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Drei Herausforderungen stehen zwischen Lera und der Verbannung. Es sei denn, das Training bringt sie vorher um. Die Quint-Magie hat noch nie einen Sterblichen auserwählt, und der Ältestenrat ist überzeugt, dass Lera ein Fehler ist. Als der Quint sich weigert, die Verbindung zu lösen, stellen die wütenden Ältesten sie vor die Wahl: Verbannung aus Lunos oder Degradierung zu den niedrigsten Auszubildenden. Die Männer werden damit erneut den Demütigungen und tödlichen Herausforderungen ausgesetzt, die sie bereits vor Jahrhunderten erduldet haben, und stehen nun vor einer neuen Herausforderung: Sie sollen Lera dazu ausbilden, zu überleben. River, Shade, Coal und Tye werden alles tun, was nötig ist, um Lera zu beschützen. Aber Lera wird alles tun, was sie tun muss, damit sie zusammenbleiben—selbst wenn sie sich dadurch in tödliche Gefahr begibt.
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Copyright © 2022 by Alex Lidell
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Alex Lidell, United States of America, www.alexlidell.com, [email protected]
Dieses Buch ist ein fiktives Werk. Namen, Personen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Begebenheiten entstammen der Fantasie der Autorin oder werden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen lebenden oder verstorbenen Personen oder tatsächlichen Ereignissen ist rein zufällig.
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1. Lera
2. Tye
3. Lera
4. Coal
5. Lera
6. River
7. Lera
8. Lera
9. Lera
10. Lera
11. Shade
12. Lera
13. Lera
14. River
15. Lera
16. River
17. Lera
18. Lera
19. Tye
20. Lera
21. Lera
22. Lera
23. Lera
24. Lera
25. Coal
26. Lera
27. Lera
28. Lera
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About the author
Ich bewege mich mit erhobenen Händen im Kreis, mein Atem geht schwer. Er rast. Ganz anders als der ruhige Mann vor mir, dessen Bewegungen so fließend sind wie das Wasser selbst. Schweißperlen rinnen mir über die Haut, brennen in meinen Augen und lassen meine Lippen salzig schmecken. Ein entfernter Teil meines Verstandes erinnert sich, dass dieser Bergpfad bitterkalt war, aber das ist schon eine Ewigkeit her, als meine Lungen so viel Luft hatten, wie sie wollten.
Das leise Knacken von Zweigen unter meinen Lederstiefeln verhöhnt mich. Die Füße des Mannes geben keinen Laut von sich, fast so, als würde er schweben.
Mit gebeugten Knien stürze ich mich nach vorne, bereit für den Aufprall. Ich ziele mit der Schulter auf den Oberschenkel des Mannes, meine Hände sind bereit, seine Knie zu treffen, sobald ich gegen seinen Körper stoße. Kein Zögern, das ist der Schlüssel. Ihn überrennen. Vordringen. Jetzt, wo ich mich entschlossen habe, wird einer von uns auf dem Boden aufschlagen. Er oder ich.
Es wird viel weniger wehtun, wenn er es ist.
Meine Schulter trifft auf eine Wand aus tödlichem, unsterblichem Fleisch. Vordringen. Vordringen. Vordringen. Ich bewege mich weiter, schiebe, als ob mein wahres Ziel nicht der Mann selbst ist, sondern etwas hinter ihm. Der moschusartige, metallische Geruch des Mannes steigt mir in die Nase. Meine Beine spannen sich durch das Brennen der erschöpften Muskeln an. Die Wand, die er ist, hält. Ein Herzschlag. Zwei. Beim Dritten schwankt sie schließlich, dann gibt sie nach.
Der Mann landet anmutig auf dem Rücken, und mein Körper landet weitaus weniger anmutig auf ihm. Meine schweißnasse Wange gleitet über die harten Muskeln seines nackten Unterleibs. Und ich stelle fest, dass ich mich sehr geirrt habe: Es tut genauso weh, auf dem Mann zu landen wie auf dem Boden, denn seine Muskeln bieten eine ebenso gute Abfederung wie die Steine.
Bevor ich mich sammeln kann, merke ich, dass ich mich noch bewege. Wir bewegen uns immer noch.
Die muskulösen Arme des Mannes legen sich um mich, seine Hüften setzen die Bewegung fort, die ich ausgelöst habe. Ich spüre, wie ich gegen ihn gepresst werde, als er sich fließend über seine Schulter rollt und unsere Positionen wechselt. Jetzt liege ich mit dem Rücken auf dem Boden, die Zweige bohren sich in mein Fleisch, während der Mann meinen Körper umklammert und seine Hände meine Handgelenke gegen den Boden drücken. Sein Gesicht schwebt über dem meinen, seine stechend blauen Augen leuchten vor Frustration. Sein scharfer Kiefer ist noch fester zusammengebissen als sonst, und eine Strähne blonden Haares, die sich aus seinem Dutt gelöst hat, fällt herunter und kitzelt meine Wange.
„Sterbliche.“ Seine Stimme ist tief und weich wie Samt.
„Du bist ein Mistkerl, Coal“, stoße ich mit zusammengebissenen Zähnen hervor.
Coal hebt eine Augenbraue. Seine Hüften bewegen sich, wodurch er sich irgendwie dreimal so schwer anfühlt. Er senkt sein Gesicht zu meinem, der Raum zwischen uns ist erfüllt von der glühenden Hitze seines Körpers. Seine Augen treffen die meinen, der violette Schimmer um seine Iris ist verborgen. „Du hast in dem Moment aufgehört, aufmerksam zu sein, als dein Angriff erfolgreich war.“
Ich frage mich, ob dieses Violett ein Trick des Lichts ist oder eine Reflexion von Coals Gedanken. Es wäre sehr interessant, wenn es das Letztere wäre, obwohl ich bezweifle, dass das möglich ist.
„Sterbliche.“ Coal drückt meine Handgelenke fester zusammen, um meine Aufmerksamkeit zu erlangen, seine Stimme ist gefährlich leise. „Nächstes Mal, wenn dein Verstand eine Pause macht, breche ich dir ein oder zwei Rippen.“
„Leere … Drohung.“ Ich kämpfe darum, die Worte gegen den Druck auf meiner Brust hervorzupressen.
Coals scharfe Eckzähne entblößen sich. „Sollen wir wetten? Shade kann dich danach heilen, aber ich verspreche, es wird sich nicht gut anfühlen.“
Verdammt. Mein Magen krampft sich zusammen, ein Anflug von Unbehagen lässt mein Herz rasen und schärft meine Aufmerksamkeit auf Coal. Ich vertraue dem Krieger mein Leben an, aber nicht mein Vergnügen daran. Er könnte mir die Rippen brechen, wenn sein brutaler Verstand das für eine gute Idee hält.
Coal gleitet von mir herunter und streckt eine Hand aus, um mich wieder auf die Füße zu ziehen.
Ich richte mich langsam auf, dehne den Moment aus, in der Hoffnung, mein plötzlich schwer zu findendes Gleichgewicht zu erlangen und mein Herz davon zu überzeugen, langsamer zu schlagen. Gerade als ich denke, dass ich Coals Fassade durchbrochen habe, entdecke ich eine neue Schicht aus Stahl darunter.
Ich richte mein Hemd und streiche mir Schmutz und Blätter aus meinen Haaren. Ich trage das, was zu meinem üblichen Trainingsoutfit geworden ist: eine geschmeidige schwarze Lederhose, weiche Stiefel, die meine Waden von hinten einschnüren, und ein tailliertes Leinenhemd. Ich habe meine Lektion über das Tragen von lockerer Kleidung vor einer Woche gelernt – als Coal bewiesen hat, dass er sich nicht davor scheut, mich mit jeglichem zusätzlichen Stoff herumzuzerren.
Coal drückt seine Hand zwischen meine Schulterblätter und stupst mit einem Finger unter meinen kastanienbraunen Zopf. „Du bist in Ordnung. Spüre den festen Boden unter deinen Füßen und atme.“
Und ich dachte, ich könnte meine Gefühle besser verstecken.
„Ich kann Angst riechen“, sagt Coal, als hätte er meine Gedanken gehört. Für einen Mann, der eine gebrochene Rippe für ein akzeptables Lehrmittel hält, ist seine Wahrnehmung meines Körpers erschreckend scharfsinnig. Coal wechselt seinen Griff auf meine Schultern und dreht mich so, dass ich ihn ansehe. Schweiß tropft träge die tiefe Rille zwischen seinen Brustmuskeln hinunter, und ich muss mich zwingen, ihn nicht mit meinen Augen zu verfolgen. Wie alle meine Männer ist Coal sehr groß, und ich – selbst für einen Menschen klein – reiche ihm kaum bis zur Schulter. Coals Gesicht neigt sich nach unten, seine klaren blauen Augen studieren mein Gesicht. „Ich kann auch die Abwesenheit davon riechen, Sterbliche. Und wenn du aufhörst, ein bisschen Angst vor den Konsequenzen zu haben, vergisst du, dass du trainierst, dich gegen die Dunkelheit von Mors zu verteidigen.“
„Ich glaube, du verwechselst 'ein bisschen Angst' mit 'lähmende Angst'.“ Ich trete näher an ihn heran und greife mit einer Hand nach ihm.
Coal versteift sich. „Ich umarme niemanden, Sterbliche.“
„Sagt der Mann, der gerade noch halbnackt auf mir saß.“
„Das tue ich auch bei River, Shade und Tye. Wenn du dich dadurch besser fühlst, umarme ich danach ebenfalls keinen von ihnen.“ Coal lässt mich los und tritt einen Schritt zurück, um die allzu vertraute Distanz zwischen uns wiederherzustellen. Den gleichen Abstand, den er zwischen sich und allen anderen hält. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass dieser Mann – der in aller Stille ein halbes Dutzend Pfeile eingefangen hat, um mein Leben zu schützen – Angst hat.
Vielleicht kann ich es nicht verstehen. Die Sklaverei im dunklen Reich von Mors könnte Narben hinterlassen haben, die über die an seinen Handgelenken und seinem Fleisch hinausgehen.
„Hol dir Frühstück“, ruft Coal und wendet sich in die entgegengesetzte Richtung des Lagers. „Ich gehe mich waschen.“
Ich sehe zu, wie er weggeht. „Der See ist eiskalt“, rufe ich, aber er hebt nur abweisend eine Hand als Antwort. Seine schwarze Hose schmiegt sich an seine Hüften, die in einen breiten Rücken übergehen, der von Muskeln und gezackten Narben durchzogen ist. Die geheimnisvolle Tätowierung zieht sich über seine Wirbelsäule und bettelt förmlich darum, dass meine Finger sie erkunden.
Kopfschüttelnd mache ich mich auf den Weg durch den dichten Herbstwald in Richtung des Geruchs von gebratenem Fleisch. Nach einer einwöchigen Reise durch die neutralen Länder – am Fuße des Gebirgszuges entlang, der unseren Horizont in Slait beherrschte, und dann hinauf durch flüsternde grüne Ausläufer und Wälder mit Vogelgezwitscher – sind die Fae und ich nur noch vier Stunden von der Zitadelle entfernt. Die Zitadelle, die auf dem Gipfel eines bewaldeten Berges thront, ist ein Hof für sich, der einen strategischen Überblick über sein Gebiet bietet.
Noch vier Stunden, dann sind wir da. Wir bitten den Ältestenrat, unseren Eid als Quint zu akzeptieren. Meine Kehle schnürt sich zusammen, und Übelkeit macht sich in meinem Magen breit. Wenn der Rest des Ältestenrats so ist wie Klarissa – die hinreißende, manipulative Schlange, die mich töten lassen wollte –, dann laufen wir fünf in den offenen Schlund eines Raubtiers. Nicht, dass die Männer alles andere als unbekümmert gewesen wären, ihre stille Diskussion konzentrierte sich hauptsächlich darauf, wie wir weiterhin dunkle Dinge aus Mors töten können, ohne dass diese dunklen Dinge mich dabei töten.
Was Klarissa angeht, sagte River, er würde sich um sie kümmern. Das tut er schon seit Jahrhunderten. Es macht wenig Sinn zu erwähnen, dass es Klarissa, auch wenn River sich um sie „kümmerte“, beinahe gelungen wäre, uns zu töten. Der Fehler der Magie, der mich, eine sterbliche Frau, mit vier unsterblichen Fae-Kriegern verband, kommt mir immer noch wie ein Märchen vor – und selbst die gehen nicht immer gut aus.
Der köstliche Geruch von brutzelndem Kaninchen liegt in der Luft und weist mir den Weg zum Lager. Unser nie versiegender Vorrat an Wild ist ein Nebeneffekt der Reise mit vier Jägern, von denen einer als Wolf durch die Nacht streift. Und nicht nur in der Nacht.
Ich fluche, als ich über einen großen, pelzigen Körper stolpere, der quer über dem Weg liegt. „Ist es wirklich nötig, mitten auf dem Pfad ein Nickerchen zu machen, wenn es ringsherum ein großes Stück Land gibt?“, frage ich Shade. Während Coal keine Berührungen außerhalb des Trainings duldet, mir droht, mir die Rippen zu brechen, und sich generell rar macht, ist Shade sein genaues Gegenteil: allgegenwärtig, anschmiegsam und so überfürsorglich wie eine Bärenmutter. Oder eine Wolfsmutter.
Shade gähnt, öffnet sein schwarzes Maul weit, um ein beeindruckendes Gebiss zu entblößen, und erhebt sich träge. Er drückt seine Vorderpfoten in den Boden und streckt seinen Rücken durch. In eine Richtung. Dann in die andere Richtung. Schwanz hoch, Nase hoch. Dann schüttelt er sich. Mit seinem glatten, grauen Fell, seinem kräftigen Körperbau und seinen funkelnden, goldenen Augen ist Shade als Wolf eine Augenweide – und der pelzige Bastard weiß es.
„Oh, um Himmels willen.“ Ich gehe um den Wolf herum, nur um einen Lichtblitz zu sehen und festzustellen, dass der Mann, jetzt in Fae-Gestalt, lautlos hinter mir herläuft.
„Wie war das Training?“ Shades Arme umschließen meine Taille und zwingen mich, an seiner muskulösen Brust zu verharren. Seine Stimme ist eine leise Liebkosung über meinem Kopf, die mir einen köstlichen Schauer über den Rücken jagt, seine Körperwärme ist wie eine Decke. „Bist du verletzt?“
„Nur mein Stolz.“
„Mmm.“ Shade gibt einen unverbindlichen Laut von sich, während seine Hände bereits über meine Haut, meine Arme, meine Schultern wandern und sanft gegen meine Rippen drücken.
Ich drehe mich um, um ihn anzusehen. Diese Version von Shade ist sogar noch faszinierender, mit kräftigen Wangenknochen und vollen Lippen, schwarzem Haar, das ihm bis zu den Schultern reicht, und eindringlichen Augen, die mich mit jedem Tag intensiver zu beobachten scheinen. „So schön das auch ist, wir beide wissen, dass du dich aufregst. Mir zufällig den Weg zu versperren ist ungefähr so subtil, wie mir Fragen zu stellen, deren Antworten du nicht glauben willst.“
Shade blinzelt in beleidigter Unschuld. „Ich rege mich nicht auf. Ich weiß nur, wie hart Coal beim Training ist.“
Ich ziehe eine Augenbraue hoch, auch wenn ich die Wärme genieße, die sich in mir ausbreitet. Noch nie hat sich jemand so sehr um mich gekümmert, dass er sich die Mühe gemacht hätte, meine Behauptungen über mein Wohlergehen in Frage zu stellen. Nachdem ich jahrelang Zakes praktische Mischung aus Diener und Prügelknabe war, irritiert mich die Besorgnis des Quints immer noch zutiefst. „Das machst du also mit allen, nachdem sie mit Coal trainiert haben?“
Shades Unschuldsmiene weicht einem Glucksen. „Nur wenn ich in den Arsch getreten werden will. Aber ich denke, du brauchst noch ein bisschen mehr Training, bevor du eine echte Gefahr für mich bist, also kann ich nachsichtig sein.“ Shades Hände gleiten zu meinem Gesicht, die gelben Augen, die meinen Blick aufsaugen, sind nicht mehr die eines Heilers, sondern die eines Mannes. Er stößt einen langen, bebenden Atem aus. „Stört es dich sehr, Kleines?“
Ich beuge mich vor und küsse Shades Wange, wobei seine Bartstoppel leicht über meine Haut kratzen. „Es ist süß. Nur unnötig.“
Shades Kiefer spannt sich an, sein Kehlkopf wippt, als er schluckt. „Es ist weder das eine noch das andere“, sagt er leise. „Mein Wolf … Mein Instinkt, dich zu beschützen, wächst mit jedem Tag. Es ist nicht leicht, ihn zu zügeln. Manchmal ist es sogar ganz unmöglich. Es tut mir leid.“
Ich beiße mir auf die Lippe, meine Haut kribbelt, als würden tausend kleine Feuerstiche auf sie treffen. Trotz der Kälte ist Shades Hemdkragen offen und enthüllt seine Brustmuskeln, die Vertiefung seines Brustbeins. Die ledernen Schnüre peitschen wie kleine Fähnchen im Wind. „Ich bin der einzige Mensch in Lunos“, flüstere ich. „Ein wenig Beschützerinstinkt ab und zu ist durchaus willkommen.“
„Ich werde dich daran erinnern, dass du das gesagt hast.“ Shades schwieliger Daumen fährt über meinen Wangenknochen. „Du kannst immer noch nein sagen, Kleines“, flüstert er. „Wir betreten heute die Zitadelle, aber wir sind noch nicht dort. Jetzt, wo du die Gelegenheit hattest, darüber nachzudenken … Wir werden verstehen, wenn das Leben als Quint nicht das ist, was du willst. Eine Sterbliche sollte nicht damit beauftragt werden, Lunos und Fae vor Mors zu verteidigen.“
„Ich bleibe“, sage ich fest und mein Magen krampft sich zusammen, als Shade einen tiefen Seufzer der Erleichterung ausstößt. „Natürlich bleibe ich.“
Shades Stirn zieht sich zusammen. „Ich habe das Gefühl, dass da ein 'aber' drin ist.“
Verdammte Fae und ihre verdammten Ahnungen. Also gut. „Ich will nicht nutzlos sein.“
„Du könntest nicht nutzlos sein, selbst wenn du es versuchen würdest, Kleines“, sagt Shade ohne jede Spur von Humor. „Deine bloße Anwesenheit verleiht uns Leben. Sterne. Ich wünschte nur, ich wüsste, wie ich dich dazu bringen kann, mir zu glauben.“
Ich drücke meine Wange in Shades Handfläche, und er zieht mich an sich, sein seidiges Haar streift seine Schulter, während er seinen Kopf über meinen beugt. Der Geruch von feuchter Erde und Regen füllt meine Sinne, und mein Herz schlägt schneller, und meine Hände ruhen auf Shades straffen Hüften. Das Gelb seiner Augen leuchtet im Sonnenlicht, und der schwarze Fleck in der Mitte verschluckt sowohl das Licht als auch meine Gedanken. Ich frage mich, was diese Augen sehen, wenn sie mich aus dem Körper eines Wolfes heraus ansehen.
Shades Gesicht neigt sich nach vorne, seine vollen Lippen öffnen sich auf eine Weise, die das Kribbeln auf meiner Haut in etwas Wildes verwandelt. Mein Körper zittert und erwacht mit einem immer stärker werdenden Bedürfnis, das sich meinem Befehl widersetzt, sitzen zu bleiben.
„Kleines.“ Shades Stimme dröhnt aus seiner Brust, so leise, dass ich den Klang eher fühle als höre.
Mein Atem stockt, meine Lungen haben kein Interesse mehr an Luft. Nicht, wenn mein Mund schon vor Vorfreude kribbelt.
„Frühstück?“ Tyes Stimme dringt zu mir durch.
Wir treten auseinander, mein Gesicht glüht. Shade zeigt dem rothaarigen Mann eine vulgäre Geste.
Tye legt schamlos seinen Arm um meine Schulter und sieht auf mich herab, seine grünen Augen funkeln verschmitzt, seine scharfen Züge verziehen sich zu einem Grinsen. Aus der Nähe sieht er besser aus, als gut für ihn ist, und ich werfe ihm deshalb einen bösen Blick zu. „Du musst am Verhungern sein, Kleine. Komm und iss, solange es noch Fleisch gibt. Wir müssen heute Klarissas Laune verderben und ein Jahrtausend der Zitadellen-Tradition auf den Kopf stellen. Solche Dinge erledigt man lieber mit vollem Magen.“
Tye lächelte, als er Lera von Shade wegzog, der sich nun zurückhielt, während er versuchte sich zu beruhigen. Hätte Tyes Fliedermädchen einen Weg in Rivers oder – wie durch ein Wunder der Sterne – in Coals Arme gefunden, hätte er den beiden ihren Freiraum gelassen. Aber Shade … Tyes Grinsen wurde breiter. Es war einfach zu vergnüglich, Shade zu provozieren, jetzt, da der Bastard wieder in seiner Fae-Gestalt war und ihm die Wunder von Leras Körper nicht fremd waren.
Außerdem tat Tye Shade damit einen Gefallen. Fae-Männer waren von Natur aus beschützende und territoriale Wesen, aber Shades Wolf gab diesem Instinkt eine ganz neue Dimension. Shade erhob bereits Anspruch auf das Mädchen, und Tye vermutete, dass sein Wolf versuchte, sich zu paaren. Wenn Tye mit seiner Vermutung richtig lag, würde Shade bald einen verdammt unangenehmen Kampf um die Aufrechterhaltung der Höflichkeit führen müssen. Die Sterne wussten, dass Tye selbst jetzt an den meisten Morgen ein kaltes Bad brauchte, um sich im Zaum zu halten – und Shade würde es noch viel schlimmer treffen.
Tye pfiff eine anzügliche Melodie, als er Lera zurück zum Lagerfeuer führte, das angenehm am Rande einer Klippe mit Blick auf die bewaldeten Hügel lag, durch die sie gewandert waren. Weit in der Ferne glitzerte ein Fluss im Tal – derselbe Fluss, der bis nach Slait floss und in der Nähe des Palastes in einen tiefen See mündete.
„Gibt es einen Grund, warum du so zufrieden mit dir selbst zu sein scheinst, Tye?“, fragte River. Der Quint-Kommandant überprüfte die Pferde und die Ausrüstung, seine dunklen Augen funkelten düster, während er damit beschäftigt war, die Annäherung an die Zitadelle zu planen. Sein Rücken war durchgestreckt, um die Last der Verantwortung zu tragen – was er aus Tyes Sicht auch gerne übernehmen konnte. Es war viel einfacher, Befehle zu befolgen, als sie zu erteilen, und für Tye war alles einfach.
Wie ein guter Wein musste auch das Leben genossen werden.
Lera löste sich von Tye, um nach einer Tasse Kaffee zu greifen, die neben den Flammen stand, und ihre kurvenreiche Silhouette ließ Tyes Herz ein wenig schneller schlagen als sonst. Tye war nur in wenigen Dingen ein Experte … Aber wenn es um Frauen ging, hatte er eine Fertigkeit, die nur wenige andere hatten. Deshalb konnte Tye mit Fug und Recht behaupten, dass Lera wie keine andere auf Lunos war. Ihre Sinnlichkeit ging über das üppige rotbraune Haar und die cremefarbene Haut hinaus, über diese schokoladenfarbenen Augen, die Tye die Hitze durch die Adern jagten. Sogar über ihren straffen, sanft wippenden Hintern und ihre Brüste, die in der kühlen Luft der Berge köstlich aussahen, hinaus. Was das Mädchen einzigartig machte, lag irgendwo in ihrer Seele und ließ sie die Welt mit Augen voller Wunder und Fragen betrachten.
Vielleicht hatte Leras Sterblichkeit etwas damit zu tun, die Art, wie sie jeden Augenblick lebte und die Menschen um sie herum dazu brachte, ihn mit ihr leben zu wollen.
„Tye“, rief Rivers tiefe Stimme.
Tyes Augen blieben auf Leras Hintern gerichtet, während sie sich aufrichtete. „Was ist falsch daran, dass ich mit mir selbst zufrieden bin?“
„Weil es normalerweise ein Zeichen dafür ist, dass du etwas gestohlen hast oder irgendwelche Waren schmuggelst“, sagte River trocken.
Tye drehte sich zu seinem Kommandanten um, der beim Anbringen einer Satteltasche innehielt und Tye misstrauisch anblickte. Ja, River strotzte vor Selbstvertrauen und Verantwortung. Es war einfach ein untrennbarer Teil des Prinzen von Slait, der immer da war, immer präsent, immer bereit, die Last der Welt auf sich zu nehmen. Tye grinste und breitete seine Arme aus. „Wo, zum Teufel, sollte ich hier etwas zum Stehlen finden?“
„Genau das will ich auch wissen.“ Rivers Augen verengten sich auf eine Stelle hinter Tye, wo Shade endlich aufgetaucht sein musste. „Oh, um Himmels willen, ihr zwei.“
Tye blinzelte unschuldig und schnappte sich einen Spieß mit Kaninchenfleisch vom Feuer.
Das Mädchen errötete, ignorierte sie alle und ließ sich auf einem Holzscheit nieder. Ihre Schüchternheit. Das war ein weiterer von Leras entzückenden kleinen Funken, den Tye gerne entfachte. Ihr Körper sehnte sich nach Berührungen, aber oft schien ihr Verstand sie dafür zu schelten, dass sie das Vergnügen auskostete, das sie verdiente. Glücklicherweise war Tye sicher, dass er und Shade diese Barriere überwinden würden.
Tyes Brustkorb straffte sich. Vor einer Woche hatte er die Gelegenheit gehabt, im wahrsten Sinne des Wortes „die Barriere zu überwinden“. Als sie ausnahmsweise mit ihm allein war, hatte sein Fliedermädchen ihn tatsächlich gebeten, mit ihr zu schlafen. Da ihm solche Angebote nicht fremd waren, verstand er immer noch nicht ganz, warum er Nein gesagt und auf dem Unsinn bestanden hatte, dass der ganze Quint anwesend sein sollte. Lera brauchte nicht den ganzen verdammten Quint bei ihrem ersten Mal.
Hatte er Angst, sie zu verletzen und zog es vor diese Aufgabe stillschweigend jemand anderem zu überlassen? Nein. Das erste Mal konnte für eine Frau hart sein, aber Tye wusste, dass er es für sie lohnenswert machen konnte. Er konnte sie so lange vorbereiten, bis sie so feucht war und sich vor Verlangen krümmte, dass der Höhepunkt den Schmerz auslöschen würde. Er konnte dafür sorgen, dass sich der Schmerz in reine Ekstase verwandelte, die sie dazu brachte, Tyes Namen zu schreien.
Tye verlagerte sein Gewicht, der Druck in seinem Schwanz wurde mit jedem farbenfrohen Gedanken unangenehmer bis geradezu schmerzhaft. Er riss sich von Leras imaginären Orgasmus los – ebenso von seinem eigenen Vergnügen – und zwang sich, zu der Frage zurückzukehren, um die es wirklich ging.
Gewiss, Tye wollte Lera. Mehr als er je eine Frau in den Jahrhunderten, in denen er Spaß mit ihnen hatte, gewollt hatte. Er schluckte, seine Kehle war plötzlich zu eng. Ja, das war es. Seine Sehnsucht nach Lera ging über bloßen Sex hinaus. Er wollte einen Austausch von Intimität, den er sich noch nicht verdient hatte. Vielleicht nie verdienen würde.
„Heute ist also der Tag?“, fragte Lera und reichte River ihren geleerten Kaffeebecher zum Einpacken, als Coal sich zu der Gruppe gesellte, sein blondes Haar ausnahmsweise offen und feucht vom Seewasser. „Wir gehen in die Zitadelle und kommen als der offizielle, anerkannte Quint heraus, der wir bereits sind? Das sieht nach viel Zeremonie für wenig Effekt aus.“
„Das gilt auch für das Ehegelübde“, erwiderte Tye, obwohl er spürte, dass die Leichtigkeit der Worte des Mädchens ebenso gelogen war wie seine eigenen.
River warf ihm einen bösen Blick zu, dann richtete er seinen Blick auf Lera. „Dies ist ein verbindlicher Eid, keine Formalität. Ein Gelübde des Gehorsams gegenüber der Zitadelle und ein Versprechen, Lunos zu schützen.“
Tye seufzte. Das war nicht die Art, irgendetwas verkaufen zu wollen – es war eher dazu geeignet, um einen Käufer mit einem Besen zu verjagen.
Rivers Stimme wurde leiser, und Tye fürchtete sich vor den Worten, die sein Kommandant zweifellos als nächstes sagen würde. „Bis der Eid gesprochen ist, kannst du immer noch in dein altes Leben zurückkehren, Leralynn. Du solltest es tun. Es wäre das Klügste, was du tun kannst.“
Lera verschränkte ihre schlanken Arme vor der Brust und hielt dem Blick des Kommandanten auf eine Weise stand, wie es nur wenige Unsterbliche wagten. „Und wenn ich das tue, müssten wir entweder das Band zwischen uns lösen oder alle in die sterblichen Lande gehen?“
„Ja“, sagte River.
„Dann hör auf, etwas als Wahl zu bezeichnen, wenn es keine ist, River“, erwiderte Lera schroff und schnappte sich einen der Fleischspieße, die noch am Feuer lagen. Sie biss in ein Stückchen Kaninchen und zog es vorsichtig vom Spieß. „Stört es denn auf philosophischer Ebene niemanden, dass jeder, den die Magie für den Quint auswählt, sich der Zitadelle beugen muss? Was ist, wenn die auserwählten Fae zum Beispiel alle Korbflechter und keine Krieger sein wollen?“
Tye schnappte sich einen weiteren Fleischspieß und holte ein kleines Weinfass aus den Satteltaschen. Kaffee war gut, aber dieses Gespräch würde besser zu Wein passen. Etwas trocken und ein bisschen herb. „Die Morgen sind unendlich viel unterhaltsamer geworden, seit du zu unserer kleinen Versammlung gehörst, Fliedermädchen“, sagte er mit vollem Mund.
Shade warf Tye einen warnenden Blick zu, ein subtiler Hinweis auf den Rang von Rivers Stellvertreter.
Rivers Kiefer spannte sich an, wie immer, wenn er gezwungen war, seine persönliche Abneigung gegen den Ältestenrat mit einer ebenso starken Loyalität gegenüber der Mission der Zitadelle in Einklang zu bringen. „Die Hofuntertanen von Flurry, Slait und Blaze müssen ihren Königen einen Eid schwören. Das ist nicht viel anders. Was die magische Auswahl von Korbflechtern angeht, so ist dies einfach noch nie vorgekommen. In jedem auserwählten Wesen steckt ein kriegerischer Funke. Die Magie macht keine Fehler.“
„Nein?“ Lera deutete auf sich selbst.
„Du bist kein Fehler“, sagte Tye, stand auf und starrte River an. Hitze pulsierte durch seine Adern, als Autumns Worte in der Bibliothek des Slait-Palastes in seiner Erinnerung widerhallten. Sieh dir deinen Quint an: ein Kind von Slait, Blaze, Flurry, Mors und jetzt ein Kind der sterblichen Lande. Passt das nicht ein bisschen zu gut zusammen, um ein Zufall zu sein? Aber Autumns Erkenntnisse waren nur ein zusätzlicher Beweis für das, was er bereits geahnt hatte.
„Tye.“ Shades Stimme war hart. Jetzt, wo sie der Zitadelle so nah waren, schlüpften sie alle in ihre hierarchischen Rollen. Nicht, dass es Tye sonderlich interessierte.
„Flurry“, sagte Tye und deutete auf den Wolfswandler, bevor er die anderen Männer der Reihe nach ansah. „Blaze. Slait. Mors. Und jetzt die sterblichen Lande. Kommt das einem von euch wie ein Fehler vor?“
Schweigen legte sich über die Gruppe, und die anderen beobachteten Tye wachsam, während er schnaubte und die Hände an seinen Seiten zu Fäusten ballte und wieder öffnete. Sollten sie es doch wagen, ihm in dieser Angelegenheit zu widersprechen. Wenn sie es auch nur versuchten, würde Tyes Tiger über sie herfallen.
River räusperte sich und nahm vorsichtig einen Schluck Wein, bevor er sich an Lera wandte. „Wir mögen die Ziele der Magie nicht verstehen, aber du …“
„Ich habe mich mit euch vier verbunden und überlebt“, sagte sie nur. Ihre schöne Stirn zog sich zu einem Stirnrunzeln zusammen. „Ich denke, wir sollten es noch einmal versuchen, bevor wir die Zitadelle betreten. Wir sollten uns auf sichere und kontrollierte Weise verbinden, ohne dass uns jemand dabei zusieht. Sehen, was wir als Quint erreichen können.“
River verschluckte sich an seinem Getränk. „Sicher und kontrolliert? Das ist so ähnlich wie ein sicherer und kontrollierter Sturz von einer verdammten Klippe.“
Lera warf ihm einen vernichtenden Blick zu.
River studierte sie, sein intelligenter Blick war ungläubig. „Bist du wahnsinnig geworden, Leralynn? Dass du genug Magie überlebt hast, um die meisten Unsterblichen zu töten, war ein verdammtes Wunder. Wir werden das Schicksal nicht zweimal herausfordern.“
„Natürlich, River“, sagte Lera mit einer zu süßen Stimme, die jede Faser in Tye zu einer weiteren Erkenntnis führte. Als der Quint das letzte Mal in der Zitadelle war, waren Tye und seine Nichteinhaltung von Gesetzen Rivers größte Herausforderung, die es zu überwinden galt. Dieses Mal würde jemand anderes diese Ehre gebühren.
In Serpentinen geht es die steile Straße zur Zitadelle hinauf, wobei der harte Boden den Pferden guten Halt bietet. Meine Stute Sprite tänzelt unter mir und schnuppert an den Ahornbäumen, die auf unerklärliche Weise immer grüner werden, je näher wir dem Gipfel kommen. Magie. So stark, dass sich sogar die Jahreszeiten ihrem Willen beugen. Um uns herum ertönt Vogelgezwitscher, und von den Ästen, die sich über unsere Köpfe wölben, hängen blühende Lianen herab. Ich frage mich, wie die Zwischenwelt hier aussieht, ob ich die Ahornbäume und großen Eschen noch sehen würde, wenn wir in die dunkle Unterströmung von Lunos eintreten würden.
Nicht, dass ich übermäßig erpicht darauf wäre, das herauszufinden.
Mein Magen zieht sich bei jedem Schritt zusammen, denn die Zitadelle erhebt sich über uns wie ein weißer Marmorwächter auf einem waldbedeckten Berg. Ich hatte erwartet, dass die Entscheidung, die Verbindung nicht zu lösen, eine ruhige Endgültigkeit mit sich bringen würde. Aber dem ist nicht so. Es würde viele Hürden zu überwinden geben.
Ich stupse Sprite an, damit sie neben Rivers scheckig-grauen Hengst geht, der aufgeregt schnaubt.
„Es wäre besser, wenn du auf der anderen Seite reiten würdest.“ River tätschelt den Hals seines Pferdes. Sein Rücken ist gerade wie immer, die Aura der unbestechlichen Verantwortung ist ebenso Teil seines unsterblichen fürstlichen Selbst wie seine breiten Schultern und grauen Augen. Letztere sind nur allzu sehr daran gewöhnt, Wesen mit einem einzigen Blick zum Verwelken zu bringen. „Sprite wird rossig.“
„All dein jahrhundertelanges Training und du kannst dein Reittier nicht kontrollieren?“, stichle ich und manövriere die Stute auf die andere Seite.
„Ich kann mein Reittier sehr gut kontrollieren, Leralynn, aber er ist immer noch ein Hengst und hat Instinkte.“ Er dreht sich zu mir um, seine stürmischen Augen sind beunruhigend intensiv. Er runzelt die Stirn, seine Stimme wird zu einem Murmeln. „Und er ist nicht der Einzige.“
Meine Haut erhitzt sich. „Soll ich mich auch in deinem Windschatten aufhalten?“
„Nein.“ Rivers Augen blicken Richtung Wald, wo Shade in seiner Wolfsgestalt entlang trabt. Rivers Gesicht spannt sich vor Sorge an. Er schiebt sein Pferd vor das meine.
„Was …“
Ein Knurren durchbricht die Luft, bevor ich zu Ende sprechen kann. Mit dem nächsten Atemzug umzingeln mich Tye, River und Coal, ihre Klingen sind gezückt, die Muskeln zur Verteidigung angespannt. Mein Herz stottert angesichts des plötzlichen Wechsels von einer lockeren Unterhaltung zur Verwandlung tödlicher Krieger, und ich lecke mir nervös über die Lippen. Verspätet ziehe ich meinen eigenen Dolch, den Coal mir gegeben hat. Ich komme mir mit der winzigen Waffe genauso lächerlich vor, wie ich sicher auch aussehe.
Shades Knurren ertönt erneut, und jetzt höre ich Schritte, die durch den Wald dringen. Wer auch immer es ist, man versucht nicht länger, seine Anwesenheit vor uns zu verbergen. Und dann sehe ich auch, warum: Eine nach der anderen tauchen fünf bewaffnete Frauen auf dem Pfad auf, und Shade fletscht die Zähne, als er die Prozession antreibt. Die vorderste Fae-Kriegerin, hochgewachsen mit kurz geschnittenem dunkelbraunem Haar und strahlend blauen Augen, hält ihren Kopf hoch, als sie auf uns zukommt. Wie ihre vier Gefährtinnen trägt sie eine enganliegende smaragdgrüne Tunika und schwarze Hosen, darüber eine braune Lederrüstung und Messerscheiden an den Unterarmen. Jetzt, wo ich genauer hinsehe, erkenne ich eine einzelne Rune, die auf ihren Hals tätowiert ist, direkt über ihrer Halsschlagader. Ihre und auch die der anderen Frauen.
Ein Quint. Autumn hat mir gesagt, dass weibliche Gruppen selten sind, und ich hatte nicht damit gerechnet, in nächster Zeit auf einen zu treffen. Obwohl sie kleiner sind als meine Männer, ist die Wildheit der Frauen so gewaltig, dass ich sie körperlich spüren kann. Groß, schlank, muskulös und sonnengebräunt von den langen Tagen auf dem Trainingsplatz, beobachten sie den Wald, die Straße und uns fünf mit entnervender Intensität. Diejenigen, die ihr Haar nicht so kurz geschnitten haben wie die Anführerin, tragen es in engen Zöpfen, die sich um den Kopf winden. Ihre Augen sind zum Teil hart wie Feuerstein.
„Ich nehme an, das ist dein Hund“, sagt die große Frau zu River, der ihr gegenübersteht. „Ruf ihn zurück, erste Erprobung. Sofort. Und steckt eure Klingen weg, wenn ihr schon dabei seid.“ Sie mustert uns vier und Shade, der sich hingesetzt hat und dessen Zähne immer noch in der Sonne glänzen. Die Frau hebt ihr Kinn. „Ich bin Kora, eine Quint-Kommandantin der dritten Erprobung. Wir werden uns von hier an um euch kümmern.“
Tye schnaubt.
River wirft ihm einen tadelnden Blick zu und steckt seine Klinge gehorsam in die Scheide, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder den Frauen widmet. „Erste Erprobung?“
Kora nickt. „Das ist euer Rang“, sagt sie, ihre Stimme ist eine Mischung aus Befehl und Geduld, als hätte sie diese Erklärung schon unzählige Male gegeben. „Als neu gewählte Initiierte werdet ihr mit drei Runen gekennzeichnet, wenn ihr euren Eid vor dem Ältestenrat ablegt. Die Runen symbolisieren die Prüfungen, die ihr noch bestehen müsst, bevor ihr das Gelände der Zitadelle verlassen dürft. Da wir“, sie deutet mit einer unwirschen Geste auf die sie flankierenden Frauen, „unsere dritte Prüfung noch nicht abgeschlossen haben, nennt man uns 'dritte Erprobung'. Wir sind eine Prüfung davon entfernt, ein anerkannter Krieger-Quint zu sein, dem man zutraut, eigenständig zu handeln. Und jetzt steigt ab.“
„Wer …“ Tye will etwas sagen, aber River hält eine Hand hoch.
„Steigt ab“, sagt River, seine ruhige Stimme ist kraftvoller als Koras lauter Befehl. Durch einen Lichtblitz verwandelt sich Shade in seine Fae-Gestalt zurück, während ich dem Beispiel der anderen folge und zu Boden gleite. Ich kann es jetzt allein, vor allem bei Sprite, aber es sieht nicht annähernd so geschmeidig aus wie die Bewegungen der Männer. River verbeugt sich vor Kora. „Du wurdest geschickt, um uns zu treffen, wie ich höre?“
Kora nickt knapp. „Uns wurde gesagt, wir sollten einen neuen Quint in Empfang nehmen – einen mit einer Frau und vier Männern.“ Sie runzelt die Stirn, ihr selbstbewusster Blick wird misstrauisch, als er über uns streift. River – groß, selbstbewusst, die Hände höflich hinter dem Rücken verschränkt. Coal – der mit verschränkten Armen unser Empfangskomitee anstarrt. Shade – der zwischen mir und den Frauen hin und her geht. Tye – mit silbernem Ohrring, der fröhlich im Licht glitzert, grünen Augen, die von einer Frau zur anderen wandern. Und ich – eine Sterbliche. Kurz gesagt, die Männer passen auf die Beschreibung von unerfahrenen Initiierten ungefähr so gut wie ich auf die eines unsterblichen Kriegers.
Kora räuspert sich, ihre Schwertspitze sinkt zu Boden, die Muskeln entspannen sich leicht. „Ich entschuldige mich. Ich hatte angenommen, dass ihr die zu erwartende Gruppe seid. Wenn ihr vielleicht …“
„Ich nehme an, wir sind genau der Quint, den ihr treffen solltet“, sagt River trocken. „Und ich freue mich darauf, denjenigen zu treffen, der euch geschickt hat, sobald wir die Zitadelle betreten haben.“
Die Spitzen von Koras Ohren färben sich tiefrot, während sie ihre Waffe in die Scheide steckt. Sie öffnet den Mund und schließt ihn wieder, ohne etwas zu sagen, als ob keines der Worte, die ihr in den Sinn kommen, der Situation angemessen wäre. „Ihr seid keine Neulinge.“
„Nein“, sagt River sanft. „Schon seit etwa dreihundert Jahren nicht mehr. Ihr wurdet falsch informiert. Ich bin River.“
Koras Augen weiten sich. „River, der Prinz von …“
„Er ist auch so schon eingebildet genug, ohne dass du ihn daran erinnerst, Mädchen“, sagt Tye, die Hände in den Taschen, während er lässig neben mich tritt. „Viel wichtiger ist, dass ich Tye bin, das ist Coal, und das Vergnügen, unseren Welpen Shade kennenzulernen, hattest du bereits.“
„Euer Quint ist …“
„Der zweitmächtigste in Lunos, ja, das wissen wir“, sagt Tye leichthin, zwinkert ihr zu und zuckt nur leicht zusammen, als Coal ihm den Ellbogen in die Rippen stößt.
Kora verbeugt sich, wobei sie ihren Stolz mit sichtlicher Anstrengung aufrechterhält. Ihre Augen wandern zu mir. „Und …?“
„Und das ist Leralynn, der weder du noch sonst jemand in der Zitadelle zu nahe kommen wird.“ Shades tiefe Stimme klingt so bedrohlich, dass Kora das Blut aus dem Gesicht weicht und in meinem aufsteigen lässt. Shade, der sich zwischen mir und Kora positioniert hat, steht auf den Ballen seiner Füße, die Oberlippe nach hinten gezogen, sodass seine langen Eckzähne sichtbar werden. Seine Schultern, die schon vorher breit waren, scheinen noch breiter geworden zu sein, um seine Brust zu verbreitern.
„Beruhig dich, Shade“, befiehlt River leise, ohne auch nur den Kopf in Richtung des Mannes zu drehen, bevor er wieder auf seinen Hengst steigt und Kora bittet, ihn zum Zitadellen-Gelände zu führen.