Die kleine Straße der großen Herzen - Manuela Inusa - E-Book

Die kleine Straße der großen Herzen E-Book

Manuela Inusa

0,0
8,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wiedersehen in der Valerie Lane, der romantischsten Straße der Welt!

In den letzten drei Jahren ist viel passiert in der Valerie Lane. Die kleine Tochter von Laurie, der Besitzerin des Teeladens, hat ein Geschwisterchen bekommen, Chocolatière Keira hat sich getraut, und Orchid ist ihrer großen Liebe gefolgt. Doch auch wenn nicht mehr alle beisammen sind und sich vieles verändert hat, herrscht doch Zufriedenheit in der kleinen Straße im Herzen Oxfords, denn nach wie vor halten alle zusammen und versuchen, Gutes zu tun. Doch dann passiert etwas, mit dem niemand gerechnet hätte, und die Frauen der Valerie Lane erfüllen einer lieben alten Freundin einen großen Wunsch …

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 351

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Buch

In den letzten drei Jahren ist viel passiert in der Valerie Lane. Die kleine Tochter von Laurie, der Besitzerin des Teeladens, hat ein Geschwisterchen bekommen, Chocolatière Keira hat sich getraut, und Orchid ist ihrer großen Liebe gefolgt. Doch auch wenn nicht mehr alle beisammen sind und sich vieles verändert hat, herrscht doch Zufriedenheit in der kleinen Straße im Herzen Oxfords, denn nach wie vor halten alle zusammen und versuchen, Gutes zu tun. Doch dann passiert etwas, womit niemand gerechnet hätte, und die Frauen der Valerie Lane erfüllen einer lieben alten Freundin einen großen Wunsch …

Autorin

Manuela Inusa wurde 1981 in Hamburg geboren und wollte schon als Kind Autorin werden. Kurz vor ihrem dreißigsten Geburtstag sagte die gelernte Fremdsprachenkorrespondentin sich: »Jetzt oder nie!« Nach einigen Erfolgen im Selfpublishing erscheinen ihre aktuellen Romane bei Blanvalet und verzaubern ihre Leser. Die Autorin lebt mit ihrem Ehemann und ihren beiden Kindern in einem idyllischen Haus auf dem Land. In ihrer Freizeit liest sie am liebsten Thriller und reist gerne, vorzugsweise nach England und in die USA. Sie hat eine Vorliebe für englische Popmusik, Crime-Serien, Duftkerzen und Tee.

Von Manuela Inusa bereits erschienen

Jane Austen bleibt zum Frühstück

Auch donnerstags geschehen Wunder

Der kleine Teeladen zum Glück

Die Chocolaterie der Träume

Der zauberhafte Trödelladen

Das wunderbare Wollparadies

Der fabelhafte Geschenkeladen

Besuchen Sie uns auch auf www.facebook.com/blanvalet

und www.twitter.com/BlanvaletVerlag

MANUELA INUSA

Roman

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © der Originalausgabe 2019

by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Angela Küpper

Umschlaggestaltung: © Johannes Wiebel | punchdesign,

unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com

(Sakala; Helen Hotson; MarinaDa; phetsamay philavanh;

Andrei Nekrassov; Albert Pego; Andrekart Photography;

freesoulproduction; piixypeach; photo5963_shutter; Yana Fefelova)

JF · Herstellung: sam

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN 978-3-641-23633-5V003

www.blanvalet.de

Für alle Valerie-Lane-Fans

PROLOG

An einem warmen Spätsommertag gingen zwei hochbetagte Menschen die Valerie Lane in Oxford entlang. Sie hatten gerade eine gute Tasse Tee in dem kleinen Laden an der Ecke zu sich genommen, in dem sie seit Jahren Stammkunden waren, und fühlten sich noch immer ganz beseelt von der heimeligen Atmosphäre, die sie dort jedes Mal empfing. Und nicht nur die Besitzerin des Teeladens gab ihnen stets das Gefühl, willkommen zu sein, sondern auch die Inhaberin der benachbarten Chocolaterie, der sie als Nächstes einen Besuch abstatteten.

Die Valerie Lane war für die beiden Alten längst zu einem zweiten Zuhause geworden. Wie viele wunderbare Momente hatten sie hier erlebt, wie viele einzigartige Menschen kennengelernt! Wie oft war ihnen in schwierigen Zeiten Hilfe zuteilgeworden! Und wie warmherzig wurden sie jedes Mal empfangen, wenn sie einen Fuß in diese Straße setzten! Ja, die lieben Ladeninhaber aus der Valerie Lane waren sogar dabei gewesen, als sie sich vor gut vier Jahren das Jawort gegeben hatten – ein Ereignis, das sie beide nicht mehr für möglich gehalten hätten und das diese Menschen noch einmal mehr zu etwas ganz Besonderem gemacht hatten.

Die Frau suchte sich nun ihre Lieblingspralinen aus, die ihr Gatte ihr wie jede Woche kaufte. Sie hatten solches Glück, einander zu haben. Es war nicht selbstverständlich, in ihrem hohen Alter einen Partner an der Seite zu haben – wie unwahrscheinlich aber war es, mit über achtzig abermals die Liebe zu finden.

Die alte Dame mit den schlohweißen, wirren Haaren lächelte ihren Liebsten dankbar an, steckte die Pralinen in ihre Handtasche und hakte sich wieder ein. Gemeinsam gingen sie bis ans Ende der kleinen Gasse, an der sich ein Kirschbaum befand, der schon im neunzehnten Jahrhundert dort gestanden hatte. Die gute Valerie, nach der die Straße benannt worden war, hatte vor über einhundert Jahren Marmelade aus den Früchten eingemacht.

Valerie Bonham war eine unglaubliche Frau gewesen, immer hilfsbereit, mit dem größten Herzen von allen, so erzählte man sich. Doch für diese beiden Alten war klar: Die heutigen Ladenbesitzer und Anwohner der kleinen Straße standen Valerie in nichts nach. Denn auch sie waren immer für ihre Mitmenschen da, halfen, wo sie nur konnten, hatten ein offenes Ohr für jedes Problem, mit dem man zu ihnen kam, und vor allem nahmen sie es als selbstverständlich, anderen Gutes zu tun, als wäre es das Natürlichste der Welt.

Die alte Frau war müde und bat ihren Gatten, eine Weile auf der Bank neben dem Kirschbaum Rast zu machen. Dort saßen sie und beobachteten das Treiben an diesem wundersamen Ort.

Wie schon so oft sagte die Frau zu ihrem Mann, wie sehr sie die lieben Ladenbesitzer als ihre Familie betrachtete. Und diesmal sagte sie noch etwas anderes, nämlich, dass sie ihr fehlen würden.

Traurig sah der Mann seine Liebste an, die mit ihren zweiundneunzig Jahren noch immer die schönste Frau auf der Welt für ihn war. Er nahm ihre Hand und hielt sie, als wäre es das letzte Mal. Dann lächelte er tapfer und sagte ihr, dass man auch sie ganz bestimmt sehr vermissen würde.

KAPITEL 1

»Ein Kamillentee mit Milch, bitte schön«, sagte Laurie und stellte die hübsche blaue Tasse auf dem metallenen weißen Tisch ab, an dem Mrs. Kingston, eine ihrer Stammkundinnen, Platz genommen hatte. Es war bereits ihre zweite Tasse. In der letzten halben Stunde hatte die Tratschtante der Gegend Laurie auf den neuesten Stand gebracht, was die Valerie Lane und die Umgebung betraf, während sie das Teeregal aufgefüllt hatte.

»Ich habe gehört, Sophie hat endlich ihren Archie verlassen«, berichtete Mrs. Kingston mit großen Augen. »Können Sie sich das vorstellen? Nach all den Jahren der Demütigung ist sie endlich aufgewacht.«

»Ehrlich?«, fragte Laurie. Wenn das stimmte, würde es sie wirklich freuen. Sophie war ebenfalls eine Stammkundin. Ihr Mann war ein notorischer Fremdgänger, und die Gute hatte das viel zu lange mitgemacht.

»Ich hab’s gehört.« Mrs. Kingston nickte bekräftigend, sodass ihre gewaltige Dauerwelle auf und ab wippte.

Laurie musste lächeln. Sie fragte lieber nicht nach, woher Mrs. Kingston das wusste. Die Frau hatte ihre Augen und Ohren nämlich überall und belauschte nur zu gerne die Unterhaltungen anderer. Es war schon ein bisschen gruselig, wie viel sie mitbekam, Laurie hatte fast Angst, überhaupt noch irgendwem irgendwas zu erzählen. Am Ende war nämlich sicher, dass auch Mrs. Kingston Wind davon bekommen würde.

»Wie geht es Ihrer Enkelin?«, fragte sie nun nach.

»Oh, Tanya geht es gut, danke. Sie schwärmt jetzt für irgend so einen Sänger, hab seinen Namen vergessen.«

Laurie fiel auf die Schnelle nur Justin Bieber ein, aber der war wahrscheinlich längst Schnee von gestern. Sie war wirklich nicht mehr auf dem Laufenden, was Teenie-Idole anging, und es würde noch eine ganze Weile dauern, bis es wieder so weit sein würde.

»Ich habe damals total für Liam Gallagher von Oasis geschwärmt«, erzählte sie Mrs. Kingston. Sie war fast achtunddreißig, Teenie-Schwärmereien schienen eine Ewigkeit her.

»Kenne ich leider nicht. Sah er gut aus?«

»Oh ja. Das tut er immer noch.«

»Ich für meinen Teil war ja bis über beide Ohren in Paul Anka verknallt.«

»Paul Anka?« Laurie musste lachen. »Das war doch einer dieser amerikanischen Schnulzensänger, oder?«

»Ja, genau. Und der ist auch heute noch ziemlich heiß.« Mrs. Kingston grinste frech, und Laurie legte ihr eine Hand auf die Schulter.

»Sie sind mir ja eine. Passen Sie nur auf, dass ich das Ihrem Willy nicht erzähle.«

»Ach«, winkte sie ab. »Der steht auf Jane Fonda. Da ist nichts dabei, wenn wir ein bisschen für andere schwärmen. Das hält unsere Ehe jung.«

Laurie lächelte vergnügt. Sie fragte sich, ob Barry und sie in dreißig Jahren auch noch so gut miteinander klarkämen. Doch, eigentlich war sie sich da ziemlich sicher. Sie waren einfach füreinander bestimmt, und seit er in ihr Leben getreten war, war sie so glücklich wie nie zuvor.

»Wie geht es denn Ihrer kleinen Familie?«, erkundigte sich Mrs. Kingston jetzt.

»Der geht es wunderbar«, antwortete Laurie und öffnete eine Kiste mit Hagebuttentee. »Alle sind wohlauf.«

»Das freut mich zu hören.«

In dem Moment klingelte das Telefon. Laurie sah sich nach ihrer Mitarbeiterin Hannah um, die aber anscheinend hinten im Lager war, und ging dann selbst ran.

»Laurie’s Tea Corner, was kann ich für Sie tun?«

»Hi, Schatz, ich bin es.«

»Gut, dass du anrufst. Ich hatte vergessen zu fragen, ob du die Mädchen heute bei deinen Eltern abholst oder ob ich das machen soll.«

»Ich mach das schon.«

»Hast du kein Fußballtraining?«

»Die halbe Mannschaft ist doch auf Klassenfahrt, deshalb fällt das Training aus.«

»Ach, stimmt, das hattest du erzählt. Sorry, ich hab so viel um die Ohren, dass ich die Hälfte vergesse. Dass du die Mädchen abholst, ist mir eine große Hilfe, dann kann ich heute ein bisschen länger bleiben und mich um die Buchhaltung kümmern.«

»Sollen wir dich danach abholen und irgendwo was essen gehen? Dann müssen wir später nichts kochen.«

»Perfekt. So gegen sieben?«

»Alles klar. Du, Laurie, hast du eigentlich schon die neuen Gemüsetees angeboten?«

»Oje, ich hatte noch gar keine Zeit, sie auszupacken. Aber du weißt, ich bin da skeptisch, ob Gemüsetees überhaupt ankommen. Am besten brühe ich mal einen auf und lasse meine Freundinnen probieren, bevor ich sie zum Verkauf anbiete.«

»Das ist doch eine gute Idee.« Barry schien zufrieden. Er war nicht nur Lauries Ehemann, sondern auch ihr Teehändler und war der Meinung, dass Gemüsetees der neue Trend sein könnten. Laurie sah die Sache ein wenig anders.

»Ich leg dann auf, ja? Ich hab jede Menge Kundschaft und muss mich auf die Suche nach Hannah machen, die mir irgendwie abhandengekommen ist.«

»Kein Problem. Bis später. Ich liebe dich.«

»Ich liebe dich auch, mein Schatz.«

»Oh, wie süß Sie beide miteinander sind«, fand Mrs. Kingston und nahm noch einen Schluck Tee.

Laurie lächelte. »Haben Sie zufällig gesehen, wo Hannah hin ist?«

»Ja. Die ist vor einer Weile rausgegangen.«

»Raus?«

»Sie hat Ihnen doch Bescheid gesagt.«

»Das hat sie?« Laurie war verwirrt. Sie konnte sich nicht daran erinnern.

»Doch, doch, ich hab’s genau gehört. Sie waren wohl mal wieder woanders mit Ihren Gedanken. Sie haben viel zu tun, was? Denken Sie nicht, Sie brauchen mal eine kleine Auszeit? Ein paar Tage Urlaub?«

»Das wäre schön, ja. Aber im Moment ist das unmöglich. Die Tea Corner läuft besser denn je, da kann ich nicht einfach freinehmen.«

Eigentlich war das ja etwas Gutes, dass ihr Geschäft blühte. Eigentlich war es ganz wundervoll, dass so viele Leute in ihre schöne kleine Straße fanden, vor allem seit sich eine Bloggerin die Mühe gemacht hatte, der Valerie Lane eine eigene Seite zu widmen, und sogar eine wöchentliche Kolumne schrieb, um alle Interessierten auf dem Laufenden darüber zu halten, was es hier Neues gab. Doch mit zwei Kindern, einem Ehemann und einer Schar von Freundinnen, denen Laurie natürlich auch ein bisschen ihrer Zeit widmen wollte, war das alles gar nicht mehr so einfach zu meistern.

Aber Laurie wäre nicht Laurie, wenn sie den Kopf hängen ließe. Sie stand jeden Morgen guten Mutes auf und gab ihr Bestes, um allen gerecht zu werden.

Die Ladenglocke bimmelte, und Hannah kam zurück, als Laurie gerade einer Kundin ihren persönlichen neuen Lieblingstee – Schoko-Minze – anpries.

»Sorry«, formte Hannah mit den Lippen und räumte gleich ein paar leere Tassen von den Tischen. Sie hatte sich orangefarbene und bordeauxrote Bänder um die langen Dreadlocks gewickelt – ihre »Septemberfrisur« nannte sie es.

»Du warst ganz schön lange weg«, sagte Laurie in leisem Ton. »Hier ist viel zu tun, Hannah, kannst du Privates bitte beim nächsten Mal auf deine Mittagspause verschieben?«

»Das war doch meine Mittagspause«, entgegnete Hannah.

Laurie sah auf die Uhr. Es war tatsächlich schon kurz nach halb zwei.

»Oje. Ich bin wohl wirklich ganz schön durch den Wind heute. Tut mir leid.«

»Willst du jetzt Pause machen? Du solltest dringend durchatmen«, sagte Hannah und sah Laurie besorgt an. »Deine Aura gefällt mir gar nicht. Setz dich auf die Bank und lass dir ein bisschen Sonne ins Gesicht scheinen. Das wird dir guttun.«

»Okay. Dann kann ich ja auch gleich einen Gemüsetee aufbrühen und verteilen.« Sie entschied sich für den Rote-Bete-Tee und trat wenig später mit zwei Bechern aus der Tür.

Als Erstes ging sie zu Keira nach nebenan, die aber genauso viel Kundschaft hatte, von der Laurie ihre Freundin nicht abhalten wollte. Da sie sowieso schon am Morgen mit ihr telefoniert hatte, um ihr zum Hochzeitstag zu gratulieren, war es nicht schlimm, wenn sie beide jetzt keine Zeit zum Reden fanden. Laurie stellte ihr also nur den Becher hin und winkte ihr zu. Ruby jedoch, zu der sie als Nächstes ging, war weniger beschäftigt. Zwar befanden sich zwei Kunden in ihrer Buchhandlung, die stöberten aber nur in den Regalen und kamen allein zurecht.

»Hallo, Ruby. Wie geht es dir?«

»Sehr gut, danke. Was bringst du mir denn da Schönes?«

Laurie grinste schief. »Ob dieser Tee so schön ist, weiß ich ehrlich gesagt noch nicht. Das musst du beurteilen. Deshalb bin ich auch hier. Barry ist nämlich der Meinung, dass Gemüsetees total im Kommen sind. Ich bringe dir also Rote-Bete-Tee.«

Ruby lachte. »So was gibt es?«

»Oh ja. Bitte sehr.« Laurie reichte ihr den Becher.

Ruby nahm ihn entgegen und probierte. Im nächsten Moment verzog sie das Gesicht und sagte: »Ungewöhnlich.«

»Sei ehrlich, Ruby.«

»Okay, ich finde ihn leider gar nicht lecker.«

»Gut zu wissen.« Laurie lachte. »Schütte ihn einfach weg, ja?«

»Na gut. Tut mir echt leid.«

»Das muss es doch nicht. Geschmäcker sind verschieden, und Rote-Bete-Tee ist ja nun auch wirklich speziell.« Sie sah auf den Becher. »Lass mich mal probieren.«

Laurie nahm nun selbst einen Schluck und hätte diesen am liebsten gleich wieder ausgespuckt.

»Nicht so toll, oder?«, fragte Ruby.

»Du lieber Himmel, nein! Wer hat sich denn das nur ausgedacht? Und wie kommt diese Person darauf, eine solche Brühe Tee zu nennen? Schütte ihn weg, aber ganz schnell.«

Ruby lachte und ging nach hinten, um die rote Flüssigkeit wegzukippen. Sie gab Laurie den leeren Becher zurück. Außerdem hielt sie jetzt noch etwas anderes in der Hand.

»Sieh mal!«, sagte sie ganz aufgeregt.

»Oh mein Gott, ist das etwa Garys neues Buch?«

Rubys Freund Gary hatte, nachdem er vier Jahre lang auf der Straße gelebt hatte, seine frühere Tätigkeit als Romanautor wiederaufgenommen. Im letzten Jahr war sein erstes Werk nach langer Zeit auf den Markt gekommen. Es war ein voller Erfolg und auf Anhieb in die Bestsellerliste eingestiegen. Laurie freute sich so unglaublich für Gary, dass er an Rubys Seite einen Neuanfang gewagt hatte und dass es auch noch so gut für ihn lief.

»Jaaa! Es erscheint zwar offiziell erst nächste Woche, aber Gary hat schon seinen Karton mit Belegexemplaren bekommen.«

»Das ist großartig. Darf ich?«

Ruby nickte und reichte Laurie das Buch, auf dem eine Nachtigall zu sehen war. Der Titel lautete: Nur noch eine Nacht mit dir.

»Das sieht so toll aus. Ist es wieder eine romantische Komödie?«

»Schon, irgendwie. Aber diesmal geht es ein wenig tiefer. Es ist einfach traurig-schön.«

»Ich kann es kaum erwarten, das Buch zu lesen.« Sie hatte Garys ersten Roman Denn du bist meine Welt mit Begeisterung verschlungen.

»Ich kann Gary mal fragen, er gibt dir bestimmt eins von seinen Belegexemplaren.«

»Nein, nein, das werde ich mir natürlich kaufen. Es ist ab Montag erhältlich?«

Ruby nickte. Heute war Donnerstag, es war also nicht mehr lange hin.

»Sehr schön. Na, dann will ich mal Mittagspause machen. Hannah sagt, meine Aura gefällt ihr gar nicht.«

»Ach, Hannah …« Ruby schüttelte lachend den Kopf.

»Grüß Gary bitte von mir. Ich wünsch ihm ganz viel Erfolg für sein Buch.«

»Das richte ich aus, danke.«

Die nächste halbe Stunde verbrachte Laurie auf der Bank und aß ihr mitgebrachtes Sandwich und die köstlichen Zwetschgen, die Barrys Mutter in ihrem eigenen Garten geerntet und ihr kiloweise mitgegeben hatte. Leider mochten Lauries Töchter die Früchte gar nicht, viel lieber aßen sie Pommes, die sie vor Kurzem für sich entdeckt hatten. Laurie bereute schon, sie jemals in ein Fast-Food-Restaurant mitgenommen zu haben. Aber weil dort so niedliche Puppenservice-Teile als Beigabe zum Kindermenü angepriesen wurden, hatte sie einfach nicht widerstehen können.

Ihre ältere Tochter Clara wurde in wenigen Monaten vier und war ein richtiger Wirbelwind. Sie war schon immer ein sehr wissbegieriges Kind gewesen und entdeckte die Welt jeden Tag aufs Neue. Gerade lernte sie mit Freude alle möglichen Songtexte auswendig und sang mehr schlecht als recht mit, doch für Laurie war es der schönste Gesang überhaupt. Sie war so stolz auf ihre Süße. Clara würde es im Leben bestimmt nie schwer haben, so offen und selbstbewusst, wie sie jetzt schon war. Ganz anders war da ihre jüngere Tochter, Madeleine, die von allen Maddie genannt wurde. Sie war so schüchtern und still und mochte zu niemand anderem auf den Arm als zu Laurie, Barry und den Großeltern. Aber sie war ja erst ein Jahr und drei Monate, bestimmt würde sich das noch ändern.

Laurie musste wie immer lächeln, wenn sie an ihre kleine Familie dachte, die das Beste war, was ihr je passiert war. Dafür nahm sie ein bisschen Müdigkeit und Angeschlagenheit gerne in Kauf. Die Kinder wurden ja auch älter, und die Dinge würden leichter werden. Barry sagte ihr zwar ständig, dass er am liebsten eine ganze Fußballmannschaft Kinder hätte, doch Laurie war zufrieden – mehr noch, sie war wunschlos glücklich.

Als ihre Pause verstrichen war, ging sie zurück in die Tea Corner und arbeitete an Hannahs Seite, bis es sechs war und sie ihre Ladentür schließen konnte. Sie entließ Hannah nach Hause und sortierte die Unterlagen für die Buchhaltung, die sie in den letzten Wochen nur sorglos in eine Schublade gelegt hatte. Ehe sie es sich versah, hörte sie ein Klopfen an der Tür und ging fröhlich aufmachen.

»Hallo, ihr Süßen!«

»Mummy!«, rief Clara und umarmte ihre Beine.

Laurie küsste ihren Mann und ihre beiden Töchter und sagte ihnen, dass sie in einer Minute kommen würde. Doch dann betrat plötzlich ein alter Mann mit gesenktem Kopf den Laden. Er sah unendlich traurig aus.

»Humphrey«, sagte Laurie erschrocken. »Kommen Sie doch herein.«

Humphrey war der Mann von Mrs. Witherspoon, einer ganz lieben Freundin, die aus der Valerie Lane nicht mehr wegzudenken war. Er setzte sich und sah nun noch kleiner und noch trauriger aus.

»Ist etwas passiert?«, fragte sie.

Er sah auf, und sie konnte Tränen in seinen Augen erkennen.

»Ich gehe schon mal mit den Mädchen zum Auto, ja?«, sagte Barry, schnappte sich Clara und Maddie und ließ Laurie mit Humphrey allein.

Laurie nickte nur und setzte sich zu dem alten Mann. Sie nahm seine Hand und sah ihm direkt in die Augen. Angst beschlich sie, am liebsten würde sie gar nicht hören, was er auf dem Herzen hatte. Doch dann öffnete er den Mund und sagte mit gebrochener Stimme: »Der liebe Gott hat Esther letzte Nacht zu sich geholt.«

Laurie spürte, wie ihr Tränen in die Augen schossen.

»Oh, Humphrey«, schluchzte sie und umarmte den armen Mann, der gerade die Liebe seines Lebens verloren hatte.

KAPITEL 2

Keira verpackte ihre letzte Praline, schickte ihre Aushilfe Kimberly nach Hause und sperrte den Laden ab. Sie trat in die Valerie Lane und atmete tief durch. Heute war so ein wunderbarer Septembertag, es war noch angenehm warm, die Abendsonne schien, und die Luft duftete nach Herbst. Bald würden die Blätter von den Bäumen fallen, und die Stadt würde in eine ganz besondere Atmosphäre gehüllt sein. Der Herbst war schon immer ihre liebste Jahreszeit gewesen, sie war ja auch die gemütlichste von allen. Man konnte die Sommersachen wegräumen und die kuscheligen Pullis hervorholen, man konnte sich mit einer Tasse heißer Schokolade auf die Couch lümmeln, sich mit einer Wolldecke zudecken und ein gutes Buch lesen. Noch dazu kam die Tatsache, dass die wundervollsten Dinge im Herbst geschehen waren. Heute vor zwei Jahren war sie Thomas’ Frau geworden, ein Tag, den sie immer als den schönsten in ihrem Leben in Erinnerung behalten würde. Im letzten Herbst dann, und zwar am 28. September, war ihr kleiner Sohn Andy zur Welt gekommen, der Sonnenschein in ihrem Leben, der den heutigen Abend bei seiner Grandma verbringen würde, damit seine Eltern ihren Hochzeitstag feiern konnten.

Keira lächelte bis über beide Ohren und freute sich auf den romantischen Abend, der dringend mal wieder nötig war. Obwohl sie es kaum erwarten konnte, zu ihrem Liebsten zu kommen, blieb sie einen Augenblick vor ihrem Laden stehen, um all die wundervollen Eindrücke in sich aufzunehmen. In den acht Blumenkästen, die die Straße säumten, hatten sie vor ein paar Tagen zusammen mit Tobin, der Emily’s Flowers führte, entzückende Astern in allen nur erdenklichen Herbstfarben gepflanzt. Blumen in einem satten Gelb, einem warmen Orange, einem anmutigen Weinrot und einem helleren, fröhlicheren Rot verströmten eine Note von Lieblichkeit, aber auch von Abschied, denn der Sommer zählte seine letzten Tage, und der Herbst wartete schon auf seinen Einzug.

Im Vorbeigehen sah Keira durchs Schaufenster in den Teeladen ihrer besten Freundin, die bei ihrer Hochzeit Trauzeugin gewesen war, so wie sie bei ihrer. Auch waren Laurie und sie etwa zur gleichen Zeit schwanger gewesen, was einfach nur großartig gewesen war. Zwar hatte Laurie ihre Maddie schon drei Monate früher bekommen als sie ihren Andy, aber zusammen Babysachen shoppen zu gehen, den Schwangerschaftsgymnastik-Kurs gemeinsam zu machen und sich über Sorgen, Ängste und Erwartungen auszutauschen hätte sie nicht missen wollen. Keira ging nichts über die Freundschaft mit Laurie. Sie hatten sich damals, als Keira etwa ein Jahr nach Laurie in die Valerie Lane gekommen war, sofort angefreundet. Zehn Jahre war das nun her. Und nicht nur die gemeinsamen Mittwochabende, an denen sich für gewöhnlich alle Ladeninhaberinnen der kleinen Straße trafen, hatten sie zusammengeschweißt. Wie oft hatte Laurie ihr eine Schulter zum Anlehnen geboten, wie oft war sie der eine Mensch gewesen, der ihr mit Rat und Tat zur Seite gestanden hatte?

Laurie saß an einem der Tische über irgendwelchen Papieren. Sie sah auf, als spürte sie, dass Keira in der Nähe war. Als sie sie draußen in der Valerie Lane entdeckte, winkte sie ihr lächelnd zu.

Keira winkte zurück. Sie musste Laurie unbedingt mal wieder eine Freude machen, nahm sie sich fest vor und überlegte auf dem Weg zum Auto, wie sie das am besten anstellen könnte.

Als Keira nach einem kleinen Abstecher nach Hause, wo sie sich schnell umzog, um kurz vor sieben ihr Lieblingsrestaurant erreichte, erhaschte sie bereits von draußen einen Blick auf Thomas. Er hatte einen Fensterplatz ausgesucht, vor ihm auf dem Tisch stand ein Strauß roter Rosen.

Sie konnte sich so glücklich schätzen. Noch vor wenigen Jahren hätte sie im Traum nicht daran gedacht, einmal derart gesegnet zu sein. Damals war sie mit einem Zahnarzt namens Jordan zusammen gewesen, der nicht nur ständig etwas an ihrer kurvigen Figur auszusetzen gehabt, sondern auch keine Kinder gewollt hatte. Sie hatte nicht einmal geahnt, dass er bereits ein Kind mit einer anderen hatte, das er ihr ganze acht Jahre lang verheimlicht hatte. Doch Jordan lag so weit in der Vergangenheit, dass sie sich nicht mehr über ihn ärgerte, ja, nicht einmal mehr darüber, dass sie so lange an seiner Seite geblieben war und gehofft hatte, er würde sich ändern. Jetzt hatte sie Thomas, der sie auf Händen trug, und sie konnte sich überhaupt keinen besseren Partner vorstellen.

Thomas und Keira waren der Topf und der Deckel, von dem alle immer sprachen. Wenn zwei Menschen auf dieser großen weiten Welt zusammengehörten, dann sie beide.

Thomas hatte immer gewusst, wie sehr Keira sich eine eigene Familie wünschte, und deshalb hatte er ihr ganz kitschig einen Antrag in dem Chinarestaurant gemacht, in dem sie ihr erstes Date gehabt hatten. Er ließ einen Zettel in einen Glückskeks einbacken, auf dem stand: WILLST DU MICH HEIRATEN? Als Keira ihn entdeckte, weinte sie vor Glück und konnte Thomas kaum antworten, so überwältigt war sie. Ihre Hochzeit vier Monate später war genau so, wie sie es sich immer ausgemalt hatte: im kleinen Rahmen und doch mit all den Menschen, die ihr etwas bedeuteten. Es gab Frühlingsrollen, all ihre anderen Leibspeisen und eine riesige, mit Trüffeln verzierte Schokoladentorte, eine Band spielte ihre Lieblingslieder, und sie trug ein Kleid in ihrer Lieblingsfarbe Pink. Sie und Thomas hatten nicht groß kirchlich geheiratet wie Laurie, sondern nur standesamtlich. Das reichte ihnen, es war ihre Art, ihre Liebe zu besiegeln.

»Hallo, mein Liebling«, sagte sie, als sie an den Tisch trat.

Thomas erhob sich und gab ihr einen Kuss. Dann rückte er ihr den Stuhl zurecht wie ein Gentleman. Er war immer fürsorglich und aufmerksam und wollte, dass sie alles hatte, was sie brauchte.

»Wie schön, dass du da bist. Wie schön, dass wir es geschafft haben, einen Abend nur für uns zu organisieren«, sagte er.

»Ja, das finde ich auch.« Sie lächelte ihn an. Seine warmen braunen Augen mit den unglaublich langen Wimpern zogen sie noch immer in den Bann. Andy hatte diese Wimpern geerbt, er sah Thomas überhaupt sehr ähnlich. »Hat alles geklappt mit meiner Mutter?«

»Ja, klar. Sie sagt, wir sollen uns so viel Zeit lassen, wie wir wollen.«

»Das ist gut. Wollen wir bestellen? Ich hab einen Riesenhunger, heute war so viel los im Laden, ich bin nicht mal dazu gekommen, eine Mittagspause zu machen.«

»Ich habe zur Vorspeise bereits Mini-Frühlingsrollen bestellt, sie sollten gleich da sein.«

»Du weißt wirklich, wie du mich glücklich machen kannst, was?« Sie grinste. Jordan hatte damals immer gemeckert, wenn sie welche bestellen wollte, weil sie ja so fettig und kalorienhaltig waren. Thomas dagegen hatte gleich bei ihrem ersten Date welche mit Keira gegessen – und in dem Moment war ihr klar gewesen, dass er der Richtige war.

»Aber natürlich weiß ich das. Ich habe mir gedacht, dass wir nach dem Essen noch einen kleinen Spaziergang machen könnten, bevor wir nach Hause gehen, wo eine schokoladige Überraschung auf dich wartet.«

»Dann können wir den Spaziergang auch gerne weglassen«, scherzte sie.

Thomas sah sie an, ganz intensiv, als sähe er sie zum ersten Mal und als wäre sie das Schönste, was er je erblickt hatte. Das liebte sie so an ihm, er gab ihr immer das Gefühl, etwas Besonderes zu sein.

»Du siehst so hübsch aus heute Abend. Sind das neue Ohrringe?« Er deutete auf die pinkfarbenen Schmetterlinge, die von ihren Ohrläppchen hingen.

Sie nickte. »Ja. Orchid hat sie mir geschenkt, zum Hochzeitstag, ist das nicht lieb?«

»Das ist total lieb. Wie geht es Orchid?«

»Ihr geht es fantastisch. Sie wirkt richtig glücklich mit …«

Die Kellnerin kam mit den Frühlingsrollen, und Keira wurde unterbrochen.

»Mmmm, sieht das köstlich aus«, sagte sie. Außer Schokolade kannte sie nichts, was auch nur annähernd an Frühlingsrollen herankam. Sie nahm eines der frittierten Röllchen in die Hand und biss genüsslich ab.

Thomas tat es ihr gleich. »Was wolltest du von Orchid erzählen?«, fragte er dann.

»Ach ja, stimmt. Also, Orchid …«

Sie wurde erneut unterbrochen, da ihr Handy vibrierte. Zwar hatte sie den Klingelton abgestellt, da sie bei ihrem romantischen Dinner nicht gestört werden wollte, aber sie hatte immer im Hinterkopf, dass etwas mit Andy sein könnte.

»Ist es deine Mutter?«, fragte Thomas.

Keira warf einen Blick auf das Display. »Nein, Laurie. Ich rufe sie später zurück.«

»Weiß Laurie, dass wir gerade ein Date haben?«

Keira nickte. Natürlich, sie hatte es Laurie schon vor Tagen erzählt und es am Morgen, als ihre Freundin angerufen hatte, um ihr zu gratulieren, auch noch mal erwähnt.

»Dann wird es sich wohl um etwas Wichtiges handeln. Geh ruhig ran.«

»Aber …« Sie überlegte noch, als das Vibrieren abbrach.

Sie starrte auf ihr Handy. Thomas hatte recht. Laurie würde nicht anrufen, wenn es nicht wichtig wäre. Also nahm sie ihr Telefon, entschuldigte sich und ging vor die Tür, um zu hören, was es Dringendes gab.

»Laurie? Du hast versucht, mich zu erreichen?«, fragte sie, nachdem ihre Freundin sich gemeldet hatte.

»Keira … Sitzt du?«

»Nein, ich stehe. Draußen vor dem Chinarestaurant, ich habe doch gerade meinen romantischen Abend mit Thomas.«

»Ich weiß. Tut mir leid, dass ich euch störe.«

Laurie klang gar nicht wie sie selbst. Sofort war Keira mächtig besorgt.

»Warum rufst du denn an? Ist was passiert?«

Stille. Doch Keira konnte förmlich sehen, wie Laurie nickte.

Dann: »Ich habe eine sehr traurige Nachricht.«

Keira schloss die Augen. Oh nein, dachte sie, bitte nicht …

»Mrs. Witherspoon ist von uns gegangen.«

Keiras Augen wurden feucht. »Oh Gott … Wie geht es Humphrey?«, war das Erste, was ihr einfiel.

»Er ist hier bei mir. Ihm geht es natürlich gar nicht gut. Er bittet uns aber, morgen zusammenzukommen. Er meint, er hat etwas zu verkünden, und möchte, dass ich allen Bescheid sage.«

»Oh. Okay. Ich werde da sein. In der Tea Corner?« Ihre Treffen fanden so gut wie immer in Lauries Laden statt, da er der einzige mit Tischen und Stühlen war.

»Ja. Um sieben.«

»Laurie … Willst du, dass ich zu dir komme? Jetzt? Brauchst du meine Unterstützung, was Humphrey angeht?« Sie mochte sich den armen alten Mann gar nicht vorstellen, der auf einmal ganz allein dastand.

»Nein, nein, ist schon okay. Ich rufe jetzt noch den Rest von uns an und bringe Humphrey dann nach Hause. Danke aber, dass du es anbietest.«

»Das ist doch selbstverständlich.«

»Ich komme aber wirklich klar. Barry kümmert sich um die Mädchen. Und du gehst jetzt schön wieder rein und versuchst, deinen Hochzeitstag trotzdem noch ein wenig zu genießen, ja?«

»Ich versuche es.« Ob es ihr gelingen würde, war eine andere Sache.

»Es tut mir wirklich leid, dass ich dich an deinem besonderen Abend gestört habe. Ich dachte nur, du solltest es gleich erfahren.«

»Ist schon okay, ich hätte es dir übel genommen, wenn du es mir erst morgen erzählt hättest. Laurie?«

»Ja?«

»Das ist so traurig. Sie wird mir schrecklich fehlen.«

»Mir auch.«

»Ich drück dich.«

»Ich drück dich zurück.«

Sie beendeten das Telefonat, und Keira ging wieder hinein zu Thomas. Schon an ihrem Blick sah er, dass etwas Schreckliches passiert sein musste.

Fragend sah er sie an. »Keira?«

»Es ist … Mrs. Witherspoon. Sie ist gestorben.« Nun konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten, sie liefen ihr in Sturzbächen über die Wangen.

»Oh nein. Das tut mir ehrlich leid. Sie war eine wunderbare Frau.«

Keira nickte. »Eine Bereicherung für uns alle.«

»Wollen wir lieber nach Hause gehen? Wir könnten uns das Essen einpacken lassen.«

»Wenn es dir nichts ausmacht?« Keira war erleichtert über Thomas’ Vorschlag. Sie wusste nämlich gerade weder, wie sie überhaupt einen Bissen runterbekommen, noch, wie sie hier sitzen sollte, ohne in Tränen zu ertrinken. »Danke.«

Sie sagten kurz Bescheid, bezahlten, warteten, bis ihnen die Tüte mit dem eingepackten Essen gereicht wurde, und verließen dann das Restaurant. Es hatte so ein schöner Abend werden sollen. Doch manchmal kam einem das Leben leider dazwischen.

Keira hakte sich bei Thomas ein und erinnerte sich daran, dass Mrs. Witherspoon und Humphrey auch immer so gegangen waren, wenn sie die Valerie Lane besucht hatten.

Oh, Mrs. Witherspoon … Die Valerie Lane würde nicht mehr dieselbe sein ohne sie. Sie alle würden nicht mehr dieselben sein.

KAPITEL 3

»Möchtest du auch etwas von dem Salat?«, fragte Ruby ihren Vater Hugh, der in seinem schlumpfblauen Jogginganzug am Esstisch saß und auf die Lasagne starrte, die Ruby bereits am Morgen vorbereitet und nach der Arbeit nur noch in den Ofen geschoben hatte.

»Ich will Lasagne«, antwortete er.

»Die bekommst du auch, Dad. Aber Salat ist sehr gesund, weißt du?«

»Ich mag keinen Salat.«

»Du magst Gurken. Im Salat sind auch Gurken drin«, versuchte sie es.

»Nö. Ich nehm lieber mehr von der Lasagne. Die ist auch gesund.«

»In Ordnung«, sagte Ruby und gab sich geschlagen. Er hatte ja recht, die Gemüselasagne war wirklich gesund, sie hatte sie vollgepackt mit Auberginen, Zucchini und Tomaten. Und im Grunde war sie froh, dass ihr Vater überhaupt wieder einigermaßen normal aß. In den ersten Jahren nach dem Tod ihrer Mutter hatte er nämlich darauf bestanden, stets eine ganze Woche lang nur ein und dasselbe Nahrungsmittel zu essen. Es war alles andere als leicht gewesen mit ihm, in jeglicher Hinsicht, hatte er sich doch in seiner eigenen Welt verschanzt. Erst als Gary in ihr Leben getreten war, hatte Hugh angefangen, seines wieder zu meistern. Und dabei hatte Gary selbst Schlimmes durchgemacht, seine Frau und sein Sohn waren bei einem Autounfall umgekommen, woraufhin er sich für ein Leben auf der Straße entschieden hatte. Doch irgendwie hatten sie es geschafft, einander Hoffnung zu schenken und Zuversicht und den Mut, in die Zukunft zu blicken. Ganz behutsam kamen sie über ihre vergangenen Tragödien hinweg, gaben einander Halt und taten einen Schritt nach dem anderen.

Und hier saßen sie nun beisammen, wie eine richtige Familie, als wäre all der Schmerz ausgelöscht. Natürlich war die Vergangenheit nicht vergessen, und das wollten sie auch gar nicht, denn sie war ein Teil von ihnen, aber sie bestimmte jetzt nicht mehr tagein, tagaus ihr Denken. Sie hatten gelernt, sie anzunehmen und vor allem die schönen Momente in Erinnerung zu behalten.

»Möchtest du Salat?«, fragte sie Gary, der lächelte und nickte. Er hatte bereits den Rotwein eingeschenkt.

»Sehr gerne, danke. Der sieht lecker aus.«

»Ich wollte etwas Besonderes für dich kochen. Es gibt schließlich was zu feiern.«

Gary strahlte bis über beide Ohren, und das tat er schon den ganzen Tag lang. Er hatte ja auch allen Grund dazu. Schließlich war sein zweiter Roman eingetroffen. Eigentlich war es gar nicht erst sein zweiter, denn er hatte damals, in seinem früheren Leben, auch schon einige Bücher veröffentlicht. Doch dies war nun sein zweiter Roman nach seinem Neuanfang. Ruby hätte glücklicher nicht sein können. Sie füllte ihm Salat und Lasagne – sein Lieblingsessen – auf den Teller und gab ihm einen Kuss.

»Ich bin sehr stolz auf dich, Gary.«

»Das habe ich alles nur dir zu verdanken.«

»Mir?« Ruby füllte sich selbst auf und setzte sich dann. Überrascht sah sie ihn an.

»Ja, natürlich. Ohne dich hätte ich diese Bücher nie schreiben können.«

»Ach so. Weil ich dir den Laptop zum Geburtstag geschenkt habe?« Als Autor brauchte man doch heutzutage einen, und das war das Mindeste, was sie für Gary tun konnte, fand Ruby, nachdem er ihr immer zur Seite stand. Er hatte sie bei dem Vorhaben unterstützt, aus dem Antiquitätenladen ihrer Mutter eine Buchhandlung zu machen, die sich auf alte und besondere Ausgaben spezialisierte. Er hatte sich so oft um Hugh gekümmert, dass sie es schon gar nicht mehr zählen konnte. Und er half nicht selten im Laden mit, wenn sie ihn brauchte. Für Ruby war Gary der größte Schatz auf Erden, und sie fühlte sich gesegnet, ihn zu haben.

Gary sah sie verblüfft an. »Der Laptop? Nein, Ruby. Weißt du denn nicht, dass du für mich immer die größte Inspiration bist? Ohne dich hätte ich nie wieder auch nur einen Satz zustande gebracht.«

Sie war ehrlich gerührt. Wie Gary sie ansah … mit so viel Zuneigung und Dankbarkeit.

Sie legte eine Hand auf seine. »Ich liebe dich«, sagte sie zu ihm.

»Ich liebe dich auch.«

»Krieg ich noch mehr Lasagne?«, fragte Hugh und zerstörte den wunderbaren Moment. Doch das machte nichts, sie waren seine Art längst gewohnt, und ohne seine ständigen Bemerkungen in den unpassendsten Momenten würde ihnen sogar etwas fehlen.

»Na klar, Dad.« Ruby gab ihm noch eine Portion.

Hugh machte sich gierig über seinen Nachschlag her. Sein graues, viel zu langes Haar war wie immer total außer Kontrolle, es stand nach allen Seiten ab.

»Daddy, wir müssen bald mal wieder deine Haare schneiden, ja?«, wagte Ruby sich an das Thema heran. Er mochte es leider gar nicht, wenn sie die Friseurin spielte.

»Pah! Die müssen nicht geschnitten werden.«

Sie sah zu Gary, der sachte den Kopf schüttelte. Nicht heute, er hatte recht. Dieser Abend war viel zu schön, um ihn mit einem Streit übers Haareschneiden zu ruinieren.

»Ach, übrigens«, sagte sie, trank einen Schluck Wein und wandte sich wieder an Gary. »Ich habe Laurie heute dein Buch gezeigt, und sie war ganz aus dem Häuschen. Sie will es unbedingt lesen, sagt sie, und sie freut sich schon darauf.«

Gary errötete leicht, wie immer, wenn jemand begeistert von seinen Geschichten war.

»Das freut mich.«

»Sie wünscht dir ganz viel Erfolg, lässt sie ausrichten.«

»Danke, das ist wirklich nett.«

Ruby spießte eine Auberginenscheibe auf. Sie passte farblich perfekt zu dem Kleid, das sie heute trug. Es war schmal geschnitten und knielang, im Stil der Vierzigerjahre. Ruby liebte nämlich nicht nur alte Bücher, sondern auch Kleider aus vergangenen Epochen. Die meisten ihrer Kleider und Kostüme hatte sie auf Flohmärkten oder in Secondhandläden ergattert, und sie hatte sie in ihrem Kleiderschrank nach Jahrzehnten sortiert.

»Ich bin mir ganz sicher, dass auch dieses Buch ein großer Erfolg wird«, sagte sie. »So berührend, wie du schreibst, geht das gar nicht anders.«

»Du bist ja süß. Na, warten wir mal ab. Ich will mir lieber keine allzu großen Hoffnungen machen. Wenn die Leser es dann mögen, freue ich mich umso mehr.«

»Das werden sie.« Mögen war überhaupt nicht das passende Wort. Die Leser waren hin und weg gewesen von Garys erstem Roman. Die Kritiker hatten ihn hoch gelobt, und die Bewertungen im Internet ließen keinen Zweifel daran, dass die Leute Denn du bist meine Welt absolut liebten.

»Ich bin fertig«, kam es nun von Hugh. »Darf ich mich auf meinen Sessel setzen und Radio hören?«

»Du hast uns noch gar nichts von deinem Tag erzählt, Dad. Was hast du denn heute so gemacht?«

Hugh war wenig begeistert, jetzt noch groß reden zu müssen. Er stöhnte leicht, tat seiner Tochter aber den Gefallen und ließ sie an seinem Tagesablauf teilhaben.

»Ich habe mir im Fernsehen eine Sendung über Eisbären angesehen«, begann er, und Ruby erwartete schon, dass er jetzt sagen würde, er wolle unbedingt einen Eisbären haben oder eine Reise an den Nordpol machen. So war Hugh Riley nämlich. Sah er eine Sendung über Bienen, wollte er plötzlich Imker werden; hörte er im Radio den Song Let’s Go to San Francisco, wollte er seine Koffer packen und den nächsten Flieger nach Kalifornien nehmen. Doch heute beließ er es dabei, ihnen kurz und knapp von den Eisbären zu erzählen. »Danach war ich mit Gary im Park, Schach spielen.«

»Ach, ehrlich? Wer hat gewonnen?«

Gary lachte. »Du weißt doch, dass ich deinen Dad so gut wie nie schlage.«

»Stimmt. Gary ist einfach zu schlecht«, sagte Hugh und lachte erfreut.

»Eigentlich bin ich gar nicht so schlecht. Gegen dich hat nur kaum jemand eine Chance.«

Hugh strahlte zufrieden.

»Und was hast du noch gemacht?«, wollte Ruby wissen.

»Wir waren bei Burger Queen und haben Cheeseburger gegessen«, erzählte er.

»Du meinst Burger King, oder?«

»Pah! Ich glaube ja, dass eher eine Königin die Cheeseburger erfunden hat und nicht ein König. Frauen können doch viel besser kochen«, stand für Hugh fest.

Sie alle lachten.

»Darf ich jetzt Radio hören gehen?«, quengelte er dann.

»Ja, klar. Geh nur.«

Ruby sah ihrem Vater hinterher, wie er zu seinem Lieblingssessel schlurfte und sich sein Radio auf den Schoß stellte. Er drehte so lange an dem Knopf, bis er die Sportsendung fand, die er suchte.

»Er macht sich wirklich gut«, sagte Gary, der mit seinem Blick ebenfalls Hugh gefolgt war. »Heute im Park hat ein Hund einem kleinen Mädchen den Ball weggeschnappt und ist damit davongelaufen. Hugh ist direkt hinterher und hat richtig mit dem Terrier gekämpft, um dem weinenden Mädchen sein Spielzeug zurückzubringen.«

»Ehrlich? Er hat was für jemand anderen getan?« Ruby war zutiefst bewegt, denn dass ihr Vater überhaupt mal etwas anderes sah als nur sich und seine eigenen Bedürfnisse, war ungewöhnlich. So war er, da konnte man nichts machen, und Ruby hatte ihn trotz allem lieb, doch dieses Ereignis überwältigte sie geradezu.

Gary nickte. »Er hat in letzter Zeit Momente … Da könnte man fast vergessen, dass er … ist, wie er ist.«

Speziell, nannten die Leute es meistens, oder sogar verrückt. Ruby nannte es verwirrt. Die Welt ihres Vaters war nun mal nicht mehr dieselbe, seit seine geliebte Frau gestorben war. Ruby konnte es nachvollziehen, jetzt noch mehr denn je. Denn sie liebte Gary bereits nach so kurzer Zeit so sehr, dass sie sich ein Leben ohne ihn überhaupt nicht mehr vorstellen konnte. Wie musste es sein, wenn der Partner, der wichtigste Mensch im Leben, ganz unerwartet und viel zu früh von einem ging und einen einfach allein ließ, mit all dem Kummer und dem Schmerz, mit einer Tochter und einem Geschäft und einem Leben, das doch ohne den anderen gar nicht mehr funktionieren konnte?

»Ich hatte die Hoffnung fast schon aufgegeben«, sagte sie und schob mit der Gabel die letzten Salatblätter hin und her.

»Übrigens«, meinte Gary und lächelte ein wenig schelmisch, »habe ich mir dich für die Protagonistin meines nächsten Romans zum Vorbild genommen.«

Ruby staunte nicht schlecht. Es war ein Tag voller Überraschungen.

»Mich?«

Gary nickte.

»Das wird dann aber ein ziemlich langweiliges Buch werden.« Sie lachte schüchtern.

»Ich bin doch schon mittendrin, und es ist alles andere als langweilig.«

»Worum geht es denn genau?«, fragte sie interessiert.

»Um eine starke junge Frau, die einiges im Leben durchmachen musste, die aber nie aufgegeben hat. Stattdessen lässt sie mithilfe der Kunst ihren Gefühlen freien Lauf.«

»Sie zeichnet?«

»Oh ja. Genau wie du.«

»Das ist eine wundervolle Idee. Wie heißt sie denn, deine Protagonistin?«

Gary wartete einen Moment, dann sagte er: »Meryl.«

Sofort schossen Ruby Tränen in die Augen. Meryl war der Name ihrer Mutter gewesen.

»Wenn das okay für dich ist«, fügte Gary schnell hinzu. »Ich kann es auch noch ändern.«

»Nein, das ist superschön. Sie hätte sich gefreut, dass du ihren Namen verwendest. Sie hat gerne gelesen.«

»Ich weiß.« Im Wohnzimmer stand noch immer das große Bücherregal mit all ihren Liebesromanen, während in Rubys Zimmer mehrere Regale vollbepackt mit Klassikern waren, sogar Erstausgaben waren darunter.

»Eines Tages wirst du richtig, richtig erfolgreich sein«, war Ruby sich sicher. »Und ich kann sagen, ich kannte dich schon vorher.« Sie gab Gary einen Kuss auf die Wange.

»Du kannst sagen, ich hätte die Hauptfigur in einem meiner Bücher dir nachempfunden. Das können nur wenige von sich behaupten«, scherzte er.

»Du Schuft! Wie viele Freundinnen hast du neben mir noch, denen du ein Buch widmest?«