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"Die Hoffnung ihrer Tochter" ist der zweite Band einer zweiteiligen Familien-Saga und dreht sich in der Zeit des Kalten Krieges um Hildemara Rose, der Tochter von Marta, und die Hindernisse, die ihre Familie überwinden muss, um zu einer heilen Beziehung zueinander zu finden. Francine Rivers verarbeitet Teile ihrer eigenen Geschichte zu einem bewegenden Drama über Glaube und Träume und die Unbezwingbarkeit der Liebe zwischen Müttern und Töchtern.
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Seitenzahl: 783
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Über die Autorin
Francine Rivers war bereits eine bekannte Bestsellerautorin, als sie sich dem christlichen Glauben ihrer Kindheit wieder zuwandte. Danach schrieb sie 1986 ihr bekanntestes Buch, „Die Liebe ist stark“, dem noch rund 20 weitere großartige Romane folgten. Heute lebt Francine mit ihrem Mann in Nordkalifornien und genießt es, Zeit mit ihren drei mittlerweile erwachsenen Kindern zu verbringen und ihre Enkel zu verwöhnen.
Aus dem Amerikanischen von Eva Weyandt
Die amerikanische Originalausgabe erschien im Verlag Tyndale House Publishers unter dem Titel „Her Daughter’s Dream“. Published by arrangement with Francine Rivers in association with Browne and Miller Literary Associates, LLC, 410 Michigan Avenue, Suite 460, Chicago, IL 60605
© 2010 Francine Rivers
This work was negotiated through Literary Agency Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen/Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen
All Rights Reserved.
© der deutschen Ausgabe 2012 by Gerth Medien GmbH, Dillerberg 1, 35614 Asslar
Die Bibelzitate wurden der folgenden Bibelübersetzung entnommen:
Lutherbibel, revidierter Text 1984, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart (LÜ 84)
Bestell-Nr. 816 699
ISBN 978-3-96122-170-7
Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln
Dank
Der vorliegende Roman ist in großen Teilen reine Fiktion, obwohl auch meine persönliche Familiengeschichte eingeflossen ist. In den vergangenen zwei Jahren habe ich das Manuskript immer wieder abgeändert, bis schließlich diese Familiensaga dabei herausgekommen ist. Viele Menschen haben mir geholfen, die Geschichten von Marta und Hildemara in diesem ersten Band und von Carolyn und May Flower Dawn im zweiten zu Papier zu bringen. Ihnen allen möchte ich sehr herzlich danken.
Vor allem meinem Mann Rick. Er hat alle Höhen und Tiefen mit mir durchgestanden, mich bei der Entwicklung der einzelnen Charaktere begleitet und das fertige Manuskript als Erster gelesen.
Jede Familie braucht jemanden, der sich für die Familiengeschichte interessiert. In unserer Familie ist das mein Bruder Everett. Er schickte mir Hunderte Familienfotos, mit deren Hilfe ich die Geschichte nachvollziehen konnte. Unschätzbare Hilfe bekam ich auch von meiner Cousine Maureen Rosiere. Sie beschrieb mir sehr ausführlich die Farm meiner Großeltern. In diesem Roman fand sie als Vorlage Verwendung. Mein Bruder und mein Mann ließen mich an ihren Erlebnissen in Vietnam teilhaben.
Joppy Wissink, unsere Reiseleiterin, änderte die Reiseroute, um Rick und mir Gelegenheit zu geben, die Heimatstadt meiner Großmutter in der Schweiz, Steffisburg, zu besichtigen.
Ich danke Gott für meine Mutter und Großmutter. Beim Lesen von Mamas Tagebüchern kam mir die Idee, über Mutter-Tochter-Beziehungen zu schreiben. Meine Mutter und meine Großmutter haben in ihrem Leben hart gearbeitet. Beide sind schon vor einigen Jahren verstorben, aber ich glaube, dass sie in der Ewigkeit weiterleben und sich an der Gesellschaft der jeweils anderen freuen. Eines Tages werde ich sie wiedersehen.
Francine Rivers
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Epilog
Eine Anmerkung der Autorin
Januar 1951
Liebe Rosi,
Trip hat angerufen. Hildemara ist wieder im Krankenhaus. Sie ist bereits seit fast zwei Monaten dort, doch erst jetzt konnten sie sich überwinden, mir davon zu erzählen. Aber nun brauchen sie meine Hilfe. Meine süße Hildemara Rose, das kleinste, schwächste und abhängigste meiner Kinder. Von Anfang an hat sie kämpfen müssen. Und jetzt muss ich irgendwie einen Weg finden, ihr die Kraft für einen letzten Kampf zu geben.
Ich habe es nicht immer erkannt, aber vor Kurzem erinnerte mich Gott an die vielen Gelegenheiten, bei denen Hildemaras Mut ihr sehr geholfen hat. Sie hat ihren eigenen Weg im Leben gewählt und ist ihn gegen alle Widerstände (und gegen meinen Rat, wie ich hinzufügen möchte!) gegangen. Sie folgte ihrem Mann von einer Militärbasis zur nächsten, fand Wohnungen in fremden Städten, schloss neue Freundschaften. Ganz allein durchquerte sie das Land und half Bernhard und Elizabeth, auf dem Hof der Musashis auszuharren, trotz Drohungen, Brandstiftung und Steinen, die durchs Fenster flogen.
Und ich brauche Dich nicht an ihre Reaktion zu erinnern, als sie denselben Missbrauch erlebte, dem unsere liebe Elise vor so vielen Jahren zum Opfer fiel. Sie war klug genug, die Flucht zu ergreifen. Meine Tochter hat Mut!
Ich muss zugeben, dass ich Hildemara den anderen immer ein wenig vorgezogen habe. Ist das neu für Dich, meine liebe Freundin? Ich vermute, Du kennst mich besser als ich mich selbst kenne. Von dem Augenblick an, als meine erste Tochter das Licht der Welt erblickte, nahm sie einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen ein. Niclas sagte immer, sie sähe aus wie ich, und ich fürchte, das stimmt. Wir beide wissen ja, wie wenig mein Vater von meinem gewöhnlichen Aussehen gehalten hat. Und wie Elise war sie sehr zart.
Wie könnte das Herz einer Mutter einer solchen Kombination widerstehen? Ich tat, was ich glaubte, tun zu müssen. Von Anfang an war ich entschlossen, Hildemara Rose nicht so zu verhätscheln wie Mama Elise verhätschelt und damit lebensuntauglich gemacht hat. Aber jetzt frage ich mich, ob ich richtig gehandelt habe. Habe ich zu viel von ihr gefordert und sie dadurch von mir fortgestoßen? Sie wollte nicht einmal, dass ihr Mann mich um Hilfe bittet. Erst als sie beide dachten, dass es für sie keine Rettung mehr gibt, ließ sie es zu. Jetzt wünschte ich, ich hätte mehr von meiner Mutter mit ihrem sanften und liebevollen Wesen und weniger von meinem Vater. Ja, das stimmt. Ich erkenne jetzt, dass ich etwas von seinem selbstsüchtigen und grausamen Verhalten geerbt habe. Versuch nicht, mir das auszureden, Rosi. Wir beide wissen, dass es stimmt.
Jetzt hoffe und bete ich, dass ich wieder einen Zugang zu Hildemara finde. Ich bete, dass ich noch Zeit habe, ihr zu zeigen, wie sehr ich sie liebe, wie stolz ich auf sie bin und auf das, was sie erreicht hat. Ich möchte meine Beziehung zu ihr in Ordnung bringen. Ich möchte lernen, wie ich meiner Tochter dienen kann. Ich, die ich mein ganzes Leben lang allein schon gegen die Vorstellung rebelliert habe, jemandem zu dienen!
Ich musste an Lady Daisy und unsere Nachmittage denken. Ich glaube, es wird langsam Zeit, dass ich einige dieser Erfahrungen mit Hildemara Rose teile. Ich werde all die wundervollen Süßigkeiten und Leckerbissen für Hildemara Rose backen, die ich früher Lady Daisy serviert habe. Ich werde indischen Tee kochen und ihn mit Sahne und Gesprächen verfeinern. So Gott will, werde ich meine Tochter zurückgewinnen.
Deine Dich liebende Freundin
Marta
Hildemara Rose
Kapitel 1
Hildemara lag in ihrem nass geschwitzten Nachthemd im Dunkeln. Wieder Nachtschweiß – mittlerweile hätte sie eigentlich daran gewöhnt sein sollen. Ihre Zimmergefährtin Lydia schnarchte leise. Seit sie vor sechs Wochen hier angekommen war, hatte sich Lydias Gesundheitszustand stetig verbessert, was Hildemara noch zusätzlich deprimierte. Lydia hatte in der Zeit zwei Pfund zugenommen; Hildie dasselbe an Gewicht verloren.
Zwei Monate, und noch immer keine Besserung in Sicht. Die Krankenhausrechnung stieg mit jedem Tag in schwindelndere Höhen und begrub Trips Träume unter sich. Hildies Mann besuchte sie jeden Nachmittag. Gestern hatte er so müde ausgesehen. Das war ja auch kein Wunder, denn er musste neben seiner Arbeit auch alle ihre Aufgaben übernehmen: Wäsche waschen, kochen, Charlie und Carolyn versorgen. Hildie litt schrecklich wegen der Kinder – Charlie war so oft allein und Carolyn wuchs bei einer Babysitterin auf, die nichts für sie empfand. Seit Trip sie ins Krankenhaus gebracht hatte, hatte sie ihre Kinder nicht mehr gesehen und berührt. Sie vermisste sie so, dass es richtig wehtat. Oder war es nur die Tuberkulose, die in ihren Lungen wütete und ihren Körper von innen verzehrte?
Hildie schlug die Decke zurück und schleppte sich ins Bad, um sich das Gesicht zu waschen. Wer war dieses abgezehrte, bleiche Gespenst, das sie aus dem Spiegel anstarrte? Sie betrachtete ihre scharf hervortretenden Gesichtszüge, den kalkigen Teint, die Schatten unter ihren haselnussbraunen Augen, ihre stumpfen, glanzlosen Haare. Ich werde sterben, nicht, Herr? Ich habe nicht genügend Kraft, um gegen diese Krankheit anzukämpfen. Und jetzt muss ich auch noch Mamas Enttäuschung ertragen. Das letzte Mal hat sie mich einen Feigling genannt. Vielleicht sollte ich einfach aufgeben. Sie schöpfte Wasser mit den Händen und drückte ihr Gesicht hinein. Oh Gott, ich liebe Trip so sehr. Und Charlie und die süße kleine Carolyn. Aber ich bin müde, Herr, so schrecklich müde. Ich würde lieber jetzt sterben als noch länger am Leben zu bleiben und den Schuldenberg noch mehr zu erhöhen.
Das hatte sie Trip in der vergangenen Woche auch gesagt. Allerdings wollte sie lieber zu Hause sterben als in einem sterilen Krankenhauszimmer. Gequält hatte er das Gesicht verzogen. „Sag doch so etwas nicht. Du wirst nicht sterben. Mach dir keine Sorgen wegen der Rechnungen. Wenn deine Mutter zu uns ziehen würde, könnte ich dich nach Hause holen. Dann würdest du vielleicht …“
Sie hatte widersprochen. Mama würde nicht kommen. Sie hatte ihr noch nie geholfen, und ihr war die Vorstellung, einem anderen Menschen zu Diensten zu sein, absolut zuwider. Und genau das wäre sie dann – Zofe und Waschfrau, Kindermädchen und Köchin ohne Bezahlung. Hildie sagte, darum könne sie Mama unmöglich bitten.
Trip hatte Mama trotzdem angerufen, und am Samstag war er mit Charlie und Carolyn zu ihr gefahren, um alles zu besprechen. Heute Morgen war er zu Besuch gekommen. „Deine Mutter ist einverstanden. Ich werde mir ein paar Tage freinehmen, um alles vorzubereiten.“
Er wollte Carolyns Zimmer neu streichen und ein schönes, bequemes Bett, eine Kommode mit Spiegel und vielleicht einen Schaukelstuhl kaufen. „Charlie und Carolyn werden in dem kleinen Schlafzimmer schlafen. Du und ich, wir werden wieder zusammen sein …“
„Wir können nicht in einem Zimmer schlafen, Trip. Ich muss isoliert bleiben.“ Dass Mama wirklich bereit war, ihnen zu helfen, konnte sie gar nicht fassen. „Und ich darf nicht in die Nähe der Kinder kommen.“ Aber wenigstens könnte sie sie hören; sie könnte sie sehen. Mama würde also bei ihnen einziehen. Hildie versuchte zitternd, diese Neuigkeit zu verarbeiten. Ihr war ein wenig übel. „Ich brauche ein Krankenhausbett.“
Sie gab Trip genaue Anweisungen für ihr Zimmer. Kein Teppich. Statt Vorhängen lieber ein Rollo. Je schlichter das Zimmer, desto leichter ließ es sich desinfizieren und keimfrei halten. Trip wirkte so hoffnungsvoll, dass es ihr das Herz brach. Er drückte ihr einen Kuss auf die Stirn, bevor er ging. „Bald bist du zu Hause!“
Jetzt konnte sie nicht mehr einschlafen. Anstatt sich wieder ins Bett zu legen, setzte sich Hildie in einen Sessel ans Fenster und starrte hinauf zu den Sternen. Wie es wohl sein würde, wenn Mama unter ihrem Dach lebte, sie versorgte, sich um die Kinder kümmerte und die Hausarbeit erledigte und damit Trip entlastete? Würde Mama sie verachten, weil sie nicht entschlossener kämpfte? Ihre Augen brannten; ihre Kehle zog sich zusammen bei der Vorstellung, krank und hilflos im Bett zu liegen, während Mama ihre Familie übernahm. Sie wischte die Tränen fort. Natürlich würde Mama alles besser machen als sie. Dieses Wissen schmerzte noch mehr. Mama hatte immer alles hingekriegt. Sogar ohne Papa lief die Farm wie eine gut geölte Maschine. Mama würde wundervolles Essen kochen. Mama würde Charlie Flügel verleihen. Und bestimmt würde Carolyn lesen können, bevor sie vier wurde.
Ich sollte dankbar sein. Immerhin ist sie bereit zu kommen. Damit hätte ich nicht gerechnet.
Nachdem sie sich in der Nachtluft ein wenig abgekühlt hatte, schlüpfte Hildie wieder unter die Decke. Sie wollte ja dankbar sein, während sie zusehen musste, wie ihr ihr Leben langsam entglitt. Wie sehr hatte sie dafür gekämpft, sich von Mamas Erwartungen zu befreien, ihr eigenes Leben zu führen und nicht die unmöglichen Träume ihrer Mutter auszuleben. Bevor sie die Augen zum letzten Mal schloss, würde ihr sogar das Eine, in dem sie sich ausgezeichnet hatte, genommen werden.
Mama wäre die Krankenschwester. Mama würde die Laterne tragen.
Carolyn
Kapitel 2
Carolyn war froh, dass Papa ihr erlaubt hatte, bei Oma Marta in Murietta zu bleiben, bis Oma bei ihnen einzog. Zu Hause hätte sie wieder jeden Tag zu Mrs Haversal von gegenüber gehen müssen, bis Charlie aus der Schule und Papa von der Arbeit kam. Das war schon sehr lange so, seit Mama fortgegangen war.
Aber jetzt kam Mama wieder nach Hause, und Oma würde auch bei ihnen wohnen. Darauf freute sie sich!
Carolyn spielte mit der Stoffpuppe, die Oma ihr geschenkt hatte. Oma packte Kleider in ihren Koffer sowie Bettlaken und bestickte Kissenbezüge, zwei Decken und ein Teeservice mit rosa Rosen und kleine Silberlöffelchen in eine Kiste. Den Koffer und die Kiste verstaute Oma in ihrem neuen grauen Plymouth, dann legte sie noch zwei Kissen auf den Vordersitz, damit Carolyn etwas höher saß und während der langen Heimfahrt aus dem Fenster gucken konnte. Oma erlaubte ihr sogar, die Fensterscheiben herunterzudrehen und die Hand hinauszustrecken.
Sie bogen in ihre Einfahrt ein, als Charlie gerade aus dem Schulbus stieg. „Oma!“ Mit einem Aufschrei kam er angerannt. Oma holte den Hausschlüssel unter dem Blumentopf auf der vorderen Veranda hervor.
Im Haus war alles verändert. Carolyns Bett und ihre Kommode standen jetzt in Charlies Zimmer. Ein kleiner Tisch trennte Charlies von ihrem Bett. Sie ging zurück in ihr altes Zimmer und schaute zu, wie Oma ihren Koffer auf ein neues, größeres Bett wuchtete. Die rosa Wände waren jetzt hellgelb gestrichen, und neue Spitzenvorhänge hingen vor den Fenstern. Es stand auch eine große Kommode mit einem Spiegel in ihrem Zimmer, außerdem ein kleiner Tisch, eine Lampe und ein Schaukelstuhl mit geblümtem Sitzkissen.
„Hier werde ich es sehr bequem haben.“ Oma packte ihre Kleider aus und verstaute sie in der Kommode. Dann trat sie ans Fenster und zog die weißen Spitzenvorhänge zur Seite. „An die Nachbarn in unmittelbarer Nähe muss ich mich erst gewöhnen.“ Sie schüttelte den Kopf und wandte sich ab. „Aber jetzt mache ich mich wohl besser ans Abendessen. Dein Papa kommt bald nach Hause.“
„Kommt Mama auch?“
„Erst in ein oder zwei Tagen.“ Oma öffnete die Tür zu dem kleinen Nebenzimmer. „Hier wird sie wohnen.“
Carolyn blieb in der Tür stehen, während Oma in die Küche ging. Das Zimmer gefiel Carolyn nicht. Es wirkte kalt und fremd ohne einen Teppich auf dem Boden und ohne Vorhänge vor dem Fenster mit dem heruntergezogenen Rollo. Kein Sonnenstrahl drang in das Zimmer.
Carolyn rannte in die Küche. „Das Zimmer wird Mama nicht gefallen.“
„Aber genau so möchte sie es haben. Es ist leicht zu reinigen.“
„Mama liebt Pflanzen auf der Fensterbank. Und Blumen in der Vase.“ Auf Mamas Kommode standen immer gerahmte Fotos.
„Mamas Krankheit mag aber keine Keime.“ Oma schälte Kartoffeln.
„Was sind Keime?“
Oma lachte. „Das musst du deine Mutter fragen.“
Das Abendessen war fertig, als Papa von der Arbeit nach Hause kam. Sie setzten sich an den Küchentisch. „Wann holst du sie nach Hause?“ Oma stellte einen Krug mit Milch auf den Tisch und setzte sich auf Mamas Stuhl.
„Übermorgen.“
„Es gibt vieles, wofür wir dankbar sein können, nicht?“ Oma streckte die Hände aus, und Charlie ergriff die eine, Carolyn die andere. Papa reichte ihnen die Hände, sodass sie einen Kreis bildeten. Seit Mama weggegangen war, hatte er nicht mehr gebetet. Jetzt sprach er ein leises, ruhiges Gebet, sagte Amen und seufzte. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Oma fragte ihn nach seiner Arbeit, und Papa erzählte ein wenig von seinem Tag.
Nach dem Essen stellte Papa die Teller zusammen, aber Oma scheuchte ihn aus der Küche. „Du und die Kinder, ihr könnt spielen oder euch unterhalten oder was ihr sonst so macht. Ich kümmere mich ums Aufräumen.“
Papa ging mit Charlie nach draußen, um Fangen zu spielen. Carolyn setzte sich auf die Treppe und schaute zu.
Oma badete sie. Charlie zuerst, damit er seine Hausaufgaben erledigen konnte. Während Carolyn in der Badewanne spielte, saß Oma auf dem Toilettendeckel. Nach dem Bad drückte Oma Papa ein Buch in die Hand, das er ihnen vorlesen sollte. Carolyn saß auf seiner rechten, Charlie an seiner linken Seite. Als die Geschichte zu Ende war, gab er ihnen beiden einen Kuss und schickte sie ins Bett. Oma betete noch mit ihnen.
Mitten in der Nacht wachte Carolyn auf. Sie hatte sich daran gewöhnt, bei Oma zu schlafen. Leise stieg sie aus dem Bett, schlich durch den Flur zu ihrem alten Zimmer und öffnete die Tür. Oma schnarchte so laut, dass sie mit dem Lärm, den sie machte, bestimmt alle Monster aus dem Haus vertrieb. Vorsichtig schlich Carolyn zu Charlies Zimmer zurück und kroch wieder in ihr Bett. Während sie unter die Decke schlüpfte, schaute sie zu Charlie, der auf der anderen Seite des Zimmers schlief. Mama kam wieder nach Hause! Lächelnd schlief Carolyn wieder ein.
Unmittelbar nach dem Frühstück mit Rührei, Speck und frisch gebackenen Brötchen ging Papa zur Arbeit. Nachdem Charlie zur Schule aufgebrochen war, tippte Oma Carolyn an. „Komm, wir bürsten deine Haare und binden sie zu einem Pferdeschwanz zusammen. Was meinst du?“
Sie nahm Carolyn an der Hand und führte sie in ihr Schlafzimmer. Carolyn kletterte auf ihr Bett. Während Oma ihre Haare bürstete, beobachtete Carolyn ihre Großmutter im Spiegel. Sie mochte ihre weißen Haare und ihre gebräunten, faltigen Wangen. Oma hatte warme, grün-braune Augen, genau wie Mama.
Oma lächelte sie an. „Du siehst Elise sehr ähnlich. Das war meine kleine Schwester, und sie war sehr, sehr hübsch, genau wie du.“ Nachdem alle Knoten aus den blonden Locken entfernt waren, band sie die Haare mit einem Gummiband zusammen. „So, das sieht doch viel besser aus. Meinst du nicht?“
Carolyn blickte sie an. „Wird Mama sterben?“
„Nein. Deine Mutter wird nicht sterben“, erwiderte Oma lächelnd. Liebevoll strich sie über Carolyns Haare. „Sie braucht viel Ruhe. Das ist alles. Und jetzt, wo ich hier bin, kann sie wieder nach Hause kommen und du wirst deine Mutter jeden Tag sehen.“
Oma wirkte nie unsicher oder traurig wie Papa. Sie schien nie vor etwas Angst zu haben. Oma trug eine Brille, und hinter den Brillengläsern strahlten ihre klaren, warmen Augen sehr viel Zuversicht aus.
Oma wollte eine Spazierfahrt mit Carolyn machen. „Ich muss die Gegend hier kennenlernen und herausfinden, wo alles ist.“
„Was denn alles?“
„Der Supermarkt zum Beispiel. Du und ich, wir werden auf Erkundungsfahrt gehen!“ Das klang, als sei es ein großes Abenteuer. „Wir werden eine Bibliothek suchen und uns genügend Bücher für eine ganze Woche ausleihen. Und ich möchte zur Kirche fahren und den Pastor kennenlernen. Dein Papa sagte, dass ihr schon eine Weile nicht mehr zum Gottesdienst gegangen seid, aber das wird sich jetzt ändern.“
„Wird Mama mitkommen?“
„Nein. Vorerst darf sie das noch nicht.“
Oma fuhr zügig und machte Carolyn auf dieses und jenes aufmerksam, während diese alles in sich aufsog. „Sieh nur, dort drüben. Ist es zu fassen! Eine Käserei! Wir werden ein Stück guten Schweizer Käse oder Gouda einkaufen. Und dort ist ja auch eine Bank.“
Oma führte sie zum Mittagessen in ein kleines Café aus. Carolyn durfte einen Hotdog essen und Cola trinken. Bevor sie nach Hause zurückkehrten, wollte Oma noch ins Kaufhaus. Sie schaute sich die Küchenutensilien an und kaufte ein paar Dinge ein. Dann ging es weiter zum Supermarkt. Oma füllte den Einkaufswagen. „Jetzt müssen wir aber nach Hause. Wir wollen doch da sein, wenn Charlie aus der Schule kommt.“
Oma bog in die Einfahrt ein, als eine Meute lärmender Jungen und Mädchen aus dem Schulbus drängten. „Das passt ja genau!“ Charlie kam johlend angerannt. Lachend reichte Oma ihm eine Tüte mit Lebensmitteln. „Du kannst helfen, das Auto auszuladen.“ Eine kleinere Tüte drückte sie Carolyn in die Hand. Sie selbst nahm auch eine Tüte und das Paket aus dem Kaufhaus. Zielstrebig wie ein Spürhund fischte Charlie die Packung mit den Keksen heraus, riss sie auf, schnappte sich eine Handvoll und verschwand nach draußen, um mit seinen Freunden zu spielen.
Amüsiert schüttelte Oma den Kopf. „Er erinnert mich an die Jungen aus meinem Sommerlager.“ Mit geübtem Griff riss Oma das braune Papier von dem Paket und öffnete eine große weiße Schachtel. „Sieh nur, was ich gefunden habe.“ Sie nahm eine kleine Spitzendecke und passende Servietten heraus. „Du, ich und Mama werden jeden Nachmittag zusammen Tee trinken und Leckereien essen. Seit Jahren habe ich das schon nicht mehr gemacht, aber ich habe alle Rezepte mitgebracht.“ Sie holte ein zerlesenes Buch aus ihrer Tasche und legte es auf den Tisch. Ein träumerischer Ausdruck trat auf ihr Gesicht. „Wir werden dafür sorgen, dass es ein ganz besonderes Nachhausekommen für sie wird.“
Als Papa mit Mama nach Hause kam, hielt Oma Carolyn an der Hand. Mama stieg aus dem Wagen, winkte ihnen lachend zu und verschwand sofort im Haus. Carolyn rief nach ihr und wollte ihr folgen, aber ihr Vater stellte sich ihr in den Weg. „Lass deine Mutter in Ruhe. Sie muss ins Bett.“
Mama ging durch den Flur in das kalte Zimmer mit dem seltsamen Bett und schloss die Tür hinter sich. Carolyn versuchte, ihr nachzugehen, doch Papa hielt sie fest und drehte sie zu sich herum. „Geh nach draußen spielen. Ich muss mit Oma reden. Sofort.“ Er gab ihr einen sanften Schubs.
Verwirrt setzte sich Carolyn auf die Verandastufen, bis Papa herauskam. Er ging an ihr vorbei, stieg wieder in den Wagen und fuhr davon.
Oma trat auf die Veranda. „Dein Papa muss zur Arbeit zurück. Du wirst ihn heute Abend sehen.“
„Kann ich zu Mama?“
„Nein, Liebling.“ Sie schüttelte den Kopf und streichelte Carolyn über die Haare. „Möchtest du hier draußen bleiben oder mit in die Küche kommen und mir helfen, Mittagessen zu machen?“
Carolyn folgte Oma in die Küche.
Ihre Mutter kam nur aus dem Zimmer, um zur Toilette zu gehen. Wenn sie Carolyn im Flur stehen sah, scheuchte sie sie fort. Mama setzte sich nicht zum Abendessen an den Küchentisch und hörte sich auch nicht mit ihnen im Wohnzimmer die Radiosendungen an. Niemand außer Papa und Oma durften Mamas Zimmer betreten. Papa blieb oft den ganzen Abend in ihrem Zimmer, während Oma Carolyn und Charlie ein Buch aus der Bücherei vorlas.
Wenn Charlie in der Schule war, ging Carolyn oft nach draußen. Einmal pflückte sie Osterglocken, die Mama vor langer Zeit gepflanzt hatte. Mama liebte Blumen. Als Carolyn eine Handvoll zusammen hatte, ging sie hinein, huschte durch den Flur zu Mamas Zimmer und öffnete die Tür. Mama lag auf der Seite und schlief.
Carolyn schlich auf Zehenspitzen zum Bett. „Mama?“ Sie berührte die Hand ihrer Mutter. Die öffnete die Augen. Ein Lächeln umspielte ihren Mund. Carolyn hielt ihr die Osterglocken hin. „Ich habe dir Blumen gebracht, Mama, damit es dir wieder besser geht.“
Mamas Gesichtsausdruck veränderte sich. Schnell zog sie die Decke über ihren Mund. „Du sollst doch nicht in mein Zimmer kommen, Carolyn. Geh! Sofort!“
Ihre Unterlippe zitterte. „Aber ich will bei dir sein.“
„Das geht aber nicht.“ Die Augen ihrer Mutter füllten sich mit Tränen. „Verlass das Zimmer, Carolyn. Tu, was man dir sagt.“
„Mama …“ Carolyn wollte ihr die Blumen geben.
Ihre Mutter zuckte zurück.
„Mama!“
Mama begann zu husten. „Verschwinde hier!“, stieß sie mühsam zwischen den Hustenanfällen hervor. Als Oma im Türrahmen erschien, gestikulierte ihre Mutter wild. „Schaff sie hier raus! Schaff sie aus dem Zimmer!“ Schnell zog Mama das Laken über ihren Mund und beugte sich vor. „Und pass auf, dass sie draußen bleibt!“
Oma schob Carolyn aus dem Zimmer und zog die Tür fest hinter sich ins Schloss. Verängstigt und verwirrt begann Carolyn zu weinen.
Oma nahm sie auf den Arm und ging mit ihr ins Wohnzimmer. „Beruhige dich doch! Du hast nichts falsch gemacht. Jetzt hör mal.“ Sie setzte sich in den Schaukelstuhl. „Deine Mama ist sehr krank. Du darfst nicht in ihr Zimmer gehen. Wenn du es trotzdem machst, muss sie wieder ins Krankenhaus. Das willst du doch nicht, oder?“
„Nein.“ Warum durfte sie nicht in Mamas Zimmer? Oma ging doch auch hinein. Und Papa auch. Charlie stand manchmal im Türrahmen und redete von da aus mit Mama. Warum musste sie ihr fernbleiben?
„Schsch …“ Oma nahm Carolyn auf den Schoß und begann zu schaukeln. Carolyn steckte den Daumen in den Mund und lehnte sich an ihre Großmutter. „Alles wird gut werden, Liebling. Deine Mutter wird wieder gesund und dann hast du noch ganz viel Zeit mit ihr.“
Danach betrat Carolyn Mamas Zimmer nie mehr. Sie blieb höchstens mal im Flur an der Wand gegenüber stehen, wenn Oma Mama ein Tablett mit Essen brachte. Dann konnte sie einen Blick auf Mama erhaschen.
Als es wärmer wurde, kam ihre Mutter häufiger aus dem Zimmer. Sie trug eine Hose und einen Pullover und setzte sich auf die Veranda, wo Oma Tee, Eiersalat und Dillsandwiches servierte oder Pekannusskekse. Carolyn wartete im Haus, bis Oma sie herausrief. Dann setzte sie sich auf den Stuhl, der so weit wie möglich von ihrer Mutter entfernt stand. Ihre Mutter zog sich den blauen Pullover eng um ihren schmalen Körper. „Es ist kalt.“
Oma schenkte Tee ein. „Wir haben zweiundzwanzig Grad, Hildemara Rose. Du brauchst frische Luft.“
„Irgendwie ist mir immer kalt, Mama, auch wenn die Sonne scheint.“
„Ich hole dir eine Decke.“ Oma legte noch ein Sandwich auf Mamas Teller.
„Keine Decke, Mama. Wir sollten versuchen, uns so normal wie möglich zu verhalten.“
„Normal? Die Nachbarn wissen doch alle Bescheid, Hildemara Rose. Warum, glaubst du, halten sie sich so auffällig von uns fern?“ Oma lachte gepresst. „Feiglinge! Die ganze Bande.“
Mama knabberte an einem kleinen Sandwich. „Du bist eine wundervolle Köchin, Mama.“
„Ich habe von den Besten gelernt.“ Oma stellte ihre Teetasse auf die Untertasse. „Bei Rosis Mutter. Sie hatten ein Hotel. Das habe ich dir doch erzählt, nicht? Und im Hotel Germania hat mich Küchenchef Brennholtz unter seine Fittiche genommen. Er kehrte dann nach Deutschland zurück und geriet in den Krieg. Zuletzt war er wohl Koch bei einem hochgestellten Nazi. Nach Werner Brennholtz habe ich für die Fourniers in Montreux gearbeitet. Solange hat mir ihre französischen Rezepte verraten. Und Lady Daisys Köchin Enid hat mir beigebracht, diese Teekuchen zu backen.“ Oma erzählte von Lady Daisys geliebtem Park Kew Gardens, durch den Oma sie jeden Tag mit ihrem Rollstuhl geschoben hatte. „Das war harte Arbeit, aber es hat mir nichts ausgemacht. Ich liebe die englischen Parks. Natürlich ist es dort nicht so heiß wie in Murietta …“
Oma und Mama redeten auch über Carolyn. „Sie braucht einen Spielkameraden.“
„Die anderen Mütter wollen ihre Kinder nicht mit ihr spielen lassen.“
„Ich habe nachgedacht. Vielleicht wäre es gut, wenn sie einen Hund bekäme.“
„Einen Hund? Ich weiß nicht, Mama. Ein Hund bringt große Verantwortung mit sich.“
„Es würde ihr nicht schaden, ein wenig Verantwortung zu übernehmen. Vielleicht wird sie dadurch selbstständiger.“ Oma lächelte Carolyn an. „Sie ist mein kleiner Schatten geworden.“
Mama lehnte sich zurück und schloss die Augen. „Ich spreche mit Trip.“ Ihre Stimme klang so müde.
Am Abendbrottisch unterhielten sich Papa, Oma und Charlie über die Anschaffung eines Hundes. Papa schlug einen Cockerspaniel vor. „Der wäre klein genug, dass er im Haus leben kann, und groß genug, dass er sich nicht durch den Zaun zwängen kann.“
„Du brauchst doch keinen Rassehund zu kaufen.“ Oma lachte leise. „Es gibt jede Menge Hunde, die keiner will. Eine Promenadenmischung reicht auch.“
Charlie stöhnte laut. „Können wir nicht einen deutschen Schäferhund kaufen, Papa? Roy Rogers hat einen Schäferhund. Bullet rennt so schnell wie der Blitz.“
Oma schien nicht überzeugt. „Und wo soll er hinrennen? Ein so großer Hund braucht viel Auslauf.“
Charlie gab so schnell nicht auf. „Wir haben doch den Garten hinter dem Haus. Natürlich müsste er ausgebildet werden. Ich kenne jemanden, der mir ein paar Tipps geben kann.“
Einige Tage später holte ihr Papa ein kleines Pelzknäuel mit Schlappohren und braunen Augen aus dem Wagen. Er reichte das Hündchen Carolyn, die es fest an sich drückte. „Halt ihn gut fest. Er zappelt ganz schön. Lass ihn nicht fallen.“ Das Hündchen begann Carolyns Gesicht abzulecken. Papa lachte. „Ich glaube, er mag dich.“
Von da an spielte Carolyn fast den ganzen Tag draußen mit dem Hündchen. Sie nannten ihn Bullet. Wenn sie ins Haus ging, blieb er vor der Tür sitzen und jaulte, bis sie wieder herauskam. Mama setzte sich auf die Veranda, während Oma in der Küche arbeitete und Carolyn mit Bullet, der fröhlich kläffend um sie herumsprang, über die Wiese tollte.
Wann immer Oma sich ins Auto setzte, war Carolyn mit dabei. Manchmal fuhren sie bis zu den Erdbeerfeldern in Niles, wo Oma sich mit den japanischen Farmern unterhielt und Körbe voll Erdbeeren kaufte, um Marmelade daraus zu kochen. Dann wieder war die Käserei an der Brücke ihr Ziel. Oma ging mit ihr in den Verkaufsraum zu dem alten Griechen, der sich mit Oma über ihre europäischen Heimatländer unterhielt. Oma machte alle Besorgungen für die Familie: Sie ging einkaufen im Supermarkt, holte Ersatzteile für Reparaturen im Eisenwarenladen und kaufte Kleidung für Charlie und Carolyn im Kaufhaus. Manchmal stritt Mama deswegen mit ihr.
Sonntags besuchte Oma mit Carolyn die Kirche. Papa, Mama und Charlie blieben zu Hause. Papa sagte immer, er hätte zu arbeiten, und Charlie blieb zu Hause, weil Papa zu Hause blieb. Einmal im Monat fuhr Oma mit Carolyn zu ihrer Farm in Murietta. Während sich Oma mit den Martins unterhielt, kletterte Carolyn auf den Baum, fütterte das weiße Kaninchen mit Möhren oder beobachtete die Hühner.
Auf der Farm schlief Carolyn bei Oma im Bett. Sie brauchte dann nicht am Daumen zu nuckeln, sondern kuschelte sich an Oma und fühlte sich sicher und geborgen. Dann träumte sie von Teepartys, bei denen das weiße Kaninchen ihr Karotten aus der Hand fraß. Es stellte sich auf die Hinterbeine, trommelte mit der Pfote und sagte, morgen wolle es aber Eiscreme. Dann kicherte Carolyn im Schlaf.
Alles war gut.
Kapitel 3
1952
Es dauerte fast ein Jahr, aber Mama erholte sich tatsächlich, genau wie Oma vorausgesagt hatte. Sie verbrachte immer mehr Zeit außerhalb ihres Zimmers, setzte sich mit der Familie zum Essen an den Küchentisch und hielt sich auch im Wohnzimmer auf, aber nie rief sie Carolyn zu sich oder nahm sie in den Arm.
„Spiel doch auf dem Teppich, wo ich dir zusehen kann“, sagte sie nur. Charlie baute Forts mit seinem Spielzeug; Carolyn malte in ihren Malbüchern oder saß an Oma gekuschelt da und lauschte ihren Geschichten.
Abends hörte Carolyn häufig, wie Mama und Oma miteinander redeten. Manchmal wurden sie laut. „Lass mich spülen, Hildemara.“
„Ich bin nicht mehr krank.“
„Beruhige dich …“
„Ich will mich nicht beruhigen. Ich will nicht mehr zusehen, wie du Trip und meine Kinder versorgst. Ich bin jetzt wieder so weit bei Kräften, dass ich auch einen Teil der Arbeit übernehmen kann.“
„Ich will doch nur helfen!“
„Du hast genug geholfen, Mama. Manchmal denke ich, du hilfst zu viel.“
Einmal belauschte Caroyln Papa und Mama. „Das ist eine Sache zwischen dir und deiner Mutter. Hör auf zu meckern! Sie hat uns gerettet, Hildie. Unsere Schulden wären viel höher, wenn sie nicht gekommen wäre.“
„Das bedeutet aber nicht, dass das ewig so weitergeht, Trip. Es ist meine Familie. Meine!“
„Das ist doch lächerlich.“
„Du siehst nicht, was ich sehe. Ich verliere –“
„Das ist doch hier kein Wettstreit.“
„Du verstehst das nicht!“
Carolyn bekam Angst, wenn ihre Eltern sich stritten. Sie rückte näher an Oma heran und hoffte, dass sie nie wieder fortginge.
Mama zog wieder in das große Schlafzimmer. Ein Lastwagen holte das Krankenhausbett und den Tisch mit Rädern ab. Mama schrubbte die Böden und Wände und strich das Zimmer wieder rosa. Papa räumte Carolyns Möbel hinein. Oma kaufte einen runden Flickenteppich und eine Kiste für Carolyns Spielsachen, außerdem einen geblümten Stoff, aus dem sie Vorhänge nähte.
Bullet sprang über den Zaun und setzte dem Postboten nach. Danach wurde der arme Hund an die Kette gelegt. Papa baute eine Hundehütte, die so groß war, dass auch Carolyn darin sitzen konnte.
Oma sagte, ein eigenes Zimmer sei ein großer Luxus, aber Carolyn mochte nicht allein in einem Zimmer sein. Sie hatte Angst, die Ungeheuer würden sich wieder unter ihrem Bett verstecken.
Als Oma ihren Koffer packte, sah Carolyn verwirrt zu. „Wo fährst du hin?“
„Nach Murietta.“
Carolyn verschwand in ihrem kleinen Zimmer und packte ebenfalls ihren Koffer, wie sie es immer tat, wenn sie mit Oma übers Wochenende nach Murietta auf die Farm fuhr.
„Du kannst nicht mitkommen, Carolyn.“ Oma setzte sich auf ihr Bett und nahm Carolyn auf den Schoß. „Du wirst hier bei deiner Mama bleiben.“
„Ich will mit dir fahren.“
„Du gehörst aber hierher.“
„Nein, tu ich nicht.“
Oma umarmte sie und gab ihr einen Kuss auf den Kopf. „Hoffentlich bin ich nicht zu lange geblieben.“ Sie stellte Carolyn wieder auf den Boden. „Sei ein braves Mädchen.“
„Ich liebe dich.“
Oma nahm ihr Gesicht in die Hände und gab ihr einen Kuss auf beide Wangen. „Ich liebe dich auch, Liebling. Vergiss das nie.“ Sie erhob sich und nahm Carolyns Hand. „Komm.“
Alle standen draußen auf der Veranda. Oma verabschiedete sich, umarmte alle und gab ihnen Küsse auf beide Wangen, nur Mama nicht, weil die es nicht wollte. „Wie du meinst, Hildemara Rose.“ Kopfschüttelnd stieg Oma die Verandastufen hinab.
Carolyn wollte ihr folgen. Mama legte ihre Hände auf ihre Schultern und hielt sie fest. „Nein!“ Carolyn wehrte sich, aber Mamas Griff wurde fester, ihre Finger gruben sich schmerzhaft in ihr Fleisch. Carolyn begann zu schreien. „Oma! Oma!“
Oma schaute nach hinten, setzte rückwärts aus der Einfahrt und fuhr die Straße entlang. Schluchzend schlug Carolyn um sich und wollte sich befreien. „Hör auf“, sagte Mama mit gebrochener Stimme.
Papa packte Carolyn am Arm und zog sie ins Haus. Als sie wieder nach draußen laufen wollte, nahm er sie unter den Arm und trug sie schreiend und um sich tretend durch den Flur. „Hör auf! Du regst deine Mutter auf!“
Schimpfend legte er Carolyn übers Knie und schlug zweimal fest zu. Das tat sehr weh und vor Schreck verstummte sie. Papa warf sie auf das Bett. Mit gerötetem Gesicht und funkelnden Augen beugte er sich über sie und fuchtelte mit dem Finger vor ihrem Gesicht herum. „Wenn du dich aus dem Zimmer wagst, dann bekommst du eine Tracht Prügel, wie du sie bisher noch nie bekommen hast!“ Papas Hand zitterte. „Ich will keinen Mucks mehr hören. Hast du verstanden? Keine Tränen mehr! Du denkst, du hättest es schwer? Ich habe gesehen, wie Kinder, die halb so alt waren wie du, in ausgebombten Gebäuden nach etwas zu essen gesucht haben. Sie hatten keine Mütter, die sie geliebt und sich um sie gekümmert haben. Ihre Mütter waren von den Bomben zerrissen worden! Oma ist nach Hause gefahren. Das Leben geht weiter. Wenn du deine Mutter zum Weinen bringst, dann schwöre ich, werde ich …“ Er ballte die Hände zur Faust.
Papas Gesicht veränderte sich. Er fuhr sich mit der Hand über die Wangen und verließ das Zimmer.
Die Tür wurde geöffnet. Carolyn schreckte hoch. Sie steckte den Daumen in den Mund, und ihr Herz begann wild zu klopfen. Seit Papa sie aufs Bett geworfen hatte, hatte sie sich nicht mehr gerührt. Nicht einmal, als sie eigentlich dringend zur Toilette musste. Mama stand in der Tür. Sie verzog das Gesicht. „Du hattest wohl einen kleinen Unfall, nicht?“
Carolyn rutschte in die hinterste Ecke des beschmutzten Bettes. Sie zitterte am ganzen Körper.
„Ist schon gut.“ Mama stieß die Tür weiter auf, doch sie kam nicht ins Zimmer hinein. „Niemand ist böse auf dich. – Trip!“, rief sie mit zittriger Stimme.
Als sie die Schritte ihres Vaters hörte, drückte Carolyn sich noch fester an die Wand. Tränen liefen ihr über die Wangen. Mama war schon wieder aufgebracht, und Papa war bestimmt böse mit ihr. Carolyn hatte noch Papas Gesicht von vorhin vor Augen, seine Faust, und hörte noch seine Worte. Als Papa im Türrahmen erschien, atmete sie stoßweise.
„Sie muss in die Badewanne.“ Mama wischte sich die Tränen von den Wangen. „Ein schönes warmes Bad, Trip, und sprich freundlich mit ihr. Sie scheint einen Schock zu haben.“ Mama sprach mit gepresster Stimme. „Ich ziehe das Bett ab und wasche alles.“
Carolyn erinnerte sich später nicht, wie sie vom Bett ins Bad gekommen war. Papa duschte sie zuerst ab und gab dann eine Kappe voll Schaumbad in die Wanne und ließ warmes Wasser ein. Er sprach betont fröhlich mit ihr, aber er wirkte ganz und gar nicht glücklich. Seine Hände zitterten, als er sie wusch. Trotz des warmen Wassers zitterte Carolyn am ganzen Körper. Als er sie aus der Wanne hob, stand sie mucksmäuschenstill da, während er sie abtrocknete und ihren Schlafanzug anzog.
„Heute Nacht wirst du im Schlafsack schlafen. Das ist doch toll. Du wirst es schön gemütlich haben.“
Sie wollte zu ihrer Oma, aber das wagte sie nicht zu sagen. Sie wollte zu Bullet, aber Papa würde sie bestimmt nicht in dem gemütlichen Hundehaus schlafen lassen. Sie wollte zu Charlie.
Im Wohnzimmer spielte das Radio. Papa versuchte, ihre Haare zu entwirren. „Mama kocht ein schönes Abendessen für uns. Sag ihr, wie gut es dir schmeckt.“ Er gab den Versuch auf, ihre Haare zu kämmen, und warf die Bürste ins Waschbecken. Das klappernde Geräusch ließ Carolyn zusammenzucken. Papa nahm sie auf den Arm und drückte ihren Kopf an seine Schulter. „Ich weiß, dass du Oma vermisst, Carolyn, aber du bist doch unser kleines Mädchen.“
Sie blieb schlaff auf seinen Knien sitzen, die Hände wie tot auf ihrem Schoß. Wenn sie sich rührte, würde Papa sie dann wieder schlagen? Er stellte sie auf den Boden. „Geh ins Wohnzimmer“, sagte er knapp.
Schnell rannte sie aus dem Bad. Bevor sie durch die Tür verschwand, schaute sie noch einmal zurück. Papa saß auf dem heruntergeklappten Toilettendeckel, den Kopf in den Händen vergraben.
Carolyn tat alles, was Mama und Papa ihr sagten. Sie stellte keine Fragen, sie widersprach nicht. Manchmal, wenn alle bereits zu Bett gegangen waren, schlich sie leise durch den Flur zu Charlies Zimmer und rollte sich mit ihrer Decke vor seinem Bett zusammen. In kalten Nächten ließ er sie manchmal mit ins Bett kriechen. Meist wachte sie so früh auf, dass sie in ihr eigenes Bett zurückgehen konnte und Mama nicht merkte, dass sie in Charlies Zimmer geschlafen hatte.
Jeden Sonntag ging die Familie jetzt zur Kirche. Carolyn mochte die Sonntagsschule. Die netten Mitarbeiter lasen ihnen dieselben Geschichten vor, die Oma ihnen vorgelesen hatte. Ihr gefiel der Gesang, der durch die Wände aus dem Gemeindesaal zu ihnen herüberdrang, und sie wünschte, sie wäre mit dort drüben in dem Raum mit dem langen roten Teppich, der hohen Decke und den Stufen, die zum Kreuz und den goldenen Kerzenleuchtern und den weißen, brennenden Kerzen auf dem Tisch führten.
Eines Tages nach der Kirche fuhr Papa nicht direkt nach Hause, sondern in eine andere Richtung. „Ich glaube, ich habe das Passende gefunden.“ Papa lächelte Mama an. Charlie spähte aufmerksam aus dem Fenster. Carolyn konnte nichts sehen.
Papa bog von der Straße ab. Der Wagen holperte und ächzte. „Da ist es.“
„Seht nur, der Baum!“ Charlie kurbelte seine Fensterscheibe herunter. „Kann ich draufklettern?“
Papa hielt an. „Nur zu.“
„Sei vorsichtig!“, rief Mama Charlie nach.
Papa lachte. „Entspann dich. Er ist ein kleiner Affe.“
Mama blickte zurück, während Papa weiterfuhr. „Ein englischer Walnussbaum. Dieser eine Baum trägt bestimmt massenhaft Nüsse. Vielleicht können wir sie verkaufen und von dem Erlös einen Teil der Steuern zahlen.“
Papa grinste. „Mir gefällt, dass du so praktisch denkst.“ Er parkte den Wagen und stieg aus. „Komm. Lass uns über das Grundstück laufen. Sag mir, was du davon hältst.“
Carolyn stieg aus, nachdem ihre Eltern davongegangen waren. Sie suchte nach dem großen Baum und entdeckte ihren Bruder hoch oben in den Ästen. Charlie kletterte immer weiter. Sie schlenderte zurück und hörte, wie Mama und Papa sich unterhielten.
„Geht das denn, Trip? Ich meine, wir haben doch keine Ahnung vom Hausbau.“
„Das können wir lernen. Ich habe bereits Bücher in der Bibliothek bestellt. Die Bank leiht uns das Geld für das Grundstück. Aber für einen Architekten und einen Bauunternehmer reicht es nicht. Wir werden es ganz allein schaffen müssen, Hildie.“
„Du willst das wirklich, nicht wahr, Trip?“
„Du nicht? Du hast doch immer gesagt, dass du dich in der Stadt beengt fühlst. Immerzu redest du von der Farm.“
„Wirklich?“
Papa ergriff ihre Hand und küsste sie. Arm in Arm spazierten sie über das Grundstück. Carolyn folgte ihnen in so großem Abstand, dass sie nicht bemerkt wurde, aber trotzdem nah genug, dass sie hörte, was sie sagten. „Stell dir das doch nur vor, Hildie. Wir könnten das Haus bauen, wo wir wollen, und einen Brunnen graben lassen. Als Erstes sollten wir eine Hütte errichten für das Werkzeug und alles Baumaterial. Dann bräuchte ich nicht immer alles mitzuschleppen. Ein paar Mal in der Woche könnten wir nach der Arbeit herkommen und mit dem Fundament beginnen, und natürlich am Wochenende. Nichts Großartiges, nur ein einfaches Haus, einen großen Raum zuerst, dann die Küche und ein Bad. Und wenn wir eingezogen sind, könnten wir nach und nach weitere Zimmer anbauen.“
„Das ist furchtbar viel Arbeit, Trip.“
„Ich weiß, aber wir würden es ja für uns bauen. Wie sonst sollten wir unser Traumhaus auf dem Land bekommen, wenn wir es nicht anpacken?“
„Bis zur Stadt und den Schulen ist es ziemlich weit.“
„Nur zwei Meilen, und außerdem gibt es einen Schulbus. Danach habe ich mich bereits erkundigt. Charlie braucht nur bis zur Straße zu gehen. Dann wird er jeden Tag abgeholt und wieder hergebracht.“
Mama schaute sich noch einmal um. Sie runzelte die Stirn. „Ich weiß nicht, Trip.“
Papa drehte sie zu sich herum. „Atme doch nur mal tief durch, Hildemara.“ Er strich ihr über die Arme. „Hast du es denn nicht allmählich satt, in einem Haus zu wohnen, in dem du von allen Seiten von anderen Häusern eingeschlossen bist? Und von den tratschenden Nachbarn, die dich meiden wie eine Aussätzige? Wäre es dir nicht lieber, wenn deine Kinder so aufwachsen würden wie du? Auf dem Land, mit viel Platz zum Spielen und Toben? Hier bräuchten sie nicht mehr im Schatten eines Bundesgefängnisses zu leben.“
Mama bückte sich und hob eine Handvoll Erde auf. Sie schnupperte daran und zerkrümelte sie. „Riecht gut.“ Sie ließ die Erde durch ihre Finger rinnen. „Wir könnten zuerst ein Zelt aufbauen, auf einem Campingkocher kochen, die Lebensmittel im Kofferraum des Wagens aufbewahren und ein Toilettenhäuschen bauen.“
Papa grinste. „Jetzt redest du vernünftig!“
„Wir könnten noch weitere Walnuss- und Obstbäume anpflanzen, ein paar Weinstöcke vielleicht, und dort drüben einen Gemüsegarten anlegen. Wir könnten Hühner halten …“
Papa zog sie in die Arme und küsste sie. Als er sich von ihr löste, war Mamas Gesicht gerötet. Lächelnd ergriff Papa ihre Hand. „Komm, wir überlegen uns, wo das Haus stehen soll.“
Carolyn sah ihnen nach. Sie schlenderte zurück zum Walnussbaum und beobachtete, wie sich ihr Bruder von einem Ast zum anderen hangelte.
Schließlich riefen Papa und Mama nach ihnen. „Charlie! Carolyn! Kommt, ihr zwei. Es ist Zeit, zum Mittagessen nach Hause zu fahren.“ Carolyn kletterte auf den Rücksitz. Charlie war ein wenig außer Atem von dem schnellen Abstieg. Papa ließ den Motor an. „Wir werden hier ein Haus bauen, Kinder. Was haltet ihr davon?“
„Wir werden hier draußen wohnen?“ Charlie war nicht so ganz begeistert.
„Ja.“
„Aber was ist mit meinen Freunden? Wenn wir umziehen, sehe ich sie ja nie wieder.“
„Du triffst sie doch jeden Tag in der Schule.“ Papa bog auf die Straße ab. „Und hier in der Gegend wohnen jede Menge Kinder. Ich habe eins auf einem Fahrrad und ein anderes auf einem Pferd gesehen.“
„Auf einem Pferd?“ Charlies Augen leuchteten auf. „Können wir ein Pferd haben?“
Papa lachte und blickte Mama an. „Vielleicht. Aber nicht sofort.“
Niemand fragte Carolyn, was sie davon hielt, aus dem einzigen Haus auszuziehen, das sie je gekannt hatte. Aber Carolyn hatte sowieso keine Spielkameradinnen. Nur eines beunruhigte sie. „Wird Oma mich denn hier finden können?“
Mama und Papa wechselten einen Blick. „Natürlich. Sie kann uns jederzeit besuchen.“ Papa nickte. Mama starrte zum Fenster hinaus.
Jeden Freitag nach der Arbeit brach Carolyns Vater mit der Familie zum „Grundstück“ auf. Sie ließen Paxtown mit seinen alten Gebäuden hinter sich und fuhren durch Wiesen und über einen Hügel mit einem Friedhof. Die Happy Valley Road war die erste links hinter dem Hügel. Papa hatte ein großes Zelt aufgebaut. Charlie verschwand immer sofort zum Klettern in dem großen Walnussbaum; Mama breitete ihre Schlafsäcke auf dem Boden aus, baute den Campingkocher auf und fing an, Abendessen zu kochen. Papas erstes Projekt war es, ein großes Loch zu graben und eine Toilette zu bauen. Danach errichtete er eine Hütte für sein Werkzeug und sicherte die Tür mit einem schweren Schloss.
Carolyn war sich selbst überlassen und stromerte mit Bullet durch die Gegend. Als der Hund einmal die Schafe eines Nachbarn jagte, schlug Papa eine Eisenstange in den Boden und befestigte eine Kette daran. Jetzt konnte sich Bullet nur noch im Kreis bewegen. Er lief so lange in eine Richtung, bis die Kette sich aufgerollt hatte. Carolyn führte ihn dann in die andere Richtung, bis er wieder mehr Freiraum hatte.
Innerhalb weniger Wochen kannte Charlie jeden, der in ihrer Straße wohnte. Er besuchte mit Carolyn ihren nächsten Nachbarn. Lee Dockery hatte Bienenstöcke hinter seinem Haus. „Nennt mich Dock.“ Er beugte sich herab und lächelte sie an. „,Es kommt ein Mann die Treppe hoch‘.“ Seine Finger wanderten von Carolyns Bauch über ihre Brust hoch und kitzelten sie unter dem Kinn. Sie kicherte. Er sagte, sie könnte ihn jederzeit besuchen kommen, und schenkte jedem eine Honigwabe zum Lutschen.
Ihrem Vater stand sie häufig im Weg herum, und ihre Mutter ermahnte sie, sich nicht so schmutzig zu machen. Da Charlie die meiste Zeit unterwegs war, hatte Carolyn keinen zum Spielen. Oft ging sie hinüber zu dem Stacheldrahtzaun und sah Dock zu. Die Bienen umschwärmten ihn, wenn er die Holzrahmen mit den Honigwaben aus den Stöcken zog.
„Stechen sie dich nicht?“, rief sie herüber.
„Die Bienen sind meine Freunde. Ich nehme ihnen nie mehr fort, als sie mir freiwillig geben.“
Dock lud sie in sein Haus ein und zeigte ihr, wie man den Honig aus den Waben schleuderte. Er erlaubte ihr, den Finger in die zähflüssige, süße Masse zu stippen, die durch ein Rohr in Glaskrüge floss. Er nannte sie „kleine Honigbiene“ und tätschelte ihr den Kopf, so wie sie Bullet tätschelte. Manchmal nahm er sie auf seinen Schoß und erzählte ihr von seiner Frau, die bereits gestorben war, und wie sehr sie sich Kinder gewünscht, aber keine bekommen hatten.
„Du siehst müde aus.“ Er drückte ihren Kopf an seine Brust, die nach Tabak und Schweiß roch, und streichelte ihre Beine unter ihrem Kleid. „Deine Mutter ruft dich.“ Dock stellte sie wieder auf den Boden. „Du musst jetzt nach Hause gehen, Honigbiene.“ Er küsste sie auf den Mund und wirkte sehr traurig. „Komm bald wieder, dann spielen wir miteinander.“
Carolyn kroch unter dem Stacheldraht hindurch und rannte durch die Wiese mit den Butterblumen.
„Warum hast du mir nicht geantwortet?“ Ihre Mutter schüttelte sie. „Wo bist du gewesen?“
„Bei Dock.“
„Dock?“
„Mr Dockery, Mama.“ Charlie antwortete für sie. „Der Bienenmann. Er schenkt uns Honigwaben.“ Er saß an dem Campingtisch, an dem sie ihre Mahlzeiten einnahmen. „Er ist sehr nett.“
Stirnrunzelnd ließ Mama sie los und richtete sich auf. Ihr Blick wanderte zu dem Nachbarhaus. „Nun gut, du lässt Mr Dockery in Zukunft in Ruhe. Er hat sicher viel Arbeit und will nicht, dass du ihm im Weg stehst.“
Carolyn verschwieg ihr, dass Dock sie lieber mochte als Mama oder Papa. Er hatte gesagt, sie solle bald wiederkommen. Dann würde er mit ihr spielen.
Kapitel 4
Den Sommer über wohnte die Familie unter der Woche auch weiterhin in dem gemieteten Haus in der Nähe des Gefängnisses. Die Wochenenden verbrachten sie auf ihrem neuen Grundstück. Papa und Mama lasen Carolyn nicht mehr vor und spielten auch nicht mehr mit ihr. Ihr Vater beschäftigte sich mit den dicken Büchern, die mit der Post kamen. Er machte sich Notizen und Skizzen auf gelbe Blocks. Auf Papierrollen fertigte er mithilfe eines Lineals große Zeichnungen an, die mit vielen Zahlen versehen waren. Ihre Mutter war mit der Hausarbeit, der Wäsche und dem Garten beschäftigt. Charlie spielte mit seinen Freunden. Carolyn spielte allein. Abends ging sie immer als Erste in die Badewanne, während Charlie sich eine Rundfunksendung anhörte. Sie lag immer als Erste im Bett, machte immer als Erste das Licht aus.
Wenn sie zusammengerollt auf der Seite lag, die Stoffpuppe fest an sich gedrückt, erinnerte sich Carolyn daran, wie sie mit Oma im grauen Plymouth herumgefahren war. Wie schön war es, eine Tüte Wonderbread aufzureißen und auf dem Heimweg vom Supermarkt eine frische Scheibe zu verputzen. Oma hatte ihr immer Geschichten vorgelesen und Puzzles mit ihr gemacht. Carolyn hatte ihr in der Küche geholfen. Das alles vermisste sie sehr, auch die Teepartys am Nachmittag. Aber vor allem fehlten ihr Omas Umarmungen und Küsse. Ihre Mutter umarmte und küsste ausschließlich Papa.
Morgens zog Charlie mit seinen Freunden los, und Mama widmete sich der Hausarbeit. „Geh draußen spielen, Carolyn.“ Carolyn formte Schlammkekse und backte sie auf einem Brett und tat so, als würde sie sie ihrer Stoffpuppe zu essen geben. Bullet saß mit hoch erhobenem Kopf und gespitzten Ohren neben ihr. Manchmal leckte er Carolyns Gesicht, aber Mama mochte das nicht. Wenn er es trotzdem tat, musste Carolyn immer sofort ins Haus kommen und ihr Gesicht mit Seife waschen, die wie Feuer in ihren Augen brannte.
Sie freute sich auf den Freitagabend, wenn Papa mit ihnen hinaus zum Grundstück fuhr. Am Samstag gossen ihre Eltern Zementfundamente und mauerten Wände. Dann ging Carolyn zu Dock hinüber. Wenn sie sich mit Honig klebrig machte, badete er sie. Er drückte ihr nicht nur einfach einen Waschlappen in die Hand und forderte sie auf, sich zu waschen, sondern er wusch sie mit den Händen.
Er sagte ihr, er würde sie lieben. Und er versprach, ihr nie weh zu tun.
Sie glaubte ihm.
Am Ende des Sommers hatte ihr Vater den großen Raum fertiggestellt, und die Familie zog auf das Grundstück. Während Mama die Wände verputzte und anstrich, begann Papa mit der Arbeit an der Küche, dem Bad und zwei Schlafzimmern. Carolyn war froh, dass sie sich zunächst ein Zimmer mit Charlie teilte. Sie mochte es nicht, ganz allein zu schlafen.
Dock winkte Carolyn zu sich herüber, wenn Mama nicht hinsah, und bot ihr an, mit ihr zu spielen, während Mama im Garten arbeitete. Er hatte Halma und Mikado und gab ihr Honig, Kräcker und Milch. „Erzähl deinen Eltern nichts davon. Sie würden dir bestimmt verbieten, mich weiter zu besuchen, weil sie denken, du würdest mich stören. Aber du willst doch wiederkommen, nicht? Es gefällt dir doch bei Dock, nicht?“
Carolyn legte die Arme um seinen Nacken und sagte, sie hätte ihn lieb. Und das meinte sie auch so. Wenn Mama nach ihr rief, schickte er sie immer sofort nach Hause. Und sie hütete sich, mit irgendjemandem über Dock zu reden.
Sobald Papa nach Hause kam, machte er sich an die Arbeit. Die elektrische Motorsäge begann zu kreischen, und es roch intensiv nach Sägemehl.
„Im September kommst du in die Schule, Carolyn“, sagte ihre Mutter zu ihr. „Wir fahren zum Orientierungstag. Du wirst deine Lehrerin Miss Talbot kennenlernen, und ich zeige dir, wo du in den Schulbus steigen musst.“
Carolyn erzählte Dock, sie habe Angst vor der Schule. Was, wenn niemand sie mochte? Oder der Bus ohne sie losfuhr? Was, wenn …? Er nahm sie auf den Schoß und versicherte ihr, alles würde gut werden. Er sagte, er wünschte, sie wäre sein kleines Mädchen. Er würde mit ihr fortgehen, und sie bräuchte nie zur Schule zu gehen. Sie würden den Zoo in San Diego besuchen. Er würde mit ihr zum Strand fahren, und dann könnte sie im Sand spielen, solange sie wolle. „Würdest du gern bei mir leben, Honigbiene?“
„Ich würde Charlie und Oma vermissen.“
„Charlie hat seine Freunde, und deine Oma kommt dich doch nur ganz selten besuchen.“
Dock hatte keine Lust mehr auf Brettspiele. Er zeigte ihr andere Spiele – geheime Spiele, nannte er sie, und er sagte, dass Carolyn etwas ganz Besonderes sei. Er band ihr ein rotes Seidenband um den Hals und machte eine tiefe Verbeugung vor ihr. Die ersten Male hatte sie dabei ein komisches Gefühl, aber andererseits war er doch immer so nett zu ihr. Ganz allmählich überwand sie das Unbehagen und tat, was er von ihr verlangte. Auf keinen Fall wollte sie riskieren, dass er sie auf einmal nicht mehr mochte. Denn wer wäre dann ihr Freund?
Eines Tages tat er ihr bei ihren geheimen Spielen sehr weh. Sie schrie auf, und Dock drückte seine starke, raue Hand auf ihren Mund. Sie schmeckte Blut. In Panik schlug sie um sich, aber er hielt sie eisern fest. Aufgebracht befahl er ihr, sich zu beruhigen und den Mund zu halten; alles würde gut werden.
Dann begann Dock zu weinen. „Es tut mir leid, Honigbiene. Es tut mir so leid!“ Er weinte so sehr, dass Carolyn Angst bekam. „Es tut mir leid. Es tut mir leid.“ Er wusch ihr das Blut von den nackten Beinen und zog ihr die Unterwäsche wieder an. Sein Gesicht war nass von Tränen und ganz verzerrt. „Ich kann nicht mehr dein Freund sein, Honigbiene. Und du darfst nicht verraten, dass du hierhergekommen bist. Keinem Menschen. Niemals. Deine Mutter hat es dir verboten. Sie wird dir eine Tracht Prügel verabreichen, weil du ihr nicht gehorcht hast. Dein Vater würde mich hier wegjagen oder ins Gefängnis bringen. Und das willst du doch nicht, oder?“ Sein Blick wirkte gehetzt. „Versprich mir, dass du nichts verrätst! Wir beide bekämen eine Menge Ärger, wenn jemand erführe, dass wir Freunde sind.“
An diesem Abend lag sie zusammengerollt auf der Seite und nuckelte am Daumen. Innendrin tat ihr noch alles weh. Charlie im anderen Bett schlief wie ein Murmeltier. Dock kam an ihr Fenster und klopfte leise. Sie stellte sich schlafend.
Am folgenden Tag, als Dock sie zu sich winkte, zog sie den Kopf ein und gab vor, ihn nicht zu sehen.
In jener Nacht kam er wieder ans Fenster und sprach leise mit ihr. Charlie schlief und hörte nichts. Sie wollte nicht den Zoo von San Diego besuchen. Sie wollte nicht nach Mexiko fahren. „Ich komme wieder, Honigbiene. Ich liebe dich, Baby.“
Am ganzen Körper zitternd kniff sie fest die Augen zu, bis er weg war. Sie wollte nicht mehr mit ihm spielen. Als alles still geworden war, nahm sie ihre Decke vom Bett, schnappte sich ihr Kissen und versteckte sich im Schrank.
Als Charlie am Morgen die Tür öffnete, begann sie zu schreien. Er zuckte zurück und schrie vor Schreck ebenfalls los.
Ihre Mutter kam angerannt. „Was ist denn los mit euch beiden?“
„Carolyn hockt im Schrank!“
„Was machst du denn im Schrank?“
„Ich hatte Angst.“
„Wovor?“
Sie schüttelte den Kopf. Die Angst war zu groß.
Jede Nacht litt sie unter Albträumen. Mama und Papa waren ratlos.
„Irgendetwas muss passiert sein, Trip. Ich weiß nicht, was, aber irgendetwas stimmt nicht. Ich spüre es. Heute Nachmittag hat Miss Talbott angerufen. Sie sagte, Carolyn sei im Spielhaus eingeschlafen. Und wie es scheint, lutscht sie auch wieder am Daumen.“
„Das hat sie doch seit zwei Jahren nicht mehr gemacht.“
„Einige der Kinder hänseln sie deswegen. Miss Talbot hat versucht, mit ihr zu reden, aber sie meinte, Carolyn sei wie eine kleine Muschel. Sie spricht überhaupt kaum ein Wort.“
Während des Abendessens behielten ihre Eltern sie ständig im Auge. Ihr Vater fragte sie, ob sie in der Schule geärgert würde. Ihre Mutter sagte, sie könnte ihnen alles erzählen, aber Dock hatte ihr ja erklärt, was passieren würde, wenn sie es tat. Als sie keine Antwort gab, fragten sie Charlie. „Hat es in der Schule irgendeinen Vorfall gegeben?“
„Wir spielen nicht auf demselben Spielplatz wie die kleinen Kinder.“
„Und im Schulbus?“, wollte Papa wissen. „Hat sie jemand belästigt?“
„Ich weiß es nicht, Papa.“
„Nun, dann mach es dir doch zur Aufgabe, das herauszufinden.“ Papa hob die Stimme. „Sie ist immerhin deine Schwester! Pass auf sie auf!“
Als sie abends im Bett lagen, drängte Charlie sie: „Sag mir doch, wer dich ärgert, Carolyn. Ich werde ihn verhauen. Und dafür sorgen, dass er dich in Ruhe lässt.“
Carolyn dachte daran, wie groß Dock war und wie leicht er ihren Bruder verletzen könnte. Darum zog sie die Decke über den Kopf und versteckte sich darunter.
In der Schule versuchte Miss Talbot, Zugang zu ihr zu finden. „Deine Mama sagt, dass du unter Albträumen leidest. Möchtest du mir von deinen Träumen erzählen, Liebes?“
Carolyn zuckte die Schultern und tat so, als würde sie sich nicht daran erinnern. Alle wären böse auf sie, wenn sie die Sache mit Dock verriete – Mama, Papa, Charlie. Schließlich hatte Dock wegen ihr geweint, oder etwa nicht? Sie hatte einen schlimmen Fehler begangen.
Mama und Papa unterhielten sich eines Tages über Mr Dockery. Eine schreckliche Furcht stieg in Carolyn hoch. Ihre Kehle wurde eng, und ihr Magen krampfte sich zusammen, als würde Dock sie wieder berühren. Sie erinnerte sich an den Schmerz. Und das Blut. An jedes Wort, das er gesagt hatte. Kleine schwarz-gelbe Bienen summten um ihr Gesicht. Ein kalter Schauer lief über ihre Haut, als krabbelten die kleinen Insekten mit ihren stachligen Füßen an ihr hoch.
„Heute Morgen war ich drüben. Die ganze Einfahrt liegt voller Zeitungen. Er hat sie seit Tagen nicht mehr reingeholt.“
Papa war beunruhigt und ging hinüber, um nach ihm zu sehen. Kalter Schweiß brach Carolyn aus. Als er wiederkam, erzählte er, auch die Post hätte sich neben seiner Tür angesammelt. Durch die Fenster konnte er nichts erkennen. Die Vorhänge waren zugezogen. Er ging zum Telefon. Als die Polizei eintraf, schickte Mama Carolyn nach draußen.
Am liebsten wäre sie davongelaufen, aber sie wusste nicht, wohin. Darum kletterte sie auf den Walnussbaum und beobachtete, wie ihr Vater und der Polizist die Haustür von Lee Dockerys Haus aufbrachen. Sie kamen ohne ihn wieder heraus.
Am Abend, nachdem Charlie und Carolyn zu Bett geschickt worden waren, unterhielten sich Mama und Papa im Wohnzimmer über Lee Dockery. Carolyn stand leise auf, setzte sich vor die Tür und lauschte.
„Wir haben mit den Nachbarn gesprochen. Seit Tagen hat ihn keiner mehr gesehen. Sein Truck ist fort, auch die Bienenstöcke. Er scheint in aller Eile seine Sachen gepackt zu haben und fortgefahren zu sein. Keiner hat eine Ahnung, wo er hin ist und ob er je wieder zurückkommt. Alle sagen, das sei ein seltsamer alter Vogel.“
„Niemand lässt sein Haus und seinen Besitz einfach zurück. Vielleicht besucht er nur irgendwelche Verwandten.“
„Er scheint keine Verwandten zu haben. Ich habe auch nie gesehen, dass er je Besuch bekommen hätte. Du etwa?“
„Charlie und Carolyn sind ein paar Mal hinübergegangen, aber ich habe sie gebeten, sich von ihm fernzuhalten.“
„Warum?“
„Er hat so etwas an sich. Ich weiß nicht. Er war mir unheimlich. Trip, denkst du …“ Mama schien sehr besorgt zu sein.
„Was?“
„Ach, vermutlich ist meine Reaktion überzogen. Ich frage mich nur, ob Carolyns Verhalten vielleicht etwas mit ihm zu tun hat. Ich habe ihr zwar verboten, zu ihm zu gehen, aber was, wenn sie sich nicht daran gehalten hat?“
Carolyn hielt die Luft an. Hatten sie ihr Geheimnis gelüftet? Würde Papa Dock verfolgen und ihn erschießen, wie Dock gesagt hatte?
„Carolyn?“, lachte Papa. „Sie ist doch viel zu schüchtern.“
Mama schwieg kurze Zeit. Dann sagte sie: „Vermutlich hast du recht. Ich wünschte nur, ich wüsste, was mit ihr los ist. Trip, sie spricht kaum ein Wort mit mir. Ich weiß mir einfach keinen Rat mehr.“
Mama begann zu weinen. Carolyn kroch in ihr Bett zurück, bevor sie noch mehr Ärger bekam, als sie ohnehin schon hatte.
1953
Carolyns Albträume verfolgten sie während der Wintermonate, wurden aber seltener, als es länger hell blieb. Notfalls konnte sie zu Charlie ins Bett schlüpfen. Er schlief so fest, dass er sie erst am Morgen bemerkte.