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Hinter dem Horizont wartet das Glück Nach einer weiteren gescheiterten Beziehung glaubt Clara nicht mehr daran, sie noch einmal zu finden, die verflixte große Liebe. Auch ihre beiden besten Freundinnen Vicki und Rachel sind die ewige Suche nach dem richtigen Mann leid. Schluss mit dem Gejammer, Leben bedeutet Veränderung, denken sich die Freundinnen und ersteigern im Internet eine halb verfallene Dorfschule auf Wangerooge. Doch der Neuanfang steht auf wackligen Beinen. Zum Glück ist da die lebenserfahrene Insulanerin Rieke, die ihnen den Kopf zurechtrückt, und ein geheimnisvoller Mann, von dem Clara sich wie magisch angezogen fühlt … Wenn die Wellen rauschen und die Sonne lacht, ist es Zeit, sich zu verlieben ...
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Die Inselfreundinnen
Brigitte Janson heißt eigentlich Brigitte Kanitz und stammt ursprünglich aus Lübeck. Viele Jahre war Hamburg ihre Wahlheimat, wo sie als Journalistin arbeitete. Heute lebt sie als freie Autorin in den italienischen Marken.Von Brigitte Janson sind in unserem Hause bereits erschienen:Die Tortenbäckerin · Der verbotene Duft · Holunderherzen Windmühlenträume · Winterapfelgarten
Die 44-jährige Clara steht mit beiden Beinen fest im Leben: Sie arbeitet als Tischlerin, hat eine wunderbare Tochter und die besten Freundinnen der Welt. Nur in der Liebe hat Clara einfach kein Glück. Ihr Lebensgefährte hat sich gerade getrennt – er möchte lieber Hotelanlagen in Brasilien bauen als eine gemeinsame Zukunft mit ihr. Gegen den Liebeskummer hilft nur eines: mit den besten Freundinnen Prosecco trinken! Nach der vierten Flasche treffen Clara, Vicki und Rachel eine mutige Entscheidung: Sie lassen ihr Leben in der Stadt hinter sich und eröffnen auf Wangerooge ein Hotel für Frauen mit Liebeskummer. Doch die alte Dorfschule entpuppt sich als Bauruine. Wenige Wochen vor der Eröffnung müssen die drei Freundinnen einsehen: Sie schaffen es nicht alleine. Zum Glück ist da die lebenserfahrene Insulanerin Rieke, die ihnen den Kopf zurechtrückt, und ein Mann, der unerwartet in Claras Leben tritt …
Brigitte Janson
Roman
Ullstein
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Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage Mai 2019© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2019Umschlaggestaltung: bürosüd° GmbH, MünchenTitelabbildung: © www.buerosued.deAutorenfoto: © Michaela PhilipzenE-Book-Konvertierung powered by pepyrus.comAlle Rechte vorbehalten. ISBN 978-3-8437-2028-1
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Die Autorin / Das Buch
Titelseite
Impressum
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
Social Media
Vorablesen.de
Cover
Titelseite
Inhalt
1. Kapitel
Für meine zauberhafte Freundin Anna. Du lebst zwar nicht auf einer Insel im Wattenmeer, aber an der Adriaküste, wo es auchwunderschön ist.
Clara starrte angestrengt auf das Display ihres Smartphones. Drei knappe Sätze standen dort, die für sie keinen Sinn ergaben. Irgendwann machten sich die Worte selbstständig und schwirrten wie lästige Mücken vor ihren Augen herum. Verwirrt rollte sich Clara auf ihrem mächtigen Sofa aus grünem Cordsamt ein. Ein scheußliches Möbelstück, aber so wunderbar bequem, dass sie sich nie davon trennen konnte. Hier war sie sicher, hier konnte ihr nichts Böses geschehen.
Die Mücken scherten sich nicht darum. Sie schwirrten weiter.
Ob es half, das Smartphone zu schütteln?
So kräftig, bis die Buchstaben zurückhüpften auf den Bildschirm und plötzlich eine andere, eine schöne Bedeutung bekamen?
Ich liebe dich, Clara, könnte dann zum Beispiel dort stehen. Und: Ich werde dich niemals verlassen. Du bist mein Leben, mein großes Glück. Der Mensch, mit dem ich irgendwann alt werden möchte …
»Träum weiter!«, sagte sie laut und schüttelte trotzdem noch mal. Mit dem Ergebnis, dass der kleine Bildschirm schwarz wurde.
Auch das noch.
Sie schluchzte auf. »Oh nein! Oh, verdammt!«
Lene stürzte zu ihr ins Wohnzimmer. »Was ist passiert?«
Clara schaute zu ihrer Tochter hoch. »Wie kommst du denn hier rein?«
»Hast du Fieber?«
»Nein, warum?« Sie fragte sich, ob in ihrem Kopf etwas nicht stimmte. Erst die sinnlosen Sätze, jetzt das unerwartete Auftauchen ihrer Tochter.
»Mama«, sagte Lene mit ihrer sehr ruhigen, sehr erwachsenen Stimme. »Ich habe noch einen Wohnungsschlüssel.«
Clara lächelte traurig. »Natürlich. Entschuldige. Ich war mit meinen Gedanken woanders.«
»Und warum hast du geflucht?«
»Habe ich das?«
Manchmal fragte sich Clara, wer von ihnen beiden die erst 22-jährige Tochter und wer die doppelt so alte Mutter war. Lene war so vernünftig, so ruhig, irgendwie perfekt. Sie selbst hingegen galt zwar als durchaus patent in ihrem Beruf als Tischlerin, aber privat war sie eine hoffnungslose Träumerin und Idealistin.
Hätte sie es nicht besser gewusst, hätte Clara so manches Mal gedacht, ihr sei damals ein falsches Baby untergeschoben worden.
Schwierig bei einer Hausgeburt. Außerdem hatte Lene ihre großen grauen Augen geerbt. In allem anderen unterschieden sich Mutter und Tochter jedoch gewaltig. Clara war klein, oder mittelgroß, wie wohlmeinende Freunde sagten. Außerdem war sie ein winziges bisschen rundlich und besaß wilde braune Locken, die sich nie so recht bändigen ließen. Lene hingegen war fast einen Kopf größer, gertenschlank und blond.
Ganz der Vater. Dieser liebenswerte Mistkerl, der Clara damals schwanger hatte sitzen lassen.
Sie war stolz darauf, es auch allein geschafft zu haben. Lene war wirklich prächtig geraten, nur eben ganz anders. Sogar verheiratet war sie schon – mit Justus, einem jungen Anwalt mit großen Karrierechancen in einer Kanzlei am Hamburger Neuen Jungfernstieg.
Clara bemerkte, dass ihre Tochter sie immer noch musterte.
»Tut mir leid, Schätzchen«, sagte sie daher schnell. Das war so eine alte Angewohnheit. Sie hatte sich immer ein wenig schuldig gefühlt. Weil sie Lene keinen Vater bieten konnte und auch keinen Stiefvater. Weil ihr Kind ohne Reichtümer aufwuchs, ohne Villa im vornehmen Harvestehude, sondern nur in einer Wohnung im Arbeiterviertel Barmbek. Und weil sie mit Nachnamen einfach Müller hieß. Nicht Godeffroy oder Sieveking oder gar Amsinck, wie es sich für eine noble alte hanseatische Familie gehörte.
»Nun sag schon, Mama. Was ist los?«
»Nichts. Alles gut.«
»Du lügst.«
Selbstverständlich log sie. Dem eigenen Kind erzählte man nicht seinen Kummer, selbst wenn es noch so erwachsen war. Dafür gab es schließlich Freundinnen.
Claras Miene hellte sich auf. Genau! Was sie jetzt brauchte, waren ihre zwei besten Freundinnen! Vicki und Rachel würden auf der Stelle zu ihr eilen. Sie musste sie nur … »Mist!«
»Mama!« Lene runzelte die Stirn, was sie älter aussehen ließ, als sie war. Das hatte sie sich von Rachel abgeguckt. Es war praktisch deren Markenzeichen, wenn sie angestrengt nachdachte oder mit etwas nicht einverstanden war.
Clara hütete sich, eine Bemerkung darüber fallen zu lassen. Ihre Tochter konnte sehr empfindlich sein. Sie wirkte schon gereizt genug.
»Mein Smartphone«, sagte sie daher nur. »Ich glaube, ich habe es kaputt gemacht.«
»Und wie hast du das geschafft?«, fragte Lene, während sie bereits nach dem kleinen Gerät griff, das stumm und tot auf dem Sofa lag.
»Ich … na ja, ich habe es geschüttelt. Ziemlich feste, fürchte ich.«
Lene lächelte amüsiert und verwandelte sich dabei von einer strengen Gouvernante in eine bildschöne junge Frau.
»Das arme Ding kann aber nichts dafür, wenn du Ärger mit deinen Kunden hast.«
Das ist es nicht, dachte Clara. Das ist es ganz und gar nicht. Aber sie nickte nur.
»Wahrscheinlich hast du wieder mal vergessen, es aufzuladen.«
»Hm.«
Clara erinnerte sich daran, dass sie die halbe Nacht damit zugebracht hatte, wieder und wieder alle Nachrichten zu lesen, die Kristian ihr in den vergangenen vier Wochen geschrieben hatte. Dann war sie am Morgen hinunter in die Werkstatt gegangen und hatte wie so oft über ihrer Arbeit alles andere vergessen. Wenn ihr der Duft nach Holzspänen in die Nase stieg und ein Schaukelpferd unter ihren Händen langsam Gestalt annahm, existierte die Welt da draußen nicht.
Inzwischen war es Abend, und ihr Smartphone hatte lange keinen Pieps von sich gegeben. Bis eben. Bis die Nachricht von Kristian sie von ihrer rosaroten Wolke geschubst hatte.
»Kann sein«, gab sie kleinlaut zu.
Flüchtig malte sich so etwas wie Ungeduld auf Lenes Gesicht ab. Sie steckte das Handy ans Ladegerät. Eine Weile schauten Mutter und Tochter gemeinsam darauf.
»Es lebt«, sagte Lene endlich.
»Wunderbar.«
Clara umarmte sie. Es fühlte sich gut an, die Tochter zu drücken, und so hielt sie Lene eine ganze Weile fest. Erst als diese sich mit sanfter Gewalt befreite, trat sie einen Schritt zurück.
»Ich wollte dir noch was sagen, Mama.«
»Ja, Schätzchen?«
»Ich … Ach, nichts. Vielleicht ein andermal. Ich muss jetzt los.«
»Okay.« So langsam wurde es schwierig, so zu tun, als ob alles in bester Ordnung wäre. Ihre Gesichtsmuskeln schmerzten schon, weil sie angestrengt die Mundwinkel oben hielt. Clara trat vor und drückte Lene noch einmal an sich.
»Grüß Justus schön von mir«, sagte sie.
Lene versprach es. Dann holte sie die Tasche, in die sie ein paar alte Teddys und Puppen gepackt hatte. Clara fand es süß, dass ihre Tochter ein Stück Kindheit mit in ihr neues Heim nehmen wollte. Zwar keine Villa in Harvestehude, aber immerhin ein schickes Häuschen in Alsterdorf. Und Müller hieß sie auch nicht mehr, sondern von Kribitz mit Nachnamen.
Justus’ Mutter Eleonore hatte vor der Hochzeit darauf bestanden, dass Lene den Familiennamen annahm. Clara hatte sich nicht anmerken lassen, dass sie deshalb verletzt war. Hauptsache, ihre Tochter war glücklich, und Justus war wirklich ein feiner Kerl. Kein bisschen eingebildet, trotz seiner vornehmen Herkunft. Das absolute Gegenteil von seiner hochnäsigen Mutter.
Nachdem die Wohnungstür hinter Lene ins Schloss gefallen war, konnte Clara endlich ihren Hilferuf an die Freundinnen absetzen.
Es dauerte nur eine halbe Stunde, bis Vicki da war. Rachel hingegen schrieb, sie habe noch einen Termin und werde später kommen. Clara möge in der Zwischenzeit bitte keine Dummheiten machen.
»Dummheiten?«, wiederholte Vicki, als Clara ihr davon erzählte. Sie prustete los. »Glaubt die gute Rachel, du stürzt dich vom Balkon? Nur wegen eines Kerls, der deiner nicht würdig ist? Pah!«
Sie marschierte auf direktem Weg in die Küche und packte drei Flaschen italienischen Prosecco in Claras Kühlschrank. Eine davon ins Gefrierfach, damit sie schneller kalt wurde.
»Alkohol ist keine Lösung«, erklärte sie gewichtig. »Aber er hilft ungemein. Der hier ist eine Spitzenmarke. Habe ich geschenkt bekommen.«
Vicki, die mit vollem Namen Victoria Michaelis hieß, bekam sehr viele leckere Präsente aus halb Deutschland zugeschickt. Sie war Food-Bloggerin, und die Firmen rissen sich geradezu darum, ihr die besten Spezialitäten zukommen zu lassen. Eine Präsentation auf Vickis beliebtem Blog war mehr wert als jede teure Werbung.
Clara folgte ihr in die kleine, schlicht eingerichtete Küche. Sie war keine besonders gute Köchin, dementsprechend wirkte der Raum mit seinen weißen Einbauschränken immer ein wenig steril.
»Ich weiß echt nicht, ob ich etwas trinken sollte«, meinte sie.
»Hallooo?« Vicki setzte eine maßlos empörte Miene auf. Das konnte sie richtig gut. »Was solltest du denn sonst tun? Rumheulen etwa? Die Männerwelt verfluchen? Oder vielleicht doch vom Balkon springen? Geht alles in Ordnung, Clärchen, aber mit Prosecco in der Blutbahn ist es leichter.«
Unwillkürlich musste Clara lachen. Vicki schaffte es immer wieder, sie aufzuheitern. Dabei sah die Freundin heute selbst nicht halb so fröhlich aus wie sonst. Hinter der munteren Fassade entdeckte Clara etwas anderes, das sie im Moment noch nicht zu deuten wusste. Aber es machte ihr zu schaffen. Es war doch hoffentlich alles wieder in Ordnung mit Tom? In der Beziehung kriselte es, allerdings hatte Clara gehofft, die beiden würden das wieder hinkriegen.
»Komm, wir setzen uns raus«, schlug sie vor. »Es ist so ein schöner Abend.«
Noch während sie sprach, sammelten sich Tränen in ihren Augen. Auf ihrem Balkon hatte sie viele wunderschöne Stunden mit dem wundervollen Kristian verbracht. Ein selten warmer und freundlicher Monat Mai war darüber vorbeigegangen.
»Wehe!«, rief Vicki und zeigte auf Claras feuchte Wangen. »Sonst fange ich auch gleich an.«
»Aus Solidarität?«
»Genau. Und weil … Ganz egal. Heute Abend geht es um dich.«
Vicki strich sich energisch eine lange blonde Haarsträhne aus der Stirn. Sie war Anfang dreißig, kleidete sich aber gern wie eine mittellose Studentin. Nur wenn sie in ein Hamburger Spitzenrestaurant eingeladen wurde, verwandelte sie sich wie durch Zauberhand in eine feine Dame.
Clara hatte sie einmal zu einem solchen Essen begleitet. Den ganzen Abend über hatte sie sich fehl am Platz gefühlt, aber Vicki war in ihrem Element gewesen. Sie hatte die Kellner herumgescheucht, mit dem Besitzer gefachsimpelt und ihr kleines Schwarzes getragen, als würde sie weder löchrige Jeans noch bedruckte T-Shirts kennen.
Heute sah sie zum Glück aus wie die Vicki, mit der Clara seit vielen Jahren befreundet war. Nachlässig gekleidet und mit lang fallenden Haaren. Sie wirkte lebensfroh, jugendhaft und auch ein wenig verpeilt, wie sie es selbst nannte. Und vor allem anderen war sie jemand, mit dem Clara über alles reden konnte.
»Schieß los«, sagte Vicki, nachdem sie es sich draußen in zwei Korbsesseln bequem gemacht hatten. »Was hat Mister Perfect angestellt?«
Clara räusperte sich umständlich, suchte nach einer passenden Erklärung, fand keine und sagte schlicht: »Er geht fort.«
»WAS? Der Mann, der dein vertrocknetes Herz erobert hat, verlässt dich?«
Das mit dem vertrockneten Herzen gab Clara erheblich zu denken, aber sie nickte.
»Kristian hat einen Auftrag in Brasilien angenommen«, führte sie aus. »Er wird eine große Hotelanlage an der Küste, in Recife, bauen.«
»Oha. Weiter weg ging wohl nicht? Australien vielleicht? Oder Papua-Neuguinea?«
»Bitte, Vicki. Das ist kein Spaß.«
Clara hatte Kristian Lachner erst Ende April auf einer Baustelle oben in Norderstedt kennengelernt. Er war der leitende Architekt, sie die Tischlerin, die in allen Zimmern des Einfamilienhauses die Fenster einbaute.
Liebe auf den ersten Blick. Das war es gewesen. Bei ihnen beiden. Sie war sich da hundertprozentig sicher gewesen.
Jetzt nicht mehr. Jetzt begriff sie, dass die Zeit mit ihr für Kristian vielleicht ein netter Zeitvertreib gewesen war. Aber nicht die große Liebe.
Clara musste hart schlucken.
»Mistkerl!«, rief Vicki laut aus. »Vollidiot! Hornochse! Knallkopp!«
Selten hatte Clara ihre Freundin so geliebt wie in diesem Augenblick.
Dennoch meinte sie: »Du übertreibst. So schlecht ist er nicht. Nur eben nicht genauso verliebt in mich wie ich in ihn.«
»Männer sind Schweine!«
»Vicki!«
»Ist doch wahr!«
»Dein Freund etwa auch? Der liebe und treue Tom, der immer alles richtig macht?«
»Ich hasse Tom!«
»Oh Gott! Was ist passiert?« Ihr Instinkt hatte sie ja gewarnt. Auch Vicki hatte offenbar mächtig Stress.
Vicki heulte laut auf. Clara schlug schnell vor, lieber wieder nach drinnen zu gehen. Sie ahnte, dass auf den Balkonen rechts und links die Ohren gespitzt wurden.
Im Wohnzimmer nahm sie Vicki fest in die Arme. Erst dann kuschelten sich die Freundinnen in die Ecken des mächtigen grünen Sofas.
»Ich bin sowieso schon Gesprächsthema der Straße«, sagte Clara. »Die Nachbarn haben wahrscheinlich auch gelauscht, wenn Kristian hier war.«
Vicki kicherte. Ihr ganzer Kummer und ihr Zorn auf Tom schienen verflogen. So war sie. Konnte in Sekunden umschalten. »Gönn den Leuten doch ein bisschen Abwechslung.« Augenblicklich wurde sie wieder ernst. »Tut mir echt leid. Ich gackere hier rum, dabei ist dein Leben zerstört worden.«
Clara hob die Brauen und schaute die Freundin eindringlich an. »Sag mal, machst du das eigentlich mit Absicht?«
»Was denn?«, zwitscherte Vicki mit zur Schau gestellter Unschuldsmiene.
»Dass du so maßlos übertreibst. Ich bin todunglücklich, weil Kristian weggeht. Das stimmt schon. Sonst hätte ich dich ja nicht gebeten herzukommen. Aber deshalb ist mein Leben nicht zerstört. Außerdem …«
»Was?«, fragte Vicki, deren schlechtes Gewissen ihr ins Gesicht geschrieben stand. Sie war kein gemeiner Mensch. Sie litt mit Clara, aber sie dachte wohl, es würde nicht helfen, wenn auch sie in Depressionen verfiele.
Clara antwortete nicht gleich. Sie rief sich Kristians Nachricht in Erinnerung. Dann spürte sie eine leise Hoffnung aufkeimen. Er hatte nicht geschrieben, dass er Schluss machen wollte. Nur, dass er fortmüsse, für ungefähr ein Jahr. Dieses Projekt sei die Chance seines Lebens.
»Ein Jahr ist schnell rum«, sagte sie zu Vicki. »Und Kristian ist quasi gezwungen, den Job zu übernehmen. Es geht schließlich um seine Karriere.«
Ihre Freundin antwortete erst nach einer ganzen Weile. »Hoffentlich ist der Prosecco bald kalt.«
»Was soll das denn jetzt wieder heißen?«, wollte Clara wissen.
»Ach, nichts.«
»Komm schon.«
»Meine Lippen sind versiegelt, bis über deine nicht mindestens der Inhalt von zwei Gläsern geflossen ist.«
»So ein Blödsinn!« Clara wollte Vicki mit den Zehenspitzen einen sanften Stoß verpassen, als es klingelte.
»Das muss Rachel sein.«
»Oh«, meinte Vicki und sprang auf. »Hätte ich gewusst, dass sie auch kommt, hätte ich noch ein paar Flaschen mehr mitgebracht.«
Sie war an der Wohnungstür, bevor Clara etwas erwidern konnte, und kehrte gleich darauf mit Rachel zurück.
»Melde gehorsamst«, sagte Vicki zu Rachel, »niemand ist vom Balkon gesprungen.«
»Was?«
»Ach, nichts. Wollte nur sagen, Clara hat keine Dummheiten gemacht, und ich auch nicht.«
»Warum solltest du auch?«, fragte Rachel. »Du bist seit einer unverschämt langen Zeit glücklich liiert. Das Wort Liebeskummer müsstest du doch erst mal im Lexikon nachschlagen, selbst wenn du dich neuerdings mal ein bisschen streitest.«
Es klang weder neidisch noch gemein, trotzdem bog Vicki die Mundwinkel nach unten, verkroch sich in ihre Ecke des Sofas und verstummte vorerst.
Wie so oft, wenn die drei sich trafen, staunte Clara darüber, dass so unterschiedliche Frauen wie sie so eng befreundet sein konnten.
Im Gegensatz zur flippigen Vicki war Rachel Jacobs das Ebenbild einer seriösen Geschäftsfrau. Sie war groß, ein bisschen zu dünn, trug ein strenges dunkles Kostüm, und die schwarz gefärbten Haare hatte sie zu einem praktischen Kurzschnitt verdammt. Tatsächlich arbeitete sie als erste Assistentin eines bekannten Hamburger Immobilienmaklers, und mit ihren dreiundfünfzig Jahren war sie die Älteste im Trio.
Clara und Vicki liebten sie beide innig, weil sie ein immens großes Herz besaß. Wenn Freunde Hilfe brauchten, war sie zur Stelle. Wenn ihre überlastete Schwester mit den vier Kindern nicht mehr klarkam, holte sie zwei oder drei davon für eine Weile zu sich und kümmerte sich aufopferungsvoll um sie. Wenn ihre alte Mutter sich einsam fühlte, zog Rachel kurzerhand für ein paar Monate zu ihr nach Glashütte hinaus und nahm einstündige Fahrtzeiten zur Arbeit in Kauf. Sie war ein Mensch, auf den man sich jederzeit verlassen konnte.
Niemand jedoch ahnte etwas von ihrem Doppelleben. Davon wussten nur ihre beiden besten Freundinnen.
Im Augenblick hielt sie sich einen undefinierbaren Gegenstand an die linke Wange. Er war in ein Seidentuch eingewickelt und zog die Blicke von Vicki und Clara magisch an.
Rachel verdrehte die Augen und ließ sich in einen Sessel fallen. Der passte nicht zum Sofa und war daher nicht ganz so hässlich.
»Guckt nicht so«, verlangte sie.
»Was ist denn das?«, fragte Clara und vergaß für einen Moment ihren großen Kummer und ihre verträumte Hoffnung.
»Ein Kühlpad«, kam es knapp zurück.
»Oh nein!«, riefen Clara und Vicki im Chor.
Rachel funkelte sie beide zornig an.
Vicki ließ sich davon nicht abschrecken. »Du hast es schon wieder getan!«
»Na und?«
»Rachel«, sagte Clara freundlich. »Was ist, wenn wir dich eines Tages nicht mehr wiedererkennen? Wenn du nicht mehr die Frau bist, die wir lieben? Wenn du zum Beispiel nicht mehr so meisterhaft die Stirn runzeln kannst, wie du es gern tust?«
»Sei nicht albern.«
»Ich bin da ganz bei Clara«, meinte Vicki. »Das war jetzt schon … das wievielte Mal?«
Rachel hob nur kurz die Schultern. »Ich hatte allen Grund, etwas für mich zu tun. Martin hat …« Sie brach schlagartig ab und senkte den Blick. »Ist jetzt nicht wichtig«, meinte sie dann. »Hier geht es um dich, Clara. Ich bin aus deiner Nachricht nicht ganz schlau geworden. Was ist mit Kristian? Worum geht es genau?«
»Um Samba, Caipirinha und heißblütige halb nackte Frauen«, antwortete Vicki an ihrer Stelle.
Mist!, dachte Clara. Vicki hatte den Finger auf eine Wunde gelegt, die sie bisher noch gar nicht gespürt hatte.
»Ich verstehe kein Wort«, sagte Rachel und nahm das Kühlpad in die andere Hand. »Ich dachte, wir reden von Kristian.«
Vicki stieß ein empörtes Schnauben aus. »Von Kristian, von Samba, von Caipirinha und von heißblütigen halb nackten Frauen.« Obwohl sie so schnodderig daherredete, entdeckte Clara Mitleid in ihren Augen. Sie wusste nicht, was von beidem schlimmer war.
»Hat sie schon was getrunken?«, wandte Rachel sich an Clara.
»Der Prosecco ist noch nicht kalt genug«, gab sie zurück und rieb sich dabei immer wieder über die Schläfen. Bis eben hatte sie nur damit fertig werden müssen, dass Kristian Lachner, der große blonde sportliche Mann, der ihr – ähm – vertrocknetes Herz im Sturm erobert hatte, für ein Jahr aus beruflichen Gründen weit, weit weg sein würde. Jetzt hatte sie plötzlich ganz andere Bilder im Kopf. Ziemlich üble Bilder.
Sie erklärte Rachel die Sache mit dem Großauftrag in Brasilien.
Die zeigte daraufhin Vicki einen Vogel. »Sonst hast du keine Vorurteile?«
»Oh doch, eine ganze Menge sogar, und meistens sind sie wahr.« Das Mitleid in ihren Augen wurde jetzt unerträglich. »Sorry, liebstes Clärchen. Ich will dir nicht wehtun, aber du musst den Gefahren ins Auge sehen. Dein Kristian entschwindet eben nicht nach Usbekistan oder Nordkorea. Wann eigentlich?«
»Wie bitte?«
»Wann geht der gute Mann fort?«
»In drei Tagen«, gab Clara kleinlaut Auskunft.
»Wow! Der hat dich aber frühzeitig informiert!«
»Vicki«, mahnte Rachel leise.
»Na, komm schon, Rachel«, sagte diese sanft. »Wir sind Claras beste Freundinnen, und wir lieben sie. Und manchmal muss man ein bisschen grausam sein, wenn man die Wahrheit sagen will.«
»Er ist bestimmt furchtbar beschäftigt vor der Abreise«, verteidigte Clara ihn.
Darauf sagte Vicki nichts mehr, sondern lief in die Küche.
Rachel und Clara hörten kurz darauf einen Korken knallen. In den Sektflöten, die Vicki mit zurückbrachte, schwammen Eiswürfel.
»Ist sonst noch zu warm«, erklärte sie. »Prost, Mädels. Auf uns!«
Es war noch gar nicht so lange her, da hatten sie auf die Liebe angestoßen.
»Ich hätte dir so gewünscht, dass du glücklich wirst«, sagte Rachel.
»Danke.« Clara wusste, es war ehrlich gemeint. So etwas wie Neid kannten die drei untereinander nicht. Vielleicht, weil jeweils um die zehn Jahre zwischen ihnen lagen, vielleicht, weil sie einfach zu eng miteinander verbunden waren.
Sie hatten sich alle drei auf einem Flohmarkt in Eppendorf kennengelernt. Clara bot dort ihre ersten, noch nicht ganz perfekten Schaukelpferde an. Sie setzte schon damals ihren ganzen Ehrgeiz darein, besonders schöne Unikate zu schaffen, die an die bunten Pferdchen auf Kinderkarussells erinnerten. Vicki und Rachel hatten je ein Exemplar erstanden und großzügig über leicht schielende Augen, zerlaufene Farben und wackelige Kufen hinweggesehen. Auch die Tatsache, dass sie keine Kinder hatten, war ihnen unwichtig gewesen. Vicki hatte behauptet, die Pferdchen seien auch wunderbare Dekorationsstücke, Rachel hatte von ihren Nichten und Neffen erzählt, die sich bestimmt riesig freuen würden.
Dann waren sie gemeinsam einen Kaffee trinken gegangen und hatten dabei überrascht festgestellt, dass sie alle drei etwas gemeinsam hatten: Sie liebten Spaziergänge an der Außenalster, und zwar ganz früh am Morgen, wenn sonst kaum jemand unterwegs war. So machten sie einen Treffpunkt aus, das Alsterufer Höhe Milchstraße, morgens um sechs Uhr. Nicht immer waren alle drei dabei. Mal wohnte Rachel bei ihrer Mutter in Glashütte, mal war Vicki nach einem späten Restaurantbesuch zu müde, mal musste Clara schon ganz früh morgens auf einer Baustelle sein. Aber wann immer sie konnten, gingen sie gemeinsam spazieren. Ihre Freundschaft hatte schon manche steife Brise und auch den einen oder anderen Sturm überstanden.
Und genau so, dachte Clara, wird es auch heute sein. Ich bin todunglücklich, aber Vicki und Rachel sind bei mir. Ich bin nicht allein.
Überhaupt waren Frauen die verlässlicheren Menschen im Leben, fand sie. Claras Großmutter hatte ihren Mann im Krieg verloren und ihre einzige Tochter allein großgezogen. Claras Mutter wiederum hatte Ende der Sechzigerjahre Männer durchaus geschätzt, aber einen Ehemann und Vater für unnötig gehalten.
Clara selbst – na ja, sie hatte nicht vorgehabt, mit zweiundzwanzig eine alleinerziehende Mutter zu werden. Aber es war nun mal so gekommen. Doch sie hatte nie, niemals aufgehört, an die große Liebe zu glauben.
Bis heute.
»Wann seht ihr euch?«, fragte Rachel.
»Wer wen?«
»Na, du deinen Architekten.« Sie legte das warm gewordene Kühlpad weg und hielt stattdessen ihre Sektflöte an die Wange.
Clara schaute ihr halb fasziniert, halb erschrocken dabei zu. »Das gibt einen dicken Bluterguss«, stellte sie fest.
»Ich weiß. Hat leider ein Äderchen getroffen.«
»Äderchen?«, mischte sich Vicki ein. »Das sieht mir schon mehr nach der Hauptschlagader aus.«
Rachels Augen funkelten wütend. »Die sitzt nicht im Gesicht.«
Vicki machte ein zerknirschtes Gesicht. »Sorry, liebste Rachel. Ich bin heute wirklich unausstehlich.«
»Das bist du.« Rachel bemühte sich um einen beleidigten Tonfall, aber sie musste schon wieder lächeln. »Übertreib es bloß nicht mit deiner Wahrheitsliebe.«
»Ich werde mich bessern, großes Pfadfinderehrenwort.«
»Du warst nie bei den Pfadfindern.«
Beide lachten, und auch Claras Mundwinkel zuckten. Es tat so gut, mit ihren Freundinnen zusammen zu sein!
Vicki wandte sich Clara zu. »Mich würde übrigens auch interessieren, wann du Kristian triffst.«
Ihr wurde heiß und kalt zugleich, und sie schwieg betroffen.
»Etwa gar nicht mehr?«, hakte Vicki nach. »Will er sich nicht von dir verabschieden?«
»Er schreibt, er sei furchtbar im Stress.« Ihre Stimme war auf einmal kaum mehr als ein Flüstern. »Und er hasst große Szenen.«
»Große Szenen? Spinnt der? Als ob du heulend vor ihm auf die Knie fallen und ihn anflehen würdest, dich nicht zu verlassen.«
So ganz abwegig fand Clara den Gedanken nicht, aber sie nickte pflichtschuldig.
»Was hast du ihm überhaupt auf seine große Ankündigung geantwortet?«, wollte Vicki dann wissen. »Hoffentlich, dass er sich dahin scheren soll, wo der Pfeffer wächst? Wobei, wächst der in Brasilien? Das müsste ich mal googeln.«
Clara hielt sich an ihrem Glas fest. »Gar nichts. Ich habe gar nichts geschrieben. Wusste nicht, was, und dann war sowieso mein Smartphone tot.«
»Vollkommen verständlich. Soll der ruhig schmoren und sich fragen, ob du ihn mit einem Voodoo-Zauber belegst. Verdient hätte er es.«
Clara musste kichern. Oh ja, sie hätte große Lust gehabt, sich an Kristian zu rächen, bloß war sie nicht der Typ dafür, und außerdem war sie im Augenblick auch viel zu traurig.
Rachel, die eine Weile geschwiegen hatte, warf ein: »Ein bisschen mehr Anstand hätte ich von dem Mann schon erwartet.«
Das Wort »Anstand« klang aus Rachels Mund seltsam, und so sagten Vicki und Clara nichts dazu.
Aber sie haben ja beide recht, überlegte Clara. Es ist nicht in Ordnung. Kristian hätte mich früher informieren und sich anständig von mir verabschieden müssen.
Sie dachte an ihr letztes Treffen zurück. Das war vor fünf Tagen, am Samstag, gewesen. Sie hatte sich Mühe gegeben mit einem schönen Spargelessen, und dann waren sie ziemlich schnell im Bett gelandet.
War etwas anders gewesen als sonst? Nein, dachte sie. Außer, dass er ihr nicht in die Augen gesehen hatte.
»Seltsam«, murmelte sie. »Wenn ich nicht so verliebt gewesen wäre, hätte ich vielleicht etwas bemerkt.« Ihr fiel selbst auf, dass sie über ihre Gefühle in der Vergangenheit sprach, doch in Wahrheit waren sie noch fest in der Gegenwart verankert.
»Liebe macht blind«, sagte Rachel.
»Und durstig«, entschied Vicki. »Besonders diese dumme Liebe, die nicht mehr das ist, was sie mal war, und sich nur noch entfernt so anfühlt.«
Woraufhin die drei Freundinnen nach der ersten Flasche die zweite öffneten.
»Wie hast du das gemeint?«, fragte Clara dann. »Kristian und ich sind erst seit einem Monat zusammen, aber das klang eben nach einer langjährigen Beziehung.«
»Bin ganz Claras Meinung«, bemerkte Rachel. »Von wem hast du geredet?«
Vicki starrte angestrengt in ihr Glas und schwieg eine Zeit lang beharrlich.
»Komm schon«, forderte Clara sie auf. »Erzähl uns, was los ist.«
»Aber wir sind hier, um dich aufzumuntern. Nicht, um über unsere eigenen Probleme zu reden.«
Clara lächelte schief. »Dann trösten wir uns eben gegenseitig. Ist doch genauso gut.«
»Finde ich auch«, sagte Rachel in einem seltsamen Tonfall, der Clara schon wieder schwer zu denken gab. Doch zunächst richtete sie ihre volle Aufmerksamkeit auf Vicki.
»Tom und ich haben uns getrennt«, sagte diese mit plötzlich leiser, trauriger Stimme.
Clara und Rachel machten große Augen.
»Wir wussten ja, dass es bei euch ein wenig kriselt«, sagte Clara, »aber wir dachten, das kriegt ihr wieder hin.«
»Ihr wart doch immer so glücklich miteinander«, fügte Rachel hinzu.
Victoria Michaelis und Tom Behring waren seit mehr als fünf Jahren ein absolutes Traumpaar. Die Food-Bloggerin und der Fotograf hatten sich während eines gemeinsamen Projektes kennengelernt, und seitdem waren sie unzertrennlich gewesen.
Zwar hatten sie weder geheiratet noch eine Familie gegründet, aber Vicki hatte den Freundinnen stets versichert, dass auch sie selbst es genau so haben wollte. Sie sei eben nicht zur Mutter geboren.
Es war Clara seltsam vorgekommen, dass zwei junge Leute, die sich liebten, nicht den Bund fürs Leben schließen und Kinder bekommen wollten. Aber vielleicht, so hatte sie gedacht, war sie selbst da auch zu altmodisch veranlagt.
Auf einmal verstand Clara auch Vickis Bemerkung von eben. »Ihr liebt euch nicht mehr?«
»Oder hat er womöglich eine andere?«, wollte Rachel wissen. »Hat er sich etwa eine Geliebte zugelegt? Obwohl – kann ein Mann eine Geliebte haben, wenn er gar nicht verheiratet ist? Das sollte mal jemand klären. Also, die andere Frau, diese Geliebte oder nur Beinahe-Geliebte, tut mir schon ein bisschen leid. Entschuldige, aber ich finde, man muss alle Seiten beleuchten und …« Blitzartig verstummte sie, während Clara und Vicki sie nur sprachlos anschauten. Viermal das Wort »Geliebte« innerhalb einer halben Minute. Das war selbst für Rachel im engsten Freundinnenkreis eine Leistung!
Schweigen entstand, nur das Geräusch von sprudelndem Prosecco war zu hören.
Clara nippte an ihrem Glas. War es das dritte oder vierte? Sie wusste es nicht mehr, wunderte sich nur, dass sie sich vollkommen nüchtern fühlte.
»Sag uns doch, was passiert ist«, bat sie Vicki noch einmal.
»Will ich gerne tun, aber nur, wenn Rachel mal für eine Minute still ist.«
Diese wirkte nicht beleidigt. Nur ausgesprochen nachdenklich.
Vicki richtete ihren Blick auf Clara. »Ich weiß, du bist am allerunglücklichsten, aber ich komme bestimmt gleich nach dir.«
»Wenn ihr wüsstet!«, brauste Rachel auf. »Wenn ihr nur wüsstet!«
»Rachel!«, riefen Vicki und Clara im Chor.
»Ich halte ja schon meine Klappe.«
»Also«, fuhr Vicki fort. »Ich habe schon seit einer Weile gemerkt, dass Tom sich verändert hat. Er war nicht mehr so liebevoll wie früher, nicht mehr so aufmerksam. Er war nicht wirklich bei mir.«
Clara bemerkte, dass Rachel den Mund öffnete und schnell wieder schloss. Wahrscheinlich hatte sie etwas von einem Luxusproblem sagen wollen, ließ es jedoch wohlweislich bleiben.
»Das tut mir sehr leid«, sagte Clara. »Und deswegen hasst du ihn? Deswegen sind alle Männer Schweine?«
Ihre Freundin ließ den Kopf hängen. »Klingt wahrscheinlich blöd. Vor allem für dich, weil dir gerade so übel mitgespielt wird. Aber ich bin in den letzten Wochen immer trauriger geworden. So kenne ich mich gar nicht.«
Clara verspürte einen Anflug von schlechtem Gewissen. Sie selbst war den ganzen Monat Mai über so glücklich gewesen, dass sie den Kummer der Freundin nicht gesehen hatte.
»Meinst du nicht, es könnte sich wieder einrenken?«, fragte sie.
Vicki schüttelte heftig den Kopf. »Niemals! Wir haben uns ausgesprochen. Tom liebt mich nicht mehr.« Sie schluchzte auf.
»Und du?«, fragte Clara sanft.
»Ich … ich glaube, ich empfinde auch nur noch Freundschaft für ihn. Aber ich bin so schrecklich verzweifelt deswegen. So sollte es niemals enden. Nicht zwischen uns.«
»Das verstehe ich.«
»Wieso kann Liebe einfach verschwinden, wenn man mal kurz nicht aufpasst?«, fragte Vicki. »Wieso ist die irgendwann weg?«
Clara wählte ihre nächsten Worte mit Bedacht. »Das weiß ich auch nicht. Ich war noch nie mit jemandem so lange zusammen wie du. Aber ich bin mir ganz sicher, dass es nicht deine Schuld ist. Und auch nicht Toms. Keiner von euch kann etwas dafür. So etwas kann einfach mal passieren.«
»Ach, Clärchen. Du bist so lieb! Was machen wir denn nun?«
»Prosecco trinken?«, schlug Clara vor, weil ihr im Moment nichts Besseres einfiel und weil sie sowieso schon dabei waren.
»Jep.«
Vicki verschwand wieder kurz in der Küche und kam mit Flasche Nummer drei wieder. Sie schenkte ein, hob ihr Glas und trank.
Die anderen taten es ihr nach. Einen Toast mochte jetzt niemand aussprechen. Jede nippte sowieso nur an ihrem Glas, im Grunde hatten alle schon genug.
»Eure Sorgen hätte ich gern«, meldete sich Rachel endlich zu Wort.
Das Redeverbot hielt sie offenbar für aufgehoben. Sie zeigte mit dem Finger auf Vicki: »Du hast wirklich Pech gehabt, aber …« Der Finger wanderte zu Clara und vollführte dabei eine leichte Wellenbewegung. Bei Rachel hatte der Alkohol offenbar besser angeschlagen. »Und du!« Sie verfiel in Schweigen.
»Und ich?«, hakte Clara nach.
Rachel rülpste verhalten, dann fand sie den Faden wieder. »Du glaubst an die Liebe auf den ersten Blick!«
»So bin ich, und ich könnte gar nicht anders sein. Was ist falsch daran?«
»Du bist ein wenig zu verträumt, Clara. So etwas gibt es nicht! Liebe muss man sich erkämpfen, man muss Geduld haben und warten können. Neun ewige Jahre lang! Und dabei die vielen einsamen Stunden und Tage ertragen. Aber du hast gedacht, das große Glück fällt dir einfach so in den Schoß und bleibt dort gemütlich liegen.«
»Klingt schräg«, meinte Vicki und kicherte, gleichzeitig weinte sie um Tom.
Clara fand das in Ordnung. So fühlte man sich eben, wenn die eigene Welt von einem Moment zum anderen auf dem Kopf stand. Ihr ging es ja nicht viel anders, aber ein bisschen sauer war sie trotzdem.
»Das ist so nicht richtig«, korrigierte sie daher Rachel. »Ich bin nicht so naiv, wie du denkst. Aber ich habe wirklich geglaubt, Kristian ist meine große Liebe. Er ist einfach ein toller Mann, und alles war so wunderbar.« Sie weinte jetzt auch.
»Hört auf zu heulen!«, befahl Rachel. »Auf der Stelle! Sonst muss ich mitheulen.«
Clara tauschte einen langen und vielsagenden Blick mit Vicki.
»Stimmt was nicht mit Martin?«, erkundigte sie sich dann vorsichtig.
Rachel holte ein paarmal tief Luft, bevor sie antwortete. »Martin Wendlach, dieser verdammte Verbrecher, ist es nicht wert, dass ich auch nur ein einziges Wort über ihn verliere.«
Oha! Das klang gar nicht gut. Und ziemlich viele Worte waren es auch. Ohne sich absprechen zu müssen, standen Clara und Vicki gleichzeitig vom Sofa auf und hockten sich auf die Sessellehnen. Sie legten je einen Arm um Rachel und warteten ab.
Claras Blick fiel dabei auf ein Poster der Nordseeinsel Wangerooge. Sie hatte es damals von ihrer Mutter-Kind-Kur mitgebracht. Bald zwanzig Jahre war das her, aber noch heute erinnerte sie sich daran, wie wundervoll es ihr dort mit Lene ergangen war. Kein Alltagsstress, keine Sorgen, keine tiefen Augenringe, weil die kleine Lene in der frischen Seeluft plötzlich wunderbar durchschlief und ihre überforderte Mama nicht drei-, viermal pro Nacht weckte.
Der weite Himmel, die Ruhe, das Kreischen der Möwen, der Sandstrand und die Dünen, die Salzwiesen und das Wattenmeer – und dieses Gefühl, vor lauter Leichtigkeit zu schweben … Sie seufzte tief.
Seitdem war sie nie wieder dorthin gefahren. Es hatte sich einfach keine Gelegenheit ergeben. Doch nun verspürte sie plötzlich eine tiefe Sehnsucht nach dieser friedlichen Insel.
Rachels bebende Schultern holten sie ins Hier und Jetzt zurück. Schon glaubte sie, auch Rachel würde den Tränen freien Lauf lassen, aber da täuschte sie sich. Mit einem Schlag wurde ihr Rücken steif, und ihre Stimme klang tonlos, als sie sagte: »Martin hat mich schon zu Ostern verlassen.«
Ostern?, dachte Clara betroffen. Kurz danach hatte sie selbst Kristian kennengelernt, und offenbar hatte sie nicht nur bei Vicki, sondern auch bei Rachel so einiges verpasst. Gleichzeitig dachte sie: Was für ein Tag! War es möglich, dass sie alle drei zur selben Zeit so schrecklich enttäuscht wurden?
Genau zur selben Zeit vielleicht nicht, überlegte sie dann. Aber dies ist der perfekte Moment, um einander davon zu erzählen. Bei ihren morgendlichen Spaziergängen hatten Rachel und Vicki immer mal wieder Andeutungen gemacht. Es war also klar gewesen, dass bei beiden etwas nicht stimmte. Nur allzu konkret waren sie nicht geworden. Vielleicht hatten sie selbst noch Hoffnung gehabt, sie mögen sich täuschen, und alles renke sich wieder ein.
Sie schämte sich, weil sie so sehr in ihrem eigenen Liebesglück aufgegangen war, ohne nach rechts oder links zu schauen. Zum ersten Mal, seit sie Kristians Nachricht gelesen hatte, fragte sie sich, ob dieser Mann wirklich gut für sie war. Er hatte sie immer nur für sich allein haben wollen, und ihre Vorschläge, doch mal etwas mit seinen Freunden und ihren Freundinnen zu unternehmen, hatte er stets abgeblockt.
»Aber warum denn?«, erkundigte sie sich nun bei Rachel. »Du hast doch immer alles für diesen Mann getan, und du hast nie irgendwelche Forderungen gestellt. Ich habe dich sehr bewundert.«
»Und ich habe mir echt riesige Sorgen gemacht«, warf Vicki ein. »Aufgeopfert hast du dich für den Kerl! Warst für ihn da, wenn er es wollte, und bliebst allein, wenn er keine Zeit für dich hatte. All die Jahre in der Warteschleife. Schrecklich!«
»Martin hat eine Geliebte«, sagte Rachel so leise, dass die beiden anderen Frauen sich anstrengen mussten, sie zu verstehen.
»Hä?«, machte Vicki. »Noch eine?«
Auch Clara war kurz verwirrt. »Aber du bist doch seine Geliebte.«
Sie selbst und Vicki hatten hautnah miterlebt, wie Rachel damals ihr Herz an den charismatischen Chirurgen vom Universitätskrankenhaus Eppendorf verloren hatte. In einer Cocktailbar hatte er sie angesprochen und schnell mit seinem Charme umgarnt.
Die Kleinigkeit, dass er ein verheirateter Familienvater war, hatte er seiner neuen Freundin lange verschwiegen. Als Rachel die Wahrheit schließlich herausgefunden hatte, war es zu spät gewesen. Sie liebte ihren Martin und war davon überzeugt, er werde seine Familie für sie verlassen. Schon bald sogar. Oder spätestens in ein, zwei Jahren. Wenn erst der Sohn sein Abitur bestanden hatte, wenn nur die Tochter ausgezogen war, wenn …
Es hatte sehr viele Wenns gegeben. Und immer wieder neue Versprechen.
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