Saat des Segens - Francine Rivers - E-Book

Saat des Segens E-Book

Francine Rivers

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Beschreibung

Tamar, Rahab, Ruth, Batseba und Maria: fünf außergewöhnliche Frauen, die allesamt in der Ahnentafel Jesu im Evangelium des Matthäus erwähnt werden. Fünf bewegende Lebensgeschichten, die von Francine Rivers packend nacherzählt werden. Diese Porträts lassen eintauchen in die Welt der Bibel. Sie machen deutlich, dass viele Fragen und Probleme überraschend aktuell sind. Und dass es sich trotz Schwierigkeiten und Rückschlägen lohnt, an Gott festzuhalten. Dieser Sammelband enthält fünf Romane, die bisher nur als Einzelbände erhältlich waren.

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Über die Autorin

Francine Rivers war bereits eine bekannte Bestsellerautorin, als sie sich dem christlichen Glauben ihrer Kindheit wieder zuwandte. Danach schrieb sie 1986 ihr bekanntestes Buch, „Die Liebe ist stark“, dem noch rund 20 weitere großartige Romane folgten. Heute lebt Francine mit ihrem Mann in Nordkalifornien und genießt es, Zeit mit ihren drei mittlerweile erwachsenen Kindern zu verbringen und ihre Enkel zu verwöhnen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Die amerikanische Originalausgabe erschien im Verlag Tyndale House Publishers (Reprint/Compilation Edition 2009) unter dem Titel „A Lineage Of Grace“.Published in association with Browne and Miller Literary Associates, LLC, 410 Michigan Avenue, Suite 460, Chicago, IL 60605© „Tamar“ und „Rahab“ 2000 by Francine Rivers© „Ruth“, „Batseba“ und „Maria“ 2001 by Francine RiversAll Rights Reserved.© 2016 Gerth Medien GmbH, Dillerberg 1, 35614 Asslar,Die Bibelstellen wurden, wenn nicht anders angegeben, der folgenden Übersetzung entnommen: Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung, © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart1. Auflage 2017ISBN 9783961222391Umschlaggestaltung: Hanni PlatoUmschlagmotiv: Robert PappSatz: DTP Verlagsservice Apel, Wietzewww.gerth.de

Einleitung

Liebe Leser,

dies sind die Geschichten von fünf Frauen, die im Stammbaum von Jesus auftauchen und ihm den Weg bereitet haben. Sie lebten im alten Orient, aber ihre Probleme, Wünsche und Freuden sind durchaus mit unseren heute zu vergleichen. Sie mussten Entscheidungen treffen. Sie bewiesen Mut. Sie taten manchmal Dinge, die uns aus heutiger Sicht seltsam oder verwerflich vorkommen. Sie wagten etwas, und manchmal begingen sie Fehler – große Fehler. Diese Frauen waren nicht vollkommen, aber sie hatten dennoch Anteil daran, den Heiland und Erlöser Jesus Christus in die Welt zu bringen.

Wir leben in einer schwierigen, aufgewühlten Zeit, in der viele Menschen nach Antworten suchen. Und die Antworten, die die Frauen in diesem Buch finden, sind heute noch genauso gültig wie vor Tausenden von Jahren.

Dieses Buch ist ein historischer Roman. Das Handlungsskelett stammt aus der Bibel, und auf diesem Fundament aufbauend habe ich Szenen, Dialoge, innere Motive und in einigen Fällen auch zusätzliche Personen geschaffen, die meines Erachtens mit dem biblischen Bericht harmonieren.

Ich hoffe, dass dieses Buch Ihnen Appetit darauf macht, die Bibel selbst zu lesen und den großen Rettungsplan Gottes zu entdecken – einen Plan, der auch Sie einschließt.

Francine Rivers

Die Ahnenreihe von Jesus Christus

Dies ist der Bericht über die Vorfahren von Jesus

Christus, dem Nachkommen Davids und Abrahams:

Abraham war der Vater von Isaak.

Isaak war der Vater von Jakob.

Jakob war der Vater von Juda und seinen Brüdern.

Juda war der Vater von Perez und Serach;

die Mutter war Tamar.

Perez war der Vater von Hezron.

Hezron war der Vater von Ram.

Ram war der Vater von Amminadab.

Amminadab war der Vater von Nachschon.

Nachschon war der Vater von Salmon.

Salmon war der Vater von Boas;

die Mutter war Rahab.

Boas war der Vater von Obed; die Mutter war Ruth.

Obed war der Vater von Isai.

Isai war der Vater von König David.

David war der Vater von Salomo;

die Mutter war Batseba,die Frau Urijas.

Salomo war der Vater von Rehabeam.

Rehabeam war der Vater von Abija.

Abija war der Vater von Asa.

Asa war der Vater von Joschafat.

Joschafat war der Vater von Joram.

Joram war der Vater von Usija.

Usija war der Vater von Jotam.

Jotam war der Vater von Ahas.

Ahas war der Vater von Hiskija.

Hiskija war der Vater von Manasse.

Manasse war der Vater von Amon.

Amon war der Vater von Joschija.

Joschija war der Vater von Jojachin

und seinen Brüdern.

Das war zu der Zeit, als die Bevölkerung von

Jerusalem und Juda nach Babylonien in die

Verbannung weggeführt wurde.

Nach dem babylonischen Exil:

Jojachin war der Vater von Schealtiel.

Schealtiel war der Vater von Serubbabel.

Serubbabel war der Vater von Abihud.

Abihud war der Vater von Eljakim.

Eljakim war der Vater von Azor.

Azor war der Vater von Zadok.

Zadok war der Vater von Achim.

Achim war der Vater von Eliud.

Eliud war der Vater von Eleasar.

Eleasar war der Vater von Mattan.

Mattan war der Vater von Jakob.

Jakob war der Vater von Josef, dem Mann von Maria.

Maria wurde die Mutter von Jesus, der Christus

genannt wird.

Matthäus 1, 1–16

Tamar

Der Gott, der mich segnet

Prolog

Jakob hatte Josef von allen seinen Söhnen am liebsten, weil er ihm erst im Alter geboren worden war. Deshalb ließ er ihm ein prächtiges Gewand machen. Als seine Brüder sahen, dass der Vater ihn mehr liebte als sie alle, begannen sie ihn zu hassen und konnten kein freundliches Wort mehr mit ihm reden.

Einmal hatte Josef einen Traum. Als er ihn seinen Brüdern erzählte, wurde ihr Hass noch größer. „Ich will euch sagen, was ich geträumt habe“, fing Josef an. „Wir waren miteinander auf dem Feld, schnitten Getreide und banden es in Garben. Auf einmal stellt sich meine Garbe auf und bleibt stehen. Und eure Garben, die stellen sich im Kreis um sie herum und verneigen sich vor meiner.“

Seine Brüder sagten zu ihm: „Du willst wohl noch König werden und über uns herrschen?“ Wegen seiner Träume und weil er sie so offen erzählte, hassten ihn seine Brüder noch mehr.

Er hatte nämlich noch einen anderen Traum, und auch den erzählte er ihnen. „Ich habe noch einmal geträumt“, sagte er. „Ich sah die Sonne, den Mond und elf Sterne. Stellt euch vor: Die alle verneigten sich vor mir.“

Als er das seinem Vater und seinen Brüdern erzählte, fuhr sein Vater ihn an und sagte: „Was ist das für ein dummer Traum, den du da geträumt hast? Ich und deine Mutter und deine Brüder, wir alle sollen uns vor dir niederwerfen?“

Die Brüder waren eifersüchtig auf Josef; aber sein Vater behielt die Sache im Gedächtnis.

Einmal waren Josefs Brüder unterwegs; sie weideten die Schafe und Ziegen ihre Vaters in der Nähe von Sichem. Da sagte Jakob zu Josef (…): „Geh hin und sieh, ob es deinen Brüdern gut geht und ob auch bei den Herden alles in Ordnung ist. Dann komm wieder und bring mir Nachricht!“

(…)

Die Brüder sahen Josef schon von Weitem. Noch bevor er herangekommen war, stand ihr Entschluss fest, ihn umzubringen. Sie sagten zueinander: „Da kommt der Kerl, dem seine Träume zu Kopf gestiegen sind! Schlagen wir ihn doch tot und werfen ihn in die nächste Zisterne! Wir sagen einfach: Ein Raubtier hat ihn gefressen. Dann wird man schon sehen, was aus seinen Träumen wird!“

(…)

Da sagte Juda zu seinen Brüdern: „Was nützt es uns, wenn wir unseren Bruder umbringen? Wir werden nur schwere Blutschuld auf uns laden. Lassen wir ihn leben und verkaufen ihn den Ismaelitern; er ist doch unser Bruder, unser eigen Fleisch und Blut!“

Die anderen waren einverstanden. Als die reisenden Kaufleute herankamen, zogen sie Josef aus der Zisterne. Sie verkauften ihn für 20 Silberstücke an die Ismaeliter, die ihn nach Ägypten mitnahmen.

(…)

Die Brüder schlachteten einen Ziegenbock und tauchten Josefs Prachtgewand in das Blut. Sie brachten das blutbefleckte Gewand zu ihrem Vater und sagten: „Das haben wir gefunden! Ist es vielleicht das Gewand deines Sohnes?“

Jakob erkannte es und schrie auf: „Mein Sohn! Es ist von meinem Sohn! Ein Raubtier hat ihn gefressen! Zerfleischt ist Josef!“

Er zerriss seine Kleider, band den Sack um seine Hüften und betrauerte Josef lange Zeit. (…) Die Kaufleute aber brachten Josef nach Ägypten und verkauften ihn dort an Potifar, einen Hofbeamten des Pharaos, den Befehlshaber der königlichen Leibwache.

Um diese Zeit trennte sich Juda von seinen Brüdern und zog hinunter ins Hügelland. Er wohnte in Adullam bei einem Mann namens Hira. Dort sah er die Tochter des Kanaaniters Schua und heiratete sie. Sie wurde schwanger und gebar einen Sohn, dem er den Namen Er gab. Dann wurde sie wieder schwanger und gebar einen zweiten Sohn; den nannte sie Onan. Und den dritten Sohn nannte sie Schela. Als dieser geboren wurde, war Juda gerade in Kesib.

Juda verheiratete Er, seinen erstgeborenen Sohn, mit einer Frau namens Tamar (1. Mose 37, 1–38,6).

Kapitel 1

Als Tamar Juda sah, wie er mit einem mit Säcken und einem schönen Teppich beladenen Esel herbeikam, nahm sie ihre Hacke und floh in die äußerste Ecke des Feldes ihres Vaters. Mit dem Rücken zum Haus arbeitete sie weiter. Ihr war schlecht vor Angst. Hoffentlich – hoffentlich würde er vorbeigehen, um bei jemand anderem eine Frau für seinen Sohn zu suchen. Als ihre Amme sie rief, tat sie, als hörte sie sie nicht, und hackte heftig weiter, Tränen in den Augen.

„Tamar!“, keuchte Aksa, als sie sie erreichte. „Hast du Juda nicht gesehen? Komm mit mir nach Hause, jetzt sofort! Deine Mutter schickt gleich deine Brüder nach dir, und sie werden es gar nicht schätzen, dass du so trödelst.“ Aksa verzog das Gesicht. „Schau mich nicht so an, Kind, ich bin unschuldig. Und möchtest du etwa lieber einen dieser reisenden ismaelitischen Händler heiraten?“

„Du hast doch auch gehört, was Judas Sohn für einer ist.“

„Das habe ich.“ Sie streckte ihre Hand aus. Tamar legte ihre Hacke widerwillig hin. „Vielleicht ist er gar nicht so schlimm, wie du denkst.“

Aber Tamar las in Aksas Augen, dass sie da selbst ihre Zweifel hatte.

Tamars Mutter packte sie zur Begrüßung grob am Arm. „Wenn ich Zeit hätte, würde ich dir eine Abreibung geben!“ Sie zog sie in das Frauengemach.

Sofort begannen ihre Schwestern sie auszuziehen. Tamar keuchte schmerzlich auf, als eine von ihnen ihr mit dem Schleier fast auch ein Büschel Haare ausriss. „Hört auf!“ Sie hob ihre Hände, um sie abzuwehren.

„Halt still, Tamar!“, befahl ihre Mutter. „Aksa hat so lange gebraucht, um dich zu holen, jetzt müssen wir uns beeilen!“

„Lass mich doch so gehen, wie ich bin!“

„Direkt vom Feld? Nichts da, du wirst schön gemacht! Juda hat Geschenke mitgebracht. Und wag es ja nicht, uns mit Tränen Unehre zu machen, Tamar.“

Tamar schluckte schwer. Sie hatte keine andere Wahl, als die Vorbereitungen ihrer Mutter und Schwestern über sich ergehen zu lassen. Für den Hebräer Juda waren die besten Kleider und das beste Parfüm gerade gut genug. Der Mann hatte drei Söhne, und wenn Tamar ihm gefiel, würde der Älteste, Er, ihr Mann werden. Als Juda und seine Söhne im vergangenen Herbst ihre Herden auf den abgeernteten Feldern hatten weiden lassen, hatte Tamars Vater ihr befohlen, in der Nähe zu arbeiten. Sie hatte gewusst, warum. Und jetzt schien sein Plan aufgegangen zu sein …

„Mutter, bitte, ich bin noch zu jung zum Heiraten.“

„Ob du alt genug bist, entscheidet dein Vater“, antwortete ihre Mutter, ohne sie anzuschauen. „Du hast kein Recht, sein Urteil infrage zu stellen.“

Tamars Schwestern schnatterten wie eine Entenschar durcheinander. Ihre Mutter klatschte in die Hände. „Ruhe! Helft mir, Tamar fertig zu machen!“

Tamar presste die Zähne zusammen und schloss die Augen. Es musste wohl sein. Sie wusste schon lange, dass ihr Vater ihr einen Ehemann aussuchen würde. Ihr einziger Trost waren die zehn Monate Verlobungszeit; wenigstens diese Zeit würde sie haben, um sich innerlich auf das Leben vorzubereiten, das dann vor ihr liegen würde.

Aksa berührte ihre Schulter. „Ganz ruhig, mein Kind.“ Sie löste Tamars Haar und begann es mit langen, festen Bewegungen zu bürsten. „Denk an was Schönes.“

Sie kam sich vor wie eine Ziege, die verkauft werden sollte. Und war es nicht auch genau so? Warum musste das Leben so ungerecht sein?

„Petra, hol das Duftöl und reib sie damit ein. Sie darf nicht wie eine Feldsklavin riechen!“

„Wäre es nicht besser, sie riecht nach Schafen und Ziegen?“, sagte Aksa. „Das mögen die Hebräer doch.“

Die Mädchen lachten, dem strengen Blick der Mutter zum Trotz. „Deine Witze machen es nicht besser, Aksa. Ruhig jetzt.“

Tamar packte das Gewand ihrer Mutter. „Bitte, Mutter! Kannst du nicht mit Vater reden? Er ist … Er ist böse!“ Die Tränen schossen aus ihren Augen. „Bitte, ich will ihn nicht heiraten.“

Der Mund ihrer Mutter zuckte, aber sie gab nicht nach. Sie löste Tamars Finger von ihrem Kleid und nahm sie fest in ihre eigenen. „Du weißt, dass ich an den Plänen deines Vaters nichts ändern kann, Tamar. Was würde es bringen, wenn ich etwas gegen diese Verbindung sagte, außer Schimpf und Schande über uns alle? Juda ist bereits da und wartet!“

Tamar schluchzte auf. Diese brennende Angst in ihr …

Ihre Mutter packte sie am Kinn, sodass sie sie ansehen musste. „Ich habe dich auf diesen Tag vorbereitet. Du wirst uns nichts nützen, wenn du Er nicht heiratest. Betrachte das Ganze so, wie es ist: Segen und Glück für das Haus deines Vaters. Du wirst eine Brücke bauen zwischen Zimran und Juda. Durch dich werden wir Frieden haben.“

„Wir sind doch viel zahlreicher als die Hebräer, Mutter.“

„Zahlen sind nicht immer das Entscheidende. Du bist kein Kind mehr, Tamar, du hast mehr Mut-“

„Mehr Mut als Vater?“

Die Augen ihrer Mutter wurden dunkel vor Zorn. Sie ließ sie abrupt los. „Du wirst tun, was man dir sagt, oder die Folgen deines Ungehorsams tragen.“

Tamar verstummte. Alles, was sie erreicht hatte, war Schande über sich selbst zu bringen. Sie hatte Lust, ihre Schwestern anzuschreien, dass sie mit ihrem Geschnatter aufhören sollten. Wie konnten sie sich nur an diesem Unglück freuen? Was hatte sie davon, dass Er ein gut aussehender Mann war? Hatten sie nicht von seiner Grausamkeit gehört? Von seiner Überheblichkeit? Wo Er hinging, da gab es Ärger, das sagten alle.

„Mehr Khol für die Augen, Aksa; damit sieht sie älter aus.“

Tamar spürte, wie ihr Herz protestierend hämmerte und ihre Hände feucht wurden. Wenn alles so lief, wie ihr Vater es erhoffte, würde heute über ihre Zukunft entschieden werden.

Das ist gut, versuchte sie sich einzureden. Das ist gut. Doch dieser elende heiße Kloß in ihrer Kehle ließ sich nicht herunterschlucken.

„Stell dich gerade hin, Tamar“, sagte ihre Mutter. „Lass dich anschauen.“

Tamar gehorchte. Ihre Mutter zupfte mit einem Seufzer an ihrem feinen Gewand herum. „Wir müssen kaschieren, dass sie noch keine Kurven hat, Aksa, oder Juda wird Zimran nicht glauben, dass sie alt genug ist, um Kinder zu bekommen.“

„Ich kann ihm das Tuch zeigen, Herrin.“

„Gut. Halte es bereit, falls er es sehen will.“

Tamar spürte, wie sie heftig errötete. Mussten sie die intimsten Dinge ans Licht zerren? Ihr erstes Menstruationsblut hatte bewiesen, dass sie nun eine Frau war und somit ein nützliches Verhandlungskapital für ihren Vater. Sie war eine Ware, die verkauft werden sollte, ein Vertragspunkt für ein Bündnis zwischen zwei Stämmen, eine Opfergabe zur Besiegelung von Frieden und Eintracht. Sie hatte gehofft, dass sie noch ein, zwei Jahre in Ruhe gelassen würde. Vierzehn Jahre schien viel zu jung, um das Interesse eines Mannes zu erregen.

Das ist gut,sagte sie sich wieder vor. Sie wiederholte die Worte immer wieder, wie ein Bollwerk gegen den wachsenden Knoten in ihrem Magen und die anderen Gedanken, die sich dazwischendrängen wollten. Das ist gut …

Vielleicht, wenn sie die Geschichten nicht gehört hätte … So weit sie sich zurückerinnern konnte, hatte ihr Vater immer Angst vor Juda und seinen Leuten gehabt. Sie kannte sie alle, die Geschichten über die Macht des Hebräergottes, der Sodom und Gomorra mit einem Hagelsturm aus Feuer und Schwefel vernichtet hatte, sodass nur eine Wüste und ein wachsender Salzsee übrig geblieben waren. Keiner der kanaanitischen Götter hatte jemals solch eine Macht bewiesen.

Und dann die Geschichten über das, was die Hebräer in Sichem angerichtet hatten …

„Warum muss es so sein, Mutter? Habe ich denn gar nichts dabei mitzureden, was mit mir passiert?“

„Nicht mehr als jedes andere Mädchen auch. Ich weiß, wie dir jetzt zumute ist. Ich war nicht älter als du, als ich in das Haus deines Vaters kam. Das ist der Lauf der Welt, Tamar. Habe ich dich nicht schon als kleines Mädchen auf diesen Tag vorbereitet? Mit seinem Schicksal zu hadern ist, als wolltest du mit dem Wind kämpfen.“ Sie packte Tamars Schulter. „Sei eine gute Tochter und gehorche ohne Widerworte. Werde eine gute Ehefrau, die viele Söhne bekommt. Tu das, und du wirst Ehre ernten und wenn du Glück hast, wird dein Mann dich lieben. Und auch wenn keine Liebe zwischen euch wächst, wird deine Zukunft doch in den Händen deiner Söhne sicher sein; wenn du alt bist, werden sie für dich sorgen, so wie deine Brüder für mich sorgen werden. Die einzige Befriedigung, die eine Frau in dieser Welt bekommen kann, ist viele Söhne zu bekommen und die Familie ihres Mannes aufzubauen.“

„Aber es geht um Judas Sohn, Mutter. Es ist Er, den ich heiraten soll.“

Die Augen ihrer Mutter flackerten, aber sie blieb fest. „Finde einen Weg, deine Pflicht zu tun und Söhne zu gebären. Du musst stark sein, Tamar. Diese Hebräer sind wild und unberechenbar. Und sehr stolz.“

Tamar wandte ihr Gesicht ab. „Ich will Er nicht heiraten. Ich kann nicht …“

Ihre Mutter ergriff ihr Haar und ruckte ihren Kopf zurück. „Willst du etwa unsere Familie zerstören, indem du einen Mann wie diesen Hebräer abweist? Denkst du etwa, dein Vater wird dich am Leben lassen, wenn du vor Juda darum bettelst, Er nicht heiraten zu müssen? Denkst du, Juda würde eine solche Beleidigung hinnehmen? Ich sage dir, ich würde deinem Vater dabei helfen, dich zu steinigen, wenn du es wagst, das Leben unserer Söhne aufs Spiel zu setzen. Hörst du? Wen und wann du heiratest, entscheidet allein dein Vater und nicht du!“ Sie ließ sie abrupt los und trat zurück, am ganzen Leib zitternd. „Sei nicht so dumm!“

Tamar schloss die Augen. Die Stille in dem Raum war wie eine schwere Decke. Sie spürte die Blicke ihrer Schwestern und der Amme auf sich. „Es … tut mir leid.“ Ihre Lippen bebten. „Entschuldige. Ich werde tun, was ich muss.“

„Wie wir alle.“ Ihre Mutter nahm mit einem Seufzer ihre Hand und rieb sie mit Duftöl ein. „Sei klug wie eine Schlange, Tamar. Juda hat mit dir eine weise Wahl getroffen. Du bist stark – stärker als die anderen. Du hast deine fünf Sinne beisammen und mehr Kraft, als du denkst. Dieser Hebräer hat ein Auge auf dich geworfen. Du musst ihn zufriedenstellen – für uns alle. Sei seinem Sohn eine gute Frau. Bau eine Brücke zwischen unseren Stämmen. Bewahre den Frieden zwischen uns.“

Das plötzliche Gewicht der Verantwortung ließ Tamar den Kopf senken. „Ich versuche es.“

„Nein, du wirst es nicht nur versuchen. Du wirst es schaffen.“ Ihre Mutter beugte sich zu ihr und gab ihr einen raschen Kuss auf die Wange. „Und jetzt setz dich gerade hin und sammle dich, während ich deinem Vater mitteilen lasse, dass du bereit bist.“

Tamar versuchte klar zu denken. Juda war einer der Jakobssöhne, die aus Zorn über die Schändung ihrer Schwester die ganze Stadt Sichem zerstört hatten. Hätte der Sohn Hamors mehr über diese Hebräer gewusst, er hätte das Mädchen in Ruhe gelassen. Als er seinen Fehler begriff, hatte er alles unternommen, um die Jakobssöhne zu besänftigen. Sie wollten Blut. Der Prinz und sein Vater hatten ihre Zustimmung gegeben, dass alle Männer von Sichem sich mit dem hebräischen Ritus der Beschneidung verstümmeln ließen. Sie waren bereit gewesen, alles zu tun, um eine Heirat zustande zu bringen und den Frieden zwischen den beiden Stämmen zu sichern. Alle Bedingungen der Hebräer hatten sie erfüllt – und dann, drei Tage nach der Beschneidung, als die Männer von Sichem im Wundfieber lagen, hatten Juda und seine Brüder sich ihre Rache geholt. Sie waren nicht mit dem Blut des Schuldigen zufrieden gewesen, nein, ausnahmslos alle Männer der Stadt hatten sie mit dem Schwert niedergemacht und die Stadt geplündert.

Die Hebräer waren ein übler Gestank in den Nüstern der Kanaaniter. Ihre bloße Gegenwart verbreitete Angst und Misstrauen. Obwohl Juda die Zelte seines Vaters verlassen und sich unter Tamars Volk niedergelassen hatte, hatte ihr Vater in seiner Nähe nicht ruhig geschlafen. Selbst seine alte Freundschaft mit Hira von Adullam konnte ihn nicht beruhigen. Auch nicht die Tatsache, dass Juda sich eine kanaanitische Frau genommen hatte, die ihm drei Söhne geboren und sie nach der Art der Kanaaniter erzogen hatte. Juda war ein Hebräer. Juda war ein Fremder. Juda war ein Stachel in Zimrans Fleisch.

Im Laufe der Jahre hatte ihr Vater Verträge mit Juda ausgehandelt, die es diesem erlaubten, seine Herden auf Zimrans abgeernteten Feldern weiden zu lassen. Das Arrangement hatte sich als für beide Seiten nützlich erwiesen, beide hatten davon profitiert, aber all die Jahre hatte Tamars Vater eine bessere, dauerhaftere Methode gesucht, um den Frieden mit den Hebräern zu erhalten. Eine Ehe zwischen den beiden Sippen wäre genau der richtige Weg – wenn es Tamar denn gelingen würde, Judas Haus mit Söhnen zu segnen.

Oh, Tamar verstand die Entschlossenheit ihres Vaters, sie an Er zu verheiraten, nur zu gut. Sie wusste, wie wichtig diese Vermählung für ihn war und was für eine Rolle sie in all dem hatte. Aber das machte es nicht besser. Sie war es, die als Opfer herhalten musste, egal, ob sie wollte oder nicht. Das Einzige, was sie wählen konnte, war die Art, wie sie ihrem Schicksal gegenübertreten würde.

Als ihre Mutter zurückkam, war sie bereit. Sie verneigte sich vor ihr, ihre Gefühle verborgen. Als sie ihren Kopf wieder hob, legte ihre Mutter ihr beide Hände auf und murmelte einen Segen. Dann hob sie Tamars Kinn an. „Das Leben ist nicht leicht, Tamar, das weiß ich besser als du. Jedes junge Mädchen träumt von Liebe, aber das Leben ist kein Traum. Wenn du als Erste geboren wärest, hätten wir dich in den Tempel von Timna geschickt und nicht deine Schwester.“

„Dort wäre ich auch nicht glücklich geworden.“ Lieber hätte sie sich selbst das Leben genommen, als den Weg ihrer Schwester zu gehen.

„Dann ist dies hier das einzige Leben, das dir bleibt, Tamar. Nimm es an.“

Tamar erhob sich entschlossen und versuchte, ihr Zittern zu verbergen, als sie ihrer Mutter aus der Frauenkammer hinaus folgte. Vielleicht fand Juda doch, dass sie zu jung war. Oder zu dünn oder zu hässlich. Oder noch nicht genügend Kurven hatte. Vielleicht bräuchte sie Er doch nicht zu heiraten. Noch nicht. Aber das würde am Ende nichts ändern. Die Wahrheit war klar und hart: Sie musste heiraten, denn eine Frau ohne Mann und ohne Söhne war so gut wie tot.

Juda musterte Zimrans Tochter aufmerksam, als sie in den Raum trat. Sie war groß und dünn und sehr jung. Aber sie war auch anmutig. Er mochte die Art, wie sie sich bewegte, während sie zusammen mit ihrer Mutter das Essen auftrug. Bei seinem letzten Besuch nach der Ernte war ihm ihre jugendliche Grazie aufgefallen. Zimran hatte das Mädchen auf dem Feld direkt neben der Weide arbeiten lassen, sodass Juda und seine Söhne sie sehen konnten. Zimrans Motive waren sonnenklar gewesen. Aber jetzt … nein, das Mädchen sah zu jung aus, um eine Braut zu werden. Es konnte kaum älter sein als Schela, und Juda sagte das geradeheraus.

Zimran lachte. „Sicher ist sie jung, aber das ist doch umso besser! Ein junges Mädchen ist formbarer als ein älteres, nicht wahr? Dein Sohn wird ihr Baal sein und ihr Lehrer.“

„Und … wie ist es mit Kindern?“

Zimran lachte wieder. Er ging Juda auf die Nerven. „Ich versichere dir, mein Freund Juda, Tamar ist bereit, um Söhne zu gebären – seit der letzten Ernte schon, als Er sie das erste Mal bemerkte. Wir können es beweisen.“

Die Augen des Mädchens flackerten zu ihrem Vater hin. Sie errötete, sichtlich verlegen. Juda fühlte sich merkwürdig berührt von ihrer Reaktion. Er sah sie offen an. „Komm näher, Mädchen“, sagte er und winkte ihr mit der Hand. Er musste ihr in die Augen sehen; vielleicht würde er dann besser verstehen, warum er überhaupt an sie gedacht hatte, als das Thema „Ehe“ in seinen Kopf kam.

„Sei nicht so schüchtern, Tamar“, sagte Zimran. „Zeig Juda, wie schön du bist.“ Sie hob ihren Kopf, und Zimran nickte. „So ist’s recht. Lächle. Zeig deine guten Zähne.“

Juda waren ihr Lächeln und ihre Zähne egal, obwohl beides tatsächlich nicht schlecht aussah. Was zählte, war ihre Fruchtbarkeit. Sicher sein, ob sie Söhne für sein Haus gebären konnte, konnte man natürlich erst, wenn sie mit Er verheiratet war; nichts war garantiert im Leben. Aber das Mädchen kam aus einer fruchtbaren Familie; ihre Mutter hatte sechs Söhne und fünf Töchter zur Welt gebracht. Kräftig schien sie auch zu sein; er hatte sie auf den Feldern beim Hacken und Steineschleppen beobachtet. Ein schwächliches Mädchen ließ man im Haus töpfern und weben.

„Tamar.“ Ihr Vater wedelte mit der Hand. „Knie dich vor Juda hin, dass er dich genauer ansehen kann.“

Sie gehorchte, ohne zu zögern. Ihre Augen waren dunkel, aber nicht hart, ihre Haut rein und leuchtend. Ein solches Mädchen konnte vielleicht das verbogene Herz seines Sohnes anrühren und ihn von seinen krummen Wegen abbringen. Ob sie wohl den Mut hatte, den es brauchte, um Ers Respekt zu gewinnen? Ihr Vater war feige – war sie es auch? Und Er … der Junge hatte Juda nichts als Kummer gebracht, seit er Laufen gelernt hatte, und er würde auch diesem Mädchen Kummer machen. Sie würde stark und widerstandsfähig sein müssen.

Juda wusste, dass er selbst sein Maß Schuld daran trug, dass sein Sohn so missraten war. Er hätte seiner Frau nie freie Hand bei der Erziehung seiner Söhne geben dürfen. Er hatte gedacht, dass völlige Freiheit sie glücklich und stark machen würde. Und sie waren auch glücklich – solange alles nach ihrem Willen ging. Und stark genug, ihre Fäuste zu gebrauchen, wenn es nicht danach ging. Sie waren stolz und arrogant und kannten keine Grenzen. Hätte er nur öfter die Rute benutzt!

Würde dieses Mädchen Ers Herz erweichen? Oder würde er nur noch härter werden und sie zerbrechen?

Als sie ihn anblickte, sah Juda Unschuld und Intelligenz in ihren Augen. Er spürte wieder diese wachsende Verzweiflung in sich. Wie war er stolz gewesen, als der Junge geboren wurde, der Erstling seiner Lenden. Ah, hatte er gedacht, hier ist Fleisch von meinem Fleisch, Bein von meinem Bein! Wie hatte er gelacht, als sein Sprössling sich mit zornrotem Kopf geweigert hatte, seiner Mutter zu gehorchen. Er hatte ihn amüsiert, der kleine Rebell, und auf irrationale Weise stolz gemacht. Der wird einmal ein starker Mann werden, hatte er gedacht. Seinem Er würde keine Frau vorschreiben, wie er zu leben hatte.

Nie hätte Juda gedacht, dass sein Sohn auch ihm den Gehorsam verweigern würde.

Onan, sein Zweiter, schien ebenso schwierig zu werden wie Er. Er war mit der wütenden Eifersucht seines älteren Bruders aufgewachsen und hatte früh gelernt, sich durch List und Tücke zu schützen. Juda war sich nicht sicher, welcher seiner Söhne der Schlimmere war. Trauen konnte man keinem von ihnen.

Und der Dritte, Schela, kam seinen älteren Brüdern gleich. Judas Söhne logen und schoben anderen die Schuld zu, und wenn alles nichts half, hielten sie sich an ihre Mutter, die alles und jedes, was sie taten, verteidigte und beschönigte. Ihr Stolz ließ es nicht zu, die Fehler ihrer Söhne zu sehen. Sie waren ihre Jungen, und sie waren Kanaaniter durch und durch.

Es musste etwas geschehen, oder Judas Haupt würde in Schmach und Schande zur Erde sinken. Fast bereute Juda es, Söhne zu haben, so viel Chaos hatten sie in sein Leben gebracht. Es gab Augenblicke, wo sein Zorn auf sie so groß war, dass er an sich halten musste, um nicht einen Speer zu nehmen und auf einen von ihnen zu schleudern.

Oft musste Juda an seinen Vater Jakob denken und daran, wie viel Not dieser mit seinen Söhnen gehabt hatte. Nicht zuletzt mit ihm selbst. Onan und Er erinnerten Juda an seine Brüder Simeon und Levi. Und jedes Mal, wenn er an sie dachte, musste er an die furchtbare Untat denken, die er selbst begangen hatte – die Sünde, die ihn verfolgte, die ihn aus dem Haus seines Vaters getrieben hatte, weil er es nicht aushielt, jeden Tag den Schmerz zu sehen, den er – ja, er – seinem Vater bereitet hatte, oder in der Gesellschaft seiner Brüder zu sein, die damals mitgemacht hatten.

Jakob wusste bis heute nicht, was damals in Dotan wirklich geschehen war.

Manchmal versuchte Juda sich zu trösten: Hatte er nicht Simeon und Levi davon abgehalten, Josef totzuschlagen? Aber er war auch derjenige gewesen, der die Idee gehabt hatte, den Jungen stattdessen an die ismaelitischen Händler zu verkaufen, die auf dem Weg nach Ägypten waren. Er hatte das Elend seines Bruders in Geld umgesetzt – er und die anderen. Gott allein wusste, ob Josef die lange, harte Reise nach Ägypten überhaupt überlebt hatte. Vielleicht war er irgendwo in der Wüste gestorben. Und wenn nicht, dann war er jetzt der Sklave irgendeines Ägypters.

Manchmal, in den dunkelsten Stunden der Nacht, lag Juda wach auf seinem Lager, voller Schmerz und Reue, und dachte an Josef. Wie viele Jahre würde es noch dauern, bis er endlich die Vergangenheit hinter sich lassen und vergessen würde, was er getan hatte? Wie viele Jahre, bis er seine Augen schließen konnte, ohne Josefs gefesselte Hände zu sehen und den Strick um seinen Hals, an dem die Ismaeliten ihn fortführten? Die Hilfeschreie des Jungen … immer noch hallten sie in Judas Kopf wider.

Er hatte noch den ganzen Rest seines Lebens, um seine Sünden zu bereuen; Jahre und Jahrzehnte. Manchmal spürte er förmlich, wie Gottes Hand das Leben aus ihm herauspresste, weil er seinen eigenen Bruder verkauft hatte.

Zimran räusperte sich, und Juda riss sich aus seinen Gedanken. Er durfte nicht die Pflichten der Zukunft von den Erinnerungen der Vergangenheit ersticken lassen. Sein Sohn brauchte eine Frau – eine junge, schöne und starke Frau, die ihn von seinen bösen Wegen ablenkte und ihn auf andere Ideen brachte. Judas Mund presste sich zusammen, als er das Mädchen musterte; das da vor ihm kniete. Stand er gerade im Begriff, seinen nächsten Fehler zu machen? Er hatte selbst eine Kanaaniterin geheiratet und es bitter bereut. Und jetzt war er drauf und dran, die nächste in sein Haus zu holen. Aber irgendwie gefiel es ihm, dieses Mädchen. Warum?

Er hob ihr Kinn an. Bestimmt hatte sie Angst, aber sie wusste es gut zu verbergen – eine höchst nützliche Eigenschaft, wenn es um Er ging. Wie jung und unschuldig sie aussah. Würde sein Sohn auch sie verderben, wie er es so gern tat?

Er zog seine Hand fort und lehnte sich zurück. Er hatte nicht die Absicht, Er denselben Fehler machen zu lassen, wie er selbst ihn gemacht hatte. Es war die pure Lust gewesen, die ihn dazu bewegt hatte, die Mutter des Jungen zu heiraten. Schönheit war ein Fallstrick für einen Mann, und ungezügelte Leidenschaft verbrannte den Verstand. Der Charakter einer Frau war das Wichtigste. Juda wusste, dass er besser daran getan hätte, der Sitte zu folgen und seinen Vater die Frau für ihn aussuchen zu lassen. Jetzt zahlte er bitter für seine Eile und Starrsinnigkeit damals.

Es reichte nicht, dass eine Frau die Leidenschaft ihres Mannes anfachte. Sie musste auch stark sein, aber gleichzeitig bereit, sich zu fügen. Eine störrische Frau war ein Fluch für einen Mann. In seinem jugendlichen Leichtsinn war Juda sicher gewesen, jede Frau nach seinem Willen formen zu können. Stattdessen hatte er Batsuba ihren Willen gelassen. Er hatte sich eingebildet, dass es nichts schaden würde, wenn er seine Frau weiter ihre kanaanitischen Götzen verehren ließ – und jetzt verehrten seine Söhne dieselben Götter.

Tamar schien stiller zu sein als Batsuba. Sie machte einen mutigen Eindruck. Und einen intelligenten. Er wusste, dass sie auch körperlich stark war, und seine Frau würde hocherfreut darüber sein; ohne Zweifel würde sie dem Mädchen im Nu alle ihre Pflichten aufhalsen. Die wichtigste Eigenschaft einer Frau war natürlich Fruchtbarkeit, aber das konnte nur die Zeit zeigen. Die Qualitäten, die er jetzt schon sah, genügten ihm eigentlich. Aber dieses Mädchen hatte noch mehr – ein gewisses Etwas, das Juda nicht definieren konnte, etwas Seltenes und Wunderbares, das ihn drängte, sie in seine Familie zu holen. Es war, als ob eine leise Stimme ihm befahl, sie zu wählen.

„Sie gefällt mir.“

Zimran atmete tief aus. „Du bist ein weiser Mann!“ Er nickte seiner Tochter zu, zum Zeichen, dass sie entlassen war. Tamar erhob sich. Der Kanaaniter konnte es sichtlich kaum abwarten, mit den Mitgiftverhandlungen zu beginnen. Juda sah dem Mädchen hinterher, als es mit seiner Mutter den Raum verließ. Zimran klatschte in die Hände, und zwei Dienerinnen eilten herein, die eine mit einem Tablett Granatäpfel und Weintrauben, die andere mit einem Lammbraten. „Iss, mein Bruder, und dann können wir reden.“

Juda beschloss, das Spiel abzukürzen. Noch bevor er den ersten Bissen anrührte, machte er sein Angebot für das Mädchen. Zimran biss mit leuchtenden Augen an und begann, um den Brautpreis zu feilschen.

Juda hatte keine Lust, die Verhandlungen unnötig in die Länge zu ziehen. Lieber war er etwas großzügiger. Das Eheleben hatte ihn zwar nicht glücklich gemacht, aber doch eine gewisse Stabilität und Ausrichtung in sein Leben gebracht. Vielleicht würde es auch Er auf andere Gedanken bringen. Und Zimrans ölige Art ging ihm gewaltig auf die Nerven; je eher er wieder auf dem Heimweg war, umso besser.

Tamar. Der Name bedeutete „Dattelpalme“. Es war ein Name, den man einem Mädchen gab, das schön und graziös zu werden versprach. Eine Dattelpalme überlebte in der unwirtlichen Wüste und brachte aus der Dürre reiche, nahrhafte Frucht, und das Mädchen kam aus einer fruchtbaren Familie. Eine Dattelpalme bog sich im Wüstenwind, ohne zu brechen oder umzufallen, und dieses Mädchen würde mit Ers hitzigem Temperament fertig werden müssen. Eine Dattelpalme gedieh auch in einer feindseligen Umgebung, und Juda wusste, dass Batsuba dieses Mädchen als ihre persönliche Rivalin betrachten würde.

Tamar.

Juda hoffte, dass das Mädchen halten würde, was sein Name versprach.

Als ihre Mutter in die Türöffnung trat, wusste Tamar, dass ihr Schicksal entschieden war. „Komm, Tamar. Juda hat Geschenke für dich mitgebracht.“

Sie erhob sich wie eine Schlafwandlerin. Weine nicht, lächle; dein Vater braucht keine Angst mehr zu haben …

„Ah, Tochter.“ Ihr Vater begrüßte sie mit einem breiten Lächeln. Er schien einen hohen Brautpreis ausgehandelt zu haben, denn noch nie hatte er sie so fest umarmt. Er küsste sie sogar auf die Wange.

Sie hob den Kopf und sah ihm in die Augen, mit einem Blick, der ihm deutlich machen sollte, was er ihr mit einem Mann wie Er antat. Würde er sich wenigstens ein bisschen schämen, dass er sie benutzt hatte, um sich selbst zu schützen?

Er schämte sich nicht. „Begrüße deinen Schwiegervater.“

Tamar warf sich resigniert vor Juda nieder. Der Hebräer legte seine Hand auf ihren Kopf, segnete sie und ließ sie aufstehen. Dann holte er aus einem Beutel, den er um den Leib trug, goldene Ohrringe und Armbänder und legte sie ihr an. Die Augen ihres Vaters glänzten, doch ihr Herz sank.

„Mach dich bereit, morgen mit mir zu ziehen“, sagte Juda.

Die Worte kamen aus ihrem Mund, bevor sie sie aufhalten konnte. „Morgen schon?“ Sie sah ihren Vater an. „Aber die Verlobungszeit …“

Zimrans Blick gebot ihr zu schweigen. „Juda und ich feiern heute Abend, meine Tochter. Aksa wird deine Sachen packen und morgen mit dir gehen. Es ist alles geregelt. Dein Ehemann wartet schon auf dich.“

Hatte ihr Vater eine solche Angst, dass er auf die übliche zehnmonatige Verlobungszeit verzichtete? Noch nicht einmal eine Woche hatte sie, um sich auf ihre Hochzeit vorzubereiten!

„Du kannst jetzt gehen, Tamar. Sei morgen früh bereit.“

Als sie in das Frauengemach trat, waren ihre Mutter und ihre Schwestern schon dabei, für sie zu packen. Unfähig, ihre Gefühle noch länger zu unterdrücken, brach sie in Tränen aus. Die ganze Nacht hindurch weinte sie, so viel ihre Schwestern sie auch baten, sich zu beruhigen. „Wartet nur ab“, schluchzte sie, „bis es bei euch auch so weit ist, dann werdet ihr es verstehen!“

Aksa hielt sie in den Armen, und eine letzte Nacht lang durfte Tamar ein Kind sein.

Als die Sonne aufging, wusch sie sich das Gesicht und legte ihre Brautschleier an.

Ihre Mutter kam zu ihr. „Du kannst zufrieden sein, Liebes. Juda hat viel für dich gezahlt.“ Ihre Stimme war tränenerstickt und eine Spur bitter. „Dieser Hebräer hat einen Esel voll beladen mit Geschenken mitgebracht, und jetzt kehrt er nur mit seinem Siegelring und Stab wieder zurück.“

„Und mit mir“, sagte Tamar leise.

Die Augen ihrer Mutter füllten sich mit Tränen. „Pass gut auf sie auf, Aksa.“

„Das werde ich, Herrin.“

Ihre Mutter nahm Tamar in die Arme und küsste sie. „Möge dein Mann dich lieben und dir viele Söhne schenken“, flüsterte sie. Tamar drückte sich fest an sie, sog ein letztes Mal ihre weiche Wärme ein. „Es ist Zeit“, sagte ihre Mutter schließlich leise, und Tamar trat zurück. Ihre Mutter berührte kurz ihre Wange, bevor sie sich umdrehte.

Tamar trat in das Licht des Morgens hinaus. Aksa ging mit ihr zu ihrem Vater und Juda, die etwas entfernt standen und auf sie warteten. Sie hatte sich in der Nacht ausgeweint; heute würde sie keine kindischen Tränen mehr vergießen, obwohl dies nicht einfach war, denn hinter sich hörte sie Aksa leise schluchzen.

„Vielleicht stimmt nicht alles, was wir gehört haben“, sagte Aksa. „Vielleicht ist Er nicht so schlimm, wie sie sagen.“

„Was ändert das jetzt?“

„Du musst ihn dazu bringen, dass er dich liebt, Tamar. Ein Mann, der liebt, ist wie Ton in den Händen seiner Frau. Mögen die Götter sich unser erbarmen!“

„Erbarme du dich und sei still!“

Als sie die beiden Männer erreichten, küsste ihr Vater sie. „Sei fruchtbar und mehre Judas Familie.“ Er schien es kaum erwarten zu können, dass sie losgingen.

Juda ging voran, Tamar und Aksa folgten. Juda war ein hochgewachsener Mann und seine Schritte lang; Tamar hatte Mühe, mit ihm mitzuhalten. Aksa murmelte die ganze Zeit vor sich hin, aber Tamar achtete nicht darauf. Sie versuchte, an das zu denken, was vor ihr lag. Sie würde sich alle Mühe geben, eine gute Ehefrau zu sein. Sie würde tun, was sie konnte, um ihrem Mann Ehre zu bringen. Sie wusste, wie man einen Garten anlegte, Tiere versorgte, kochte, webte und töpferte. Sie konnte genügend lesen und schreiben, um Buch über den Haushalt zu führen. Sie wusste, wie man Wasser und Getreide für schlechte Zeiten aufbewahrte und dass man in guten Zeiten großzügig war. Sie konnte Seife, Körbe, Stoffe und Werkzeug herstellen und sie wusste mit Dienern umzugehen. Aber der größte Segen, den sie ihrem Mann schenken konnte, waren Kinder – Kinder, um sein Haus groß zu machen.

Es war Judas zweiter Sohn, Onan, der herauskam, um sie zu begrüßen. „Er ist weg“, meldete er seinem Vater, während er Tamar anstarrte.

Juda rammte seinen Stock in den Boden. „Weg? Wohin?“

Onan zuckte die Schultern. „Mit seinen Freunden unterwegs. Er war wütend, als er hörte, wohin du gegangen bist. Ich hab mich lieber von ihm ferngehalten; du weißt ja, wie er sein kann.“

„Batsuba!“ Juda marschierte zu seinem Steinhaus.

Eine dralle Frau mit stark geschminkten Augen erschien in der Tür. „Was schreist du denn diesmal so?“

„Hast du Er nicht gesagt, dass ich heute seine Braut nach Hause bringe?“

„Doch.“ Sie lehnte sich lässig an den Türpfosten.

„Und wo ist er?“

Sie hob das Kinn. „Ich bin seine Mutter, Juda, nicht seine Hüterin. Er wird schon kommen, wenn er so weit ist. Du kennst ihn doch.“

Judas Gesicht verfinsterte sich. „Und ob ich ihn kenne!“ Er packte seinen Stock so fest, dass seine Knöchel weiß wurden. „Darum braucht er ja eine Frau!“

„Das mag sein, Juda, aber du hattest doch gesagt, das Mädchen sei hübsch.“ Sie warf Tamar einen abschätzigen Blick zu. „Glaubst du wirklich, dieses dürre Ding wird ihm gefallen?“

„Tamar ist viel mehr, als sie scheint. Bring sie in Ers Kammer.“ Juda drehte sich um und ging.

Batsuba musterte Tamar von Kopf bis Fuß, ihr Mund ein dünner Strich. Dann schüttelte sie den Kopf. „Ich frage mich, was in Judas Kopf vorgegangen ist, als er dich ausgewählt hat.“

Sie drehte sich um, ging zurück ins Haus und ließ Tamar und Aksa einfach allein stehen.

Er kam spät am Nachmittag wieder, zusammen mit mehreren seiner kanaanitischen Freunde. Sie waren betrunken und lachten grölend. Tamar ließ sich nicht blicken; sie wusste, wie Männer waren, wenn sie zu viel getrunken hatten. Ihr Vater und ihre Brüder hatten mehr als einmal zu tief in den Becher geschaut und anschließend heftig zu streiten begonnen. Es war besser, man ging ihnen aus dem Weg, bis die Wirkung des Weins nachgelassen hatte.

Aber früher oder später würden sie sie rufen, und so ließ sie sich von Aksa den Brautschmuck anlegen. Während sie dasaß und wartete, befahl sie sich selbst, all das Schlimme zu vergessen, das sie über Er gehört hatte. Vielleicht hatten die Menschen, die so schlecht über ihn sprachen, unlautere Motive gehabt. Nein, sie würde ihn so achten, wie es einem Ehemann gebührte, und auf seine Wünsche eingehen. Wenn der Gott von Ers Vater gnädig auf sie herabsah, würde sie Er Söhne schenken, und dies schon bald, und sie würde sie zu starken, ehrlichen Männern erziehen, die treu und verlässlich waren. Ja, falls Er dies wünschte, würde sie sogar den Gott Judas anbeten und ihre Söhne dazu erziehen, ihn zu ehren und nicht die Götter ihres Vaters. Aber ihr Herz zitterte, und mit jeder Stunde wuchs ihre Angst.

Als man sie endlich rief und sie ihren zukünftigen Ehemann sah, verspürte sie ein wenig Bewunderung. Er war groß wie sein Vater und begann bereits breitschultrig und stark zu werden. Er hatte den wilden schwarzen Lockenhaarschopf seiner Mutter, den er nach kanaanitischer Art nach hinten gebunden hatte. Das Messingband, das er um die Stirn trug, verlieh ihm aus Aussehen eines kanaanitischen Prinzen. Tamar war von seinem guten Aussehen wie geblendet, doch dann sah sie seine Augen und schrak zurück. Kalt waren sie und dunkel und ohne Gnade. Es lag Stolz in der Art, wie er seinen Kopf hielt, Grausamkeit im Schwung seines Mundes, Gleichgültigkeit in seinen Gesten. Er ergriff nicht ihre Hand.

„Ist das also die Frau, die du für mich ausgesucht hast, Vater.“

Sein Tonfall ließ Tamar frösteln.

Juda legte seine Hand fest auf die Schulter seines Sohnes. „Sorge gut für das, was jetzt dein ist, und möge der Gott Abrahams dir durch dieses Mädchen viele Söhne schenken.“

Ers Gesicht war eine undurchdringliche Maske.

Den ganzen Abend lang machten Ers Freunde grobe Witze über das Eheleben. Sie zogen ihn erbarmungslos auf, und obwohl er mitlachte, spürte Tamar, dass ihm nicht nach Spaßen zumute war. Ihr Schwiegervater sagte nicht viel und trank umso mehr, während Batsuba sich die besten Leckereien des Hochzeitsmahls in den Mund schob und so tat, als sei Tamar Luft. Tamar fragte sich verunsichert, was sie ihrer Schwiegermutter getan hatte. Die Frau schien fest entschlossen, ihr auch nicht das geringste Entgegenkommen zu zeigen.

Der Abend schritt voran, und Tamars Angst ging in eine unbestimmte Traurigkeit über. Sie fühlte sich allein und fehl am Platz in dieser lauten Versammlung. Man hatte sie mit dem Erben des Hauses Juda verheiratet, aber niemand sprach mit ihr, noch nicht einmal ihr junger Ehemann, der neben ihr saß. Die Stunden krochen dahin. Sie war furchtbar müde von der halb schlaflosen Nacht und dem langen Fußmarsch zu ihrem neuen Heim, und die Anspannung zehrte ihre letzten Kräfte auf. Sie kämpfte darum, die Augen offen zu halten. Und noch mehr musste sie kämpfen, um nicht zu weinen.

Als Er sie unvermittelt in den Arm kniff, fuhr sie zusammen. Sie begriff, dass sie an seiner Seite eingenickt war, und wurde puterrot. Ers Freunde rissen grölend Witze über Tamars Alter und die bevorstehende Hochzeitsnacht. Er lachte mit. „Deine Amme hat das Brautgemach für uns bereitet.“ Er ergriff ihre Hand und zog sie auf die Füße.

Kaum hatte Aksa die Tür hinter ihnen geschlossen, als Er von Tamar wegtrat. Aksa nahm ihren Platz draußen vor der Tür ein und begann zu singen und ihre kleine Trommel zu schlagen. Tamars Haut prickelte. „Es tut mir leid, dass ich eingeschlafen bin, mein Herr.“

Er antwortete nicht. Sie wartete angespannt. Er genoss ihre Nervosität, malträtierte sie mit seinem Schweigen. Sie faltete die Hände und beschloss, zu warten. Langsam, beinahe bedrohlich nahm er seinen Gürtel ab. „Ich habe dich letztes Jahr bemerkt, als wir die Schafe auf die Felder deines Vaters brachten. Wahrscheinlich hat mein Vater deshalb gedacht, du gibst eine brauchbare Frau für mich ab.“ Er musterte sie von oben bis unten. „Er kennt mich nicht sehr gut.“

Sie nahm ihm die gemeinen Worte nicht übel. Er hatte ja recht. Ihr Herz hatte schließlich auch nicht gerade vor Freude gehüpft, als Juda gekommen war und einen Brautpreis für sie geboten hatte.

„Du hast Angst vor mir, nicht wahr?“

Wenn sie Nein sagte, wäre das eine Lüge. Aber Ja zu sagen war unklug.

Seine Brauen hoben sich. „Du solltest Angst haben. Ich bin wütend, das merkst du doch wohl?“

Ja, das merkte sie. Was würde er wohl als Nächstes tun? Sie wartete still ab. Oft genug hatte sie die Wutanfälle ihres Vaters miterlebt, um zu wissen, dass es besser war, nichts zu sagen. Worte waren wie Öl auf ein hitziges Gemüt. Ihre Mutter hatte ihr schon vor langer Zeit erklärt, dass Männer unberechenbar waren und gern handgreiflich wurden, wenn man sie provozierte. Sie würde Er nicht provozieren.

„Du bist ein vorsichtiges kleines Ding, was?“ Er lächelte langsam. „Na, wenigstens kannst du die Klappe halten.“ Er trat zu ihr. „Du hast ein paar Sachen über mich gehört, stimmt’s?“ Er strich mit den Fingern über ihre Wange. Sie versuchte, nicht zurückzuzucken. „Haben deine Brüder Geschichten über mich erzählt?“

Ihr Herz hämmerte immer schneller.

„Wie mein Vater gesagt hat: Du gehörst jetzt mir. Du bist meine kleine Maus, mit der ich machen kann, was ich will. Erinnere mich bei Gelegenheit daran, ihm Danke zu sagen.“ Er hob ihr Kinn an. Seine Augen glitzerten wie die eines Schakals im Mondlicht. Als er sich zu ihr hinunterbeugte und sie auf den Mund küsste, stellten sich ihre Nackenhaare auf. Er trat wieder zurück, sein Blick prüfend. „Du solltest die Gerüchte besser glauben. Alle!“

„Ich werde versuchen, dir zu gefallen, mein Ehemann.“ Sie hörte, wie ihre Stimme zitterte, und wurde prompt rot.

„Oh ja, das wirst du versuchen, meine Süße, aber du wirst es nicht schaffen.“ Sein Mund verzog sich zu einem Grinsen, das eher ein Zähnefletschen war. „Das kannst du gar nicht.“

Nur ein Tag der eine Woche dauernden Hochzeitsfeierlichkeiten verging, und Tamar wusste, was er meinte.

Kapitel 2

Tamar schrak zusammen, als sie Ers Gebrüll aus dem Haus hörte. Seine Mutter schrie zurück. Obwohl die Mittagssonne auf Tamars Rücken brannte, wurde ihr kalt. Juda hatte seinen Ältesten angewiesen, ihm mit den Herden zu helfen, aber Er schien andere Pläne zu haben. Er hatte sich so in seine Wut hineingesteigert, dass er sie an jemandem auslassen musste, und seine junge Frau wäre ein leichtes Opfer; niemand würde es wagen, dazwischenzugehen.

Tamar hielt ihren Kopf gesenkt und hackte weiter das steinige Stück Land, das Batsuba ihr zu bearbeiten gegeben hatte. Sie wünschte sich, so klein wie eine Ameise zu werden und in einem Loch verschwinden zu können. Das Gezeter und Gekeife im Haus ging weiter. Tamar kniete sich hin, um einen größeren Stein aus dem Boden zu ziehen, während sie mit den Tränen kämpfte. Sie warf den Stein auf den wachsenden Haufen neben ihr und stellte sich vor, wie sie eine Mauer um sich baute, hoch und dick, mit dem hellen Himmel darüber. Sie wollte jetzt nicht an Ers Launen denken und daran, was er diesmal mit ihr machen würde.

„Sie kann ihn bald nicht mehr bändigen“, sagte Aksa, die ein paar Schritte entfernt arbeitete, grimmig.

„Es hilft nichts, sich Sorgen zu machen, Aksa.“ Die Worte sollten eher sie selbst daran erinnern als ihre Amme. Tamar arbeitete verbissen weiter. Was konnte sie sonst auch tun? Vier Monate in Judas Haus hatten sie gelehrt, ihrem Mann aus dem Weg zu gehen, wann immer es ging, vor allem wenn er schlechte Laune hatte. Sie hatte auch gelernt, ihre Angst zu verbergen. Mochte ihr Herz wie eine Trommel schlagen, ihr Magen ein Knoten sein und ihre Haut kalt und klamm, sie durfte ihre Gefühle nicht zeigen, denn Er genoss Angst. Die Angst anderer war sein Lebenselixier.

„Wenn wenigstens Juda hier wäre.“ Aksa schnalzte verächtlich mit der Zunge. „Aber er ist natürlich nie hier.“ Sie schlug ihre Hacke in den harten Boden. „Und wer wollte ihm das verübeln?“

Tamar antwortete nicht. Ihr Gehirn suchte fieberhaft nach einem Ausweg und fand keinen. Wäre Juda nur nicht vorausgegangen. Hätte er Er nur gleich mitgenommen, anstatt nachträglich einen Diener nach ihm zu schicken. Wenn Juda in der Nähe war, war Er einigermaßen zu ertragen; war er fort, drehte Er durch. Juda übte seine Autorität nicht oft genug aus – das war das Problem in dieser Familie. Juda war lieber in den Bergen und auf den Weiden als zu Hause, und Tamar konnte ihn gut verstehen; die Schafe und Ziegen waren eine friedlichere Gesellschaft als seine ewig nörgelnde Frau und diese Hitzköpfe von Söhnen. Manchmal benahmen Er und Onan sich wie zwei Wölfe, die man aneinandergebunden und in eine Kiste gesteckt hatte!

Juda konnte vor dem Ungemach und vor seiner Verantwortung fliehen. Tamar musste Tag für Tag mit der Gefahr leben.

Ein lautes Krachen aus dem Haus ließ sie zusammenfahren. Batsuba belegte ihren Sohn mit wüsten Flüchen. Er schoss zurück. Weitere Teller und Krüge krachten an die Wand. Eine Bronzetasse kam aus der Tür geflogen und hüpfte über den Boden.

„Du gehst heute besser nicht ins Haus“, sagte Aksa leise.

„Vielleicht schafft Batsuba es noch, ihn zu bändigen.“ Tamar wandte sich ab und sah zu den fernen Hügeln hin, während hinter ihr der Kampf weitertobte. Sie wischte sich zitternd den Schweiß von der Stirn und schloss aufseufzend die Augen. Vielleicht würde Judas Befehl diesmal ausreichen.

„Batsuba schafft es immer, wenn nicht so, dann eben anders“, sagte Aksa bitter. „Wenn Schreien nichts bringt, schmollt sie, bis sie ihren Willen kriegt.“

Tamar versuchte, nicht hinzuhören und an etwas Angenehmeres zu denken. Ihre Schwestern zum Beispiel. Ja, auch sie hatten sich hin und wieder gestritten, doch sie hatten einander auch geliebt. Sie erinnerte sich, wie sie bei der Arbeit gesungen und sich Geschichten erzählt hatten. Ihr Vater war so launisch, wie Männer nun einmal waren, und manchmal hatten ihre Brüder sich lautstark gestritten. Aber nichts von alledem hatte sie auf das vorbereitet, was sie in Judas Haus erlebte. Jeden Tag versuchte sie, mit neuer Hoffnung aufzustehen, nur um erleben zu müssen, wie sie wieder zunichte gemacht wurde.

„Wenn ich nur einen Platz hier hätte, Aksa, wenn ich nur ein bisschen gelten würde …“ Sie sagte es ohne Selbstmitleid.

„Das kommt schon noch, wenn du einen Sohn zur Welt bringst.“

„Einen Sohn.“ Tamars Herz schmerzte. Sie sehnte sich mehr nach einem Kind als alle anderen, mehr auch als ihr Mann, dessen Wunsch nach einem Sohn nur eine Erweiterung seines Stolzes war als ein echtes Bedürfnis, seine eigene Familie zu gründen. Mit einem Sohn würde Tamar endlich etwas gelten in diesem Haus – und sie würde sich nicht mehr so grenzenlos einsam fühlen. Einen Sohn könnte sie lieben und an sich drücken und ihre Liebe erwidert bekommen. Vielleicht würde er sogar Ers Herz weicher machen. Und seine Hände.

Sie musste wieder an Batsubas vernichtende Worte denken: „Wenn du meinen Sohn nicht ständig so enttäuschen würdest, würde er dich nicht so oft schlagen! Tu, was er dir sagt, dann behandelt er dich vielleicht besser.“

Tamar kämpfte gegen die Tränen des Selbstmitleids an. Selbstmitleid würde sie nur noch schwächer machen. Sie gehörte zu dieser Familie, ob sie wollte oder nicht; sie durfte sich nicht von ihren Gefühlen mitreißen lassen. Sie wusste, wie spitz Batsubas Zunge war; kein Tag verging, ohne dass ihre Schwiegermutter eine Gelegenheit fand, ihrem Herzen einen Stich zu versetzen.

„Jetzt ist schon wieder ein Monat vorbei, Tamar, und du bist immer noch nicht schwanger! Ich war eine Woche nach der Hochzeit mit Juda bereits guter Hoffnung!“

Tamar konnte nichts sagen, ohne dass Er wütend wurde. Was sollte sie zu ihrer Verteidigung vorbringen, wenn nichts, was sie tat, ihrer Schwiegermutter oder ihrem Ehemann gefiel? Sie hatte es aufgegeben, so etwas wie Freundlichkeit oder Mitgefühl von ihnen zu erwarten. Und Loyalität oder Ehre schienen in dieser Familie auch unbekannt zu sein, denn Batsuba musste sich auf Drohungen verlegen, um Er dazu zu bringen, Juda zu gehorchen.

Ers lautstarkes „Genug jetzt!“, brachte Tamars Aufmerksamkeit zurück zu dem Gefecht zwischen Mutter und Sohn. „Es reicht! Ich gehe zu Vater, aber nur, damit ich meine Ruhe vor deinem Gekeife habe!“ Damit stürmte er aus dem Haus. „Ich hasse Schafe! Wenn ich könnte, würde ich sie alle abschlachten!“

Batsuba erschien in der Tür, die Hände in den Seiten; ihre Brust hob und senkte sich heftig. „Und was hättest du dann? Nichts!“

„Ich hätte das Geld von dem Fleisch und den Fellen!“

„Und nach einer Woche hättest du alles versoffen, und was dann? Was für einen Trottel hab ich nur aufgezogen!“

Er bedachte sie mit einem derben Tiernamen, machte eine unanständige Geste und stampfte davon. Tamar hielt die Luft an, bis sie sah, dass er den Weg einschlug, der von Kesib wegführte, was bedeutete, dass sie ein paar Tage Ruhe vor seiner Grausamkeit haben würde.

„Es scheint, dass Batsuba gewonnen hat“, sagte Aksa. „Für den Moment jedenfalls …“

Tamar lächelte und fuhr jetzt mit etwas leichterem Herzen mit ihrer Arbeit fort. „Jeder Tag hat seine eigene Plage, Aksa, da will ich mich nicht auch noch wegen morgen sorgen.“

„Tamar!“ Batsuba kam nach draußen. „Wenn du genügend Zeit hast, faul herumzuschwätzen, kannst du auch reinkommen und hier aufräumen!“ Sie drehte sich um und marschierte zurück ins Haus.

„Jetzt erwartet sie auch noch, dass du hinter ihr und Er herputzt“, sagte Aksa angewidert.

„Sei still, oder wir bekommen noch mehr Ärger.“

Batsuba erschien wieder. „Lass Aksa den Garten fertig machen. Ich brauche dich im Haus, jetzt sofort!“

Tamar musste aufpassen, um den Scherben auszuweichen, die überall auf dem Lehmboden verstreut herumlagen. Batsuba betrachtete mürrisch ihren zerbrochenen Webstuhl. Tamar hockte sich hin und begann, die Scherben eines Kruges in die Schürze ihres Umhangs zu sammeln.

„Ich hoffe, Juda ist zufrieden mit dem, was er angerichtet hat“, sagte Batsuba wütend. „Da dachte er, eine Frau würde Ers Laune verbessern …“ Sie funkelte Tamar an, als sei sie an allem schuld. „Aber er ist schlimmer als je zuvor. Du bist nicht gut für meinen Sohn.“

Tamar schwieg, den Tränen nahe. Batsuba hob grummelnd den Webstuhl an. Der Rahmen war zerbrochen, der Teppich, an dem sie gearbeitet hatte, ruiniert. Sie schlug die Hände vor das Gesicht und begann bitterlich zu weinen.

Die Gefühlsausbrüche der Frau beschämten Tamar immer wieder. Beim ersten Mal war Tamar zu ihr gegangen, um sie zu trösten, nur um eine kräftige Ohrfeige und bittere Anschuldigungen zu ernten. Tamar hatte dazugelernt. Sie blieb, wo sie war, und senkte den Blick.

War Batsuba wirklich blind für das, was sie in diesem Haus anrichtete? Dauernd brachte sie den Sohn gegen den Vater und Bruder gegen Bruder auf. Über alles und jedes stritt sie mit Juda, und das vor ihren Söhnen, wie um ihnen zu demonstrieren, wie sie es sich möglichst mit allen verdarb und das Schlechteste für die Familie tat. Kein Wunder, dass ihre Schwiegermutter unglücklich war. Und der Rest des Hauses mit ihr.

„Juda will, dass Er die Schafe hütet.“ Batsuba riss an dem Webstuhl, sodass der Teppich sich noch mehr verhedderte. „Und warum? Weil mein Ehemann es nicht aushält, seinen lieben Papa längere Zeit nicht zu sehen! Dauernd muss er hin und nachschauen, wie es dem elenden Greis geht. Und dann sieh ihn dir an, wenn er zurückkommt! Tagelang brütet er nur, spricht mit niemandem, isst nichts. Und dann besäuft er sich und sagt den gleichen Blödsinn wie jedes Mal, wenn er bei Jakob war.“ Sie ließ die Schultern sinken und äffte den Tonfall ihres Mannes nach: „Die Hand Gottes liegt auf mir!“

Tamar schaute auf.

Batsuba erhob sich und begann, hin- und herzulaufen. „Wie kann der Mann nur so blöd sein und an einen Gott glauben, den es gar nicht gibt?“

„Vielleicht gibt es ihn doch.“

Batsuba warf ihr einen finsteren Blick zu. „Und wo ist er dann, bitte sehr? Hat dieser Gott einen Tempel, in dem er wohnt, und Priester, die ihm dienen? Er hat noch nicht einmal ein Zelt!“Sie trat an ihren Schrein. „Das hier – das sind richtige Götter!“ Sie ließ die Finger über eine der Statuen gleiten. „Man kann sie sehen und anfassen. Diese Götter hier, die kanaanitischen, machen unser Land und unsere Frauen fruchtbar.“ Ihre Augen glitzerten kalt. „Wenn du mehr Ehrfurcht vor ihnen hättest, wäre dein Bauch vielleicht nicht mehr so flach!“

Tamar spürte den Stich, aber diesmal ließ sie ihn nicht tief eindringen. „Hat Judas Gott nicht Sodom und Gomorra zerstört?“

Batsuba lachte spöttisch auf. „Ja, so heißt es, aber ich glaube das nicht.“ Sie funkelte Tamar an. „Würdest du deine Söhne vor einem Gott knien lassen, der ganze Städte auslöscht?“

„Wenn Juda es will.“

„Juda.“ Batsuba schüttelte den Kopf. „Hast du je gesehen, dass mein Mann zu dem Gott seines Vaters betet? Ich auch nicht. Warum sollten dann seine Söhne oder ich zu ihm beten? Du wirst deine Söhne in der Religion erziehen, die Er bevorzugt. Ich habe mich nie vor einem Gott verneigt, den man nicht sehen kann. Nicht ein Mal bin ich den Göttern Kanaans untreu geworden, und ich rate dir, dass du es auch so machst, wenn du weißt, was gut für dich ist …“

Tamar hörte die unausgesprochene Drohung.

Batsuba setzte sich auf ein Kissen an der Wand und lächelte kalt. „Er würde sicher nicht gern hören, dass du auch nur daran denkst, den Hebräergott anzubeten.“ Ihre Augen wurden schmal. „Ich glaube, du bist der Grund für unsere Probleme.“

Tamar begriff: Wenn Er zurückkam, würde Batsuba ihm erzählen, dass es in seinem Haus eine religiöse Rebellion gab. Die Frau war die geborene Unruhestifterin. Tamar juckte es in den Fingern, die Scherben zurück auf den Fußboden zu werfen und ihrer Schwiegermutter zu sagen, dass sie es war, die die Familie zugrunde richtete. Aber sie schluckte ihre Wut hinunter und sammelte weiter unter Batsubas wachsamem Auge die Scherben auf.

„Die Götter haben mich mit drei guten Söhnen gesegnet, und ich habe sie in der wahren Religion erzogen, wie jede gute Mutter es tun würde.“

Ja, drei Hitzköpfe, die noch weniger arbeiten als du, wollte Tamar sagen, aber sie hielt ihren Mund. Einen Krieg mit ihrer Schwiegermutter konnte sie nicht gewinnen.

Batsuba beugte sich nach vorn und hob das Tablett, das auf dem Boden lag, so weit hoch, dass sie die Weintrauben darunter hervorziehen konnte, dann ließ sie es wieder fallen. „Vielleicht solltest du öfter zu Aschera beten und Baal größere Opfer bringen, dann würde dein Leib geöffnet.“

Tamar hob ihren Kopf. „Ich kenne Aschera und Baal. Mein Vater und meine Mutter haben meine Schwester in den Tempel in Timna gegeben.“ Sie fügte nicht hinzu, dass sie den Glauben ihrer Eltern nie hatte teilen können und dass sie ihre Schwester für die Bedauernswerteste aller Frauen hielt. Einmal, als sie zu einem Fest in Timna waren, hatte sie gesehen, wie ihre Schwester auf einer Altarplattform von einem der Priester genommen wurde. Das Ritual sollte Baal aufwecken und den Frühling zurück ins Land bringen. Tamar hatte es mit Angst und Ekel erfüllt, und die Begeisterung der gaffenden Menge noch mehr. Sie war aus dem Tempel geflohen und hatte sich in einem Olivenhain versteckt, wo ihre Mutter sie am Abend gefunden hatte.

„Du bist nicht demütig genug“, sagte Batsuba.

Das stimmt, musste Tamar denken. Aber wie sollte sie demütig sein, wenn sie nicht glauben konnte? Diese Götter und der Glaube an sie machten einfach keinen Sinn. Ihre halbherzigen Versuche, sie zu verehren, erfüllten sie nur mit einer eigenartigen Mischung aus Widerwillen und Scham.