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Die Heilerinnen von Aragón E-Book

Guido Dieckmann

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Beschreibung

Im Spanien der drei Kulturen kämpfen zwei Frauen für ihr Glück. Emirat Granada, 1359. Behütet von ihrem Großvater Samu, dem jüdischen Leibarzt des Emirs Muhammad, wachsen die Cousinen Floreta und Ceti Seite an Seite auf – bis der weltoffene Emir von seinem eigenen Halbbruder gestürzt wird. Floreta und Ceti werden auf dem Sklavenmarkt verkauft, doch es gelingt ihnen die Flucht ins Königreich Aragón. Nur ihre Liebe zu Pflanzen und Kräutern gibt den jungen Frauen die Kraft, an ihrem Traum festzuhalten: Sie wollen Heilerinnen werden. In dem gutmütigen Kapuzinermönch Pablo und dem blinden Sahin, einem Gewürzwarenhändler aus ihrer Heimat Granada, finden sie ihre Lehrer. Doch Neid, Intrigen und Lügen bedrohen ihre Freundschaft. Und ihr Leben ... «Guido Dieckmann: ein Garant für spannende historische Unterhaltung.» (Iny Lorentz)

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Guido Dieckmann

Die Heilerinnen von Aragón

Historischer Roman

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Im Spanien der drei Kulturen kämpfen zwei Frauen für ihr Glück.

 

Emirat Granada, 1359. Behütet von ihrem Großvater Samu, dem jüdischen Leibarzt des Emirs Muhammad, wachsen die Cousinen Floreta und Ceti Seite an Seite auf – bis der weltoffene Emir von seinem eigenen Halbbruder gestürzt wird. Floreta und Ceti werden auf dem Sklavenmarkt verkauft, doch es gelingt ihnen die Flucht ins Königreich Aragón.

Nur ihre Liebe zu Pflanzen und Kräutern gibt den jungen Frauen die Kraft, an ihrem Traum festzuhalten: Sie wollen Heilerinnen werden. In dem gutmütigen Kapuzinermönch Pablo und dem blinden Sahin, einem Gewürzwarenhändler aus ihrer Heimat Granada, finden sie ihre Lehrer. Doch Neid, Intrigen und Lügen bedrohen ihre Freundschaft. Und ihr Leben ...

 

Über Guido Dieckmann

Emirat Granada

1359

Kapitel 1

 

Alhambra, Juli 1359

 

 

In jener Nacht, als sich der Mond wie ein Feuerball in den prächtigen Wasserbecken der Palastgärten spiegelte, überwand eine Anzahl vermummter Gestalten lautlos die Mauern der Alhambra. Katzenhaft suchten ihre Augen die Umgebung ab, bereit, sich auf jeden zu stürzen, der ihnen begegnete. Dann schwärmten sie aus. Einige schlugen den Weg zum Gannat al-Arif ein, dem Garten der Architekten, andere wählten den Pfad, der die Festung mit dem Sommerpalast der Nasriden verband. Von Zeit zu Zeit blieben sie stehen und lauschten, bevor sie weiterschlichen.

Im Innern des Palastes blieb alles still. Kein Laut war zu hören. Nicht einmal von den schlaftrunkenen Wächtern der Alcazaba, auf die sich die Eindringlinge nun stürzten. Blitzschnell zogen sie den Männern ihre Dolche durch die Kehlen und eilten weiter.

Die Vermummten waren Diener der Stille und vermieden jedes Geräusch. Sie sprachen nicht, weil kaum einer von ihnen noch über seine Zunge verfügte. Ihr Auftrag lautete, den Palast einzunehmen und diejenigen zu töten, die den Rivalen um den Thron von Granada zu mächtig geworden waren. Ein einziges Mal schallte ihr Kampfschrei durch die Nacht: der Ruf eines Pfaus, der von den rötlichen, mit Koranversen verzierten Mauern widerhallte und durch die offenen Fenster des Palastes drang.

 

Erschrocken richtete sich die junge Floreta auf und ließ die Decke, die ihr eine Sklavin über die Beine gelegt hatte, geräuschlos zu Boden gleiten. Die Nacht war viel zu heiß, um sich zuzudecken. Seit Tagen schon brütete ganz Granada unter einem Teppich aus flimmernder, glühender Luft. Floreta, die ihren Großvater hin und wieder zur Kasbah begleitete, hatte sich gefreut, dass der Schlafplatz, den man ihr und der Tochter ihres Onkels gegeben hatte, im Sommerpalast lag, denn die Springbrunnen in dem großen, von blühenden Blumenanlagen gesäumten Bassin versprachen wenigstens einen Hauch von Kühlung.

Noch einmal schrie der Pfau schrill auf. Floreta vermutete, dass er durch den angrenzenden Garten der Sultanin streifte, schlaflos wie sie und auf der Suche nach Bewunderern. Der Emir liebte diese Tiere für die Anmut ihrer hoheitsvollen Bewegungen und bestand darauf, seinen aus Zedernholz geschnitzten Stuhl mit ihren Federn zu schmücken. Von seinen Lieblingsvögeln um den Schlaf gebracht zu werden, hasste er jedoch, weshalb die Tiere für gewöhnlich in den Gärten seines Wesirs umherspazierten, die ein wenig abgelegen waren.

Floreta richtete ihren Blick auf den Hügel im Osten. Im Schein der Wachfeuer sahen die niedrigen, weiß gestrichenen Häuser darauf aus wie die Punkte auf einem Fliegenpilz. Das Mädchen spürte ganz deutlich, dass in dieser Nacht etwas anders war als sonst. Aber was? Sie suchte nach dem von Zypressen und Mauern umgebenen Gebäude mit dem bunten Sonnensegel auf dem Dach, unter dem sie und ihre Cousine so gern schliefen, wenn sie es in der stickigen Kammer nicht mehr aushielten. Das Haus überragte alle anderen auf dem Hügel, doch es sah leblos aus, fast so als wäre es von seinen Besitzern schon vor langer Zeit aufgegeben worden. Doch dieser Gedanke war absurd. Hatte sie dort nicht erst vor wenigen Stunden geeisten Honig genascht und der alten Salome bei der Arbeit am Webstuhl zugesehen? Die Frau, die seit ihrer Kindheit ein Kämmerchen im Haus bewohnte, schuf die prachtvollsten Teppiche, die Floreta sich vorstellen konnte, und war in ganz Granada für ihre Kunstfertigkeit geachtet. Floretas Großvater verschenkte ihre Teppiche an Freunde in ganz Spanien. Er war stolz darauf, dass einige davon sogar in den Gemächern des Emirs lagen.

Der Arzt Samu liebte die prachtvollen Paläste der Alhambra und betrachtete es als Ehre, in der Nähe seines Gebieters luxuriöse Räume bewohnen zu dürfen. Floreta dagegen war es stets ein wenig peinlich, in der Kasbah zu übernachten. Auf Befehl des Emirs lasen die Sklavinnen der Alhambra ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Sie badeten sie in Lavendelwasser, salbten ihren Körper mit wohlriechenden Pasten und servierten ihr die köstlichsten Speisen. Und das allein, weil ihr Großvater bereits dem Vater des jungen Emirs Muhammad als Leibarzt gedient hatte. Der Alte galt als einer der besten Ärzte Andalusiens und wurde darüber hinaus auch als persönlicher Vertrauter der Herrscherfamilie geschätzt.

Floreta beugte sich über die Brüstung und starrte hinunter in den Garten. Es war windstill, nicht die leiseste Brise erfrischte die Nacht. Ein süßlicher Blütenduft, schwer und klebrig wie Honig, stieg ihr in die Nase. Auf einer Bastmatte hinter ihr rief eine ältere, dunkelhäutige Sklavin im Schlaf nach einer gewissen Yasemin, möglicherweise ihre Tochter oder Schwester.

Plötzlich fiel Floretas Blick auf einige schattenhafte Umrisse, die sich entlang der Mauer des gegenüberliegenden Gebäudes bewegten. Erschrocken registrierte sie ein dumpfes Krachen aus der Richtung, in der sich das südliche Tor befand. Ein letztes Mal erklang der Pfauenruf. Floreta stürzte zu dem Gong, der neben der Tür stand, doch noch ehe sie den Klöppel fand, um Alarm zu schlagen, wälzte sich ein Strom von Männern durch das äußere Tor und stürmte geradewegs auf den Palast zu. Alle waren mit Säbeln und Dolchen bewaffnet. Endlich kamen die Wachen des Emirs herbeigelaufen. Todesmutig warfen sie sich auf die Eindringlinge, doch gegen die Übermacht der Diener der Stille hatten sie keine Chance. Einer nach dem anderen fielen sie unter den tödlichen Hieben der Angreifer.

Diese kannten keine Gnade. Wie gelähmt vor Entsetzen beobachtete Floreta, wie der junge Gardehauptmann Mustafa, mit dem sie als Kind manchmal gespielt hatte, mit einigen wenigen Verteidigern in den Hof des Wasserkanals gedrängt wurde. Mustafa wehrte sich tapfer und verbissen. Obwohl er schon aus mehreren Schnittwunden blutete, parierte er die meisten Säbelhiebe mit dem Mut der Verzweiflung. Floreta sah, wie ihr Jugendfreund einem der Vermummten seine Klinge durch die Kehle zog, doch ihm blieb keine Zeit, Atem zu holen, denn im Nu löste sich aus dem Schwarm der Angreifer ein anderer, der wie das Spiegelbild des Gefallenen aussah. Lautlos wie eine Katze stürzte dieser sich auf Mustafa und drängte ihn mit seinem Säbel zurück zu den Wasserbecken.

Die Männer des Hauptmanns blickten sich nach einem Ausweg um, fanden aber keinen. Schreie hallten durch die Gärten. Es gab kein Entkommen. Das Wasser des großen Beckens spritzte auf, als die ersten Gardesoldaten des Emirs hineingestoßen wurden. Im Nu färbte es sich rot.

Mustafa focht nunmehr ganz allein am Rand des Wasserbeckens um sein Leben. Er war zu Tode erschöpft. Mit letzter Kraft parierte er einige Hiebe, die nun von allen Seiten auf ihn einprasselten. Dennoch schien er Floreta mit den Augen eine Warnung zu schicken: Der Palast ist verloren und mit ihm der Emir. Flieh! Sieh zu, dass du am Leben bleibst!

Für ihn selbst gab es indes keine Rettung, das schien er zu ahnen. Floreta schrie von Grauen erfasst auf, als ein heftiger Säbelhieb Mustafas Schulter spaltete. Blut schoss aus der Wunde. Mustafa ließ seinen Säbel fallen und riss den Arm über den Kopf, reflexartig, als hinge er an den Schnüren eines Puppenspielers. Dann erhielt er einen Stoß und fiel rücklings in das Wasserbecken, in dem er leblos unterging.

Der Mann, der auf ihn eingeschlagen hatte, wischte sich den Schweiß von der Stirn, bevor er sich langsam umdrehte und Floreta entdeckte. Einen Atemzug lang begegneten sich ihre Blicke.

Plötzlich wurde Floretas Tür aufgestoßen, doch es war keiner der Eindringlinge, sondern ihr Großvater, der kreidebleich über die Schwelle stolperte. Der alte Mann hatte sich einen knöchellangen Kaftan übergeworfen, den er raffen musste, um nicht über den Saum zu stolpern. Sein sonst so gepflegtes weißes Haar stand ihm wirr vom Kopf ab. Floretas Blick fiel auf den Dolch in seiner Hand. Nie zuvor hatte sie ihn bewaffnet gesehen, und die Art, wie er die Waffe hielt, weckte in ihr Zweifel, dass er sich oder sie damit verteidigen konnte.

«Rasch, Kind, wir müssen fliehen!» Samu blickte sich in dem halbdunklen Raum um, als befürchtete er, die Mauern könnten jeden Augenblick einstürzen. «Wo ist Ceti?»

Floreta zuckte ratlos mit den Schultern. Ceti war die Tochter ihres Onkels, der vor einigen Jahren an der Pest gestorben war, und wurde seitdem im Haus ihres Großvaters erzogen. Anders als Floreta hatte ihre Verwandte jedoch nie Interesse für die Arbeit des Alten gezeigt. Erst seit diesem Sommer bettelte sie häufig darum, ihn und Floreta zur Kasbah begleiten zu dürfen. Während Floreta Samu dabei half, Kranke zu behandeln, trieb sie sich im Palast oder in den Gärten herum. Samu gefiel das nicht. Er und Ceti hatten sich deswegen schon einige Male gestritten. Dass sie aber ausgerechnet in dieser Nacht das Schlafgemach verlassen hatte, erschütterte Samu.

Die alte Dienerin, die wie angenagelt auf ihrer Bastmatte verharrte, begann zu jammern, zu beten und sich die ergrauten Haare zu raufen. «Wir werden alle totgeschlagen», stöhnte sie gequält auf.

Samu beachtete sie nicht. Stattdessen packte er Floreta am Handgelenk und zerrte sie hinter sich her. Auf dem Weg durch den Korridor des Gästehauses befahl er ihr, die Augen zu schließen, denn sie mussten über die Leichen zweier Diener steigen, die in einer Blutlache lagen. Die Eindringlinge waren demnach bereits hier gewesen, wovon auch die Todesschreie und das Stöhnen der Sterbenden zeugten, welches durch diesen Teil der Palastanlage hallte. Floreta war wie gelähmt, dennoch widerstand sie nur mühsam dem Drang, sich loszureißen und hinüber zum Wasserbecken zu laufen, um nach Mustafa Ausschau zu halten. Vielleicht lebte er noch. Ja, es war doch möglich, dass ihm noch zu helfen war.

Doch ihr Großvater schüttelte nur den Kopf. Ohne auch nur einen Blick zurück auf den Palast zu werfen, eilte er durch den Garten der Sultanin und zog Floreta hinter sich her. Gerade noch rechtzeitig gelang es ihnen, hinter einem wuchtigen Steinkübel in Deckung zu gehen, als eine Schar Flüchtlinge das Gartentor aufstieß. Es waren Bedienstete und Beamte des Emirs, ihre Frauen nur notdürftig gekleidet und verschleiert, die Männer mit Messern und Knüppeln bewaffnet. Auch die Alte, die in Floretas Kammer geschlafen hatte, war bei ihnen. Erleichtert wollte Floreta aufstehen, um sie zu rufen, doch Samu hielt ihr den Mund zu und zwang sie mit eisernem Griff, in ihrem Versteck zu bleiben.

«Wir dürfen nicht zu ihnen gehen», raunte er ihr heiser zu. «Sie könnten uns verraten.»

Floreta sah, wie die Gruppe der Fliehenden auf den überdachten Fußweg zuhielt, der über die Schlucht zum alten Sommerpalast führte.

«Sie erhoffen sich Schutz von Muhammad», flüsterte Samu bitter. «Aber der Emir wird ihnen nicht helfen. Wie auch? Wenn er nicht gewarnt wurde, ist er vermutlich selbst schon tot.»

Der Emir tot? Floreta dachte an die weichen, jungenhaften Züge des Mannes, der seit kaum einem Jahr die Geschicke Granadas lenkte. In den Gassen und Basaren der Stadt hatte sie noch kein böses Wort über ihn fallen hören. Natürlich hatte auch über seinen Vater, den alten Jussuf, niemand schlecht gesprochen, dem seine Zunge lieb war, aber von Muhammad war bekannt, dass er seinem von Aufruhr und Krieg gegen die christlichen Nachbarn gebeutelten Reich eine Atempause gönnen wollte. Er beabsichtigte, Granada durch Handel sowie die Förderung der Wissenschaften und Künste aufblühen zu lassen. Niemals hätte Floreta vermutet, dass sich der junge Emir gerade dadurch Feinde gemacht hatte.

Die Fliehenden befanden sich schon weit über der Schlucht, als der Ruf des Pfaus ertönte und die Vermummten auftauchten. Einige von ihnen folgten den Männern und Frauen über die Schlucht, während andere sie am Ende des Wegs mit gezückten Waffen erwarteten.

Floreta begann zu weinen. «Wir müssen doch etwas tun, um ihnen zu helfen», schluchzte sie leise.

Samu legte seinen Arm um die Schultern des Mädchens, aber er war offenbar selbst zu verängstigt, um seine Enkeltochter zu trösten. Eine Weile wartete er, ob noch weitere Angreifer durchs Tor kamen, dann aber wagte er es, das Versteck hinter dem Kübel zu verlassen. Floreta folgte ihm so leise sie konnte. Sie war inzwischen überzeugt, dass diese Menschen mit dem Bösen paktierten und so auch das kleinste Geräusch hören konnten. Als sie einen letzten Blick zur Schlucht warf, stockte ihr der Atem.

Die Vermummten hatten die kleine Schar eingeholt, der nun auch noch der Rückzugsweg versperrt war. Kaltblütig stießen die Männer ihre Säbel in Leiber oder schlugen Köpfe ab. Ein entsetzliches Massaker, das erst ein Ende nahm, als auch der letzte Körper blutig und zerschmettert in der Schlucht lag. Floreta wurde übel, die Schreie der Gejagten brannten sich in ihr Gehör. Und immer wieder sah sie vor sich, wie Mustafa im schäumenden Wasser des Bassins versank.

Zu Tode erschöpft, schleppten sie und Samu sich weiter, zuerst hinaus aus dem Garten der Sultanin, dann durch den Hof des Wasserkanals, in dem sich Angreifer und Verteidiger noch immer ein erbittertes Gefecht lieferten. Der Sommerpalast war gefallen, er bot keinem mehr Zuflucht. Aus einigen Fenstern des Palastes wurden Teppiche, geschnitzte Truhen, Schatullen mit Schmuck und Kannen aus Kupfer und Silber ins Freie geworfen. Samu konnte gerade noch rechtzeitig ausweichen, um nicht von einem länglichen Kasten am Kopf getroffen zu werden. Er blieb stehen und stöhnte, als er den Behälter erkannte. Er gehörte ihm. Darin bewahrte er ärztliches Besteck auf: silberne Skalpelle und Sonden aller Art, Seidenfäden, um Wunden zu nähen, ein goldenes Hämmerchen und verschiedene Medikamente und Kräuter. Ohne zu zögern, hob er den Kasten auf und warf ihn sich über die Schulter. Floreta kannte den alten Mann gut genug, um zu wissen, dass er ihn keinem Plünderer überlassen würde, solange noch ein Funken Leben in ihm war.

Gemeinsam eilten sie auf den Turm zu, der sich am Rand der Befestigungsanlage über der Alhambra erhob. Auf den Zinnen flatterte die Flagge des Emirs, woraus Samu schloss, dass dieser Teil der Alhambra noch in den Händen des Herrscherhauses war. Er wollte gerade um Einlass bitten, als sich ihm plötzlich wie aus dem Nichts zwei Gestalten in den Weg stellten. Offensichtlich hatten die beiden den Turm beobachtet. Nun schnellten sie auf Floreta zu. An ein Entkommen war nicht mehr zu denken. Nur noch wenige Schritte, dann würden sie sie erreicht haben. Floreta stöhnte auf, als sie in einem der Krieger Mustafas Mörder wiedererkannte. Der Mann hatte im Palastgarten zu ihr hinaufgesehen und sich an ihrem Entsetzen berauscht. Er würde sie töten.

Der gellende Schrei des Pfaus drang an Floretas Ohr. Es klang so nah, als würde das Tier direkt an ihr vorbeispazieren. Zitternd wich sie zurück und schlug in heller Verzweiflung gegen das Tor. Irgendjemand dort drinnen musste sie doch hören. Man durfte sie doch nicht einfach hier draußen sterben lassen!

Der Diener der Stille sagte keinen Ton, er kam einfach nur näher. Wenn die Männer im Turm ihr jetzt nicht öffneten, war sie verloren. Aber weder im Innern noch oben auf den Zinnen regte sich etwas. Vermutlich hatte die Palastgarde den Befehl, sich zu verschanzen und den prunkvollen Thronsaal des Emirs um jeden Preis zu halten.

Doch keiner der Verteidiger hatte mit der Tücke des Pfaus gerechnet. Er würde sich seine Federn zurückholen.

Kapitel 2

 

 

Eine Hand griff nach Floreta und zerrte sie so grob vom Tor fort, dass sie ihre Sandalen verlor. Sie schlug um sich, wollte sich losreißen, aber ein kräftiger Stoß beförderte sie zu Boden. Ihr Schleier verrutschte, Staub drang ihr in Augen und Nase. Nur verschwommen nahm sie wahr, wie einer der Männer ihrem Großvater den Arm auf den Rücken drehte und dann auf ihn einschlug, bis er blutend in die Knie ging. Floreta spürte, wie sich spitze Steine in ihren Rücken bohrten. Der Mann, der sich nun breitbeinig über sie beugte, riss ihr mit einer einzigen Bewegung seines Säbels den seidenen Schleier ganz vom Kopf. Floreta besaß dichtes, zimtfarbenes Haar, auf das sie sehr stolz war, doch der maurischen Sitte folgend, hatte sie es sich zur Gewohnheit gemacht, es zu bedecken, sobald sie das Haus verließ. Samu hatte ihr und Ceti beigebracht, dass es sich für sie als Angehörige einer Minderheit in Granada gehörte, den Glauben der Herrschenden und des einfachen Volkes zu respektieren. Nun, als der Fremde mit seiner Klinge durch ihr Haar strich, wäre sie vor Scham am liebsten gleich gestorben.

«Wer bist du?», würgte sie unter Tränen hervor. «Was wollt ihr? Warum tut ihr das?»

Anstelle einer Antwort befreite sich der Mann von dem Tuch vor seinem Mund, hinter dem ein bärtiges, sonnenverbranntes Gesicht zum Vorschein kam. Er öffnete den Mund und offenbarte Floreta mit sichtlichem Genuss die Ursache für sein Schweigen.

Samu wehrte sich mit einer Verbissenheit, die Floreta ihrem Großvater nie zugetraut hätte. Seinen Angreifer schien das zu amüsieren, denn er begann mit dem alten Arzt zu spielen wie eine Katze mit der Maus. Immer wieder gestattete er ihm aufzustehen, nur um ihn gleich darauf mit Tritten wieder zu Boden zu schicken. Irgendwann wurde er des Spiels überdrüssig und zog den Säbel aus seiner Schärpe. Floreta stieß einen gequälten Schrei aus, als der Krieger ausholte. Doch Samu bewies eine erstaunliche Geistesgegenwart. Er hob seinen Arzneikasten auf, der neben ihm zu Boden gefallen war, und stemmte ihn vor sich. Das Holz des Deckels fing den Säbelhieb auf, was den vermummten Krieger einen Herzschlag lang aus dem Gleichgewicht brachte. Samu nutzte seinen Vorteil, ohne zu zögern. Blitzschnell zog er seinen eigenen Dolch aus dem Kaftan, rammte ihn dem überraschten Mann in den Leib und zog ihn wieder heraus. Sein Kamerad ließ daraufhin von Floreta ab und wandte sich Samu zu. Ein heiseres Grollen entwich seiner Kehle. Der Alte stand neben dem Toten, wie vom Blitz getroffen. Verwirrt starrte er auf die Klinge in seiner Hand, von der Blut herabtroff. Er wich nicht einmal zurück, als der zweite Mann sich wie ein Raubtier an ihn heranpirschte.

Doch ehe er Samu töten konnte, erstarrten auch seine Bewegungen. Sein auflodernder Zorn hatte ihn zum Leichtsinn verführt, und in der Annahme, mit dem Alten und dem Mädchen leichtes Spiel zu haben, hatte er die beiden Torflügel des Turms aus den Augen verloren. Sie wurden nun mit einem knarrenden Laut aufgestoßen, und ein Mann stürmte, mit einem Schwert bewaffnet, auf den Vorplatz hinaus. Gleichzeitig prasselte ein Hagel von Pfeilen auf den Vermummten herab. Getroffen sank er zu Boden, noch bevor der Mann mit dem Schwert ihn erreichte. Dieser zählte etwa vierzig Sommer, war von gedrungener Gestalt und fast kahl. Sein energisches Kinn schmückte ein rötlicher Bart, der seinem bäuerlich breiten Gesicht einen Hauch von Verschlagenheit verlieh. Floreta erkannte in ihm Ruben Perez, einen Mann, der seit ihrer frühesten Kindheit in ihrem Viertel lebte und sich mit Botengängen durchschlug, die ihn nicht nur zur Alhambra, sondern auch oft ins Haus ihres Großvaters führten. Nun half er Floreta beim Aufstehen und trieb dann sie und Samu durchs Tor in den Turm hinein.

Im Saal der Botschafter empfing Floreta ein brausendes Stimmengewirr. Die Menschen, die vor dem Thron des Emirs Zuflucht suchten, redeten alle durcheinander. Wie Floreta und ihr Großvater waren sie im Schlaf überrascht worden und hatten nichts als ihr nacktes Leben gerettet. Nun saßen sie auf Matten, Teppichen oder dem blanken Fußboden. Während Wasserträger durch die Reihen zogen, kontrollierten Soldaten die winzigen vergitterten Fenster. Floreta hatte einmal gehört, der Turm mit dem Thron des Emirs sei uneinnehmbar, doch hatte man sich das nicht auch von der gesamten Alhambra erzählt? Und doch hatten die Eindringlinge es fast mühelos geschafft, die Mauern zu überwinden und Muhammads Garde zu überwältigen.

Floreta war fast krank vor Sorge um Ceti. Wo mochte sie stecken? Warum hatte sie sich zu nachtschlafender Zeit aus ihrem Quartier geschlichen? Hatte sie etwas von dem Überfall geahnt und sich daher klammheimlich aus dem Staub gemacht? Nein, niemals hätte sie es über sich gebracht, ihren alten Großvater und ihre beste Freundin ahnungslos zurückzulassen. Womöglich war es ihr gelungen, sich zu verstecken, und nun suchte sie nach ihren Verwandten.

Voller Unruhe durchschritt Floreta den prächtigen Saal, wobei sie zur Kuppel hinaufstarrte, die einem Sternenhimmel nachempfunden war. Winzige Lichtpunkte glitzerten im Schein der Lampen, als sei die Kuppe mit Silber, Perlmutt und Elfenbein verziert. Unter normalen Bedingungen hätte dieser Anblick Floreta den Atem geraubt, doch in ihrer Sorge um Ceti und ihre eigene Zukunft fand sie keine Zeit, die verschwenderische Pracht des Thronsaals zu bewundern.

Samu erspähte nach schier endlosem Umherirren einen Bekannten, den er zuweilen zur Ader ließ. Es war Raschid, der Wesir des Emirs und einer der einflussreichsten Würdenträger Granadas. Von seiner üblichen Gelassenheit war indes nicht viel geblieben. Er schwankte, sein Gewand war zerrissen, und aus einer Wunde am rechten Arm quoll Blut. Dennoch gab er sein Bestes, um den Verschanzten Mut zuzusprechen. Als er Samu erblickte, befahl er seinem Leibdiener, ihn durchzulassen.

«Platz für den Hakim», brüllte dieser eine Gruppe von Frauen an, die sich auf dem Fußboden niedergelassen hatten. «Das ist der Leibarzt und Berater unseres geliebten Gebieters.»

Floreta folgte ihrem Großvater durch das Gedränge, und auch Ruben, der noch immer sein Schwert fest umklammert hielt, schloss sich seinen Nachbarn an.

«Gelobt sei Allah, dass du hier bist, Hakim!» Der Wesir deutete auf seinen Arm. «Rasch, du musst mich verbinden. Dann kannst du dich um die anderen kümmern. Wie du siehst, bin ich nicht der Einzige, der eine Stichverletzung abbekommen hat.»

Samu nickte, froh darüber, gebraucht zu werden. Mit dem Schwert in der Hand konnte er in seinem Alter nichts mehr ausrichten, dafür wusste er mit ärztlichem Besteck umzugehen. Sogleich schickte er Floreta zu den Wasserträgern, um sich eine Schale füllen zu lassen, dann entnahm er seinem Kasten saubere Leinenstreifen sowie eine scharfriechende Tinktur und begann damit, die blutende Wunde des Wesirs zu reinigen.

«Wo ist der Emir?», platzte es aus Floreta heraus, nachdem sie und Ruben die Dinge, um die Samu sie gebeten hatte, um ihn herum aufgebaut hatten. «Ist er noch im Palast?»

Der Wesir hob mürrisch den Blick und fixierte sie mit leicht glasigen Augen. Samu hatte ihm ein wenig Opiumpulver gegen die Schmerzen angeboten, doch Raschid wollte bei vollem Bewusstsein bleiben, denn ihm war klar, dass die Mauern des Turms den Menschen nur vorübergehend Schutz boten. Die Wachsoldaten des Emirs waren völlig aufgerieben, die meisten bereits tot. Nur eine kleine Schar leistete noch Widerstand, doch zweifellos würde auch diese in den nächsten Stunden zusammenbrechen.

«Wer ist dieses Mädchen, das es wagt, einen Würdenträger des erhabenen Muhammad von Granada ungefragt anzusprechen?» Der Wesir biss die Zähne zusammen, aber er klang eher hilflos als verärgert.

«Meine Enkeltochter meint es nicht so, ehrwürdiger Herr», beschwichtigte ihn Samu, während er eine heilende Paste aus Ringelblumen und anderen Kräutern auf den Arm des Wesirs auftrug. «Im Hof der Sultanin musste sie Schreckliches mitansehen, und vor dem Turm entging sie nur mit knapper Not einem der Stummen, möge der Fremde in den tiefsten Höllen verbrennen.»

«Der Fremde?» Raschid lachte bitter auf, verzog aber im nächsten Moment das Gesicht. «Diese Mörder wurden vermutlich an der nordafrikanischen Küste angeworben und haben sich heimlich in kleinen Gruppen in die Stadt geschlichen. Vielleicht als Händler verkleidet, so erregten sie an den Stadttoren keinen Argwohn. Aber der Mann, der sie anlockte wie ein Honigtopf die Wespen, lebt hier im Palast. Machen wir uns nichts vor, ihr kennt ihn alle. Es ist …», er dämpfte die Stimme, «… Ismail.»

Floreta blickte sich voller Unbehagen um, ob jemand dem Wesir zugehört hatte, denn eine solche Beschuldigung laut auszusprechen, konnte einen leicht den Kopf kosten. Prinz Ismail war ein Halbbruder des Emirs und im Volk weder beliebt noch besonders beachtet. Er bewohnte den Sommerpalast, seit Muhammad über Granada herrschte, doch womit er sich dort die Zeit vertrieb, wusste niemand so genau. In die Regierung des Emirs mischte er sich nicht ein, ja, Politik schien ihn gar nicht zu interessieren. Daher kam Floreta die Anschuldigung des Wesirs, ausgerechnet Ismail könnte die blutige Revolte dieser Nacht angezettelt haben, mehr als absurd vor. Samu schien ihre Zweifel zu teilen, denn Floreta sah, wie seine Lippen ein spöttisches Lächeln umspielte.

«Ismail ist doch nichts als ein dummer Junge. Er lebt von den Zuwendungen seines Bruders und besitzt kaum genug Geld, um sich auf dem Basar ein paar Pantoffeln zu kaufen.»

Raschid wandte sich verächtlich schnaubend ab, wobei er aufpasste, seinen mittlerweile dick bandagierten Arm zu schonen. «Glaub, was du willst, Hakim Samu. Aber ich weiß genau, dass Prinz Ismail der Drahtzieher hinter diesen Schandtaten ist. Mehr als einmal habe ich versucht, den Emir davon zu überzeugen, ihn und seine intrigante Mutter aus Granada zu verbannen. Doch dafür ist es jetzt zu spät. Muhammad hat sämtliche Warnungen in den Wind geschlagen, dafür muss er nun die Verantwortung tragen.»

«Ist er geflohen?»

Der Wesir nickte düster. «Durch die Schlucht, soviel ich weiß. In Frauenkleidern, möge Allah ihm vergeben. Ich selbst leuchtete ihm und seiner Begleiterin ein Stück weit, aber dann lief ich rasch zur Kasbah zurück, um seine Spur zu verwischen. Prinz Ismail darf seiner unter keinen Umständen habhaft werden, sonst ist alles verloren!»

Floreta schwirrte der Kopf, gleichzeitig bekam sie Angst. Wenn der Wesir die Wahrheit sagte und Prinz Ismail nach der Macht griff, würde dieser sich für die ihm zugefügten Demütigungen rächen. Gnadenlos würde Ismail jeden beseitigen, der im Ruf stand, dem Emir treu und ergeben gewesen zu sein. Dazu gehörte aber nicht nur Raschid, sondern auch ihr Großvater. Samu war Arzt, Philosoph und Gelehrter. Nach dem Tod des alten Emirs Jussuf war ihm die Ehre zuteilgeworden, dessen Erben in den Wissenschaften zu unterrichten. Im Gegenzug dazu war Samu von Emir Muhammad zu dessen Vertrautem erklärt und in viele seiner Pläne eingeweiht worden. Muhammad wollte aus Granada einen Ort der Gelehrsamkeit und der Künste machen. Er plante eine Schule, keine Koranschule oder Madrasa, wie es sie vielerorts in der Stadt gab, sondern eine Einrichtung, an der man sich weltliches Wissen aneignen konnte. Gemeinsam mit Samu träumte er auch von einem Hospital. Zu viel über die Mächtigen des Landes und die politischen Ziele des Herrschers zu wissen, war jedoch riskant. Samu war klug genug gewesen, sich rechtzeitig zurückzuziehen und die Politik Männern wie Raschid zu überlassen. Ob Ismail ihn deshalb aber ungeschoren lassen würde, war fraglich.

Floreta merkte, wie ihr Großvater ihre Hand ertastete und sie einen kurzen Moment lang so heftig drückte, als wollte er sie nie wieder loslassen. Sie konnte seine Angst spüren.

Und dann kam ihr etwas in den Sinn. «Dieses Mädchen, das Muhammad durch die Schlucht begleitet hat …»

«Eine seiner Gespielinnen», unterbrach der Wesir sie schroff. «Wir müssen ihr dankbar sein, denn sie hat den Emir rechtzeitig gewarnt und ihn überredet, ihre Kleider anzuziehen.» Er runzelte die Stirn und reckte das fleischige Kinn. «Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich das Mädchen schon einmal bei dir gesehen, Samu. Hast du nicht noch eine zweite Enkelin, eine besonders hübsche?»

Floreta errötete beschämt, gleichzeitig schimpfte sie sich in Gedanken, weil sie so blind gewesen war. Ceti. Natürlich, nur sie konnte gemeint sein. Floreta hatte sich gefragt, was ihre Cousine neuerdings so oft zur Alhambra zog, obwohl sie der Arbeit ihres Großvaters kaum Beachtung schenkte. Doch wie hätte sie annehmen können, dass ausgerechnet Ceti dem Emir aufgefallen war?

Floreta hörte ihren Großvater nach Luft schnappen. Nun wurde ihr klar, warum ihre Freundin mitten in der Nacht ihr gemeinsames Schlafquartier verlassen hatte. Sie hatte sich in die Gemächer des Emirs geschlichen wie in zahllosen Nächten zuvor. Heute allerdings war ihr verschwiegenes Stelldichein gestört worden.

Samu schien auch zu dämmern, welche Heimlichkeiten seine verschwundene Enkeltochter umtrieben. Doch noch bevor er sich dazu äußern konnte, dröhnten dumpfe Schläge gegen das Tor.

Ein verschwitzter Wachsoldat stürmte in den Saal der Botschafter und hielt sogleich auf den Wesir zu. «Draußen steht Seine Hoheit, Fürst Abu Said», rief der Mann atemlos. «Er verlangt, auf der Stelle eingelassen zu werden. Er sagt, er habe eine Botschaft unseres Herrschers für dich.»

Die Männer blickten sich an. Abu Said zählte zu den einflussreichsten Beamten am Hofe des Emirs und gehörte über ein paar Umwege zur königlichen Familie. Sein Wort hatte Gewicht in Granada. Er galt als kühler, scharfsinniger Beobachter, während Ismail, dessen Schwester Abu Said im vergangenen Jahr geheiratet hatte, von eher schlichtem Gemüt war. Da das Verhältnis zwischen Ismail und seinem älteren Halbbruder als gespannt galt, war Abu Said wiederholt die Rolle des Vermittlers zugefallen. Wenn es jemandem gelang, begütigend auf den jungen Prinzen einzuwirken, dann sicher Abu Said.

«Ist das klug?», wandte Samu ein. «Sollten wir nicht abwarten, bis sich die Lage draußen ein wenig entspannt hat?»

«Und den Fürsten verärgern?» Raschid schüttelte den Kopf. «Das wäre Selbstmord. Ich kann hier allein nichts mehr ausrichten, nicht mit einer Handvoll Wachsoldaten. Die Verantwortung lastet zu schwer auf meinen Schultern. Falls Ismail seinen Söldnern den Befehl zum Sturm auf die königlichen Säle erteilt, wird es zu einem furchtbaren Blutbad kommen. Abu Said wird uns helfen, er hat doch schon mehrmals Streitigkeiten zwischen den beiden Brüdern geschlichtet.»

«Mag sein, aber nun ist nur noch einer von beiden übrig», sagte Samu erschöpft. «Ismail ist unberechenbar. Was, wenn er den Fürsten in seine Gewalt gebracht hat und dieser von ihm gezwungen wird, uns zur Kapitulation aufzurufen?»

«Unsinn, Hakim!» Raschid schüttelte den Kopf. «Das verstehst du nicht, weil du nicht zu den Rechtgläubigen gehörst. Abu Said ist ein Ehrenmann. Außerdem sichten meine Späher in der Nähe des Turms keinen von Ismails Männern. Wir können Abu Said getrost einlassen und uns anhören, welche Botschaft er vom Emir bringt. Vielleicht ist es Muhammad ja schon gelungen, die Aufständischen niederzuwerfen. Schließlich gibt es in der Stadt noch genügend Männer, die zu den Waffen greifen würden, um Ismail zu verjagen.»

Floreta wagte es nicht, sich in den Disput der Männer einzumischen, doch insgeheim teilte sie die Befürchtungen ihres Großvaters. Was, wenn der Fürst nur auf diese Revolte gewartet hatte, um die Gunst der Stunde für sich selbst zu nutzen?

Raschid hatte dem Arzt und Lehrer seines Gebieters stets respektvoll zugehört, doch aus irgendeinem Grund weigerte er sich nun, auch nur einen Gedanken an dessen Warnung zu verschwenden. Energisch forderte er, dem Fürsten das Tor zu öffnen.

Als Abu Said schließlich hocherhobenen Hauptes über den glänzenden Marmorfußboden schritt, verneigten sich die Anwesenden ehrerbietig vor ihm. In der Tat bot der hochgewachsene, bärtige Mann ein wahrhaft imposantes Bild, was nicht nur an der glänzenden Rüstung lag, die seine Brust vor Pfeilen schützte. Zielsicher durchquerte er den Saal. Aus der Menge ertönten die ersten Hochrufe auf den stolzen Fürsten, in die alsbald die meisten Anwesenden einstimmten. Lautstark priesen die Menschen Gott, der sie durch das Eingreifen Abu Saids zu retten versprach.

Auf den Lippen des Fürsten zeigte sich ein dünnes Lächeln; der Jubel schien ihm zu gefallen. Einen Herzschlag lang blieb er inmitten des Saals stehen, schüttelte einige Hände und klopfte auf Schultern. Doch noch während er sich feiern ließ, befahl er seinem Gefolge, die Ausgänge zu besetzen. Man ließ ihn gewähren.

Raschid verbeugte sich, beide Hände vor der Brust gefaltet. Er schien erleichtert. Weder er noch die übrigen Anhänger des Emirs im Turm störten sich an den persönlichen Leibwächtern des Fürsten, zwei finster dreinblickenden Hünen, deren kriegerische Erscheinung durch die Blutspritzer auf ihrem Brustpanzer noch unterstrichen wurde. Erst als die Männer Fußtritte und grobe Stöße austeilten, wichen die Hofbediensteten ernüchtert zurück. Ihr Protest wurde durch Drohgebärden zum Verstummen gebracht. Als Nächstes zerrte einer von Abu Saids Männern einen schmutzigen, zerlumpten Burschen von höchstens achtzehn Jahren in den Thronsaal, der kaum aufzublicken wagte. Mit dem Schwertknauf wurde er vorwärtsgetrieben.

Floreta kniff die Augen zusammen. Nun sah sie, dass der Gefangene kein Knabe, sondern ein Mädchen war. Es war Ceti.

Floretas Cousine sah arg mitgenommen aus. Ihr Gesicht war geschwollen und trug deutliche Anzeichen von Misshandlung. Offensichtlich hatte sie gegen ihre Peiniger gekämpft wie eine Wildkatze, aber dennoch eine gehörige Tracht Prügel einstecken müssen. Trotzdem entdeckte Floreta in ihren Zügen weniger Angst als Trotz und Ärger darüber, geschnappt worden zu sein. In den weiten, türkisfarbenen Beinkleidern und dem aus Leinen geschneiderten Hemd, das ihr bis über die Knie fiel, hätte man sie in der Tat leicht mit einem jungen Burschen verwechseln können. Dünn genug war sie. Ihr ehemals hüftlanges rabenschwarzes Haar reichte ihr nur noch bis zu den Schultern. Offenbar war es in aller Eile abgeschnitten worden. Um die Täuschung perfekt zu machen, hatte Ceti sich Lampenruß ins Gesicht geschmiert und ihre zierlichen Füße in viel zu große Männerstiefel gesteckt.

Floreta hob die Hand, um auf sich aufmerksam zu machen, doch Ceti vermied jeden Blickkontakt. Wie betäubt starrte sie in Richtung Thron, als hätte sie Angst, Abu Said, der sich dem Stuhl des Emirs näherte, aus den Augen zu verlieren. Erst als Floreta sie beim Namen rief, zögerte sie. Das jedoch bekam ihr schlecht. Sogleich versetzte einer der Wächter ihr ohne Vorwarnung eine schallende Ohrfeige.

«Was soll das?», raunte Floreta ihrem Großvater zu, der neben ihr stand. «Was wollen die Männer von Ceti?»

«Ich habe keine Ahnung, aber ich werde es herausfinden!» Der alte Arzt versuchte, sich durch das Gedränge zu schieben. Es gelang ihm, einen Zipfel von Raschids Gewand zu ergreifen, doch der Wesir schüttelte ihn ab wie eine lästige Fliege.

Durcheinander wie er war, hätte nicht viel gefehlt und er hätte Samu einen Tritt verpasst. «Jetzt nicht, Hakim!»

«Aber da vorn ist meine Enkelin», protestierte der Alte, wobei er unvorsichtigerweise die Stimme erhob. «Sie ist die Retterin unseres geliebten Emirs, das hast du mir selbst gesagt. Und nun wird sie wie eine Gefangene in den Saal geschleppt! Da stimmt doch etwas nicht.»

Noch bevor Samu zu Ende gesprochen hatte, begriff er, dass er einen Fehler gemacht hatte, der sich nicht wiedergutmachen ließ. Er hätte abstreiten müssen, Ceti zu kennen. Stattdessen zog er nun die Aufmerksamkeit Abu Saids auch auf sich und Floreta. Im Saal wurde es still. Sämtlicher Jubel war verebbt.

«So, dieser kleine Dämon in Männerkleidung gehört also zur Sippe des Arztes», verkündete der Fürst triumphierend. Er verschränkte die Arme hinter dem Rücken und stieg alsdann die drei Stufen zum Thron des Emirs hinauf. Dabei schien er jeden einzelnen Schritt zu genießen. Auf dem Podest fuhr er mit der Hand über die Schnitzereien des Herrscherthrones, vor dem er sich so oft schon, mit der Stirn zum Fußboden gewandt, verneigt hatte. Heute jedoch stand ihm der Sinn nicht danach, irgendjemandem seine Ehrerbietung zu erweisen. Im Gegenteil, er forderte sie ein.

Fürst Abu Said richtete sich zu seiner vollständigen Größe auf. Er war ein gutaussehender Mann, der vor der Vollendung seines dreißigsten Sommers stand. Regelmäßige Gefechte mit dem Säbel, aber auch das Ringen mit bloßen Armen hatten seine Schultern breit und seine Gliedmaßen muskulös werden lassen. In seinen Gesichtszügen dagegen vereinigte sich die Melancholie eines Poeten mit dem wachen Blick des Strategen. Diesen Eindruck unterstrichen seine durchdringenden Blicke und das verächtliche Lächeln, mit dem er den Menschen im Saal nun erklärte: «Die Alhambra befindet sich in der Hand des Prinzen Ismail, der in naher Zukunft die Nachfolge des davongelaufenen Emirs antreten wird. Muhammad V. ist ein Verräter, der es nicht verdient, auch nur einen Tag länger über Granada zu herrschen. Alle, die in seinem Schatten groß wurden wie Maden unter einem kalten Stein, werden auf Befehl unseres gnädigen neuen Emirs Ismail ohne Erbarmen hingerichtet.»

Befriedigt sah der Fürst zu, wie sich unter den Anwesenden Entsetzen breitmachte. Die Männer, die Abu Said noch vor wenigen Augenblicken zugejubelt hatten, sanken nun verstört auf die Knie, während andere in Panik zu den Ausgängen drängten. Doch die Pforten wurden von den Männern des Fürsten bewacht, die jeden mit Schlägen und Stichen zurückschoben, der es wagte, ihnen zu nahe zu kommen. Es gab kein Entrinnen mehr.

Raschid hatte dem Tod Einlass gewährt.

Floreta schlug die Hand vor den Mund. Sie zitterte am ganzen Leib, als sie sah, wie die zwei Leibwächter des Fürsten auf sie zukamen. Doch noch war sie nicht an der Reihe, die beiden Männer ergriffen Raschid. Fassungslos versuchte der Wesir zu erklären, dass sie einen Fehler machten, indem sie ihn anrührten, den Oberbefehlshaber des Palastes in Abwesenheit des Emirs. Aber die Schergen des Fürsten schleppten ihn zum Thron und bedeuteten ihm niederzuknien. Schlotternd vor Angst, gehorchte der Wesir.

Samu legte Floreta seinen Arm um die Schulter. Auch in den Augen des alten Mannes stand Todesangst, dennoch flüsterte er ihr beruhigend zu: «Hab keine Angst, mein Kind. Ich werde nicht zulassen, dass man dir und Ceti etwas antut.»

«Und wie willst du das verhindern? Wir sitzen hier in der Falle wie Mäuse!»

Samu holte tief Luft, bevor er erklärte: «Es gibt da etwas, das Ismail nur zu gern in die Finger bekäme. Aber nur ich kann ihm dazu verhelfen.»

Er wollte noch etwas hinzufügen, doch da wurde ihm bewusst, dass Ruben ganz in der Nähe stand und die Ohren spitzte. Als der Mann Samus hochgezogene Augenbrauen bemerkte, wandte er sogleich den Blick ab. Bemerkenswerterweise war Ruben der Einzige im Saal, der tatsächlich Ruhe bewahrte. Doch warum auch nicht? Ruben würde gewiss mit heiler Haut aus dem Turm herauskommen. Er war ein besserer Laufbursche, der mal dem einen, mal dem anderen Herrn diente. Was scherte es ihn, dass sich Abu Said von Muhammad abgewandt und offen auf Ismails Seite geschlagen hatte? Dann bemerkte Floreta das Schwert in der Hand ihres Nachbarn. Die alte Garde des Emirs war von Abu Saids und Ismails Männern entwaffnet worden, doch im allgemeinen Aufruhr hatte wohl keiner daran gedacht, den unscheinbaren Ruben zu durchsuchen.

«Du hast deinen Herrn und Gebieter verraten», wimmerte Raschid, der nach wie vor in gebückter Haltung vor Abu Said verharrte. «Und mich hast du auch getäuscht, sonst hätte ich den Turm lieber angezündet, als ihn dir zu übergeben. Eines Tages wird der Emir zurückkehren und Rache üben. Du und der schwachsinnige Prinz Ismail, ihr werdet auf Eisenspänen geröstet werden.»

Abu Said lachte, als hätte er einen Scherz vernommen. «Eine glänzende Idee, mein guter Raschid. Doch ich fürchte, du wirst dich an diesem Anblick nicht mehr erfreuen.» Er zog seinen Säbel aus der Schärpe, ein kostbares Stück, dessen Knauf mit Juwelen und Perlen besetzt war. Dann holte er aus, hielt aber plötzlich inne, als sein Blick auf die sich immer noch sträubende Ceti fiel. Das Mädchen war von seinen Bewachern vor die Stufen des Throns gezerrt worden.

«Du unwürdige Hure hast dem Verräter Muhammad zur Flucht verholfen», donnerte Abu Said mit tiefer Stimme durch den Saal. «Wie ist dein Name?»

Ceti presste die Lippen aufeinander.

«Dein Gebieter hat dir eine Frage gestellt», zischte ihr Abu Saids Leibwächter ins Ohr. «Wirst du dem Fürsten deinen Namen nennen, oder willst du die Peitsche spüren?»

«Ceti.»

«Du bist eine Ungläubige, nicht wahr? Aus der Familie des Hakims. Und dennoch hat dich Muhammad in sein Bett geholt.» Abu Said trat an Raschid vorbei und kam auf Ceti zu. «Du bist schön, sogar in den Lumpen eines schmutzigen Taschendiebs. Na los, sieh mich an!»

Einen Moment lang begegnete sie dem Blick des hochgewachsenen Mannes, dann wandte sie sich ab. Floreta zerriss es fast das Herz, als sie bemerkte, wie sich die Augen ihrer Cousine mit Tränen füllten. Sicher dachte sie an den Emir, dessen weiteres Schicksal ebenso in Gottes Händen lag wie ihr eigenes.

«Auf dein Vergehen steht der Tod, und mit dir sollte auch deine Familie sterben, die dem neuen Emir ohnehin niemals die Treue halten würde. Ihr seid Fremde in Granada, niemand wird euch vermissen.» Abu Said schwieg, er schien sich etwas zu überlegen. «Aber ich bin bei bester Laune und werde daher ausnahmsweise Gnade walten lassen», entschied er dann. «Du musst mir nur einen kleinen Gefallen tun.» Entschlossen drückte er Ceti seinen Säbel in die Hand und zeigte dann auf den knienden Raschid. «Na los, Mädchen, zeig, was in dir steckt!», befahl er ihr. «Töte den Wesir!» Seine Stimme klang, als würde er sich einen Teller Zuckerkuchen bestellen. «Gehorchst du, lasse ich dich am Leben.»

Unnachgiebig schob er Ceti die Stufen des Podests hinauf.

Kapitel 3

 

 

Floreta und Samu sollten der Hinrichtung des Wesirs nicht beiwohnen. Auf Befehl Abu Saids wurden sie zusammen mit einigen anderen ehemaligen Vertrauten des Emirs in eine stickige, spärlich möblierte Kammer gepfercht, in der sie kaum genug Luft zum Atmen hatten. Dort sollten sie warten, bis Abu Said Zeit fand, sich der Gefangenen anzunehmen.

Floreta rüttelte an der Tür, gab es jedoch bald auf, denn sie war verschlossen und von außen verriegelt. Auch das einzige Fenster bot kein Entkommen. Um das Gitter zu entfernen, hätten sie Werkzeug gebraucht, davon abgesehen wurde der Turm bewacht. Floreta erinnerte sich an die vielen Treppenstufen, die sie hatten hinaufsteigen müssen, und mutmaßte daher, dass sie gegenüber der großen Dachterrasse eingesperrt worden waren. Von dort aus hatte der Emir in klaren Nächten die Sterne beobachtet.

Voller düsterer Gefühle starrte Floreta durch das Gitter, hinunter auf die Palastanlage mit ihren Gärten und rötlich leuchtenden Gebäuden. Ismail, der Kopf des Aufstands, hatte sich noch nicht gezeigt. Dafür waren die Innenhöfe vollgestopft mit den Anhängern Abu Saids. Teilnahmslos wuchteten dunkelhäutige Sklaven aus Nordafrika die Leichen der erschlagenen Palastdiener auf eilig herbeigeschaffte Karren und Bahren. Blieben die Toten länger in der heißen Sonne liegen, drohten Seuchen. Eingeschüchterte Berberinnen lagen auf den Knien und entfernten Blutlachen mit Wasser, das sie in Eimern aus den Becken und Goldfischteichen des Palastgartens holten. Einige schaufelten im Schweiße ihres Angesichts Sand darüber. Dabei schlugen sie nach Schwärmen von Fliegen, welche die Überreste der Toten umkreisten.

Die Nacht des Schreckens war vorbei, der Aufstand der Verschwörer erfolgreich abgelaufen. Nun begann das große Aufräumen. Und der Tag des Strafgerichts.

Langsam ließ sich Floreta am Gitter hinuntergleiten.

«Pass auf, du wirst dich verletzen», mahnte ihr Großvater, aber es klang fast, als spräche er nicht mit ihr, sondern mit einem anderen Menschen. Unablässig fächelte er sich mit einem Zipfel seines Kaftans Luft zu. Der Gestank von Schweiß, Blut und Angst, der über dem Raum hing, machte ihm schwer zu schaffen, obwohl er als Heilkundiger daran gewöhnt sein musste. Zu Hause hätte sich Samu um diese Zeit seine Lederriemen um Hand, Arm und Stirn gebunden und seine Gebete gesprochen. In dieser Hinsicht war er sehr gewissenhaft, hier oben jedoch schien er jegliches Gefühl für Zeit verloren zu haben.

«Glaubst du, dass sie es getan hat?», fragte Floreta leise. «Wird Gott ihr vergeben, wenn sie Raschid erschlägt?» Widerwillig überließ sie ihren Platz am Fenster einer älteren Frau und lehnte sich neben Samu an die Wand. Am Morgen war es dort auszuhalten gewesen, doch als es Mittag wurde, war der letzte Schatten aus der engen Kammer entschwunden; unbarmherzig wurde sie von der grellen Sonne erhitzt. Die Gefangenen stöhnten und bettelten um Wasser, aber niemand ließ sich blicken.

Samu zog mühsam sein dunkles Übergewand aus, knüllte es zusammen und schob es sich in den Nacken. «Die Tochter deines Onkels war schon immer ein eigenwilliges Geschöpf», gab er zu bedenken. «Es ist grausam von Abu Said, sie zu benutzen und den Wesir zu demütigen, aber vergiss nicht, dass Raschid selbst es war, der dem Unheil die Tore öffnen ließ.» Er seufzte. «Wäre Muhammad da gewesen, hätte er Abu Said seinen Thron niemals ausgeliefert.»

«Der Emir ist in Weiberkleidern davongerannt», empörte sich ein dicker Mann, den Floreta schon häufig im Palast gesehen hatte. Der rote Stoffstreifen an seinem Turban wies ihn als Mozaraber aus, einen arabischsprechenden Christen, der sich in Sitten und Gebräuchen längst an die maurische Bevölkerung angepasst hatte. Als Schutzbefohlene des Emirats hatten diese Leute besondere Abgaben zu entrichten, durften dafür aber in ihren Vierteln der Kasbah den eigenen Geschäften nachgehen. Einigen Mozarabern war es sogar gelungen, in der Gunst des Emirs aufzusteigen. Dazu zählte offenbar auch dieser Gefangene, dem nun aber angesichts seines zu erwartenden Urteils der Angstschweiß von der Stirn perlte. Er hatte guten Grund zur Sorge. Abu Said hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass er Juden wie Christen misstraute.

«Von Muhammad haben wir nichts mehr zu erwarten», sagte der Mozaraber nun bitter. «Er wird sich nach Marokko durchschlagen und uns vergessen.» Er beugte sich vor, packte Floreta grob am Arm und schüttelte sie. «Wenn deine Verwandte klug ist, tut sie, was Abu Said ihr befohlen hat. Sie muss Raschid töten, sonst sterben wir alle.»

Floreta riss sich los; der Griff des Mannes tat ihr weh. «Glaubst du wirklich, dass der Fürst uns dann gehen lässt?»

«Das hat er uns versprochen», mischte sich nun seine Frau ein. Sie sprach ausgezeichnet Arabisch, untermalte ihre Worte aber mit hektischen Gesten. Offenbar waren ihre Nerven zum Zerreißen gespannt. «Mein Mann ist ein guter Verwalter. Er hat die Aufsicht über alle Karawansereien Granadas. Prinz Ismail braucht fähige Männer wie ihn. Hört ihr? Ihr müsst ihm nur die Treue schwören und erklären, dass der frühere Emir ein Verräter war, der Granada den Christen ausliefern wollte.» Voller Abscheu spie sie auf den Fußboden und wurde dafür sogleich von einigen Männern beschimpft, die die Absicht hatten, ihr Gebet zu sprechen. Von fern war der Gesang eines Muezzins zu hören.

«Wie kannst du deinem Gebieter so in den Rücken fallen?» Samus Stimme zitterte vor Empörung. «Du bist Christin und bezichtigst deinen Herrn, mit dem König von Kastilien zu paktieren? Schämst du dich eigentlich nicht? Unter Muhammads Herrschaft ist es euch doch nicht schlecht ergangen. Dein Mann darf sogar voller Stolz den Turban tragen, obwohl es den meisten Christen und Juden im Land verboten ist.»

«Uns erging es längst nicht so gut wie deinen Leuten, alter Mann», gab das Weib schnippisch zurück. «Aber wen wundert das? Vermutlich hat der Emir dich als Juden nur deshalb in seiner Nähe geduldet, weil er ein Auge auf deine Enkelin, diese Ceti, geworfen hatte.» Sie lachte schrill auf. «Duldet eine Hure unter seinem Dach und will mir etwas von Schande erzählen.»

Ihr Mann zuckte mit den Achseln. «Auf jeden Fall habe ich Geld auf die Seite geschafft, viel Geld. Wäre gelacht, wenn ein Mann wie Fürst Abu Said nicht mit sich handeln ließe.»

Floreta sah, wie ihrem Großvater die Tränen in die Augen schossen. In gewisser Weise war Samu nicht weniger gutgläubig gewesen als der Wesir. Auch er hatte sich auf seinen guten Ruf verlassen, auf alle seine Privilegien. Niemals wäre er auf die Idee gekommen, es könnte eines Tages im Emirat Granada keinen Platz mehr für seinesgleichen geben.

Verlass mich nicht, Großvater, dachte sie. Ich habe doch nur noch dich. Lass uns zusammen fortziehen. Granada ist nicht länger unsere Heimat. Nicht wenn Ismail Emir wird und Abu Said für ihn das Land ausplündert.

Der Tag neigte sich seinem Ende zu, als der Riegel plötzlich zurückgeschoben wurde und ein Mann suchend in die Stube spähte. Er trug ein Schwert bei sich und bedeutete Floreta und Samu mit einem Handzeichen, aufzustehen und ihm zu folgen.

«Ruben?», keuchte Floreta, als sie ihn erkannte. Hoffnung keimte in ihr auf. «Bringst du uns hier hinaus?»

«Der ehrenwerte Fürst Abu Said will euch beide sehen.»

«Uns doch wohl vor den Juden», krächzte der Mozaraber empört. «Ich muss mit dem Fürsten reden, auf der Stelle. Ich flehe dich an. Unsere Gefangenschaft ist ein Irrtum. Ich gebe dir Geld, wenn du mich rauslässt.»

Aber Ruben ließ sich nicht bestechen. Barsch befahl er dem Mann, sich nicht von der Stelle zu rühren. Als der Mozaraber dennoch auf die Tür zuhastete, packte er ihn am Kragen und beförderte ihn mit einem Stoß zurück in die Kammer. «Du bleibst!»

Samu beugte sich zur Seite und griff nach seinem hölzernen Arzneikasten, als riefe man ihn zu einem ärztlichen Notfall. Doch er war zu schwach, um ihn allein zu tragen.

«Lass den Kram hier», befahl Ruben.

Doch davon wollte Samu nichts hören. «Ich habe den Kasten von meinem Vater erhalten, und der hatte ihn von seinem Vater. Eigentlich hätte mein ältester Sohn ihn einmal bekommen sollen, aber der lief mir davon.» Er verschluckte sich und hustete so stark, dass Floreta, die ihm beim Aufstehen half, Mühe hatte, ihn zu stützen.

«Ich hätte euch mehr beibringen sollen, dir und deiner Cousine. Vor allem ihr. Hörst du? Denk an meine Worte: Wer ein Leben retten kann, kann auch sich selbst retten.»

«Gnade, Herr», schluchzte die Frau des Mozarabers. Rasch nahm sie den Schleier ab, unter dem ein attraktives Gesicht mit blasser Haut zum Vorschein kam. Doch ihre Schönheit verschaffte ihr an diesem Ort keinen Vorteil.

«Beeilt euch doch!» Ruben warf misstrauische Blicke über die Schulter zurück, gleichzeitig hielt er Samus und Floretas unglückliche Mitgefangene, die auf die Tür zuwankten, in Schach.

«Wo ist Ceti?» Floreta war Rubens plötzliches Auftauchen nicht ganz geheuer. Sie traute ihm nicht über den Weg. Warum sollte der Fürst ausgerechnet ihn schicken, um sie zum Verhör zu holen? Dafür hatte er doch seine Leibwächter. Und warum ließ sich Prinz Ismail immer noch nicht im Turm blicken?

«Ihr werdet sie gleich sehen», versprach Ruben, während er Floreta und ihren Großvater über Treppen und Flure begleitete, bis sie schließlich in einem großzügig geschnittenen und mit erlesenem Geschmack ausgestatteten Raum standen. Dieser besaß zwei Balkone aus weißem Stein, die weit hinaus ins Freie führten und eine herrliche Aussicht auf die Dächer und Minarette der umliegenden Hügel gestatteten. Inmitten des Gemachs, dessen Steinfußboden mit flauschigen Teppichen bedeckt war, erhob sich ein Wasserbecken aus ebenso hellem Stein wie die Balkone, auf das Floreta sogleich zueilte. Bevor sie sich selbst erfrischte, blickte sie sich nach einem Becher oder einem Glas für Samu um.

Sie war noch dabei, Wasser zu schöpfen, als Abu Said in Begleitung seines grimmig dreinblickenden Leibwächters den Raum betrat. Ceti war bei ihm. Sie trug Handfesseln und wirkte bedrückt.

Gott sei gedankt, dachte Floreta. Ohne Abu Said eines Blickes zu würdigen, fiel sie ihrer Cousine um den Hals.

Mit keinem Wort erwähnte Ceti, was unten vor dem Thron des Emirs vorgefallen war, und weder Floreta noch Samu wagten es, sie in Abu Saids Gegenwart darauf anzusprechen. Der Umstand, dass Ceti lebendig und unverletzt vor ihnen stand, ließ indes den Schluss zu, dass sie sich dem Befehl des Fürsten gebeugt und Raschid getötet hatte.

«Was geschieht mit den Gefangenen im Turm?», brach Samu schließlich das Schweigen. «Sie haben kein Wasser und könnten ersticken, wenn man sie noch länger dort festhält!»

Floreta hielt den Atem an. Was Samu wagte, war tollkühn, doch das schien ihren Großvater nicht zu kümmern.

«Du bist in der Tat ein fürsorglicher Arzt», knurrte Abu Said. «Dein heißgeliebter Schüler Muhammad konnte sich glücklich schätzen, dass deine Familie ihm zu Diensten war. In jeder Hinsicht.» Er warf Ceti einen anzüglichen Blick zu, bevor er seine Hände tief in das Wasserbecken tauchte. «Dank deiner Enkeltochter stehen wir nun glücklicherweise auf derselben Seite.»

Samu runzelte die Stirn. Er war so schwach, dass er kaum mehr stehen konnte. Doch obwohl er nie ein Held gewesen war, schien er fest entschlossen, sich von Abu Said nicht den letzten Rest Würde nehmen zu lassen, der ihm geblieben war.

«Wir beide stehen keineswegs auf derselben Seite», begann er langsam. «Wenn du vorhast, mich zu töten wie Raschid, empfehle ich dir, es rasch hinter dich zu bringen, damit ich von deiner Gegenwart befreit werde.»

«Für diese Frechheit sollte ich dir eigentlich die Zunge aus deinem Schandmaul reißen lassen. Aber damit würde ich mir wohl ins eigene Fleisch schneiden, nicht wahr?»

«Ich weiß nicht, wovon du redest!»

«Oh, ich glaube, das weißt du ganz genau.» Abu Said zwang Samu mit einer Geste auf die Knie. Dann begann er, ihn zu umrunden. «Du bist lange genug in den privaten Räumen des Emirs ein und aus gegangen. Muhammad hat dir mehr vertraut als Raschid. Ich weiß genau, dass er dir von den Edelsteinen erzählt hat, die sein Vater ihm hinterließ. Wie nannte er sie doch gleich? Die kalten Tränen der Fatima?»

«Er hat nicht nur mir davon erzählt», protestierte Samu. «Auch Prinz Ismail und seine Mutter wissen über die Steine Bescheid.»

Abu Said lachte spöttisch. «Sie haben sie aber nicht!»

«Dann hat der Emir sie eben mitgenommen», wandte Samu mit schwacher Stimme ein. Doch er klang nicht überzeugend genug. Schweiß trat auf seine Stirn.

Floreta wollte zu ihm eilen, wurde aber von Ruben zurückgehalten.

«Du lügst, alter Mann!» Abu Said stieß Samu mit der Stiefelspitze in die Seite. «Muhammad hatte keine Zeit, die Tränen der Fatima zu holen. Er floh mit leeren Händen. Nein, du hältst die Steine versteckt, und ich will sie haben.» Er zog seinen Säbel und zerschnitt damit die stickige Luft. «Vielleicht sollte ich deine Enkeltöchter meinen Soldaten überlassen. Sobald du ihre Schreie hörst, fällt dir vielleicht wieder ein, wo meine Edelsteine sind.»

«Deine Edelsteine?»

Abu Said wandte sich erstaunt zur Tür um und ließ sogleich den Säbel sinken, als sein Blick auf den Mann fiel, der von ihm unbemerkt den Raum betreten hatte. Dieser war jung, beinahe noch ein Knabe, aber dafür fast so groß und athletisch wie der Fürst. Er trug ein mit Goldfäden durchwirktes Gewand, darüber einen leichten, mit Stickereien verzierten Mantel und auf dem Kopf einen Turban aus nachtblauer Seide.

«Prinz Ismail», rief Abu Said mit augenscheinlich geheuchelter Begeisterung aus. «Ich kann dir mit Freude und Genugtuung berichten, dass die Alhambra in deiner Hand ist.»

Der junge Mann grinste hochmütig, während er das Wasserbecken umrundete und vor dem in eine Nische eingelassenen Mosaik mit dem Wahlspruch seines Geschlechts stehen blieb. «Wa-la ghaliba illah llah», zitierte er stockend. Obgleich er von denselben Lehrern erzogen worden war wie sein Halbbruder, schien Lesen nicht seine Stärke zu sein. «Es gibt keinen Sieger außer Allah!» Er drehte sich um. Sein Blick verfinsterte sich. «Ich habe nicht weniger von dir erwartet. Aber was hat dieses verfluchte Pack noch hier zu suchen? Das ist doch Muhammads Arzt, nicht wahr? Und wenn ich erfahre, dass du mich betrügst und dir Kostbarkeiten aneignen willst, die eigentlich mir zustehen …»

«Wo denkst du hin, Schwager?», unterbrach ihn Abu Said milde, als müsste er ein trotziges Kind beruhigen. «Noch bevor der heilige Fastenmonat Ramadan beginnt, werden diejenigen vor dir im Staub liegen, die dich belächelt oder erniedrigt haben. Dann bist du unser aller Gebieter.»

«Vergiss das bloß nicht», entgegnete Ismail. «Was ist nun mit den Steinen? Ich habe den Befehl gegeben, den Palast abzusuchen, aber bislang waren meine Leute erfolglos.» Er riss die Augen auf, und ein Anflug von Unsicherheit verdrängte den Hochmut aus seinem Blick. «Wenn Muhammad die Edelsteine meines Vaters hat, kann er damit in Fez ein Heer aufstellen und mit Hilfe der Berber zurückkehren, um mich wieder vom Thron zu stoßen, nicht wahr?» Noch ehe Abu Said darauf eine Antwort einfiel, zog Prinz Ismail schreiend und tobend seinen Dolch und schnitt damit die Kissen und Teppiche seines Bruders in Fetzen. Dabei rief er voller Zorn: «Wer es wagt, mich aufzuhalten, wird zum Tode verurteilt, hast du mich verstanden, Abu Said? Also, heraus mit der Sprache! Was ist nun mit den Steinen?»

Abu Said deutete auf Samu, dessen Stirn noch immer den Boden berührte. «Der Alte weiß etwas, davon bin ich überzeugt. Ich war gerade dabei, ihn zu befragen. Aber er schweigt.»

«So, du willst also nicht reden, du verfluchter Hund?», rief Ismail.

«Nur wenn du meine Enkeltöchter gehen lässt!» Samus Stimme war nur noch schwach zu vernehmen, sie klang, als bündelte er seine letzten Kräfte. «Erlaube ihnen, die Stadt zu verlassen, dann werde ich …»

Ismail hörte ihm nicht weiter zu. «Glaubst du, ein Emir feilscht mit einem Ungläubigen wie auf dem Viehmarkt?», brüllte er. Noch bevor Abu Said eingreifen konnte, stürzte er sich mit seinem Dolch auf den alten Mann, der zu erschöpft war, um ihm auszuweichen.

Floreta schrie vor Entsetzen auf, als sich Ismails Klinge in die Brust ihres Großvaters bohrte. Ruben wollte ihr seine Hand vor die Augen legen, doch sie stieß ihn zurück. Hilflos sah sie zu, wie Samu den Mund öffnete und ein Röcheln seiner Kehle entstieg.

«Die Träne der Isis», keuchte er erstickt. «Die Träne der Isis!»

«Du willst mich zum Narren halten, Verräter!» Der Prinz zog den Dolch aus der klaffenden Wunde, ließ aber nicht von Samu ab. Wie von Sinnen stach er immer wieder zu, bis Samu blutüberströmt zusammenbrach. Erst als sich der Arzt nicht mehr bewegte, erwachte Ismail aus seinem Blutrausch. Während die Frauen schluchzten, raffte er sich auf und wankte zu dem Wasserbecken. Dort beugte er sich über sein Spiegelbild und zuckte bei seinem eigenen Anblick zusammen. Die blutige Waffe schleuderte er in eine Ecke, als hätte er sich an ihrem Griff die Finger verbrannt.

«Er ist tot», sagte Abu Said, der den Leichnam untersuchte. Er gab seinen Männern den Befehl, Samu in einen Teppich einzurollen und hinauszuschaffen. Dann funkelte er den Prinzen mit unverhohlener Verachtung an. Dafür, dass Ismail so töricht gewesen war, den alten Arzt zu töten, bevor dieser ihm das Versteck von Muhammads Edelsteinen verraten hatte, hätte er ihn am liebsten geohrfeigt. Doch natürlich wagte er das nicht. Nicht er, sondern Ismail war der künftige Emir. Mochte der auch betrunken sein und sich benehmen wie ein trotziges Kind.

«Der Alte hatte den Tod verdient», wehrte Ismail vorsorglich alle Anschuldigungen ab. «Er war ein Berater meines Bruders und hatte keine Bedingungen zu stellen. Ich bin der Emir von Granada. Außerdem möchte ich wetten, dass Samu uns belogen hat. Er wusste nichts von den Steinen, sondern wollte nur Zeit schinden, um seine Haut und die seiner Brut zu retten.»

Abu Said schüttelte langsam den Kopf. «Ohne mich, werter Schwager, bist du ein Niemand. Und ohne die Steine deines Bruders wird es dir schwerfallen, deine Soldaten zu bezahlen. Hüte dich künftig davor, auch nur ein Auge zuzumachen, wenn du nachts allein in deinen Gemächern liegst.»

«Willst du mir drohen?» Ismail schnappte empört nach Luft. Er hob die Hand, wagte aber nicht, den Fürsten zu ohrfeigen.

«Nein, ich will dich nur warnen!»

«Vielleicht weiß ja eines der Mädchen etwas über die Steine?» Ismail ging zu Floreta, fasste sie mit Daumen und Zeigefinger am Kinn und drehte ihren Kopf so, dass ihr keine andere Wahl blieb, als ihn anzusehen.

In ihren Augenwinkeln hingen Tränen, doch ihr Verstand warnte sie davor, jetzt um Samu zu trauern. Im Gegenteil, er hatte sie retten, ihr und Ceti einen Ausweg verschaffen wollen. Sollte sein Opfer nicht umsonst gewesen sein, musste sie sich zusammennehmen. Ismail durfte nicht merken, wie sehr sie sich vor seinem Jähzorn fürchtete. Ein falsches Wort und er würde sie ebenso brutal töten wie Samu. Sie biss die Zähne zusammen und versuchte, die eisigen Finger zu ignorieren, die auf ihrem Kinn einen Abdruck hinterließen. Fieberhaft suchte sie nach einem Gebet, doch keines der Worte, die Samu ihr einst beigebracht hatte, kam ihr in den Sinn. Es war, als hätte Ismails Dolch die Erinnerung an ihre unbeschwerte Kindheit unwiederbringlich aus ihrem Gedächtnis geschnitten.

«Dein Großvater hat dir doch bestimmt sein Geheimnis verraten, hm?»

«Nein, das hat er nicht, Erhabener. Ich schwöre es beim Grab meiner Mutter.»

«So.» Er ließ von ihr ab und musterte Ceti. Deren Hass auf den Prinzen und auf Abu Said, der mit verschränkten Armen hinter ihm stand, schien fast greifbar.

«Was meinte euer Großvater, als er von der ‹Träne der Isis› sprach?», fragte Abu Said. Anders als Ismail hatte er Samus letzte Worte nicht vergessen.

Ceti runzelte die Stirn. «Das Gestammel eines Sterbenden. Die Worte sagen mir überhaupt nichts.»

«Und was weißt du?» Abu Said zeigte auf Floreta, deren Herz heftig zu klopfen begann. «Sag es mir, und ich erlöse dich von meiner Gegenwart.»

Floreta zwang sich, nicht zu der roten Lache zu sehen, von der eine hässliche Schleifspur bis zur Pforte führte. Als Samus Schülerin kannte sie die Bedeutung der ‹Träne der Isis› genau. Es handelte sich um den volkstümlichen Namen einer Heilpflanze, die schon im alten Ägypten geschätzt worden war. Manche sprachen ihr sogar magische Eigenschaften zu und verehrten sie als Wundermittel. Floreta erinnerte sich, dass Samu aus den getrockneten Blättern des Krauts einen Sud aufgebrüht oder sie zu Öl oder Salben verarbeitet hatte.