dass Sie nur aus akademischer Neugierde fragen?“
„Der da hat genauso viel akademische Neugier wie ich Koordination“, murmelt Arisha.
„Es gab heute einen Moment, in dem wir vollen Zugriff auf unsere Magie hatten“, sage ich und erzähle den anderen am Tisch von dem Ereignis, wobei sich die Gesichter der Gildenmitglieder mit jedem Wort weiter verfinstern. „Könnte es eine Störung gewesen sein oder so etwas wie das Gegenteil von Ostara?“
Arisha, die Minion loslässt, geht zu dem Referenztext über die Zyklen der Himmelskörper hinüber und führt einige komplexe Berechnungen durch, bevor sie den Kopf schüttelt. „Nein. Und selbst wenn es einen lunaren Einfluss gäbe, wäre er nicht so stark.“
„Also hat jemand – nehmen wir an, es war die Nachtwache – den Schutzwall absichtlich geöffnet?“, frage ich. „Aber warum gerade jetzt, und warum nur für einen Moment?“
„Das stinkt nach einer verdammten Mausefalle“, knurrt Coal. „Die Prowess Trials, die in der Akademie stattfinden werden, um die Könige zu versammeln, ein plötzlicher Mangel an Mors-Bestien, um die Beute nicht zu verscheuchen, und das. Fast so, als stünde die Falle kurz davor, zuzuschnappen.“ Der Mann knurrt seine Frustration hinaus und schlägt mit der Hand auf einen Beistelltisch.
Minion, der auf Arishas Schulter hockt, faucht.
„Die Mitglieder der königlichen Familien werden leichte Beute sein, und die verdammte Realität ist, dass wir, egal was wir tun, nicht alle gleichzeitig im Auge behalten können“, sagt Coal. „Es wird ein blutiges Massaker geben, bevor wir überhaupt am Ort des Geschehens ankommen.“
Ich reibe mir mit den Handballen die Augen. Coal hat Recht. Ohne zu wissen, wie und wann der Angriff stattfinden wird, können wir uns nicht in Position bringen, um die Gefahr zu stoppen. Und wenn wir das Sage erzählen, werden wir wahrscheinlich eher aus der Akademie geworfen, als dass wird die Möglichkeit bekommen, unsere Fähigkeiten effektiv einzusetzen. Das kostbare Prowess-Team des Schulleiters und ihre Eltern werden nirgendwo hingehen.
Ich erstarre.
Das kostbare Prowess-Team … Das Auge dieses ganzen verfluchten Sturms.
Die Fragmente einer Idee beginnen sich in meinem Kopf zu formen. „Vielleicht sind Coal und ich nur zwei“, sage ich langsam, während sich die Fragmente immer weiter zusammenfügen. „Aber ich glaube, ich weiß, wie wir uns in eine bessere Verteidigungsposition bringen können.
„MEAWRRR!“ Mit einem Kampfschrei, der weit über seinen winzigen Körper hinausgeht, springt Minion von der Bühne der Arena, prallt an Coal ab und landet in Arishas Armen.
Coal und ich treten gemeinsam in den Schatten der hohen Tribüne.
In der gleißenden Sonne, die meine Unterwäsche an der Haut kleben lässt, erhebt sich die neue Arena über dem riesigen zentralen Hof der Akademie. Ein ovales Monstrum aus hoch aufragenden Holzstreben, Umkleidekabinen für die Athleten der einzelnen Teams und einer hohen, weiß überdachten Plattform an einer Seite, auf der Sage und seine Ehrengäste die Wettkämpfe verfolgen werden. Und in wenigen Tagen, die Abschlussprüfungen der Schüler.
Wo mich der massive Bau vorher nur störte, verschlägt er mir jetzt den Atem. Der Plan, den ich gestern Abend ausgeheckt habe, kommt mir heute Nachmittag wie ein absurder Traum vor, der von dieser Abscheulichkeit aus Holz, Leinwand und Stahl beherrscht wird.
Das grandiose Stadion ist nur eine von vielen Veränderungen, die Great Falls ergriffen haben und das Akademiegelände von einer düsteren, geordneten Festung in … was auch immer das sein soll, verwandeln. Der Geruch von Sägemehl und angeheizten Öfen, durchdringt jetzt alles und überdeckt den Duft von Sommergras und Blumen. Und als ob die Baugeräusche und das ständige Stimmengewirr nicht schon störend genug wären, müssen wir auch noch zusätzliche Zeit einplanen, um vom Speisesaal zurück zur Bibliothek zu gelangen. Denn wir sind jetzt zu einer Gildensitzung nach dem Mittagessen unterwegs, da wir nicht mehr einfach über das Gelände laufen können.
Kein Winkel der Akademie wurde von den Änderungen verschont. Jeder freie Raum des Bergfrieds wird in Suiten für die Mitglieder der königlichen Familien umgewandelt, und die meisten der östlichen Übungsringe wurden abgebaut, um einen separaten Reitplatz für die Pferdeveranstaltungen zu schaffen. Die bunt bemalten Sprungzäune sind bereits aufgestellt. Bunte Flaggen, die jedes Königreich, die Prowess Trials und die Akademie selbst repräsentieren, hängen von jeder Oberfläche und jedem Ast, die Bänder bleiben an den Ästen stecken und flattern im Wind. Das Schnalzen der Standarten ist für mein unsterbliches Gehör so laut, dass es sich anfühlt, als hätte sich eine Gruppe winziger Trommler in jedem Winkel niedergelassen.
Die Prowess Trials, so habe ich gelernt, sind in drei Disziplinen unterteilt: Kontrolle, Kampf und Konstitution. In der Kontrolle, der bei weitem wichtigsten Disziplin des Wettbewerbs, müssen Athleten von Tyes Kaliber ihre Körper durch spektakuläre und scheinbar mit dem Leben unvereinbare Kunststücke navigieren. Weit darunter umfasst der Kampf die Wettbewerbe im Schwertkampf, Reiten und Bogenschießen, während die Konstitution die einfacheren Disziplinen Laufen, Springen und Heben umfasst.
„Da bist du ja, Minion.“ Arisha streichelt das orange gestreifte Kätzchen, welches sich genüsslich an ihr reibt. „Ich habe mir solche Sorgen gemacht.“
Coal reibt sich die drei langen blutigen Linien auf seinem Handrücken. „Ich dachte, Sha… Strubbel kümmert sich um … das Ding“, murmelt er mit einem finsteren Blick zu mir, als ob ich irgendetwas mit dem Fellknäuel zu tun hätte. „Welcher echte Wolf, ist nicht in der Lage, diese mickrige Bedrohung loszuwerden?“
In Arishas Armen kuschelnd, dreht Minion seinen Kopf und gähnt Coal an, während er gemächlich die Krallen seiner Vorderpfoten ausfährt.
„Es ist nicht Strubbels Schuld …“ Ich verstumme als ich einen gewissen rothaarigen Mann erblicke, der den Bergfried verlässt. Mein ganzer Körper spannt sich an, wie immer, wenn ich Tye sehe. Da er schnell heilt und wunderbar mit Worten umgehen kann, führte meine Meldung an Shade nur zu einer zehntägigen Pause von seinem Trainingsprogramm. Nicht lange genug, um ihn aus dem Team zu entfernen, aber lange genug, damit er – und alle Prowess-Athleten – mich zu ihren Erzfeind zu erklären. „Das wird er mir nie verzeihen, oder?“
„Ich zumindest würde es nicht“, sagt Coal.
Tye ist Mitglied seines Quints, genauso wie ich – was mich nicht davon abhält, Coal eine reinhauen zu wollen, weil er sich auf die Seite dieses Bastards geschlagen hat.
Meine Hände verkrampfen sich um den Riemen meiner Tasche, um der Versuchung zu entgehen.
Die Hilflosigkeit schießt durch mich hindurch. Wir hätten nie an den Trials teilnehmen sollen. Wenn Tye ausgestiegen wäre, hätte das die ganze Katastrophe entschärft. Wir hätten Zeit gewonnen, um die Bedrohung von Mors zu stoppen, bevor noch mehr Menschen ihr Leben verlieren. Nicht nur das … Als ich vor zwei Monaten im Badehaus mit ihm sprach – das letzte Mal, dass ich ihn aus der Nähe sah – sah Tye aus wie ein Folteropfer, nicht wie ein Trainierender. Doch er glaubt, dass ich es bin, nicht Han, die sein Leben ruinieren will.
„Der Grund, warum er sich so verletzt fühlt, ist, weil du ihm etwas bedeutest“, sagt Arisha leise, und das Mitgefühl in ihrer Stimme wandelt sich zu einer Warnung, die ich nicht mehr hören will. „Was übrigens deinen verrückten Plan nicht einfacher machen wird.“
Bevor ich antworten kann, faucht Minion jemanden hinter mir an. Das Kätzchen entzieht sich Arishas Griff, prallt von Coals Schulter ab und huscht davon.
Coal flucht, und unter seinem ärmellosen schwarzen Hemd sickern winzige Blutflecken seinen Arm hinunter. „Steht es in meiner Macht, jedem Kadetten, der mir das Fell dieses Dämons bringt, eine gute Note zu geben?“
„Seit heute Morgen tut es das.“ Rivers tiefe Stimme lässt uns alle drei herumwirbeln. Meine Augen weiten sich beim Anblick der blutigen Wunde an seinem Kiefer. „Dieses Ding ist dafür verantwortlich, dass drei der Dienstmädchen gegangen sind.“ Seine grauen Augen wandern zu mir. Ein Kribbeln breitet sich auf meiner Haut aus und mein Geschlecht pulsiert, als der Schalk in seinem Blick zu einer unergründlichen Intensität wird.
In den letzten zwei Monaten hat sich River trotz meiner Bemühungen zu einer Professionalität zurückgekämpft, an der er anscheinend festhalten will, auch wenn sie uns beide umbringt. Gelegentliche Ausrutscher, wie das eine Mal vor zwei Wochen, als er mir ohne nachzudenken eine verirrte Haarsträhne hinters Ohr strich und seine Finger über meinen Kiefer fuhren, bevor er sich wieder im Griff hatte, endeten mit hochroten Wangen und dem plötzlichen Bedürfnis, die Nachhilfestunde rasch zu beenden.
Die ganze Situation macht mir fast Angst, wenn unsere Haut das nächste Mal in Berührung kommt, egal ob zufällig oder nicht. Und ich sehne mich so sehr danach, dass ich Angst habe, verrückt zu werden.
Eine Richtung, auf die ich im Moment trotz aller Bemühungen zusteuere. Die Sterne sollen mich holen, aber mit Rivers gebieterischer Präsenz, die plötzlich neben mir erscheint, mit seinem unfassbar großen, muskulösen Körper, der den Hof beherrscht, kommt mir selbst die große Arena klein vor. Meine Oberschenkel kribbeln bei der Erinnerung daran, was sich unter all der maßgeschneiderten Seide verbirgt – angefangen bei einem flachen Bauch und steinharten Brustmuskeln, einem straffen V, das hinunter zu einem …
„Guten Morgen, meine Damen.“ Rivers höfliche Begrüßung lässt mich zusammenzucken, und der heiße Blick seiner Augen lässt wenig Zweifel daran, dass meine Gedanken nicht so privat waren, wie ich gehofft hatte. River räuspert sich. „Coal. Hättest du vielleicht eine Minute Zeit für mich?“
Coal geht wortlos mit dem Kommandanten mit. Während die beiden sich entfernen, beobachte ich ihre breiten Rücken und frage mich plötzlich, was der Schleier Rivers Verstand, angesichts des plötzlichen Ausbruch von Magie, zugeflüstert hat. Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, in unserer nächsten Studiensitzung danach zu fragen, ohne albern zu klingen. Na ja, noch alberner, als ich ohnehin schon klinge, wenn ich versuche, die Feinheiten der Handelspolitik von Ckridel zu erklären oder zu erklären, wie man die Seiten eines Dreiecks misst.
Arishas leises, verwirrtes Gemurmel erregt meine Aufmerksamkeit. Sie holt ein gefaltetes Stück Papier aus ihrer Tasche und runzelt die Stirn. „Hoher Schlag rechts. Drehschritt links. Tiefes Parieren. Das geht eine Weile so weiter.“ Sie blinzelt zu mir hoch, ihre Brille lässt sie wie eine Eule aussehen. „Das habe ich gerade in meiner Tasche gefunden. Ist das nicht Coals Schrift?“
Ich blicke auf die sauber geschriebene Liste. Ja, das ist ganz sicher von Coal. Mehr noch, sie enthält eine Sequenz, mit der er und ich uns regelmäßig aufgewärmt haben, besonders in den ersten Tagen meiner Ausbildung.
„Ist das …“, beginnt Arisha.
„Eine Sequenz, die du auswendig lernen sollst, falls du einmal vor Publikum kämpfen musst.“ Ein kleines Glucksen entweicht mir, und Arishas Stirnrunzeln vertieft sich. Zum Glück für sie werden für das körperliche Training keine Prüfungen abgehalten, aber bei einem solchen Zustrom von Besuchern kann man nicht wissen, wer was beobachtet. Trotz seines Gezänks mit Arisha versucht Coal im Stillen, ihre Würde zu schützen. „Ich kenne die andere Seite dieses Tanzes. Wenn wir gegeneinander antreten würden …“
Arisha schluckt, ihre Wangen röten sich, als sie den Zettel schnell in ihre Tasche schiebt und wieder in Richtung Bibliothek geht. „Deine Männer sind viel komplizierter, als sie scheinen, nicht wahr?“
„Wenn …“ Jemand stößt mich hart von hinten an. Ich stolpere nach vorne und trete in die Pfütze vor mir, deren Schlamm auf mein blaues Satinkleid spritzt. Als ich mich umdrehe, um zu sehen, wer mich angerempelt hat, sehe ich, wie Tye und Katita in Richtung Arenaeingang gehen, Tyes Lachen durchdringt die Luft.
Mein Magen verkrampft sich. Ich schnappe mir einen Klumpen Schlamm und schleudere ihn mit aller Kraft. Der graubraune Klumpen schlägt mit einem befriedigenden Knall auf Tyes Hinterkopf auf.
Tye bleibt stehen. Dreht sich um und starrt mich eindringlich an.
In der hellen Sonne ist er umwerfend schön, mit seiner breiten Brust und dem schweißnassen roten Haar. Jede Bewegung seines Körpers vibriert vor kontrollierter Kraft, die angespannten Muskeln formen seine rot-goldene Trainingstunika. Schweißperlen an seinen Schläfen reflektieren das Sonnenlicht und lassen seine Haut schimmern. Große, schwielige Hände, die ich schon so oft an meinem Körper gespürt habe, öffnen und schließen sich.
Ein Lächeln, das Tyes kalte smaragdgrüne Augen nicht erreicht, umspielt sein Gesicht und macht es irgendwie noch atemberaubender. Und grausam. Der glitzernde silberne Ohrring verstärkt nur noch seine Aura der Gefahr – nur ist diese Gefahr jetzt auf mich gerichtet. So fühlt es sich also an. „Lady Leralynn. Habe ich Euch versehentlich gestört? Unverzeihlich. Soll ich Euch in die Krankenstation geleiten, um zu sehen, ob Ihr verletzt seid?“
„Es könnte sein, dass wir uns um Leras Sicherheit kümmern müssen“, fügt Katita lieblich hinzu.
Ich schlucke und zaubere ein Lächeln hervor, das genauso echt ist wie das von Tye, auch wenn mein Herz dabei schmerzt. „Im Gegenteil, ich sollte dir eigentlich danken. Ich habe dieses Kleid nur angezogen, um Arisha zu besänftigen, und du hast mir endlich einen Grund gegeben, mich vor dem Abendessen umzuziehen. Entschuldigt mich.“ Ich setze mich in Bewegung, nur um zwei Schritte später innezuhalten, weil meinem Temperament die Pferde durchgehen. Wohl oder übel will ich plötzlich, dass Tye von dem Plan erfährt, den ich gestern Abend trotz der Proteste der restlichen Gildenmitglieder geschmiedet habe. Er gefällt mir genauso wenig wie ihnen, aber es ist die einzige Möglichkeit, einen von uns jederzeit im Zentrum der wertvollsten Ziele zu haben, bereit zu reagieren, sobald die Nachtwache zuschlägt. „Fast hätte ich es vergessen – ich werde bald dein Teamkollege sein, Tye. Ich bin sicher, das sind willkommene Neuigkeiten für dich.“
„Du?“ Katita wirft lachend den Kopf zurück, ihr blondes Haar schimmert im Sonnenlicht. „In unserem Team? Sag mir bitte, dass ich mich verhört habe.“
Mein Blick wandert zu der Prinzessin, mein Herz rast. „Nein, das habt Ihr nicht, Eure Hoheit. Allerdings habe ich gewiss nicht die Absicht, in Eurem Team zu sein.“
„Es gibt nur ein Team. Ich wusste, dass du schlecht in Mathe bist, aber du kannst doch sicher bis eins zählen, wenn du deine Finger benutzt“, sagt die Prinzessin hochmütig, obwohl ihre türkisfarbenen Augen jetzt vor Unbehagen flackern.
Ich lächle sie an. „Ja. Aber ich werde morgen beim Training um Eurem Platz in der Schwertkunst kämpfen. Entschuldigt mich.“
„Sie kann nicht einfach eine Woche vor den Prüfungen dem Prowess-Team beitreten.“ Katitas empörte Stimme verdrängte Tyes Gedanken. Sie waren bereits in der Nähe der Kadettenwohnheime, obwohl er sich nicht daran erinnerte, wie sie hergekommen waren. Seine Gedanken kreisten immer noch um Leras spöttische Worte.
Sie im Prowess-Team. Diese üppigen Kurven, die er beansprucht hatte, und die bodenlosen Augen, in die er gestarrt hatte, waren jetzt nur noch grausame Erinnerungen an ihren Verrat. Erinnerungen, die ihn jeden einzelnen verdammten Tag verfolgten.
„Richtig?“, wiederholte sich Katita und betonte das Wort, während sie nach Tyes Ellbogen griff. Seit Lera Tye sabotiert hatte, indem sie ihn bei Shade meldete, hatte Katita dies als unverhohlene Gelegenheit genutzt, um ihm näher zu kommen. Beim Essen kam sie ihm viel zu nahe, im Unterricht legte sie ihm eine Hand auf den Arm. Tye ließ die Prinzessin alles machen, aus dem einfachen Grund, dass Katitas Vater der König von Ckridel war und somit alle Fäden für Tyes Zukunft in der Hand hielt. Ganz zu schweigen davon, dass es Lera auf die Palme brachte. Aber er musste zugeben, dass ihre Aufmerksamkeit langsam nervte.
Tye zog sich von ihr zurück. „Natürlich kann sie das“, sagte er über die Schulter und konnte seine Verärgerung kaum verbergen. „Sie kann gut mit einem Schwert umgehen, und es würde nicht lange dauern, bis sie ein paar zusätzliche Regeln gelernt hat.“
„So etwas würde Meister Han sicher nicht dulden.“
„Han ist es wichtig, zu gewinnen, Kat. Tu mir den Gefallen und gewinne die verdammte Herausforderungsrunde, denn die Arena mit einer hinterhältigen Füchsin teilen zu müssen, ist mehr, als ich im Moment ertragen kann.“ Ohne Katitas Antwort abzuwarten, betrat Tye den Schlafsaal und sprang durch das erste Fenster, das er fand. Nachdem er schnell auf das Dach geklettert war, ließ er sich auf dem sonnengewärmten Stein nieder, der in den letzten Monaten zu seinem bevorzugten Zufluchtsort geworden war.
Mit dem Rücken an eine der beiden Kaminsäulen gelehnt, stützte er sich mit den Ellbogen auf den angewinkelten Knien ab und versuchte, sich auf die bunt flatternden Flaggen zu konzentrieren, die die Great Falls-Akademie in eine Bühne verwandelt hatten. Seine Bühne. Die Kulmination all dessen, wofür er sein ganzes Leben lang gearbeitet hatte, erreichte ihren Höhepunkt. Eine Brüstung, von der ihn die Frau, in die er sich dummerweise verliebt hatte, hatte herunterstoßen wollen.
Sterne, Leras Verrat tat immer noch weh. Und es war Tyes eigene Schuld. Er wusste, dass Prowess-Training und Frauen nicht zusammenpassen – er wusste es besser als jeder andere. Und doch hatte Tye, trotz besseren Wissens, trotz der allzu lebhaften Erinnerung daran, wozu sein letzter Versuch, beides zu verbinden, geführt hatte, seine Wachsamkeit schwinden lassen.
Zugegeben, Lera war eine überwältigende Verlockung. Trotz ihrer kurzen Bekanntschaft hatten ihr musikalisches Lachen, ihre Tapferkeit und das, was Tye für ein zutiefst gütiges Herz gehalten hatte, begonnen, die Leere zu füllen, die Tigas Tod in seiner Seele hinterlassen hatte. Leralynns berauschender Fliederduft erhellte die Farben und Geräusche der Welt und flüsterte Versprechen von großen Abenteuern – vom Leben, das er beinahe schmecken konnte. Ja, es war alles so verlockend, dass Tye sich einfach darauf gestürzt hatte.
Tyes Finger verkrampften sich zu einer zitternden Faust zusammen, und der Morgen, an dem sie ihn verraten hatte, entfaltete sich bitter in seiner Erinnerung. Es war noch vor der Morgendämmerung gewesen, und Tye hatte gerade sein Bad genommen. Seit er begonnen hatte, mit Han zu trainieren, hatte er es sich zur Gewohnheit gemacht, privat zu baden – sein Körper war an der Grenze seiner Belastbarkeit angelangt. Er wusste, dass er nicht darauf vertrauen konnte, dass Außenstehende verstehen würden, dass es so sein musste, dass die Kosten, die sein Training forderte, bezahlt werden mussten.
Als er hörte, wie sich die Tür des Badehauses fast lautlos öffnete und der Fliederduft des Mädchens mit der warmen, feuchten Luft hereinwehte, wusste Tye sofort, dass er schnellstmöglich verschwinden sollte. Aber er tat es nicht. Von allen Menschen war er sich sicher, dass er Lera vertrauen konnte – mit seinen Geheimnissen, seinen Träumen, seinem Schmerz. Mit allem. Also hatte er sie ihn sehen lassen, ihr die Kosten für seine durchtrainierten Muskeln und seine der Schwerkraft trotzenden Sprünge offenbart, für das, was es brauchte, um sich aus dem Nichts, in das er hineingeboren worden war, herauszukämpfen.
Er hatte mit Leras Verständnis gerechnet. Er hatte insgeheim gehofft, dass es eine Person geben würde – nur eine Person –, an die er sich für ein paar Momente des Aufatmens lehnen könnte. Stattdessen verwandelte Lera sein Geheimnis in eine Waffe, die gegen ihn eingesetzt werden sollte.
Noch am selben Tag meldete sie Tye bei den Heilern – nicht einmal aus unangebrachter Sorge um sein Wohlergehen, sondern weil es ein Mittel zum Zweck war. Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, dass die Prowess Trials ein albernes Spiel waren, dem ein Ende gesetzt werden musste.
Nur durch das Eingreifen von Han und Sage hatte Shade zugestimmt, Tye nach zehn Tagen, statt nach drei Wochen wieder ins Training zu schicken, aber selbst diese Auszeit hatte Tyes Chancen geschmälert. Nein, nicht Chancen – die eine Chance, die er hatte. Tye hatte nur eine. Ohne diesen Sieg würde er am Ende des Sommers in die Armut zurückkehren, mit nichts als der Erinnerung an Tigas Tod und seinem Versagen.
Alles nur, weil er Lera vertraut hatte. Nie wieder. Es gab nur einen Grund, warum Lera in das Prowess-Team einsteigen wollte, und der war, es zu zerstören. Also musste Tye sie zuerst zerstören.
Als ich in mein Zimmer zurückkehre, finde ich einen beleidigten Coal an der Wand stehen und Shades Wolf, der seinen Bauch und vier riesige Pfoten in die Luft streckt, auf meinem Bett.
„Wenn das eine Abschiedsfeier für meinen morgigen Kampf ist, hoffe ich, dass einer von euch Kuchen mitgebracht hat.“ Ich werfe meine Bücher auf mein Bett, was Shade zu einem entrüsteten Niesen veranlasst, und zwinge mich zu einer entspannten Haltung, um meine Männer nicht zu beunruhigen. In Wahrheit ist mein Magen angespannt, seit ich Katita und Tye mein Vorhaben angekündigt habe. Der Zorn in den smaragdgrünen Augen des Mannes jagt mir immer noch Schauer über den Rücken.
Shade schnaubt, weil er die Spannung im Raum spürt. Er erstarrt, als ich ihn duster anstarre.
Coal bleibt stumm.
„Das ist unsere einzige Chance, jemanden zu haben, der eingeweiht ist. Um die wertvollen Ziele im Auge zu behalten“, sage ich zu mir selbst und mache einen armseligen Versuch, das Kleid elegant zu öffnen. Das Kleid fällt in einem traurigen blauen Haufen zu meinen Füßen auf den Boden. „Es ist unsere beste Positionierungsmöglichkeit, und es wäre töricht, sie nicht zu nutzen.“ Schließlich wende ich mich an Coal. „Du meinst, ich schaffe es nicht eine Woche lang mit Han zu trainieren?“
Coals Blick huscht zu Shade hinüber, der durch die offene Tür verschwindet, anstatt mich zu verteidigen. Bevor ich etwas sagen kann, packt mich der Krieger um die Taille, drückt mich mit dem Rücken an die Wand und erhebt sich über mich, wobei er je einen nackten Arm auf beide Seiten meines Gesichts stützt. Die Hitze seines Körpers bringt die Luft zwischen uns zum Knistern, sein männlicher Duft erfüllt den Raum. „Du weißt genau, worüber ich mir Sorgen mache, Sterbliche.“ Seine Stimme ist tief. Gefährlich. „Und es ist nicht Hans Training. Soll ich dir das Problem demonstrieren?“
Mein Herz setzt einen Schlag aus, und ich hebe meinen Blick. In den letzten zwei Monaten hat der Mann darauf bestanden, die Szene aus Zakes Stall zu wiederholen, als könnte er meinen Körper auf Kommando zum Erstarren bringen. Ich wende meine Aufmerksamkeit wieder seinem Gesicht zu und verfolge die harten Linien, die von einer Sorge gezeichnet sind, die er mit Autorität zu überspielen versucht. Ich straffe meine Schultern so gut ich kann, während mein Herz rast. „Du hast auch Albträume, Coal. Und ich habe noch nie erlebt, dass du eine Schlacht aus Angst, dass etwas sie auslösen könnte, ausgesessen hast.“
Seine Augen funkeln, und er lehnt sich näher an mich heran. „Ich lebe seit mehreren hundert Jahren mit meinen Dämonen, Leralynn. Lass uns das nicht verwechseln. Viel wichtiger ist, dass meine Albträume mich dazu bringen, um mein Leben zu kämpfen. Deine lähmen dich wie ein Kaninchen, das bereit zum Schlachten ist. Das ist der Unterschied. Bis du es unter Kontrolle hast …“
Ich lege meine Hand auf Coals Brust und spüre, wie sein Herz unter dem harten Muskel pocht. „Wenn ich warte, bis ich das geklärt habe, gibt es vielleicht keine sterblichen Lande mehr zu retten.“ Ich lasse beide Hände an seinem Bauch hinuntergleiten und beobachte, wie sich seine Pupillen weiten, als ich den Saum seines Hemdes packe und meine Hände wieder nach oben gleiten lasse. Muskel für Muskel enthüllt sich sein Bauch, dann seine Brust, und seine Brustwarzen verhärten sich in der kühlen Luft. Er zieht sein Hemd automatisch aus. „Was meine Dämonen angeht“, fahre ich mit leiser Stimme fort, „kann ich wohl mit Sicherheit sagen, dass die Nachtwache, wenn sie angreift, versuchen wird, mich zu töten, und nicht nur auszupeitschen. Wenn du mir heute Abend also wirklich helfen willst …“
Coal knurrt leise, wirbelt mich herum und stößt mich mit voller Wucht zurück auf das Bett. Der Bastard hat es kapiert.
Er schiebt sich über mich und schnüffelt an meinem Hals wie ein Tier, das seine Gefährtin wittert. „Es ist noch nicht vorbei“, flüstert er mir ins Ohr.
„Wie Sie meinen, Lieutenant“, sage ich schelmisch. Ich habe diese Runde gewonnen, und er weiß es. Er ist schon zu weit gegangen, um jetzt noch umzukehren.
Er fletscht die Zähne und presst seine Hüften so fest gegen meine, dass ich nicht anders kann, als zu stöhnen – dann ist er verschwunden.
Mit einem wütenden Protest auf den Lippen blicke ich auf, nur um festzustellen, dass er mitten im Zimmer steht und seinen Hosenstall so vorsichtig aufknöpft, dass ich vor Frustration aufheulen möchte. Er sieht auf, mit einem bösen Schimmer in den Augen. „Du bist nicht die Einzige, die die Überredungskunst beherrscht, Sterbliche.“
„Ich bringe dich um“, keuche ich atemlos.
„Du kannst es versuchen“, sagt er.
Dann ist er wieder auf mir und stößt so tief und fest zu, dass ich in seine Schulter beißen muss, um nicht zu schreien.
Das Dutzend Kadetten von Hans Prowess-Team rennt die glänzenden Stufen der Arena auf und ab, als ich auf den Sand schreite, die Handflächen leicht verschwitzt an den Oberschenkeln.
Hier ist es noch heißer, als ich es mir vorgestellt habe – und noch einschüchternder. Die hochstehende Sonne spiegelt sich blendend in dem langen Oval aus Sand und metallenen Wettkampfgeräten, und die Tribünen ragen schwindelerregend hoch in die Luft. Ich sehe ein hohes Reck, ähnlich dem, an dem Tye in Lunos geübt hat, und mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen. Hier drin riecht es nach Schweiß, mit einem metallischen Unterton von Blut, der mir den Magen umdreht.
Ich war offensichtlich verrückt, dass ich das hier für eine gute Idee hielt.
Dennoch sehe ich keine andere Möglichkeit.
Im Gegensatz zu den Prowess-Kadetten, die jetzt auch beim Training ausschließlich die Farben der Akademie tragen, hebt sich mein Trainingsgrau deutlich von den flatternden Flaggen und der hellen Farbe der Arena ab.
Ich kann Hans gut aussehendes Gesicht nicht lesen, als er mich anblickt und mir mit einem Finger befiehlt, näherzukommen. Sein Haar und seine Augenbrauen glänzen wie Onyx in der drückenden Sonne, was seine blaugrauen Augen noch mehr hervorhebt.
Als ich näherkomme und schwer gegen den Gestank der Ungerechtigkeit schlucke, der von dem Mann wie sein Körpergeruch ausgeht, zeigt er auf eine Stelle im Sand und wendet mir dann den Rücken zu, um seine Athleten zu beobachten. Sie sind schnell und muskulös, abgehärtet nach wochenlangem Training. Noch sind sie den Fae nicht ebenbürtig, aber vielleicht dem so nahe, wie Menschen es sein können. „Puckler, du sollst laufen, nicht krabbeln. Fang nochmal von vorne an. Tyelor, noch ein Stein.“
Ich folge Hans Blick und sehe, dass Tye einen Sack mit Steinen auf den Rücken geschnallt hat. Auf Hans Befehl hin läuft er zu einem Haufen zusätzlicher Steine und fügt eine Mischung aus Steinen und Sand hinzu. Das rote Haar des Mannes ist schweißgetränkt, sein Hemd ist mit dunklen Flecken übersät. Seine Züge sind hart, die Augen unheimlich emotionslos. Wieder einmal wird mir klar, wie seltsam es ist, Tye als Fremden zu sehen, hinter einer so hohen Mauer, dass ich kaum meinen Freund erkennen kann, geschweige denn meinen verspielten, leidenschaftlichen Gefährten. Noch schlimmer ist, dass mein Körper ihn erkennt, sich nach ihm sehnt wie ein Hund nach einem Leckerli, und mich jedes Mal verrät, wenn ich sein wirres rotes Haar und seine katzenhaften Bewegungen sehe.
„Tyelor wird sich mehr anstrengen müssen, um die Zeit wiedergutzumachen, die deine Idiotie ihn gekostet hat“, sagt Han leise, fast beiläufig, immer noch seine Schützlinge beobachtend. „Gibt es einen Grund, warum du heute Morgen meinen Bereich störst?“
Ich räuspere mich. Han weiß, warum ich hier bin. Jeder weiß es. Die Luft in der Arena vibriert aus Protest gegen mein Erscheinen. Ich verschränke die Hände hinter dem Rücken und verbeuge mich ein wenig vor dem Mann. „Ich möchte mich um den Platz im Schwertkampf bewerben, Sir.“
Han gibt einen unverbindlichen Laut von sich, dann geht er im Kreis um mich herum, als würde er ein Fohlen auf seine Tauglichkeit prüfen. „Ich hatte den Eindruck, dass du kein Befürworter unserer Mannschaft oder unseres Sports bist“, sagt er und bleibt wieder vor mir stehen. „Dein Versuch, meinen Top-Athleten aus dem Wettbewerb zu verbannen, war ein ziemlich deutlicher Beweis für deine Absichten.“
„Ich habe trotz guter Absichten einen Fehler gemacht“, sage ich zu Han, obwohl die Worte an Tye gerichtet sind. „Ich hatte die möglichen Folgen meines Handelns nicht vollständig bedacht und entschuldige mich für die Unannehmlichkeiten.“
Tye, der immer noch seinen Sack beschwert, zeigt in keinster Weise, dass er mich gehört hat.
„Gibt es einen Grund, warum mich das, was du gemeint hast, mehr interessieren sollte als das, was du getan hast?“
Ohne eine Antwort abzuwarten, lässt Han mich stehen und schreit drei Kadetten wegen ihrer Laufform an, bevor er alle in die Liegestützposition befiehlt, um jemanden für seine langsame Zeit zu bestrafen. Die Aufmerksamkeit, die er den Schülern zähneknirschend schenkt, erinnert mich an Coal, doch das wars auch schon mit den Ähnlichkeiten zwischen den beiden. Das gesamte Training von Coal ist im Überleben verankert. Han lässt sich vom Sieg inspirieren – nicht vom Triumph des Athleten, denn es scheint, dass die Kadetten, die hier stehen, für ihn so entbehrlich sind wie Rennhunde – sondern von seinem eigenen.
Was im Moment zu meinen Gunsten ausfällt.
Nach ein paar langen Sekunden gebe ich auf, Spielchen zu spielen und schreite auf Han zu. „Sie wollen mich im Team haben, weil ich besser bin als Katita“, sage ich und gebe mir nicht die Mühe, meine Stimme leise oder respektvoll zu halten. „Und Sie wollen gewinnen. So einfach ist das.“
Han dreht sich zu mir, ein amüsiertes Glitzern funkelt in seinen Augen. „So ist es“, stimmt er mir zu und erhebt dann seine Stimme. „Bildet einen Kreis.“
Die verschwitzten Körper, die einen Kreis um Han und mich bilden, vibrieren vor Bedrohung, und jedes Gesicht sagt mir genau, was sie von meiner Anwesenheit halten. Ich frage mich, ob sie von der Herausforderung überrascht sind oder schon lange auf diesen Moment gewartet haben. Alles Blicke sind auf Katita gerichtet, die sich Zeit nimmt, aus einem Wassereimer zu trinken, bevor sie vorwärts schreitet, als gehöre ihr die Arena. Die Prinzessin macht sich nicht die Mühe, im Kreis mit den anderen stehen zu bleiben, sondern geht direkt zu Han. „Ist es an der Zeit, den Müll zu entsorgen, Sir?“
Han hebt eine Augenbraue. „Das hängt davon ab, ob du es schaffst.“
Katitas Augen blitzen zu mir. „Mit Vergnügen.“
„Und wenn wir sie nicht im Team haben wollen, Sir?“ Tyes klare Stimme schallt durch die Arena. „Mich kümmert es wenig, welches Können sie mit dem Schwert an den Tag legt. Der Schaden, den sie mit ihrem Mund anrichten kann, ist schon genug.“
Das zustimmende Gemurmel in der Runde schmerzt nicht annähernd so sehr wie das Gift in Tyes Stimme. Mein Kiefer spannt sich an, mein Kinn hebt sich ihm trotzig entgegen, während ich versuche, so zu tun, als wäre nichts davon von Bedeutung.
Hans Mund verzieht sich zu einem unangenehmen Lächeln. „Tyelor. Ja, du weißt sicher aus erster Hand, welchen Schaden sie mit ihrem Mund anrichten kann, oder?“ Seine Nasenflügel blähen sich und er legt den Kopf schief, sein Lächeln wird breiter. Fast so, als hätte er die Männer an mir gerochen – was unmöglich ist. „Wenn du deinen Schwanz in der Hose behältst, lässt sich das zum Glück minimieren.“
Tyes Gesicht rötet sich, der hasserfüllte Blick, den er mir zuwirft, schmerzt so sehr, dass ich meine Finger in die Handflächen bohren muss, um meine Gesichtszüge nicht entgleisen zu lassen. Meine Lippen drohen zu zittern, Tränen brennen in meinen Augen, aber beides würde meine Zeit hier in einem Sekundenbruchteil beenden.
Das Lächeln verschwindet von Hans Lippen. „Wenn noch jemand hier den Eindruck hat, dass seine Meinung zählt, kann er heute Abend mit Tyelor einen zusätzlichen Zehn-Meilen-Lauf machen.“ Jegliches Getuschel verstummt, nur noch das schwere Atmen der wartenden Kadetten ist zu hören. Han schnippt mit den Fingern zu Rik und befiehlt ihm, ein Paar Übungsschwerter zu bringen, während er sich an Katita und mich wendet. „Die Runde wird drei Minuten dauern. Standard-Regeln für Prowess: Kein Kontakt mit dem Kopf ist erlaubt. Punkte gibt es nur für Schläge, die so stark sind, dass sie erheblichen Schaden anrichten, wenn die Klingen scharf sind oder lebenswichtige Bereiche durchschlagen.“ Han zieht mit kalten Fingern eine Linie über meinen Puls an beiden Seiten des Halses. „Stellt euch Rücken zu Rücken auf. Irgendwelche Fragen?“
Die letzte Frage ist an mich gerichtet, denn Katita kennt die Prowess-Regeln bestens. Ich kenne sie ebenfalls, denn Coal hat die verdammten Dinger eine gute halbe Stunde lang verflucht, bevor er sich mit ihnen abfinden konnte. „Warum bei den Sternen trainiert man, um Schläge gegen den Kopf zu vermeiden?“, höre ich ihn noch immer entrüstet knurren, als er das Regelbuch in die Flammen warf. „Trainieren wir etwa für den häufigen Fall eines kopflosen Gegners?“
„Nein, Sir“, sage ich zu Han und greife nach dem Übungsschwert, das Rik mir entgegenstreckt. Der Junge zieht sich im letzten Moment zurück und wirft mir das Schwert vor die Füße, wobei er sich die Hand an der Hose abwischt, als ich es aufhebe.
„In Position“, befiehlt Han.
Obwohl ich wusste, dass dieser Teil kommen würde, ist es das Letzte, was ich tun möchte, Katita den Rücken zuzukehren. Ich zwinge mich dazu, dem Befehl zu gehorchen, drehe mich in der Mitte des Sandes und spüre einen Moment später den warmen Rücken der Prinzessin an meinem. Ihr zartes Rosenparfüm würde für jeden anderen die scharfen Gerüche von Schweiß und Adrenalin überdecken, aber nicht für meine Sinne. Das Mädchen ist nervös. Als ich aufschaue, sehe ich zwei Schritte entfernt Tyes wunderschönes, scharfes Gesicht. Der Blick in seinen smaragdgrünen Augen ist eisig.
„Ich würde nicht versehentlich zu nahe an den Kreis herankommen. Nur ein kleiner freundlicher Rat“, sagt er. Die Kadetten zu seinen Seiten lachen und bleiben dann so plötzlich stehen, dass ich mir sicher bin, dass Han ein Zeichen gegeben hat.
Einen Augenblick später ertönt die Stimme des Ausbilders erneut. „Kämpft.“
In dem Moment, in dem Hans Befehl durch die Luft schallt, mache ich eine Vorwärtsrolle über die Schulter, um mich von Katita zu entfernen. Die Prinzessin, die sich stattdessen herumgedreht hat, blinzelt einmal, um sich zu orientieren. Als sie mich zwei Schritte entfernt erblickt, fletscht sie die Zähne und stürzt sich auf mich, wobei ihr wütender Schlag mich in eine unerwartete Verteidigung zwingt.
Was auch immer Han in den letzten Monaten mit ihr angestellt hat, es zeigt sich, dass die ohnehin schon präzisen Schläge der Prinzessin jetzt von einer wilden Kraft erfüllt sind. Das Glitzern in ihren blauen Augen, der harte Zug ihrer hübschen rosa Lippen – ich bin mir sicher, dass Katita keine Skrupel hätte, mich auf der Stelle zu töten – Übung hin oder her.
Ich atme tief durch, konzentriere mich auf das Jetzt des Kampfes und lasse den Rest der Welt in den Hintergrund rücken. Die grelle Sonne, die mir auf die Schultern brennt, der kreisende Falke am Himmel, der aufwirbelnde Sand unter meinen Füßen. Nichts davon ist wichtig. Nicht einmal die Welle der Bedrohung, die von Tye ausgeht. Zumindest rede ich mir das ein. Bei diesem Kampf geht es nicht um Katita oder Tye oder die Prüfungen. Es geht darum, das Reich der Menschen zu beschützen.
Der Klang unserer hölzernen Übungsschwerter erfüllt die Luft mit einem vertrauten Geräusch, während ich Katitas Schläge weiter auf mich einwirken lasse, obwohl ich es jetzt freiwillig tue. Ich studiere die neue Kraft und Geschwindigkeit der Schläge der Prinzessin, erforsche die kleinen Veränderungen im Stil. Ich lege mir einen Plan zurecht, bevor ich zuschlage. Und dann tue ich es.
Gleichmäßig atmend verfolge ich die Öffnung entlang der linken Flanke, die die Prinzessin hinterlässt, wenn sie zu schnell pariert, und unterdrücke ein Lächeln. Meine Muskeln spannen sich an, meine Augen richten sich auf Katitas Schultern, ohne mein eigentliches Ziel zu sehen. Die Waffe in meiner Hand bewegt sich in einer tödlichen Finte, meine Klinge schwingt direkt auf Katitas Schläfe zu, bevor …
Der Stiefel des Mädchens trifft mich so hart gegen die Brust, dass mir der Atem stockt, und die zuschauenden Kadetten jubeln mit schneidender Bosheit, während ich wie ein betrunkener Matrose zurückstolpere und mir kaum Mühe gebe, meine Verwirrung zu verbergen. Ich hätte Katita den Schädel spalten können – jedes sich selbst erhaltende Wesen hätte versucht, den Angriff abzublocken oder ihm auszuweichen oder … Sterne, ich bin ein Idiot. Als ich wieder auf die Beine komme und mein Verstand wieder funktioniert, verfluche ich mich innerlich. Katita wusste, dass mein Angriff nicht echt sein konnte, denn die Prowess-Regeln verbieten Schläge gegen den Kopf.
Kein Wunder, dass Coal über diesen Gedanken wütend war. Ein paar Monate, in denen man diesen Unsinn in den Kopf gehämmert bekommen hat, und schon kann es in einem echten Kampf schlimm enden.
„Ich liebe die neuen Instinkte“, murmle ich Katita zu. Der heftige Atem der Prinzessin erfüllt die Luft zwischen uns, Strähnen ihres feinen blonden Haares kleben ihr auf Wangen und Stirn. „Ignoriere Dinge, mit denen man dir den Schädel einschlagen will.“
„Was machst du hier?“ Ihre Nasenflügel blähen sich, ihr Herz schlägt so schnell, dass ich ihren Puls an ihrem Hals pochen sehen kann. Sie will – muss – diese Runde mit der Verzweiflung eines Hengstes gewinnen, der sich seinen Weg zu einer brünstigen Stute bahnt. Fieberhaft und blind. „Niemand in diesem Team kann deinen Anblick ertragen.“
Das glaube ich ihr sofort. Und es kümmert mich wenig. Zum Leidwesen von Katita will ich nicht die Prowess Trials gewinnen. Ich will die ganze Welt der Sterblichen gewinnen. Verlieren ist keine Option.
Ich hake meinen Fuß hinter ihrem Knöchel ein, reiße sie von den Füßen, sodass sie nach hinten fällt. Ihre Augen weiten sich vor Empörung, als sie hart auf dem Sand aufschlägt.
„Hat der Dumpfbacke denn niemand gesagt, dass nur Schläge mit einem Schwert Punkte bringen?“, ruft Puckler.
Ich ignoriere ihn, folge Katita zu Boden und stoße mein Knie so fest in eine Stelle unterhalb ihres Brustkorbs, dass sie keine Luft mehr bekommt. Ich greife mit einer Hand nach dem oberen Teil ihrer Tunika und mit der anderen nach dem Stoff neben ihrem Oberschenkel, ziehe beide Kleidungsstücke hoch und biege den Körper des Mädchens wie einen Bogen um mein Knie.
Empörungsschreie gehen durch die zuschauenden Kadetten, aber das kümmert mich wenig. Ich kann die Niederlage bereits in Katitas Gesicht sehen. Eine Sekunde vergeht, ihr Gesicht verfinstert sich. Zwei, und ihre Augen blitzen von Wut zu Panik zu Schmerz. Drei. Das Schwert fällt ihr aus der Hand, ihr ganzes Wesen konzentriert sich jetzt auf nichts anderes als darauf, mein Gewicht von sich runter zu bekommen. Auf das Luftholen.
Ich schnappe mir Katitas gefallenes Schwert und richte die Klinge auf ihren Hals. „Hat Euch niemand gesagt, dass tot nach allen Regeln der Kunst immer noch tot ist?“, frage ich. „Gebt auf.“
„Nein.“
Mit einem Achselzucken setze ich das Schwert direkt an ihre Luftröhre und drücke zu, wobei das Holz den zarten Knorpel ihrer Kehle bedroht. Die Augen des Mädchens weiten sich, ihre Hände krallen sich in den Sand, ihre Beine strampeln vergeblich.
„Ich kann das viel länger beibehalten, als Euch lieb ist, Hoheit“, sage ich kühl.
„Fahr. Zur. Hö…“
„Aufgeben.“ Hans Stimme schallt durch die Arena, kurz bevor sich seine Hand um meinen Nacken schließt und mich von Katita weg und mit dem Gesicht voran auf den Boden wirft.
Ich spucke Sand aus und erhebe mich rechtzeitig, um zu sehen, wie Han Katita an der Vorderseite ihrer Tunika hochreißt, die Augen des Mädchens sind glasig vor Tränen.