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Mathematiker haben neuerdings eine Verbindung zwischen so verschiedenen Bereichen wie Zahlentheorie und Geometrie unter dem Begriff der 'perfektoiden Räume erstellen können. Der Psychoanalytiker J. Lacan hat strikt analog dazu den Zusammenhang von Mathematik und Eros beschrieben. Noch praxisnäher lässt sich ein derartiger Konnex mit dem Verfahren der Analytischen Psychokatharsis verstehen und erreichen, das Psychoanalyse und Meditation ideal verbindet. In die direkte Anwendung dieser selbstpraktischen und selbstherapeutischen Methode lassen sich alle genannten Bereiche einbetten und einander zuordnen. Neben dem auf diese Art verbesserten theoretischen Verständnis lässt sich das analytisch-kathartische Verfahren auch leicht aus den Buch heraus erlernen.
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Seitenzahl: 218
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Das Umschlagsbild von T. Heydecker trägt den Titel ‚Chaos-Liebe II‘ und stellt damit genau diese Verwicklung dar, die der Eros im Leben des Menschen verursacht. Die beste Methode diese Verwicklung zu lösen liegt in einem Zusammenhang von Psychoanalyse und Mathematik. Zusammenhang kann nicht heißen, dass eines in der Sprache des anderen – so oder anders herum – ausgedrückt wird, sondern in einem dritten, eigenen, zumindest strikt analogen Verfahren zur Geltung kommt. Dieses Verfahren habe ich Analytische Psychokatharsis genannt und bereits von verschiedenen Seiten her dargestellt; diesmal eben von der Mathematik des Eros her.
Die Diktatur von Liebe und Sex
Analytische Psychokatharsis
Identität
Imaginäre Scham und symbolische Schuld
Macht ohne Machthaber und Sex ohne Gesetz
Arithmetik und Topologie
Die Mathematik des Unbewussten
Eine Erotologie
Liebe und Transerotik
Familien- und Lohengrins Geheimnis
Wahrheit und Blick
Techniken und Statistiken des Eros
Die therapeutische Maxime des Eros
Anhang und Nachwort Literaturverzeichnis
Das deutsche Originalmanuskript von A. Koestlers berühmten Roman ‚Sonnenfinsternis‘ wurde erst vor kurzem wiederentdeckt und neu ediert.1 Koestler hatte es 1940 in den Kriegswirren verloren, die schon vorher erstellte englische Übersetzung (die später – auch mit seiner Hilfe – ins Deutsche etwas holprig zurückübersetzt wurde) erreichte nach dem Krieg Millionenauflagen. Es geht in Koestlers Buch um die in den stalinistischen Säuberungsprozessen der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts stattgehabten perfiden Verhöre. Der Hauptprotagonist heißt Rubaschow, er ist selbst ein ehemaliger und lange vehementer Mitstreiter der kommunistischen Diktatur, hat jedoch begonnen sich dagegen aufzulehnen und eine Widerstandsgruppe geleitet. Nun ist er vom staatlichen Geheimdienst gefangen genommen worden und wird in brisante Verhöre verwickelt. Darin kommt eine Diskursform zum Tragen, die in diesem Buch eine Richtlinie sein kann, auch wenn es um hier eine ganz andere Thematik geht.
Die Verwicklung zwischen dem Ankläger und dem Angeklagtem beginnt in Koestlers Buch zuerst spitzfindig, aber relativ harmlos, denn im ersten Interview ist der anklagende Befrager selbst ein Genosse Rubaschows aus der gemeinsamen kommunistischen Anfangszeit. Später haben sich die Wege getrennt, aber das Verhör findet noch in fast partnerschaftlicher Weise statt und hat ein beinahe philosophisches Niveau. Es geht so weit, dass „die Art zu denken und zu argumentieren“ des einen spiegelverwandt der des anderen ist, und dass es auch vom Echo der Gedanken des Klägers im Kopf des Beklagten her nicht schwer war, eine gute Verteidigung zu finden. So muss sich Rubaschow anfänglich nicht fürchten, weil er eben versteht, in dieser Weise „mit dem Hirn des anderen zu denken“ und so dessen Worte als durchaus logisch zu empfinden und für die eigene Rede in leicht umgedrehter Form verwenden zu können. Man kann geradezu von einen Spiegel- und Echo-Diskurs sprechen, in dem sich die gemeinsame Zeit von Kläger und Angeklagtem in der sowjetischen Kaderschmiede als das eine, aber auch die stalinistische Diktatur und Rubaschows Gegenstrebungen als das andere miteinander verschachteln.
Eben dieser Diskurs ist sogar ein weltweites Phänomen, indem viele Verhöre, aber auch Debatten und Dialoge so aussehen, dass man beiden Gesprächspartnern auch als Außenstehender logisch folgen und beiden sogar inhaltlich oft weitgehend recht geben muss und doch bleiben sie getrennt. In Koestlers Schilderung gefällt dem KGB, dem sowjetischen Geheimdienst, diese dialektische, spiegel- und echoartige Methode des Verhörs jedoch auf die Dauer nicht. Der Erstinterviewer wird schließlich selbst verhaftet und erschossen, weil er nicht scharf genug agiert hat. Erst dann – mit einem neuen Geheimdienstler – kommt es zu der Art von Verhör, wie es sich bei den stalinistischen Säuberungsprozessen wohl wirklich zugetragen hat: erpresserisch, hinterhältig, perfide und brutal. Trotz all dem hätte es in Koestlers Buch noch zu ein paar Spiegel- und Echo-Auseinander-setzungen kommen können, die Gedanken dazu waren da. Aber Rubaschow wird als zu schwach und zu lax argumentierend dargestellt; er gerät ständig in Erschöpfung, wird misshandelt, ist mehr und mehr resignativ und verliert so den Prozess. Man bringt ihn um.
Heute stehen, zumindest in Europa, keine derartigen politischen Kontroversen mit solch spitzfindig einkreisenden Verhören und Totschlag mehr im Mittelpunkt, auch wenn gerade Krieg in der Ukraine herrscht und in Russland wieder einmal tausende Gegendemonstranten verhaftet wurden. Wir debattieren und streiten nunmehr vorwiegend um wirtschaftliche, soziale, kulturelle und genderbezogene Themen, und auch hier zeigen sich oft Spiegelund Echo-Varianten der unterschiedlichsten Gesprächspartner. Politisch Linke und Rechte beschimpfen sich gröblich, obwohl sie sich doch beide in der gleichen Art, nämlich ideologisch, hinter dem Gesinnungskollektiv verstecken.2
Der Philosoph D. Eribon jammert ehrlich betroffen über die Diskriminierung Homosexueller und Personen der unteren Klassen, verschweigt aber, dass es genau die Schwulencommunity war, die ihm zu Studium und Ansehen verholfen hat. Zudem hetzt er gegen die Psychoanalyse, die er dringend nötig hätte, denn er hat sie überhaupt nicht begriffen.3 Zurecht beklagen Frauen die sexuelle Belästigung durch die Männer, doch andere bedauern, wenn Anmache und Flirt ganz unter den Tisch fielen. Und Transsexuelle, die sich heute Transgender nennen, spiegeln perfekt die Geschlechtergeschichten, finden aber das dazugehörige Echo nicht.4
Wie Koestler schreibt, war bei den kommunistischen Prozessen der Diktator selbst die Hauptfigur im Hintergrund und der einzige Angelpunkt für die Spiegel- und Echo-Diskurse. Immer wurde so getan, als säße er beim Verhör im Zentrum des Geschehens mit dabei: unumstößlich und unangreifbar wie Gott. Meiner Ansicht nach nimmt heute – abgesehen von der Problematik politischer Diktaturen – die Diktatur der sozial-kulturellen und der Liebe- und Sex-Diskurse diese zentrale Rolle ein, um die sich die gegenseitigen Argumente und das Denken mit dem Hirn des anderen dreht. Sie wüten schrecklich und sind doch spannend-unterhaltsam. Die Frauen sind das Echo der männlichen Spiegelungen (und umgekehrt), dies verhielt sich schon im Mythos des Prinzen Narziss und der Nymphe Echo genauso. Narziss sah nur sich selbst im Spiegelbild, und Echo konnte nur widerhallende Worte von sich geben. Lieber tot als in Liebe vereint, war das Resümee, dass der Prinz schließlich zog.
Das Wesen der Echo- und Spiegel-Diskurse werde ich gleich im nächsten Kapitel aufnehmen, um schon vorab das Verfahren zu schildern, das der letztliche Zweck dieses Buches ist: eine ‚Selbstpraxis‘ wie es der Philosoph M. Foucault nannte, indem er die Vermittlung der antiken ‚ars erotica‘ wieder aufnahm. Foucault war der Ansicht, dass die originäre Selbstverwirklichung in der Liebe und im Sex stets verfremdet worden ist. Auch der französische Psychoanalytiker J. Lacan war ähnlicher Auffassung, dass beispielsweise die Liebe, so wie sie allgemein kommuniziert wird (und auch wohl immer kommuniziert worden ist), ein Täuschungsakt ist, der ziemlich komisch wirkt. „Lieben heißt geben, was man nicht hat“, meinte er, was wohl heißen soll, dass der Gebende schon ahnt, dass er nicht viel für den Liebesakt tun muss, denn bereits wenn er das ‚Lie-‘ ausgesprochen hat, fällt der Nehmende in einem Glücksrausch und gibt das ‚-be‘ von sich aus dazu. Er merkt somit gar nicht mehr, dass er nichts bekommen hat. Die Liebe ist ein psychisches ‚Objekt‘, das sich im Imaginären (Spiegel) und Symbolischen (Echo) abspielt, während das Reale auf der Strecke bleibt.5
S. Proudhomme, Nobelpreisträger für Literatur, meint, dass „die Liebe nicht wert sei, als Thema eines großen Werkes zu dienen; weil sie die unwissende, eitle und frivole Frau zur Voraussetzung hat.“6 Ja, wirklich? Für ihn waren die Frauen von Natur aus irgendwie rein, quasi steril und inert, und konnten als solche gar nicht verdorben werden. Die Liebe war alles und nichts zugleich. Für ihn selbst konnte sie nie verwirklicht werden, er liebte zeitlebens nur seine Schwester, und so bleibt er der abgehobene Philosoph, der vom Liebesleben nur im Kopf weiß. Stendhal dagegen schrieb sein Buch „Über die Liebe“ aus ureigenster Erfahrung und Betroffenheit,7 und auch alle seine sonstigen Romanfiguren kämpfen rücksichtslos ums Glück von Liebe und Macht. Er plädiert für die „l`amour passion“, die Leidenschaftsliebe, den wahren Eros. Doch konnte er ihn vermitteln? Kann man das überhaupt in einer Belletristik oder gar in einem Sachbuch richtig lehren?
R. Barthes, den ich gerne wegen seiner Semiotik zitiere, meint, dass „dem liebenden Subjekt keinerlei sicheres Zeichensystem zur Verfügung steht“ – weder um dem Anderen die Liebe zu beweisen, noch um zu enträtseln, ob es vom Anderen geliebt wird. Obwohl er es wirklich anders zu sagen versucht und auch Wissen hat, kommt er hinsichtlich der ‚Liebessprache‘ in seinem gleichnamigen Buch über die völlig verrückte, passionierte Art der Liebe, über die Eitelkeiten, Narreteien und manischdepressiven Episoden dieser „amour fou“ auch nicht hinaus.8 Er kommt nicht auf die Idee, dass beispielsweise die Mutterliebe (die beim Homosexuellen so kontrapunktisch wirkt, da er auf sie fixiert bleibt) letztlich auch kein ideales Vorbild für die Liebe ist, denn so sehr sie für das heranwachsende Kind lebensnotwendig ist, ist sie doch oft auch eines der größten Hindernisse für den Übergang ins reife Leben des Heranwachsenden. Selbst in ihren Negationen (die Mutter ist an allem schuld) kommen die Menschen von ihr nicht mehr los. Ihre Größe, die in manchen Kulturen als der Grundzug der Liebe überhaupt angesehen wurde, besteht zu Recht, aber nur für eine kurze Zeit, für eine kleine Lebensspanne in der Frühzeit des Kindes. Danach ist sie Blaupause für die absurdesten Romantizismen.
D. H. Lawrence, dem großen Schriftsteller und Leidenschaftsliebenden schlechthin, misslang ebenfalls diese noch in seine Kindheit reichende Liebesgeschichte. In seinem Buch ‚Mr. Noon‘ lässt er die Hauptakteurin sagen, dass sie an die allgemeine Liebe glaube und dass sie alle lieben wolle. Aber es stellt sich heraus, dass sie darunter „alle Männer“ versteht, während ihr Partner von der „besonderen Liebe“ spricht, bei der man nur eine liebt – die jedoch ausschließlich „körperlich.“ 9 Kein Wunder, wenn es da zwischen den beiden Probleme gibt und auch der Autor sie für sich selbst nicht lösen konnte, er also quasi ein Muttersöhnchen geblieben ist.
Ich werde also die Suche bei den großen Schriftstellern und ihren hunderttausend Versuchen, von Eros und Liebe zu reden, sowie bei den Philosophen und Meistern der ‚ars amandi‘ gar nicht mehr allzu weit fortsetzen, nicht bei Ovid und seiner Liebeskunst oder bei der Bergpredigt, wo so viel über Liebe steht, ideale Liebe, jenseitige Liebe, deren so edel ausgedrückte Höhe anscheinend mit den Tiefen der realen Liebe nicht mehr zusammengeht. „Die Liebe bettelt, genauso wie sie erpresst . . . Die Liebe ist ein perfektes Verbrechen.“10 Krass. Paradoxer kann man es wirklich in belletristischer, allgemeiner Form nicht sagen. Wenn eben alles nichts nützt, um uns zu einer Art von „Vernunft der Liebe“ zu bringen, muss man es anders sagen. Radikal anders. Oder man muss eben den Spiegel- und Echo-Charakter der Liebe erkennen, den in seiner sublimsten Form Lacan das ‚Ding‘ nennt.11
Genau darum geht es nämlich auch in der Psychoanalyse, indem in ihr das Phänomen der ‚Übertragungsliebe‘ eine wesentliche Rolle spielt. Dieser Vorgang scheint radikal anders zu sein und gleichzeitig genauso spiegel- und echobezogen. Denn der Analytiker stellt eine fast künstliche Situation her, eine Gesprächssituation ohne eigentliche Realität, ohne ein wirkliches Thema. Nur vor dem Hintergrundspiegel, dass man dem (groß zu schreibenden) Anderen, dem Analytiker, ein Wissen unterstellt, entsteht im Zwischenfeld das, was Freud eben Übertragung genannt hat: Übertragung von unbewussten und verjährten Gefühlen und inadäquaten Bedeutungen auf den Analytiker. „Übertragung ist etwas, was die Liebe in die Sache hineinzieht“, diese Spiegelung kann man in der lange sich hinziehenden Sprechzimmersituation gar nicht verhindern.12 Es geht um die Liebe auch in ihrer Form als Hass, als Narzissmus oder als sonst etwas, denn diese ‚Übertragungsliebe‘ stellt das In-Gang-Setzen des Unbewussten dar – da kann es auch manchmal negative Übertragungen geben, also solche, wo „man seinen Analytiker nicht mehr aus den Augen lässt“, wie Lacan bemerkte, oder Wut artikuliert – und so kommt auch der echosprachliche Anteil zu dieser Art von Liebe dazu.
Tatsächlich wissen auch die meisten sogenannten Liebes-Wissenschaftler auf die Frage nach Liebe und Eros eine eher lieblose Antwort. Sie sind geradezu ein Beispiel dafür, dass sie nicht in einer Liebessprache schreiben, wenn sie über Liebe schreiben. Der Soziologe N. Luhmann zum Beispiel fängt bei der Liebe als „symbolisch generalisiertem Kommunikationsmedium“ an, erst viel später kommt er auf die Leidenschaft zu sprechen.13 Er weiß es, aber er sagt es nicht gut. Ortega y Gassets Definition der Liebe als „Strom von Wärme und Bejahung“ klingt auch erst einmal nicht besser. „Der treffendste, aber allzu technische Ausdruck“ schreibt Ortega jedoch weiter „wäre der, dass der Liebende ontologisch beim Geliebten ist, seinem Schicksal treu. Die Frau, die einen Dieb liebt, mag sich mit ihrem Körper irgendwo befinden, mit ihrem Bewusstsein ist sie im Gefängnis“!14
Fast möchte man sagen, es verhält sich umgekehrt wie bei Luhmann. Ortega hat es lieb, witzig, originell gesagt, aber nicht richtig gewusst. Denn nirgendwo ist die Liebe so gut geregelt, wie wenn der Geliebte im Gefängnis sitzt und man ein ständiges aufeinander Kleben nicht befürchten muss. Irgendwie scheint es eine Diktatur der Liebe zu geben, die von oben her das Leben der Menschen bestimmen will als sei es ein Gebot. Aber mit dem Sex verhält es sich nicht anders, denn noch weniger gut wird gesagt und wirklich gewusst, was es mit ihm auf sich hat. Lacan meint, dass das sexuelle Verhältnis gar nicht existiert, weil man eben nichts davon klar ausdrücken, nichts definieren oder in eine vermittelnde symbolische Form bringen kann. Die sexuelle Beziehung ist eine Scheinrelation, sie scheint hell-grell, ist Beziehung aber nur dem Anschein nach. Und so wirkt es, als übe der Sex eine Diktatur von unten her aus.
Der Sex klingt nicht, er hat keinen sonoren Ton, mit dem er sich lautlich von einem zum anderen Geschlecht exakt herüberbringen ließe. Vielleicht existiert nur ein Stöhnen, aber das spricht nicht, es ist nicht einmal mehr ein Echo.15 Der Sex lässt sich auch nicht in ein Spiegelbild bringen, denn wenn man ihn beschreiben will, wirkt er nur kurios und abstrus. Nach Freuds Auffassung liegt das Problem daran, dass die Menschen am Kastrationskomplex leiden und somit nur einen Patzer, ein Danebengehen produzieren. Schon König Ödipus musste zuerst seinen Vater töten, um in den vollen Genuss des Eros zu kommen. Freud meinte auch, dass der Mann die Frau als „Sexualobjekt überschätze.“ Immer wieder betonte er, „dass etwas in der Natur des Sexualtriebes selbst dem Zustand der vollen Befriedigung nicht günstig ist”,16 weil sie zu kurz anhält und nicht wirklich Elementares zwischen den beiden Geschlechtern enthüllt wird. Echos und auch Spiegelungen und werden hin- und hergeschickt, aber es passiert nichts.
Besser kommt man diesbezüglich wieder mit M. Foucault zurecht. Den Begriff „Macht“ sagt er beispielsweise, muss man sich ohne Machthaber, ohne Herrscher denken und den Begriff „Sex“ ohne Gesetz, ohne Normierung. Beide stellen die letztliche, untergründige Realität dar. Foucault versteht unter „Sex“ nicht die Sexualität, sondern den Körper als solchen und seine Lüste, schlechthin den Eros als solchen, ohne Einengung, Regelung und Strategie. Seiner Meinung nach müsste man den Sex all seiner Regeln und Formen entkleiden, seine „Kargheit“ und „Hinterhältigkeit“ von ihm nehmen und ihm seine „Selbstpraktiken“ wiedergeben, die – wie ich bereits zitiert habe – in der Antike, in der ‚ars erotica‘ vorgeherrscht haben sollen.17 Für Foucault übt der Sex eine Diktatur der Missverständnisse aus, man muss „Nein zum König Sex“ sagen, damit eine freie erotische „Selbstpraxis“ entstehen kann (Genaueres auch zu diesem Begriff später).
In der Antike galt auch Sisyphos als großer Erotiker. Er liebte - gewiss auf zum Teil raffinierte Weise - zahlreiche Frauen, und es gelang ihm mit seinen Leidenschaften sogar mehrmals den Tod zu überlisteten, bevor er letztlich dazu verurteilt wurde, den immer wieder herunterrollenden Steinblock auf einen Berg zu schleppen. Während Camus behauptet, „man müsse sich Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen“, würde der Psychoanalytiker widersprechen und sagen, dass dessen Tätigkeit eher einer zwanghaft sexuellen Wiederholung gleicht. Von Glück keine Spur. Der Stein ist Ausdruck seiner erstarrten Libido, und so müsste man sich Sisyphos eher als einen Menschen vorstellen, der genau an der Monotonie des Sexes leidet. Oben, am Höhepunkt der Lust fällt diese natürlich wieder ab, ins Tal der Nichtigkeiten, von wo sie neu wieder aufgenommen werden muss. Nicht die Götter haben ihn dazu gezwungen, er selbst ist so sexistisch, dass er nicht anders kann. Wie Wagners Tannhäuser am ‚mons pubis‘ prallt Sisyphos dort, an dieser Stelle der Frau ab, und so versucht er ständig wieder – als sei dies sein sexuelles Vorspiel – seinen Trieb auf den Gipfel zu schleppen.
Mit Liebe und Sex ist es also nicht weit her, auch wenn das Gegenteil immer wieder behauptet wird. Dies ist auch die Thematik der israelischen Philosophie-Soziologin Eva Illouz, die zwanzig Jahre darüber geforscht hat. In ihrem letzten Buch zieht sie Resümee:18 Sie sieht die in traditionalistischen Herrschaftssystemen agierende Unterdrückung und Rigidität selbstverständlich als negativ. Aber auch heutzutage steht es um die Geschlechterbeziehungen und den sie begleitenden Eros nicht besser, meint sie. Die sexuelle Befreiung habe nichts gebracht und eher zu Leistungszwängen und völliger Verunsicherung geführt. Bedrohlich ist vor allem – so schreibt sie – „eine von kapitalistischen Industrien in Männerhand produzierte Visualität“, also die sexistischen Männerblicke und die dadurch erstellten Frauenbilder. E. Illouz nennt dies auch den „skopischen, den Blick-Kapitalismus“, der „von den sexuellen und romantischen Akteuren einen zu hohen Preis verlangt“ und der letztlich nur in heillose Negativitäten mündet.
All dies heißt nicht, dass sie für eine „Rückkehr zu Familienwerten, zur Gemeinschaft oder zu einer Einschränkung der Freiheit“ plädiert. Sie will, dass feministische und religiöse Kritik gehört wird und verurteilt auch die „Mithilfe der Psychobranchen“, die nur im Dienst dieser skopischen kapitalistischen Macht stehen. Auch von der Psychoanalyse hält sie nicht viel. Doch genügen ihre Statements für eine wirkliche Veränderung dieses durch social Media, Internet, falsche Libertinage, modernen Zeitgeist und vieles andere beschädigten Eros? Auch sie bezieht sich auf Foucault, hat aber noch weniger als er eine gelungene, reife und wirksame ‚Selbstpraxis‘ für heute zur Hand, die so dringend nötig wäre. Auch sie verbleibt bei den zwar wissenschaftlich im philosophisch-soziologischen Bereich fundierten, vielseitig und eindrucksvoll beschriebenen, aber ebenso auf Spiegelund Echo-Diskurse zurückführbaren Phänomenen von Liebe und Sex.
Man kann alles von unten und von oben her sehen (Spigel) und beides gleichermaßen glaubhaft erzählen (Echodiskurs). Von oben her existiert der Sex eben nicht, selbst vom Olymp musste Zeus stets in die Tiefe der menschlichen Täler steigen. Dafür heißt die Liebe von oben her betrachtet dann agape (griechisch) oder caritas (lateinisch), was ein bisschen sozialfürsorglich klingt, anständig, zugeknöpft, langweilig. Von unten her nennt sich der Sex Pornosophie und die Liebe Eros.19 Was dazwischen passiert, werde ich in den folgenden Kapiteln als Thematik in verschiedenen Versionen wieder aufnehmen, ein bisschen in Bezug zur Mathematik, aber mit effektiver ‚Selbstpraxis‘.
Es wird also bezüglich der Mathematik nur um einen schlicht gefassten Bezug gehen, analogisch, nicht algebraisch, sondern nur ganz allgemein populärwissenschaftlich und simpel theoretisch. Der Eros wird im Vordergrund stehen, ich nutze ihn als die Erörterungen von Liebe und Sex übergreifenden Begriff, wie er auch in der Antike gehandhabt wurde, aber auch heute gut zu verstehen ist. Die alten Griechen hatten kein Wort für Sex und so wurde Liebe und Sex in erster Linie mit dem Wort Eros bezeichnet. Erst die monotheistische Religion und die kirchliche Moral hat strikte Unterscheidungen eingeführt und so den Sex richtig interessant gemacht. Denn um die Gefährlichkeit des Sex zu beschreiben, musste die Kirche immer die Lust verteufeln, die als solche, per se sozusagen, unbeherrschbar, und damit Inbegriff des Lebens ist.
Das fängt mit der Süße in der Kindheit an und endet mit der Wonne des Todes, die es – laut Lacan –„in der Liebe immer gibt, eines Todes jedoch, den wir uns nicht selbst auferlegen können.“20 Es hat etwas mit einer unbewussten ‚Verschmelzungssehnsucht‘ zu tun, die in jedem Menschen wohnt, und die ein mit der Liebe vermischtes Todesbegehren darstellt.21 Es will etwas wiederholt werden, was im Leben noch nicht zum Zug gekommen ist, nicht gesagt, nicht eingestanden und enthüllt worden ist. Es wird zwar unendlich viel davon geredet, aber nichts wirklich vermittelt. Kurz: es geht um etwas versteckt Erotisches, auch Aggressives, das brisant klingt und offensichtlich ein bisschen differenzierter ist als all die modernen Phrasen zu Liebe und Sex es an sich haben.
Bevor ich versuche letzte, direkte und damit eben mathematische Klarheit in den Eros zu bringen, füge ich hier das erwähnte, kurz gefasste Kapitel zum Verfahren der von mir entwickelten ‚Selbstpraxis‘ ein: eine trockene, nicht erotische Lektüre, aber Frauen haben mir geraten, es so zu machen. Der Bezug zu den konkreten Aspekten des Verfahrens ist dann beim weiteren Lesen auch einfacher herzustellen, auch wenn es ohnehin nur um die Spiegel- und Echodiskurse gehen wird, die an anderer Stelle meist als Bild- und Wort-Wirkendes bezeichnet habe. Ich folge damit der Nomenklatur Lacans, der von imaginären (Spiegel, Bild) und symbolischen (Wort, Sprache) Signifikanten spricht, wenn er die Grund-Kräfte, -Triebe, aus einem letztlich phonematisch, lexikalisch ‚Wirkenden‘ heraus entwickelt.
Das ‚Wirkende‘ nennt Lacan auch das Reale, das in einem Knoten (Abb. links) mit dem Imaginären und Symbolischen verknüpft ist. Es gibt verknüpft also ein Imaginär-Reales und ein Symbolisch-Reales (mein Bild- und Wort-Wirkendes). Man steht unter der Wirkung des Bildes, ist aber selbst auch fähig zu verbildlichen. Und so steht man auch unter der Fuchtel des Wortes, auch wenn man authentisch sprechen kann. Letztlich existiert auch ein Rest vom Realen, vom scheinbar Unerreichbaren, an das man immer wieder als hartnäckigen Widerstand stößt. Ich würde die Liebe dem Symbolischen, den Sex dem Imaginären zuordnen, und das Reale als das ansehen, wie beides gelungen, reif, gültig verbunden werden kann, obwohl es harten Widerstand bildet.
1 Koestler, A., Sonnenfinsternis, Elsinor (2018)
2 Die Linke, heißt es, ist die kollektive Spinnerei, die Rechte die kollektive Schurkerei. Wegen des Kollektivcharakters überschneiden sich oft ihre scheinbar gegenteiligen Argumente.
3 Eribon, D.,Der Psychoanalyse entkommen, Turia+Kant (2017)
4 Siehe SZ-Artikel vom 14.8.18 über den ich berichten werde.
5 Ich werde noch mehrmals darauf zurückkommen, dass sich die Unterscheidung des Imaginären, Symbolischen und Realen ideal für die Mathematik des Eros eignet.
6 Proudhomme, S., Intimes Tagebuch, Coron Verlag Zürich, S. 60 und 74
7 Stendhal, M. H., Über die Liebe, A. Schurig, Jena (1911)
8 Barthes, R., Fragmente einer Sprache der Liebe, Suhrkamp (1988)
9 Lawrence, D.H., Mr. Noon, Diogenes (19932) S. 240-242
10 Lavie, J. C., in Psyche Nr.9/10 (1995) S. 1003-1004
11 Ich beziehe mich hier auf das Lacansche ‚Ding‘, das unbewusst ist und mit dem Kantschen ‚Ding an sich‘, aber auch mit dem Eros als außerhalb allen Zuschreibungen Stehendes nur andeutungsweise zu tun hat. Darauf werde ich ebenfalls noch ausführlich eingehen.
12 Lacan,J., Le transfert, Seminaire Nr. VIII, ed. seuil (1991) S. 82
13 Luhmann, N., Liebe als Passion, Suhrkamp stw (1994) S. 21
14 Ortega y Gasset, J., Über die Liebe, Dt. Verlagsanstalt (1961)
15 Die Schriftstellerin T. Morrison beschrieb es als „krächzende Geräusche und plötzliche Stille“.
16 Freud, S., Über die allgemeinste Erniedrigung des Liebeslebens, GW 8, S. 89
17 Foucault, M., Short Cuts, Verlag Zweitausendeins (2001)
18 Illouz, E., Warum Liebe endet, Suhrkamp (2018)
19 Pfister, M., Zweifel, S., Pornosophie und Imachination, Matthes & Seitz (2002). Das Buch bezieht sich vorwiegend auf die ‚Philosophie im Boudoir‘ des Marquis De Sade.
20 Lacan, J., Die Übertragung, Seminar VIII, Sitzung vom 15. 5. 61
21 Lacan, J., Seminar VIII, Passagen-verlag (2008) S. 234
Die also von mir empfohlene ‚Selbstpraxis‘, Selbsttherapie, soll diesen harten Widerstand überwinden helfen. Sie ist – wie die Überschrift des Kapitels zeigt – durch eine Verbindung von Psychoanalyse als analytischem und Meditation als kathartischem Teil zustande gekommen. Ich hatte dies in etlichen Büchern dargestellt, aber immer an den Schluss gesetzt. Jetzt also anders herum. In der Psychoanalyse sind die Grundkräfte (Triebe) psychisch nicht direkt (als ‚Primärvorgang‘) repräsentiert, sondern nur durch sogenannte, innerliche ‚Vorstellungsrepräsentanzen‘ zu erfassen, unbewusste Zustände, die Lacan – Freuds Auffassungen verbessernd – als Repräsentanzen des Schau- (bildhafter Wahrnehmungs-) und Sprech-(worthafter Entäußerungs-) Trieb bezeichnet hat. Schon hierin kann man wieder den Spiegel- und Echo-Diskurs heraushören, über den ich eingangs ein paar Bemerkungen gemacht habe. Nun gehen diese an ihre spiegelnden und widerhallenden Vorstellungsrepräsentanzen gebunden Triebe (man kann sie so auch durchaus Diskurse nennen) verschiedene Kombinationen miteinander ein oder bilden Teiltriebe, deren Auswirkungen vom Psychoanalytiker anhand der ‚freien Assoziationen‘ interpretiert werden können.
In der Meditation geht man jedoch umgekehrt vom ‚Primärvorgang‘ dieser Grundkräfte bzw. deren Repräsentanzen direkt aus, wo nicht von vornherein eine Fixierung auf das Bild- und Worthafte gegeben ist, sondern darauf gewartet wird, bis sich die Phänomene beider Triebe unmittelbar und von selbst zeigen. Spiegel- und Echodiskurs melden sich sozusagen autonom. In einem völlig abgedunkelten Raum wird man (evtl. mit zusätzlich geschlossenen Augen) sehr bald ein Schimmern, Helligkeitserscheinungen (Lichtpunkte) oder ein wie leicht ‚durchrieseltes‘ Körperbild wahrnehmen, das von dem visuellen Schnittpunkt, Spiegelungspunkt, all der sich in der Konkavität des Gehirns treffen Sinnesbahnen besteht. Die Abbildung rechts oben zeigt die der Schädelbasis aufsitzende Halbkugel als reflektierende Nervenzellschicht, die vom Körper oder auch von Erinnerungen her kommenden unbewussten Sinnes- oder Nervenströme im Spiegelpunkt bündelt. Lacan sprach hinsichtlich dieses ‚Primärvorgangs‘ des Schautriebs von einem ‚ultrasubjektiven Ausstrahlen‘, das ich weiter vereinfacht ein ‚Es Strahlt‘ nenne. Es hat einen fast halluzinatorischen Charakter, erfüllt aber eine wichtige Funktion.
Dieses ‚Es Strahlt‘ des Schautriebs steht nämlich dem gleichwertigen ‚Primärvorgang‘ des Sprechtriebs gegenüber. In einem völlig schallgeschützten und auch schallschluckenden Raum kann man schon nach kurzer Zeit einen Laut oder Ton oder Ähnliches vernehmen, wie es auch der Wissenschaftsredakteur S. Schramm von Experimenten eines Akustik-Technikers als ‚Klang des Nichts‘ schilderte.22 Die im Körper wie Echos zurückgebliebenen Sprech-, und Entäußerungsvorgänge werden also laut, was ich verkürzt als ein Es Verlautet, ‚Es Spricht‘ bezeichnet habe. Manche Psychoanalytiker benennen es auch als psychisches (innerlich gespeichertes) Klang-objekt. 23 Andere wie die Psychoanalytikerin D. Birksted-Breen sprechen ebenso von derartigen seelischen Echovorgängen, indem zwischen dem Reverie-Geplapper der Mutter und den ‚widerhallenden‘ Antworten des Kindes eine erste gemeinsame Identität, eine erotische Verschworenheit als ‚Widerhalleffekt‘ entsteht. Damit ist noch keine perfekte Sprache erreicht, aber doch eine beginnende symbolische Ordnung. Damit sind das ‚Es Strahlt‘ und das ‚Es Spricht‘ – so sonderlich sich das vorerst anhören man – zwei wichtige Funktionen, bei denen es nun entscheidend darauf ankommt, wie sie kombiniert (Freud sprach von legiert) sind.