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Das Leben sei planbar, Erfolg lernbar, Gesundheit machbar, Reichtum verfügbar. Jeder Mensch könne eine positive Wahrnehmung gewinnen, grenzenlose Wahlmöglichkeiten nutzen und eine vollendete Glücksfähigkeit entwickeln: Das sind die Glückslügen der Moderne. Diese »frohe Botschaft« wird von Beratern und Psychologen überbracht, deren Bücher die Bestsellerlisten erobern. Michael Mary deckt die Strategien jener Glückspropheten auf, zeigt die Widersprüche und Grenzen dieses »Machbarkeitswahns«. Und seine Gefahren: Denn wo man glaubt, alles machen zu können - und zu müssen -, da wird nichts mehr gelassen. Verbissenheit statt Gelassenheit, verkrampfen statt vertrauen, Erfolgszwang statt Neugier. Wer sich selbst derartig unter Druck setzt, der verliert die Fähigkeit zu lachen und das Leben zu genießen - und damit alle wesentlichen Voraussetzungen, um glücklich zu sein. »Wer es jedoch vermag, dem verbissenen Tun der Machbarkeitsgläubigen zuzuschauen, wer erkennt, schmunzelt, lächelt und sich zurücklehnt, der kann zu mehr Gelassenheit finden - und sich einem Leben widmen, das diesen Namen verdient, weil es nicht kontrolliert, sondern gelebt wird.« Die Glückslüge ist ein spannendes Psychogramm moderner Verführung. Und ein Appell, ein Leben zu führen, das diesen Namen verdient, weil es nicht kontrolliert, sondern gelebt wird. Kurz: ein Aufruf zu mehr Gelassenheit.
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Seitenzahl: 317
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print: ISBN 978-3-926967-85-5
epub: ISBN 978-3-926967-62-6
pdf: ISBN 978-3-926967-63-3
© 2015 by Henny Nordholt Verlag Testorfer Straße 2 D 19246 Lüttow
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www.michaelmary.de
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Table of Contents
Buch
Vorwort
Ein ganz normaler Glückstag
Eine moderne Religion
Die Machbarkeits-Ideologie
Die Vermarktung der Machbarkeite
Drei dumme Machbarkeitslügen
Jugend ist machbar
Erfolg ist planbar
Reichtum ist machbar
Drei intelligente Machbarkeitslügen
Jeder Mensch schafft sich seine Realität selbst
Dein Wille entscheidet, du hast die Wahl
Du hast deinGlück in der Hand
Ein Kampf gegen das Leben
Siege des Lebendigen
Was wir tun können
Ein Aufruf zur Gelassenheit
Interview mit Prof. Dr.Arist von Schlippe
Interview mit Prof. Dr. Gerhard Roth
Über den Autor
Endnotes
Dieses Buch beschreibt die Widersprüche und Grenzen einer modernen Heilserwartung, die den Menschen verspricht, Glück sei planbar geworden und das Leben insgesamt beherrschbar. Ich bezeichne diesen Machbarkeitswahn als eine große Glücklüge.
Diese vermeintliche Kunst, das Leben den eigenen Wünschen gefügig zu machen, wird von Beratern vermittelt, die sich mittlerweile auf jeden Lebensbereich ausgebreitet haben. Die selbst ernannten Lebensspezialisten geben vor, den Weg zu Erfüllung, Reichtum, Erfolg, Jugend und Gesundheit für jedermann zu kennen. Sie sind ausgezogen, andere das Leben und die Eroberung der Innenwelt zu lehren.
Ich habe mich mit etlichen dieser Psychologie-, Gesundheits- und Wirtschaftsberater intensiv beschäftigt, um ihre Versprechen und Rezepte zu überprüfen und die Grenzen ihrer Glücks- und Machbarkeitsphilosophie aufzuzeigen. Das scheint mir deshalb nötig zu sein, weil sich ein subtiler und dennoch enormer Druck auf die Menschen zu legen beginnt: der Druck, ihr Leben perfekt zu meistern und für alles, was in ihrem Leben geschieht, allein verantwortlich zu zeichnen.
Wo Menschen aber glauben, alles machen zu können, da wird nichts mehr gelassen. Wo sich der Machbarkeitswahn ausbreitet, schwindet groteskerweise die Gelassenheit und mit ihr ein großer Teil des angestrebten Glücks und der gesuchten Lebendigkeit.
Wer es jedoch vermag, dem verbissenen Tun der Machbarkeitsgläubigen zuzuschauen, wer erkennt, schmunzelt, lächelt und sich zurücklehnt, der kann zu mehr Gelassenheit finden – und sich einem Leben widmen, das diesen Namen verdient, weil es nicht kontrolliert, sondern gelebt wird.
Michael Mary
Man brauche das Leben nur in die Hand zu nehmen. Das Glück liege zwar nicht auf der Straße, aber in einem selbst; und daher könne jeder darüber verfügen. Man könne sein Leben gestalten, ganz nach Wunsch und Wille. Karriere sei planbar, gemäß eigner Vorstellungen. Gesundheit sei machbar, bis ins hohe Alter. Partnerschaft sei gestaltbar, den Ideen der Partner entsprechend. Sexualität könne erarbeitet werden, zum Wohle der Beziehung und der Partner. Glück sei ein Anspruch, ein Geburtsrecht geradezu, es könne trainiert werden.
Diese und weitere Versprechen sind die Säulen einer neuen Heilslehre, die in Wahrheit aber – wie ich im Folgenden zeigen möchte – nicht mehr ist als die große Glückslüge unserer Zeit.
Im Schatten des Machbarkeitsglaubens wird der Macher zum Prototyp des Erfolgsmenschen. Wissen und Bewusstsein, Wissenschaft und Psychologie sind die zentralen Begriffe seiner Weltanschauung. Macher entwickeln Visionen, verfolgen Ziele, entwerfen Strategien, schmieden Pläne und verfügen über ausgefeilte Taktiken. Sie haben ihre Innenwelt erobert – das Glück kann sich ihnen unmöglich verweigern.
In der Hoffnung, das Leben derart planen und kontrollieren zu können, kaufen Millionen Menschen Ratgeberbücher, besuchen Erfolgsseminare, lassen sich einzeln oder in der Masse motivieren und trainieren. Vor allem aber hoffen und glauben sie. Ich werde zeigen, dass der Machbarkeitswahn durch diese enorme Glaubensbereitschaft eine moderne Religion darstellt. Und der besagte Glaube wird als Kind seiner Zeit nicht von einer Kanzel verkündet, sondern auf dem freien Markt der Möglichkeiten verkauft. Um die Ware Machbarkeit an den Mann/die Frau zu bringen, wird Verpackungsmüll produziert, es werden Rundum-Sorglos-Pakete geschnürt, Scheinwahrheiten verbreitet und Blendungen durchgeführt. Wie im Geschäftsverkehr üblich, wird das Kleingedruckte geschickt versteckt. Ich werde diese Verkaufsmaschen offen legen.
Anschließend werde ich die Glückslüge in sechs Themenabschnitten untersuchen. Zuerst widme ich mich drei dummen Machbarkeitslügen, die Jugend, Erfolg und Reichtum für jeden versprechen, bevor ich mich schließlich drei intelligenten Lügen zuwende, die suggerieren, jeder könne seine Realität gestalten, jeder verfüge über Entscheidungsfreiheit und jeder könne über sein Lebensglück bestimmen.
Wer der Glückslüge und dem mit ihr verbundenen Machbarkeitsglauben – ganz oder in Teilen – verfällt, beginnt einen aussichtslosen Kampf gegen das Leben, dessen Ziel darin besteht, Kontrolle über die inneren und äußeren Welten zu erlangen und das Unbewusste abzuschaffen. Aber das gelingt nicht einmal den Machbarkeitspriestern selbst – auch das werde ich darlegen.
So bleibt die ersehnte Kontrolle über das Leben (glücklicherweise) verwehrt, und das Leben gestaltet den Menschen weiterhin weitaus mehr, als dieser das Leben. Wer diesen Sieg des Lebendigen und damit die Grenzen des Machbaren akzeptiert, gibt überzogene Erwartungen an das Leben auf und wendet sich von Machbarkeitspropheten ab: Er gehört wieder sich selbst und findet zu mehr Gelassenheit und Akzeptanz.
So weit ein kurzer Überblick, was Sie in diesem Buch erwartet. Übrigens: Eine der intelligenten Lügen habe ich ausgelassen. Sie lautet: Du kannst deine Partnerschaft/Beziehung nach deinem Willen und deinen Vorstellungen gestalten. Dieses Thema ist sehr komplex und erfordert ein eigenes Buch, das mein nächstes sein wird.1
Der Wecker klingelt, Zeit zum Aufstehen. Jetzt aufpassen und das richtige Bein zuerst auf den Boden setzen, sonst fängt der Tag schlecht an, aus energetischer Sicht. Dann das Gewicht kontrollieren und den aktuellen Fettanteil des Gewebes messen. Körperfett bei 8 Prozent? Zu viel! Das muss reguliert werden. Bewusstes Body-Management.
Deshalb eine Viertelstunde joggen, natürlich pulsüberwacht. Der Puls darf nicht über 130 kommen, sonst geht Power verloren, statt sie zu gewinnen. Dann eine belebende warm-kalte Wechseldusche, nicht zu warm und nicht zu kalt. Sonst zerrt das Wasser an den Gefäßen. Aktives Anti-Aging.
Es kommen selbstverständlich weder weißes Brot noch fetter Käse auf den Frühstückstisch. Das würde den gewonnenen Schwung gleich wieder lähmen und die Energy binden. Stattdessen gibt es Lightfood, specially designed, mit allen wertvollen Vitaminen und Mineralstoffen angereichert. Echter Vitalstoffgenuss. Jeden Bissen mindestens vierzig Mal kauen, das lässt einen schon am frühen Morgen den ersten Orgasmus im Mund erleben.
Beschwingt und gehobener Stimmung geht es auf den Weg zur Arbeit. Also erst mal in den Stau. Die Situation positiv sehen und nutzen. Zeit für isometrische Übungen, auch kleine Atemexercises sind angebracht. Die gewonnene Extrapower gleich einsetzen und per Handy Börsenkurse und Wirtschaftsdaten abfragen. Zielorientiert handeln! Sind die Kurse gefallen, nicht den Kopf hängen lassen, sondern in den Rückspiegel schauen und lächeln. Gute Laune ist kein Zufall, das kleine Lächeltraining hebt sie augenblicklich. Life powered by smiling.
Im Betrieb wird vorhandenes Restgedankenchaos durch Mind-Mapping beseitigt. Dann wird gemanagt. Kosten-Lager-Vertriebs-Verkaufs-Zeit-Personal-Führungs-Team-Konflikt-Management. Widersetzt sich ein Problem erprobten Strategien, müssen unbewusste Ressourcen angezapft und brachliegende Gehirnregionen aktiviert werden. Klarer Fall: Die beiden Gehirnhälften sind nicht ausreichend balanciert. Da helfen Überkreuzübungen aus dem Brain-Management. Schließlich geht es um Networking, auch im Kopf.
Sollte der Bewusstheitslevel tagsüber sinken, helfen bewährte Strategien gegen den Stress. Da entspannt man in Windeseile und ist gleich wieder voll da. Unbedingt relaxt bleiben, sonst geht der Fokus verloren. Deshalb die Energie störender Gefühle transformieren und so für die eigenen Ziele einspannen. Den Feind in seine Strategie einplanen. Mit der richtigen Zielvorstellung ist das kein Problem. Vision-Management.
Abends zu Hause entschlossen umschalten. Die Geheimnisse erfolgreicher Partnerschaften beherzigen. Auch an der Liebe muss immer wieder gearbeitet werden, damit sie bestehen bleibt. Da ist es eine Kleinigkeit, den Partner zufrieden zu stellen, kommunikativ, emotional, sexuell. Dann noch den Kindern Liebe zukommen zu lassen, damit sie einen Topstart ins Leben haben.
Statt fernzusehen lieber die Geheimnisse für Gewinner lesen und eine Kassette mit Affirmationen hören. Negative Gedanken des Tages in positive Gedanken umformulieren. Die Life-Vision erneuern. Ein konkretes Ziel für den nächsten Tag setzen. Checken: Was ist abgehakt, was muss morgen angepackt werden? Das wird in den Timer eingetragen. Sollte zwischenzeitlich Unzufriedenheit auftauchen, ist es nicht gelungen, die Inhalte des Bewusstseins zu kontrollieren. Dann bitte gleich mit Strategien des Glücks-Managements gegensteuern. Schnell ein paar Eintragungen in das Glückstagebuch tätigen. Jetzt richtig loslassen und zügig die Batterien aufladen. Der Schlaf muss in die Betaphase kommen.
Es ist spannend, das Leben in den Klauen des Machbarkeitswahns.
Seitdem Menschen das Glück suchen, haben sie unzählige Vorstellungen vom seinem Wesen und noch mehr Ideen darüber entwickelt, wie und wo man es finden könne. Über ein Versuchsstadium sind die Menschen dabei nicht hinausgekommen. Da sie die Geheimnisse dauerhaften Glücks und erfüllten Lebens nicht enträtseln können, bleibt ihnen lediglich, weiterhin an das große Glück zu glauben. Ohne diesen Glauben an eine bessere Zukunft, so scheint es, stürbe die Hoffnung und mit ihr ein Sinn oder sogar der Sinn des Lebens.
Um das Glück in seinen Verstecken aufzuspüren, entwickelte jede Zeit eine eigene Glücksideologie und einen entsprechenden Glauben. Glaubte man anfangs, das Glück müsse erdient werden, und später, es könne verdient werden, so glaubt man heute, es machen zu können. Glück wurde und wird in drei Welten gesucht:
im Jenseits, in einem Leben nach dem Tod,
im Diesseits, in den materiellen Dingen und sozialen Werten der Außenwelt,
und in der Innenwelt, in den Strukturen des Geistes und der Psyche.
Solange die Welt in ihren Zusammenhängen unentwirrbar und rätselhaft erschien, solange sich der Mensch eingebettet in die Natur und dem Leben ausgeliefert erlebte, solange eine gestaltbare Zukunft für ihn nicht existierte, solange wurde er vom Leben beherrscht und er träumte von jenseitigem Glück. Er vertraute darauf, in einem Leben nach dem Tod für irdische Mühen und seelische Qualen entlohnt zu werden. Sein Glaube verhieß ihm: „Wer ein demütiges Leben führt, der wird in das Reich Gottes eingehen, der wird das Paradies finden.“ Gott geriet zum Garanten eines jenseitigen Glücksanspruchs, den es galt, schon zu Lebzeiten zu erdienen. Wer sich demütig den Entsagungen der Welt unterwarf, dem war sogar im Diesseits eine gewisse Befriedigung vergönnt, denn er konnte sich auf die jenseitige Erlösung freuen.
Zu dienen, zu warten, zu erdulden und zu ertragen waren die Ideale dieser Glückserwartung durch die Eroberung des Jenseits, die in unserer Kultur etwa bis ins 17. Jahrhundert vorherrschte.
Nachdem die Wissenschaft an Bedeutung gewonnen und die Aufklärung ihre Wirkung entfaltet hatte, verlor der Glaube an ein jenseitiges Glück an Überzeugungskraft. Man begriff, der Natur nicht vollständig ausgeliefert zu sein, und entdeckte die Zukunft als gestaltbaren Raum. Je besser die Menschen sich die Welt erklären konnten, je weniger Angst sie den Gottheiten gegenüber aufbringen mussten, je intensiver sie wirtschaftlichen Überfluss erarbeiteten, desto mehr konzentrierte sich ihr Bemühen auf die Außenwelt. Nun wollten die Menschen das Glück bereits im Diesseits erobern.
Ein neuer Glaube setzte sich durch: „Wenn man reich und mächtig ist, dann stellt das Glück sich ein.“ Das Glück war fortan irdisch, bestand aus einem Haus, einem Vermögen, sozialem Ansehen und einer Familie. Der Ansatzpunkt dieser Glückssuche war ein materieller, und damit tat sich das Haben als ein neues Ziel menschlichen Handelns auf. Der Mythos des erdienten Glücks verblasste, und der Glaube an ein verdientes Glücks nahm zu. Fleißig, strebsam und vorausschauend zu sein wurden die Ideale dieser Glückserwartung, welche sich die Eroberung der Außenwelt vorgenommen hatte.
Etwa Mitte des 20. Jahrhunderts lösten sich zunehmend mehr Menschen von der Fixierung auf die Außenwelt. „Geld allein macht nicht glücklich“ – diesen Satz konnten davor bestenfalls die Mächtigen und Reichen nachvollziehen. Mittlerweile aber waren die Menschen der westlichen Welt reich geworden, unendlich reich im Vergleich zu vergangenen Jahrhunderten, und das ersehnte Glück hatte sich durch die Eroberung der Außenwelt nicht eingestellt. Parallel dazu zerfielen sozialistische Ideale, die im Wesentlichen Reichtum für alle und damit gerecht verteiltes irdisches Glück versprochen hatten.
Der Philosoph Jean Francois Lyotard bezeichnet diese Zeit als das „Ende der großen Meta-Erzählungen“, zu denen er die Schöpfungsmythen, die Religionen, und die heilsversprechenden Zukunftsentwürfe wie den Sozialismus zählt. Mit deren allmählichem Zerfall kehrte sich die Richtung der Glückssuche um.
In den letzten Jahrzehnten vollzog sich eine intensive Hinwendung der Menschen zu ihrer Innenwelt. Die Psychologie gewann immens an Bedeutung: zuerst in Randgruppen der Gesellschaft; später bahnte sie sich von dort einen Weg in die Wirtschaftswelt und das Alltagsleben. Unterstützt wurde diese Entwicklung durch erkenntnistheoretische Forschungen, die ergaben, dass menschliche Realität keine allgemeine, sondern eine individuelle Erfahrung darstellt, und dadurch den Eindruck entstehen ließen, Glück sei ein individuelles Phänomen.
Damit vollzog sich eine Wende vom äußerlichen Tun zum innerlichen Wahrnehmen. Der neu entstandene Glaube lautet: „Ich muss meine innere Welt gestalten, dann ist mir das Glück sicher.“ Statt es zu erdienen oder zu verdienen soll das Glück nun auf direktem Weg über die Psyche gemacht (konstruiert) werden.
Zu wissen, zu erkennen und vor allem bewusst zu sein sind die Ideale dieses modernen Glücksmythos, der das Glück denen verspricht, die ihre Innenwelt zu erobern und zu beherrschen vermögen.
Dem Menschen bieten sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts drei Formen des Glaubens und Hoffens an. Der Glaube an jenseitiges, der Glaube an äußeres, materielles und der Glaube an inneres, selbstgemachtes Glück. Der moderne Mythos vom selbstgemachten Glück scheint heute der vielversprechendste zu sein, weil er eine scheinbare Unabhängigkeit des Einzelnen von anderen Menschen und größeren Zusammenhängen suggeriert. Allerdings birgt dieser Anschein der Unabhängigkeit auch Nachteile. Denn während sich die Anhänger des Jenseitsglaubens auf Gott verlassen und die des Diesseitsglaubens nach Staat, Gesellschaft und Familie rufen können, bleibt der Anhänger des planbaren Glücks ausschließlich sich selbst überlassen. Die Verantwortung für sein Glück und Unglück, seinen Erfolg und sein Scheitern liegt einzig und allein bei ihm, wie es Professor Karlheinz Geißler in einem Artikel über Beratung formuliert:
Mit dem Einstieg in das Zeitalter der Individualisierung wird die Zukunft privatisiert. Die Einzelnen müssen und sollen für ihre Zukunft jetzt selbst sorgen ... Wer tröstet uns, wenn die Zukunft nicht so wird, wie wir sie uns vorgestellt haben, und wen – außer uns selbst – können wir dafür verantwortlich machen?2
Die zentralen Überzeugungen und Glaubenssätze, die sich unaufhaltsam ausbreiten, die Hoffnungen und Versprechen der Religion des 21. Jahrhunderts lauten: „Du bist für dein Leben verantwortlich“, „Du hast dein Glück in der Hand“ und vor allem „Du kannst alles erreichen, was du willst“. Diese stetig und ungebrochen vermittelten Botschaften der Machbarkeit sind indes nicht ohne Folgen. Sie bauen langsam, aber sicher einen Schatten auf, dem sich kaum jemand entziehen kann: Wer altert, ist selbst schuld daran. Dumm ist, wer erfolglos bleibt. Zum Versager wird, wer leidet. Wer nicht dauernd glücklich ist, wer sein Leben nicht meistert, der arbeitet nicht genug an sich. Der muss mehr tun.
Um diesem Schatten des Versagens und der Selbstverurteilung zu entgehen, machen sich immer mehr Menschen an die Arbeit und auf den Weg, ihre Innenwelt zu erobern. Das ist jedoch kein geringes, sondern ein gewaltiges Vorhaben, das fachmännische Anleitung erfordert.
Wer das Glück sucht, so will es die Logik, hat es nicht zur Verfügung, zumindest nicht im ersehnten Umfang. Vielmehr lebt er im relativen Unglück. Glückssuche entspringt demnach der Sehnsucht, den unterschiedlichen Schattierungen des Leidens zu entkommen und nicht bloß glückliche Momente, sondern dauernd währendes Glück zu finden, ein Paradies leidfreien Daseins.
Das Glück, das Menschen in den drei beschriebenen Welten (Jenseits, Diesseits, Innenwelt) suchen, ist so ein dauerndes, immerwährendes, endgültiges Glück. Diese Glückssuche drückt die Sehnsucht nach einer immerwährenden Lösung aus, die das Wort „Erlösung“ so treffend beschreibt. Nicht umsonst ist Erlösung ist das zentrale Versprechen jeden Glaubens, auch des modernen Machbarkeitsglaubens. Und weil er Erlösung vom Leiden und dauerndes Glück verspricht, bezeichne ich den Machbarkeitsglauben als Religion des 21. Jahrhunderts.
In dem Glauben, Erlösung auf dem einen oder anderen Weg zu finden, gewinnt der Mensch Zuversicht und sein Leben an Sinn. Glaube, was immer sein Inhalt sein mag, verleiht dem Menschen Orientierung und stiftet Identität. Glaube hat somit eine wichtige Funktion.
Der Jenseitsglaube schuf eine verlässliche innere Heimat; der materielle Diesseitsglaube ermöglichte die Orientierung an gemeinsamen gesellschaftlichen Zielen. Der moderne Selbstglaube allerdings unterscheidet sich von diesen Orientierungen. Er kann sich weder auf göttliche Anordnung noch auf kollektive Ziele berufen, sein Maßstab ist allein das Individuum.
Da sie vollkommen sich selbst überlassen sind, entwickeln moderne Gläubige einen ungeheuren Bedarf an Orientierung: Wo bitte geht es entlang? Worauf kommt es an? Wer kennt den sicheren Weg – zur Erlösung?
In einer individualisierten Welt fast vollständig sich selbst überlassen, bedürfen die meisten Mensch dringend der Wegweisung. Diesem immensen Bedarf an individueller Orientierung steht heute eine unerschöpfliche Auswahl individualisierter Ideologien gegenüber: Reichtums-, Erfolgs-, Gesundheits-, Wachstums-, Schönheits-, Ernährungs-, Glücks- und andere Erlösungsideologien, verbreitet von Priestern in modernen Gewändern.
Hat der Mensch ein Glücksideal gefunden oder hat ein Ideal nach ihm gegriffen, folgt er denen, die es überzeugend verkörpern. Diese Vorbilder sind den ganzen Weg zum Ziel bereits gegangen, sie kennen sich aus und können daher Anweisungen geben. Sie können sich auf Höheres berufen und verfügen über Wahrheit.
Das fiel christlichen Priestern relativ leicht, sie bezogen unumstößliche Wahrheiten aus den Offenbarungen der Apostel. Ford, Grundig, Siemens und andere materiellen Priester überzeugten durch Reichtum und Macht. Die Priester der Machbarkeit behaupten, die Eroberung der Innenwelt aus eigener Kraft vollzogen und die Gipfel möglichen Glücks erklommen zu haben. Das hört sich beim Laufpriester Dr. Strunz so an:
„Ich lebe im Alpha-Zustand. Vollkommen losgelöst. Ich habe die dritte Stufe erreicht. Die Leichtigkeit des Seins. Ein vollkommen neues Lebensgefühl. Das kann ich jedem geben. Ich habe den biologischen Rückenwind. Damit geht alles von selbst. Ich schwebe wie ein Adler. Und das kann jeder haben. Ich habe das Geheimnis, aus normalen Leuten glückliche Menschen zu machen. Das Rezept, die biologische Uhr umzudrehen. Und das Peinliche ist: Es stimmt. Ich verkünde zufällig etwas, was auch funktioniert. Es kann nie schief gehen.“3
Man braucht die modernen Priester nur bei ihren Auftritten zu beobachten, wie sie mit glühenden Augen und mächtigen Worten wahre Wunder bezeugen und höchste Wahrheiten verkünden. Nicht Gott hat zu ihnen gesprochen, sondern in ihrem Gehirn ist ein „Licht angegangen“, wie beim Lauf- und Gesundheitsapostel Dr. Strunz. Das neue Amen lautet Chakka und wird nicht demütig gemurmelt, sondern auf Kommando von Motivationstrainern triumphierend gebrüllt. Man pilgert nicht nach Lourdes, sondern in die Westfalenhalle. Statt Weihwasser wird Motivation gespendet. Nicht Gottes Gnade wird versprochen, sondern die Aussicht, die eigene Welt zu gestalten und die Kontrolle über die eigene Wahrnehmung zu übernehmen. Glücksformeln werden vermittelt und Lebensstrategien entworfen.
Die modernen Prediger der Machbarkeit nennen sich schlicht und einfach Berater. Sie sind die Erlöser des 21. Jahrhunderts, sie bieten Rettung und Befreiung an, eine Beobachtung, die auch der vorhin zitierte Professor Geißler macht:
Beratenwerden ist heute das beliebteste Medium, um Erlösung wahrscheinlicher zu machen.4
Ob früher Priester oder heute Berater, die Berufsbezeichnung mag sich verändert haben, das Versprechen ist das gleiche geblieben. Es lautet bescheiden: „Ich kann dich erlösen.“ Auch das Verhalten der modernen Priester entspricht traditionellen Vorbildern. Der wahre Experte ist, ganz in der Tradition der Missionare, selbstlos. Er will anderen helfen, will Wahrheit verteilen, will den im Dunkeln Umherirrenden Erleuchtung zukommen lassen.
Er wünscht sich, das „ganz Deutschland lächelt“, wie der fanatische Laufmissionar Dr. Strunz. Er hat sich anderen verpflichtet, wie der fragwürdige Money-Coach Schäfer: „Als ich das erkannt hatte, ist in mir das tiefe Bedürfnis entstanden, mein Wissen weiterzugeben. Ich habe mich verpflichtet, jeden, mit dem ich in Berührung komme, auf seinem Weg in die finanzielle Freiheit zu unterstützen.“5 Dem modernen Priester ist es „ein großes Anliegen [...] zur Bewusstseinsentfaltung vieler Menschen“6 beizutragen, und er „möchte möglichst viel von dem, was ich erhalten habe, wieder an andere weitergeben“, wie der dubiose Erfolgstrainer Höller es formuliert. 7 Er will den gewöhnlichen Alltag der Menschen in eine stetig sprudelnde Glücksquelle umwandeln, wie der agile Glücksforscher Csikszentmihalyi.
Von diesen Beratern geht eine große Faszination aus. Sie halten die Fahne hoch, unter der sich Suchende versammeln. So ist im Machbarkeitsglauben ein Rollenspiel zwischen Orientierung Suchenden und Orientierung Bietenden im Gange, in dem sich beide Gleiches vormachen. Der eine gibt vor zu wissen und bietet seine Wahrheit an, der andere hofft darauf zu finden, und beide rufen begeistert aus: „Wir haben ES gefunden“ – das Land, wo Milch und Honig fließen.
Die Methode der Machbarkeitspriester ist so alt wie effektiv. Sie lautet: Verkaufe den Menschen ihre eigenen Hoffnungen und Sehnsüchte. Daher lautet die frohe Botschaft des 21. Jahrhunderts schlicht und einfach: Alles ist machbar! Es liegt nur an dir!
In den Medien und auf Buchtiteln wird diese frohe Botschaft beispielhaft formuliert:
Die Glücksformel. 8
Alles ist möglich. Strategien zum Erfolg.9
Das Geheimnis des Glücks.10
Glück ist kein Zufall.11
Lebe ehrlich – werde reich!12
So werden Sie spielerisch reich an der Börse!
Neu aus USA: Die Glücksmassage!13
Forever young!14
Alles, was Sie stark macht! Die 33 besten Tipps!15
Kau dich gesund!16
Bio-Diät: Ihr Wunschgewicht ein Leben lang!17
Liebe, Erfolg, Lebenslust. So kriegen Sie alles, was Sie wollen!18
Verliebt in einen schwierigen Mann? So beherrschen Sie das Spiel!19
Karriere und Liebe: Jetzt bin ICH dran!20
Der Schlüssel zu Wohlstand und Vitalität!21
Schaffen Sie sich Ihre Wirklichkeit selbst!22
Glück ist machbar.23
Gegen jede Art von Unlust und Unglück scheint mittlerweile ein Mittel gefunden worden zu sein. Mihaly Csikszentmihalyi beispielsweise, der vielleicht weltweit bekannteste Glücksforscher, hat Flow – das Geheimnis des Glücks entdeckt. Dale Carnegie weiß alles über Die Kunst, zu einem von Ängsten und Aufregungen befreiten Leben zu finden. Und die Neue Psychologie des Glücks von Stefan Lermer zeigt jedermann Wege zu dessen endgültiger Verwirklichung – um nur einige zu nennen. Lösungen werden heute angeboten und verkauft wie einst Hostien und Ablass. Sie haben ein Problem? Kein Problem, denn irgendein Berater verfügt ganz sicher über die passende Lösung.
Wo alles machbar erscheint, entwickeln sich Erleuchtungen und Wahrheiten modernster Art zum Schlüssel des Glücks. „Wissenschaftliche Erkenntnisse“, „Forschungsergebnisse“, „Psychotechniken“ und „Bewusstseinstechniken“ sowie die dazu gehörenden „Künste“, „Geheimnisse“ und „Strategien“ sind das Land, wo heute Milch und Honig fließen.
Fasziniert vom Land, wo Milch und Honig fließen, und fasziniert von der Aussicht, ihr Leben kontrollieren zu können, lassen sich die Menschen beraten, kaufen Bücher, besuchen Seminare, lassen sich trainieren oder selbst zu Beratern ausbilden. Das Wissen um Erlösung und die entsprechenden Techniken scheinen so für jedermann verfügbar zu sein. Auf diesem freien Markt der Möglichkeiten unterliegt die Machbarkeit sämtlichen Mechanismen von Markt und Werbung. Den Gläubigen begegnet auf ihrer Glückssuche daher viel Vertrautes aus der Warenwelt, insbesondere:
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